26 Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz Heft Nr. 13 - 1lg7

Friedrichssegen I Lahn : Ein Jahr Zwangsarbeit für iüdische Menschen vor ihrer Deportation im Jahre 1942 von Elmar Ries I tl üdische Menschen aus den drei Krei- rand. Dort lebten die jüdischen Men- den genannten Ortsteilen wohnenden sen Unterlahn-Limburg, Rheingau-St. schen völlig abgeschieden. 78 Familien mit rund 320 Personen Goarshausen und Westerwald waren Diese Siedlung hatte bereits '1913 schnellstens umgesiedelt werden müß- im Sommer 1941aus ihren Heimatwoh- ihren ursprünglichen Zweck verloren, ten." nungen und -orten herausgerissen wor- als der Erzabbau dort unrentabel ge- ,,Das geschah schnellstens mit den den, um in Tagschacht leben und in worden war und aufhörte und die Berg- Bewohnern der betroffenen linken Häu- Friedrichssegen Zwangsarbeit verrich- arbeiterfamilien wegzogen. Anschlie- serreihe", schreibt Herr Christ. Er be- ten zu müssen. lm Sommer 1942wur- ßend lebten in den Häusern ärmere richtete mir auch, daß es kurz danach den sie dann über das Konzentrations- soziale Schichten in teilweise primiti- auf beiden Seiten der Häuserreihe lager Theresienstadt in die Vernich- ven hygienischen Verhältnissen. Es gab durch Bergrutsche zu weiteren Zerstö- tungslager Polens deportiefi. kein fließendes Wasser; außerhalb der rungen der Häuser gekommen sei. 4) Sie kamen aus: Nieder- und Ober- Häuser - am Rande der Straße - befan- ln diese miserablen Wohnverhält- , , den Taunusorten den sich drei Brunnen. Die Toiletten nisse gerieten nun die jüdischen Men- Weyer, und und waren auch draußen. schen. Sie mußten die Räumchen auf den Rheingauorten Eltvil- , eigene Kosten her- und ein- le, Erbach und Rauenthal. " richten. Eswaren 28 namentlich be- Frau Hilde Emmel, die kannte Frauen im Altervon letzte Jüdin von Lahnstein 30 bis 75 Jahren mit 4 Mäd- und einzige Überlebende chen im Alter von 5, 10 und von Tagschacht, wußte zu 15 Jahren, dazu gehörten berichten: 22Männer im Alter von 39 ,,Kaum einer der Lahn- bis 73 Jahren mit zwei 3- steiner Geschäftsleute woll- und'13jährigen Jungen. te uns dabei helfen, die teil- Uberwiegend ältere Men- weise unbewohnbaren Zu- schen hatte man also dort stände zu beseitigen. Nur zwangseinquartiert. Gemüsehändler Herbel be- Einige von ihnen hatten saß dazu die notwendige schon vorher ihre Heimat- Zivilcourage." 5) Be rgarbeitersi edl u n g Tagsch acht bei Lah nste i n - F ried richssege n, wo wohnungen verlassen müs- Die Jüdin Frau lrmgard jüdische Menschen unter miserablen Umständen hausen mußten. sen. ln sogenannten ,,Ju- Jourdain besuchte als Ju- denhäusern", die es nachweislich in lm Jahre 1938 geschah es dann - gendliche zweimal im Herbst 1941 ihre Oberlahnstein, Bad Ems und Monta- das weist Hans Günther Christ in sei- drei Verwandten in der Siedlung baur gab, hatten sie auf engem Raum ner geplanten Chronik für Friedrichs- Tagschacht. Diese Begegnungen wa- mit anderen jüdischen Familien zusam- segen nach -1),,daß die Stützmauerder ren für sie damals sehr gefährlich ge- menleben müssen. in Richtung Gastwirlschaft Arnold 2) links wesen, denn,,hätte die Gestapo mich Wohin gerieten die jüdischen Men- gelegenen Häuserreihe am 3. Gebäu- erwischt, wäre mein Transport in den schen in Tagschacht, die zum Teilaus de in Höhe der mittleren Wohnung s) Osten sicher gewesen." 6) wohlhabenden, zum Teil aber auch aus dem Berg nachgab und die hintere Um ihren Bericht besser zu verste- weniger begüterten Familien ent- Wand des Wohngebäudes eindrückte. hen, ist es wichtig zu wissen, daß ihre stammten? Darauf wurde die Standfestigkeit 75jährige Tante Fanny Königsberger, Sie kamen in eine ehemalige Berg- der gesamten Stützmauern im Wohn- ihr Onkel Louis Jessel und ihre Tante arbeitersiedlung, die aus 4 Reihenhäu- bereich,,Tagschacht" offiziell unter- Flora Jessel aus begüterten Verhält- sern links und rechts am Ende einer sucht. Am 19. September 1938 kam nissen von Bad Ems nach Tagschacht Straße bestand. Das war hoch oben die Untersuchungskommission zum gekommen waren. auf einem Berghang an einem Wald- einstimmigen Beschluß, ,,daß die in So beschrieb mir Frau lrmgard Jour- Heft Nr. 13 - 1/97 Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz 27

dain ihre damaligen Eindrücke: ,,Meine segen in Bad Ems, Römerstr. 12. Louis ,,Gedenkbuch" des Bundesarchivs e) Tante Fanny, mein Onkel Louis und Jessel , geb. 1872, kam bereits 1933 slarb Fanny Königsberger bereits am meine Tante Flora wohnten in einem nach Bad Ems, um unsere Mutter nach 24.9.1 I 42im Konzentrationslager The- kleinen Haus auf der rechten Seite der dem plötzlichen Tod ihres Mannes zu resienstadt, etwa 3 Wochen nach ihrer Straße. Unten im Häuschen befand unterstützen. Er blieb ebenfalls bis 1 941 Ankunft. Sie wird wohl als nicht mehr sich die Küche, in der die Liege für in Bad Ems. Nachdem auch das Ge- arbeitsfähige Person ermordet worden meine Tante stand, auf der sie viele schäft der Familie Königsberger nicht sein. schlaflose Nächte verbringen mußte. weitergeführt werden durfte, betätigte Flora Jessels Tod erfolgte am glei- Es führte eine Treppe ins obere Stock- sich Louis Jessel als Berater und Hel- chen Ort am22.März 1943. 10) fer für die Juden in Bad Ems. Später Louis Jesselüberlebte im Konzen- soll er es auch gewesen sein, der für trationslager Theresienstadt ein Jahr alle anderen in Friedrichssegen mit der länger. Als Todestag wird im,,Gedenk- Gestapo verhandelte und manchen die buch" der 1S.Juli 1944 angegeben. ttt schreckliche Angst nehmen konnte, wenn er für sie den schweren Gang Die Arbeitsverhältnisse antrat. Sein Engagement für seine Lei- ZuZwangsarbeit waren diese jüdi- densgenossen hat uns erst später er- schen Menschen verurleilt worden an kennen lassen, welche Größe und wie- einen Ort, an dem sie nichtwillkommen viel Mut sich hinter seiner bescheide- waren. Denn in der damaligen ,,Schul- nen Art verbargen." ch roni k"von Friedribhssegen wurde ihr Das bestätigte auch ihre Schwester Kommen so kommentiert: ,,Die Maß- lrmgard Jourdin: ,,Onkel Louis war sehr nahme findet wenig Verständnis bei geschickt im Organisieren für andere. der hiesigen Bevölkerung." 12) Wenn es um seinen eigenen Vorteil Weiter verrät die Schulch ronik:,,Die ging, hatte er große Angst und war sehr Männer arbeiten im Eisenlager und vorsichtig. Viele wandten sich ratsu- Verschrottungsbetrieb Narmann, die chend an ihn. Um ihnen etwas zu erle- Frauen im Tonwerk." digen, fuhr er öfter nach Niederlahn- Langjähri ger Besitzer des Eisenbe- stein oder Koblenz." triebes war der jüdische Mitbürger Emil Daß Louis Jessel unter den jüdi- Baer gewesen, den man enteignete Die junge Fanny Königsberger aus Bad schen Menschen in Tagschacht eine undkurzeZeit - bis zu seinem Abtrans- Ems im Jahre 1889. besondere Funktion inne hatte, beweist port im Konzentrationslager Sachsen- werk, wo nur zwei Betten für Louis und auch das erhaltene off izielle,,Verzeich- hausen - in seinem ehemaligen Betrieb Flora zu sehen waren. Sonst war das nis der an die hier wohnhaften Juden als,,Zwangsarbeiter" schuften ließ. Häuschen leer. Es gab auch keinen ausgestellten Erlaubnisscheine zum Die Frauen waren im ,,Tonwerk" Wasseranschluß. Auf der Straße gab vorübergehenden Verlassen derWohn- (auch,,Klinkerwerke" genannt) zum es eine Pumpe, an der sich alle zu gemeinde". s) .,,Ziegelstreichenl' verurteilt, was Hilde bedienen hatten. Die beiden Jessels Die Spalte ,,Dauer der Ausstellung" Emmel glaubwürdig bestätigte. ts) mußten im Altwarenlager arbeiten. Das verrät, daß Louis Jessel vergleichswei- Frühmorgens an allen Werktagen brauchte Tante Fanny nicht; sie war mit se häufig die Sied- 75 Jahren schon zu alt dafür. Sie muß- Iungverlassen dud- te das Häuschen versorgen." 7) te, und daß er so- lm ihrem Brief vom 27.12.1996 er- gar mehrmals für gänzte sie: ,,An einem Sonntag traf ich einen relativ gro- Tante Flora und Onkel Louis Jessel ßen Zeitraum - von sicheran, die in derWoche zurZwangs- 2 oder 3 Monaten - arbeit verpflichtet waren. Eine tiefe im voraus dle Er- Traurigkeit lastete über der ganzen laubnis dazu hatte. Familie und es gab keinen Lichtblick in So erhielt er noch dieser Situation." am 3.8.1942 diese Über diese beiden Menschen Vollmacht, die bis schrieb mir Frau Edith Dietz, die Schwe- zum3.1 1.19429ül- ster von lrmgard Jourdin, im gleichen tig sein sollte. Da- Leben und Leiden der Ge- beierfolgte die end- Brief:,,Vom Rechte Seite der Bergarbeitersiedlung Tagschacht. schwister unserer Mutter Flora und gültige Deportation Louis Jessel ist wenig bekannt. Flora bereits am 28.8.1 942. Wiederholt f inde - also auch an ihrem geheiligten Sab- Jessel , geb. 1 886, kam 1 934 nach Bad ich bei ihm den Vermerk, einen Tag in batmorgen - mußten sie von Tag- Ems. Sie war in Weilburg in einem Koblenz gewesen zu sein , - wohl, um schacht aus gemeinsam zu Fuß ins Tal wohlhabenden Elternhaus aufgewach- für andere mit der Gestapo zu verhan- nach Friedrichssegen auf die andere sen und wurde durch die Naziherr- deln. Lahnseite ziehen, was wohl 40 Minu- schaft das 1. Mal entwurzelt, als das Welches weitere Schicksal erleb- ten in Anspruch nahm. Frau Emmel große Textilgeschäft ihrer Eltern auf- ten diese drei Menschen, die uns nur wußte noch, daß die dabei immer sin- gegeben werden mußte. Sie lebte bis durch das Überleben ihrer beiden Nich- gen mußten, um jede Unterhaltung zu zu ihrer Deportation nach Friedrichs- ten bekanntgeworden sind? Nach dem unterbinden. Schüler von damals er- 28 Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz Heft Nr. 13 - 1/97

zählen, daß sie zuweilen fremdspra- sichtslos drohte ihr der Polizeibeamte: ter - am 14.12.1941 - verstarb er in chige Lieder vernommen hätten. Die ,,Wenn du den Ring nicht ablieferst, Oberlahnstein. 16) jüdischen Menschen dürften wohl auch werde ich dirden Fingerabschneidenl" Warum hat man diesen alten Men- aus Trotz hebräische Lieder gesungen Entsetzt und weinend lief diese Frauzu schen nicht, wie es menschlich gewe- haben. 1a) meinem Vater Gustav Barth, der immer sen wäre, in seinem Heimatort in Ruhe Abends, wenn sie von der schwe- den Juden geholfen und ihnen stets sterben lassen? Wo hat man ihn begra- ren Arbeit sehr ermüdet waren, hatten Milch, Butter und Eier verkauft hatte. ben? lm Belegplan des jüdischen Fried- sie dann wohl eine Stunde bergauf zu Dieser schnitt den Ring auf. Die Jüdin hofs in Oberlahnstein ist er nicht ver- gehen. Unangenehm war ihnen das dankte und rannte schnell hinaus." zeichnet. Durchschreiten des Ortes, was Frau Daß die jüdischen Menschen im Ein besonderer Zwangsbewohner Hilde Emmel ausdrücklich betonte. Sie Tagschachtgebiet ganz ohne politische von Tagschacht war Emil Baer, geb. erinnerte sich noch genau daran, daß Aufsicht gewesen sein sollen, ist kaum am 1 2.4.1 876 in Oberlahnstein. Er hat- einmal sogar Steine nach ihnen gewor- wahrscheinlich. Denn es existiert das te durch großes kaufmännisches Ge- fen wurden. Die meisten der Arbeiterin- bereits erwähnte,,Verzeichnis, der an schick und mit viel Fleiß die große nen und Arbeiter hatten den gelben die hier wohnhaften Juden ausgestell- Schrott- und Eisenhandlung in Fried- Judenstern zu tragen, was ab 1. Sep- ten Erlaubnisscheine zum vorüberge- richssegen aufgebaut und im Groß- tember 1941 Gesetz geworden war. henden Verlassen der Wohngemein- raum Lahnstein zur Monopolstellung de". ln diesem 9seitigen DIN A 4 Heft geführt. ln normalen Zeilen war er in Besondere Vorkommnisse in Tag- sind bis zum 14. August 1942 292 Lahnstein ein sehr geschätzter und schacht namentliche Erlaubnisscheine festge- geachteter Bürger gewesen, der regel- Von einer ständigen Aufsicht vor halten. Der amtliche Schreiber muß mäßig den ärmeren Menschen groß- Ort der jüdischen Menschen konnten sehr engen Kontakt zu den Juden ge- zügig half. ln der jüdischen Kultusge- die beiden lokalen Zeitzeugen Frau habt, sie überwacht und wohl auch in meinde Oberlahnstein hatte er ein so Brodam und Herr Herber nichts berich- ihrer Nähe gewohnt haben. War er die hohes Ansehen genossen, daß er zum ten. 15) Sie wußten aber noch ganz zuständige Aufsichtsperson für diese Synagogenvorsteher gewählt wu rde. exakt, daß ab und zu Polizisten nach Menschen gewesen? Die Nationalsozialisten beschlag- oben kamen, die jüdischen Bewohner Dem hilfreichen Gustav Bafth, dem nahmten seine Eisenhandlung in Fried- versammelten, um ihnen amtlich et- Vater von Frau Brodam, war 1942 sein richssegen. Seine Villa in der Ostallee was mitzuteilen. Sie seien dann mit Milchgeschäft abgenommen worden, wurde am 1 0.1 1 .1 938 heimgesucht und Schelle und Sprechrohr aufgetreten. weil er regelmäßig an die Juden ver- im lnnern zerstört und dann für Partei- Meistens sei es dabei um Anordnun- kauft hatte. Er und seine Familie hatten zwecke verwendet. Ab 1941 wurde sie gen oder Befehle gegangen, die sofort ja auch Tür an Tür mit ihnen gewohnt. zum,,Judenhaus" erklärt, in die mehre- ausgeführt werden mußten. Als sogenannter,,Judenfreund" sollte re jüdische Familien zwangseinquar- Oft hätten die jüdischen Menschen erals Strafe, obwohl erstarkgehbehin- tiert wurden. dann etwas abzuliefern gehabt. So dert war, mit den Juden im Eisenlager lm Sommer 1941 mußten EmilBaer wurde am 10. Januar 1942 das folgen- arbeiten. Da er mit dem Betriebsleiter und Familienangehörige in die primiti- de Gesetz erlassen: ,,Juden müssen gut befreundet war, verriet ihm dieser, ve Wohnung von Tagschacht umsie- alle Woll- und Pelzsachen aus ihrem daß er am kommenden Montag mit der deln. Aber bereits am 26.8.1941wurde Besitz abliefern." Zwangsarbeit beginnen müsse. Sollte der inzwischen 65jäh rige abgef ührt und Frau Brodam und Herr Herber ent- er nicht antreten, würde er von der in das KZ Sachsenhausen gebracht, sannen sich, daß verschiedene Poli- Gestapo abgeholt werden. Herr Gu- wo er schon am 15.10.1941 als ,,ver- zeibeamte zu Bekanntmachungen nach stav Barth, der stets ein treues Mitglied storben" gemeldet wurde. 17) Tagschacht gekommen seien. Einige der SPD gewesen war, konnte gottlob Dr. Hubertus Seibert gibt als mögli- hätten sich korrekt verhalten und die nach Knäutingen in Elsaß-Lothringen che Todesarten an, daß er entweder jüdischen Menschen ordentlich behan- entfliehen. Dort besorgte ihm ein Freund an den Folgen der Mißhandlungen des delt. Einer allerdings, der wegen sei- ein Milchgeschäft in Metz, wo er die Wachpersonals gestorben sei oder aus nes nationalsozialistischen Auftretens Nazi-Zeit überleben konnte. Verzweif lung danach zur Selbsttötung und Verhaltens geradezu berüchtigt gegriffen habe. 18) war, habe sich jeweils schlimm aufge- Einzelschicksale von Opfern von Seine Ehefrau Hedwig Baer geb. führ1. Er habe die armen Menschen Fried richssegen/Tagschacht Strauß und seine Geschwister Ludwig stramm stehen lassen und sie entsetz- Große Opferzahlen - besonders aus und Minna Baerwurden am 10.6.1942 lich schikaniert. der NS-Zeit - übersteigen oft das Fas- und seine Schwester Johanna am Von einem besonderen Ereignis in sungsvermögen und die Vorstellungs- 28-8.1942 von Tagschacht aus in den dieser Hinsicht erzählte Frau Brodam: kraft der Leser - zumal der nachgebo- Tod deportiert. 1e) ,,Als eines Tages die Juden ihren renen. Einzelschicksale erhellen zu- Die Stadt Lahnstein sollte das An- Schmuck abliefern mußten, war aus- weilen viel besser das Ausmaß des denken an diesen verdienstvollen Bür- gerechnet der Nazi-Polizist zum Dienst menschlichen Leidens in dieser Zeit. ger und seine Familie dadurch leben- eingesetzt. Er brüllte die jüdischen Das erste Opfer aus Tagschacht dig erhalten, indem sie eine Straße Menschen an und drohte ihnen mit wurde Hermann Lorig, geb. am nach ihm benennt. Hausdurchsuchungen, wenn sie nicht 18.8.1861 in Burrweiler. Er lebte fried- Vorzeitig deportiert wurde auch jedes Schmuckstück freiwillig heraus- lich als Viehhändler in Weyer/Taunus, Henriette Suesskind (geb. 1 7.1 1.1 890 rücken würden. Einer Jüdin gelang es bis man dann den inzwischen 80jähri- in Betzdorf/Sieg)aus Bad Ems. Bereits nicht, ihren Ehering auszuziehen, weil gen am 16.11.1941 nach Tagschacht am 23. Mai 1942 wurde sie abgeführt sie geschwollene Finger hatte. Rück- abf ührte. Weniger als einen Monat spä- und in den Osten verschleppt, wo sie Heft Nr. 13 - 1197 Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz 29

als ,,verschollen" gilt. 20) tollen zu können. Wirwerden Hilde und Grab in Bad Ems zu beziehen, aber Ein besonders tragisches Schick- Ruth nicht vergessen." 24) selbst das wird mir Pechvogelzunichte sal erlitt der am 7.5.1889 in Berlin- Noch zweiweitere Kinder lebten im gemacht, weil die Sache zu plötzlich Pankow geborene Conrad Davidsohn, Tagschacht. Es war zunächsl Annelie- kam. lch wollte die Familienbilder etc. der einst Reichsbahnrat gewesen war. se Strauß,die am 15.2.1936in Hersch- noch bergen und konnte Louis bei der Aus Eltville war er nach Tagschacht bachMestenruald geboren worden war Unmasse Arbeit nicht noch zumuten, gebracht worden. und auch dort gewohnt hatte. Anfang nach Bad Ems zu fahren und für mein Hilde Emmel erzählte von ihm:,,Herr September 1941 (4.9.1941) war sie in Leichenbegräbnis alles zu erledigen. Davidson war der unglücklichste Tagschacht aufgetaucht und mit 6 Jah- Wie ernst es mirwar, kannst Du daran Mensch hier gewesen. Sein ganzes ren in den Tod geschickt worden. Sie ersehen, daß ich bereits meine sämtlL 2s) Leben lang hatte er nichts von seiner gilt als ,,im Osten verschollen" chen Wollsachen an Edith schickte, jüdischen Abstammung gewußt. Wie Das gleiche Schicksal erlitt auch mein Costüm, meine Ledertasche etc. aus heiterem Himmel habe ihn dann Nathan Ackermann (geb. 9.1 1.1938 in und heute noch nicht einmal mehr ein die Nachricht des,,Ariernachweises" Koblenz) aus Weyer. Mit 3 1/2 Jahren Paar warme Strümpfe habe, wenn ich getroffen. Damit hat sein Elend begon- wurde er depofiiert. 26) weggehe. Dabei darf man nur eine nen." 21) Wie konnten Menschen fähig sein, Wolldecke oder Steppdecke mitneh- Am Tag der letzten Deportation von diese unschuldigen Kinder gnadenlos men, nicht mal ein Deckbett, das halte Friedrichssegen, dem 28.8 .1 942,siürz- zu ermorden? ich selbstverständlich nicht aus; und te sich Conrad Davidsohn aus Ver- sonst nur das Allerwenigste, alles an- zweiflung in die Lahn und ertrank. 22) Die Deportationen von Friedrichs- dere muß zum Verschleudern hierblei- Man sollte seinen Namen noch segen am 10. Juni und 28. August ben! ..."sol nachträglich auf das Mahnmal setzen 1942 als weiteres Opfer der Nazis. lh re,,Heimat" verließen unsere ehe- Von den letzten Szenen der übrig- ln besonderer Weise erschütternd maligen jüdischen Mitbürger im Bahn- gebliebenen 24 jüdischen Menschen ist das Schicksal der Kinder, die in hof von Friedrichssegen. Am 10. Juni in Friedrichssegen am 28.8.1996 be- Tagschacht hausen mußten und auch 1 942 fuhren 26 Menschen von dort ab. richtete 1992 der angesehene Bürger später gefühllos ermordet wurden. Man holte diese Opfer der 1. Deporta- E., der mit seiner Familie damals ne- Sechs Kinder und Jugendliche waren tion noch mit Lastwagen in Tagschacht ben dem Bahnhof gewohnt hatte, aus- es, an die sich Frau Hildegard Brodam ab und brachte sie an den Bahnhof. 27) führlich. Seine Mutter hatte damals ihre und Herr Siegfried Herber heute noch Vielleicht konnten sie noch den Lü- Kinder auf den Speicher gefüh11, damit gut erinnern können, 23) denn sie waren genparolen der Nazis Glauben schen- sie den Abtransport genau beobachten ihre Spielkameraden gewesen, mit ken, im,,Vorzugslager Theresienstadt" konnten. So lautete sein Zeugnis: denen sie frohe Kindertage verbrach- bleiben oder im Osten friedlich siedeln ,,Es war an einem Nachmittag zwi- ten. zu dürfen. Kaum hatten sie die deut- schen 14 und 16 Uhr, denn ich war ,,Das war da oben noch möglich sche Grenze überschritten, sprach man schon aus der Schule nach Hause zu- gewesen - besonders unter uns Kin- ihnen auch noch die deutsche Staats- rückgekehrt und mußte anschließend 28) dern." Und dann erzählten sie: ,,Da war bürgerschaft ab. Welch ein Hohn! meine Hausaufgaben anfertigen. die 16-jährige Lore Neumann (geb. am Historisch gut belegt ist die Depor- lch sah den Trauerzug der jüdi- 10.2.1926 in Eltville), die aus Rauen- tation vom 28. August 1942 mil 24 schen Menschen sich dem Bahnsteig th all Rheingau stammte. Lore hat schon Opfern. Mit ihrem genau vorgeschrie- nähern, abgemagerte und verängstig- wie die Erwachsenen in der Ziegelfa- benen Gepäck zogen sie an diesem te Gestalten waren es. Sie hatten kei- brik in Friedrichssegen arbeiten müs- Tage zum letzten Male den Berg hinun- nerlei Hoffnung und auch keinerlei sen." ter. Herr Herber erinnert sich daran, Chance, sich irgendwie wehren zu kön- ,,Wir spielten gern mit Gerd Heyum daß sie dabei noch einmal Lieder san- nen. Einheimische waren zur Bewa- (geb. 15.6.1928 in Erbach/Rheingau). gen, die erallerdings nichtverstand. Es chung eingeteilt worden, fremde SS- Von am Main war er zu uns müssen hebräische Texte gewesen Leute überwachten streng den Zug. gekommen und hatte mit seinen Eltern sein. 2e) Der freiwillige Eftrinkungstod Etwa eine halbe Stunde mußten ab Ende November 1941 (26.11 .1941) von Conrad Davidsohn am gleichen diese bemitleidenswerten Menschen im Casinogelebt. Die Schule besuchte Tag beweist, daß diese Menschen be- auf dem Bahnsteig warten. Es waren er in Koblenz." reits über ihr zukünftiges Schicksal vorwiegend alte Menschen. Sie trugen Geradezu ins Schwärmen gerieten Bescheid wußten. nur armselige kleine Koffer und Ta- Frau Brodam und Herr Herber über die Das belegt auch überzeugend der schen. Mir fielen ein Mädchen mit Zwillingsmädchen Hilde und Ruth erschütternde Brief der fast 76jährigen schweren langen Zöpfen (Hilde oder Gruenebaum, geboren am 2.3.1931 in Fanny Königsberger aus Bad Ems an Ruth Grünebaum) und ein Junge mit Lierschied/Taunus:,,Diese blonden ihre christliche Freundin J. N. in Bad Pudelmütze auf. lnsgesamt herrschte Spielkameradinnen waren besonders Ems: eine lähmende Stille auf dem Platze. nett und die hübschesten Mädchen in Als endlich der Zug einlief, wurden der ganzen Gegend gewesen. Jeder, ,den 25 / 8. - 42 die Menschen mit Faust- und Gewehr- der sie sah, mußte diese lieben Kinder Meine liebe Johanna! kolbenschlägen in die Abteile der Per- bewundern und zugleich bedauern. Sie Nun wird es Ernst, Freitag kommen wir sonenwagen gestoßen. Es tat weh, die gingen in FrankfurVMain in die Schule hier weg, vorerst 3 Tage nach Theresi- Brutalität derWachmannschaft mit an- und wohnten auch dort. Nur in den enstadt, resp. erst nach Frankfurt. sehen zu müssen. Eine solche Eile war Ferien kamen sie zu uns, und dann war M e i n feste r E ntsch I u ß war, he ute Abe n d eigentlich nicht angebracht gewesen, es wunderschön, mit ihnen spielen und Schluß zu machen und am Freitag mein denn der Zug stand noch einige Zeit 30 Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz Heft Nr. 13 - 1197 auf dem Bahnsteig. WosindihreGräberundGrabmale, und der gesprochenen Übersetzung. Laut ging es jetzt zu: Die Bevölke- an denen der gläubige Jude das be- Der Oberbürgermeister von Lahn- rung stand herum, meist Frauen und rühmteKaddisch,seinTotengebet,das stein, Karl-Heinz Groß, begrüßte die Kinder. Einige klatschten vor Freude in ein einziger Lobpreis Gottes ist, zu Anwesenden: ,,Das stumme, aber ein- die Hände und schrien ,,bravo". beten verpflichtet ist? Es gibt sie nicht. drucksvolle Mahnmal gegen das Ver- EinebesondereSzenefälltmirnoch Das neue Mahnmahl in Friedrichsse- gessenzeigtuns,daßwirzurückschau- ein. Beim hastigen Einstei- en müssen, auf das, gen in einen Waggon sprang was Menschen ihren einerälteren Jüdin der Koffer Mitmenschen zuge- auf, und sein lnhalt fiel auf fügt haben. Dieses den Bahnsteig. Sie wollte ei- Mahnmal soll nach- lig den Koffer wieder füllen, folgende Generatio- aber ein SS-Mann hinderte nen anhalten, sich sie daran. Sie konnte nur ein mit der Geschichte wenig ihrer Habseligkeiten auseinanderzuset- ergreifen; dann wurde sie roh zen und daraus zu hineingestoßen. Der kleine lernen. Die Tatsa- Koffer mit den meisten Din- che, daß eine Schü- gen blieb draußen auf dem lergruppedas Mahn- Bahnsteig liegen." srr mal initiiert hat, zeigt, Über FrankfurUMain ge- daß sich die jungen langten diese Menschen ins Leute ihrer Verant- Konzentrationslager There- wortung durchaus Sechs Opfer sind bewußt sind." sienstadt. Depoftationsbahnhof Friedrichssegen für die iüdischen Menschen. angeblich dort,,gestorben"; Der Männerge- so auch Fanny Königsberger, bereits gen kann nur ein notdürftiger Ersatz sangverein Friedrichssegen trug die am 24.9.1 942, wenige Tage nach ih rer sein, der aber sehr sinnvoll ist. Lieder ,,Frieden" von Gotthilf Fischer Ankunft. 32) und ,,Domine pacem" von Jakob Christ Elf Menschen fanden ihrtragisches Gedenkstunde zur Einweihung des vor. Ende in MinskAffeißrußland, wo Mas- Mahnmals Landrat Kurt Schmidt erinnerte da- senerschießungen stattfanden und Am 24. November 1996 fand in ran, daß am 9. November 1938 im auch ,,Gasautos" zur Ermordung ein- Friedrichssegen die Einweihung des Rhein-Lahn-Kreis 15 Synagogen so- gesetzt wurden. Bei vielen Deportati- Mahnmals statt. Es befindet sich rechts wie 100 Wohnungen und Geschäfte, onszügen, die meistens mit 1000 jüdi- neben der evangelischen Kirche in der brannten. Zwei jüdische Menschen schen Menschen besetzt waren, er- Erzbachstraße. Dies war der werktäg- seien an diesem Tagzu Tode gekom- folgte die Ermordung sofort nach der liche Weg der jüdischen Menschen zu men ... Ankunft in Minsk. 33) ,,Wir sollten dafür Nach Auschwitz/Polen ge- Sorge tragen, daß sich langten sechs Menschen und ähnliches nicht wieder- nach Majdanek/LubliniPolen holt. Die Einmaligkeit eine,Person, die alle den Tod des Lebens gilt es zu fanden, wahren und zu sichern. Von allen anderen deportier- Auch heute." ten jüdischen Menschen unse- Kantor Szya Toper rer Heimat wissen wir nur, daß sang darauf die jüdi- sie,,im Osten verschollen" sind. schen Gedenkgebete Das bedeutet, daß sie irgendwo für die Opfer des Holo- in Polen, der Tschechoslowa- caust,,Mit Ehrf urcht er- kei, Weißrußland oder den Bal- innern wir uns an Mär- tischen Ländern ihren Tod fan- tyrer lsraels ..." und,,Va- den - d.h. meist ermordet wur- ter des Erbarmens, der den. sol im Himmel trohnt ..." PfarrerMartin Stock Den allerwenigsten war nur Konzentrationsslager Theresienstadt: Kleine Festung mit Gefängnis. ein Grab vergönnt gewesen. Die von der Evangelischen meisten wurden nach der Erschießung ihrer Zwangsarbeit gewesen. Bei fro- Kirchengemeinde Friedrichssegen in Massengruben verscharrt und viele stigen Temperaturen hatten sich über brachte in sehr persönlichen Worten davon vor Kriegsende noch einmal aus- 200 Menschen, meist einheimische, zum Ausdruck, daß es ihm ein Her- gegraben, um sie aus Gründen der eingefunden. zensbedürfnis sei, hier zu sprechen, ,,Spurenbeseitigung" dann zu verbren- Kantor Szyja Toper, Jüdische Kul- und daß er über das fassungslos sei, nen. Das ist für Minsk eindeutig belegt. tusgemeinde Bonn, eröffnete die Ge- was Christen Juden angetan haben. Die in Gaskammern Ermordeten denkstunde mit dem in hebräischer ,,Daß auch diejenigen, die an Jesus (2.8. Auschwitz) wurden in Krematori- Sprache gesungenen Psalm,,Aller Fort- geglaubt haben, damals geschwiegen en verbrannt und ihre Asche auf Felder schritt zum Heil ist des Mannes, der im haben, erfüllt mich mit Scham und Trau- gestreut. Vorsatz Gesetzloser nie geschritten" rigkeit." Heft Nr. 13 - 1/97 Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz 31

Pfarrer Winfried Didinger, Katholi- arbeit singend verrichten müssen, um sche Kirchengemeinde St. Martin, jedes persönliche Gespräch zu unter- Lahnstein, las einen von dem jüdischen binden. Theologen Martin Buber übersetzten Das hier war ihr Weg gewesen, Psalm vor. etwas oberhalb hatte man mit Steinen Als Vorsitzender der Christlich-Jü- nach ihnen geworfen, was Frau Hilde dischen Gesellschaft Koblenz hielt ich Emmel, die einzige Überlebende von darauf die Gedenkansprache. TagschachVFriedrichssegen und so- gar des Konzentrationslagers Ravens- Gedenkrede am24.11.1996 zur Ent- brück, nie überwinden konnte. Sie war hüllung des Mahnmals in Friedrichs- nicht von hier aus deportiert worden, segen/Lahn weil sie mit einem Protestanten verhei- Sehr geehrte gedenkende Damen ratet war. Diese letzte Jüdin Lahnsteins, und Herren, liebe Jugendliche, die den heutigen Tag noch gerne miter- ,,Ungestillt rinnt die Träne um die lebt hätte, ist am 31. Januar dieses Erschlagenen meines Volkes." Dieser Jahres im Alter von 89 Jahren gestor- Vers steht als Leitmotiv auf unserem ben. Mahnmal; und weiter ist als Quelle da- Von den 26 deportierten jüdischen rauf zu lesen: ,,Aus unserer gemeinsa- KZ Theresienstadt: Kleine Festung - Er- Menschen des 10. Juni 1942 und den men Bibel, Jeremias 8,23". schießungsgelände. 24 des 28. August 1942 überlebte nie- Da wird bewußt nicht vom ,,Alten" mand. Sie fanden ihren Tod - d.h. die Testament gesprochen, das - aus christ- unserer beider Glauben. meisten wurden ermordet - in Theresi- licher Sicht - leider den historischen Dieser Tag ist ein historischer für enstadt, Minsk/Weißrußland, Au- Kontext ,,veraltet, überholt oder abge- Friedrichssegen, Lahnstein, Bad Ems schwitz/Polen, Majdanek bei Lublin/ löst" für viele hat. Wir sehen und beto- (Unterlahn), Montabaur und Hersch- Polen oder irgendwo im Osten, wo sie nen mit klarem Bewußtsein das ge- bach (Westerwald), Weyer, Lierschied als ,,verschollen" gelten. Darunter wa- meinsame Erbe des ,,1. Testamentes" und Welterod (Taunus), Eltville, Erbach ren auch sechs Kinder und Jugendli- - so sollte man es fürderhin nennen. und Rauenthal (Rheingau). che. ln jenem 8. Kapitel beklagt der Pro- Für alle diese Orte gilt: Nach über Erst 54 Jahre nach ihrem letzten phet Jeremias beschwörend sein Volk, 54Jahren erklingt hierzum ersten Male Abschied gedenken wir ihrer mit einem warum es sich nicht abwendetvon den wieder die hebräische Sprache. Zum längst fälligen Mahnmal. 54 Jahre sind fremden Götzen und Wahnideen. Und letzten Male hörte man sie am 28. eine lange Zeit, nicht aber für die Hin- sein Jammern mündet schließlich in August 1942, als 24 jüdische Men- terbliebenen dieser 51 Opfer, soweit den obigen Vers. Vernehmen wir die schen mit ihrem exakt vorgeschriebe- sie überlebten. Zwei jüdische Damen Verse 18-23 dieses Kapitels, die mit nen Hab und Gut von ihrer armseligen aus Karlsruhe sind heute zu uns ge- der Frage ,,Balsam und Arzt ?" über- Tagschachtwohnung dort oben singend kommen, die ihre beiden Tanten und schrieben sind: ihren Onkel, deren Namen ,,Jammer erhebt sich in auf diesem Mahnmal ste- mir, mein Herz ist verwun- hen, nie vergessen konn- det. Meines Volkes Tochter ten. Sie traueften um sie schreit laut weither im Lan- ihr Leben lang und werden de vernehmbar: lst denn der es auch weiterhin tun. Sie Herr in Zion, ist sein König werden darüber betrübt denn nicht mehr dort? Wa- sein, daß ihren lieben Ver- rum haben sie mich mit ih- wandten kein persönliches ren Bildern gekränkt, mit Grab beschieden worden den Wahngestalten aus ist, an dem sie ihr Kaddisch fremdem Land?" Die Ernte hätten beten können. Auf ist vorüber, der Herbst ist dem jüdischen Friedhof in vorbei, doch wir sind noch Bad Ems sind zwar deren nicht gerettet! Ob des Fal- Namen auf Grabsteinen zu les derTochter meines Vol- lesen, was allein symboli- kes bin ich gebrochen, trau- schen Charakter hat. Aber Minsl

zur eigenen Entehrung füh- schen Opfer sein. Diese Stadt hat - wb ren. - Und die Opfer wurden fast alle deutschen Orte - noch vieles zu Märtyrern ihres Glaubens. an ihnen gutzumachen; leider auch eF Man hatte sie 1941 nach nen gravierenden Fehler der Nactr- Friedrichssegen und beson- kriegszeit. ders Tagschacht gebracht, um Gedenken wir mit Ehdurcht der 51 sie von den sogenannten,,ari- deportierten Opfer dieses Ortes, aber schen" Bü rgern abzusondern. auch der jüdischen Mitbürger unserer Man riß sie aus ihren Heimat- Heimat, die von anderswo in die Ver- orten heraus, nachdem man nichtungslager des Ostens gebracht sie z.B. in Lahnstein schon wurden. Für Lahnstein sind weitere 12 vorher in sogenannte,,Juden- Opfer bekannt. Sie mögen nicht unr häuser" zusammengepf ercht sonst gelitten haben und gestorben hatte. So wurde schließlich sein. Nach jüdischem religiösen Ver- TagschachVFriedrichssegen - ständnis mögen sie im Buch des Le ohne seine Schuld - für diese bens eingetragen sein. Sternträger auch zu einer Stät- Vernehmen wir nun abschließend te der Diskriminierung und mit Aufmerksamkeit die 51 Namen der Ausgrenzung. Dorl oben auf Opfer von Friedrichssegen ; sie werden dem Berge sollten sie hau- von den bereits genannten 7 Jugendli- sen, bevor man sie dann bru- chen vorgetragen werden. Sie sollen tal ermordete. die Garanten dafür sein, daß die ver- Dieses Mahnmal hat be- söhnende Erinnerung auch zukünftig reits seine Geschichte, bis es in Lahnstein lebendig bleiben möge. heute enthüllt werden konnte. Die Kolpingfamilie von Lahn- Lesung der 51 Opfernamen mit Al- stein unternahm am ter und ihrem Wohnort durch die ehe- Zugeinfahrt zum größten VernichttVernichtungslager 28.8.1992, genau 50 Jahre m al ige n Sch ül e r U rs He rbe rge r, Sascha B i rke n au/P ol e n. Auschwitz- nach der letzten Depoftation, Zi n k, M arce I Wi n ke I bau e r, S and ra Löh r, lmmer wieder stelle ich mir die einen Gedenk- und Mahngang vom Florian Lewin, Maike Gläser und Pa- grundsätzliche Frage:,,Warum können Bahnhof Friedrichssegen zum Jüdi- mela Meuer. die Opfer oder ihre Angehörigen über- schen Friedhof Oberlahnstein. Geblie- haupt nicht vergessen, was vielen Tä- ben sind davon diese Sterne, die man Als notwendige Ergänzung fügte tern, deren Angehörigen und unserem damals trug. Zum ersten Male wurde ich noch hinzu: Volk anscheinend so leicht gefallen hier ein symbolhaftes Zeichen der Erin- Nachtragen muß ich noch einen 52. ist?" Wie ist diese U ngerechtigkeit mög- nerung gezeigt und ein blei- lich und begründet? bendes vorgeschlagen. Heute gedenken wir den jüdischen ln ganz besonderer Weise Opfern unserer Heimat, und mit die- kämpfte die 7-köpfige Arbeits- sem Mahnmal wird ihnen wenigstens gemeinschaft der Realschule ein Minimum an Gerechtigkeit zuteil. Oberlahnstein unter Leitung Die Bürgervon Lahnstein setzen ihnen von Frau Ruth Meyer-Schnell4 nach über 54 Jahren ein erstes Zei- Jahre unermüdlich für dieses chen - auch zur steten Mahnung der Mahnmal. Sie leistete vielAuf- Lebenden. klärungsarbeit in ihrer Schule Diese drei Säulen des verdienstvol- und darüber hinaus und brach- len Steinmetzen Norbeft Röser, der te mehrere wertvolle Anträge darauf die 51 Namen der Opfer einge- bei der Stadt ein. Diese Ju- graben hat, sollen Zeugnis dafür able- gendlichen haben sogarschon gen, daß wir das damals begangene den Grundstein für ein ähnli- Un recht bereuen. Wir Nachgeborenen, ches Mahnmal inmitten von die wir die Vaterunserbitte ,,und fÜhre Lahnstein gelegt, indem sie bei uns nicht in Versuchung ..." und die Firmen und Privatpersonen Frage,,Wie hätte ich mich damals ver- über 1 600 DM Spendengelder halten?" verinnerlichen sollten, können sammelten. lhr innigerWunsch nur sehr schwer verstehen, wie man ist es, daß sich die Bürger Lahn- damals moralisch so tief sinken konn- steinsam Saalhofplatz- im Her- te, daß man im Mitmenschen nicht mehr zen der Stadt - ihrer ehemali- den Menschen erkannte. gen jüdischen Menschen erin- Denn tiefer kann eine Person nicht nern können und sollen. mehr sinken. Heute wissen wir es aus Dieses Mahnmal in Fried- der Geschichte: Der Versuch, auf sol- richssegen kann nicht der Ab- che Weise Menschen entehren zu wol- schluß des Gedenkens der Mahnmal Tagschacht/Friedrichssegen bei Lahn- len, mußte mißlingen und konnte nur Stadt Lahnstein für seine jüdi- stein. Heft Nr. 13 - 1/97 Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-pfalz 33

Namen, den von Conrad Davidsohn 47 Jahre. 5) Gespräch mit ihr im Sommer 1992 in aus Eltville. Er war ein 52jähriger ehe- Heyum, Karl, aus Erbach, 57 Jahre. Niederlahnstein. maliger Reichsbahnrat, der durch den Israel, Adelheid, geb. Gerson aus Er- 6) Brief vom 27.12-1996 an den Autor. jüdischen Ariernachweis von seiner Ab- bach, 7'l Jahre. 7) Gespräch mit ihr am 11.2.1994 in stammung völlig überrascht worden war lsrael, Ella, aus Erbach, 46 Jahre. meinem Hause in . und hier unglücklich seine Tage friste- Jessel, Flora, aus Bad Ems, 58 Jahre. 8) Kopie erhalten von der Stadtverwal- te. Am Morgen der letzten Deportation, Jessel, Louis, aus Bad Ems, 58 Jahre. tung Lahnstein im Jahre 1992. am 28.8.1942, stürzte er sich völlig Kahn, Albert, aus Bad Ems, 67 Jahre. 9),,Gedenkbuch" des Bundesarchivs verzweifelt in die Lahn und ertrank. Als Kahn, Billa, aus Montabaur, 59 Jahre. Koblenz 1986 ,,Opfer der Verto@ung Opfer der Nazis vor Ort gehört auch Kahn, Hilde, aus Montabaur, 53 Jahre. der Juden unter der nationalsozialisti- sein Name auf dieses Mahnmal. Kahn, Leopold, aus Montabaur, sche n G ewalth e rrsch aft i n Deutsch I and lch danke Ihnen für lhre Aufmerk- 45 Jahre. 1933-1945., S. 761. samkeit mit Shalom. Kaufmann, Gustav, aus Oberlahnstein, 10) Ebenda S. 659. 66 Jahre. 11) Ebenda. Die Gedenkstunde wurde abge- Kaufmann, Helene, geb. Brueckhei- 1 2) Auszug der,,Schulchronik" im Brief schlossen mit dem hebräischen Ge- mer, aus Oberlahnstein, 64 Jahre. von Hans Günther Christ vom sang und der anschließenden über- Kaufmann, Jakob, aus Kamp-Born- 17.12.1996. setzung des Kaddisch von Kantor S. hofen, 66 Jahre. 13) Gespräch mit ihr im Sommer 1990. Toper: ,,Erhoben und geheiligt werde Kaufmann, Mathilde, geb. Kann, aus 14) Gespräch mit Siegfried Herber am Sein großer Name in der Welt ..." Kamp-Bornhofen, 66 Jahre. 21.10.1996.

Kaufmann, Sophie, aus Niederlahn- 1 5) Gespräch mit beiden am 21 . I 0. I 996 Die Opfer von Friedrichssegen: stein, 39 Jahre. in Friedrichssegen. Ackermann, Hedwig, aus Weyer, Königsberger, Fanny, aus Bad Ems, 1 6),,Namensliste der in Oberlahnstein 30 Jahre. 75 Jahre. ansässig gewesenen Personen der is- Ackermann, Karoline, aus Weyer, Mannheimer, Moritz, aus Eltville, raelitischen Kultusgemeinde" S. 3 ; BA 66 Jahre. 73 Jahre. ZSn . 138/47 5.42-50. Ackermann, Nathan; aus Weyer, Mannheimer, Betty, aus Eltville, 1 7),,Gedenkbuch" des Bundesarchivs 3 Jahre. 64 Jahre. s. 58. Ackermann, Siegfried, aus Weyer, Neumann, Albert, aus Rauenthal, 1 8) Vgl. Dr. Hubertus Seibert,,Zwischen 39 Jahre. 63 Jahre. lntegration und Deportation - Die Ge- Ahronsohn, Klara, geb. Blumenthal, Neumann, Joseph, aus Rauenthal, schichte der Juden im Rhein-Lahn-Ge- aus Oberlahnstein, 53 Jahre. 68 Jahre. biet 1918 - 1945" in ,,Der Rhein-Lahn- Baer, Emil, aus Oberlahnstein, Neumann, Lora, aus Rauenthal, Kreis", Oberwesel 1987 S. 276. 65 Jahre. 15 Jahre. 19) Vgl. ,,Gedenkbuch" des Bundesar- Baer, Hedwig, aus Oberlahnstein, Oppenheimer, Hedwig, geb. Btumen- chivs 1986. 53 Jahre. thal, aus Bad Ems, 56 Jahre. 20) Ebenda S. 1490. Baer, Johanna, aus Oberlahnstein, Oppenheimer, Moritz, aus Bad Ems, 21) Gespräch mit Hilde Emmel am

68 Jahre. 63 Jahre. 1 0.8. 1 992 in Niederlahnstein;,,Namens- Baer, Ludwig, aus Oberlahnstein, Simons, Helene, aus Eltville, 53 Jahre. liste" S. 3 BA Zsg. 138/47 S. 42-50. 54 Jahre. Simons, Julius, aus Eltville, 63 Jahre. 22) Ebenda. Baer, Minna, aus Oberlahnstein, Suesskind, Henriette, aus Bad Ems, 23) Gespräch mit ihnen am 21.10.1996 64 Jahre. 51 Jahre. in Friedrichssegen. Blumenthal, EIse, aus Oberlahnstein, Schoenberg, Emma, geb. Nassauer, 24) Ebenda. 55 Jahre. aus Welterod, 50 Jahre. 25) Vgl.,,Gedenkbuch" des Bundesar- Davidsohn, Conrad, aus Eltville, Schoenberg, Hedwig, aus Welterod, chivs S. 1474. 53 Jahre (nicht auf Mahnmal). 40 Jahre. 26),,Gedenkbuch" des Bundesarchivs Grünebaum, Albert, aus Lierschied, Strauss, Anneliese, aus Herschbach, s.10. 46 Jahre. 6 Jahre. 27) Gespräch mit Siegfried Herber in

Grünebaum, Berta, aus Lierschied, Strauss, Selma, aus Herschbach, Fried richssegen am 3. 8. 1 992. 48 Jahre. 44 Jahre. 28) Vgl. O rigi nal-Deportationsli ste n de r Grünebaum, Hilde, aus Lierschied, Strauss, Siegfried, aus Herschbach, Ku ltusgeme inde Koblenz. 11 Jahre. 56 Jahre. 29) Gespräch mitihm am 24.10.1996 in Grünebaum, Ruth, aus Lierschied, Friedrichssegen. 1 1 Jahre. 30) Originalbrief im Stadtarchivvon Bad Heimann, Adolf, aus Montabaur, Anmerkungen: Ems. 50 Jahre. 1) Einige Seiten Vorabdruck von ihm, 31) Gespräch mit E. am 12.8.1992 in Heimann, Betti, aus Montabaur, erhalten am 1.11.1996. Friedrichssegen. 46 Jahre. 2) Diese bildete das Ende der Straße 32) Vgl.,,Gedenkbuch" des Bundesar- Heimann, Heinrich, aus Montabaur, direkt am Waldrand. chivs nach alphabetischer Folge. 52 Jahre. 3) Zu dieser Zeit die Wohnung der.Fa- 33) Vgl. unveröffenttichtes Buch des Heimann, Recha, aus Montabaur, milie Peil - Amerkung von Hans Gün- Autors,,Deutsche Okkupation in Minsk 53 Jahre. ther Christ. 1941 - 1944". Heyum, Gert, aus Erbach, 13 Jahre. 4) Gespräch in seinem Hause in Fried- . 34) Vgl. ,,Gedenkband" des Bundesar- Heyum, Johanna, aus Erbach, richssegen am 1.1 1.1 996. chivs Koblenz.