Iüdische Menschen Vor Ihrer Deportation Im Jahre 1942 Von Elmar Ries I Tl Üdische Menschen Aus Den Drei Krei- Rand
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26 Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz Heft Nr. 13 - 1lg7 Friedrichssegen I Lahn : Ein Jahr Zwangsarbeit für iüdische Menschen vor ihrer Deportation im Jahre 1942 von Elmar Ries I tl üdische Menschen aus den drei Krei- rand. Dort lebten die jüdischen Men- den genannten Ortsteilen wohnenden sen Unterlahn-Limburg, Rheingau-St. schen völlig abgeschieden. 78 Familien mit rund 320 Personen Goarshausen und Westerwald waren Diese Siedlung hatte bereits '1913 schnellstens umgesiedelt werden müß- im Sommer 1941aus ihren Heimatwoh- ihren ursprünglichen Zweck verloren, ten." nungen und -orten herausgerissen wor- als der Erzabbau dort unrentabel ge- ,,Das geschah schnellstens mit den den, um in Tagschacht leben und in worden war und aufhörte und die Berg- Bewohnern der betroffenen linken Häu- Friedrichssegen Zwangsarbeit verrich- arbeiterfamilien wegzogen. Anschlie- serreihe", schreibt Herr Christ. Er be- ten zu müssen. lm Sommer 1942wur- ßend lebten in den Häusern ärmere richtete mir auch, daß es kurz danach den sie dann über das Konzentrations- soziale Schichten in teilweise primiti- auf beiden Seiten der Häuserreihe lager Theresienstadt in die Vernich- ven hygienischen Verhältnissen. Es gab durch Bergrutsche zu weiteren Zerstö- tungslager Polens deportiefi. kein fließendes Wasser; außerhalb der rungen der Häuser gekommen sei. 4) Sie kamen aus: Nieder- und Ober- Häuser - am Rande der Straße - befan- ln diese miserablen Wohnverhält- lahnstein, Bad Ems, den Taunusorten den sich drei Brunnen. Die Toiletten nisse gerieten nun die jüdischen Men- Weyer, Lierschied und Welterod und waren auch draußen. schen. Sie mußten die Räumchen auf den Rheingauorten Eltvil- , eigene Kosten her- und ein- le, Erbach und Rauenthal. " richten. Eswaren 28 namentlich be- Frau Hilde Emmel, die kannte Frauen im Altervon letzte Jüdin von Lahnstein 30 bis 75 Jahren mit 4 Mäd- und einzige Überlebende chen im Alter von 5, 10 und von Tagschacht, wußte zu 15 Jahren, dazu gehörten berichten: 22Männer im Alter von 39 ,,Kaum einer der Lahn- bis 73 Jahren mit zwei 3- steiner Geschäftsleute woll- und'13jährigen Jungen. te uns dabei helfen, die teil- Uberwiegend ältere Men- weise unbewohnbaren Zu- schen hatte man also dort stände zu beseitigen. Nur zwangseinquartiert. Gemüsehändler Herbel be- Einige von ihnen hatten saß dazu die notwendige schon vorher ihre Heimat- Zivilcourage." 5) Be rgarbeitersi edl u n g Tagsch acht bei Lah nste i n - F ried richssege n, wo wohnungen verlassen müs- Die Jüdin Frau lrmgard jüdische Menschen unter miserablen Umständen hausen mußten. sen. ln sogenannten ,,Ju- Jourdain besuchte als Ju- denhäusern", die es nachweislich in lm Jahre 1938 geschah es dann - gendliche zweimal im Herbst 1941 ihre Oberlahnstein, Bad Ems und Monta- das weist Hans Günther Christ in sei- drei Verwandten in der Siedlung baur gab, hatten sie auf engem Raum ner geplanten Chronik für Friedrichs- Tagschacht. Diese Begegnungen wa- mit anderen jüdischen Familien zusam- segen nach -1),,daß die Stützmauerder ren für sie damals sehr gefährlich ge- menleben müssen. in Richtung Gastwirlschaft Arnold 2) links wesen, denn,,hätte die Gestapo mich Wohin gerieten die jüdischen Men- gelegenen Häuserreihe am 3. Gebäu- erwischt, wäre mein Transport in den schen in Tagschacht, die zum Teilaus de in Höhe der mittleren Wohnung s) Osten sicher gewesen." 6) wohlhabenden, zum Teil aber auch aus dem Berg nachgab und die hintere Um ihren Bericht besser zu verste- weniger begüterten Familien ent- Wand des Wohngebäudes eindrückte. hen, ist es wichtig zu wissen, daß ihre stammten? Darauf wurde die Standfestigkeit 75jährige Tante Fanny Königsberger, Sie kamen in eine ehemalige Berg- der gesamten Stützmauern im Wohn- ihr Onkel Louis Jessel und ihre Tante arbeitersiedlung, die aus 4 Reihenhäu- bereich,,Tagschacht" offiziell unter- Flora Jessel aus begüterten Verhält- sern links und rechts am Ende einer sucht. Am 19. September 1938 kam nissen von Bad Ems nach Tagschacht Straße bestand. Das war hoch oben die Untersuchungskommission zum gekommen waren. auf einem Berghang an einem Wald- einstimmigen Beschluß, ,,daß die in So beschrieb mir Frau lrmgard Jour- Heft Nr. 13 - 1/97 Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz 27 dain ihre damaligen Eindrücke: ,,Meine segen in Bad Ems, Römerstr. 12. Louis ,,Gedenkbuch" des Bundesarchivs e) Tante Fanny, mein Onkel Louis und Jessel , geb. 1872, kam bereits 1933 slarb Fanny Königsberger bereits am meine Tante Flora wohnten in einem nach Bad Ems, um unsere Mutter nach 24.9.1 I 42im Konzentrationslager The- kleinen Haus auf der rechten Seite der dem plötzlichen Tod ihres Mannes zu resienstadt, etwa 3 Wochen nach ihrer Straße. Unten im Häuschen befand unterstützen. Er blieb ebenfalls bis 1 941 Ankunft. Sie wird wohl als nicht mehr sich die Küche, in der die Liege für in Bad Ems. Nachdem auch das Ge- arbeitsfähige Person ermordet worden meine Tante stand, auf der sie viele schäft der Familie Königsberger nicht sein. schlaflose Nächte verbringen mußte. weitergeführt werden durfte, betätigte Flora Jessels Tod erfolgte am glei- Es führte eine Treppe ins obere Stock- sich Louis Jessel als Berater und Hel- chen Ort am22.März 1943. 10) fer für die Juden in Bad Ems. Später Louis Jesselüberlebte im Konzen- soll er es auch gewesen sein, der für trationslager Theresienstadt ein Jahr alle anderen in Friedrichssegen mit der länger. Als Todestag wird im,,Gedenk- Gestapo verhandelte und manchen die buch" der 1S.Juli 1944 angegeben. ttt schreckliche Angst nehmen konnte, wenn er für sie den schweren Gang Die Arbeitsverhältnisse antrat. Sein Engagement für seine Lei- ZuZwangsarbeit waren diese jüdi- densgenossen hat uns erst später er- schen Menschen verurleilt worden an kennen lassen, welche Größe und wie- einen Ort, an dem sie nichtwillkommen viel Mut sich hinter seiner bescheide- waren. Denn in der damaligen ,,Schul- nen Art verbargen." ch roni k"von Friedribhssegen wurde ihr Das bestätigte auch ihre Schwester Kommen so kommentiert: ,,Die Maß- lrmgard Jourdin: ,,Onkel Louis war sehr nahme findet wenig Verständnis bei geschickt im Organisieren für andere. der hiesigen Bevölkerung." 12) Wenn es um seinen eigenen Vorteil Weiter verrät die Schulch ronik:,,Die ging, hatte er große Angst und war sehr Männer arbeiten im Eisenlager und vorsichtig. Viele wandten sich ratsu- Verschrottungsbetrieb Narmann, die chend an ihn. Um ihnen etwas zu erle- Frauen im Tonwerk." digen, fuhr er öfter nach Niederlahn- Langjähri ger Besitzer des Eisenbe- stein oder Koblenz." triebes war der jüdische Mitbürger Emil Daß Louis Jessel unter den jüdi- Baer gewesen, den man enteignete Die junge Fanny Königsberger aus Bad schen Menschen in Tagschacht eine undkurzeZeit - bis zu seinem Abtrans- Ems im Jahre 1889. besondere Funktion inne hatte, beweist port im Konzentrationslager Sachsen- werk, wo nur zwei Betten für Louis und auch das erhaltene off izielle,,Verzeich- hausen - in seinem ehemaligen Betrieb Flora zu sehen waren. Sonst war das nis der an die hier wohnhaften Juden als,,Zwangsarbeiter" schuften ließ. Häuschen leer. Es gab auch keinen ausgestellten Erlaubnisscheine zum Die Frauen waren im ,,Tonwerk" Wasseranschluß. Auf der Straße gab vorübergehenden Verlassen derWohn- (auch,,Klinkerwerke" genannt) zum es eine Pumpe, an der sich alle zu gemeinde". s) .,,Ziegelstreichenl' verurteilt, was Hilde bedienen hatten. Die beiden Jessels Die Spalte ,,Dauer der Ausstellung" Emmel glaubwürdig bestätigte. ts) mußten im Altwarenlager arbeiten. Das verrät, daß Louis Jessel vergleichswei- Frühmorgens an allen Werktagen brauchte Tante Fanny nicht; sie war mit se häufig die Sied- 75 Jahren schon zu alt dafür. Sie muß- Iungverlassen dud- te das Häuschen versorgen." 7) te, und daß er so- lm ihrem Brief vom 27.12.1996 er- gar mehrmals für gänzte sie: ,,An einem Sonntag traf ich einen relativ gro- Tante Flora und Onkel Louis Jessel ßen Zeitraum - von sicheran, die in derWoche zurZwangs- 2 oder 3 Monaten - arbeit verpflichtet waren. Eine tiefe im voraus dle Er- Traurigkeit lastete über der ganzen laubnis dazu hatte. Familie und es gab keinen Lichtblick in So erhielt er noch dieser Situation." am 3.8.1942 diese Über diese beiden Menschen Vollmacht, die bis schrieb mir Frau Edith Dietz, die Schwe- zum3.1 1.19429ül- ster von lrmgard Jourdin, im gleichen tig sein sollte. Da- Leben und Leiden der Ge- beierfolgte die end- Brief:,,Vom Rechte Seite der Bergarbeitersiedlung Tagschacht. schwister unserer Mutter Flora und gültige Deportation Louis Jessel ist wenig bekannt. Flora bereits am 28.8.1 942. Wiederholt f inde - also auch an ihrem geheiligten Sab- Jessel , geb. 1 886, kam 1 934 nach Bad ich bei ihm den Vermerk, einen Tag in batmorgen - mußten sie von Tag- Ems. Sie war in Weilburg in einem Koblenz gewesen zu sein , - wohl, um schacht aus gemeinsam zu Fuß ins Tal wohlhabenden Elternhaus aufgewach- für andere mit der Gestapo zu verhan- nach Friedrichssegen auf die andere sen und wurde durch die Naziherr- deln. Lahnseite ziehen, was wohl 40 Minu- schaft das 1. Mal entwurzelt, als das Welches weitere Schicksal erleb- ten in Anspruch nahm. Frau Emmel große Textilgeschäft ihrer Eltern auf- ten diese drei Menschen, die uns nur wußte noch, daß die dabei immer sin- gegeben werden mußte. Sie lebte bis durch das Überleben ihrer beiden Nich- gen mußten, um jede Unterhaltung zu zu ihrer Deportation nach Friedrichs- ten bekanntgeworden sind? Nach dem unterbinden. Schüler von damals er- 28 Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz Heft Nr. 13 - 1/97 zählen, daß sie zuweilen fremdspra- sichtslos drohte ihr der Polizeibeamte: ter - am 14.12.1941 - verstarb er in chige Lieder vernommen hätten. Die ,,Wenn du den Ring nicht ablieferst, Oberlahnstein. 16) jüdischen Menschen dürften wohl auch werde ich dirden Fingerabschneidenl" Warum hat man diesen alten Men- aus Trotz hebräische Lieder gesungen Entsetzt und weinend lief diese Frauzu schen nicht, wie es menschlich gewe- haben. 1a) meinem Vater Gustav Barth, der immer sen wäre, in seinem Heimatort in Ruhe Abends, wenn sie von der schwe- den Juden geholfen und ihnen stets sterben lassen? Wo hat man ihn begra- ren Arbeit sehr ermüdet waren, hatten Milch, Butter und Eier verkauft hatte.