50. Jahrgang Heft 2 Dezember 2017

Die Reformation in Lauf von Patrick Tattermusch verbreiten und mus, schlussendlich auf Anordnung der den Anfang Reichsstadt Nürnberg durchsetzte. Die vom Ende der Frage lautet aber nun, wie es dazu kam. Einheit der Um dies zu beantworten, muss aller- römisch-ka- dings zuerst betrachtet werden, welche tholischen Kir- Missstände in der römisch-katholischen che bedeuten. Kirche herrschten und welche Reformen So ist es nicht Luther genau forderte. verwunderlich, dass heu- Die kirchlichen Krisen des Mittelalters te jeder den Schon vor Luther hatte die katholische Mönch Martin Kirche immer wieder mit schweren Kri- Luther kennt, sen zu kämpfen. Die gesamte mittel- der als Predi- alterliche Geschichte war einerseits ger und Pro- geprägt von der Konsolidierung der fessor schon römischen Kirche und der Erstarkung vor dem 31. des Papsttums, aber andererseits auch Oktober 1517 von tiefgreifenden Konflikten. Päps- immer wie- te wurden von Kaisern ein- und abge- der gegen den setzt und Abweichler von der Lehre der Ablasshandel Kirche, sogenannte Ketzer, wurden er- predigte und barmungslos verfolgt. Für die Gläubigen Ablasshänd- wurden die Auseinandersetzungen vor ler wie Johann allem immer dann gegenwärtig, wenn Tetzel zu sei- plötzlich mehr als ein Papst existierte. nen schärfs- Solche Schismen waren keine Selten- ten Gegnern heit und für die Gläubigen stellte sich zählte. die Frage, welchem Vertreter Christi auf (Abb. 1) Erden sie nun folgen sollten. Das wohl Wenngleich gravierendste Schisma traf die Men- der zum My- schen im Spätmittelalter. Während des thos gewor- „Großen abendländischen Schismas“ dene The- beanspruchten sogar drei Päpste den senanschlag apostolischen Stuhl für sich. Insgesamt am Portal der verdeutlichte vor allem das Spätmittel- Abb. 1: Martin Luther. Der Heiligen Schrift Doktor (1483–1546), Wittenberger alter den evidenten Reformbedarf der Kupferstich, 19. Jhd. Schlosskirche katholischen Kirche. Derjenige, den man versuchte, in die Pflicht zu nehmen und 95 Thesen verändern die Welt zunehmend in Frage gestellt wird1 , so kann nicht in der sich auch selbst in der Pflicht sah zu handeln, wenn die Ordnung der Chris- Das Jahr 2017 steht ganz im Zeichen Zweifel gezogen werden, wie sehr Lu- der Reformation, denn vor 500 Jahren, ther seine Welt veränderte, obwohl er genauer gesagt am 31. Oktober 1517, nie geplant hatte, die römische Kirche schickte der Prediger der Wittenberger zu spalten und eine neue Konfession zu 2 Aus dem Inhalt Stadtkirche und Professor der dortigen schaffen. Universität einen Brief an seinen kirch- Folglich ist es auch nicht verwunderlich, Die Reformation lichen Vorgesetzten. Diesem Brief legte dass sich auch in Lauf an der , in Lauf Seite 1-8 er 95 Thesen bei, die als Grundlage für so wie im ganzen Reich, die Menschen ein theologisches Streitgespräch über die Frage stellten, ob nun die alte oder Heimat ? das Thema des Ablasshandels dienen die neue Lehre der richtige Weg sei. Die Geschichte der sollten. Diese 95 Thesen sollten sich Heute wissen wir, dass sich in Lauf die Familie Freimann Seite 9-16 in Windeseile über das gesamte Reich neue Konfession, der Protestantis- 2 Dezember 2017 tenheit gestört war, war auch in dieser Reformation nicht aus Zeit noch der Kaiser.3 Mit König Sigis- heiterem Himmel über mund hatte das Reich zwar noch keinen Deutschland herein, Kaiser, aber dafür einen König, der in sondern baute auf reli- seinem Wahlvertrag 1411 und in einer giösen Strömungen auf, Rede über die Lage des Reiches diver- die sich in den Jahrhun- se Problempunkte thematisierte und derten zuvor in Europa dabei auch das Schisma ansprach.4 Zur entwickelt hatten.7 Lösung des Schismas wurde ein großes Konzil in Konstanz einberufen. Es tag- Luther und seine Zeit te von 1414 bis 1418 und kam seiner Will man das Zeital- Aufgabe, nämlich der Beendigung des ter der Reformation großen Schismas, nach, indem es die auf einen bestimmten drei Päpste absetzte und mit Martin Zeitraum begrenzen, V. einen neuen Papst wählte. Dennoch wie es die Geschichts- konnte auch der Konziliarismus des 15. wissenschaft für ge- Jahrhunderts die weiteren Probleme der wöhnlich versucht, so Kirche nicht lösen. So ist es nicht ver- werden die Eckdaten wunderlich, dass Nikolaus Cusanus in dieser Epoche zum seiner „Concordantia Catholica“ beklag- einen durch Luthers te, dass es keine allgemeine Sorge um „Thesenanschlag“ 1517 das Gemeinwohl mehr gebe und dass und zum anderen durch die geistlichen Fürsten im Reich zu sehr den Augsburger Reli- an weltlichem Besitz interessiert seien.5 gionsfrieden 1555, der Um diese Aussage zu verstehen, muss erstmals die Existenz man sich vor Augen halten, dass ein einer zweiten christli- mittelalterlicher Bischof oder Erzbischof chen Kirche im Heili- dem Adel entstammte. Neben seinem gen Römischen Reich geistlichen Amt übte er auch immer anerkannte, determi- das eines weltlichen Fürsten aus. Das niert.8 Die Menschen bedeutet, dass ein Bischof Landesherr der damaligen Zeit Abb. 2: Der Gasthof zum Wilden Mann bot 1414 Jan Hus Unterkunft sein konnte. Er vergab Lehen, zog in den waren sehr fromm und auf seiner Reise nach Konstanz, 1936. Krieg und führte Fehden. So ist es nicht stellten sich die Frage, verwunderlich, wenn Cusanus davon wie sie Gott nahe kom- len christlichen Ländern hatte, schloss spricht, dass die Bischöfe oftmals eher men, ihr Seelenheil erlangen und der Verträge, führte Kriege, hatte mit dem an ihrem weltlichen Besitz interessiert ewigen Verdammnis entgehen könnten. kanonischen Recht eine eigene „Verfas- waren, anstatt sich um ihre Aufgaben Die mittelalterliche Kirche hatte darauf sung“, in der Kurie einen „Gerichtshof“ als Seelsorger zu kümmern. Cusanus eine sehr einfache Antwort: Durch gute sowie eine „Finanzbehörde“ in Perso- war jedoch nicht der einzige, der eine Werke konnte man Gott gnädig stim- nalunion.10 kirchliche Reform anmahnte. men. So stifteten die Bürger, insofern Weiterer Ausdruck der zunehmen- sie die finanziellen Mittel besaßen, Auch die „Reformatio Sigismundi“, eine den Verweltlichung war die Prunk- und Messen oder gar Bauwerke, die einer Reformschrift aus dem Umfeld des Prestigeideologie der italienischen Re- gottesfürchtigen Einstellung entspra- Basler Konzils, die aus Legitimations- naissance, die auch am päpstlichen Hof chen. In Lauf zum Beispiel wurde das gründen Sigismund zugeschrieben wur- Einzug gehalten hatte11, was folglich zu Glockengießerspital durch den Nürnber- de, kam zu dem Schluss, dass eigent- neuen Reformforderungen, respektive ger Bürger Hermann Keßler, genannt lich nichts in rechter Ordnung war. Der zur Bekräftigung der, bereits seit dem Glockengießer, und seine Frau Elsbeth Reformbedarf entsprang aber nicht nur Mittelalter bestehenden, Forderungen gegründet. Darüber hinaus suchten die dem Vorgehen der spätmittelalterlichen führte. Im Wesentlichen lassen sich die Menschen die Nähe zu den Heiligen ih- Kirche, sondern auch allgemeinen Ver- Reformer in drei Kategorien unterteilen. rer Kirche, die sie in Reliquien repräsen- änderungen, die das festgefügte Welt- Die erste Gruppe bestand aus einzel- tiert sahen.9 Dieser Volksfrömmigkeit bild in Frage stellten. Darunter zum Bei- nen Geistlichen, unter ihnen Jan Hus gegenüber stand die römisch-katholi- spiel die Eroberung von Byzanz durch oder der Wanderprediger Petrus Valdes, sche Kirche, die eigentlich die Gläubigen die Osmanen 1453, die Entwicklung des die das weltliche Trachten der Kirche auf ihrem Weg zum Seelenheil unter- Buchdrucks mit beweglichen Lettern in beklagten und Frömmigkeit sowie Ent- stützen und leiten sollte, sich aber nur den 1450er Jahren oder die Entdeckung haltsamkeit predigten. Sie wandten sich allzu oft in weltlichen Problemen verlor Amerikas durch Kolumbus 1492. All direkt an das Volk und gewannen so und immer wieder versuchte, aus dem das schuf Unordnung, denn die bisheri- rasch eine große Anhängerschaft. Lu- Glauben der einfachen Menschen Ka- ge Ordnung wurde hinterfragt oder gar ther war hierbei rückblickend der wich- pital zu schlagen. Wie verweltlicht die ganz aufgelöst. Dies betraf ganz Europa tigste, aber keinesfalls der einzige. und die gesamte katholische Kirche.6 Kirche zu Luthers Zeit wirklich war, lässt sich daran erkennen, dass die Kirche in Die zweite Gruppe bestand aus den Die Kirche sah sich also auch am ihrer Gesamtheit praktisch einen „Staat“ Personen, die wieder zum Konziliaris- Übergang vom Mittelalter zur Frühen darstellte. Der Papst war das Ober- mus des 15. Jahrhunderts zurückkeh- Neuzeit weiteren großen Problemen haupt dieser Wahlmonarchie. Als „Fürs- ren und wichtige Fragen durch große gegenüber, die sich teils noch ver- ten“ dienten ihm die Prälaten und seine ökumenische Konzilien klären lassen schärften und somit erst die Grundlage „Untertanen“ waren die Gläubigen. wollten. Die dritte Gruppe bilden die für Luthers Reformation legten, denn Dieser „Staat“, der rein geografisch auf Humanisten, unter anderem Erasmus wie auch der Historiker und Publizist den Kirchenstaat in Italien beschränkt von Rotterdam, die durch Kenntnis der Daniel Carlo Pangerl schreibt, brach die war, aber in Wirklichkeit Einfluss in al- Bibel zur Reinheit der frühen Kirche zu- Dezember 2017 3 rückkehren wollten. Schon vor Luther dem Ordensoberen aus und schlug vor, gement sorgten er und jene, die seine kritisierten sie die weltlichen Prakti- dass das Fasten zukünftig freiwillig sein Ansichten teilten, dafür, dass allmählich ken der Päpste, die Reliquienvereh- solle. Weitere radikale Ideen waren die alle Schlüsselpositionen Nürnberger Kir- rung, das Fasten, den Zölibat und den Forderung nach dem Laienkelch und die chenämter von Männern ihrer Denk- Ablasshandel.12 Weitere Kritikpunkte an Ablehnung der Transsubstantiation.17 weise besetzt wurden. Schon 1520 der römischen Kirche waren die Ver- Ersteres bedeutet, dass nicht nur die und 1521 hatte der Rat zwei Schü- weltlichung der geistlichen Ämter, die Geistlichen, sondern die gesamte Ge- ler Luthers, Hektor Poemer und Georg schlechte Ausbildung und Bezahlung meinde beim Abendmahl Wein gereicht Besler, auf die einflussreichen Positio- der niederen Geistlichkeit sowie die bekommen sollte. Die Transubstantiati- nen der Pröpste von St. Lorenz und St. schlechte Seelsorge bedingt durch die onslehre hingegen ist noch heute einer Sebald gewählt. 1522 wurde der bereits Pfründenkumulation.13 Unter Letzterem der großen Unterschiede der beiden erwähnte Andreas Osiander nach St. versteht man die Tatsache, dass ein Konfessionen. Während die Katholiken Lorenz und, auf Luthers Empfehlung, Geistlicher mehrere Stellen als Seel- glauben, dass sich während des Abend- Dominicus Schleupner an die Sebal- sorger bekleiden konnte, um so seine mahls Wein und Brot wirklich in das duskirche berufen. Es lässt sich also Einnahmen, die Pfründe, zu vermeh- Blut und den Leib Jesu Christi verwan- durchaus sagen, dass die Reformation ren. In dieser von Unzufriedenheit und deln, so sehen die Protestanten darin in Nürnberg die Intention einer jüngeren Kritik gekennzeichneten Phase trat nun lediglich eine symbolische Wandlung. Generation war.22 Martin Luther mit seinen 95 Thesen auf So radikal Luthers Thesen waren, so den Plan, in denen er den Papst direkt wenig war es sein Ziel, die Kirche in ih- Die schlussendliche Einführung der Re- kritisierte und sich entschieden gegen ren Grundfesten zu erschüttern oder formation erfolgte dann beim Religions- den Ablasshandel positionierte. Der Ab- gar zu spalten, dennoch verbreiteten gespräch von 1525. Bereits im Vorfeld lasshandel speiste sich aus der Angst sich die Kunde des streitbaren Mönchs hatte sich der Rat zu diesem Schritt der Gläubigen vor ewiger Verdammnis. aus Wittenberg und der Inhalt seiner entschieden und suchte durch die Or- Mitunter konnte der Weg zur göttlichen Thesen sehr schnell über das ganze ganisation dieses Gesprächs lediglich Vergebung nämlich relativ aufwendig Reich und erreichten schließlich auch einen Kulminationspunkt als Vorwand, sein. Als Buße für begangene Sünden die bedeutende Reichsstadt Nürnberg. um die Reformation offiziell einführen konnte so zum Beispiel ein siebenjäh- zu können. Aus diesem Grund ist es le- riges Fasten oder eine beschwerliche Die Reformation in Nürnberg gitim zu behaupten, dass es das erklärte lang andauernde Pilgerreise gefordert Es verwundert nicht, dass die Refor- Ziel des Rates war, die Predigertätigkeit werden. Durch den Ablass wurde der mation in den Städten eine so wichtige der Altgläubigen durch den Übergang Weg zum eigenen Seelenheil wesent- Rolle spielte, schließlich waren sie Orte zur lutherischen Lehre auszuschalten. lich erleichtert. An die Stelle der Buße „extrem verdichteter Frömmigkeit und Das Gespräch wurde begleitet von ei- trat eine Geldzahlung. Ein Prozede- Kirchlichkeit“.18 In Nürnberg übersetz- ner aufgeheizten Stimmung innerhalb re, das bereits aus dem germanischen te der Ratsherr Kaspar Nützel noch vor der Stadt. Die Bürger demonstrierten Recht bekannt war, in dem es durchaus Weihnachten 1517 erstmals Luthers lautstark vor dem großen Rathaussaal, üblich war, dass körperliche Strafen in auf Latein verfasste Thesen ins Deut- in dem das Gespräch am dritten März Geldstrafen umgewandelt wurden.14 sche. In der Folge wurden sie mithilfe begann. Die Ordensprediger des Fran- In seinem Ursprung war der Ablass- des Buchdrucks massenhaft unter die ziskaner-, Dominikaner- und Karme- handel lediglich für Sonderfälle vorge- Bevölkerung gebracht, wohingegen die literordens, die ebenfalls teilnahmen, sehen, wurde aber zu Luthers Zeiten Stadt Nürnberg die von Karl V. 1521 mussten vor der aufgebrachten Menge auf nahezu alle vorstellbaren Bereiche verhängte Reichsacht über Luther ein- geschützt werden. Hinzu kam, dass die angewandt. Dies ging so weit, dass fach nicht öffentlich machte.19 1523 Themen protestantisch ausgerichtet Ablass für Verstorbene erkauft werden wurde im Nürnberger Augustinerklos- waren und das Ergebnis de facto schon konnte, um deren Zeit im Fegefeuer zu ter erstmals das Abendmahl in beider- im Vorfeld feststand.23 Dies erkann- verringern, beziehungsweise sogar Ab- lei Gestalt gereicht und die lateinische ten auch die Vertreter der alten Leh- lässe für noch nicht begangene Sün- durch eine deutsche Liturgie ersetzt.20 re und erschienen zur letzten Sitzung den verkauft wurden. Da Papst Leo X. Einer der größten Förderer der Re- nicht mehr. Ihr Fernbleiben begründe- die Ablassverfügung seines Vorgängers formation in Nürnberg war Andre- ten sie mit dem kaiserlichen Edikt von Julius II. verlängerte, um so den Bau der as Osiander. Er wurde zum führenden Burgos, das Disputationen über Fra- Peterskirche zu finanzieren15, ist es nur Theologen der Stadt und konnte mit gen der Religion verbot. Statt also die verständlich, dass Luthers Kritik sich seinen Predigten die Menschen für sich direkte, wenngleich wohl aussichtslo- auch direkt gegen den Papst richtete. gewinnen. Darüber hinaus schrieb er se, Diskussion mit der Stadtgemeinde Laut Luther könne ein sündiger Mensch die Verteidigungsschrift für die Pröps- zu suchen, beriefen sich die Anhänger nicht durch kirchliche Heilsmittel, son- te der beiden Pfarrkirchen, die im Juni der alten Lehre lieber auf Autoritäten dern ausschließlich durch die Gnade 1524 eigenmächtig die Gottesdienst- außerhalb der Stadt.24 Erfolg hatten sie Gottes Vergebung und Heilsgewissheit ordnung in ihren Kirchen geändert damit allerdings nicht. Die Kirche wurde erlangen.16 Seine Kritik ging aber noch hatten.21 Neben ihm waren es andere dem Rat unterstellt. Die Theologen der weiter. Luther sprach dem Papst das junge Humanisten, die in Nürnberg die Stadt bildeten ein „beratendes Gremi- Recht ab, die Bibel bindend auszule- Reformation vorantrieben. Unter ihnen um“, das Mitspracherecht in den Berei- gen und Konzilien einzuberufen. Er hob der Ratsschreiber Lazarus Spengler, chen der Lehre, der Predigt, des gottes- in seinen Schriften den Unterschied der zu einer Art Organisator der Nürn- dienstlichen Lebens, des Eherechts, des zwischen Geistlichkeit und Laien, also berger Reformation wurde. Als Ange- Wohltätigkeitswesens und der Schul- denjenigen, die kein geistliches Amt höriger der Delegation, die Nürnberg fragen hatte. Im kirchlichen Bereich gab bekleideten, auf. Er verwarf die tradi- 1521 beim Reichstag in Worms vertrat, es ebenfalls Auswirkungen, wenngleich tionelle katholische Sakramentenlehre kam er sowohl in Kontakt mit Luther hier mit Bedacht vorgegangen und ver- und forderte nur noch drei, Taufe, Buße als auch mit dessen Gegenspieler Karl sucht wurde, alles zu übernehmen, was und Abendmahl, anstatt der vormals V. Von beiden war er überaus angetan, nicht im völligen Widerspruch zur neuen sieben. Des Weiteren sprach er sich ge- folgte aber dennoch Luthers neuer Leh- Lehre stand. Im Abendmahl wurde zu- gen den Zölibat sowie die Beichte vor re. Nicht zuletzt durch Spenglers Enga- künftig Brot und Wein für die Gemeinde 4 Dezember 2017 gereicht, die lateinische Sprache wich November 1515 fest, dass der Laufer dauerte aber nur knapp sechs Wochen. dem Deutschen und die prunkvolle Li- Bürger Hans Paur sich negativ über die Tausende von ihnen fanden den Tod auf turgie wurde abgeschafft. Die Priester Pfarrer, Bischöfe und den Papst geäu- dem Schlachtfeld oder wurden hinge- wurden zu Bürgern und mussten den ßert habe. Daraufhin wurde der Laufer richtet.34 Das Scheitern der Bauern ist entsprechenden Eid leisten, dafür über- Pfleger Andreas Stromer angewiesen, zum einen auf ihre militärische Unter- nahm die Stadt aber die volle Fürsorge, dergleichen streng zu bestrafen. Stro- legenheit zurückzuführen, aber ande- das heißt ihre Besoldung, und sorgte für mer war jedoch selbst offen für refor- rerseits auch darauf, dass sich Luther ihren Schutz.25 matorische Reden und brachte deswe- gegen sie stellte, als die Bauern gewalt- gen niemanden zur Anzeige.29 Auch die sam gegen Adlige und deren Herrensit- Für Lauf hatte all das ebenfalls gro- Bauern waren den neuen Ideen gegen- ze vorzugehen begannen. Teilweise wird ße Auswirkungen, denn während des über in erster Linie in Bezug auf ihre Luther dieses Handeln als Verrat an der Landshuter Erbfolgekrieges wurde Lauf eigenen Belange aufgeschlossen und so Bauernschaft ausgelegt. Nicht zuletzt von Nürnberger Truppen besetzt und weigerten sie sich 1518 in Oedenberg, war es vor allem das einfache Volk ge- ein Jahr später offiziell in das Gebiet der 26 den Zehnten an das Kloster zu entrich- wesen, das dem Reformator die Treue Reichsstadt integriert. ten. Ob dies von Sympathien gegen- hielt, als sich auf dem Wormser Reichs- Die Reformation kommt nach Lauf – über Luthers Gedankengut oder aus tag alle gegen ihn zu wenden schienen Reformatorische Gesinnungen in Lauf finanziellen Aspekten herrührte, lässt und er mit der Reichsacht belegt wurde. sich wiederum heute nicht mehr sagen. Luther war jedoch eines ganz bewusst: Ein erster Hinweis ist für die Einstel- Wahrscheinlich spielte beides eine Rol- Wollte er seine reformatorischen Ideen lung der Laufer zu reformatorischen, le.30 weiterverbreiten und zum Erfolg führen, respektive vorreformatorischen Ideen so konnte das nur mit und nicht gegen findet sich in Hinblick auf die Durchreise Definitiv nutzten die Bauern aber die den Adel passieren. von Jan Hus. Hus, der eigentlich Johann Gunst der Stunde. Die Zeit der Refor- von Husinec hieß und Priester sowie mation war auch eine Zeit des gesell- Aus diesem Grund entschied er sich für Professor an der Prager Universität war, schaftlichen Umbruchs. Es ist also nur die Partei, die ihm einen Vorteil garan- befand sich auf der Reise zum Konstan- verständlich, dass die Bauern gerade zu tierte, wenngleich er auch von Anfang zer Konzil. Bereits 100 Jahre vor Luther jener Zeit versuchten, ihre Situation zu an zur Besonnenheit geraten und ver- predigte er gegen den Sittenverfall in verbessern. So meldete auch das Lau- sucht hatte, die Bauern von gewalttäti- der Kirche und für den Laienkelch. Wäh- fer Landpflegeamt „ketzerische Reden“ gen Übergriffen abzuhalten. rend seines Zwischenstopps in Lauf von Fremden.31 Bei diesen könnte es übernachtete er in der Fürstenherber- sich um wandernde Prediger gehandelt Sowohl die Vorwehen des Bauernkrie- ge zum Wilden Mann am Oberen Markt. haben, die Luthers Lehren verbreiteten. ges als auch die militärischen Folgen gingen an Lauf nicht spurlos vorüber. (Abb. 2 und 3) Vielleicht aber auch um nicht ortsan- sässige Bauern, die ihre Ideen unter die 1521 erhält man in Lauf die Anwei- Diese Gelegenheit nutzten der Lau- Leute bringen wollten, denn auch Lauf sung, die Stadtwache mit verlässlichen fer Pfarrer und seine Hilfsgeistlichen blieb in den folgenden Jahren keines- Bauern zu besetzen. Es muss also auch zu einem längeren Gespräch mit dem wegs von den Bauernunruhen ver- unzuverlässige Bauern gegeben haben, Kirchenkritiker, der später auf dem schont, die das Reich erschütterten. denen man eine solche Aufgabe nicht Konzil als Ketzer verurteilt wurde und mehr anvertrauen konnte. Dies zeigte den Feuertod erlitt.27 In seinem am 24. Bauernunruhen in Lauf sich auch ein Jahr später, als die Abga- Oktober 1414 in Nürnberg verfassten Die Bauern litten bereits seit Jahrhun- ben an das Glockengießerspital nicht Brief an seine Freunde in Prag schreibt derten unter den Abgaben und Fron- mehr entrichtet wurden. Öffentliche er in lateinischer Sprache, dass er mit diensten, die sie ihren Herren zu leisten Reden begründeten die Verweigerung diesem Laufer Pfarrer, einem bedeu- hatten. Es gab selbstverständlich auch der Abgaben mit dem Evangelium. Nicht tenden Rechtsgelehrten, einen Mei- wohlhabende Bauern, aber der Großteil ortsansässige Pfarrer hetzten die Bau- nungsaustauch führte und dieser „alles war arm und unfrei. In ihrem Streben ern weiter auf, sodass 1525 sogar das sehr gerne annahm“.28 Bedingt durch nach mehr Freiheiten, weniger Abga- Kloster in seiner Getreidevor- die geografische Lage der Stadt an der ben und Diensten und dem Wunsch, die räte beraubt wurde. Insgesamt war der Goldenen Straße dürften die Ideen des Jagd- und Fischereirechte zu erwei- Laufer Raum ein Unruheherd im Nürn- Kirchenkritikers sich jedoch bereits früh tern, stützten sich die Bauern auf eine berger Gebiet. Bauern aus Rückersdorf, in Lauf verbreitet haben. Man kann da- von Luthers zentralen Schriften, „Von Wetzendorf, Letten, Kuhnhof, Heuchling von ausgehen, dass es sicherlich auch der Freiheit eines Christenmenschen“. und erklärten ihre Solidari- hier Befürworter für dessen Ideen gab. In dem Glauben, der Reformator würde tät mit ihren Standesgenossen aus dem Weshalb die Laufer Geistlichkeit das sie unterstützen, wandten sie sich mit Forchheimer Raum und rotteten sich Gespräch mit ihm suchte, kann jedoch ihren Forderungen zunächst direkt an in Neunkirchen am Brand zusammen. mehrere Gründe haben. Unter Umstän- die Grundherren, Territorialherren und Darunter alleine 22 Bauern aus Heuch- den war es die reine Neugier, einen der deren Verwaltung. Zusätzlich über- ling.35 Diese Geschehnisse konnte der bekanntesten Persönlichkeiten jener nahmen sie zentrale reformatorische Rat in Nürnberg natürlich trotz seiner Zeit treffen zu können. Möglicherweise Punkte in ihr Programm. So forderten Sympathien für die Reformation in der aber auch wirkliches Interesse an des- sie zum Beispiel die Wahl des Pfarrers nürnbergischen Stadt Lauf nicht dulden, sen Ideen und Zielen. Auch bezogen auf durch die Gemeinde und die Predigt des denn die Bauern richteten sich in ihrem spätere Zeiten will eine abschließende reinen Evangeliums.32 Die Obrigkeit war Bestreben nach weniger Abgaben und Beurteilung der Sympathien gegen- ihrerseits aber nicht gewillt, den Forde- mehr Freiheiten auch direkt gegen die über reformatorischen Ideen weder für rungen der Bauern nachzugeben, und Obrigkeit, die in Lauf durch die Reichs- Lauf noch für das umgebende Landge- so kam es auch in Franken schließlich stadt repräsentiert wurde. So kam es biet so recht gelingen. Man kann jedoch zu kriegerischen Auseinandersetzun- in Lauf auch zur Verhaftung von 21 festhalten, dass es in Lauf und Umge- gen. Ende 1524 begannen die Unruhen aufrührerischen Bauern. Man verfuhr bung, genauso wie in vielen anderen in Forchheim. Unzählige Schlösser und jedoch milde mit ihnen, weil Nürnberg Teilen des Reiches, zu Unruhen kam. Adelssitze gingen in der Folge in Flam- eine geschickte Politik des scheinba- Ein Ratsschreiber hielt bereits am 5. men auf.33 Der Aufstand der Bauern ren Eingehens auf die Forderungen der Dezember 2017 5

zu unsern burgern anzunemen und sie in alle burgerlichen pflichten und purden gleich andern unsern burgern zu bringen, mit dem geding, welcher also unser burger werden und bleiben will, den lassen wir bei seiner pfrunden und dem gantzen aufhe- ben derselben wie pißhere pleiben. Wel- cher aber waigert, burger zu werden, dem haben wir acht tag gesetzt, sich aus unser stat zu thun und dannocht zugesagt, den halben theil seiner pfrund […] on ale pensi- on zu stellen […].42 Was bedeutete dieses Schreiben nun konkret? Der entscheidende Punkt war, dass die Priester nun zu Bürgern wur- den. Konkret bedeutete das ihre Her- auslösung aus dem kirchlichen Verbund. Sie waren nicht länger einem Bischof, einem Abt oder dem Papst, sondern dem Rat der Stadt Nürnberg unterstellt, der über Ausbildung, Liturgie und Lehre entschied, aber gleichzeitig nun auch Abb. 3: Ansicht des Innenhofes des Wilden Mannes, Postkarte um 1955. die Fürsorgepflicht übernahm. Von den Geistlichen wurde wiederum die Über- nahme bürgerlicher Pflichten verlangt. Bauern praktizierte und es dem Laufer Gemeinde jetzt noch einen Strich durch Diejenigen, die diese Pflichten auf sich Pfleger Jörg Camerer gelang, die Bauern die Rechnung hätte machen können, nahmen, sollten im Amt verbleiben. Die monatelang hinzuhalten.36 Außerdem wäre Georg III. Schenk von Limpurg, anderen sollten die Stadt binnen acht zeigte Nürnberg sich bereit, die Ze- seines Zeichens der Erzbischof von Tagen verlassen und die Hälfte ihrer hentabgaben sowie die Steuern für die Bamberg, gewesen. Da diesem jedoch Pfründe als Pension erhalten. Dabei ärmere Bevölkerung zu verringern. bis heute Sympathien für Luthers Leh- verfuhr man nicht kleinlich und vermied, ren nachgesagt werden, verwundert es Lauf und Umgebung soweit es möglich war, Auseinander- nicht, dass Bischof Georg den neuen als „Versuchsobjekt“ setzungen.43 Nürnberg strebte nach Pfarrer widerspruchslos in seinem Amt „friedlicher Einigkeit“44, wie es eben- Dietrich Blaufuß war in seinem Werk bestätigte.39 über die Reformation in Lauf der Mei- falls im Brief vom 17. Mai hieß und das nung, dass diese flexible Politik im Ewald Glückert stellt an dieser Stelle die bedeutete auch, dass die bisherigen Umgang mit den Bauernunruhen die Frage, ob Lauf und Umgebung für Nürn- Priester das Recht hatten, ein halbes Einführung der Reformation in Lauf berg eine Art „Versuchsprojekt“ war, an Jahr lang einen Nachfolger vorzuschla- mitbestimmt habe.38 Dem ist jedoch zu dem sich austesten ließ, wie weit man gen. Der Laufer Pfarrer Johannes Peck widersprechen. Es war in keinem Fall gehen könne und welche Konsequen- war schon zu alt, um sich noch an die so, dass Nürnberg sich von den Bauern zen die Einführung der neuen Lehre neue Lehre zu gewöhnen, und so ent- zur Einführung der Reformation drän- habe.40 Diese Frage ist meiner Ansicht schied er sich für den Ruhestand. Nach gen ließ. Vielmehr war der Nürnberger nach mit einem klaren Ja zu beantwor- Absprache wurde Bartholomäus Ca- Rat schon zu dieser Zeit auf dem Weg, ten. Nürnberg war freie Reichsstadt und merer sein Nachfolger. Der Frühmes- die Reformation einzuführen, was das unterstand damit direkt Kaiser Karl V. ser Wolfgang Straßer ging ebenfalls in milde Vorgehen gegen die Aufrührer Der Kaiser hatte nichts übrig für Luthers den Ruhestand.45 Die Einbürgerung der überhaupt möglich machte. In ande- Ideen und versuchte mit allen Mitteln, Pfarrer war aber viel mehr als nur ein ren Gebieten, in denen die Landesherr- die Einheit der Kirche zu bewahren. behördlicher Verwaltungsakt. Sie be- schaft fest zur alten Lehre stand, wären Darüber hinaus hatten katholische Wür- traf vielmehr elementar das kirchliche die Bauern entschiedener bekämpft und denträger wie der Bamberger Bischof Recht. Geistliche unterstanden nicht bestraft worden. Bezogen auf Lauf und direkten Einfluss auf die Gläubigen im mehr dem gesonderten Kirchen-, son- Umgebung zeigte sich die Zielrichtung Nürnberger Landgebiet. Der Rat musste dern dem bürgerlichen Recht. Nachdem der Reichsstadt auch in anderen Berei- also behutsam vorgehen und die Lage die Reformation den Unterschied zwi- chen sehr früh. erst gründlich sondieren, bevor er im schen Geistlichen und Laien radikal in Zuge des bereits erwähnten Religions- Frage gestellt hatte, wurde dieser nun In Beerbach trat Pfarrer Erkel 1521 zu- gesprächs die neue Lehre einführen endgültig aufgehoben.46 rück, weil er sich mit seiner Gemeinde, konnte, was natürlich direkte Aus- die der neuen Lehre anhing, nicht mehr Damit war der Prozess der Reformati- wirkungen auf das Landgebiet haben verstand. Nürnberg hatte das Patro- on in Lauf aber nicht vorüber, denn es musste.41 natsrecht in Beerbach und bestand auf gab vor Ort keine Prediger, die gemäß Konrad Wagner als Erkels Nachfolger. Die Reformation wird eingeführt der neuen Lehre ausgebildet worden Mit diesem Konrad Wagner begann „das Am 17. Mai 1525 verfasste der Nürn- waren. Dieses Problem ergab sich in Licht der Reformation in Beerbach zu berger Bürgermeister ein Schreiben allen Gebieten, die die alte Lehre hinter leuchten“ und so wurde Beerbach eine an den Laufer Pfleger und den Rat der sich gelassen hatten, denn wie sollte der ersten lutherischen Gemeinden in Stadt Lauf mit folgendem Inhalt. sich etwas ändern, wenn man größ- Franken, noch bevor die Reformation im tenteils die alte vorreformatorische Nürnberger Landgebiet offiziell einge- Lieben pfleger und getreuen, wir haben Priesterschaft im Amt behielt. Man führt wurde. Der einzige, der den Nürn- auß guten tapfern ursachen furgenomen, versuchte, durch sogenannte Visitati- berger Ratsherren und der Beerbacher alle priesterschaft in unser stat Nürnberg onen diese Problematik in den Griff zu 6 Dezember 2017 bekommen, und sah sich gleichzeitig nach neuen Predigern um, die man nach Lauf beordern konnte.47 Alle Orte rechts der Pegnitz wurden von Nürnberg, alle links der Pegnitz von Ansbach visitiert. Es sollte darauf geachtet werden, dass jeder Pfarrer nur einer Pfarrei vorstand, die deutschen Gesänge eifrig gepflegt und die Missstände abgestellt würden. Alle untauglichen Pfarrer sollten sofort entlassen werden und jeder Geistli- che musste der weltlichen Obrigkeit die Treue schwören.48 In Zusammenarbeit mit den benach- barten Markgrafentümern Ansbach und Kulmbach wurde ein Katalog von 30 Fragen erstellt, die die Geistlichen ge- genüber einer Kommission beantwor- ten mussten. Die Fragen bezogen sich auf die kirchliche Lehre und den Gottes- dienst, schlossen aber auch die persön- lichen Verhältnisse der Befragten mit ein. Man wollte darüber hinaus sicher- gehen, dass die Geistlichen hinreichend versorgt waren. So wurde in einem Vi- sitationsprotokoll angeregt, über eine Aufbesserung der ärmlichen Bezüge des Beerbacher Geistlichen Conrad Wag- ner nachzudenken. Zur Beantwortung des Fragenkatalogs wurden die Geist- lichen aus der näheren Umgebung der Reichsstadt nach St. Egidien beordert. Weiter entfernte Ortschaften besuchte die Kommission 1528 persönlich.49 Am Laufer Geistlichen Camerer hatten die Visitatoren nichts auszusetzen. Auch seine Gemeinde war mit ihm zufrieden, wenngleich man ihn auch für streitsüch- tig und zu ehrgeizig hielt. Der Prediger Karl Keß wurde ebenfalls sehr positiv beurteilt, desgleichen der Diakon Ulrich Lang. Der Kaplan Konrad Bayer wurde allerdings als ungenügend eingestuft. Abb. 4: Die St. Johanniskirche am Marktplatz um 1950. Sie wurde nach der Zerstörung der Trotz der allgemeinen Zufriedenheit St. Leonhardskirche durch den Stadtbrand 1553 zur neuen Laufer Stadtpfarrkirche. legte man auch offizielle Änderungen fest.50 womit die Einführung der Reformation heitliche Regeln für das gesamte Reich weitestgehend abgeschlossen war.52 hatten sich noch nicht durchgesetzt. Auch in Lauf verwendete man nun auch Dennoch ergaben sich neue Probleme Dementsprechend kam es nicht nur in deutsche Gesänge anstatt der lateini- und Zwistigkeiten. Bartholomäus Ca- Lauf immer wieder zu theologischen schen. Im Mittelpunkt des Gottesdiens- merer geriet immer wieder mit seiner Streitigkeiten, die nicht selten aus theo- tes standen fortan die Predigt und der Gemeinde aneinander und verbrachte logischen Unsicherheiten resultierten. gemeinsame Gesang. Zusätzlich wurde seine Zeit darüber hinaus gerne mit Wil- In Lauf zum Beispiel wollte der Prediger das Tauföl durch Wasser ersetzt, das derei. 1548 legte man ihm nach einem Abendmahl grundsätzlich in beiderlei Johann Knauer die lateinischen Gesän- erneuten Streit deshalb den Rücktritt ge gänzlich abschaffen. Sein Kantor, Gestalt gereicht und es wurde verbo- 53 nahe. Er willigte ein. Trotz der ver- der Vorsänger oder Chorleiter im Got- ten, die Hostie umherzutragen und zur bindlichen Kirchenordnung entbrannte Schau zu stellen.51 Man kann also sa- tesdienst, aber bestand darauf, dass auch immer wieder Streit über liturgi- sich deutsche und lateinische Gesänge gen, dass der Zustand der Laufer Geist- sche Vorgaben. Zum Beispiel darüber, lichkeit, gemessen an ihren Lebensver- Sonntag für Sonntag abwechseln soll- ob während des Gottesdienstes Kerzen ten. Nürnberg gab dem Kantor schließ- hältnissen und ihrem Wissen über die brennen sollten oder ob die alten Mess- neue Lehre, seitens der Kommission lich recht und mahnte den Prediger zur gewänder noch getragen werden dürf- 54 durchaus positiv bewertet wurde. Dies Besonnenheit. Dies war ein weiteres ten. Aus heutiger Sicht wirkt ein Streit Indiz für Nürnbergs Taktik des allmähli- sollte sich in späteren Jahren leider än- über die rituelle Ausgestaltung der Mes- dern. chen und nicht überstürzten Übergangs sen eher banal. Zur damaligen Zeit wa- zur neuen Lehre. Man wollte nicht so- ren solche Fragen jedoch von essenziel- Die Spätfolgen fort alles verändern, was die Menschen ler Wichtigkeit im theologischen Diskurs. 1533 erstellte Nürnberg, in Zusammen- ihr ganzes Leben lang gekannt hatten. arbeit mit den Markgrafen von Ans- Noch befand sich die protestantische Trotzdem mag das wesentlich schlech- bach, eine verbindliche Kirchenordnung, Kirche in der Konsolidierung und ein- tere Urteil, das Lauf durch die zweite Dezember 2017 7

Kirchenvisitation 1560/61 erhielt, mit protestantischen „Ketzer“ noch nicht im Heiligen Römischen Reich Deutscher diesen theologischen Streitigkeiten und aufgegeben hatte und es noch lange Nation ermöglichten. Den Protestan- der teilweisen Verunsicherung im Um- dauern sollte, bis die Menschen sich si- ten wurde ihr Besitz garantiert und der gang mit der neuen Lehre zusammen- cher sein konnten, dass sie ihren neuen Friede zugesagt. Die weltlichen Fürsten hängen. Dies war aber nicht nur in Lauf Glauben auch wirklich behalten durf- konnten fortan durch ihre Wahl über die der Fall, sondern dürfte sich in fast jeder ten. Hinzu kommt, dass in Lauf nicht Konfession ihrer Untertanen entschei- protestantischen Gemeinde in ähnli- alle Menschen über Nacht zu glühenden den. Das sogenannte „ius reformandi“, cher Weise zugetragen haben. Auch in Anhängern der Reformation geworden das am besten durch den Satz „cuius anderen Gemeinden des Nürnberger waren. Wie bereits beschrieben, gab es regio, eius religio“ (wessen Herrschafts- Landgebiets wurde eine verheerende genügend Anzeichen für Sympathien, gebiet, dessen Religion) zu beschreiben Unkenntnis über elementare Kennt- aber einige Bürger hielten mit großer ist, wurde in Lauf bereits 30 Jahre vor nisse des Glaubens festgestellt, die Sicherheit noch an der alten Lehre fest. seiner offiziellen Festlegung durchge- möglicherweise aus einer mangelhaften Ein Mitspracherecht hatten sie ja nicht führt. Unabhängig von allen möglichen Unterweisung durch die ersten Pfarrer, gehabt, als ein Brief am 17. Mai 1525 reformatorischen Tendenzen in Stadt die sich der neuen Lehre verschrieben die Gegenwart und die Zukunft ihrer und Umland wäre es niemals zu einer hatte, resultierte.55 Stadt entscheidend veränderte.. Einführung der Reformation gekom- Abschließende Gedanken men, wenn sich nicht der Nürnberger Der Laufer Pfleger Paulus Letscher be- Rat dafür entschieden hätte. Entgegen schrieb den Ort als den unzüchtigsten, Am Beispiel von Lauf lässt sich sehr manch anderer Meinungen lässt sich den er jemals gesehen habe. Die Kosten schön erkennen, wer eigentlich über feststellen, dass reformatorische Ideen für Taufen seien viel zu hoch. Die Frauen die Einführung oder die Ablehnung der in Lauf vor 1525 zwar schwer zu fas- würden ständig nur trinken, und zwar Reformation entschied. Es waren die sen, aber dennoch unübersehbar sind. so lange, bis sie kaum mehr in der Lage Landesherren, die sich für oder gegen Schlussendlich waren es aber nicht die waren, ordentlich zu sprechen, und ein die neue Lehre entschieden. Ansät- Laufer, die sich die Reformation selbst Mitglied des Laufer Rates habe weder ze einer Reformation „von unten“, die gaben, sondern eben Nürnberg, von wo das Vaterunser noch die Zehn Gebote sich teilweise im Bauernkrieg zeigten, aus die Entscheidung für alle getroffen aufsagen können.56 wurden ebenso im Keim erstickt wie wurde, ganz unabhängig davon, ob es Religionsfreiheit. Bis sich jeder seine sich nun um Befürworter oder Gegner Man kann daraus aber nun aus heutiger Religion, beziehungsweise Konfessi- der neuen Lehre handelte. Sicht nicht folgern, dass die Reformati- on, frei aussuchen konnte, sollten noch on in Lauf ein Fehler gewesen und ge- Jahrhunderte vergehen. Doch eine eli- scheitert wäre, denn Letscher beschrieb täre Gruppe erhielt sie bereits 1555. in seinem Brief eher sittliche als kirch- Durch den Augsburger Religionsfrie- liche Missstände. Es darf auch nicht den schuf man erstmals verbindliche vergessen werden, dass die römisch- Regeln, die das friedliche Zusammen- Bildnachweis: Alle Fotografien entstammen katholische Kirche den Kampf gegen die leben von Protestanten und Katholiken den Städtischen Sammlungen Lauf.

1 Vgl.: Osiander, Wolfgang: Andreas Osiander 9 Vgl.: Glückert: Aufbruch in eine neue Zeit 18 Hamm, Berndt: Bürgertum und Glaube. und die fränkischen Reformatoren (Reihe (wie Anm. 2), S. 59–60, sowie Koch, Karl: Konturen der städtischen Reformation, Fränkische Geschichte, Bd. 14), Gunzenhau- Das Glockengießerspital zu Lauf a. d. Göttingen 1996. S. 63. sen 2008. S. 43. Pegnitz (Schriftenreihe der Altnürnberger Landschaft, Bd. 2), Lauf 1954. S. 5. 19 Vgl.: Jungkunz, Alexander: Als Nürnberg das 2 Vgl.: Glückert, Ewald: Aufbruch in eine neue „Paper Valley“ des Reiches war. Mit klugen Zeit. Vier Epochen Laufer Geschichte (Pub- 10 Vgl.: Simon, Edith: Die Reformation, Weert Köpfen und Hightech zur Medienrevolution, likationen zur Stadtgeschichte, ZeitenLauf 1967. S. 35. Pegnitz-Zeitung 10. Dezember 2016, S. 3. Bd. 4), Lauf a. d. Pegnitz 2004. S. 67. 11 Vgl.: Lutz, Heinrich: Reformation und 20 Vgl.: Glückert: Aufbruch in eine neue Zeit 3 Vgl.: Tischer, Anuschka: Reichsreform, Gegenreformation (Oldenburg Grundriss der (wie Anm. 2), S. 68. Reformation, Bauernkrieg. Der Bauernkrieg Geschichte, Bd. 10), München 1979. S. 15. im Kontext von Reformen und Reformdis- 21 Vgl.: Sebaß, Gottfried: Wie Worte eine Stadt kussionen am Beginn der Neuzeit, in: Franz 12 Vgl.: Simon: Die Reformation (wie Anm. 10), verändern. Andreas Osiander in Nürnberg Fuchs/Ulrich Wagner (Hg.): Bauernkrieg in S. 36–37. und die Wirkung der reformatorischen Predigt, in: Michael Bammesse/Rainer Franken (Publikationen aus dem Kolleg, 13 Vgl.: Blickle, Peter: Die Reformation im Oechseln (Hrsg.): Wie Worte eine Stadt Mittelalter und Frühe Neuzeit, Bd. 2), Würz- Reich, Stuttgart 2000. S. 34 ff. burg 2016, S. 75–87. S. 80. verändern. Zum Osiander-Gedenkjahr, 14 Vgl.: Simon: Die Reformation (wie Anm. 10). Nürnberg 2002. S. 45–59. S. 48. 4 Vgl.: Ebd. S. 77. S. 35–36. 22 Vgl.: Roser, Hans: Franken und Luther. 50 5 Vgl.: Ebd. S. 78. 15 Vgl.: Herbers, Klaus: Geschichte des Papst- Portraits, München 1996. S. 22 und S. 6 Vgl.: Ebd. S.77–80. tums im Mittelalter, Darmstadt 2012. S. 158–161. 293. 7 Vgl.: Pangerl, Daniel Carlo: Wortgewaltige 23 Vgl.: Blaufuß, Dietrich: Reformation im Revoluzzer. Vorreformatorischer Protest: 16 Vgl.: Osiander: Andreas Osiander und die Nürnberger Landgebiet. 450 Jahre Einfüh- Der Laienprediger Hans Böhm begeistert fränkischen Reformatoren (wie Anm. 1). S. rung der Reformation in Lauf a. d. Pegnitz, mit seinen radikalen Ansichten die Massen, 43. Lauf 1975. S. 13. in: Unser Bayern (November 2016), S. 17 Grisshammer, Siegfried: Die Entfaltung der 24 Vgl.: Wettges, Wolfram: Reformation und 8–11. Reformation in Deutschland, in: Heinrich Propaganda. Studien zur Kommunikation 8 Vgl.: Osiander: Andreas Osiander und die Pleticha (Hg.): Reformation und Gegenrefor- des Aufruhrs in süddeutschen Reichsstäd- fränkischen Reformatoren (wie Anm. 1). S. mation 1517–1618 (Deutsche Geschichte, ten (Geschichte und Gesellschaft, Bd. 17), 43. Bd. 6), Gütersloh 1983. S. 15–47. S. 40-44. Stuttgart 1978. S. 37. 8 Dezember 2017

Bibliographie Jungkunz, Alexander: Als Nürnberg das mation (Deutsche Geschichte, Bd. 6). S. Blaufuß, Dietrich: Reformation im Nürn- „Paper Valley“ des Reiches war. Mit 138–162. berger Landgebiet. 450 Jahre Einfüh- klugen Köpfen und Hightech zur ersten Medienrevolution, Pegnitz-Zeitung 10. rung der Reformation in Lauf a. d. Peg- Roser, Hans: Franken und Luther. 50 Dezember 2016, S. 3. nitz, Lauf a. d. Pegnitz 1975. Portraits, München 1996. Blickle, Peter: Die Reformation im Reich, Koch, Karl: Das Glockengießerspital zu Lauf a. d. Pegnitz (Schriftenreihe der Stuttgart 2000. Sebaß, Gottfried: Wie Worte eine Stadt Altnürnberger Landschaft, Bd. 2), Lauf verändern. Andreas Osiander in Nürn- Grisshammer, Siegfried: Die Entfal- 1954. tung der Reformation in Deutschland, berg und die Wirkung der reformatori- in: Heinrich Pleticha (Hg.): Reformati- Knoll, Wolfgang-Friedrich: Die Reforma- schen Predigt, in: Michael Bammessel/ on und Gegenreformation 1517–1618 tion in Lauf, Erlangen 1954. Rainer Oechslen (Hrsg.): Wie Worte eine Stadt verändern. Zum Osiande-Ge- (Deutsche Geschichte, Bd. 6), Gütersloh Lutz, Heinrich: Reformation und Gegen- denkjahr, Nürnberg 2002, S. 45–59. 1983. S. 15–47. S. 40–44. reformation (Oldenburg Grundriss der Glückert, Ewald: Aufbruch in eine neue Geschichte, Bd. 10), München 1979. Simon, Edith: Die Reformation, Weert Zeit. Vier Epochen Laufer Geschichte Osiander, Wolfgang: Andreas Osian- 1967. (Publikationen zur Stadtgeschichte, Zei- der und die fränkischen Reformatoren tenLauf Bd. 4), Lauf a. d. Pegnitz 2004. (Reihe Fränkische Geschichte, Bd. 14), Glückert, Ewald: 900 Jahre Neunhof, Gunzenhausen 2008. Tischer, Anuschka: Reichsreform, Refor- mation, Bauernkrieg. Der Bauernkrieg Beerbach, Tauchersreuth 1109–2009. Pangerl, Daniel Carlo: Wortgewaltige im Kontext von Reformen und Reform- 900 Jahre Geschichte in drei Ortschaf- Revoluzzer. Vorreformatorischer Pro- diskussionen am Beginn der Neuzeit, in: ten, Lauf 2009. test: Der Laienprediger Hans Böhm be- Franz Fuchs/Ulrich Wagner (Hg.): Bau- geistert mit seinen radikalen Ansichten Güntert, Doris: Die Reformationszeit im ernkrieg in Franken (Publikationen aus die Massen, in: Unser Bayern (Novem- Nürnberger Land. Dargestellt an den dem Kolleg, Mittelalter und Frühe Neu- ber 2016), S. 8–11. Beispielen Lauf und (Laufer zeit, Bd. 2), Würzburg 2016, S. 75–87. Stadtarchiv AV WISL 32). Peters, Michael: Geschichte Frankens. Hamm, Berndt: Bürgertum und Glaube. Vom Ausgang der Antike bis zum Ende Wettges, Wolfram: Reformation und Konturen der städtischen Reformation, des Alten Reiches, Gernsbach 2008. Propaganda. Studien zur Kommuni- Göttingen 1996. Pleticha, Heinrich: Die Erhebung der kation des Aufruhrs in süddeutschen Herbers, Klaus: Geschichte des Papst- Bauern 1460–1524/25, in: Heinrich Reichsstädten (Geschichte und Gesell- tums im Mittelalter, Darmstadt 2012. Pleticha: Reformation und Gegenrefor- schaft, Bd. 17), Stuttgart 1978.

25 Vgl.: Güntert, Doris: Die Reformationszeit 34 Vgl.: Pleticha, Heinrich: Die Erhebung der 44 Güntert: Die Reformationszeit im Nürnber- im Nürnberger Land. Dargestellt an den Bauern 1460–1524/25, in: Heinrich ger Land (wie Anm. 25). S. 21, sowie: Blau- Beispielen Lauf und Hersbruck (Laufer Pleticha (Hg.): Reformation und Gegenre- fuß: Reformation im Nürnberger Landgebiet Stadtarchiv AV WISL 32). S. 16–17. formation (Deutsche Geschichte, Bd. 6). S. (wie Anm. 23). S. 7. 138–162. S. 160–162. 26 Vgl.: Glückert: Aufbruch in eine neue Zeit 45 Vgl.: Güntert: Die Reformationszeit im Nürn- (wie Anm. 2). S. 63. 35 Vgl.: Glückert: Aufbruch in eine neue Zeit berger Land (wie Anm. 25). S. 21-23. (wie Anm. 2). S. 71. 27 Vgl.: Glückert: Aufbruch in eine neue Zeit 46 Vgl.: Blaufuß: Reformation im Nürnberger (wie Anm. 2). S. 57–58. 36 Vgl.: Blaufuß: Reformation im Nürnberger Landgebiet (wie Anm. 23). S. 7. Landgebiet (wie Anm. 23). S. 17–19, sowie 28 Novotny, Václav, M. Jana Husi Korespon- Knoll: Die Reformation in Lauf (wie Anm. 47 Vgl.: Knoll: Die Reformation in Lauf (wie dence a Dokumenty, Praha 1920, Nr. 23, 30). S. 79–80. Anm. 30). S. 63. S. 212 ff., übersetzt von Jan-Erik Beuttel, 48 Vgl.: Güntert: Die Reformationszeit im Nürn- zitiert nach Bernhard M. Baron, Der Zug des 37 Vgl.: Glückert: Aufbruch in eine neue Zeit berger Land (wie Anm. 25). S 28. Magisters Jan Hus 1414 durch die Obere (wie Anm. 2). S. 71. Pfalz, in: Oberpfälzer Heimat 37, 1993, S. 38 Vgl.: Ebd. S. 19. 49 Vgl.: Glückert: Aufbruch in eine neue Zeit 78. (wie Anm. 2). S. 72. 39 Vgl.: Glückert, Ewald: 900 Jahre Neunhof, 29 Vgl.: Güntert: Die Reformationszeit im Nürn- Beerbach, Tauchersreuth 1109–2009. 900 50 Vgl.: Güntert: Die Reformationszeit im Nürn- berger Land (wie Anm. 25). S. 19. Jahre Geschichte in drei Ortschaften, Lauf berger Land (wie Anm. 25). S. 27–29. 30 Vgl.: Blaufuß: Reformation im Nürnberger 2009. S. 53. 51 Vgl.: Ebd. S. 29. Landgebiet (wie Anm. 23). S. 17. 40 Vgl.: Ebd. 52 Vgl.: Glückert: Aufbruch in eine neue Zeit 31 Vgl.: Knoll, Wolfgang-Friedrich: Die Refor- 41 Vgl.: Blaufuß: Reformation im Nürnberger (wie Anm. 2). S. 73. mation in Lauf, Erlangen 1954. Landgebiet (wie Anm. 23) S. 7. 53 Vgl.: Ebd. 32 Vgl.: Lutz, Heinrich: Reformation und Gegen- 42 Güntert: Die Reformationszeit im Nürnber- 54 Vgl.: Glückert: Aufbruch in eine neue Zeit reformation (wie Anm. 11). S. 25. ger Land (wie Anm. 25). S. 21, sowie: Blau- (wie Anm. 2). S. 83. fuß: Reformation im Nürnberger Landgebiet 33 Vgl.: Peters, Michael: Geschichte Frankens. (wie Anm. 23). S. 7 55 Vgl.: Blaufuß: Reformation im Nürnberger Vom Ausgang der Antike bis zum Ende Landgebiet (wie Anm. 23). S. 20–21. des Alten Reiches, Gernsbach 2008. S. 43 Vgl.: Koch: Das Glockengießerspital zu Lauf 174–175. a. d. Pegnitz (wie Anm. 9). S. 56. 56 Vgl.: Ebd. S.83–84. Dezember 2017 9 Heimat Schnaittach? Die Geschichte der Familie Freimann von Monika Berthold-Hilpert Was ist Heimat? Dieser zutiefst deut- sche Begriff, unübersetzbar in ande- re Sprachen, 2004 vom Deutschen Sprachrat und dem Goetheinstitut zu einem der schönsten deutschen Wör- ter gewählt. Ein Begriff, der Erinne- rungen hervorruft, die aufgeladen sind mit Sehnsüchten, Träumen, Bildern, Gefühlen, Gerüchen und Geräuschen, aber auch mit Schmerz, Leid, Verlust und Zerstörung. Ist Heimat ein Ort, an dem man geboren/aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt? Ist es ein Gefühl von Si- cherheit, Geborgenheit, Verstehen und Verstandenwerden, von Zugehörigkeit und Anerkennung? Sind es Feste, Ritu- ale, Bräuche, Traditionen? Sind es Fa- milie, Freunde, Verwandte, Nachbarn? Oder ist es – wie es ein Spiegel-Leser 2012 lapidar formulierte – einfach der perfekte Ort zum Aufwachsen und zum Sterben?1 Fragen wie diese stellen sich fast zwangsläufig, wenn man auf dem jüngsten der drei Schnaittacher Fried- höfe das Grab von Heinrich Freimann sieht. (Abb. 1) Ein Grab, das letzte in der Gräberreihe, abgerückt von den restlichen Gräbern, das einzige Grab der Nachkriegszeit, bepflanzt mit Pfingstrosen. Das Grab eines Rückkehrers aus der Emigrati- on während der NS-Zeit ausgerech- net in dem Ort, den er 14 Jahre zuvor nach Demütigungen, rechtlicher und wirtschaftlicher Ausgrenzung und dem Verlust seiner Existenzgrundlagen ver- lassen mußte. Was bewegte diesen Mann, verwitwet und im Greisenalter dazu, ausgerechnet hierher zurückzu- kommen? Um uns diesen Fragestellun- gen anzunähern, versucht das Jüdische Museum Franken seit mehr als 20 Jah- Abb. 1: Der Grabstein von Heinrich Freimann auf dem Jüdischen Friedhof in Schnaittach, um 1991. ren in immer wieder neuen Anläufen, die Familiengeschichte und Lebenswe- Seine Vorfahren sind in Sugenheim seit ein3, dessen breitgefächerte Produkt- ge der Familie Freimann wie in einem dem frühen 18. Jahrhundert nachweis- palette von verschiedensten Stoffen Puzzle oder Mosaik zu rekonstruieren. bar.2 Über seine Kindheit und Jugend, für Hemden, Kleider und Unterwäsche Aber selbst nach so langer Zeit ist bis seine Schul- und Berufsausbildung wis- über Hemdenkrägen, Bett- und Tisch- heute kein vollständiges Bild entstan- sen wir nichts. Vermutlich hat er eine wäsche, fertige Damen-, Herren- und den, gibt es immer noch viele Lücken, kaufmännische Ausbildung erhalten, Kinderbekleidung, Socken, Knöpfe, werfen neu auftauchende Informatio- wie auch sein 20 Jahre älterer Bruder Nähgarn bis hin zu dem Wundermittel nen oft mehr Fragen auf, als daß sie zur Simon, der in den 1880er Jahren als „Meerzwiebelöl“ reichte, das männli- Vervollständigung des Bildes beitragen. erstes Mitglied der Familie Freimann chen Kunden Wachstum und Erhalt der Haarpracht versprach.4 Heinrich Freimann (Abb. 2) wurde 1879 nach Schnaittach kam, um Sophie Lich- im mittelfränkischen Sugenheim als tenstädter zu heiraten. Er trat in das Das Geschäft, das Simon Freimann jüngstes von fünf Kindern des Vieh- 1856 gegründete Kurz-, Galanteriewa- nach dem Rückzug seines Schwieger- händlers Philipp Freimann und seiner ren- und Bekleidungsgeschäft seines vaters und dessen Umzug nach Nürn- Frau Marianne geboren. Schwiegervaters Joseph Lichtenstädter berg von 1891 bis 1909 alleine betrieb, 10 Dezember 2017

Jahren bei ihm in Schnaittach gelebt hatte, wurde 1942 von Nürnberg über Theresienstadt nach Minsk verschleppt und gilt als verschollen.8 Seiner Schwä- gerin Thekla, die nach dem Tod ihres Mannes Max 1921, im Familienanwe- sen in Schnaittach Aufnahme fand, ge- lang die Auswanderung nach Südafrika, wo sie 1957 verstarb.9 Aus welchen Gründen auch immer, je- denfalls verkaufte Simon Freimann das Anwesen Nr. 103 mit Textilgeschäft in der Nürnberger Straße – heute Haus Nr. 7 – 1909 seinem Bruder Heinrich.10 Vermutlich war unmittelbare Anlaß für die Übernahme des Geschäfts seine wohl um diese Zeit erfolgte Heirat mit Norma, genannt Norie, Fichtelberger aus Ermetshausen. 1922 erwarb das Ehepaar Freimann zusätzlich das an- grenzende Anwesen Nr. 104 – heute Nürnberger Str. 9. (Abb. 3) Vielleicht um mehr Platz für die immer größer werdende Familie zu schaf- fen. Neben den vier Kindern Paula (geb. 1910), Paul (geb. 1914), Herta (geb. 1919) und dem Nachzügler Max Kurt (geb. 1931) gehörten ja auch noch Hein- richs Geschwister Simon und Dina, sei- ne verwitwete Schwägerin Thekla und Marianne Künstler, eine Verwandte sei- ner Mutter zum Haushalt. (Abb. 4) Aus den Kriegsstammrollen der Baye- rischen Armee wissen wir, daß Heinrich Freimann 1916 gemustert wurde und 1917 dem Ersatzbattallion des Reser- ve-Infanterie-Regiments No. 6 in Fürth und später der Bayerischen Kraftfahr- Ersatz-Abteilung 03 zugeteilt war. Ein Fronteinsatz im 1. Weltkrieg schien ihm erspart geblieben zu sein, 1917 tat er eine Zeit lang Dienst in verschiedenen Lazaretten in Nürnberg.11 Abb. 2: Heinrich Freimann, um 1930. Mit dem Beginn der NS-Zeit 1933 ver- war gut eingeführt. Die Inhaber erfreu- Simon Freimann blieb auch als Privatier änderte sich auch die Lebenssituation ten sich eines guten Rufs und engagier- bei seinem Bruder Heinrich in Schnaitt- der Familie Freimann grundlegend. In ten sich beide sowohl im Vorstand der ach wohnen. Nach dem Novemberpo- der Vorweihnachtszeit des Jahres 1934 Israelitischen Kultusgemeinde als auch grom verzog er nach Nürnberg. Dies geriet Heinrich Freimann in den Fokus als im Magistrat der Marktgemeinde kommentierte die Pegnitz Zeitung am eines Redakteurs der Fränkischen Ta- Schnaittach.5 25. November 1938 unter der Schlag- geszeitung, der sich in einem Artikel da- zeile „Die Sarahs ziehen aus ...“ wie folgt: rüber empört, dass sich in Schnaittach In privater Hinsicht hatte Simon Frei- „In den letzten Tagen haben wieder noch einzelne Wirte darüber freuten, mann jedoch wenig Glück und schwere mehrere Juden und Jüdinnen den Kreis wenn „Fremdrassige“ wie der Jude Frei- persönliche Schicksalsschläge zu ver- Lauf verlassen und sind verduftet. So mann bei ihnen ein Bier tränken. Aber kraften, die wohl letztendlich zur Über- der Jude Simon Freimann aus Schnaitt- damit nicht genug: „Der Inhaber des gabe des Geschäfts an seinen Bruder ach mit seiner jüdischen Haushälterin jüdischen Kaufhauses Lichtenstädter Heinrich führten. Im Oktober 1887 star- Sarah Künstler. (...) Die Schnaittacher at- hat sich dieser Tage in der Öffentlichkeit ben – nach kurzer Ehe – Simons erste men auf, denn bald wird ihr schöner Ort, damit gebrüstet, daß sein Geschäft jetzt Frau Sophie Lichtenstädter und das der jahrhundertelang durch das jüdische zur Weihnachtszeit derart stark fre- gemeinsame Kind bei der Geburt. Seine Geschmeiß verunziert wurde, judenfrei quentiert werde, daß er und seine Re- zweite Frau Sophie Ullmann, eine Ku- sein.“7 bekka durch die viele und anstrengende sine seiner ersten Frau, verstarb 1907 Arbeit geschwitzt hätten!!! Er verwen- im Alter von nur 44 Jahren; keines der Von Nürnberg wurde Simon Freimann det übrigens jetzt das Einwickelpapier vier gemeinsamen, zwischen 1892 und im September 1942 nach Theresien- für seine Kundschaft so, daß seine Ju- 1901 geborenen Kinder überlebte das stadt deportiert und ermordet. Seine denfirma nach außen nicht sichtbar ist! Säuglings- bzw. Kleinkindalter.6 Schwester Dina, die seit den 1920er Das ist der Jude.“12 Dezember 2017 11

Abb. 3: Das ehemalige Freimann-Anwesen in Schnaittach, 2016.

Dieser Artikel und das „unüberlegte, Die Frage einer Auswanderung war in Kriegsende heiratete sie den ebenfalls herausfordernde und unbedachte“ Han- der Familie Freimann bereits sehr früh aus Deutschland stammenden Ernst deln Freimanns hatte, wie das Bezirk- ein Thema. Heinrich Freimann bereite- Wilmers. Aus der Ehe gingen zwei Töch- samt Lauf der Regierung von Ober- und te seit 1933 die Emigration der Familie ter hervor: Carol (geb. 1945) und Norma Mittelfranken in Folge mitteilte, „eine vor und schickte den Sohn Paul bereits (geb. 1949). lebhaft Erregung unter der national- im April 1933 nach Lyon in Frankreich. sozialistischen Bevölkerung Schnaitt- Seine ältere Schwester Paula folgte ihm Im August 1938 hat der Druck auf die achs zur Folge.“ Und einen dreitägigen 1935.15 Was der unmittelbare Auslö- Schnaittacher Juden so zugenommen, Boykott durch Posten der Ortsgruppen- ser für die frühe Emigration war und daß Heinrich und Norie Freimann das leitung der NSDAP vor jedem jüdischen weshalb sich die Geschwister für Lyon Haus Nr. 103 an Wolfgang Löhr ver- Geschäft. Diese – so das Bezriksamt in Frankreich entschieden, ist unklar. Es kauften, der sich gleichzeitig das Vor- weiter – hätten keine Gewalttätigkei- gibt aber Hinweise, daß Heinrich Frei- kaufsrecht für das angrenzende Haus ten, nur einige „Bubenstreiche“ began- mann, der neben dem Bekleidungsge- Nr.104 sicherte. Der Kaufpreis in Höhe gen, und v.a. „etwaige Kauflustige“ da- schäft auch als Hopfenhändler tätig war von 12.000 RM für das Haus plus rauf aufmerksam gemacht, daß es sich und einige Hopfenfelder besessen ha- 23.000 RM für den Geschäftsbetrieb um jüdische Geschäfte handele.13 ben soll, gute Geschäftskontakte nach einschließlich Warenlager wurde auf Frankreich hatte. Zudem hatte er wohl ein Sperrkonto der Gestapo eingezahlt, Welche konkreten finanziellen Auswir- vorausschauend rechtzeitig gewisse über das die Freimanns nur sehr ein- kungen der Boykott auf das Geschäft Geldmittel nach Frankreich transfe- geschränktes Verfügungsrecht hatten. der Freimanns hatte, wissen wir nicht. riert.16 Kurz darauf meldete Heinrich Freimann Allerdings waren sie, wie viele andere sein Geschäft in Schnaittach ab.19 Schnaittacher Juden auch, unter dem Auch für die jüngere Schwester Herta zunehmenden Druck des Regimes ge- (Abb. 5) gab es bald keine Perspektive Von einem Nachbarn gewarnt, konnten zwungen, sich zur Aufrechterhaltung für einen Verbleib in Deutschland mehr. sich Heinrich und Norie Freimann nach ihrer Existenz, von Teilen ihrer Habe zu Nach einem Umzug von Schnaittach Aussage der Tochter Herta während trennen bzw. mußten zur Finanzierung nach Nürnberg im Jahr 1935 schiffte der Novemberpogrome in Sicherheit ihrer Auswanderungspläne Hausrat und sie sich am 4. Juli 1938 in Rotterdam bringen und wurden anders als Simon Wertgegenstände aus dem Familien- mit dem Ziel New York ein, wo sie am und Dina Freimann weder mißhandelt besitz zu Geld machen. Dies bescher- 20. Juli 1938 mit einem Barvermögen in noch verhaftet.20 Allerdings mußten sie te zum Beispiel dem Heimatmuseum Höhe von 25$ ankam. Ihre erste Anlauf- wenige Tage nach dem Pogrom auch Schnaittach und seinem Leiter Gottfried stelle in den USA war ihre Kusine Rosa das Haus Nr. 104 zwangsweise für nur Stammler bis dahin ungeahnte Mög- Heymann, die in Staten Island lebte.17 3.900 RM an die Gemeinde Schnaittach lichkeiten zur Erweiterung der Samm- 1940 arbeitete sie laut der amerikani- verkaufen, die es mit einem sattem Ge- lungsbestände, wovon noch heute das schen Volkszählungsunterlagen in New winn für 11.300 RM gleich an die Fami- Altinventar des Museums zeugt.14 York als Dienstmädchen.18 Noch vor lie Löhr weiterveräußerte.21 12 Dezember 2017

Abb. 4: Heinrich und Norie Freimann mit ihren Kindern Paula (3), Paul (4) und Herta (5) 1922.

Anfang Dezember 1938 zogen Heinrich nachdem sich Max Weissmann mit sei- 1942 machten in Villeurbannes Gerüch- und Norie Freimann nach Nürnberg und ner Geliebten und dem kompletten Ge- te von einer bevorstehenden Juden- emigrierten laut der Meldeunterlagen schäftsvermögen nach Süd-Frankreich razzia der Gestapo die Runde. Heinrich, schließlich im Mai 1939 ebenfalls nach abgesetzt hatte, von wo er 1943 depor- Norie und Paula Freimann verschlossen Lyon, wohin sie ihren achtjährigen Sohn tiert und ermordet wurde.25 ihr Haus und versteckten sich im Kel- Kurt – wieder laut der Meldeunterla- ler. Die Polizeibeamten ließen sich von gen – bereits im Januar 1939 geschickt Mit den nach Frankreich transferrieten den Nachbarn überzeugen, daß sich die hatten.22 Geldmitteln erwarb Heinrich Freimann Freimanns schon Tage vorher aufs Land In einer erst vor kurzem bei Recher- noch ein kleines, bescheidenes Haus in abgesetzt hätten und verzichten auf ein chen zu diesem Vortrag entdeckten Villeurbannes, einem Vorort von Lyon, gewaltsames Eindringen. Heinrich und französischsprachigen Biographie von in einer ruhigen Nebenstraße mit nur Norie Freimann blieben bis Kriegsen- Kurt Freimann ist allerdings eine ande- ein paar weiteren Häusern. Zudem ver- de in ihrem Kellerversteck, überzeug- re Version zu lesen. Demnach reisten suchte er, wieder eine geschäftliche Tä- ten jedoch Paula davon, anderweitig Heinrich, Norie und Kurt Freimann 1937 tigkeit aufzunehmen. Diese Aktivitäten unterzutauchen. Sie fand Zuflucht als nach Strasbourg, wo die Hochzeit ih- kamen im September 1939 mit Kriegs- Dienstmädchen in einer der Resistance rer Tochter Paula mit Max Weissmann, ausbruch zu einem abrupten Ende: angehörenden großbürgerlichen Familie, einem Freund/Bekannten ihres Bru- Heinrich Freimann und seine Tochter die auch für die Versorgung ihrer Eltern ders Paul, aus Madgeburg stattfand. Paula wurden als feindliche Ausländer mit Nahrungsmitteln sorgte, den Kon- Sie ließen Kurt, der in Schnaittach von in einem Lager interniert. takt zum Kellerversteck in Villeurbanne anderen Kindern als Handelsjudenkind hielt und die Familie vor weiteren, be- gemobbt und mit Steinen beworfen Nach ihrer Entlassung aus dem In- vorstehenden Judenrazzien warnte. worden war, in Strasbourg und brachten ternierungslager und dem Beginn der ihn dort im Internat einer Privatschu- deutschen Besatzung arbeitete Pau- Von Paul Freimanns Leben in der Emig- le unter. Nach ihrer eigenen Emigra- la bei einem Zahnarzt, der die Fami- ration in Lyon ist nahezu nichts bekannt. tion im Mai 1939 holten Heinrich und lie mit Essensrationen, Geld und allem Seinen Meldeunterlagen in Lyon zufolge Norie Freimann ihren jüngsten Sohn in Nötigen versorgte. Zudem brachte er betrieb er ein Drogerie- und Parfüm- Strasbourg ab und nahmen ihn mit nach die Freimanns, die sich vor allem um geschäft.26 Vermutlich wurde er nach Lyon.23 Kurts Sicherheit große Sorgen mach- Kriegsbeginn ebenso wie sein Vater ten, in Kontakt mit Pater Glasberg. und seine Schwester interniert. Nach Die Umstände, wie die Freimanns die Dieser organisierte für Kurt unter dem dem Krieg erzählte er einer Bekannten Kriegszeit, die Jahre der deutschen Be- Decknamen Pierre Ferrant im College in Schnaittach, daß er in Lyon verhaftet satzung und Verfolgung in Lyon über- Saint-Joseph der Jesuiten einen Platz worden war und in einem Deportations- standen, sind abenteuerlich und bis als Schüler und brachte ihn zum Woh- zug in die Vernichtungslager des Os- heute nicht im Detail geklärt. nen im Wechsel bei zwei, im gleichen tens verschickt werden sollte. An einer Sie kamen zunächst in der kleinen Gebäude lebenden, streng katholischen Baustelle sei er zusammen mit einem Wohnung von Paula unter, die zusam- Großfamilien unter, die ihn, andere ge- Mitgefangenen abgesprungen, habe men mit ihrem Mann eine chemische fährdete Kinder sowie Widerstands- sich nach Lyon durchgeschlagen und sei Reinigung betrieben haben soll.24 Ihre kämpfer bis Kriegsende bedingungslos bis zur Befreiung in einem Jesuitenklos- finanzielle Situation war schlecht, v.a. beschützten und ernährten. ter untergetaucht.27 Nach einer anderen Dezember 2017 13

Version in der Biographie seines Bru- ders Kurt, in der er ansonsten nicht er- wähnt wird, soll er in der Fremdenlegion überlebt haben.28 1947 beschreibt Heinrich Freimann in einem Brief nach Schnaittach die Ver- folgungsjahre wie folgt: „Wir haben viel in Frankreich mitge- macht. Doch wir sind noch alle am Leben. ... Was haben wir Deutsch- land getan? Wir flüchteten nach dem 5.12.1938 ins Ausland nachdem uns im November 1938 alles Eigentum enteig- net wurde. In Frankreich waren unse- re Kinder bei Katholiken versteckt, uns zwei Alte hat in der Straße niemand verraten, waren unsere ehemaligen Landsleute oft den ganzen Tag auf der Suche, um uns zu fangen und umzu- bringen, wie meinen alten Bruder und meine Schwester – und so viele.“29 Die Verfolgungen, die Jahre des Exils und im Untergrund scheinen innerhalb der Familie tiefe Gräben aufgerissen und zu einer zunehmenden Entfrem- dung zwischen den einzelnen Familien- mitgliedern geführt zu haben. Paul Freimann ist im Kloster zum ka- tholischen Glauben konvertiert, was die restlichen Familienmitglieder stark miß- billigten. Zudem war das Verhältnis zwi- schen Paul und Paulas zweitem Mann Oskar Bäcker wegen Auseinanderset- zungen um das elterliche Erbe sehr an- gespannt.30 Auch die Beziehungen der älteren Geschwister untereinander und zu ihrem jüngsten Bruder Kurt waren nachhaltig belastet. Paula machte Paul für ihre gescheiterte erste Ehe verant- wortlich, da sie ihren Mann durch ihn kennengelernt hatte.31 Kurt, der sich auch nach Kriegsende weiterhin Pierre nannte, war bei den Jesuiten ebenfalls zum Katholizismus konvertiert, lehnte seine kleinbürgerliche jüdische Familie Abb. 5: Herta Freimann, um 1934. und seine eigenen jüdischen Wurzeln vehement ab, wollte mit seiner Familie, Als Norie dann 1948 schwer erkrankte seinen Schuldnern jeweils 10 % der al- der er die frühe Trennung und Fremdun- und verstarb, entschloss sich Heinrich ten Schulden eingetrieben haben.36 terbringung verübelte, nichts mehr zu Freimann zu einer Rückkehr nach Euro- Heinrich Freimann starb am 16. Januar tun haben. Er trug sich zeitweise sogar pa. Er sprach kein Englisch, konnte sich 1952. In der Pegnitz Zeitung findet sich mit dem Gedanken, selbst in den Jesu- mit dem Leben in Amerika nicht an- folgender Nachruf: itenorden einzutreten. Nach dem Tod freunden.34 Er wartete die Geburt seiner „Plötzlich und unerwartet wurde Herr von Norie Freimann soll Paula später zweiten Enkelin Norma ab und verließ kolportiert haben, die Mutter sei nicht Heinrich Freimann, früherer Inhaber New York schließlich am 7. Januar 1950 der Firma Lichtenstädter in Schnaitt- an Krebs, sondern aus Gram über die mit dem französischen Schiff SS De- 32 ach aus einem harten und kampfvollen Konversion der Söhne gestorben. 35 Grasse mit Zielort Le Havre. Am 18. Leben abgerufen. Infolge der Vertrei- 1945 entschieden sich Heinrich und April 1950 meldete er sich offiziell wie- bung 1938 wurde er mit seiner Familie Norie Freimann zur Auswanderung in der in Schnaittach an und eröffnete hier nach Lyon verschlagen, wo er sich bei die USA und zogen zu ihrer Tochter Her- ein Textilgeschäft, bei dessen Führung seinen Kindern aufhielt. Aber auch da ta nach New York, die inzwischen gehei- ihn ab 1951 sein Sohn Paul unterstütz- konnte er nicht Ruhe finden. Durch die ratet und eine Familie gegründet hatte. te. Ein Freund Heinrichs in Schnaittach Kriegsläufe in allem gehemmt, konnte Sie wollten auch den Teenager Kurt mit- hat wohl das Geschäftsbuch der Firma er kaum seinem Beruf nachgehen. Nach nehmen, der aber die Auswanderung Lichtenstädter aus der Vorkriegszeit, in 1945 wanderte er nach Amerika aus, mit seinen ihm entfremdeten Eltern un- dem alle Schulden und Kredite aufge- wo seine jüngste Tochter in New York ter Selbstmordandrohung verweigerte zeichnet waren, für ihn aufbewahrt. Zur ansässig war. Als ihm kurz danach seine und bei den Jesuiten blieb.33 Finanzierung des Neuanfangs soll er bei Frau durch Tod entrissen wurde, kehrte 14 Dezember 2017

Abb. 6: Hochzeitsbild von Paul und Elly Freimann, 1951. Dezember 2017 15 er in die alte Heimat nach Schnaittach zu- rück und eröffnete sein früheres Ge- schäft wieder. Hein- rich Freimann war ein aufrechter Charakter, liebenswürdig und je- derzeit hilfsbereit. Die Beerdigung findet am Sonntag, 20. Januar in Schnaittach statt.“37 Paul Freimann, der nach dem Tod seines Vaters in Schnaitt- ach blieb, hatte 1951 in Bamberg die ursprünglich aus Geldern in Nord- rhein-Westfalen stammende Elly Lud- wig geheiratet.38 Mit ihrem ersten Mann Max Blümlein war sie Mitte der 1930er Jahre von Leipzig aus ebenfalls nach Lyon ausgewandert. Nach der Scheidung emi­ grierte Max Blümlein 1936 nach Austra­ lien, wo er 1953 verstarb,39 während Elly und der 1936 ge- borene Sohn Guy in Lyon blieben. Wäh- rend der Besatzungs- zeit fanden beide Unterschlupf in einem Kloster, wo sie Paul Freimann kennen- lernten und ebenfalls zum katholischen Glauben konvertier- ten. Paul und Elly Freimann waren sehr gläubig, besuchten regelmäßig die Mes- se in Schnaittach.40 (Abb. 6)

Bis zu seinem Tod 1979 führten Paul und Elly Freimann zusammen mit ihrer Abb. 7: Paul Freimann und Guy Blümlein, Schnaittach 1955. Partnerin Helga We- ber das Textilgeschäft in Schnaittach. Paul Freimann hatte Zudem unterstützte Paul auch seinen Das Jüdische Museum erhielt in den Helga Weber nach dem Tod seines Va- Bruder Kurt mit regelmäßigen monatli- letzten zehn Jahren immer wieder ters als Partnerin in das Textilgeschäft aufgenommen, damit er mit ihrer Ein- chen Zahlungen, die ihm eine Fortfüh- Erinnerungsstücke aus dem Nach- lage seine Schwester Paula auszahlen rung seiner Ausbildung in Frankreich laß von Elly Freimann, die sie kurz vor 42 konnte, die zur Beerdigung des Vaters ermöglichten. Elly Freimann starb ihrem Tod Schnaittacher Freunden als mit ihrem zweiten Mann Oskar Bäcker 1990 und ist wie ihr Mann auf dem Erinnerung und auch als Dank für die nach Schnaittach gekommen war, mo- christlichen Friedhof am Kalvarienberg jahrzehntelange Freundschaft und natelang auf seine Kosten in hier lebte in Schnaittach bestattet. Ellys Sohn Guy Unterstützung vermacht hatte. Dazu und vehement einen Anteil an dem ist 1955 nach Kanada emigriert, wo er gehören ein Chanukkaleuchter, ein Set neu eröffneten Geschäft einforderte.41 immer noch lebt.43 (Abb. 7) Vorlage- und Fischbesteck mit Serviet- 16 Dezember 2017 tenring, mehrere Handtaschen und ein nach der Auflösung familiärer Struktu- für das erlittene Unrecht trugen, die ta- Schmuckmedaillon mit Bild, die dem- ren und dem Tod der Ehefrau und Mut- tenlos zugesehen oder sich gar am per- nächst in einer Vitrine hier im Museum ter nicht eher ein Gefühl der Heimat- sönlichen Eigentum bereichert haben als Teil der Dauerausstellung zu sehen losigkeit war, das die Rückkehr in eine und für die die Rückkehrer das personi- sein werden. vertraute Umgebung, aufgeladen mit fizierte schlechte Gewissen waren, wird positiven wie negativen Erinnerungen wohl immer unbeantwortet bleiben. Nach der Rekonstruktion der Famili- und der Hoffnung auf einen finanziell Also Heimat doch schlicht und einfach engeschichte der Freimanns bleibt die einigermaßen abgesicherten Lebens- als der perfekte Ort zum Aufwachsen Frage, ob es die Sehnsucht nach einer abend, schließlich zum geringeren Übel und zum Sterben? wie auch immer definierten Heimat werden ließ? Auch die Frage, wie es Schnaittach war, die Heinrich und Paul sich anfühlte, an den Ort zurückzukeh- Freimann nach Jahren der Emigration ren, in dem nach wie vor die gleichen Bildnachweis: Alle Fotographien entstammen hierher zurückkehren ließ. Oder ob es Menschen lebten, die Verantwortung dem Jüdischen Museum Franken.

1 Spiegel Online 2012, http://www.spiegel. 12 Fränkische Tageszeitung, 19.12.1934. 26 Les Archives du département du Rhône et de/panorama/gesellschaft/leser-von- de la métropole de Lyon, tribunal de com- 13 Yad Vashem Jerusalem, MIDN/24-1768. spiegel-online-beantworten-die-frage-was- merce, 6UP1/3780. heimat-ist-a-826560.html 14 Berthold-Hilpert, Monika: Die Judaica- Sammlung des Gottfried Stammler im Hei- 28 JMF, Protokoll des Gesprächs mit Helga 2 Jüdisches Museum Franken (= JMF), matmuseum Schnaittach, Geschichte einer Weber, Schnaittach, 11.10.2004. Skythe, Thea und Heinz: The Freimanns of Arisierung? Unveröffentlichtes Vortragsma- Sugenheim, in: dieselben: The History of the nuskript, Fürth 2011, S. 3. 29 Diesbach, S. 34. Jewish Community of Sugenheim, undatier- tes Manuskript, S. 41-55. 15 Freundliche Auskunft des Einwohnermelde- 30 Zitiert nach Brieger, S. 36. amts Schnaittach. 3 31 Wie Anmerkung 27. 16 Diesbach, Ghislain de: En souvenir de Pierre 4 JMF, Sammlung von Zeitungsannoncen der Freimann, 1931-2000, o.O., o.J., S. 19ff. 32 MF, Email von Norma Chacona, Firma Lichtenstädter, um 1900 und Fränki- 23.10.2014. scher Kurier, 23.10.1872. 17 Ancestry.com: New York Passenger Lists, 1820-1957 (Online Datenbank). 33 Diesbach, S. 33. 5 Laufer Wochenblatt, 16.09.1891. 18 Ancestry.com: 1940 United States Federal 34 Diesbach, S. 30. 6 Gemeindearchiv Schnaittach, Beerdigungs- Census (Online Datenbank). buch der Israelitischen Kultusgemeinde Schnaittach. 19 Bundesarchiv Potsdam, BArch, R 87/4871: 35 Wie Anmerkung 31. Freimann, Heinrich, Lyon/Frankreich und 7 Pegnitz Zeitung, 25.11.1938. Freimann geb. Fichtelberger, Nori, Lyon/ 36 Ancestry.com: U.S., Departing Passenger Frankreich, 1940-1941. and Crew Lists, 1914-1962 (Online Daten- 8 Diefenbacher, Michael / Fischer-Pache, Wil- bank). trud (Hg.): Gedenkbuch für die Nürnberger 20 MF, Brief von Norma Chacona (Tochter Opfer der Shoa, Nürnberg 1998, S. 79 und von Herta Freimann-Willmers), November 37 Wie Anmerkung 27. 80. 2003. 38 Pegnitz Zeitung, 18.01.1952. 9 Brieger, Martin: Jüdische Mitbürger in unse- 21 Siehe Anmerkung 19. rer Heimat, o.O., o.J., S. 36. 39 Wie Anmerkung 15. 22 Siehe Anmerkung 15. 10 Kroder, Karl und Kroder-Gumann, Birgit: 23 Diesbach, S. 19ff. 40 www.jewishroots.uct.ac.za/Arrivals.aspx Schnaittacher Häuserchronik, Nürnberg und www.jewishroots.uct.ac.za/Cemeteries. 2002, S. 486. 24 JMF, Email von Norma Chacona, aspx. 23.10.2014. Soweit nicht anders angege- 11 Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, ben finden sich die Angaben zum Überleben 41 Wie Anmerkung 27. Abt. IV Kriegsarchiv. Kriegsstammrollen, der Familie Freimann in Lyon während des 1914-1918, Bd. 18889, Kriegsstammrolle 2. Weltkriegs bei Diesbach (wie Anm. 16). 42 Ebenda. Bd. 1 und Bd. 8106, Kriegsstammrolle Bd. 6, zitiert nach Ancestry.com, Ger- 25 yvng.yadvashem.org: Zentrale Datenbank 43 Diesbach, S. 34. many, WWI Personnel Rosters, 1914-1918 der Namen der Holocaustopfer (Online (Online Datenbank). Datenbank). 44 Wie Anmerkung 15.

erscheint halbjährlich in der Layout: Für die Inhalte der Beiträge sind aus- Pegnitz-Zeitung. Silvia Leitenbacher schließlich die Autoren verantwortlich. Herausgeber: Alle Rechte vorbehalten. Verlag Hans Fahner GmbH & Co. KG, Druck: Nachdruck (auch auszugsweise) nur Nürnberger Straße 19, Verlag Nürnberger Presse mit schriftlicher Genehmigung des 91207 Lauf a.d. Pegnitz Druckhaus Nürnberg GmbH & Co. KG Verlages.