Talkshow im ZDF

SVEA PIETSCHMANN Im Land desWAHLKAMPF Lächelns

Vor der Bundestagswahl räumen die Fernsehanstalten ihr Programm großzügig für politische Talkshows frei. Selbst Halbprominente dürfen zur Primetime ihre Weltsicht ausbreiten. Doch Streit und Spannung wollen nicht so recht aufkommen, die Zuschauer wenden sich ab.

xakt 11 Minuten und 47 Sekunden Doch bislang geht der Plan der Fernseh- Merkel ist schrecklich nett, sogar für ihren muss Gregor Gysi jetzt schon schwei- sender nicht auf. Sie bringen Politikerbe- Herausforderer Steinmeier findet sich ab Egen, es kommt ihm vor wie eine fragungen auf allen Kanälen, aber die Zu- und zu noch Lob. So etwas wirkt natürlich Ewigkeit. Er rutscht auf dem Stuhl herum, schauer wollen es in vielen Fällen gar nicht nicht attraktiv. Die Frage ist nun, wer die als hätte jemand eine Herdplatte darunter sehen. Am Sonntag vor einer Woche liefen Schuld für die Pleite trägt. Sind die Politi- angeschaltet. Dann will Frank Plasberg drei Talkshows zur gleichen Sendezeit – ker zu langweilig? Die Sender zu einfalls- auch noch wissen, wie ein Busfahrer seine bei ARD und ZDF fragten Anne Will und los? Die Zuschauer zu desinteressiert? Familie durchbringen soll, wenn es keinen , auf Sat.1 luden Stefan Aust Nikolaus Brender reißt die Tür seines Mindestlohn gibt. Es ist Gysis Thema, aber und zum Gespräch. Es Büros auf dem Mainzer Lerchenberg auf, die Frage geht schon wieder nicht an ihn. war ein Desaster. Will hatte gerade mal 2,6 der ZDF-Chefredakteur ist bekannt für sei- Rainer Brüderle bekommt das Wort, der Millionen Zuschauer, die Quote von Sat.1 ne forsche Art. „Haben Sie meinen Kom- forsche Sozialleistungskürzer von der FDP. war so miserabel, dass sie nicht einmal ei- mentar gesehen? Da hab ich der Merkel Jetzt reicht’s. „Kann man hier vielleicht nen Kulturkanal glücklich gemacht hätte. eins auf den Deckel gegeben.“ Er streicht auch mal was sagen?“, krakeelt Gysi, die Am kommenden Sonntag findet das TV- zufrieden über den Schnauzer. Lippen formen sich zu einem schmollen- Duell zwischen und Frank- Brender stand im neuen Studio des den O. Plasberg versucht, den Gast mit ei- Walter Steinmeier statt. Es soll der Höhe- „heute-journals“ und warf Merkel vor, nem Witz ruhigzustellen. „Herr Gysi, hat- punkt des Fernsehwahlkampfs werden, an- dass sie den Bürger mit ihrer Kampagne ten Sie zu wenig Wortanteil? Das wäre die derthalb Stunden Debatte zur Primetime. ohne Inhalt das Recht auf eine vernünftige erste Sendung.“ Das Publikum kichert, Für Quote ist schon deshalb gesorgt, weil demokratische Entscheidung raube. „Die Gysi kann nicht mitlachen. „Es gibt da an- Fernsehdeutschland dem Event kaum ent- Kanzlerin unterläuft straflos das Vermum- dere Messungen“, sagt er, keine Spur von kommen kann. Es läuft gleichzeitig auf vier mungsverbot.“ Ironie liegt in seiner Stimme. Sendern, ARD und ZDF, RTL und Sat.1. Tags zuvor hatte er das Sommerinter- Es gehört zu den überraschenden Mo- Vorfreude mag trotzdem nicht aufkom- view seines Berliner Büroleiters Peter Frey menten dieses Wahlkampfs, dass Politiker men. Die Privatsender fürchten, dass am mit Merkel gesehen. Frey mühte sich red- behaupten, sie kämen nicht zu Wort. Wohl Ende nur die Öffentlich-Rechtlichen vom lich, ein munteres Gespräch zustande zu noch nie haben die Stationen so bereitwil- Fingerhakeln zwischen der Kanzlerin und bringen, er nannte Merkel eine „Weich- lig Sendezeit für politische Gesprächssen- ihrem Vize profitieren. spülkanzlerin“. Doch sie lächelte alle An- dungen freigeräumt wie in diesen Wochen. Es gibt im Moment viel Verdruss auf den würfe weg und sagte all die furchtbaren Das Angebot ist so enorm, dass sogar Po- Chefetagen der deutschen Fernsehsender. Sätze, die Politiker sagen, wenn sie nichts litiker minderer Prominenz ihre Weltsicht Freudig hatten sie den Politikern eine Büh- sagen wollen. zur besten Sendezeit ausbreiten können. ne gezimmert, auf der die sich ordentlich Es gibt im Moment viele Klagen über die Wer auf einer Fernbedienung herumtippt, raufen können. Aber nun, drei Wochen Entertainmentqualitäten der deutschen Po- landet eher früher als später beim Polit- vor der Wahl, stehen Matadore oben und litiker. Es wird Leidenschaft vermisst und Talk. sind lieb zueinander. Vor allem Kanzlerin Kampf, der Mut zur klaren Aussage. „Fern-

154 der spiegel 37/2009 Medien sehen lebt von Emotionen, und die fehlen in Landtagswahlen Maybrit Illner direkt ge- Plötzlich wurde Oskar Lafontaine für diesem Wahlkampf“, sagt , gen Anne Will antreten zu lassen, schrieb ein Interview in die Sendung geschaltet. Anchorman und Chefredakteur von RTL. der ARD-Programmdirektor Volker Herres Das dauerte nur ein paar Minuten, für Er erinnert sich gern an sein erstes In- einen Beschwerdebrief an seine Kollegen Westerwelle war es trotzdem eine Beleidi- terview mit Gerhard Schröder, dem Groß- vom Zweiten. Er blieb ohne Wirkung. gung. So was gehe nicht, raunzte er nach meister der Polit-Unterhaltung. 1986 war Die Politiker können damit gut leben. der Show Anne Wills Redaktionsleiter das, Schröder hatte gerade die nieder- Selbst die Grünen finden inzwischen kaum Andreas Schneider an. „Wir waren ja nur sächsische Landtagswahl verloren, und noch Leute, die sie in die vielen Talkshows noch Staffage.“ Jungreporter Kloeppel wollte wissen, was schicken können, und bei denen ist Perso- Die Deutschen mögen der vielen Talk- denn nun schiefgelaufen sei. „Das ist ja nal nun wirklich nicht knapp. Es gibt zwei shows überdrüssig sein, das ändert aber nun die blödeste Frage, die ich jemals Spitzenkandidaten und zwei Parteichefs, nichts daran, dass Fernsehen im Wahl- gehört habe“, blaffte Schröder zurück, er jederzeit und gern sprechfähig ist auch der kampf das Medium Nummer eins ist. Drei machte Kloeppel vor laufender Kamera Fraktionsvorsitzende Fritz Kuhn. Fernse- Viertel der Bürger schalten ARD oder ZDF zur Schnecke. Für einen kurzen Moment hen ist für Spitzenpolitiker derzeit wie eine ein, wenn sie etwas über Politik erfahren dachte Kloeppel, seine Karriere sei am Schachtel Pralinen – sie dürfen sich die wollen. Wenn am Sonntag das Kandida- Ende. Aber dann schaute er die Aufzeich- leckersten Stückchen aussuchen. Doch tenduell läuft, werden wohl um die 20 Mil- nung des Interviews an. Es war toll, echte selbst das ist manchen nicht genug. lionen Zuschauer vor den Schirmen sitzen. Gefühle, live. Heiße Fernsehware. Vor ein paar Tagen stand Guido Wes- Nur, warum machen sich die Fernseh- Doch sind Politiker dazu da, dem Fern- terwelle in der After-Show-Party von Anne sender vor der Politik so klein? Die Rund- sehen gute Quoten zu verschaffen? Wenn Will und dampfte vor Ärger. Eigentlich funkverträge schreiben nicht vor, dass sich sie der Meinung sind, dass ih- der Wahlkampf auf Talkshows nen ein träger Wahlkampf nützt, beschränken muss. dann ist das schade, aber noch Und es gibt Beispiele für ge- kein Verstoß gegen das Grund- lungene Fluchten aus der Wort- gesetz. Eher drängt sich die Fra- wüste der Politikerbefragung. ge auf, warum die Sender wie Das Steinmeier-Porträt im ZDF besessen sind von politischen hat wundervoll herausgearbei- Talkshows. Die können kaum tet, wie nahe Solidität und Lan- die richtige Antwort auf einen geweile bei einem Politiker lie- Wahlkampf sein, bei denen gen. Showstars wie Schröder oder „Es gibt bei den Fernsehsen- Joschka Fischer fehlen. Und in dern kaum Bereitschaft, die dem vor allem das Ungesagte in- Möglichkeiten des Mediums teressant ist. Was will Schwarz- wirklich auszuschöpfen“, sagt Gelb nach der Wahl? Wie will Lutz Hachmeister, Chef des In- Steinmeier Kanzler werden, stituts für Medien- und Kom-

wenn die FDP nicht mit ihm re- / ZDF DPA JÜRGEN DETMERS munikationspolitik in . gieren mag? Und welche Chan- Politikerin Merkel im Sommerinterview*: „Weichspülkanzlerin“ Hachmeister hat schon etliche ce haben die Grünen auf eine Polit-Dokumentationen gedreht, Regierungsbeteiligung, wenn sie es war immer ein hartes Ringen die Union zum Feind erklären? mit den Sendern. Vor komple- Kein Zufall also, dass sich xen Themen schreckten viele die Zuschauer aus der Endlos- Redakteure zurück, sagt der schleife der unbeantworteten ehemalige Direktor des Adolf- Fragen rausschalten. Vorige Wo- Grimme-Instituts. che brachte Plasberg in seiner Gute Filme erfordern zudem Sendung „Hart aber fair“ einen Haltung. Die Journalisten kön- Einspielfilm, in dem Oskar La- nen sich nicht hinter der Pose fontaine denselben Satz sagte, des neutralen Moderators ver- zusammengeschnitten aus vier stecken. Haltung aber ist ge- TV-Auftritten. Die Einspielung fährlich, gerade im Öffentlich- sollte die Floskelhaftigkeit der Rechtlichen. Schon die Porträts Politiker parodieren, aber man der Spitzenkandidaten sind ein konnte sie auch als Persiflage auf Politikum, weswegen sie oft von

den Talkshow-Betrieb sehen. NDR zwei Redakteuren gedreht wer- Bürgerferne ist ein Vorwurf, Dreharbeiten für Steinmeier-Porträt*: Flucht aus der Wortwüste den, einem linken und einem der gern der Politik gemacht rechten. wird, aber es gibt auch die Zuschauerferne konnte der FDP-Chef sich nicht beschwe- Der schlimmste Vorwurf in der öffent- der Sender. Interessant für die Fernseh- ren, neben ihm waren nur Günther Oet- lich-rechtlichen Welt heißt fehlende Aus- chefs ist in diesem Wahlkampf vor allem, tinger von der CDU und der Sozialdemo- gewogenheit. Bollerkopf Nikolaus Bren- was die Konkurrenz treibt. Eigentlich gibt krat Sigmar Gabriel eingeladen. Wester- der hat seine Worte noch nie auf die Gold- es einen Komment unter den Öffentlich- welle saß auf dem Talkshow-Sessel wie auf waage des Parteienproporzes gelegt. Das Rechtlichen, dass man sich zur selben Sen- einem Thron, endlich durfte er sich auch könnte den ZDF-Chefredakteur teuer zu dezeit nicht mit ähnlichen Formaten die mal wie der Chef einer Volkspartei fühlen. stehen kommen. Die Union macht schon Zuschauer abspenstig macht. länger Druck, ihn aus dem Amt zu entfer- Das gilt nun nicht mehr, ausgerechnet in Oben: mit ZDF-Moderator Peter Frey auf dem Gelände nen. Die Entscheidung wurde nur ver- der Politik beginnen die Sender mit einem des Gästehauses der Bundesregierung, Schloss Meseberg schoben. in Brandenburg, am 22. August; unten: mit den NDR- Verdrängungswettbewerb. Nachdem sich Autoren Hans-Jürgen Börner und Tom Ockers in Berlin Auf die Zeit nach der Wahl. das ZDF entschieden hatte, am Abend der am 16. August. René Pfister

der spiegel 37/2009 155