Swr2-Musikstunde-20131011.Pdf
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__________________________________________________________________________ 2 SWR 2 Musikstunde mit Ulla Zierau, 11.10.2013 16‘45 Viva Verdi (5) Operngigant, Bauer, Nationalheld Ich sitze hier und atme so viel Luft, wie ich will, habe aber nichts anders zu bewundern als meine Kühe, Ochsen und Pferde und bin Bauer, Maurer, Schreiner, Packesel, wenn’s nötig ist. Darum addio den Büchern, addio der Musik, es kommt mir vor, als hätte ich die Noten vergessen und verlernt“. Schreibt Verdi mit 67 an seinen Freund Arrivabene. Die letzte Oper, die er zu Papier gebracht hat, war Aida – 1871, für das Opernhaus von Kairo, ein buntes, großartiges Spektakel mit Massenszenen unter freiem Himmel. Für den Tenor ist sie eine echte Herausforderung, kaum ist er auf der Bühne muss er nach zwei Sätzen seine einzige große Arie präsentieren, celeste Aida – er träumt von kriegerischen Ehren und von der Liebe zu der äthiopischen Sklavin Aida. Es ist ein sehr leiser, introvertierter Gesang, ein Traum, der auf einem hohen b endet, aber nicht im Forte, wie meist zu hören, sondern morendo, absterbend. Jonas Kaufmann macht das auf seinem neuen Verdi-Album ganz bezaubernd schön. 1‘15 Musik 1 Giuseppe Verdi: Aida, Arie des Radames / Jonas Kaufmann Orchester der Oper Parma / Pier Giorgio Morandi M0340953 001, 4‘40 Celeste Aida, die Auftrittsarie des Radames aus Verdis Aida mit Jonas Kaufmann und dem Orchester der Oper Parma unter der Leitung von Pier Giorgio Morandi. 3 Mit der Uraufführung der Aida in Kairo, bei der Verdi selbst nicht anwesend ist, manifestiert er nochmals deutlich die Weltgeltung der italienischen Oper und setzt zugleich einen markanten Schlussstrich unter sein Werk. Nein. jetzt will er keine Opern mehr schreiben. Jeden weiteren Auftrag lehnt Verdi entschieden ab. „Je älter ich werde“, sagt er, desto mehr habe ich Lust, nichts zu tun. Genau das Dolcefarniente der Italiener“. Aus einer solchen Muße heraus ist Verdis kammermusikalischer Solitär entstanden, sein einziges Streichquartett. In Neapel wirft er aus einer Laune heraus zu Papier. Für die Aufführung seiner Aida ist er zusammen mit seiner Frau Giuseppina und Freunden angereist und als dann die beiden Hauptdarstellerinnen erkranken, verzögern sich die Proben. Verdi hat viel Zeit und komponiert Kammermusik. Nach der Premiere der Aida lädt er dann Freunde in den Salon des Hotels ein und präsentiert in aller Bescheidenheit seine neue Errungenschaft. „Ich weiß nicht, ob es gut oder schlecht ist, aber ein Quartett ist es!“ so Verdi. Einmal mehr erweist er sich als lyrischer Komponist, aber im Finalsatz zeigt er mit einer markanten Fuge, dass er sein Handwerk beherrscht, was hat man dem 19-jährigen damals am Mailänder Konservatorium vorgeworfen, er kenne die Regeln des Kontrapunkts nicht. Inzwischen hat er sie gelernt! 1‘35 Musik 2 Giuseppe Verdi: Streichquartett e-moll, 4. Satz / Hagen Quartett M0011410 004, 4‘22 Fuge aus dem Streichquartett von Giuseppe Verdi, gespielt vom Hagen Quartett. Sämtliche Kammermusiker sind dankbar, dass Verdi ihnen zumindest eine Originalkomposition hinterlassen hat und sie sich nicht 4 nur mit Bearbeitungen begnügen müssen. Das Streichquartett ist ein erster Schritt heraus aus dem Dunstkreis der Oper, ein zweiter mächtiger soll folgen, die Messa da Requiem. Verdi schreibt sie für den hochverehrten Schriftsteller und geschätzten Menschen Alessandro Manzoni. Den „Heiligen“, nennt er ihn, Manzoni habe den bedeutendsten Roman der Epoche geschrieben, „I Promessi Sposi“, „die Brautleute“, das sei nicht einfach ein Buch, sondern ein Menschheitstrost. Also tiefe Verehrung von Seiten Verdis für den großen Manzoni. Den 80jährigen Schriftsteller besucht Verdi den in Mailand. Am liebsten wäre er vor ihm niedergekniet, gesteht er der Freundin Clara Maffei – ein Jahr nach Manzonis Tod tut er es, er kniet nieder, indem er ihm zum ersten Todestag ein grandioses Requiem schreibt, das zu einer der gewaltigsten Messvertonung des 19. Jahrhunderts wird, und das heute ohne Zweifel in einem Atemzug mit den Requien von Mozart und Brahms genannt wird. Daran ändert auch die abfällige Meinung des glühenden Wagner-Verehrers Hans von Bülow nichts, der behauptet, es handle sich um „eine Oper im Kirchengewande“. Und wer im Tenorsolo, dem Ingemisco, dem Schuldbekenntis und der Bitte um Gnade, wer sich da an der italienischen Schönheit und der Emotionalität stört, dem sei mit dem Wiener Kritiker Eduard Hanslick geantwortet: „Der Italiener hat doch ein gutes Recht zu fragen, ob er denn mit dem lieben Gott nicht Italienisch sprechen könnte“. 1‘50 Musik 3 Giuseppe Verdi: Requiem, Ingemisco Luca Canonici / Orchestre Révolutionnaire et Romantique / John Eliot Gardiner M0048866 008, 3‘24 Eine sehr lyrische Stimme, Luca Canonici mit dem Ingemisco aus 5 Giuseppe Verdis Messa da Requiem. John Eliot Gardiner leitete das Orchestre Révolutionnaire et Romantique. Der originale Untertitel der Totemesse lautet „Per l'anniversario della morte di Alessandro Manzoni“ 22. Mai 1874, also zum ersten Todestag des großen Dichters. In der Kirche San Marco in Mailand findet die Uraufführung statt mit einem Priester, der die Messe still zelebriert. Drei weitere Aufführungen feiert man dann in der Scala. Das Requiem braucht keine Liturgie, es steht losgelöst, vollkommen frei. Giulio Riccordi schickt Verdi mit dem Requiem auf Tournee, nach London, Paris, Wien und zum Rheinischen Musikfest in Köln, wo sich Verdi mit dem deutschen Komponisten Ferdinand Hiller anfreundet. Verdi ist mit dem Erfolg seiner Totemesse, mehr noch mit seiner künstlerischen Entwicklung sichtlich zufrieden. Dem Librettisten des Don Carlos, Camille Du Locle gesteht er, er sei froh nicht mehr „der Hampelmann des Publikums“ zu sein, „der eine große Trommel schlägt und ruft „hereinspaziert, hereinspaziert“. In den Opernzirkusmöchte Verdi nicht zurückkehren. Aber es ist nun nicht so, dass er sich ganz auf sein Landgut zurückzieht, nein er reist viel und präsentiert an zahlreichen Bühnen seine Werke. Man bedenke Opernregisseure gibt es noch keine, der Komponist selbst kümmert sich um die Aufführung. Verdi tut dies mit Leidenschaft, er ist durch und durch ein Theatermensch. Er überarbeitet die Oper Simone Boccanegra und schreibt eine italienische vieraktige Fassung des Don Carlos für Mailand 1‘45. Musik 4 Giuseppe Verdi: Don Carlos, Szene und Arie des Don Carlo, 1. Akt Rolando Villazon / Münchner Rundfunkorchester / Marcello Viotti M9036564 001, 3‘26 6 Rolando Villazon mit der Arie des Don Carlos – Ich habe sie verloren – aus der italienischen vieraktigen Fassung der Oper. Marcello Viotti leitete das Münchner Rundfunkorchester. Mit Aufführungen seiner Opern, ein paar Korrekturen hier, ein paar Veränderungen dort, so könnte Verdi im 71. Lebensjahr seinen Arbeitsalltag verbringen, wenn nicht, ja wenn nicht seinVerleger Giulio Ricordi einen jungen Mann zu Verdi schicken würde, der den Inspirationsquell des Maestros nochmals anzapfen und den Schaffensgeist Verdis ordentlich durcheinander wirbeln soll. Es ist der um 30 Jahre jüngere Arrigo Boito. Zunächst ist Verdi skeptisch, gehört Boito doch zur Scapigliatura, einer norditalienischen Künstlergruppe, die sich gegen gesellschaftlichen Konformismus auflehnt und die künstlerische Freiheit, überhaupt eine Erneuerung der Künste fordert. Außerdem steht sie dem aufkeimenden Verismo, dem italienischen Naturalismus nahe. Dagegen verwehrt sich Verdi ganz entschieden. Berühmt ist sein viel zitierter Ausspruch: „Das Wahre zu kopieren kann gut sein, aber das Wahre zu erfinden ist besser, viel besser... Das Wahre zu kopieren ist Fotografie, keine Malerei.“ Hinzu kommt, dass Boito ein Anhänger Richard Wagners ist, das kann Verdi nun gerade nicht gebrauchen und dennoch entwickelt sich zwischen den beiden eine außerordentliche Zusammenarbeit, ja Freundschaft. Boito hat als Komponist mit seinen Opern Mefistofele und Nerone keinen großen Erfolge erzielt, aber er ist ein brillanter Dichter und Literat und er brennt darauf, für Verdi den Otello zu schreiben. Bald schickt er einen ersten Entwurf nach Sant‘ Agata. Doch Verdi hat gerade anderes zu tun 7 – er wird Großvater, Maria Filomena, die Tochter eines Vetters, die er als sieben-jähriges Mädchen adoptiert hat, bekommt ein Kind, ein Mädchen, Giuseppina heißt es. Da passt der Otello so gar nicht dazwischen. Schließlich setzt sich Verdi doch an den Schreibtisch und antwortet Boito, das ist der Beginn eines umfangreichen Briefwechsels, einer außergewöhnlichen künstlerischen Korrespondenz. Verdi erkennt schnell die literarische Professionalität, Genialität seines neuen Partners und Boito weiß als Komponist die Musik zu schätzen, wenn er schreibt: „unsere Kunst – die Musik - lebt von Elementen, die der gesprochenen Tragödie unbekannt sind. Eine zerstörte Stimmung kann man wieder von neuem schaffen, acht Takte genügen, um ein Gefühl wieder aufleben zu lassen, ein Rhythmus kann eine Figur wieder herstellen. Die Musik ist die allermächtigste der Künste“. 2‘40 Musik 5 Giuseppe Verdi: Otello, Finale des Duetts Desdemona – Otello (1.Akt) Katia Ricciarelli und Placido Domingo, Orchestra dell‘ Academia die Santa Cecilia / Gianandrea Gavazzeni M0053213 009, 2‘11 Un bacio - Katia Ricciarelli und Placido Domingo mit dem Finale des Duetts Desdemona – Otello aus dem ersten Akt der Oper. Gianandrea Gavazzeni leitete das Orchestra dell‘ Academia die Santa Cecilia. Lange Zeit arbeiten Boito und Verdi nur an dem Text des Otello, ohne dass Verdi auch nur eine einzige Note zu Papier bringt. Sollte das ganze Vorhaben doch noch scheitern. Die musikalische Initialzündung löst eine Arie aus, die Boito