Archivbericht

Thomas Menzel

Organisationsgeschichte des Amtes Ausland/ im Spiegel der Aktenüberlieferung im Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i.Br.1

1. Die Situation bei Kriegsende 1918-1919

Der militärische Geheimdienst des Kaiserreiches bestand zum einen in der Abtei- lung III b des Großen Generalstabes und zum andern im Nachrichtendienst des Admiralstabes der Marine. Vor allem die Abt. III b unter der Leitung von Oberst Walter Nicolai2 gewann dabei im Ersten Weltkrieg umfangreiche Befugnisse. Nico- lais Zuständigkeit erstreckte sich nicht nur auf den geheimen Meldedienst und die Spionageabwehr, sondern darüber hinaus auch auf die Pressezensur und die Pro- paganda, sowie die entsprechenden polizeilichen Exekutivorgane3. Die Abt. III b blieb nach dem Waffenstillstand zunächst bestehen, nach Chari- sius/Mader zumindest bis zum 15. Dezember 1918, mit welchem Datum der in der Heimat verbliebene stellvertretende Generalstab aufgelöst wurde, wobei aus des- sen (stellvertretender) Abteilung III b eine »Nachrichtensektion« entstanden sei4. Der Generalstab des Feldheeres (mit der Abteilung III b) wiederum wurde im Februar 1919 mit den Übergangsorganen des ehemaligen stellvertretenden Gene- ralstabes vereinigt und trat damit - zumindest vorübergehend - wieder als Gro- ßer Generalstab auf. In diesem Generalstab, nach Charisius/Mader, gehörte der Abteilung »Fremde Heere« auch eine »Nachrichtengruppe (NG)« an - die bishe- rige Abt. III b. In der Folge wurde aber nun Nicolai zunächst beurlaubt und schließ- lich verabschiedet5.

1 Die Unterlagen des Amtes Ausland/Abwehr befinden sich, soweit in Deutschland über- liefert, im Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i.Br. (BArch) im Bestand RW 5 (OKW/ Amt Ausland/Abwehr). Gegenwärtig läuft eine Überarbeitung dieses Bestandes, für 2009 ist die Herausgabe eines entsprechenden Publikationsfindbuches wie auch dessen Online-Stellung geplant. 2 Personalunterlagen zu Oberst Nicolai (1873-1947) sind im BArch nicht überliefert. 3 Dementsprechend betont Buchheit hierzu, die Abt. III b unter Nicolai im Ersten Welt- krieg habe über weit mehr Macht verfügt, als das spätere Amt Ausland/Abwehr im Zwei- ten Weltkrieg je erlangen konnte; vgl. Gert Buchheit, Der deutsche Geheimdienst. Ge- schichte der militärischen Abwehr, München 1966, S. 31. Vgl. allg. ebd., S. 17-31 und darüber hinaus die mehrbändige Ausarbeitung von Generalmajor Friedrich Gempp über den Geheimen Nachrichtendienst und die Spionageabwehr des Heeres 1866 bis 1918, er- stellt im Auftrag der Abwehr-Abteilung (sog. Gempp-Papiere): BArch, RW 5/40 bis 50, 70 und 654 bis 664. 4 Vgl. Albrecht Charisius und Julius Mader, Nicht länger geheim. Entwicklung, System und Arbeitsweise des imperialistischen deutschen Geheimdienstes, (Ost) 1969, S. 103 5 Vgl. ebd., allerdings geben Charisius/Mader hierzu leider keine Quellen an.

Militärgeschichtliche Zeitschrift 67 (2008), S. 105-136 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam 106 MGZ 67 (2008) Thomas Menzel

2. Der Neuanfang 1919

Bereits am 31. Januar 1919 stellte der Chef des Admiralstabes, Konteradmiral Hans Zenker6, in einem Schreiben an den Chef des Generalstabes der Armee und an den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes fest, dass in Deutschland »nach wie vor« ein starker gegnerischer Erkundungsdienst betrieben würde, der voraussehbar auch bleiben würde. Aus diesem Sachverhalt folgert Zenker das Bedürfnis deut- scherseits nach »energischer, planmäßiger Abwehr«7. Zum gegenwärtigen Zeit- punkt ruhe die Abwehrarbeit »fast ganz«, ihr Wiederaufbau erscheine jedoch un- erlässlich und hierfür sei ein Zusammenwirken von Militär und Zivil, von Generalstab, Admiralstab und Auswärtigem Amt erwünscht8. Zenker lud daher den Generalstab und das Auswärtige Amt zu einer Besprechung am 11. Februar 1919 beim Admiralstab der Marine9. Vom 7. Februar 1919, vermutlich noch vor Kenntnis dieser Einladung, datiert allerdings ein Schreiben des Auswärtigen Amtes an den Admiralstab, in dem dieses mitteilt, es habe Kenntnis davon erhalten, dass die »zahlreichen« deutschen militärischen Agenten in den Niederlanden ihre Tä- tigkeit fortsetzten. Dies sei jedoch ohne militärischen Nutzen und gefährde die Wiederanbahnung normaler politischer Beziehungen zum feindlichen Ausland, ja, es seien bereits Zweifel der USA an der Loyalität der deutschen Politik geäußert worden. Das Auswärtige Amt erwarte daher die Abberufung der Agenten, der Chef des Admiralstabes werde gebeten, in seinem Bereich entsprechend zu han- deln. Von einem gleichlautenden Schreiben an den Chef des Generalstabes ist aus- zugehen10. Am folgenden Tag, dem 10. Februar 1919, erging folgerichtig die Ab- sage des Auswärtigen Amtes an der Teilnahme der vorgeschlagenen Besprechung - »aus politischen Gründen« bestünden »schwerwiegende Bedenken«11. Dennoch fand am 11. Februar 1919 die Besprechung statt - zwischen Vertre- tern des Admiralstabes, des Reichsmarineamtes und des Generalstabes der Ar- mee12 - über deren Verlauf ein erhaltenes Protokoll informiert. Der Admiralstab teilte dabei seine Absicht mit, »bescheiden« in den Niederlanden und in Dänemark Abwehr betreiben zu wollen, allerdings ohne Einrichtung von Außenstellen, le- diglich mit Hilfe von ein bis zwei Agenten. Der Generalstab informierte, er habe die nachrichtendienstliche Tätigkeit wieder aufgenommen und die Aufnahme eines Abwehrdienstes sei beabsichtigt. Er drückte auch sein Unverständnis über die Ab- sage des Auswärtigen Amtes aus und führte an, es läge ein Widerspruch in des- sen Verhalten, da es gleichzeitig weiterhin vom Generalstab Nachrichten einfor- dere.

6 Personalunterlagen zum späteren Admiral Zenker (1870-1932) sind im BArch nicht über- liefert. 7 BArch, RM 3/4207, Bl. 211. 8 Ebd. 9 Vgl. ebd., Bl. 212. 10 Ebd., Bl. 212 f. 11 Ebd., Bl. 213. 12 Teilnehmer waren für den Admiralstab: Kapitän z.S. Ebert, Korvettenkapitän Prieger, Kapitänleutnant Stammer und die Gerichtsassessoren Dr. Schwandt und Dr. Iltgen; für das Reichsmarineamt: Wirkl. Geh. Admiralitätsrat Dr. Felisch und Korvettenkapitän Forstmann; für den Generalstab der Armee: Major Gempp, Major v. Roeder und Haupt- mann Bieler; vgl. ebd., Bl. 214. Organisationsgeschichte des Amtes Ausland/Abwehr im Spiegel der Aktenüberlieferung 107

Als Ergebnis der Besprechung wurde vonseiten des Admiralstabes der Verzicht auf einen sofortigen Wiederaufbau des Abwehrdienstes vorgeschlagen, unter Vor- behalt der Wiederaufnahme nach Überwindung der gegenwärtigen kritischen Phase. Dann sollte auch die Art der Zusammenarbeit mit dem Generalstab erör- tert werden. Zunächst sollte aber das Auswärtige Amt auf die mit diesem Verzicht verbundenen Nachteile aufmerksam gemacht werden. Demgegenüber zeigte sich der Generalstab nur zu einem Verzicht bis zum Zeitpunkt einer Einigung mit dem Auswärtigen Amt bereit. Dieses sollte jedoch über den Verlauf der Sitzung infor- miert werden13. Zunächst richtete sich das geheimdienstliche Wirken von Heer und Marine al- lerdings nach innen, getragen von der Absicht einer Abschottung des Militärs vor den als bedrohlich empfundenen neuen politischen Strömungen. Als Beispiel für eine Realisierung dieser Zielsetzung auch unterhalb der Zentrale im Generalstab und mit Wirkung in den zivilen Bereich hinein, kann der Einsatz des Freiwilligen Landesjägerkorps (-Brigade 16) in Leipzig im Mai 1919 gelten, bei dem durch diesen Verband gezielt verdeckte Überwachung und Erkundung und in der Folge polizeiliche Exekutivmaßnahmen gegenüber Kommunisten und derart Ver- dächtigten eingesetzt wurden, mithin also abwehrpolizeiliche/geheimdienstliche Tätigkeiten ausgeübt wurden14. In einem Bericht über die Erfahrungen während dieses Einsatzes wird vonseiten des Verbandes unter der Rubrik »Nachrichten- dienst« festgestellt, dass sich »gut durchdachte Vorbereitungen« auf einen sicher und rechtzeitig meldenden Nachrichtendienst gründen müssten, »der dauernd über die Regungen und Stimmungen innerhalb aller Kreise der Bevölkerung ori- entiert ist«. Weiter heißt es an dieser Stelle jedoch, dass dies nicht Sache der Truppe sein könne, »vielmehr muss dieser Nachrichtendienst von einer Zentralbehörde (Ministerium oder Reichswehrkommando) aus in großzügiger Weise organisiert werden«15. Man kann letztlich mit Charisius/Mader zumindest insoweit konform gehen, dass von einer »abwehrlosen Zeit« für 1919/20 nicht gesprochen werden kann. Die Mittel waren zwar dramatisch eingeschränkt und die Kompetenzen, ver- glichen mit der Kriegszeit, weitgehend beschnitten, doch betrieben Heer und Marine bereits Anfang 1919 einen zumindest auf das Militär selbst gerichteten Ab- wehrdienst16. Doch auch diese reduzierten Formen eines militärischen Geheim- dienstes erfuhren mit der Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages am 28. Juni 1919 eine existenzielle Gefährdung. Artikel 160 des Friedensvertrages be- stimmte, dass der Große Generalstab und alle ähnlichen Formationen aufzulösen seien und in keiner Gestalt neu gebildet werden durften. War hier auch nicht ex- plizit ein militärischer Geheimdienst verboten worden, so wurde damit dennoch zum einen die bisherige Organisationsform des deutschen militärischen Geheim- dienstes unmöglich gemacht und zum andern war der militärische Geheimdienst in seiner Funktion als dem Generalstab zuarbeitend betroffen. Folgerichtig stellte der Große Generalstab am 1. Oktober 1919 seine Tätigkeit ein - zumindest nach außen hin. Tatsächlich jedoch existierte der Große General-

13 Ebd., Bl. 214-218. 14 BArch, RH 69/51 und 52 (ehemalige Signaturen des Militärarchivs der DDR: R 836 und 837) 15 BArch, RH 69/51, Bl. 5. 16 Charisius/Mader, Nicht länger geheim (wie Anm. 4), S. 103 gegenüber Buchheit, Der deutsche Geheimdienst (wie Anm. 3), S. 32 und 38. 108 MGZ 67 (2008) Thomas Menzel stab - auch personell - als »Truppenamt« im neu eingerichteten Reichswehrminis- terium getarnt weiter. Das Truppenamt übernahm mit den Arbeitsgebieten und Abteilungen des Großen Generalstabes auch den militärischen Geheimdienst17. Entsprechend liefen auch die Bestrebungen nach Wiederaufnahme, bzw. Verbes- serung des militärischen Geheimdienstes weiter. Deutlich wird dies etwa bei der Einrichtung eines Nachrichten- und Erkundungsdienstes bei den bestehenden Truppenverbänden und Freikorps im Herbst 191918. Festzumachen ist dies zum Beispiel an einem Befehl des Reichswehr-Gruppenkommandos 1 vom 21. Novem- ber 1919 an die Wehrkreiskommandos III und IV sowie die Befehlsstellen V und VI. Hierin wird die Einrichtung eines Nachrichtendienstes befohlen und zwar der- gestalt, dass bei sämtlichen Wehrkreiskommandos und Reichswehr-Brigaden »Ab- wehrstellen« einzurichten seien. Als deren Aufgaben werden Grenz-Nachrichten- dienst, die Abwehr feindlicher Spionage, innerer Nachrichtendienst und die Beobachtung der eigenen Truppe angeführt. Gerade in Bezug auf den letzten Punkt wurde auf bestehende Erfahrungen abgezielt, indem die bisherigen Erfahrungen der Truppe in diesem Bereich gemeldet werden sollten. Darüber hinaus wurde die Mitteilung der Namen der eingeteilten Abwehr-Offiziere bis zum 1. Dezember 1919 gefordert19.

3. Die Abwehrgruppe im Truppenamt 1920-1928

Beim Heer erfolgte die Institutionalisierung des wiederbegründeten militärischen Geheimdienstes im Laufe des Jahres 1920. Die neue Dienststelle - faktisch Nach- folgerin der ehemaligen Abt. III b - firmierte unter der Bezeichnung »Abwehr- gruppe« und wurde geleitet von Major Friedrich Gempp20, dem ehemaligen Stell- vertreter Nicolais - damit auch über die personelle Kontinuität die Herkunft dieser Dienststelle deutlich machend. »Abwehr« war ein bewusst gebrauchter Begriff, der die rein defensiven Aufgaben des neuen Dienstes betonen und damit sowohl im Innern - gegenüber Regierung und Parlament - als auch nach außen, in Anbe- tracht der zu erwartenden Aufklärung durch die Dienste der Ententemächte, be- ruhigen, bzw. verharmlosen sollte21. Die Abwehrgruppe gehörte zum getarnten Nachfolger des Großen General- stabes, dem Truppenamt (T)22, und war dessen Heeresstatistischer Abteilung (T 3) angegliedert (als Τ 3 Abw oder Τ 3 A.G.). Die Heeresstatistische Abteilung wiede- rum war der getarnte Nachfolger der ehemaligen - die Erkenntnisse und Mel-

17 Charisius/Mader, Nicht länger geheim (wie Anm. 4), S. 104. 18 Buchheit, Der deutsche Geheimdienst (wie Anm. 3), S. 153. 19 BArch, RH 53-4/212, Bl. 86 (ehemalige Signatur des Militärarchivs der DDR: R 4513); vgl. auch Heinz Höhne, Canaris. Patriot im Zwielicht, München 1976, S. 153. 20 Personalunterlagen zum späteren Generalmajor Gempp (1873-1946) sind im BArch nicht überliefert. 21 Höhne, Canaris (wie Anm. 19), S. 153 f. 22 Das Truppenamt war eine Einrichtung der Heeresleitung, die wiederum, neben der Ad- miralität, zum Reichswehrministerium (ab 1.10.1919) zählte; vgl. Rudolf Absolon, Die Wehrmacht im Dritten Reich, Bd 1: 30. Januar 1933 bis 2. August 1934, Boppard a.Rh. 1969, S. 226-228. Orgariisationsgeschichte des Amtes Ausland/Abwehr im Spiegel der Aktenüberlieferung 109

düngen von III b auswertenden - Abteilung Fremde Heere. Der organisatorische Zusammenhang war damit im Prinzip derselbe wie im vergangenen Krieg. Die Abwehrgruppe umfasste nach Buchheit zunächst nur zwei bis drei Generalstabs- offiziere, fünf bis sieben ehemalige Offiziere als Angestellte und einige Schreib- kräfte. Gegliedert war sie in zwei Referate - West und Ost. Ihr Auftrag erstreckte sich zunächst vor allem auf die Abwehr feindlicher Spionage und Sabotage. Die Beschaffung von Nachrichten aus dem Ausland trat demgegenüber, auch mangels Mittel und Möglichkeiten zu Aufbau und Unterhalt eines Agentennetzes, zu- rück23. Im Sommer 1920 bezog Gempp mit seinen Leuten den 3. Stock von Haus 72-76 am Tirpitzufer in Berlin, früher Sitz des Reichsmarineamtes, jetzt des Reichswehr- ministeriums. Aufgaben und Zuständigkeiten der Abwehrgruppe regelte eine Ver- fügung des Reichswehrministers vom 17. Mai 192024. Eine Anweisung des Chefs der Heeresleitung vom 26. Juli 1920 schrieb darüber hinaus der Abwehrgruppe die Zuständigkeit für Bearbeitung und Leitung der militärischen Spionagebekämp- fung zu25. Erster Chef der Heeresstatistischen Abteilung war Major v. Rauch. Dieser war auch letzter Chef der Abt. Fremde Heere des Großen Generalstabes gewesen - auch hier zeigt die personelle Kontinuität die Herkunft der Dienststelle an. Rauch wurde im Juni 1920 abgelöst durch Major Friedrich von Boetticher26. Nach einer Aussage Boettichers hat die Abwehrgruppe der Heeresstatistischen Abteilung »zwar nicht unterstanden, [sei] dieser aber doch >in etwas unklarer Form angegliedert« gewe- sen27. Wie dargestellt existierten bereits seit Ende 1919 Außenstellen unter der Be- zeichnung »Abwehrstellen« (Kurzform »Asten«). Diese Abwehrstellen waren in der Regel eingebunden in höhere Kommandostäbe, die Leiter der Abwehrstellen waren in diesen Fällen zugleich Angehörige der entsprechenden Stäbe. Während die Abwehrgruppe zunächst vor allem eine gewissermaßen innen- politische Sicherungsfunktion für die Reichswehr wahrnahm, die Abwehr feind- licher Einflüsse auf das Heer, wechselte Gempp Mitte der 1920er Jahre diesen Schwerpunkt und konzentrierte die Arbeit der Abwehrgruppe zunehmend auf die eigentlichen geheimdienstlichen Arbeitsfelder - Erkundung und Spionage.

23 Buchheit, Der deutsche Geheimdienst (wie Anm. 3), S. 33; und Höhne, Canaris (wie Anm. 19), S. 154. 24 Höhne, Canaris (wie Anm. 19), S. 154. Auf die genannte Verfügung bezieht sich ein Schreiben des Wehrkreiskommandos IV, Abt. Ia Nachrichten, an das Reichswehr-Grup- penkommando 1 und die Reichswehr-Brigaden 4,12,16 und 19 vom 15.9.1920 über den » Nachrich tendienst im 100 000-Mann-Heer«. Die Verfügung vom 17.5.1920 wird als nach wie vor maßgeblich bezeichnet. Die Truppen-Befehlshaber hätten sich dauernd über die innenpolitische Lage zum Schutz des Heeres gegen Überraschungen auf dem Laufenden zu halten. Darüber hinaus wird hierbei auf eine Verfügung des Reichswehr-Gruppen- kommandos 1 vom 24.8.1920 verwiesen, der zufolge die Unterhaltung eigener bezahl- ter Agenten verboten sei, wogegen insbesondere untere Stellen mehrfach verstoßen hät- ten, was zukünftig zu unterbinden sei; vgl. BArch, RH 53-4/216, Bl. 266 (ehemalige Signatur des Militärarchivs der DDR: R 4517). 25 Charisius/Mader, Nicht länger geheim (wie Anm. 4), S. 104. 26 Manfred Kehrig, Die Wiedereinrichtung des deutschen militärischen Attachedienstes nach dem ersten Weltkrieg 1919-1933, Köln 1966, S. 39. 27 Ebd. Kehrig zitiert hier ein Schreiben v. Boettichers an ihn vom 7.2.1964. Boetticher wie- derum wurde im Herbst 1924 abgelöst von Oberst Liebmann, dem 1928 Oberst Küh- lenthal folgte; vgl. ebd., S. 41. 110 MGZ 67 (2008) Thomas Menzel

Zu diesem Zweck führte er eine Neuorganisation der Abwehrgruppe durch. Der genaue Zeitpunkt konnte nicht eruiert werden, doch Mitte der 1920er Jahre nahm die Abwehrgruppe eine neue Einteilung in drei Untergruppen ein: Abwehr I Erkundung Abwehr II Chiffrier- und Funkhorchdienst Abwehr III Spionageabwehr28. Zu diesem Zeitpunkt begannen einzelne - grenznahe - Abwehrstellen nun auch Verbindungen ins Ausland einzurichten, zum Zweck des Aufbaus eines nachrich- tendienstlichen Informantennetzes im Ausland, insbesondere im Osten29. Gempp selbst jedoch wurde 1926 unter Beförderung zum Generalmajor abgelöst durch Oberstleutnant Günther Schwantes30. Neben der Abwehrgruppe des Heeres bestand bei der Marine zumindest bis 1926 eine Abwehr und Nachrichtendienst vereinigende Abwehrgruppe innerhalb der Flottenabteilung, dem getarnten Admiralstab. Die Marine verfügte auch noch über funktionierende Fernverbindungen zur Erkundung im Ausland, darüber hi- naus waren allerdings auch Stellen außerhalb der neuen Reichsmarine für diese geheimdienstlich tätig - bei zum Teil nur loser Führung durch Marine-Komman- dostellen31. Der vorläufige Geschäftsverteilungsplän der Admiralität32 vom 1. Ok- tober 1919 nennt innerhalb des Marine-Kommando-Amtes (A) in der Flotten-Ab- teilung (A II) die Gruppe A II k, zuständig für die Sammlung von Nachrichten über fremde Marinen33. Im Zuge der publizistisch-journalistischen Beschäftigung mit den geheimen Unternehmungen der Marine und ihren geheimdienstlichen Struk- turen erfolgte 1926 eine Aufteilung der Marine-Abwehrgruppe34. Die Gesamt-Zu- ständigkeit lag auch weiterhin im Marine-Kommandoamt innerhalb der Flotten- abteilung. Im Einzelnen verteilten sich die Zuständigkeiten jetzt jedoch folgendermaßen: - Gruppe A II k (Fremde Marinen): insgesamt sieben Referate, mit einem Referat (Ref. 6) für »Erkundungen; Prüfung von Weyers >Taschenbuch der Kriegsflot- ten^, also für den Erkundungsdienst

28 Höhne, Canaris (wie Anm. 19), S. 154 f., und Buchheit, Der deutsche Geheimdienst (wie Anm. 3), S. 33. Höhne zitiert dabei Buchheit, dieser gibt jedoch leider keine Quellen hier- für an. Dass die beschriebene Einteilung eingenommen wurde, ergibt sich allerdings auch aus den späteren Organisationsmaßnahmen. 29 Höhne, Canaris (wie Anm. 19), S. 155. 30 Ebd. und Buchheit, Der deutsche Geheimdienst (wie Anm. 3), S. 36. Personalunterlagen zu Oberstleutnant Schwantes (1881-1942) sind im BArch nicht überliefert. 31 Buchheit, Der deutsche Geheimdienst (wie Anm. 3), S. 38 und Charisius/Mader, Nicht länger geheim (wie Anm. 4), S. 104. Als ein Beispiel für »aus dem Ruder gelaufene« ver- deckte Unternehmungen im Umfeld der Reichsmarine sei hier nur auf die Vorgänge und Enthüllungen im Zuge der sog. Lohmann-Affäre verwiesen. 32 Eingerichtet mit Erlass vom 21.3.1919 als Nachfolgerin des am 15.7.1919 aufgelösten Ad- miralstabes der Marine und am 15.9.1920 umbenannt in Marineleitung. 33 Vgl. den Vorläufigen Geschäftsverteilungsplän der Admiralität vom 1.10.1919, veröffent- licht im Marine-Verordnungsblatt Nr. 32 (Anlage) vom 1.10.1919, in: BArch, RMD 1/51 (1919). 34 Vgl. allg. hierzu die Vorgänge im Umfeld der sog. Lohmann-Affäre. Ein späterer Bericht der Marineleitung spricht hierbei von einer Aufteilung zur bewussten Verschleierung der geheimdienstlichen Strukturen, da die bisherige Struktur »kompromittiert« sei; BArch, RM 20/890, Bl. 289. Organisationsgeschichte des Amtes Ausland/Abwehr im Spiegel der Aktenüberlieferung 111

- Gruppe A II m (Bereitschaft): insgesamt vier Referate, mit einem Referat (Ref. 2) für die »Abwehr«, einem weiteren (Ref. 3) für den »Schutz militärischer Geheim- nisse« und einem (Ref. 4) für »Passangelegenheiten«, lediglich das Referat 1 die- ser Gruppe war tatsächlich für die namensgebenden Fragen der »Bereitschaft« (Mobilmachung) zuständig - Gruppe A II η (Auslands-Nachrichtendienst): wobei Angaben zum Aufbau hier nicht gemacht werden35.

4. Die Abwehr-Abteilung 1928-1934

Am 30. März 1928 erging ein Erlass des Reichswehrministers zur Bildung der »Ab- wehr-Abteilung« mit dem 1. April 1928. Hierzu sollte die Abwehrgruppe des Heeres vereinigt werden mit den für Spionageabwehr, Auslands-Nachrichten- dienst und geheimen Nachrichtendienst tätigen Stellen der Marine. Die neue Ab- wehr-Abteilung war dem Reichswehrminister unmittelbar unterstellt, die Leitung erhielt Oberstleutnant Schwantes, der »baldigst« einen Org'anisationsplan zur Per- sonalersparnis vorzulegen hatte. Der Erlass bestimmte ausdrücklich, dass die Ab- wehr· Abteilung »die alleinige Nachrichtenbeschaffungsstelle« des Reichswehrmi- nisteriums und die Zentrale der gesamten Spionageabwehr für Heer und Marine sei, der alle Abwehrstellen von Heer und Marine unterstellt seien. Bei entschei- denden Fragen sei die Zustimmung des Chefs der Wehrmacht-Abteilung einzu- holen, der auch zu Vorträgen beim Reichswehrminister zuzuziehen sei. Vortrag und Bearbeitung der gewonnenen Nachrichten sei allein Aufgabe der ressortmä- ßig zuständigen Stellen von Heer und Marine, die Wünsche von Truppenamt und Marinekommandoamt blieben maßgeblich. Dass die ehemaligen Marine-Stellen räumlich in die unmittelbare Nähe (in dasselbe Gebäude) der bisherigen Abwehr- gruppe umzuziehen hatten, macht vollends deutlich, neben der Person des Leiters, dass hier der Nachrichtendienst des Heeres den der Marine übernahm. Der Erlass setzte als Abschlusstermin für Umzug und Vereinigung den 15. April 1928 fest36. Organisatorisch trat damit neben die bisherigen Abwehr-Untergruppen, jetzt Gruppen I, II und III eine zusätzliche Marine-Gruppe. Leiter Abwehr I war Major Grimmeiß, Leiter Abwehr III Major Himer, der Leiter Abwehr II zu diesem Zeit- punkt ließ sich nicht ermitteln. Für die Marine-Gruppe nennt Buchheit die Fregat- tenkapitäne Gotting, Patry und Fleischer37.

35 Ebd., Bl. 288-292 sowie den Geschäftsverteilungsplan der Marineleitung vom 9.8.1926; RM 6/407, S. 36-38 36 BArch, Ν 42/45, Bl. ll-12a. 37 Hierzu Buchheit, Der deutsche Geheimdienst (wie Anm. 3), S. 34. Personalunterlagen zu Fregattenkapitän Patry sind im BArch nicht überliefert. In den Personalunterlagen zum späteren Generalleutnant Kurt Himer (1888-1942): BArch, Pers 6/2552, dem späteren Vi- zeadmiral Friedrich Gotting (1886-1946): BArch, Pers 6/2374, und dem späteren Admi- ral Friedrich Wilhelm Fleischer (geb. 1890): BArch, Pers 6/2286, sind keine Hinweise auf die Abwehr enthalten, im Falle Fleischers findet sich zumindest eine Zugehörigkeit zur Marineleitung vom 29.9.1927 bis zum 29.8.1930 belegt (als Dezernent in der Wehrabtei- lung). In den Personalakten des späteren Generals der Artillerie Maximilian Grimmeiß (1893-1972) ist die Zugehörigkeit zum Reichswehrministerium (T 3 und Abwehr) vom 1.10.1927 bis zum 31.3.1931 vermerkt; vgl. BArch, Pers 6/168. 112 MGZ 67 (2008) Thomas Menzel

Eine Anweisung der neuen Ab wehr-Abteilung vom 23. Juli 1928 regelte sodann den »Dienstbetrieb bei den Kommandobehörden«. Die bei den Kommandobehör- den befindlichen Referate für innere Politik, Presse und Fremde Armeen (Ic-Refe- rate) einerseits und die Referate für den geheimen Meldedienst und die Spiona- geabwehr (A.O./Abwehr-Offizier) andererseits waren künftig zu vereinen und Offizieren des Führerstabes (Generalstabes) zu übertragen. Bei den Gruppenkom- mandos waren nun nur noch Referate Ic vorgesehen, die Abwehrstelle Kassel beim Gruppenkommando 2 war zum 1. Oktober 1928 aufzulösen. Bei den Stäben der 2. bis zur 7. Division waren die Arbeitsgebiete des Ic-Offiziers und des A.O. zu ver- einen, unter einem Führerstabsoffizier Ic/A.O. Dies war organisatorisch mit dem jeweils nächsten Wechsel in einer der beiden Stellungen durchzuführen. Darüber hinaus wurde unter Bezug auf eine Anweisung vom 11. Juli 1928 erneut die Ein- richtung von Abwehrstellen bei den Kommandos der Stationen der Ostsee und der Nordsee, sowie eines A.O. beim Flottenkommando befohlen. Die Anweisung be- schreibt weiter die Aufgaben und Zuständigkeiten der erweiterten Ic/A.O.-Refe- rate und regelt die Unterstellungsverhältnisse. Demnach unterstanden die Führer- stabsoffiziere Ic/A.O. und die A.O. persönlich und disziplinar und hinsichtlich ihrer Heranziehung zur Ausbildung im Dienst als Führerstabsoffiziere, zu Besich- tigungen usw. der jeweiligen Kommandobehörde, so wie auch die übrigen Offi- ziere dieser Stäbe. Zugleich bestanden gegenüber den Ic/A.O. und A.O. unmittel- bare Befugnisse des Leiters der Abwehr-Abteilung hinsichtlich Auftragserteilung und Geldeinsatz im geheimen Meldedienst, Beorderung zu Reisen und besonde- ren Besprechungen und des Einsatzes als militärische Sachverständige vor Gericht sowie der Erteilung von einheitlichen und grundlegenden Anweisungen im Melde- und im Abwehrdienst. Die Kommandobehörden ihrerseits wurden gebeten, die Ic/A.O. und A.O. mit entsprechenden Aufträgen zu versehen oder sich direkt an die Abwehr-Abteilung zu wenden. Im Weiteren wurden der Personaleinsatz, die räumliche und materielle Ausstattung, Briefverkehr und Dienstbetrieb geregelt. Die Ic/A.O. und A.O.-Führerstabsoffiziere wurden den Kommandobehörden vom Personalamt überwiesen. Vor Dienstantritt erhielten sie eine eingehende Ausbil- dung. Aufgrund der »Wichtigkeit« dieser Stellungen seien hierfür Persönlichkeiten gefordert, »die Aussicht bieten, in bevorzugten Führerstabsstellen verwendet wer- den zu können«38. Eine Anlage zählt dabei für die bestehenden Kommandobehörden die bearbei- tenden Führerstabsoffiziere Ic und A.O. auf und nennt die Bezeichnungen der Ab- wehrstellen im inneren Verkehr und im Verkehr mit Polizei und Gerichtsbehör- den, sowie die territorialen Zuständigkeiten der Abwehrstellen.

38 BArch, RW 5/279, Bl. 42^5; Zitat ebd., Bl. 44v-45. Organisationsgeschichte des Amtes Ausland/Abwehr im Spiegel der Aktenüberlieferung 113

Kommando- Ic A.O. Bezeichnung Territoriale Zuständigkeit behörde der Abwehrstelle Gruppen- nach Weisung Chef entfällt entfällt (gemäß 3. Div.) kommando 1 Führerstab Gruppen- nach Weisung Chef entfällt entfällt (gemäß 5. Div.) kommando 2 Führerstab 1. Division Ic A.O. Ast Königsberg Territorialer Bereich des Wehrkreiskommandos I 2. Division Ic/A.O. Ast Stettin Territorialer Bereich des Wehrkreiskommandos II 3. Division Ic/A.O. Ast Berlin Territorialer Bereich des Wehrkreiskommandos III 4. Division Ic/A.O. Ast Dresden Territorialer Bereich des Wehrkreiskommandos IV 5. Division Ic/A.O. Ast Stuttgart Territorialer Bereich des Wehrkreiskommandos V und der 3. Kav.Div. 6. Division Ic/A.O. Ast Münster Territorialer Bereich des Wehrkreiskommandos VI 7. Division Ic/A.O. Ast München Territorialer Bereich des Wehrkreiskommandos VII 1. Kavallerie- nach Weisung Chef entfällt entfällt (gemäß 3. Div.) Division Führerstab 2. Kavallerie- nach Weisung Chef A.O. Ast Breslau Territorialer Bereich der Division Führerstab 2. Kav.Div. 3. Kavallerie- nach Weisung Chef entfällt entfällt (gemäß 5. Div.) Division Führerstab Flotte nach Weisung A.O. A.O. Flotte Flotte, ohne Marineteile an zuständige Land Kommandobehörde Stations- nach Weisung A.O. Ast Wilhelms- Nordsee und deren kommando zuständige haven Küstenstandorte Nordsee Kommandobehörde Stations- nach Weisung A.O. Ast Kiel Ostsee und deren kommando zuständige Küstenstandorte Ostsee Kommandobehörde

Der angeführte Zustand war zu diesem Zeitpunkt angestrebt, aber - wie eigens vermerkt ist - noch nicht im Einzelnen bereits überall umgesetzt39. Mit einer Organisationsänderung des Reichswehrministers vom 21. Februar 1929 änderte sich die unmittelbare Unterstellung der Abwehr-Abteilung unter den Reichswehrminister. Mit dem 1. März 1929 wurden die bisher dem Reichswehr- minister unmittelbar unterstellten Organe und Abteilungen, mit Ausnahme der Haushaltsabteilungen von Heer und Marine, zum neuen »Ministeramt« vereinigt. Damit unterstand die Abwehr-Abteilung nicht mehr dem Reichswehrminister un- mittelbar, sondern dem Chef des neuen Ministeramtes, Generalmajor Kurt von

39 Ebd., Bl. 47 114 MGZ 67 (2008) Thomas Menzel

Schleicher40. Ende des Jahres 1929 wurde Schwantes als Leiter der Abwehr-Abtei- lung durch Oberst Ferdinand von Bredow ersetzt41. Dieser wiederum drängte an- gesichts der anhaltenden Schwierigkeiten, die der seit dem 16. April 1928 amtie- rende Leiter der Marine-Gruppe, Fregattenkapitän Karl Wollanke, der sich der Zusammenarbeit mit dem Heer soweit als möglich entzog, bereitete, die Marine- leitung dazu, einen geeigneteren Nachfolger zu bestellen. Neuer Leiter der Ma- rine-Gruppe in der Abwehr-Abteilung wurde daher am 17. Oktober 1929 Fregat- tenkapitän Conrad Patzig42. Mit der Übernahme des Reichswehrministeriums durch Schleicher erfolgten im Sommer 1932 weitergehende personelle Veränderungen. Bredow folgte als Chef des Ministeramtes Schleicher nach und schlug seinerseits Patzig als neuen Leiter der Abwehr-Abteilung vor. Mit dem 6. Juni 1932 trat Patzig sein neues Amt an - die Nachfolgeeinrichtung des Heeres-Nachrichtendienstes stand damit unter dem Befehl eines Marineoffiziers, was prompt zu Schwierigkeiten mit den Heeresoffi- zieren der Abteilung führte, die erst nach Einwirken des Chefs des Truppenamtes, General Ludwig Beck, behoben werden konnten43. Höhne betont, erst unter dem Organisationstalent Patzig habe die Abwehr-Ab- teilung eine Entwicklung zum »vollen militärischen Aufklärungsdienst« und dazu eine deutliche Ausdehnung erfahren. Analog zur Reichswehr insgesamt stand nach Höhne auch die Abwehr zur Jahreswende 1932/33 als Kaderorganisation mit der Möglichkeit zu einer schnellen Verdreifachung zur Verfügung44. Der Regierungsantritt Hitlers am 30. Januar 1933 war zunächst ohne Auswir- kung auf die bereits in verdeckter Ausdehnung begriffene Abwehr-Abteilung. Von Bedeutung für die weitere Entwicklung war jedoch die Einrichtung einer Auslandsabteilung im Wehrmachtamt am 12. Februar 193445.

40 BArch, Ν 42/45, und BArch, RH 8-1/898. Personalunterlagen zu Generalmajor v. Schlei- cher (1882-1934) sind im BArch nicht überliefert, allerdings ein Nachlass: Ν 42. 41 Personalunterlagen zum späteren Generalmajor v. Bredow (1884-1934) sind im BArch nicht überliefert, allerdings ein Nachlass: Ν 97. 42 Höhne, Canaris (wie Anm. 19), S. 156, und insbesondere Patzig selbst in BArch, MSg 1/1948 (Befragung Patzigs im MGFA am 18./19.1.1966). Beachte auch die Personal- akte des späteren Vizeadmirals Patzig (1888-1975), BArch, Pers 6/2304 und die Perso- nalunterlagen zum späteren Kapitän zur See Wollanke (1884-1968), BArch, Pers 6/2439. Diese vermerken jedoch nur seine Zugehörigkeit zur Abwehr-Abteilung ab dem 16.4.1928 und seine Einsetzung als Kommandant der Befestigungen an der Ems-Mündung zum 12.11.1929. 43 BArch, MSg 1/1948. Patzig nennt hier selbst Beck, wohingegen Höhne dieses Einwirken General Adam zuschreibt. Patzig erklärt dabei auch, er habe zu diesem Zeitpunkt be- reits das Kommando über die »KÖLN« »in der Tasche« gehabt, habe jedoch gegen seinen Willen hierauf verzichten müssen, da die Marine wünschte, mit einem Abteilungsleiter im Ministeramt vertreten zu sein. 44 Höhne, Canaris (wie Anm. 19), S. 157. 45 Rudolf Absolon, Die Wehrmacht im Dritten Reich, Bd 3: 3. August 1934 bis 4. Februar 1938, Boppard a.Rh. 1975, S. 142. Er zitiert hier: Amtliche Nachrichten für die Stellen des Reichswehrministeriums (AN) 1934 Nr. 497; in BArch, RWD 2/9. Aus dieser Stelle geht jedoch lediglich hervor, dass sich bei der Abt. Ausland ein Referat für Kriegsvölkerrecht befand und zwar offenbar bei einer Gruppe Ausland VI. Aufgeführt wird die Abt. Aus- land im Wehrmachtamt auch im Verteiler eines Erlasses des Reichswehrministers vom 15.2.1934; vgl. ebd. Organisationsgeschichte des Amtes Ausland/Abwehr im Spiegel der Aktenüberlieferung 115

5. Die Abwehr-Abteilung 1935-1938

Langfristig war auf der Position des Leiters der Abwehr-Abteilung hinreichende Anpassung an das neue Regime und seine Machthaber gefragt, doch hierzu war Patzig nicht in der Lage. Unter dem neuen Reichswehrminister General und dem ebenfalls neuen Chef des Ministeramts Oberst Walter von Reichenau46 war ein Abwehrchef mit kaum verhohlener innerer Distanz zum herr- schenden Regime auf Dauer nicht tragbar. Nach verschiedenen Streitfällen mit SD und Gestapo - Patzig: »Mit Blomberg hatte ich unentwegt Schwierigkeiten. Er war absolut hitlerhörig« und »Auch mit Heydrich gab es immer wieder Trouble«47 - ließ Blomberg nach ab Oktober 1934 zunehmenden Vorwürfen gegen Patzig von Seiten der SS und der NSDAP seinen unbequemen Abwehrchef fallen48. Mit dem 2. Februar 1935 trat als neuer Abteilungschef Kapitän zur See Wilhelm Canaris Pat- zigs Nachfolge an49. Die Abwehr-Abteilung war zu diesem Zeitpunkt folgender- maßen gegliedert: Gruppe I Erkundung (Geheimer Meldedienst) Gruppe II Chiffrier- und Funkhorchdienst Gruppe III Spionageabwehr Gruppe V Marine Gruppe VI Luftwaffe50. Anfang Juni 1935 wurde im Reichskriegsministerium (ab 21. Mai 1935) neu das Zentral-Archiv eingerichtet, das wiederum der Gruppe III der Abwehr-Abteilung angegliedert wurde51. Seine Aufgaben erstreckten sich von der Personalüberprü- fung im Reichskriegs- und im Reichsluftfahrtministerium mit Führung einer ent- sprechenden Kartei bis zur Bearbeitung von Verrats-, Verlust- und Spionagefällen und entsprechender Unterstützung der Polizei bei Korruptionsfällen. Mindestens seit dem 1. November 1935 bestand in der Gruppe I die Untergrup- pe S für Sabotageaufgaben (1. November 1935 Übernahme von IS durch Major Helmuth Groscurth52). Diese Untergruppe I S wurde später zur eigenständigen Gruppe VII erhoben53.

46 Vgl. auch die entsprechenden Personalakten zu Blomberg (1878-1946): BArch, Pers 6/1, und Reichenau (1884-1942): BArch, Pers 6/13. 47 BArch, MSg 1/1948, S. 2 f. 48 Ebd., S. 4 ' 49 Vgl. die Personalakte des späteren Admirals Canaris (1887-1945): BArch, Pers 6/105, und zur Amtsübergabe die entsprechenden Erinnerungen Patzigs in: BArch, MSg 1/1948. 50 Existenz und Zuständigkeit der Gruppen V und VI erschließen sich aus den folgenden organisatorischen Maßnahmen und den Kompetenz Verteilungen in der späteren Ab- wehrabteilung I (siehe Anm. 55). Die Einrichtung einer Abwehrgruppe für die Luftwaffe ist zeitlich im Umfeld der Errichtung des Reichsluftfahrtministeriums anzusetzen, aber vor Aufwertung der Untergmppe I S zur Gruppe VII (siehe Anm. 53). 51 Vgl. eine entsprechende Mitteilung des Reichskriegsministers an die Staatspolizeileit- stelle Berlin vom 3.6.1935 in: BArch, BEF 2428. 52 Helmuth Groscurth, Tagebücher eines Abwehroffiziers 1938-1940. Mit weiteren Doku- menten zur Militäropposition gegen Hitler. Hrsg. von Helmut Krausnick und Harold C. Deutsch unter Mitarb. von Hildegard von Kotze, Stuttgart 1970, S. 100 (nachträglicher Eintrag, vermutlich,aus dem Jahr 1939, für den Zeitraum 15.4.1935 bis 1.6.1938; vgl. die entsprechende Erläuterung ebd., S. 100 f.). 53 Ebd., S. 101, und Bohumil Bilek, Fifth column at work, London 1945, S. 79. Groscurth nennt in seinem Tagebuch selbst kein Datum für die Errichtung der Gruppe VII, es heißt 116 MGZ 67 (2008) Thomas Menzel

Im Zuge der Aufstellung des XI. und XII. Armeekorps wurden entsprechend auch zwei weitere Abwehrstellen eingerichtet. Mit Schreiben vom 8. Februar 1936 bestimmte Canaris, dass die Ast Kassel die neue Ast Hannover, sowie die Ast Mün- chen die neue Ast Nürnberg federführend aufzustellen hatten54. Der Verteiler des- selben Schreibens nennt als Abwehrgruppen: I, II, III, V, VI und Z, sowie als Ab- wehrstellen: Kassel, München, Ost (»Asto«, d.i. Königsberg), Stettin, Berlin, Dresden, Stuttgart, Münster, Breslau, Hamburg, Lindau, Wilhelmshaven und Kiel. Eine weitere Anweisung des Chefs der Abwehr-Abteilung vom 9. September 1936 zur »Organisation des geheimen Melde-Dienstes« änderte den Gruppenzuschriitt55. Aus der Untergruppe V b wurde eine neue Gruppe IV gebildet, die Untergrup- pe V a wurde aufgewertet zur neuen Gruppe V. Zugleich wurde festgelegt, dass ab 1. Oktober 1936 die Gruppen V (Marine) und VI (Luftwaffe) der Gruppe I un- terstehen sollten. Die Gruppe I sollte ab diesem Zeitpunkt als Führungsgruppe den geheimen Meldedienst insgesamt koordinieren. Der Verteiler dieses Schreibens nennt als Abwehr-Gruppen ebenfalls I, II, III, V, VI und Z. Darüber hinaus wird die Ast Kassel als zuständig auch für Wiesbaden und Hannover bezeichnet und eine »Stelle« Bremen genannt. Der Gruppenzuschnitt stellt sich damit ab dem 1. Oktober 1936 folgendermaßen dar: Gruppe Ζ Gruppe I Führungsgruppe Geheimer Meldedienst; Heer Gruppe II Chiffrier- und Funkhorchdienst Gruppe III Spionageabwehr Gruppe IV Marine-Etappendienst Gruppe V Marine Gruppe VI Luftwaffe. Bedingt zum einen durch das Bestreben von SS-Gruppenführer Reinhard Heyd- rich, Chef von SD, Sicherheitspolizei und Gestapo, eigene Kompetenz auf dem Feld des militärischen Auslandsnachrichtendienstes zu erlangen mit dem Ziel eines nachrichtendienstlichen Monopols unter seiner Führung, und zum andern durch die Tatsache, dass die Abwehr-Abteilung letztlich über keine eigenen Exekutivor- gane verfügte und die Gestapo scharf darauf bedacht war, dass ihre entsprechende Zuständigkeit nicht beeinträchtigt wurde, kam es zunehmend zu Reibereien. Der Versuch, diese durch klare Kompetenzabsprachen zu beenden, führte am 21. De- zember 1936 zur Aufstellung von Grundsätzen für die Zusammenarbeit zwischen Gestapo und Abwehr. Diese Grundsätze firmierten unter den Beteiligten als die

bei ihm lapidar: »Die Untergruppe wurde später Gruppe VII, am 1.6.1938 wurde die Gruppe Abwehrabteilung II.«, in: Groscurth, Tagebücher (wie Anm. 52), S. 101. Als Zeit- raum der Veränderung ist daher 1.11.1935 bis 12.10.1937 (Auflösung der Gruppe II; siehe Anm. 62) anzusetzen. 54 BArch, RW 5/763 (ehemalige Signatur des NS-Archivs des MfS: FW 757 A.08). Zu den Hintergründen des NS-Archivs des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, seine Struktur und den Umgang mit seinen Unterlagen nach 1990 Sabine Dumschat, Aufar- beitung des »NS-Archivs« des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR im Bundesar- chiv. Vortrag auf dem 75. Deutschen Archivtag in Stuttgart am 28.9.2005 auf der Sitzung der Fachgruppe 1 (Archivare an staatlichen Archiven); ergänzte Fassung, unter http:// www.bundesarchiv.de/aufgaben_organisation/abteilungen/reich/00381/index.html so- wie Dagmar Unverhau, Das »NS-Archiv« des Ministeriums für Staatssicherheit. Stati- onen einer Entwicklung. Archiv zur DDR-Staatssicherheit, Bd 1, 2. Aufl., Münster 2004. 55 BArch, RW 5/197, Bl. 166-172. Organisationsgeschichte des Amtes Ausland/Abwehr im Spiegel der Aktenüberlieferung 117

»10 Gebote« und wurden unterzeichnet von Canaris und Werner Best, dem Stell- vertreter Heydrichs in der Leitung der Gestapo56. Im Wesentlichen sahen die »10 Gebote« folgende Aufteilung vor: - der Abwehr oblag der militärische Geheime Meldedienst und die Gegenspio- nage (Erkundung gegnerischer militärischer Nachrichtendienste), - der Gestapo oblag die Abwehrpolizei (Erforschung entsprechender Handlungen und Fahndung) - beide Seiten sollten der jeweils anderen ihre Erkenntnisse mitteilen - die Angelegenheiten des Geheimen Meldedienstes und der Gegenspionage er- hielten den Vorrang vor denen der Abwehrpolizei zugesprochen. Die oben erwähnte Anweisung vom 9. September 1936 machte es der neuen Füh- rungsgruppe I und den beiden nachgeordneten Gruppen V und VI zur Aufgabe, »vordringlich« einen einheitlichen »Spannungsdienst« (Informationszuträger im Ausland für den Spannungs- und Konfliktfall) und eine gemeinsame »Kriegsor- ganisation« für die drei Wehrmachtteile zu schaffen57. Nach Aussage Bentivegnis58 vor sowjetischen Untersuchungsorganen vom 7. August 194559, erfolgte tatsäch- lich in den Jahren 1936/37 die Einrichtung der sogenannten Kriegs-Organisationen (KO). Dies waren »Organe der deutschen Militäraufklärung« (Bentivegni), drei bis fünf Mann stark und getarnt in das Personal diplomatischer oder konsularischer Missionen eingebaut. Zu Kriegsbeginn bestanden KO in den Niederlanden, in der Schweiz, in Norwegen, Spanien, Jugoslawien, Finnland und Litauen, dazu in Bel- gien und Griechenland. Nach Kriegsbeginn kamen KO hinzu in der Türkei, im Iran, in Rumänien (»Olschutzorganisationen«), in Portugal, Schweden, Bulgarien, Afghanistan und in China mit Mandschukuo (»KO Ferner Osten«)60. Am 29. November 1937 wurde in der Auslandsabteilung eine neue Gruppe für militärische und wehrpolitische Fragen des Auslandes zur TJnterrichtung der Wehrmachtführung gebildet61. Ebenfalls im Herbst 1937 erfolgte eine wesentliche organisatorische Änderung in der Ab wehr-Abteilung. Die bisherige Gruppe II für Chiffrier- und Funkhorchdienst wurde überflüssig, da die entsprechende Zustän- digkeit der Abwehr-Abteilung an die mit dem 12. Oktober 1937 im Wehrmacht- amt neugebildete Abteilung Wehrmacht-Nachrichtenverbindungen abgegeben wurde62. Neu etabliert hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits die Gruppe VII (ehe- mals Untergruppe IS). Ihre Zuständigkeit lag auf dem Feld der Sabotage im feind- lichen Ausland und der Insurgierung (Unterstützung, bzw. Hervorrufung von Auf- standsbewegungen im feindlichen Ausland). Die Aufwertung dieser Tätigkeiten

56 Β Arch, RW 5/194. 57 BArch, RW 5/197, Bl. 171. 58 Generalmajor von Bentivegni: Leiter Abwehr III ab März 1939. 59 Vgl. den Vorgang ZR 920 A.137, Bl. 2-8 (ehemalige Signatur des NS-Archivs des MfS); mittlerweile vom Bundesarchiv an die BStU abgegeben. 60 Zu Entstehung, Aufbau und Hintergründen der Kriegsorganisationen (aus den Erinne- rungen des Verfassers als eines Abwehrangehörigen) Oscar Reile, Geheime Ostfront. Die deutsche Abwehr im Osten 1921-1945, München, Wels 1963, S. 312^30. 61 BArch, RW 5/273. Die angeführte Mitteilung läuft unter einem Geschäftszeichen der Gruppe Ausland III, auch der Verteiler nennt für die Abteilung Ausland drei Ausferti- gungen dieser Mitteilung - vermutlich für zu diesem Zeitpunkt bestehende drei Grup- pen. 62 Amtliche Nachrichten für die Stellen des Reichskriegsministeriums/AN 1937, Nr. 492 in: BArch, RWD 2/12 sowie Absolon, Die Wehrmacht im Dritten Reich, Bd 3 (wie Anm. 45), S. 489. 118 MGZ 67 (2008) Thomas Menzel ist im Zusammenhang mit der deutschen Sudeten-Politik zu sehen. Unterstützung der sudetendeutschen Insurrektion gegenüber der tschechoslowakischen Regie- rung und Vorbereitung von Sabotage-Unternehmen für die erwartbare Auseinan- dersetzung mit der CSR waren damit Kernaufgaben der Abwehr-Abteilung ge- worden. Im Zuge der Erlangung der Sudetengebiete nach dem 30. September 1938 und schließlich der Besetzung der »Rest-Tschechei« am 16. März 1939 erfolgten die ersten Einsätze von Sabotagetrupps der Abwehr und die ersten auf Expansion ab- gezielten Sabotage- und Insurgierungs-Unternehmen (S- und J-Unternehmen)63.

6. Die Amtsgruppe Auslandsnachrichten und Abwehr 1938-1939

Im Zuge der Umstrukturierung der Wehrmachtführung infolge der Blomberg- Fritsch-Krise Anfang des Jahres 193864 wurde das Reichskriegsministerium aufge- löst und das zum Oberkommando der Wehrmacht (OKW) umgeformte Wehrmacht- amt trat an seine Stelle. Statt über die Person des Reichskriegsministers führte Hitler die Wehrmacht nun als Oberster Befehlshaber direkt, mit dem OKW als Führungs- organ. Das OKW verfügte über zwei Amtsgruppen, die jeweils mehrere Abteilungen führten. Die Abwehrabteilung gehörte ab dem 7. Februar 1938 zur Amtsgruppe All- gemeine Wehrmachtangelegenheiten (AWA), unter Führung von Canaris, die Aus- landsabteilung zur Amtsgruppe Führungsstab (Wehrmacht-Führungsamt; WFA)65. Am 1. Juni 1938 wurde diese Organisation jedoch bereits geändert. Das OKW verfügte von da ab über vier Amtsgruppen. Neu war dabei die Amtsgruppe Aus- landsnachrichten und Abwehr, unter Führung von Canaris, die nunmehr die bei- den Abteilungen Ausland und Abwehr vereinigte. Neben die Abteilung Ausland traten dabei gleichberechtigt drei Abwehr-Abteilungen. Die Abwehr-Abteilung I (Abwehr I) umfasste die bisherige Führungsgruppe I mit den ihr nachgeordneten Gruppen V und VI. Die Abwehr-Abteilung II (Abwehr II) wurde gebildet von der bisherigen Gruppe VII. Die Abwehr-Abteilung III (Abwehr III) umfasste die bis- herige Gruppe III und dazu die bisherigen Gruppen ZO66 und ZArch (Zentralar- chiv). Zur Abteilung Ausland trat die bisherige Abwehr-Gruppe IV67. Es bestand damit folgende Organisation: Abt. Ausland (aus Abt. Ausland und Abwehrgruppe IV) Abt. Abwehr I (aus Abwehrgruppen I, V und VI) Abt. Abwehr II (aus Abwehrgruppe VII) Abt. Abwehr III (aus Abwehrgruppe III, Gruppe ZO und Zentralarchiv).

63 Allgemein Bilek, Fifth column (wie Anm. 53) und ebenso die entsprechenden Nachrich- ten, Meldungen und Erkundungsergebnisse aus der Tschechoslowakei, bzw. der Tsche- chischen Republik von 1938/39 allgemein im Bestand RW 49 (Dienststellen und Einheiten der Abwehr). »Erlaß über die Führung der Wehrmacht« vom 4.2.1938 (Reichsgesetzblatt - RGBl. -1938, I, S. 111). BArch, RW 5/689. Der Zeitpunkt der Einrichtung dieser Gruppe konnte nicht ermittelt werden. Friedens-Gliederung des OKW vom 1.6.1938 in: BArch, RHD 18/17, ergänzt durch den Geschäftsverteilungsplan für Abwehr I in: BArch, RH 2/3110, sowie einen entspre- chenden internen Umlauf des Reichssicherheitshauptamtes vom 8.7.1938 in: BArch, RW 5/762 (ehemalige Signatur des NS-Archivs des MfS: FW 757 A.06).

\ Organisationsgeschichte des Amtes Ausland/Abwehr im Spiegel der Aktenüberlieferung 119

Leiter von Abwehr I wurde mit dem 1. Juni 1938 Oberstleutnant Hans Pieken- brock68, von Abwehr II der bisherige Leiter der Gruppe VII Major Helmuth Groscurth69 und von Abwehr III Oberstleutnant Rudolf Bamler70. Ab dem 15. Juni 1938 war als Leiter der Abteilung Ausland Kapitän zur See Leopold Bürkner ein- gesetzt71. Der Leiter der Abteilung Ausland war zugleich Stellvertreter des Amts- gruppenleiters. Im September 1938 kam es zu weiteren organisatorischen Veränderungen. Am 21. September 1938 wurde die bisherige Gruppe ZO in der Abwehr-Abteilung III als Zentralgruppe zur selbstständigen Gruppe neben den vier Abteilungen erho- ben. Als Leiter wurde Major eingesetzt72. Bis zum 30. September 1938 hatte die Amtsgruppe Auslandsnachrichten und Abwehr die folgende Struktur eingenommen73: - Gruppe Ζ (Zentralgruppe) mit den Gruppen ZO (Mobilmachungs-Vorarbeiten), ZR (Abwehrrecht) und ZF (Verwaltung und Haushalt) - Abt. Abwehr I mit den Gruppen I Heer, I Marine, I Luft und dem Referat I wi (für Wirtschaft) - Abt. Abwehr II mit den Gruppen 1 (Minderheiten) und 2 (Sondermaßnahmen) - Abt. Abwehr III mit den Gruppen III W (Führungsgruppe Wehrmacht), III Ο (Organisation), III Wi (Wirtschaft), III C (Inland), III F (Ausland), III D (Sonder- dienst/Irreführung), III S (Sabotageabwehr) und III G (Gutachten) - Abt. Ausland mit den Gruppen I (Außenpolitik), II (Beziehungen zu fremden Wehrmächten), III (Wehrmachtfragen des Auslandes), V (Auslandspresse) mit VAA (Verbindung Auswärtiges Amt-OKW), VI (Kriegsvölkerrecht) und IX (Ma- rineetappenwesen)74. Mit dem 10. November 1938 wurde Groscurth als Leiter Abwehr II abgelöst durch Oberstleutnant Erwin von Lahousen75. Zum 1. März 1939 veränderten sich die Zuschnitte der Gruppen in den gleich- gebliebenen Abteilungen, wobei die Zentralgruppe nunmehr allerdings zur Zen- tral-Abteilung aufgewertet wurde - nach wie vor unter der Leitung von Oster. Siehe hierzu Abb. 1.

68 Personalakte des späteren Generalleutnants Piekenbrock (1893-1959): BArch, Pers 6/800. 69 Personalakte des späteren Oberst Groscurth (1898-1943): BArch, Pers 6/9047. 70 Personalakte des späteren Generalleutnants (nach dem Krieg Generalmajor der NVA) Bamler (1896-1967): BArch, Pers 6/429. 71 Personalakte des späteren Vizeadmirals Bürkner (1894-1975): BArch, Pers 6/2370, sowie seine Erinnerungen in: BArch, RW 5/278. 72 BArch, RW 5/60, sowie die Personalakte des späteren Generalmajors Oster (1887-1945): BArch, Pers 6/1704. 73 Kriegsspitzengliederung vom 30.9.1938 in: BArch, RHD 18/17 (zusätzlich auch in: BArch, RW 19/858). 74 Der Aufbau der Gruppen VII und VIII war zum Zeitpunkt der Übernahme der bishe- rigen Abwehr-Gruppe IV offenbar schon vorgesehen, weshalb diese zunächst als Gruppe Ausland IX firmierte. Zwischenzeitlich war jedoch offenbar die Gruppe Ausland IV frei geworden. Organisationsschemata oder Geschäftsverteilungspläne für die Frühphase der Abteilung Ausland konnten jedoch nicht ermittelt werden. 75 Personalakte des späteren Generalmajors von Lahousen (1897-1955): BArch, Pers 6/1551. Lahousen erscheint in den Akten auch als »Lahousen Edler von Vivremont«. In der Per- sonalakte wurde dieser Namenszusatz gestrichen. 120 MGZ 67 (2008) Thomas Menzel

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Ebenfalls zum 1. März 1939 wurde Bamler als Leiter Abwehr III abgelöst durch Major Franz-Eccard von Bentivegni76. Während die Abwehr zu Friedenszeiten gänzlich ohne eigene polizeiliche Exe- kutivkräfte geblieben war, änderte sich dies mit Kriegsbeginn. Als eigene abwehr- polizeiliche Truppe entstand nun die Geheime Feldpolizei (GFP), der Abteilung Abwehr III nachgeordnet. Eingerichtet wurden Gruppen der Geheimen Feldpoli- zei bei den Armeen, sowie Leitende Feldpolizei-Direktoren bei den Heeresgrup- pen77. Bereits kurz vor Beginn des Polen-Feldzuges und darüber hinaus auf dem Vor- marsch waren verschiedene Kommando-Formationen unter Führung der Abwehr erfolgreich eingesetzt worden. Dies führte im Weiteren zur losen Anbindung die- ser Formationen an die Amtsgruppe, die nun verstärkt werden sollte.

7. Das Amt Ausland/Abwehr 1939-1944

Mit dem 18. Oktober 1939 wurde die Amtsgruppe Auslandsnachrichten und Ab- wehr zum Amt Ausland/Abwehr erhoben, weiter unter der Leitung von Canaris, und erreichte damit die Organisationsform, die sie die längste Zeit des Krieges in- nehaben sollte. Struktur und Anordnung der Abteilungen blieben dabei zunächst erhalten78. Aus den vorhandenen Kommando-Formationen, insbesondere der bei der Ab- wehrstelle Breslau geführten »Deutschen Kompanie«, wurde mit dem 25. Oktober 1939 die zu Tarnzwecken so genannte Bau-Lehr-Kompanie z.b.V. 800 gebildet, als der Abteilung Abwehr II nachgeordnete Kommandoeinheit mit Standort in Bran- denburg a.d. Havel79. Ein Hausverteiler des OKW vom 20. November 1939 führt beim Amt Ausland/ Abwehr erstmals, Abwehr III nachgeordnet, die Auslands-Briefprüfstelle (ABP) und die Auslands-Telegrammprüfstelle (ATP) auf, dazu nach wie vor das Zentral- archiv80.

76 Personalakte des späteren Generalmajors von Bentivegni (1896-1958): BArch, Pers 6/443. 77 Georg Tessin, Verbände und Truppen der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS im Zwei- ten Weltkrieg 1939-1945, Bd 1,2. Aufl., Osnabrück 1979, S. 295, und Wilhelm Krichbaum (ehem. Feldpolizeichef der Wehrmacht), Die Geheime Feldpolizei (Studie im Auftrag der US-Historical Division, MS C-029, aus dem Jahr 1947), in: BArch, MSg 2/1530. Über Auf- gaben und Zuständigkeiten der Geheimen Feldpolizei orientiert ein Merkblatt des Ar- meeoberkommandos 1 vom 2.9.1939; vgl. BArch, RH 19-111/346. Vgl. hierzu auch die Ab- grenzungen der Aufgaben und Zuständigkeiten von SD, Abwehr und GFP vom 1.3.1942 und die Aufgaben der GFP im Heeresgebiet Β vom 12.10.1942, in: BArch, RW 5/764 (ehe- malige Signatur des NS-Archivs des MfS: FW 758 A.03) 78 Desgleichen wurden auch die anderen Amtsgruppen des OKW zu Ämtern erhoben; vgl. BArch, RH 18/154. 79 Georg Tessin, Verbände und Truppen der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS im Zwei- ten Weltkrieg 1939-1945, Bd 12, Osnabrück 1975, S. 327. 80 BArch RW 5/272. Bereits im Hausverteiler des OKW vom 15.10.1940 sind ABP und ATP nicht mehr aufgeführt, wobei beide Stellen jedoch weiter bestanden, vgl. ebd. 122 MGZ 67 (2008) Thomas Menzel

Mit dem 10. Januar 1940 erfolgte die Erweiterung der durch die stetige Heran- ziehung geeigneter Kräfte stark angewachsenen Bau-Lehr-Kompanie z.b.V. 800 zum Bau-Lehr-Bataillon z.b.V. 80081. Vom 1. November 1940 datiert ein Geschäfts verteilungsplan mit beigefügter Dienstanweisung der Abteilung Ausland82. Dieser führt folgende Gruppen auf: - Chef Gruppe - Gruppe I Außen- und Wehrpolitik - Gruppe II Beziehungen zu fremden Wehrmächten; Allgemeines; Registratur - Gruppe III Fremde Wehrmächte; Meldesammelstelle - Gruppe IV Marine-Sonderdienst - Gruppe V Auslandspresse - Gruppe VI Kriegsvölkerrechtsfragen - Gruppe VII Kolonialfragen 4 - Gruppe VIII Informationsgruppe. Nach der weitestgehenden Bewährung der im West-Feldzug eingesetzten Kom- mandounternehmen setzte sich der zügige Ausbau des Bau-Lehr-Bataillons z.b.V. 800 fort. Am 1. Juni 1940 erfolgte die Umgliederung und Umbenennung zum Lehr-Regiment Brandenburg z.b.V. 80083. Mit Schreiben vom 4. Dezember 1940 in- formierte der Chef des Amtes Ausland/Abwehr entsprechend die Heeresgruppen- und Armeeoberkommandos über die erfolgte Aufstellung und künftigen Einsatz- möglichkeiten des nunmehrigen Regiments84. Ein Geschäftsverteilungsplan der Abteilung Abwehr II vom 20. Januar 1941 (Abb. 2) zeigt folgende veränderte Organisationsstruktur der Abteilung auf (bei den Untergruppen stand dabei J für Insurgierung und S für Sabotage, die beiden Hauptgebiete des Abwehr II-Dienstes)8S. Vom 10. Februar 1941 datiert eine Zusammenstellung der Abwehrsteilen, Ab- wehrnebenstellen und sonstigen Abwehreinrichtungen in den besetzten Gebie- ten86. Es ergibt sich daraus folgende Aufstellung: - Abwehrstelle (Ast) Norwegen in Oslo mit Abwehrnebenstellen (Anst) Bergen, Drontheim und Tromsö - Ast Dänemark in Kopenhagen mit Anst Aarhus - Ast Niederlande in Den Haag - Ast Belgien in Brüssel mit Anst Lille - Abwehrleitstelle (Alst) Frankreich in Paris mit Ast Paris, Ast St. Germain mit Anst Trouville und Bourges, Ast Angers mit Anst Brest und den Außenstellen Lorient und Rennes, Ast Bordeaux mit Anst Royan und Biarritz sowie Ast Dijon mit Anst Nancy und Besangon. Hinzu kamen Marine-Abwehroffiziere (III Marine) bei den Marinebefehlshabern und Abwehroffiziere bei der Luftwaffe (III Luft) in den Luftgaubereichen. Bereits vom 4. Juni 1941 stammt eine Anweisung für Abwehr I für die bevor- stehenden Erkundungseinsätze, organisiert in Form von V-Mann-»Kolonnen« un-

81 Tessin, Verbände und Truppen, Bd 12 (wie Anm. 79), S. 327. 82 BArch, RH 2/3110. Enthalten sind dabei auch die einzelnen Arbeitsbereiche der Referate mit Namensnennung der Referatsleiter. 83 Tessin, Verbände und Truppen, Bd 12 (wie Anm. 79), S. 327. 84 BArch, RH 19-111/469. 85 BArch, RH 2/3109. Ebenfalls aufgeführt werden die einzelnen Arbeitsbereiche mit Na- mensnennung der Referatsleiter. 86 BArch, RW 4/300. Organisationsgeschichte des Am tes Ausland/Abwehr im Spiegel der Aktenüberlieferung 123

ter »K.F.« (Kolonnen-Führern), im Rahmen des Unternehmens Barbarossa87. Dies ging zeitlich einher mit sonstigen organisatorischen Vorbereitungen für den An- griff auf die Sowjetunion. Mit Befehl vom 10. Juni 1941 wurde zunächst von Ab- wehr I ein vorgeschobener Befehlsstab im Osten eingerichtet88. Unter der Bezeich- nung »Stab Walli«, bzw. später »Walli I« bündelte dieser vorgeschobene Stab von seinem Standort in Sulejowek bei Warschau die Abwehr I-Aufgaben im Rücken des Ostheeres. Die Abteilungen Abwehr II und III zogen später ebenfalls nach, so- dass schließlich Walli I bis III bestanden. Mit dem 11. Juni 1941 informierte das Oberkommando des Heeres (OKH) in seinem Bereich über die vorgesehene Zuteilung der Abwehrgruppen, Abwehrkom- mandos und Abwehrtrupps an die Truppe89. Von Abwehr I wurden den Ic/A.O. der Heeresgruppen, Armeen und Panzergruppen motorisierte Abwehrgruppen zugeteilt, zur Führung von Agenten im Feindgebiet und Erbeutung wertvollen Schriftgutes. Abwehr III teilte den Ic/A.O. der Heeresgruppen Abwehrkomman- dos, den Ic/A.O. der Armeen einen oder mehrere Abwehrtrupps zu. Vorgesehen war die Möglichkeit der Zuteilung von Abwehrtrupps auch ein die Ic/A.O. der Pan- zergruppen. Bei den Abwehrkommandos waren auch Offiziere der Abteilung Aus- land vorgesehen. Materialsammeisteilen für erbeutetes militärisches Schriftgut

87 BArch, RW 4/578. 68 BArch, MFB 1 F.9121. 89 BArch, RH 2/2082. 124 MGZ 67 (2008) Thomas Menzel

sollten eingerichtet werden für das Abwehrkommando Α bei der Ast Krakau, für das Abwehrkommando Β bei der Anst Warschau und für das Abwehrkommando C bei der Ast Königsberg. Eine Aufstellung von Abwehr I vom 18. September 1941 der bei den deutschen Missionen im Ausland eingebauten Abwehr-/KO-Beauftragten nennt zu diesem Zeitpunkt Abwehrvertretungen/Kriegs-Organisationen in folgenden Ländern90: - Schweiz - Bulgarien - Spanien - Rumänien - Portugal - Türkei - Schweden - Iran - Finnland - China Die Abteilung Ausland umfasste nach einem Geschäftsverteilungsplan vom 1. De- zember 1941 zu diesem Zeitpunkt folgende Gruppen91: - Chef Gruppe (Organisation) - Gruppe I Außen- und Wehrpolitik - Gruppe II Beziehungen zu fremden Wehrmächten; Allgemeines - Gruppe III Fremde Wehrmächte - Gruppe IV Marine-Sonderdienst - Gruppe V Auslandspresse - Gruppe VI Kriegsvölkerrechtsfragen - Gruppe VII Kolonialfragen - Gruppe VIII Informationsgruppe - Gruppe IX Grenzangelegenheiten. Zu diesem Zeitpunkt liefen bereits seit November 1941 Versuche von Abwehr und SD, bzw. Gestapo, die jeweiligen Zuständigkeitsbereiche einvernehmlich abzugren- zen. Die Abwehr unter Canaris sah sich dabei zunehmend gegenüber den gesamt- polizeilichen Expansionsbestrebungen des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) in der Defensive. Die Folge waren vornehmlich taktische Argumentationen und insgesamt schwierige Verhandlungen, die immer wieder zwischenzeitliche Ver- einbarungen, die durch die Verhältnisse oder das Verhalten eines Verhandlungs- partners überholt wurden, sahen92. Mit Anordnung vom 21. Januar 1942 erfolgte die Einrichtung der Marine- Etappe Bordeaux (MEB) als einer Außenstelle der Abteilung Ausland, mit Sitz in Bordeaux, mit der Aufgabe der Ausrüstung von Nachschubschiffen für die See- kriegführung in außereuropäischen Gewässern93. Eine Aufstellung vom 1. Juni 1942 zählt die Abwehrgruppen, -kommandos und -trupps im Osten auf, wonach sich folgendes Bild ergibt (Abb. 3).

90 BArch, RW 5/763 (ehemalige Signatur des NS-Archivs des MfS: FW 757 A.08). Die Auf- stellung nennt in zwei getrennten Listen zum einen die richtigen Namen mit richtigem Dienstgrad und tatsächlicher Tätigkeit und zum andern die »Einbau-Namen« mit »Ein- bau-Ort«, offizieller Dienstbezeichnung und offizieller Tätigkeit sowie die auftragge- bende Stelle im Amt Ausland/Abwehr. 91 BArch, RW 19/521. Enthalten sind auch die jeweiligen Arbeitsbereiche unter Namens- nennung der Referatsleiter. 92 Vgl. hierzu einen von Abwehr III geführten entsprechenden Sammelordner unter dem Stichwort »10 Gebote« zur Zusammenarbeit zwischen Abwehr und SD: BArch, RW 5/690. 93 BArch, RW 5/763 (ehemalige Signatur des NS-Archivs des MfS: FW 757 A.08). Organisationsgeschichte des Amtes Ausland/Abwehr im Spiegel der Aktenüberlieferung 125

Eine Dienstanweisung für die Abwehrabteilung II vom 1. August 1942 nennt fol- gende Organisation von Abwehr II94: - Abteilungschef mit Chefgruppe: unmittelbar unterstellt die Offiziere z.b.V. und das Lehr-Regiment Brandenburg z.b.V. 800 - Gruppe A: Sowjetunion; mit Referat Α Luft (für die gesamte Abteilung) - Gruppe West: europäische Gebiete westlich der Achsenmächte; mit Referat Mar(ine) - Gruppe Ost: europäische Gebiete östlich der Achsenmächte außer der Sowjet- union - Gruppe Technik: Beratung in Sabotagetechnik; Bereitstellung und Transport von Waffen und Gerät; Laboratorien, Entwicklung von Sabotage- und Sondergerät. Der Verteiler dieser Dienstanweisung nennt zusätzlich für die Zentralabteilung die Gruppen Z.Ad (Adjutantur), ZO, ZR und ZF, sowie summarisch elf Kriegs-Orga-

94 Β Arch, RW 5/763 (ehemalige Signatur des NS- Archivs des MfS: FW 757 A.08). 126 MGZ 67 (2008) Thomas Menzel

nisationen, die Gruppe Abwehr bei der Deutschen Waffenstillstandskommission95 und den Sonderstab F96. An derselben Stelle folgt ein Geschäftsverteilungsplan (gültig ab 15. Septem- ber 1942). Dieser nennt im Verteiler unter anderem die folgenden Abwehrstellen im Ausland: - Ast Norwegen in Oslo - Ast Belgien in Brüssel - Abwehrleitstelle (Alst) Frankreich in Paris - Ast Dijon - Abwehrleitstelle (Alst) beim Wehrmachtbefehlshaber Südost in Saloniki - Ast Athen - Ast Ukraine, mit Anst Kiew - Ast beim Militärbefehlshaber im Generalgouvernement in Krakau, mit Anst War- schau - Ast Ostland in Riga - Befehlsstab Walli - Abwehrgruppe A - Abwehrgruppe Β - Abwehrgruppe Mitte - Abwehrgruppe Nord - Abwehrgruppe Afrika Der Verteiler eines Schreibens von Abwehr ZO vom 21. September 1942 nennt zu- sätzlich eine Abwehr-Außenstelle Rom97. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1942 wurde die Abteilung Ausland zur Amts- gruppe erweitert, aus den bisherigen Gruppen entstanden Abteilungen. Ein Ge- schäftsverteilungsplan hierzu zeigt den folgenden Aufbau (Abb. 4)98. Entsprechend sind in einem Verteiler des OKW vom 1. Oktober 1942 für das Amt Ausland/Abwehr aufgeführt99: - Zentralabteilung - Amtsgruppe Ausland mit den Abteilungen Ausland I, Ausland II und Aus- land III - Abwehrabteilung I - Abwehrabteilung II - Abwehrabteilung III, dazu nach wie vor nachgeordnet das Zentralarchiv (ZArchOKW) Das Lehr-Regiment Brandenburg z.b.V. 800 wurde nunmehr am 20. November 1942 umbenannt in Sonderverband Brandenburg. Der Regimentsrahmen war mitt- lerweile überschritten worden. Bereits am 1. November 1942 hatte das Regiment den Status von »Sonderverbänden in überbesetzter Divisionsstärke« erhalten100.

95 Bestand RW 34 (Deutsche Waffenstillstandskommission - Frankreich) im BArch. 96 Unterlagen zum Sonderstab F (Felmy) befinden sich im Bestand RH 24—68 (Generalkom- mando z.b.V./LXVIII. Armeekorps) im BArch. 97 BArch, RW 5/763 (ehemalige Signatur des NS-Archivs des MfS: FW 757 A.08). 98 BArch, RH 2/3110, und ebenso BArch, RWD 16/41. Enthalten sind.auch die jeweiligen Arbeitsbereiche mit Namensnennung der Referatsleiter. 99 BArch, RW 5/272. 100 Georg Tessin, Verbände und Truppen der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS im Zwei- ten Weltkrieg 1939-1945, Bd 14, Osnabrück 1980, S. 27. Organisationsgeschichte des Amtes Ausland/Abwehr im Spiegel der Aktenüberlieferung 127

Insgesamt existierten zu diesem Zeitpunkt in den besetzten Gebieten, einer Auf- stellung aus dem Jahre 1943 zufolge, folgende Abwehrstellen (Ast) und Abwehr- nebenstellen (Anst)101: - Ast Prag, Krakau, Warschau, Kopenhagen, Oslo, Niederlande, Belgien - Abwehrleitstelle Frankreich, in Paris mit Ast Paris, Lille, Straßburg, Angers, Nan- tes, Dijon, Lyon, Anst Bordeaux und Metz, Abwehr-Außenstelle Rouen, Ast Bu- karest, Athen/Belgrad, Riga, Anst Reval, Ast Ukraine, Anst Kiew. Im Reich kamen hinzu die Abwehrstellen in den Wehrkreisen, aber auch verein- zelt Abwehrnebenstellen (zumindest Köln) und Außenstellen (zumindest Frank- furt a.M. und Weimar), dazu Abwehr-Offiziere in den verschiedenen Rüstungsbe- trieben102. Mit dem 1. April 1943 informierte der Chef des OKW über die Zusammenset- zung, Gliederung, Aufgaben und Einsatzrichtlinien der mit diesem Tag aufgestell- ten Division Brandenburg z.b.V. 800, jetzt unter direkter Führung des Chefs des Amtes Ausland/Abwehr103. Gleichzeitig schied das Lehr-Regiment Kurfürst aus dem Divisionsverband aus und wurde direkt Abwehr II unterstellt104. Ein Verteiler des OKW vom 1. Mai 1943 nennt ohne weitere Änderung eine neue Auslands-Abteilung: Abteilung Ausland IV (Wehrmachtzeitschriftenabtei- lung)105, die auch bereits in einem Femsprechverzeichnis vom März aufgeführt wird. Anhand dieses Fernsprechverzeichnisses ist eine Stellenbesetzung des Amtes Ausland/Abwehr mit Stand 15. März, zum Teil 15. August 1943 und eine Darle- gung seiner Gliederung möglich (Abb. 5).

101 BArch, RW 5/110. Das Dokument ist undatiert, die zu vermutende erste Seite (vermut- lich mit den Abwehrstellen im Reich), fehlt. 102 BArch, RWD 7/11 (Amtsdrucksachen des OKW: Sabotageabwehr in der Wehrwirtschaft. Richtlinien für die Abwehrbeauftragten geschützter Betriebe) und BArch, R 3/682 (Reichs- ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion: Anweisung von Abwehr III an die Ab- wehrbeauftragten in Rüstungsbetrieben). 103 BArch, RH 22/104, und Tessin, Verbände und Truppen, Bd 14 (wie Anm. 100), S. 28. 104 Ebd., S. 136. 105 BArch, RW 5/272. 128 MGZ 67 (2008) Thomas Menzel

Abb. 5: Stellenbesetzung Amt Ausland/Abwehr (15. März, z.T. 15. August 1943)

Amtschef: Admiral Canaris

Chef des Stabes: Generalmajor Oster Adjutant des Amtschefs: Oberst Jenke

Leiter Zentralabteilung: Generalmajor Oster

Leiter Gruppe ZA: Oberst Jenke Leiter Gruppe ZB: Sonderführer Dr. von Dohnanyi Leiter Gruppe ZO: Major Dr. Grelller Leiter Gruppe ZR: Ministerialrat Dr. Herzlieb Leiter Gruppe ZF: - nicht besetzt -

Leiter Amtsgruppe Ausland: Konteradmiral Bürkner

Leiter Chefgruppe: Oberstleutnant Schu Leiter Abteilung Ausland I: Oberst Brinkmann m.d.W.b. (Leiter Gruppe IA) Leiter Abteilung Ausland II: Oberst Rudolf Leiter Abteilung Ausland III: Kapitän z.S. Niebuhr Leiter Abteilung Ausland IV: Oberst Richter

Leiter Abwehrabteilung I: Oberstleutnant Hansen

Leiter Chefgruppe: Oberst Scholtz Leiter Gruppe I Η Ost: Oberst Scholtz Leiter Gruppe I Η West: Oberst Maurer Leiter Gruppe I Ht: Major Denner Leiter Gruppe I M: Fregattenkapitän Pheiffer Leiter Gruppe I L: Major Klevenstüber Leiter Gruppe I T/Lw: Oberst Großkopf Leiter Gruppe I G: Oberstleutnant Müller Leiter Gruppe I wi: Oberstleutnant Dr. Bloch Leiter Gruppe I i: Major Rasehorn

Leiter Abwehrabteilung II: Oberst Lahousen Edler von Vivremont (sie!)

Leiter Chefgruppe: Major Abshagen Leiter Gruppe A: Oberst Stolze Leiter Gruppe W: Hauptmann Astor Leiter Gruppe 0: Oberstleutnant Putz Leiter Gruppe T: Oberst Marguerre

Leiter Abwehrabteilung III: Oberst von Bentivegni

Leiter Chef Gruppe (III A): Major Kleineberg Leiter Gruppe III W: Oberst Jakobsen (siel; siehe unten, Anm. 108) Leiter Gruppe III H: Oberstleutnant Dr. Pünder Leiter Gruppe III M: Fregattenkapitän Sokolowski Leiter Gruppe III Luft: Oberstleutnant Bassenge Leiter Gruppe III Kgf: Hauptmann Salewski Leiter Gruppe III C: Oberst Martini Leiter OKW-Paßstelle: Kriegsverwaltungsinspektor Klempin Leiter OKW-Zentralstelle für Passier- und Durchlaßscheine: Kriegsverwaltungsinspektor Meißner Leiter Gruppe III N: Korvettenkapitän Klausa Leiter Gruppe III F: Oberst Rohleder Leiter Gruppe III D: Oberstleutnant Cartellieri Leiter Gruppe III Wi: Oberst Rudioff Leiter Gruppe III G: Oberst von Münch Leiter Zentralarchiv: Oberst Ohlendorf Kommandeur Division Brandenburg: Generalmajor von Pfuhlstein*

Personalakte Generalmajor von Pfuhlsteins (1899-1976): BArch, Pers 6/1726. © MGFA Quelle: BArch RHD 46/3. 05772-05 Organisationsgeschichte des Amtes AuSland/Abwehr im Spiegel der Aktenüberlieferung 129

Ausgehend von Ermittlungen im Umfeld der Abwehr, die immer weitere Kreise zogen und Unregelmäßigkeiten zunächst hauptsächlich im Umgang mit Devisen, aber später auch mit Informationen ergaben, schließlich hochrangige Abwehran- gehörige betrafen und auch Cänaris selbst zumindest schwer in Kritik brachten, kam es zu bedeutenden personellen Veränderungen106. Die Ermittlungen drangen immer tiefer in das rund um Oster bestehende Widerstandsnetz vor, eine erste Ver- haftung erfolgte am 5. April 1943 (Sonderführer Dr. von Dohnanyi). Selbst im Zuge der Verhaftung kompromittiert und von einem Verfahren bedroht, wurde Gene- ralmajor (seit 16. November 1942) Oster am 19. Juni 1943 (mit Wirkung vom 15. April 1943) aus den Diensten der Abwehr entlassen und in die Führerreserve des OKH versetzt107. Sein Nachfolger wurde Oberst Alfred Jacobsen108. Bei der nun geforderten personellen Reform der Führungspositionen blieben zwar Canaris und Bürkner unangetastet, doch die Abteilungsleiter Abwehr wurden in der Folge aus- getauscht109. Bereis am 29. Mai 1943 wurde Oberst Piekenbrock als Leiter von Ab- wehr I abgelöst110, sein Nachfolger wurde Oberst Georg Hansen111. Auch Lahousen wurde bald darauf, am 13. August 1943, als Leiter von Ab- wehr II abgelöst. Er stand jedoch noch bis zum 21. August 1943 zur Einarbeitung seines Nachfolgers, Oberst Wessel Baron Freytag von Loringhoven112, zur Verfü- gung. Erst am 16. September 1943 wurde er in die Führerreserve des OKH versetzt (mit Wirkung vom 15. September 1943)113. Am 16. September 1943 wurde schließlich auch Bentivegni als Leiter von Ab- wehr III abgelöst und in die Führerreserve des OKH versetzt (mit Wirkung vom 15. September 1943). Bereits am 20. September 1943 wurde er jedoch wieder zum OKW als Vertreter seines verunglückten Nachfolgers Oberst Theodor Heinrich114 als Leiter von Abwehr III kommandiert115.

8. Das Amt Mil 1944-1945

Ein undatierter Geschäftsverteilungsplan der Amtsgruppe Ausland nennt fol- genden geänderten Aufbau116:

106 Hierzu Höhne, Canaris (wie Anm. 19), S. 475-506. 107 Personalakte von Generalmajor Oster: BArch, Pers 6/1704. los Personalakte von Oberst Jacobsen (geb. 1886): BArch, Pers 6/6485. In der Literatur und in den Akten findet sich mitunter »Jakobsen«, die richtige Schreibweise gemäß Perso- nalakte ist jedoch Jacobsen. 109 Zum Personalrevirement bei den Spitzen der Abwehr vgl. Buchheit, Der deutsche Ge- heimdienst (wie Anm. 3), S. 425 f., und Höhne, Canaris (wie Anm. 19), S. 505 f. 110 Piekenbrock wurde, mit Wirkung vom 18.4.1943, Kommandeur des Grenadier-Regi- ments 528; vgl. die Personalakte Piekenbrocks (BArch, Pers 6/800). 111 Personalunterlagen zu Oberst Hansen (1904-1944) sind im BArch nicht überliefert. 112 Personalunterlagen zu Oberst Freytag von Loringhoven (1899-1944) sind im BArch nicht überliefert. 113 Personalakte Lahousens: BArch, Pers 6/1551. 114 Personalunterlagen zu Oberst Heinrich sind im BArch nicht überliefert. us Personalakte Bentivegnis: BArch, Pers 6/443. 116 BArch, RW 5/274. Die erste Seite des Dokuments mit der Datumsangabe fehlt, es ist je- doch zeitlich zumindest nach dem 1.5.1943 (Einrichtung der Abt. Ausland IV) anzusetzen. 130 MGZ 67 (2008) Thomas Menzel

Chefgruppe (Leitung Gesamt- und innerer Dienstbetrieb; Kriegstagebuch; Chef- sachen; Sonderaufgaben) Abt. Ausland I (Militärische Lage und Kriegsvölkerrecht) Abt. Ausland II (Wehrpolitik, Auslandspresse und Verbindung zu fremden Wehrmächten) Attacheabteilung Heer (Ausländische Militärattaches in Berlin sowie deutsche Militärattaches im Ausland) Abt. Ausland IV (Erfassung in- und ausländischen Schrifttums von militä- rischem Interesse und Verteilung innerhalb der Wehrmacht; Wehrwörterbücher; Übersetzungen). Am 12. Februar 1944 erging eine Weisung Hitlers zum Aufbau eines einheit- lichen geheimen militärischen Meldedienstes unter Führung des Reichsführers-SS (RFSS)117. Der mittlerweile durch die laufenden Ermittlungen schwer belastete Canaris wurde noch Mitte Februar 1944 seines Amtes enthoben und auf Burg Lau- enstein als Aufenthaltsort verwiesen, faktisch dort unter Hausarrest gestellt. Die Leitung des Amtes übernahm Hansen118. Die Bestrebungen der SS waren damit, begünstigt durch die Verstrickung von Abwehrangehörigen in Dienstunregelmä- ßigkeiten einerseits und Widerstandsbestrebungen andererseits, aber auch durch die wachsende Unzufriedenheit mit den Arbeitsergebnissen der Abwehr zum er- folgreichen Abschluss gekommen. Von Seiten der Abwehr wurden die im Weiteren nötigen Gespräche zur Feinabstimmung der Umstrukturierung und Zuständig- keitsverlagerungen durch Bentivegni geführt, der dienstlich als Leiter Abwehr III von jeher die engsten Kontakte zur Gestapo gepflegt hatte119. In der Folge wurde nun auch die Division Brandenburg dem Amt Ausland/Ab- wehr entzogen. Sie verblieb jedoch zunächst beim OKW und wurde direkt dem Wehrmachtführungsstab unterstellt. Ihre Regimenter und Bataillone wurden als Eingreifreserve der Wehrmachtführung und Elite-Infanterie, insbesondere im Par- tisanenkampf, eingesetzt120. Für die eigentlichen Kommandoeinsätze verblieben da- her nur das Lehr-Regiment Kurfürst sowie die Abwehrkommandos und -trupps.

117 BArch, RH 2/1929. 118 Höhne, Canaris (wie Anm. 19), S. 529-544 und die Personalakte von Canaris: BArch, Pers 6/105. Aus der Personalakte geht hervor, dass Admiral (seit 1.1.1940) Canaris mit dem 30.6.1944 aus dem aktiven Wehrdienst entlassen wurde, was ihm durch den Ober- befehlshaber der Kriegsmarine am 10.3.1944 mitgeteilt worden war. Mit dem 1.7.1944 wurde er als Admiral z.V. zum aktiven Wehrdienst wieder einberufen (als Chef des OKW- Sonderstabes für Handelskrieg und wirtschaftliche Kampfmaßnahmen mit Sitz bei Pots- dam; vgl. Höhne, Canaris (wie Anm. 19), S. 534, in der Personalakte nicht belegt), jedoch mit dem 23.7.1944 erneut aus dem aktiven Wehrdienst entlassen und die z.V.-Stellung aufgehoben. An diesem Tag erfolgte auch seine Verhaftung, die sich aus den fortschrei- tenden Ermittlungserfolgen der Gestapo, die auch zur Verhaftung von Oberst Hansen am 22.7.1944 geführt hatten, ergab; vgl. Höhne, Canaris (wie Anm. 19), S. 543 f. 119 Höhne, Canaris (wie Anm. 19), S. 531, und die Personalakte von Bentivegni: BArch, Pers 6/443. Aus dieser geht hervor, dass Bentivegni (laut Beurteilung vom 21.6.1944) vom 21.9.1943 bis zum 3.2.1944 auch formal wieder Chef Abwehr III war und vom 4.2. bis zum 13.3.1944 Chef Amt Abwicklung. In einer Beurteilung vom 1.3.1944 wird seine Kom- mandierung zum Amt Abwehr vom 20.9.1943 bis zum 20.4.1944 festgestellt, eingesetzt »als Vertreter des verunglückten Chef Abw III, dann als Chef Amt Abwehr«; vgl. ebd., Bl. 12. 120 Am 15.9.1944 erfolgte schließlich die Umwandlung der Division Brandenburg in die Pan- zer-Grenadier-Division Brandenburg. Zugleich wechselte die Unterstellung der Division vom OKW zum OKH. Die ehemalige Kommandoeinheit war damit zu einem normalen Heeresverband geworden; vgl. Tessin, Verbände und Truppen, Bd 14 (wie Anm. 100), S. 28. Organisationsgeschichte des Amtes Ausland/Abwehr im Spiegel der Aktenüberlieferung 131

Mit dem 14. Februar 1944 wurden die stationären IIIF-Einheiten in den besetz- ten Westgebieten in bewegliche Einheiten umgewandelt. Es wurde hierzu eine Leit- stelle Abw III F - West gebildet, mit den Abwehrkommandos 306^und 307 sowie diesen unterstellten Abwehrtrupps121. Mit Wirkung vom 1. März 1944 schied schließlich die Amtsgruppe Ausland aus dem Amt Ausland/Abwehr aus und wurde dem Wehrmachtführungsstab unterstellt122. Ohne Reibungen ging die Übernahme der Abwehr durch die SS nicht vonstat- ten. Mit Schreiben vom 11. April 1944 meldete Keitel zumindest Einsprüche gegen die völlige Eingliederung des militärischen geheimen Meldedienstes in das Amt VI des RSHA an und plädierte für die Erhaltung des militärischen geheimen Melde- dienstes als eigenständiges »Militärisches Amt« im RSHA123. Keitel argumentierte mit andernfalls zu erwartenden Leistungseinbußen. Mit Befehl vom 14. Mai 1944, unterzeichnet von Keitel und Himmler, erfolgte die Umsetzung von Hitlers Weisung vom 12. Februar 1944124. Dem Reichsführer-SS sollten damit unterstehen: - der gesamte geheime militärische Meldedienst: Abwehr I und II (soweit für ein- zelne Arbeitsgebiete nicht anderes vereinbart war) bildeten hierzu ein als vor- läufig angesehenes »Militärisches Amt« des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD im RSHA. Die allmähliche Verschmelzung mit den dort bereits bestehenden Arbeitsgebieten war planmäßig vorzubereiten - dazu von Abwehr III der Abwehrschutz in den Rüstungsbetrieben, die abwehr- mäßige Behördenbetreuung, die Prüfung der Auslandsnachrichtenverbindungen mit Brief- und Telegrammprüfstellen sowie die militärische Gegenspionage im Ausland, »soweit sie nicht dem unmittelbaren Schutz der Truppe im Operati- onsgebiet oder ih den besetzten Gebieten dient«125 - die nicht bei den Feldtruppen befindlichen Teile der Geheimen Feldpolizei - die einheitliche Regelung des Durchlass- und Passierscheinwesens, bei Vereini- gung der bestehenden Zentralstellen. Beim OKW sollten verbleiben: - von Abwehr I und II die Frontaufklärung, die Sabotage und Zersetzung der feindlichen Wehrmacht. Die Kommandos und Trupps von Abwehr I und II sollten sich wie bisher bei den Heeresgruppen, Luftflotten und Marinegruppen- kommandos befinden, jedoch fachlichen Weisungen des RFSS unterstehen. - von Abwehr III die reine Truppenabwehr, sowie der IIIF-Dienst in der Truppe mittels Abwehrkommandos und -trupps - die bei den Feldtruppen befindlichen Teile der Geheimen Feldpolizei, unterstellt dem Feldpolizeichef im OKW - die militärische Irreführung - die militärische Gutachtertätigkeit - die Außenstellen des Durchlass- und Passierscheinwesens.

121 BArch, RH 2/1582, und die Erinnerungen des ersten Leiters der Leitstelle III West für Frontaufklärung, Oberstleutnant Oscar Reile, in: Oscar Reile, Geheime Westfront. Die Abwehr 1935-1945, München, Wels 1962, S. 402. Reile nennt als Aufstellungsdatum den 1.1.1944. 122 BArch, RM 7/1099, fol. 157 (ehemals RM 7/99, fol. 366). 123 BArch, RH 2/1929. 124 Ebd. 125 Ebd. 132 MGZ 67 (2008) Thomas Menzel

Zum RFSS traten auch alle Außenstellen des militärischen geheimen Meldedienstes. Beim OKW, unter dem Chef Ic Wehrmacht, verblieben zunächst die Abwehr-Leit- stellen und entsprechenden Kommandos und Trupps Walli I, II und III sowie West I, II und III, allerdings fachlich an Weisungen des RFSS gebunden. Bis zum 1. Juli 1944 sollten jedoch auch diese zum Chef der Sicherheitspolizei und des SD treten. Beim OKW verblieben auch die Abwehr-Offiziere bei den Kommandobe- hörden der Feld- und der Ersatz-Wehrmacht. Die Abwehrstellen wiederum waren umzugliedern. Die nachgeordneten Dienststellen im Reich von Abwehr I und II gingen als »Kommando Meldegebiete« mit entsprechender Ortsbezeichnung eben- falls zum Chef der Sicherheitspolizei und des SD, die Kriegs-Organisationen im Ausland sollten folgen126. Einer Nachkriegs-Zusammenstellung ehemaliger Abwehrangehöriger zufolge bestanden ab dem 23. Mai 1944 folgende Kommando-Meldegebiete (KMG)127: - KMG Stettin - KMG Hamburg - KMG Stuttgart - KMG Wiesbaden - KMG Köln - KMG Wien - KMG München - KMG Salzburg - KMG Breslau - KMG Prag

Eine entscheidende Veränderung war die Auflösung der Zentralabteilung. Die Gruppe ZF ging zum Amt II des RSHA (mit Ausnahme des Bereiches »Planung und Bewirtschaftung des geheimen Haushaltes bezüglich des Amtes M«, der zum Amt Mil kam), der Rest ging zum Amt I128. Insgesamt war die hiermit beschlossene Neugliederung unverzüglich durch- zuführen und mit dem 22. Mai 1944 erging die entsprechende Weisung Keitels zur Neugliederung des militärischen Abwehrdienstes ab dem 1. Juni 1944129 und am 23. Mai 1944 erging die entsprechende Weisung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD130. Das Amt Μ oder auch Amt Mil (beide Varianten finden sich in den Akten) wurde zunächst geführt von Oberst Hansen, bis zu dessen Verhaftung am 22. Juli

126 So ein Befehl des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD SS-Obergruppenführer und General der Polizei Dr. Ernst Kaltenbrunner vom 23.5.1944; vgl. ebd. 127 BArch, MSg 120/58. Der Bestand MSg 120 umfasst die an das BArch abgegebenen Un- terlagen der »Arbeitsgemeinschaft ehemaliger Abwehrangehöriger« (AGEA). Die ge- nannte Akte enthält auch eine nach Ländern und Orten alphabetisch geordnete Aufstel- lung aller Abwehreinrichtungen mit ihren Angehörigen, soweit diese den in der AGEA tätigen ehemaligen Abwehrangehörigen 25 Jahre nach Kriegsende noch erinnerlich wa- ren. Der Aussagewert dieser Angaben ist unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Für folgende Länder sind dabei (1972) Abwehr-Einrichtungen öder Sondereinsätze genannt, jeweils mit Namenslisten: Afghanistan, Albanien, Argentinien, Baltikum (Litauen, Lett- land, Estland), Belgien, Bulgarien, China, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechen- land, Irak, Iran, Italien, Libanon, Libyen, Marokko, Niederlande, Norwegen, Polen, Por- tugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Serbien, Sowjetunion (Russland), Spanien, Syrien, Türkei, Tunesien, Ukraine und Ungarn. Dazu werden die Abwehr-Einrichtungen (As- ten und Ansten) im Reich aufgeführt (dabei auch die Einrichtungen in Böhmen und Mäh- ren, in der Slowakei, in den angeschlossenen polnischen Gebieten sowie in der Ost- mark). 128 BArch, RH 2/1929. 129 BArch, RH 2/1537. 130 BArch, RH 2/1929. Organisationsgeschichte des Amtes Ausland/Abwehr im Spiegel der Aktenüberlieferung 133

Abb. 6: Aufbau Amt Mil im Reichssicherheitshauptamt der SS (15. Juni 1944)

Kampfgeschwader 200: Anfang 1944 aus dem Versuchsverband des Oberbefehlshabers der Luftwaffe (Versuchsverband ObdL) aufgestellt, zunächst mit zwei, ab Januar 1945 mit vier Gruppen; vgl. Tessin, Verbände und Truppen, Bd 14 (wieAnm. 100), S. 445.

b Funknachrichtenregiment: bei Tessin ist lediglich das Funk-Überwachungs-Regiment OKW belegt: 1945 aufgestellt und direkt dem OKW unterstellt, mit drei Funk-Überwachungs-Abteilungen, vier Funk-Peil-Kompanien und sieben Festen Funk-Überwachungsstelien; vgl. ebd., S..279.

c Lehr-Regiment Kurfürst: im Sommer 1943 aus dem Lehr-Regiment Brandenburg gebildet, zur Wahrnehmung reiner Abwehr-Aufgaben, bestehend aus der Abwehr-Stamm-Abteilung mit vier Kompanien sowie der Abwehrschule mit drei Abteilungen und zwei Kompanien; vgl. ebd., S. 136.

d Das Sonderkommando Dora wurde mit Befehl vom 26.1.1942 zur »Durchführung von Sonderaufgaben im nord- und mittelafrikanischen Raum« aufgestellt. Es handelte sich gemäß Befehl um eine dem Amt Ausland/Abwehr (Abwehr I) unterstellte nachgeordnete Dienststelle des OKW in Form eines gemischten Wehrmachtverbandes (Heer und Luftwaffe). Seine Ausgangsbasis war Hon in Libyen. Es gliederte sich in drei Gruppen: Militärischer Erkundungs- und Abwehrdienst; Lufterkundung und Luftbildmessung; Bodenerkundung und Kartierung (mit Panzerspähgruppe); vgl. BArch, RL 1/47 (enthält u.a. Kriegsstärkenachweisung und Dienstanweisung).

e Grenadier-Regiment 1001: am 8.6.1944 durch das Amt Ausland/Abwehr aufgestellt, mit drei Bataillonen; vgl. Georg Tessin, Verbände und Truppen der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg 1939-1945, Bd 13, Osnabrück 1976, S. 207.

f Führung und Organisation; Planung und Bewirtschaftung des geheimen Haushalts; Personalangelegenheiten; Ausbildung, Schulen, Truppen, NSFO; Kartei, Stabsquartier, Fahrbereitschaft, Küche, Casino, Reisestelle.

9 Großbritannien, Norwegen, Dänemark; Holland, Belgien, Schweiz, Frankreich; Iberische Halbinsel, Italien, Nordafrika; USA mit Kanada, Südamerika.

h Skandinavien, Schweden, Finnland; Russland; Südost-Raum und Mittlerer Osten; Ferner Osten.

Quelle: BArch, RH 2/1573. 134 MGZ 67 (2008) ! Thomas Menzel

1944131, dann übernahm SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Walter Schellenberg, Leiter des Amtes VI im RSHA, in Personalunion auch das Amt Mil. Die Amtsgruppe Ausland war von alldem nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt Ausland/Abwehr nicht betroffen und blieb unter Führung Bürkners im OKW be- stehen132. Mit dem 15. Juni 1944 gliederte sich das Amt Mil im RSHA wie in Abb. 6 dar- gestellt. Mit Weisung des Chefs Wehrmachtführungsstab an den Chef Fremde Heere West im Generalstab des Heeres vom 26. Juni 1944 wurden die Feld verbände der vormaligen Abwehrabteilungen I, II und III als »Frontaufklärungs-Truppen« zu- sammengefasst133. Sie blieben der Wehrmacht unterstellt und wurden geführt durch den Chef Ic Wehrmacht im Wehrmachtführungsstab mittels der Abtei- lung I FA, bei gleichzeitigem fachlichen Weisungsrecht des RFSS, bzw. des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD. Die bisherigen Abwehr-Leitstellen Walli, bzw. West I, II und III wurden Leitstellen I, II und III Ost, bzw. West für Frontaufklä- rung, die Abwehrkommandos wurden Frontaufklärungskommandos und die Ab- wehrtrupps Frontaufklärungstrupps. Es bestanden damit: - Leitstellen I, II und III Ost für Frontaufklärung: I unterstand dem Generalstab des Heeres/Fremde Heere Ost, II und III dem Generalstab des Heeres/Heerwe- senabteilung - Leitstellen I, II und III West für Frontaufklärung: I unterstand dem Generalstab des Heeres/Fremde Heere West, II und III dem Oberbefehlshaber West/Ic - dazu kamen selbstständige Frontaufklärungskommandos unmittelbar unter den Kommandobehörden134. Vom 19. Januar 1945 datiert die folgende Gliederung des Chefs Truppenabwehr im OKW (Abb. 7). Die Geheime Feldpolizei blieb zwar bestehen, doch wurden, nachdem bereits 1942 einzelne Einheiten aufgelöst worden waren, 1944 weitere 23 Gruppen in den SD überführt135. Vom 15. Mai 1945 datiert eine Notiz der Demobilmachungsabteilung im Wehr- machtführungsstab über die zu Kriegsende noch bestehende Abwehrorganisa- tion136. Demzufolge bestanden: - in der Wehrmacht die Truppenabwehr unter dem Chef Truppenabwehr im OKW, Oberst Eduard Martini137, mit Abwehr-Offizieren bei den Kommandobehörden - das RSHA mit den Ämtern VI und Mil, dazugehörig die Fernverbindungen und die Frontaufklärung, sowie die Leitstellen für Frontaufklärung

131 Höhne, Canaris (wie Anm. 19), S. 542 f. 132 Nach Aussage Bürkners »wehrte sich Ausland mit Händen und Füssen gegen eine Über- nahme durch das Reichssicherheitshauptamt. Dass dies gelang, ist nur Göring und Gross- admiral Dönitz zu verdanken.«; in: BArch, RW 5/278, Bl. 4. 133 BArch, RH 2/1537. 134 Zwei Schemata zur Frontaufklärung im Bereich des Heeres befinden sich in: BArch, RH 2/2124K. 135 So eine in amerikanischer Kriegsgefangenschaft entstandene Ausarbeitung ehemaliger Angehöriger der Geheimen Feldpolizei; vgl. BArch, RW 5/283. 136 BArch, RW 44-1/49. 137 Oberst Martini war zuvor als Gruppenleiter bei Abwehr III eingesetzt; vgl. die Personal- akte von Oberst Martini (geb. 1886): BArch, Pers 6/8058. Organisationsgeschichte des Amtes Ausland/Abwehr im Spiegel der Aktenüberlieferung 135

Abb. 7: Gliederung des Chefs Truppenabwehr im OKW (19. Januar 1945)

Quelle: BArch, RW 49/77 (frühere Signatur: RW 5/280), und BArch, © MGFA RW 5/763 (ehemalige Signatur des NS-Archiv des MfS: FW 757 A.08). 05770-06

- für den aktiven Kampf hinter der Front die SS-Jagd verbände138 unter dem Amt VI sowie die Frontaufklärungs-Truppen II - für die Ausbildung des Personals der Frontaufklärung das Lehr-Regiment Kur- fürst.

Ausblick

Der vorliegende Beitrag kann keine »Geschichte des Amtes Ausland/Abwehr« dar- stellen. Er versteht sich als Versuch, die in der Forschung bisher weitgehend un- berücksichtigt gebliebene Organisationsgeschichte dieser Einrichtung zumindest in den quellenmäßig eindeutig belegten Grundzügen zu präsentieren. Viele Fein- heiten mussten dabei an diesem Ort notgedrungen unberücksichtigt oder unge- klärt bleiben. Insbesondere eine detaillierte Darstellung von Aufbau, Entwicklung und Veränderungen der nachgeordneten Einrichtungen, von den Abwehrstellen bis zu den Kriegs-Organisationen, bleibt weiter zu leisten. Das Gleiche gilt für eine Aufstellung der Abwehr-Unternehmen und -Sondereinsätze, soweit diese bekannt

138 Es entstanden mit Übernahme der Sonderkampfeinheiten der Division Brandenburg und des Legionärs-Bataillons am 1.10.1944 die SS-Jagdverbände Mitte, Nordwest, Ost, Südost und Südwest; vgl. Tessin, Verbände und Truppen, Bd 1 (wie Anm. 77), S. 401. 136 MGZ 67 (2008) Thomas Menzel sind, und der hierzu verfügbaren Quellen. In beiden Fällen liegen zumindest kon- struktive, quellenmäßig nachvollziehbare Einzelstudien vor139. Eine demnächst in den »Materialien aus dem Bundesarchiv« erscheinende Dokumentation zum Amt Ausland/Abwehr, bearbeitet von Norbert Müller, wird darüber hinaus wesentliche Dokumente zum Amt Ausland/Abwehr in edierter Form präsentieren. Eine kri- tische, quellenbasierte Darstellung der Geschichte des Amtes Ausland/Abwehr, seiner Organisation, seines Wirkens, aber auch seines nachgeordneten Bereiches bleibt dennoch auch weiterhin ein Desiderat.

139 Als Beispiele seien hier genannt: Uwe Brammer, Spionageabwehr und »Geheimer Mel- dedienst«. Die Abwehrstelle X im Wehrkreis Hamburg 1935-1945, Freiburg i.Br. 1989, und Günther W. Gellermann, Tief im Hinterland des Gegners. Ausgewählte Unterneh- men deutscher Geheimdienste im Zweiten Weltkrieg, Koblenz 1999. Eine vergleichbare Darstellung der Division Brandenburg fehlt leider nach wie vor, trotz in jüngster Zeit hierzu erschienener Werke.