Organisationsgeschichte Des Amtes Ausland/Abwehr Im Spiegel Der Aktenüberlieferung Im Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg I.Br.1
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Archivbericht Thomas Menzel Organisationsgeschichte des Amtes Ausland/Abwehr im Spiegel der Aktenüberlieferung im Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i.Br.1 1. Die Situation bei Kriegsende 1918-1919 Der militärische Geheimdienst des Kaiserreiches bestand zum einen in der Abtei- lung III b des Großen Generalstabes und zum andern im Nachrichtendienst des Admiralstabes der Marine. Vor allem die Abt. III b unter der Leitung von Oberst Walter Nicolai2 gewann dabei im Ersten Weltkrieg umfangreiche Befugnisse. Nico- lais Zuständigkeit erstreckte sich nicht nur auf den geheimen Meldedienst und die Spionageabwehr, sondern darüber hinaus auch auf die Pressezensur und die Pro- paganda, sowie die entsprechenden polizeilichen Exekutivorgane3. Die Abt. III b blieb nach dem Waffenstillstand zunächst bestehen, nach Chari- sius/Mader zumindest bis zum 15. Dezember 1918, mit welchem Datum der in der Heimat verbliebene stellvertretende Generalstab aufgelöst wurde, wobei aus des- sen (stellvertretender) Abteilung III b eine »Nachrichtensektion« entstanden sei4. Der Generalstab des Feldheeres (mit der Abteilung III b) wiederum wurde im Februar 1919 mit den Übergangsorganen des ehemaligen stellvertretenden Gene- ralstabes vereinigt und trat damit - zumindest vorübergehend - wieder als Gro- ßer Generalstab auf. In diesem Generalstab, nach Charisius/Mader, gehörte der Abteilung »Fremde Heere« auch eine »Nachrichtengruppe (NG)« an - die bishe- rige Abt. III b. In der Folge wurde aber nun Nicolai zunächst beurlaubt und schließ- lich verabschiedet5. 1 Die Unterlagen des Amtes Ausland/Abwehr befinden sich, soweit in Deutschland über- liefert, im Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i.Br. (BArch) im Bestand RW 5 (OKW/ Amt Ausland/Abwehr). Gegenwärtig läuft eine Überarbeitung dieses Bestandes, für 2009 ist die Herausgabe eines entsprechenden Publikationsfindbuches wie auch dessen Online-Stellung geplant. 2 Personalunterlagen zu Oberst Nicolai (1873-1947) sind im BArch nicht überliefert. 3 Dementsprechend betont Buchheit hierzu, die Abt. III b unter Nicolai im Ersten Welt- krieg habe über weit mehr Macht verfügt, als das spätere Amt Ausland/Abwehr im Zwei- ten Weltkrieg je erlangen konnte; vgl. Gert Buchheit, Der deutsche Geheimdienst. Ge- schichte der militärischen Abwehr, München 1966, S. 31. Vgl. allg. ebd., S. 17-31 und darüber hinaus die mehrbändige Ausarbeitung von Generalmajor Friedrich Gempp über den Geheimen Nachrichtendienst und die Spionageabwehr des Heeres 1866 bis 1918, er- stellt im Auftrag der Abwehr-Abteilung (sog. Gempp-Papiere): BArch, RW 5/40 bis 50, 70 und 654 bis 664. 4 Vgl. Albrecht Charisius und Julius Mader, Nicht länger geheim. Entwicklung, System und Arbeitsweise des imperialistischen deutschen Geheimdienstes, Berlin (Ost) 1969, S. 103 5 Vgl. ebd., allerdings geben Charisius/Mader hierzu leider keine Quellen an. Militärgeschichtliche Zeitschrift 67 (2008), S. 105-136 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam 106 MGZ 67 (2008) Thomas Menzel 2. Der Neuanfang 1919 Bereits am 31. Januar 1919 stellte der Chef des Admiralstabes, Konteradmiral Hans Zenker6, in einem Schreiben an den Chef des Generalstabes der Armee und an den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes fest, dass in Deutschland »nach wie vor« ein starker gegnerischer Erkundungsdienst betrieben würde, der voraussehbar auch bleiben würde. Aus diesem Sachverhalt folgert Zenker das Bedürfnis deut- scherseits nach »energischer, planmäßiger Abwehr«7. Zum gegenwärtigen Zeit- punkt ruhe die Abwehrarbeit »fast ganz«, ihr Wiederaufbau erscheine jedoch un- erlässlich und hierfür sei ein Zusammenwirken von Militär und Zivil, von Generalstab, Admiralstab und Auswärtigem Amt erwünscht8. Zenker lud daher den Generalstab und das Auswärtige Amt zu einer Besprechung am 11. Februar 1919 beim Admiralstab der Marine9. Vom 7. Februar 1919, vermutlich noch vor Kenntnis dieser Einladung, datiert allerdings ein Schreiben des Auswärtigen Amtes an den Admiralstab, in dem dieses mitteilt, es habe Kenntnis davon erhalten, dass die »zahlreichen« deutschen militärischen Agenten in den Niederlanden ihre Tä- tigkeit fortsetzten. Dies sei jedoch ohne militärischen Nutzen und gefährde die Wiederanbahnung normaler politischer Beziehungen zum feindlichen Ausland, ja, es seien bereits Zweifel der USA an der Loyalität der deutschen Politik geäußert worden. Das Auswärtige Amt erwarte daher die Abberufung der Agenten, der Chef des Admiralstabes werde gebeten, in seinem Bereich entsprechend zu han- deln. Von einem gleichlautenden Schreiben an den Chef des Generalstabes ist aus- zugehen10. Am folgenden Tag, dem 10. Februar 1919, erging folgerichtig die Ab- sage des Auswärtigen Amtes an der Teilnahme der vorgeschlagenen Besprechung - »aus politischen Gründen« bestünden »schwerwiegende Bedenken«11. Dennoch fand am 11. Februar 1919 die Besprechung statt - zwischen Vertre- tern des Admiralstabes, des Reichsmarineamtes und des Generalstabes der Ar- mee12 - über deren Verlauf ein erhaltenes Protokoll informiert. Der Admiralstab teilte dabei seine Absicht mit, »bescheiden« in den Niederlanden und in Dänemark Abwehr betreiben zu wollen, allerdings ohne Einrichtung von Außenstellen, le- diglich mit Hilfe von ein bis zwei Agenten. Der Generalstab informierte, er habe die nachrichtendienstliche Tätigkeit wieder aufgenommen und die Aufnahme eines Abwehrdienstes sei beabsichtigt. Er drückte auch sein Unverständnis über die Ab- sage des Auswärtigen Amtes aus und führte an, es läge ein Widerspruch in des- sen Verhalten, da es gleichzeitig weiterhin vom Generalstab Nachrichten einfor- dere. 6 Personalunterlagen zum späteren Admiral Zenker (1870-1932) sind im BArch nicht über- liefert. 7 BArch, RM 3/4207, Bl. 211. 8 Ebd. 9 Vgl. ebd., Bl. 212. 10 Ebd., Bl. 212 f. 11 Ebd., Bl. 213. 12 Teilnehmer waren für den Admiralstab: Kapitän z.S. Ebert, Korvettenkapitän Prieger, Kapitänleutnant Stammer und die Gerichtsassessoren Dr. Schwandt und Dr. Iltgen; für das Reichsmarineamt: Wirkl. Geh. Admiralitätsrat Dr. Felisch und Korvettenkapitän Forstmann; für den Generalstab der Armee: Major Gempp, Major v. Roeder und Haupt- mann Bieler; vgl. ebd., Bl. 214. Organisationsgeschichte des Amtes Ausland/Abwehr im Spiegel der Aktenüberlieferung 107 Als Ergebnis der Besprechung wurde vonseiten des Admiralstabes der Verzicht auf einen sofortigen Wiederaufbau des Abwehrdienstes vorgeschlagen, unter Vor- behalt der Wiederaufnahme nach Überwindung der gegenwärtigen kritischen Phase. Dann sollte auch die Art der Zusammenarbeit mit dem Generalstab erör- tert werden. Zunächst sollte aber das Auswärtige Amt auf die mit diesem Verzicht verbundenen Nachteile aufmerksam gemacht werden. Demgegenüber zeigte sich der Generalstab nur zu einem Verzicht bis zum Zeitpunkt einer Einigung mit dem Auswärtigen Amt bereit. Dieses sollte jedoch über den Verlauf der Sitzung infor- miert werden13. Zunächst richtete sich das geheimdienstliche Wirken von Heer und Marine al- lerdings nach innen, getragen von der Absicht einer Abschottung des Militärs vor den als bedrohlich empfundenen neuen politischen Strömungen. Als Beispiel für eine Realisierung dieser Zielsetzung auch unterhalb der Zentrale im Generalstab und mit Wirkung in den zivilen Bereich hinein, kann der Einsatz des Freiwilligen Landesjägerkorps (Reichswehr-Brigade 16) in Leipzig im Mai 1919 gelten, bei dem durch diesen Verband gezielt verdeckte Überwachung und Erkundung und in der Folge polizeiliche Exekutivmaßnahmen gegenüber Kommunisten und derart Ver- dächtigten eingesetzt wurden, mithin also abwehrpolizeiliche/geheimdienstliche Tätigkeiten ausgeübt wurden14. In einem Bericht über die Erfahrungen während dieses Einsatzes wird vonseiten des Verbandes unter der Rubrik »Nachrichten- dienst« festgestellt, dass sich »gut durchdachte Vorbereitungen« auf einen sicher und rechtzeitig meldenden Nachrichtendienst gründen müssten, »der dauernd über die Regungen und Stimmungen innerhalb aller Kreise der Bevölkerung ori- entiert ist«. Weiter heißt es an dieser Stelle jedoch, dass dies nicht Sache der Truppe sein könne, »vielmehr muss dieser Nachrichtendienst von einer Zentralbehörde (Ministerium oder Reichswehrkommando) aus in großzügiger Weise organisiert werden«15. Man kann letztlich mit Charisius/Mader zumindest insoweit konform gehen, dass von einer »abwehrlosen Zeit« für 1919/20 nicht gesprochen werden kann. Die Mittel waren zwar dramatisch eingeschränkt und die Kompetenzen, ver- glichen mit der Kriegszeit, weitgehend beschnitten, doch betrieben Heer und Marine bereits Anfang 1919 einen zumindest auf das Militär selbst gerichteten Ab- wehrdienst16. Doch auch diese reduzierten Formen eines militärischen Geheim- dienstes erfuhren mit der Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages am 28. Juni 1919 eine existenzielle Gefährdung. Artikel 160 des Friedensvertrages be- stimmte, dass der Große Generalstab und alle ähnlichen Formationen aufzulösen seien und in keiner Gestalt neu gebildet werden durften. War hier auch nicht ex- plizit ein militärischer Geheimdienst verboten worden, so wurde damit dennoch zum einen die bisherige Organisationsform des deutschen militärischen Geheim- dienstes unmöglich gemacht und zum andern war der militärische Geheimdienst in seiner Funktion als dem Generalstab zuarbeitend betroffen. Folgerichtig stellte der Große Generalstab am 1. Oktober 1919 seine Tätigkeit ein - zumindest nach außen hin. Tatsächlich jedoch existierte der Große General- 13 Ebd., Bl. 214-218. 14 BArch, RH 69/51 und 52 (ehemalige Signaturen des Militärarchivs der DDR: R 836 und 837) 15 BArch, RH 69/51, Bl. 5. 16 Charisius/Mader,