Jahrbuch 1984
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Aalener Jahrbuch 1984 Herausgegeben vom Geschichts und Altertumsverein Aalen e.V. Bearbeitet von Karlheinz Bauer Konrad Theiss Verlag Stuttgart und Aalen Die Machtergreifung der NSDAP in Aalen und Umgebung Hans-Karl Biedert Noch im Jahre 19 31 war die NSD AP in unserer Region eine ziemlich bedeu tungs lose politische Gruppierung, wenn man die Mitgliederzahlen überprüft; in den vier Oberämtern Aalen, Ellwangen, Neresheim und Heidenheim gab es zusammen nur 225 Parteigenossen, davon waren 97 SA-Männer. Die Landtagswahl vom 24. April 1932 glich jedoch bereits einem politischen Erd rutsch in Württemberg. Die NSDAP, die in der vorigen Legislaturperiode ein einziges Abgeordnetenmandat errungen hatte und das auch noch nach Inanspruchnahme des Rechtsweges, erringt 26,4% der abgegebenen gültigen Stimmen und zieht mit 23 Ab geordneten im Landesparlament ein. Sauer1 erklärt den starken Zuwachs der NSDAP vor allem mit ihrem Einbrechen in die Wählerpotentiale der Bürgerpartei und des Bau ern- und Weingärtnerbundes, ebenso bei der DDP und der DVP. Die SPD büßt etwa ein Drittel ihrer Wähler ein, allerdings sind diese zum größten Teil zur KPD überge• wechselt. Nur Zentrum und Christlicher Volksdienst gehen ungeschwächt aus den Wahlen mit 20,5 bzw. 4,2% der abgegebenen Stimmen hervor. Die riesigen Gewinne der NSDAP verteilen sich allerdings sehr unterschiedlich im Lande. Wie auch in ande ren Ländern des Reiches sind mittelständisch-bürgerliche und landwirtschaftlich strukturierte Gebiete mit überwiegend evangelischer Bevölkerung besonders anfällig für die NS-Propaganda gewesen. In den gleichfalls landwirtschaftlichen Gebieten Ostwürttembergs allerdings tut sich die NSDAP viel schwerer. Hier ist die Bevölke• rung stark in der katholischen Tradition verwurzelt und hat ihre Heimat in der Partei des politischen Katholizismus, im Zentrum gefunden. In den Städten, dies trifft auch für Aalen zu, bzw. im stark industrialisierten Wasseralfingen sieht das Bild wieder an ders aus: In den traditionellen Wählerpotentialen der SPD und in geringerem Maße der KPD war die NSDAP erfolgreicher. Allerdings liegen hier die Stimmengewinne der NSDAP dennoch unter dem Landesdurchschnitt. Bei der Wahl am 24. April 1932 erhält die NSDAP in der Stadt Aalen 1732 Stimmen, das Zentrum aber noch 1966. Im Landbezirk ist das Verhältnis noch günstiger für das Zentrum: Es erhält hier 7799 Stimmen, während sich die NSDAP mit 3318 Stimmen begnügen muß. Die sich noch weiter verschärfende Weltwirtschaftskrise treibt in den nächsten Mona ten weitere Bürger in die Arme der Extremparteien, in unserer Gegend vorwiegend in die der NSDAP. So wächst auch die SA gegen Ende 1932 nicht unerheblich an. Der Sturm 21 mit 64 Mann ist in Aalen stationiert, ein Motorsturm mit 38 Mann steht ebenfalls in unserer Stadt, außerdem ein Musikzug mit 20 Mann und ein Spielmanns zug mit 9 Mann. Sie alle sind eingegliedert in den Sturmbann III/120 mit Sitz in Aalen, 264 !anbtagema{Jl Wablbe3irf 2lalen 003i4(~emofr4tifct,e Pdrtei U,tirttember9& ltinfd - ttlifeler - 1\amm - ttla\n!le 1 l\ra\dner - 0d)war3 1 0 U,tirtt. 3entrumepdrtei <ßengler - [)r. l\eyede - ltul.)n - ttlal.)dnger 2 <ßroff - ttlaier 2 0 U,tirtt. l:;auern:: unb U,eingctrtnerbunb 3 ttlufd)ler - l>ogel - 1\n6bler - l\a\l.)l 3 0 l)eutfct,e l)emofrdtifct,e Pdrtei 4 [)r. ttlafer 4 0 I\ommuniflifdJe P4rtei l)eutfct,ldnb& .t,aag - ,6ein3mann - n:>olf - rt'agd 5 2t6jing - ,64Uer 5 0 l)eutfct,nationdle t>olfepartei (n:>alrtt. ~a\rgeqweef) 6 [)r. ,66lfd)er - !\aber - l\a\rgero - l\renner 6 0 [)eutfd)e l>olfepartei unb l)olfefonfemith,e l>minfgung 7 1'r. Plappert 7 0 <1:~rifllict,er t>olf&bienfl ftir U,tirttemberg 8 0d)eible - 1\ling - l\ilger - !amparter 8 0 t>olferecb~Pdrtei 9 !\aufer - !)agd 9 0 t'J4tiondlfo3idliflifct,e l)eutfct,e 2trbeiterp4rtei (9ltlnbe11>C9un9) 10 1Uing - l\attl.) - 0annW4lb - l\odd ~etmanfeber - 0auerbom 10 0 129 Stimmzettel für die Landtagswahl am 24. April 1932 26 5 :ßeicflltagfbHl~l Eo~lfreie ::tniirttem6er9 (lll6rttmt6<rg unO :ßegierung~6t1irl ~igmoringtn) '111tlon11tfo1iollflifcfle '.Oeutfcflr tlr6elter, "Partei (~lt1erbe1PeA••nJ 1 Duim - C!runll - oon Joiton:i - f\ithn 110 eo1iotOemolratifcfleJ)artei'.Oeutfcfltonoe 2 Bohmoaa - Dr. Sd;1u1.a~r - Ulr~ - mrtmn 210 Rommuniflifd)e ))ortet '.Oeutfd)tanOe 3 Jroa 3rltl11 - Bud)manu - U11rit - Ctar 30 '.$ürt1em6erqifdl,ßol)en1ollrrifdle '.3entrume11artei 4 »r. 11011 :tor!ID c&rok mlcbcacLff 4 0 Oeutfd)notionale 13olleporlei 5 k IHkt - !>r. Oötld>tr - JfCll Alo\ - 11„lc 510 :RoOifater '.DlutetflanO 5a m,u. - Dt. DJ6rbdntt 5a 0 Oeutfdle 13olleportei 7 Mur, - lrh&tr - !f'°rr - :traa JlrU 7 0 Oeutfa,e bemofratifdle ))artet '.UJürttem6erg uaO bolien~ollern 8 1)r. Dlclln - DJrln anb - 1raa flrHk - fl11u,m1111n 8 0 <If1rtf1Ua,,fo1ialer 13otfe01enfl (<bon9ellfd/e '.8t1PtQan9) 9 Slmplrnbötfrr - Boufcf1 - 3rot, - Bl[att 9 0 ed)idjolfgemdnfd)off o,utfdJ,r <Jrtt>tr6f• toftr, !lltin~anbtt unO 0ett>rr6t 9a (<frt1Jtt6dloftnfront) r,ofh,mm 9a 0 'Refd/eportei Oes Oeutf<l)en '.DlutelflanOee 10 ·--~--»-,--(1lJlrtfd/af1'1>•rfri) 10 0 Oeatfd!e 8auern11artel 11 !>r. 3,., - lllllag 11 0 8auern, unb '.$eingcirtner6un0 12 Out - Jr,\~rt ooa Slauffrnbng - lldll - SWgd 12 0 13olterecf)l•J)arlei 14 JSnfrr - f)qrl - 3ollrr - Spldln 14 0 l!>oiiot,:ßtpu61ilonifdJt J)ortti Otutfc!,14n0f (J)i!rffng,'.8,,.,gung fiir lltr6tiff6efd)ojfaag) 17 t)lrflag - :Jdl - Dr. tllrmfr - 1tn... a 17 0 Oo~ialiflifcf)e tlr6eiter,J)ortei '.Oeuifd)lonOs 18 1Dolcl,t1 - t)ornbadl - Cölllrr - ltt6flodl 18 0 :9reia,irtfd!aillid)e J)artei '.Oeutfd!lank (l)orfci lilr !riftnfrel, :J.lol"IPlrtfcfloff) 21 Broua - llra - lbt 21'0 Rampjgemeinfd)aif Oer tlr6eiler unO :Bauern 25 !2!!;ikr ftl'lr!rr ~lfb~d· ~u.. •• 25 0 Oeutfdle :Reiorm,J)arlei 26 t1' - Pfrlfrr - :traa tran 26 0 Rleinrentner, ,3nf(ationegefd)ciblgte unO 1Jortrlege9d06efiiJer 27 llrn 1lrrutldiel Slrhnana -fiuha 27 0 <fnlei9neter l11itleljlan0 28 lr4mn - t)rUivlt - l)rrfod 28 0 banOa,erler, t,11nbet, unO 0ea,er6e• trei6enbe 130 Stimmzettel für die Reichstags 29 1•~- lllldff !29 0 wahl am 6. November 1932 266 der Stürme in Aalen, Giengen, Lauchheim und Heidenheim umfaßt. Insgesamt sind hier 362 Männer organisiert, sicherlich zum Teil Arbeitslose, die auf diese Weise einer im NS-Sinn nützlichen Beschäftigung zugeführt werden. Das Organisationsnetz der Partei in unserer Gegend war aber noch lange nichtlücken• los; im Winter 1932/33 gab es nur in sieben Gemeinden Ortsgruppen der NSDAP: Aalen, Abtsgmünd, Adelmannsfelden, Essingen, Oberkochen, Unterkochen und Wasseralfingen. In den anderen Gemeinden war die Mitgliederzahl der Partei noch so gering, daß sich eine eigene Ortsgruppe nicht lohnte. Das Jahr 1933 beginnt eigentlich völlig „normal"2 • Am 5. Januar berichtet die Kocher Zeitung, daß im Arbeitsamtsbezirk Aalen mehr als 600 000 RM im Rahmen des Gere ke-Programms zur Überwindung der Arbeitslosigkeit eingesetzt werden sollen. Im Rahmen dieser reichsweiten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sollten in unserer Ge gend Straßenbauarbeiten (Verbesserung der Straßen Unterrombach-Dewangen Abtsgmünd und Hohenberg-Rosenberg) sowie Kocher- und Jagstregulierungen durchgeführt werden. Da die Arbeitslosigkeit in der Stadt Aalen selbst am größten ist, wird noch dringend ein Projekt der Stadtgemeinde zur Bezuschussung vorgeschlagen. Immerhin zeichnet sich zu Jahresbeginn 1933 weltweit ein Rückgang der Weltwirt schaftskrise ab, was auch in Aalen mit Erleichterung registriert wird. Schließlich war 1932 das wirtschaftlich „ traurigste in langen Zeiten gewesen", wie Oberbürgermeister Schwarz am 19. Januar in seinem Jahresrückblick im Stadtrat sagte'. Das vergangene Jahr habe die schwersten Enttäuschungen mit sich gebracht, und man hoffe auf baldige Besserung der Lage. Die erste NSD AP-Aktivität im neuen Jahr, die durch die Zeitung überliefert ist, findet am 22. Januar 1933 statt. An diesem Tag findet eine Kundgebung und ein „Deutscher Abend" der Partei statt. Die SA marschiert auf dem Bohlschulplatz auf. Kreisleiter Adolf Kling MdL hält eine Rede, ebenso der SA-Sturmbannführer Fridolin Schmid. Der „Deutsche Abend" der NSDAP wird in der Zeitung als die bisher eindrucksvoll ste Veranstaltung der Partei in dieser Art bezeichnet, auch sei die Zahl der Zuhörer diesmal erfreulich hoch gewesen, was man anscheinend nicht immer in der vergange nen Zeit von Veranstaltungen der NSDAP behaupten konnte. Noch haben wir in Aalen aber Parteienpluralismus, es existieren zahlreiche andere Gruppierungen. Vom Konsumverein über völkische Gruppierungen bis hin zu christlichen Pfadfindern, von der SPD bis zum Zentrum sind in diesen ersten Wochen von 1933 Neujahrsfeiern oder Parteiabende in der Zeitung gemeldet. Die NS-Aktivitäten nehmen noch keinen her ausragenden Platz ein. Die Partei gilt als eine unter vielen. Sie wird auch als eine unter vielen verkannt. 267 Die Ereignisse um den 30. Januar 1933 in Aalen Ende Januar tat sich einiges auf der politischen Bühne in Berlin. Das blieb der Kocher Zeitung nicht verborgen. Am 27. Januar taucht auf Seite 5 zum ersten Mal eine Notiz auf: ,,Gerüchte um eine Kabinettsneubildung. Eintritt der Nationalsozialisten in ein Präsidialkabinett unter Verzicht auf Führung?", so lautete die Überschrift eines Arti kels, der offensichtlich aus der damals in Berlin heftig brodelnden Gerüchteküche seine Informationen bezogen hat. Weiter unten auf derselben Seite ist eine Erklärung der NSDAP eingerückt, eine offiziöse Pressemeldung aus dem Braunen Haus in Mün• chen, wonach die Partei sehr wohl bei einer Kabinettsumbildung auf den Posten des Reichskanzlers Wert lege. Anderslautende Gerüchte