Aalener Jahrbuch Online

Geschichtsverein e.V.

Bearbeitet von Georg Wendt

©2020 Geschichtsverein Aalen e.V.

Bildnachweis: Soweit nicht anders vermerkt, wurden die Fotos und Illustrationen vom Stadtarchiv Aalen zur Verfügung gestellt. 012 Das Ende des Krieges im Kreis Aalen im Spiegel der Ortsberichte von Martin Grasmannsdorf

Furchtbar muss unser Volk für den ren Bürgermeister, Lehrer und Pfarrer, Wahnsinn der Vergangenheit büßen.1 in Dalkingen eine Frau.

So lautet das Fazit des Berichts zum Ganz lapidar geht es auch: Aus Unter- Kriegsende aus Hüttlingen. Aufbe- riffingen traf eine halbe Seite in Stutt- wahrt wird er, wie 61 weitere aus dem gart ein, und in Ellenberg nutzte man Altkreis Aalen, im Bestand J 170 des die Zwischenräume des Anschreibens Hauptstaatsarchivs . für die Antwort.

Der Anstoß zur Anfertigung der Be- Die Berichte sind inzwischen nach richte kam vom Württ. Statistischen Ortschaft sortiert auf der Homepage Landesamt, das Anregungen von des Landesarchivs einsehbar (Signa- Oscar Paret aus dem Jahr 1945 aufgriff. tur: Hauptstaatsarchiv Stuttgart J 170 Der Bericht sollte nach vorgegebenen Bü 1 für den Landkreis Aalen). Gesichtspunkten gegliedert werden, der Rücklauf bis zum 1.11.1948 abge- Am 1. April 1945 deutet der Wehr- schlossen sein. machtsbericht mit der Erwähnung von Bad Mergentheim darauf hin, Alle Gemeinden kamen dieser Auf- dass sich der Krieg der Ostalb nähert, forderung nach. Nur zu ist denn nun steht endgültig fest, dass vermerkt: siehe Ellwanger Jahrbuch die deutschen Truppen der alliierten 1947. Militärmaschinerie nur noch wenig entgegenzusetzen haben. Die Hoff- Die meisten Berichte umfassen gera- nung auf den Einsatz der Wunderwaf- de einmal zwei maschinenschriftliche fen schwindet: Es wäre doch sicher Seiten, zwei sind von Hand geschrie- höchste, allerhöchste Zeit, die ange- ben. kündigten Wunderwaffen endlich einzusetzen (Hofen). Die Texte aus einigen Orten lassen in- des darauf schließen, dass Vorarbei- Im Verhalten der Bevölkerung kann ten, vor allem in Form von Tagebuch- man Zeichen der Auflösung erken- einträgen geleistet worden waren. nen: Bei der Bestattung hob sich an Hervorzuheben sind hier Aalen, Bop- dem Soldatengrab zum ersten Mal kei- fingen, , , Hofen, ne Hand zum Hitlergruß (, 11. Hüttlingen, Jagstzell, Oberdorf, Ober- April). kochen, Rindelbach, Unterwilflingen. Lediglich bei BdM und HJ ist der Glau- Diese Berichte umfassen fünf Seiten be an den Endsieg ungebrochen. In und mehr ( 22 Seiten) und Bopfingen wird zu Ostern am Ipf ein geben dadurch weitreichende Einbli- großes Werwolfzeichen gelegt und cke. Als Verfasser zeichnen des öfte- allenthalben stand eines Morgens an 1 den Zäunen und Mauern das Wer- durchzuführen. Der Feind solle nur wolfzeichen und die Worte „Wir sie- ein schlafendes Land vorfinden. gen doch“ mit Ölfarbe geschrieben. Die Organisation Werwolf, eine Grün- Als am 7.April vom Landratsamt der dung von Heinrich Himmler, sollte Befehl „Cäsar“ durchgegeben wird, den Untergrundkampf gegen die Alli- sieht man in Fachsenfeld nirgends et- ierten organisieren. was, was auf eine Ausführung des Be- fehls schließen lassen könnte. Auf den Der Jahrgang 1930 wird zwei Tage Rathäusern jedoch beginnt man mit nach der Konfirmation am 20. März der Aktenvernichtung. Der Fleiß, den gemustert und soll sich zum Eintritt in man dabei an den Tag legt, scheint die SS verpflichten (Bopfingen). Am 17. örtlich verschieden. April werden 20-24 Angehörige des HJ-Jahrgangs 1929 von der SS ein- Ehe die deutschen Truppen auf ihrem gekleidet, ohne Kragenspiegel. Vom Rückzug das Kreisgebiet erreichen, Jahrgang 1930 einzelne Freiwillige. muss die Bevölkerung mit ansehen, Sie werden noch vier Tage lang aus- wie KZ-Häftlinge durch das Kochertal gebildet. getrieben werden. Der „Hessentaler Todesmarsch“ schlägt sich in einigen Aalen und Umgebung sollen zur Ver- Ortsberichten nieder, so in Dalkingen, teidigung eingerichtet werden. Daher , Kerkingen, Ober- beginnen die örtlichen Volkssturm- dorf und besonders eindrücklich in führer mit der Festlegung der Vertei- Bopfingen und Dirgenheim. digungsgräben, Schützenlöcher und Panzersperren. Die Männer des Volks- In , wo schon viele Aus- sturms beginnen am Karfreitag zu gra- länder in einem Umsiedlungslager ben. Man kann nicht gerade von gro- seit Jahren zusammengepfercht le- ßer Begeisterung sprechen, berichtet ben, werden Inder und Neger durch- man aus Fachsenfeld. Hier wie auch geführt. Das Kriegsgefangenenlager andernorts, z.B. in Dalkingen, werden Ludwigsburg ist auf dem Marsch (10. auch Frauen und Mädchen eingesetzt. April).

Die Bürgermeister des Kreises werden Auch in Goldburghausen beobachtet am 29. März in Fachsenfeld zusam- man den Durchzug von 1.000 Kriegs- mengerufen und erfahren dort vom gefangenen (Franzosen, Polen, Tsche- neu ernannten Kreisleiter Trefz, dass chen). Nicht genug damit. Kosaken bei Annäherung des Feindes mit zwei der so genannten Wlassow-Armee Befehlen zu rechnen sei: „Cäsar“ und sind bereits auf ihren Pferden durch „Nero“. die Stadt gezogen (11. März). Aber auch tschechische und ungarische „Cäsar“ bedeute die Vorbereitung der Fremdarbeiter sind bereits auf dem völligen Räumung des Gebietes von Weg in ihre Heimat.(Dirgenheim). Menschen und Vieh, bei den Behör- den und Ämtern müsse mit der Ak- KZ-Häftlinge gehören zum Ellwan- tenvernichtung begonnen werden. ger Alltag, denn dort arbeiten Häft- Werde das Stichwort „Nero“ gege- linge des Konzentrationslagers Natz- ben, wäre die Räumung des Gebietes weiler-Struthof. Sie stellen in einer in Richtung der angegebenen Ziele Holzköhlerei im Waldteil in der Nähe 2 der Dalkinger Straße Holzkohle her zum Beispiel bei Essingen, wo ein An- (Schwabsberg). griff am 8. April zehn Tote und zahl- reiche Verletzte fordert. Jedoch der Beschuss durch Tiefflieger im Volks- Bahnhof kam mit dem Schrecken mund „Rotschwänze“-wird nahezu davon. In wird ein Zug überall verzeichnet.² Er fordert nicht angegriffen, in dem KZ-Häftlinge aus wenig Tote: Bauern, Bauersfrauen, Neckarelz nach Dachau transportiert Mägde, Fremdarbeiter bei der Feld- werden. Acht Häftlinge sterben. arbeit, Kinder im Haus und im Frei- en. Können sich Menschen oft noch Abgesehen von zielgerichteten Bom- in Deckung retten, so sind die ange- bardierungen wie in Aalen entledi- schirrten Arbeitstiere, Pferde, Ochsen, gen sich Bomber gelegentlich ihrer Kühe, ein leichtes Ziel. Last über Feldern und Wäldern. Davon schreiben Kerkingen, (100 Ebenso leicht sind Züge zu treffen, so Bomben bei Gromberg), Pfahlheim,

Abb.1: Bombardierung des Aalener Bahnhofs am 17. April 1945. Links unten sind deutlich die Umrisse der Aalener Altstadt zu erkennen (US-Airforce; 534.365)

3 Abb.2: Das zerstörte Bahnhofsgelände in Aalen nach dem Angriff.

Unterschneidheim,(circa 20 Bomben), len am Horizont den Vormarsch der Röttingen, Zipplingen (46 tiefe Krater). Amerikaner anzeigen. Wo nicht be- reits geschehen, wird allerorten der Aalen wird Ziel eines heftigen An- Bau von Panzersperren vorangetrie- griffs, der auch von Fachsenfeld aus ben. Geschlossen werden sie noch beobachtet wird. Am 17. April fliegen nicht. Sprengungen werden vorberei- 35 zweimotorige dunkle Flugzeuge in tet. Und bald durchqueren die ersten 4-500 m Höhe an und werfen jeweils „Rückwärtigen Dienste“ den Kreis. So zwei Bomben ab, die eine beträchtli- wird in Kerkingen ein mobiles Pferde- che Größe haben müssen, da sie von lazarett aufgeschlagen. hier aus einzeln gesehen werden. Das Auftreten geschlossener deut- Deutsche Abwehr ist nicht bemerkbar. scher Einheiten wird mehrmals be- Riesige Rauch - und Staubwolken stei- sonders erwähnt. Das Erscheinungs- gen auf. Am Abend erfolgt ein zweiter bild der Waffen-SS erweckt Mitleid: Angriff mit 36 Maschinen. Bewohner Diese Formation bestand vorwiegend verlassen daraufhin in großer Zahl die aus sehr jungen Menschen. Abgema- Stadt in die umliegenden Ortschaf- gert und traurig gingen die jungen, ten und Waldungen. Im Ortsbericht bemitleidenswerten Soldaten durch schätzt man ihre Zahl auf 400-500, die die Straßen. […] Die Disziplin dieser in Fachsenfeld Zuflucht suchen. Truppe war gut ().

In der zweiten Aprilwoche rückt der Um Auftreten, Ausrüstung und Be- Krieg näher. Bald werden Rauchsäu- waffnung des Volkssturms war es 4 nicht gut bestellt. Während in Bop- Panzerregiment acht Tage lang im fingen noch Gewehre ausgegeben Quartier und hunderte von Lastwagen werden, die man einige Tage zuvor und Tankwagen waren in den Wäl- aus Oberndorf geholt hatte, verfügt dern abgestellt. Als dann am 20. April der Volkssturm in Neresheim weder der Abmarsch bekannt wurde, gerie- über Waffen noch über Ausrüstung. ten sie in eine solche Stockung, dass In Stödtlen müssen sich jeweils 15 stundenlang der ganze Verkehr stock- Mann die wenigen vorhandenen Waf- te (Schweindorf). fen (einige ausländische Gewehre mit einigen Schuss Munition) teilen. Von Nicht wenige Soldaten entledigen Kampfstimmung ist zumeist nichts zu sich ihrer Waffen und auch ein Ge- spüren. schütz bleibt schon mal stehen (Oh- menheim). Auf der anderen Seite Dafür ist die Stimmung im Adler in Eb- erleichtern requirierte Traktoren (Bull- nat umso besser, da Anfang April der dogs) oder gewaltsam weggenomme- deutsche Ortskommandant zum Ball ne Pferde aber auch Kinderwagen das lädt, zu dessen Vorbereitung ca. 600 Fortkommen (Rindelbach, Hüttlingen, Eier requiriert werden. Bei Schnaps, Waldhausen, Dankoltsweiler). Wein, Bier und Tanz, wobei sich eva- kuierte Frauen und hiesige Mädchen Der Eindruck vom Durchzug der letz- recht flatterhaft benommen haben ten Soldaten am 21. April steht den sollen, feiert man die Agonie des Drit- Bopfingern drei Jahre nach Kriegsen- ten Reiches. Zu einer Geburtstagsfeier de noch lebhaft vor Augen: […] darnach für Hitler am 20. April hingegen wird zog eine Abteilung Infanterie durch. nicht geladen. Seit Jahren ist das erste Die Zahl ließ sich nicht schätzen, Mal keine große Geburtstagsfeier von denn, waren die an den vorhergehen- der Partei angesetzt (Fachsenfeld). den Tagen durchgezogenen Truppen noch geschlossene Kolonnen gewe- Am 21. April, ergeht der Befehl „Nero“. sen, so waren es am Samstag regellose Er wird nirgends befolgt. Zum einen Haufen: Einzelne, ein Knäuel, wieder ist nirgendwo klar, wohin man auf- ein paar usw. Die einen führten ih- brechen soll, aber viel gewichtiger ist ren Tornister auf Handwägelein hin- die oft zu lesende Erklärung, man sei ter sich her, die anderen trugen ihn nicht bereit, die Heimat aufzugeben: noch auf dem Rücken, einer saß in ei- Trotz öffentlicher Aufforderung zur nem Bauernkütschlein, das ein Pferd Flucht vor dem Feind hat niemand zog und kutschierte vergnügt, andere von der Bevölkerung den Ort verlas- wanderten an Stock daher, hatten kein sen (Goldburghausen). Gewehr mehr, wieder andere keinen Stahlhelm oder keine Koppel und kein Die Zahl der durchziehenden Soldaten Seitengewehr, viele hatten elendes steigt unterdes stark an und auch das Schuhzeug: ein Bild des Jammers und Erscheinungsbild wandelt sich. Sieht der Trostlosigkeit […] Was waren es für man gelegentlich „intakte“ Einhei- Truppen gewesen, die im Herbst 1940 ten, wie Artillerie, so haben sie keinen nach Beendigung des Frankreichfeld- Kampfwert, denn es fehlt an jeglichem zugs in Stuttgart eingezogen waren! Nachschub. Auch die Ordnung inner- halb einer Einheit löst sich auf: Hier In Hüttlingen wird es auf den Punkt im Ort war der ganze Troß von einem gebracht: Die letzten kläglichen Res- 5 te der einst deutschen stolzen Wehr- Wänden starke Zerstörungen bewirkt. macht jagten wie die Wilden aus dem Dorfe davon. In Fachsenfeld wurde bei der Spren- gung eine Stichflamme von etwa 200 Standgerichte indessen arbeiten wei- m Höhe beobachtet. Die Sprengung ter. In Kirchheim am Ries tagt ein der Brücke war besonders dadurch solches im Grundbuchzimmer des als sinnlos gekennzeichnet, weil die Rathauses. Der wegen Urlaubsüber- nächste Brücke, die etwa 500 m ober- tretung Verurteilte wird noch am glei- halb der gesprengten Brücke […] über chen Abend im Jagstheimer Wald er- den führt, nicht gesprengt schossen und dort verscharrt. wurde.

Ehe die ersten amerikanischen Panzer Teilweise werden Sprengungen ver- am 21. April auftauchen, verlassen na- hindert, so in Hüttlingen durch den hezu überall die Funktionsträger der Ortsgruppenleiter und den stellvertre- NSDAP, insbesondere die Ortsgrup- tenden Bürgermeister, oder in Floch- penleiter im Auto ihre Posten und set- berg, wo der Sprengstoffauf das freie zen sich zur kämpfenden Truppe ab Feld gefahren wurde. (Neresheim). Dem Befehl, die vorbereiteten Pan- Es ist unklar ob sie dort eintreffen. zersperren zu schließen, wird nur in Später finden sie sich vereint in In- Ausnahmefällen Folge geleistet. Man ternierungslagern wieder.3 Auch kann nachlesen, dass sie mehrfach vor „Kampfkommandanten“ ziehen den dem Auftauchen der amerikanischen rechtzeitigen Rückzug ihrer eigentli- Soldaten abgebaut werden, wobei die chen Funktion vor (Aalen, Bopfingen, Mithilfe von Frauen betont wird (Utz- Essingen, Neresheim). ).

Vorbereitete Sprengungen von Stra- Die Hitlerjugend aus Aalen zieht am ßen- und Eisenbahnbrücken werden 22. April dem Feind entgegen und will teilweise durchgeführt. Ein militäri- sich in zum Kampf scher Nutzen ist nicht feststellbar, der stellen. Dafür will sie sich mit Panzer- angerichtete Sachschaden beachtlich. fäusten bewaffnen, die im Schuppen der Darlehnskasse eingelagert sind. In der Scherrenmühle lag seit 2 Tagen Dem Lammwirt und Schmid Wem- ein Sprengkommando, welches die mer ist es zu verdanken, dass es dazu Sprengung der Kocherbrücke vorbe- nicht kommt. Denn als die HJ - Führer reitet hatte. Auf die Fahrbahn der Brü- von ihm die Herausgabe des Schlüssel cke waren 4 Fliegerbomben zu je 250 zum Schuppen verlangen, gelingt es kg gelegt worden und mit Fernzün- ihm, die Schlüsselherausgabe so lan- dung versehen worden. […] Abends ge zu verzögern, bis es zeitlich zu spät um 20 Uhr wurde die Sprengung war, sodass die HJ gemeinsam mit durchgeführt und dadurch nicht nur dem Resten der SS am frühen Nach- die Brücke zerstört sondern auch die mittag des 22. April gegen die Burk- Dächer der Umgebung bis Waiblin- hardsmühle abziehen mussten (Adel- gen, Siegenbühl, Sanzenbach und so- mannsfelden). gar noch in Fachsenfeld am Scherren- berg abgedeckt und an Fenstern und Gefechte um einzelne Orte finden 6 nur in Oberdorf, Bopfingen und Lip- die am Kirchturm angebracht wird. pach statt. Sie dauern nur wenige (Ohmenheim, Ellwangen Schönen- Stunden und sind für die Verteidiger berg, Lauterburg) Der Bürgermeis- verlustreich, denn blutjunge Rekru- ter (Pflaumloch, Pfahlheim),beherz - ten und alte Volkssturmmänner kön- te Männer (), der nen mit Infanteriewaffen und einigen englischen Sprache beflissene Frau N Panzerfäusten nichts gegen Panzer [...] im Namen des abwesenden Bür- ausrichten, die zudem noch ihre An- germeisters (Schwabsberg) gehen den weisungen von Beobachtungsflug- amerikanischen Soldaten entgegen. zeugen erhalten. In Lauterburg hält man sich an die Die Aufklärung auf deutscher Sei- Regeln einer geordneten Verwaltung. te benutzt das Telefonnetz, um sich Der Gemeinderat wird in der Frühe über die Feindlage zu informieren. des 24. April einberufen und billigt die Der Essinger Bürgermeister ruft am Übergabe Lauterburgs an die ameri- 23. April in Forst an und es kamen ei- kanischen Truppen. Nach Essingen nige Fremdlaute. Nun ist klar, wer in und Lautern sollen Übergabebot- Forst das Sagen hat. Im bereits besetz- schaften entsandt werden. Nach Es- ten Rindelbach will sich am 22. April singen durch Männer, nach Lautern der Kampfkommandant von Ellwan- durch zwei beherzte Frauen. Beide gen nach dem Stand der Dinge er- Abordnungen können ihren Auftrag kundigen. Als ein Deutsch sprechen- erfüllen, wobei den Frauen in Lautern der Amerikaner ihn dazu auffordert, erklärt wird, dass das Dorf höchste Zeit die Stadt zu übergeben, antwortet er habe, sich zu übergeben. mehrfach mit dem Götzzitat: „Er kön- ne ihm...“ Teilweise werden Orte auch ohne vor- herige Formalitäten besetzt. Ellenberg Das Wetter am 21. April ist vielleicht wird durch 9 Amerikaner kampflos auch ein Grund dafür, dass die ge- besetzt, in Fachsenfeld erwarten der plante Bombardierung Ellwangens Bürgermeister und der Freiherr von und größere Kampfhandlungen un- Koenig, der englisch versteht, an der terbleiben. Ein gewaltiges Gewitter evangelischen Kirche die heranroll- entlädt sich am Nachmittag über der enden Spähwagen. Zuvor hatte von ganzen Gegend. Der folgende Wet- Koenig die Amerikaner im Kochertal tersturz ist beträchtlich, die folgen- informiert, dass von den Fachsenfel- de Nacht wird nasskalt, der Morgen dern kein Widerstand zu erwarten sei. neblig. Und nicht nur in Schlossberg ist man der Ansicht: Das Gewitter war In allen nun von den Amerikanern unsere Rettung. kontrollierten Orten wird ein striktes Ausgehverbot von 20 bis 7 Uhr ver- Sieht man von den Orten ab, wo zu- hängt. Alle Waffen sind abzuliefern, nächst keine förmliche Besetzung alle Soldaten müssen sich melden. erfolgt (Geislingen, Goldburghausen, Kösingen, Nordhausen erst Anfang An den Vormarschstraßen beginnt Mai), kann die Bereitschaft zur Über- nun das große Staunen. Der Ortsbe- gabe eines Ortes auf mancherlei Art richt von Walxheim soll als einer für angezeigt werden. Ein weithin sicht- alle stehen: Es war dann ein Geras- bares Zeichen ist eine weiße Fahne, sel und Gepolter drei Tage und drei 7 Nächte lang, denn es zog die gesam- Tauschhandel zu treiben, um ihre Al- te 7. Panzerarmee durch. Hier auf der koholvorräte aufzufrischen (Ebnat). Strasse wo kein Mensch vorher ver- muten konnte, dass je eine feindliche Das Braune Haus in Aalen wird Ziel Kolonne durchkomme, geschweige des Volkszorns. Sämtliche Räume im denn eine ganze Armee. In der drit- Braunen Haus (Bahnhofsvorplatz) ten Nacht kamen dann noch schwe- sind noch in den letzten Tagen des re Schwimmpanzer durch.Jetzt war‘s Monats April vollständig ausgeplün- ganz aus. Die Strasse glich einem aus- dert worden. Selbst die Türklinken, getrockneten, noch mit Pfützen ver- Schalter zum elektrischen Licht, die sehenen Flussbett. Am oberen Wei- Beleuchtungskörper mit Zuleitungen, her waren derart grosse Löcher in der Linoleumbelag waren entfernt. Strasse, dass man beinahe ein kleines Häuschen hätte hineinstellen können. In den Zimmern lagen nur noch un- brauchbare Leitzordner und Altpapier. Farbige Soldaten passen nicht in das Auf die durch öffentlichen Anschlag Weltbild der Bevölkerung. Es löst erfolgte Aufforderung zur Zurück- Kopfschütteln aus, wenn ein „Neger“ bringung der unberechtigter Weise einen Lastwagen fährt, vollblütig und entfernten Gegenstände sind zurück- grinsend aus einem Wagen steigt (Ho- gebracht worden: fen), einen Panzer steuert, oder als In- fanterist ein Haus durchsucht. Beina- 1 Schreibtisch (im Städt. Bauhof in he noch schwerer ist ein „Halbneger“ Verwahrung) einzuordnen. Weltgewandt scheint 1 stark beschädigter Kopierapparat5 ein Berichterstatter, wenn er von „schwarzen Amis“ spricht (Röttingen), Der rechtsfreie Raum wird auch von schwerer tut sich ein anderer, der nie- Fremdarbeitern genutzt. Auf etwa derschreibt: Die Soldaten, Amerikaner 10.000 summiert sich ihre Zahl in den und Neger. Meldungen der Gemeinden (mit Aus- nahme Ellwangens) an den Landkreis Zwar sind die Amerikaner bemüht, Anfang Mai 1945.6 kein Machtvakuum und rechtlose Räume entstehen zu lassen, im All- Die Männer und Frauen aus aller Her- tag herrschen andere Regeln. In den ren Länder haben sich beim Heranna- ersten Wochen nach dem Einmarsch hen der ersten feindlichen Panzer so- werden mehrere Problemfelder be- fort unter Vorantragung einer weißen nannt. Die ortsansässige Bevölkerung Fahne mit ihren Besatzungen verbrü- bedient sich am nicht mehr beauf- dert (Hofen). Sie legen die Arbeit nie- sichtigten staatlichen Eigentum. Da der, ihre Unterkünfte, zumeist Holz- zunächst entwaffnet, ist die Polizei baracken, stehen offen, sie können machtlos. Der Tisch ist gedeckt, es wird sich ohne Furcht vor Repressalien frei geplündert, wo es etwas zu holen gibt bewegen und fordern bessere Verpfle- (Aalen, Bopfingen, Neresheim, , gung (Neresheim), Unterkünfte (Bop- Oberkochen, Röttingen, Walxheim). fingen), angemessene Bezahlung und plündern an zahlreichen Orten. Den Amerikanern fallen in Aalen 5.000 Sack Zucker in die Hände.4 Schon bald Auch vor Gewalt schrecken sie nicht beginnen die ersten Soldaten, damit zurück. In zwei Berichten werden vier 8 Morde vermeldet, einer in Niederal- Gliederungen und angeschlossenen fingen, drei auf dem Theussenberg Verbände ein Verzeichnis des beweg- bei Essingen. Um ein Grundmaß an lichen Vermögens. Es datiert vom 15. Ordnung wiederherzustellen, werden Juni 1945.8 Peinlich genau werden mancherorts Franzosen und bewaff- auf 23 Seiten Sachwerte und Konten nete, disziplinierte Polen eingesetzt erfasst. Es tritt zu Tage, dass man wie (Neresheim, Goldburghausen). im Großen (Gold der Reichsbank im Bergwerk Merkers) auch im Kleinen Auch die Amerikaner verhalten sich versucht für die „neue Zeit“ vorzusor- nicht lupenrein. Die Jagd nach Al- gen. Personenkraftwagen, Motorräder kohol- haben sie Schnaps?, lesen die und Ersatzteile, aber auch Schreibma- Fachsenfelder auf Jeeps - ist noch das schinen werden versteckt. Geringste. Neben vielem anderem wechseln Wertgegenstände den Besit- Der sichergestellte Bestand an Kraft- zer. Hier wird ganz besonders erwähnt, wagen, in erster Linie diejenigen der dass sowohl die farbigen Truppen als N.S.-Presse weckt rasch Begehrlich- auch die rein amerikanischen Trup- keiten. Ein erster Personenkraftwagen pen auf Gold- und Silbergegenstände, ist von einem amerikanischen Offizier alte Münzen, ja selbst Orden aus dem aus der Garage abgeholt worden, bei ersten Weltkrieg oder Manöverplatten einem Mercedes ist handschriftlich und dergleichen, ein besonders be- vermerkt: vom Landratsamt abgeholt. gehrter Artikel waren. Mancher Ame- rikaner hatte seinen Gürtel mit derar- Zwei Diebstähle aus zwei Garagen tigen Münzen und Wertgegenständen heraus betreffen einmal einen Perso- behangen (Waldhausen).7 nenkraftwagen und ein Fahrrad, das andere Mal ein Motorrad. Beide Male In nachweislich zwei Orten werden werden Franzosen als Täter angege- Vergewaltigungen registriert (Lip- ben. pach, Röttingen). Aber auch deutsche Frauen suchen die körperliche Nähe Auf einer weiteren, undatierten Liste zu den Siegern (Jagstzell, Neresheim, stehen Leihweise ausgegebene Ge- Unterwilflingen, Zipplingen). genstände aus dem Vermögen der aufgelösten NSDAP, ihrer Gliederun- In Aalen müssen in großem Umfang gen und angeschlossenen Verbän- Trümmer beseitigt werden. Zu dieser de im Kreis Aalen.9 Nach vormaligen Arbeit zieht man Parteigenossen her- Besitzern geordnet stehen Empfänger an. In Bopfingen entdeckt man beim und Gegenstände. Zum Beispiel erhält Abbau einer Panzersperre eine ganze die Fahrbereitschaft Aalen ein Fahr- Reihe von Parteiabzeichen, die beim zeug Zulassungsnummer III P 7670 Bau offenbar „verloren“ worden waren. aus dem Besitz der Hitlerjugend, Ma- jor Ritchie, Amerikanische Justizver- Umfangreich gestaltet sich die Auf- waltung Schwäbisch Gmünd, ein Bild gabe, das Vermögen der aufgelösten „Kapfenburg“, die Stadtverwaltung Aa- NSDAP zu erfassen und zu verwerten. len einen Konzertflügel der DAF, die In einem ersten Schritt erstellt ein Be- Oberschwester des Kinderkranken- zirksnotar als Beauftragter für die Er- hauses Aalen Lebertran und Einge- fassung und Sicherstellung des Ver- dünstetes. mögens der aufgelösten NSDAP, ihrer 9 Zunächst eingefrorene 169 Konten mit einer Gesamtsumme von rund 660.000 Reichsmark werden zusam- mengeführt und vermutlich 1946 vom neu gegründeten Amt für Vermö- gensverwaltung10 auf ein Sonderkonto bei der Reichsbank in Frankfurt/Main überwiesen.

Auch der Wehrmachtbesitz muss li- quidiert werden. Neben vielem an- derem muss für 240 Pferde in Aalen eine neue Heimat gefunden werden.11 Obwohl Nachweise dazu fehlen, ist es doch vorstellbar, dass für die Bauern der Umgebung, insbesondere solche, die Pferde verloren hatten, sich hier eine willkommene Bezugsquelle auf- tut.

Zu den letzten Opfern des Krieges zählen Kinder und Jugendliche, die nach den Kampfhandlungen mit auf- gefundenem Sprengstoff, meist in Form von Handgranaten „spielen“. In Dirgenheim werden drei Kinder ge- tötet, weil eine irgendwo gefundene Granate explodierte. In Lauchheim spielen im August 1945 drei Kinder im Wartesaal des Bahnhofsgebäudes mit liegengebliebenen Handgranaten der Besatzungsangehörigen. Sie finden den Tod.

Groß waren Zerstörungen, Verluste und Leid bei den einen, groß die Er- leichterung bei den anderen, dass sie davongekommen waren. Somit war der Krieg für uns gewonnen, denn kein Dachziegel wurde beschädigt (Dorfmerkingen).

Der Berichterstatter von Hofen bringt es auf den Punkt: Wirrwarr und Cha- os ist das Ende der vielgerühmten und als Allheilmittel gepriesenen national- sozialistischen Organisation und Füh- rung. Dem ist nichts hinzuzufügen. 10 Endnoten

1 Der Bestand steht als Digitalisat zur Verfü- gung, [https://www2.landesarchiv-bw.de/ ofs21/olf/startbild.php?bestand=5557], abge- rufen am 24.4.2020. 2 In Dankoltsweiler findet man Flugblätter: Wir sind die lustigen Acht, Wir kommen bei Tag und bei Nacht. 3 Staatsarchiv Ludwigsburg (StAL) EL 402/0, Bü 233 Verzeichnis der in den Internierungs- lagern befindlichen Internierten aus dem Kreis Aalen. 4 Ortsbericht Aalen, verfasst von Hugo Theu- rer. Der Ortsbericht dient später als Grund- lage für die Veröffentlichung des Schu- bartbundes für Heimatkunde „Aalen im 2. Weltkrieg“,1951. 5 StAL EL 402/0 Bü 230. 6 Kreisarchiv , Altaktenbestand Az 6115. 7 Syntax und Grammatik folgen der Vorlage. 8 StAL EL 402/0 Bü 230. 9 StAL EL 402/0 Bü 232. 10 Das Amt für Vermögenskontrolle Aalen (AfV) wurde wie 28 weitere Ämter am 1. Juni 1946 gegründet. Es unterstand dem Finanz- ministerium. Weitere Details siehe Staats- archiv Ludwigsburg, Einführung in den Bestand EL 402/0. Erster und einziger Amts- leiter in Aalen war Ottmar Brüstle. 11 StAL EL 402/0 Bü 235.

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