Raimund Hellwig unter dem Hakenkreuz Ein alternativer Stadtrundgang

Siegen 2011 8 7 Ein Interview mit Willi Brase Kann es sein, dass vor dreißig Jahren das das sehr gut umgesetzt. Die Zusammenar- Interesse nicht so ausgeprägt war? beit mit der Polizei hat ausgezeichnet funk- Leute, die sich für so etwas interessierten, tioniert. Die Neonazis konnten sich immer 14 kamen schnell in den absurden Verdacht, nur begrenzt darstellen. sie würden damit die Interessen der DDR 2 verfolgen. Ein wirklich breites, ernsthaftes Die Neonazis sind heute eine viel hete- Bemühen gab es erst mit der Wiederverei- rogenere Gruppe als früher. Es gibt nicht nigung. Meine Vorgängerin Waltraud Stein- mehr nur die blöden Knochenköpfe, son- 15 hauer hat in den sechziger Jahren Kontakte dern Neonazis, die sich linksautonom ge- mit israelischen Gemeinden aufgebaut, die bärden, und, als Kuriosität, sogar israel- Gewerkschaftsjugend den Kontakt mit der freundliche, gar intellektuelle Neonazis. 2 Histadrut, als einen Teil der Aufarbeitung Das macht die Aufklärung schwieriger. der Geschichte, und damit sich diese Ge- Das sehen wir ja auch in anderen europäi- 13,18 schichte nicht wiederholt. Heute hat sich schen Ländern, dass solche Gruppierungen doch ein breiteres Bewußtsein durchge- und Parteien in den Parlamenten auf dem setzt, und so begrüßen wir auch, dass es Vormarsch sind. Aber Europa ist eine groß- Willi Brase jetzt einen neuen Alternativen Stadtfüh- artige Erfolgsgeschichte, und die Auseinan- 3 3 rer geben wird. Es ist auch möglich, bei dersetzung mit Fremdenfeindlichkeit findet 10 12 „In Siegen hat sich Schützenvereinen und Sportvereinen die ständig statt. 20 Zeit zwischen 1933 und 1945 in der Rück- etwas zum Positiven betrachtung anzusprechen. Das ging früher Zurück zu Siegen. Gerade in der Schule auch nicht. ist die Auseinandersetzung mit der Ge- Kapitelübersicht entwickelt“ schichte manchmal ein Mangelthema... 4,5 ... und jetzt haben wir die neuen Nazis. Ich bin dagegen, dass dies nur zu einem 1 Die Synagoge Dreißig Jahre nach dem ersten Alternati- 2 Das Braune Haus Das gesellschaftliche Bewußtsein ist zu- Teil des Unterrichts wird, weil es auch eine 11 ven Stadtführer erscheint jetzt die Neuauf- mindest so groß, dass da, wo neue Nazis gesellschaftliche Auseinandersetzung ist. 20 3 Der Markt lage. Warum ist das aus Ihrer Sicht erfor- und versprengte Altnazis auftauchen, die Diese Zeit muss gewürdigt werden. Es 6 4 Das Landgericht derlich? Leute aufstehen. Geschichtliche Aufarbei- gibt mehr als diese zwölf Jahre. Gewalt- 5 Die Gestapo Weil wir neue Erkenntnisse haben. Wir ha- tung hat zumindest zum Teil zu einem ge- bereite und aggressive Menschen sind 20 ben am ehemaligen Gewerkshaftshaus eine 1 6 Die KPD wissen Widerstandspotenzial geführt. Der nicht weniger geworden. Die Jugendver- Gedenktafel angebracht. Wir haben selber DGB beteiligt sich ja auch selber, etwa bei bände begreifen die Auseinandersetzung 7 Der Kaisergarten Bücher und Broschüren herausgegeben, un- den Vorbereitungen für den 16.12. in Sie- mit diesem Thema als ständige Aufgabe, 9 8 Die Kasernen ter anderem, um über die aktuelle Neonazi- gen. Ich hoffe, dass dieses Bündnis hält, weil so zum Beispiel die Gewerkschaftsjugend 9 Das Gymnasium Szene zu informieren. Da ist einiges gelaufen. sich eines nicht wiederholen darf, dass sich mit der Kampagne „Mach meinen Kumpel ein solches Bündnis gegen Fremdenfeind- nicht an“, und die IG Metall mit dem Projekt 10 Der Bahnhof Es gibt jede Menge Lücken in der Ge- 11 Wilhelm Ochse lichkeit und Antisemitismus nicht spalten „RESPEKT“. In Siegen hat sich etwas zum schichtsschreibung, aber zugleich gibt es lassen darf, wie das 1933 gewesen ist. Positiven entwickelt durch die Zusammen- 12 Theodor Noa kaum noch Zeitzeugen. Was bedeutet das arbeit des Bündnisses, um den 16. 12, und 13 Haus der Arbeit für die Atmosphäre in einer Stadt? Der DGB war ja, zum Beispiel 2009, sel- dadurch, dass die Behörden wach sind und 14 RAW Es ist auch ein Problem der Gewerkschaf- ber stark betroffen, als Neonazis die die Lage beobachten. Die Menschen sind ten. Unsere Zeitzeugen sind zum größten 15 Der Nordplatz DGB-Maikundgebung in Dortmund hellhöriger geworden. Da gibt es viele gute Teil nicht mehr da. Die DGB-Jugend hat sich überfallen haben. Beispiele, und wenn die weiter um sich grei- 16 Walter Krämer schon in den achtziger Jahren um die Ge- Die Ereignisse in Dortmund sind inzwi- fen, dann habe ich da keine Sorgen. Da sind 18 Otto Bäcker schichte der Gewerkschaften in der Nazizeit schen juristisch aufgearbeitet. Wir hoffen, wir auf einem guten Weg. 19 Zwangsarbeiter bemüht und Dokumente gesammelt. Es gibt dass künftig die Polizei rechtzeitiger und viele Menschen, die sich dafür interessieren, vorbeugender reagiert. In Siegen haben wir Willi Brase ist DGB-Regionsvorsitzender 20 Zeitungen was damals geschah. 16 (Kap.17 außer- halb der Karte) 19 3 Ein Interview mit Klaus Dietermann Die Synagoge Ich habe ja damals viele Vorträ- Ein Stadtrundgang - 78 Jahre ge gehalten, Kurse bei der VHS zum Thema Nationalsozialismus danach durchgeführt. Ich habe keine Sehr deutsche negativen Reaktionen erlebt. Zeitzeugen haben aktiv bei der Die erste Alternative Stadtrundfahrt fand in Siegen 1983 statt. Stadtrundfahrt mitgemacht: Die Wer hatte damals die Idee dazu? Sekretärin im Braunen Haus, die Hintergrund war damals der 50. Jahrestag der sogenannten Macht- Siegener ... uns auf Tonband erzählt hat, wie ergreifung. Ich hatte über Alternative Stadtrundfahrten in Hamburg die Nazis Akten der Kreisleitung und Berlin gelesen und mir gedacht: Das Raster solcher Fahrten ist im März 1945 auf dem Linden- Erbaut 1904 vom Vater des späteren Gaulei- auch auf Siegen übertragbar. bergsportplatz verbrannt haben. ters, niedergerissen 1938 von den Kamera- Die Amerikaner waren schon in Wissen Sie noch, wer an dieser ersten Siegener Stadtrundfahrt den des – gerade 34 Jahre zählte Dielfen, und die Kreisleitung hat teilnahm? Klaus Dietermann die nach dem Bombenangriff die Geschichte der Siegener Synagoge. Diese Rundfahrt fand am 30. Januar 1983 statt. Das Interesse war Erster Betsaal der jüdischen Gemeinde war so groß, dass 20 Leute keinen Platz mehr im Bus fanden. Wir starte- vom 16. 12. 1944 noch erhaltenen Beweise vernichtet. Ein ehema- ten am Standort des NSDAP-Kreishauses in der Emilienstraße 2 in liger Hitlerjunge, der uns berichtete, wie er am Nordplatz vereidigt nach 1870 in der Poststraße in einem Zim- der Nähe des heutigen RWE-Verwaltungsgebäudes. Seitdem hat es wurde, Wilhelm Fries berichtete, wie er einer jüdischen Familie aus mer der Gaststätte Jüngst, danach in einem Netphen half, die schweren Koffer zum Siegener Bahnhof zu tra- sehr viele Rundfahrten gegeben. Allein die ersten 150 Stadtrund- neun mal sieben Meter großen Raum in der fahrten sind mit Teilnehmern und Kommentaren in einem Buch gen, von wo aus Siegener Juden in die Vernichtungslager abtrans- festgehalten. Anfangs fanden die Rundfahrten monatlich statt. Sie portiert wurden. Oder Hugo Herrmann, der von seiner Verhaftung seinerzeitigen Lindenstraße, hinter dem mussten dann nach einigen Jahren eingestellt werden, weil die am 10. November und vom Brand der Synagoge am Obergraben Bekleidungshaus Bender (Botze-Bender), erzählt hat. Kosten für den Bus einfach zu hoch wurden. das damals den Kaufleuten Ludwig Monta- Sie haben ja damals schon Neuland betreten. Die NS-Geschich- Die Zeitzeugen leben heute zumeist nicht mehr. Was wird heu- 1 nus und August Drey gehörte. Von da aus te der Region war noch kaum erforscht. te bei einer Stadtführung anders sein als damals? zog die Gemeinde in ein Haus des Textil- Man muss weiter ausholen. Wo früher meist ein Vorwissen vorhan- Ich selber hatte 1973 meine Staatsarbeit über „Juden im Siegerland kaufmanns Schuß in der Hinterstraße. Dort zur Zeit des Nationalsozialismus“ geschrieben und dafür die Bän- den war, muss heute vieles erklärt werden. Die Zeit des Nationalso- de von Siegener Zeitung und Nationalzeitung von 1933 bis 1945, zialismus entrückt uns immer mehr, und ich hoffe nicht, dass diese blieb sie bis zum Bau der Synagoge am und außerdem Akten im Staatsarchiv Münster sowie im Stadtarchiv Zeit eine beliebige Epoche sein wird wie die Karls des Großen. Un- Obergraben. Die Wartezeit fiel wohl länger ser Anliegen ist, deutlich zu machen, was hier für einzigartige Ver- Siegen durchforstet. Dadurch wurde die Gesellschaft für Christlich- aus als erwartet: Meyer Leser Stern hatte Jüdische Zusammenarbeit Siegerland auf mich aufmerksam. 1975 brechen, nämlich der fabrikmäßige Mord an Menschen, geschehen sind, und dass so etwas nie wieder passieren darf. das Grundstück am Obergraben bereits wurde ich dann in den Vorstand gewählt und war mit 25 Jahren Die Synagoge um die Jahrhundertwende. jüngstes Vorstandsmitglied. 1891 erworben. Ob die Bauverzögerung Viele Schüler von heute haben einen Migrationshintergrund. finanzielle oder andere Gründe hatte, ist mit 17 Personen in Siegen. Gegen Ende des 19. ... was auch daran liegt, dass damals wie heute mehr Lücken als ... und sagen dann, dass die Morde an den Juden nicht die Verbre- Forschungen zur regionalen NS-Geschichte vorliegen. chen ihrer Väter sind. Die sagen, das ist nicht unsere Geschichte, heute nicht mehr bekannt. Jahrhunderts wuchs die Gemeinde erheblich an. Es gibt Autoren, die einzelne Arbeiten vorgelegt haben, Dieter Pfau und wenn man dann erklärt, dass es ja auch einen Völkermord an Die Keßlers wanderten aus Gießen zu, die Löwen- den Armeniern gab, dann betritt man ein aus türkischer Sicht sehr oder Dr. Ulrich Opfermann etwa. Aber die Gesamtschau fehlt, und Die 1884 gegründete Siegener Synago- steins zogen nach Siegen. Sie waren assimilierte, dafür können die einzelnen Autoren natürlich überhaupt nichts. vermintes Gebiet. Es ist ja auch nicht verständlich, das ein moder- Für eine Stadt mit Universität ist das eigentlich viel zu wenig. Dass nes Land wie die Türkei dieses Thema heute noch so ausspart. Aber gengemeinde bestand zum großen Teil oft gut national eingestellte deutsche Staatsbür- diese großen Lücken heute noch klaffen, ist im Grunde genommen nochmals: Unser Anliegen ist, dazu beizutragen, dass sich so etwas aus Kaufleuten und ihren Familien, den ger jüdischen Glaubens, viele der Männer werden oder Ähnliches nie wiederholen darf. vor allem ein Versäumnis der Universität. Hermanns, den Marx, Ferbers und Jacobys, am 1. Weltkrieg teilnehmen. Dabei war die Kriegs- Wie waren die Reaktionen auf die Stadtrundfahrten? Es war Klaus Dietermann schrieb 1980 den 1. Alternativen Stadtfüh- Sterns, Fraenkels und Franks. Noch 1853 begeisterung bei den Mitgliedern der jüdischen eine Zeit, in der noch viele Zeitzeugen lebten. rer“ wohnten gerade drei jüdische Familien Gemeinde ebenso groß wie bei ihren christlichen 4 5 Nachbarn. Zum Sedantag am 1. September durfte Abitur am Realgym- Omnibus nach Dortmund in ein Gefängnis ab- die jüdische Volksschule durch Losentscheid sogar nasium, Jahre später Vermutlich am 10. November 1938 erschienen transportiert. Dort wurden alle westfälischen Ju- direkt hinter der Stadtkapelle zur Eintracht mar- auch Hans Meyer, der zwei auswärtige Gestapo-Beamte bei Hugo Herr- den zusammengestellt. Und am nächsten Morgen schieren. Der nicht sehr militärisch angehauchte mit später prominen- mann in der Marburger Straße. Sie verhafteten ihn wurden wir alle mit einem Sonderzug in das Kon- Kantor Grünewald musste daraufhin mit seinen ten Siegener Persön- und die anderen jüdischen Männer und brachten zentrationslager Oranienburg bei Berlin gebracht. Schüler erst mal den Marschtritt üben... . lichkeiten, Karl Mün- ihn in eine Zelle im Siegener Rathaus, wo damals nich, Alfred Lück und die Polizei untergebracht war. In Siegen hatte man staatlicherseits beschlossen, Fünf Männer aus der jüdischen Gemeinde fielen Heinz Behaghel sein den „Volkszorn“ bei hellem Tageslicht, am 10. No- im Ersten Weltkrieg. In der Nacht vor der Einwei- Abitur machte. Mey- „Dann kam mein Vater, mein Onkel und all die vember, auszulösen. Das Kommando zu den Po- hung einer Gedenktafel für die jüdischen Gefalle- er wanderte zunächst Mitglieder der Siegener Synagogengemeinde. Wir gromen hatte die NSDAP in der Nacht zum 10. nen beschmierten Unbekannte die Tür der Syna- nach Amsterdam aus, – alle Männer – wurden inhaftiert. Die Polizeibe- November herausgegeben. Traditionell hatte goge. „Ein böser Geist geht durch Deutschland, dann in den dreißiger Simon Grünewald amten im Rathaus waren uns gegenüber sehr ver- sich die Parteiführung in München versammelt, ein Geist des Hasses und der Schmähsucht, der Jahren nach Israel. An legen, denn es waren nicht städtische Beamte, die um des Jahrestages des Hitler-Putschs zu geden- selbst vor den Toten keine Achtung kennt“, sagte den späteren Klassentreffen nahm er nicht mehr uns verhaftet hatten, sondern Gestapo-Beamte ken. Dieser Volkszorn wurde dann in Gestalt eines Kantor Grünewald am Tag darauf. teil. 1961 konstatieren seine Mitschüler, er habe von auswärts, die geschickt worden waren. Am Kommandos aus bewährten Nationalsozialisten, als einziger nicht am 30jährigen Klassentreffen anderen Tag hörten wir in unseren Zellen, dass teils SS- und teils SA-Leuten zusammengestellt. Die jüdischen Kinder gingen zunächst in die von teilgenommen, weil „irgendwo im Staate Israel“. die Synagoge brennt. Unter uns war ein Ostjude, Der Trupp unter Leitung des SS-Führers Lumpe Lehrer Grünewald geleitete jüdische Zwergschu- Kontakt gab es nicht mehr. Laser Reches, der seine Kinder schon in Palästina besorgte sich Benzin aus Wehrmachtsbeständen le und dann ebenso wie ihre Altersgenossen aus hatte, er sagte, als er dieses hörte: „Schomer Isre- und drang gewaltsam in die Synagoge am Ober- christlichen Familien auf die regulären Schulen. Der Antisemitismus eines Hofpredigers Stoecker al, lo janum velo jischan“. Das heißt auf Deutsch: graben ein. Die Bänke wurden zerstört und in der Die Söhne der Familie Schatzki absolvierten ihr und seiner Anhänger im Siegerland war insbe- „Der Hüter Israels sondere bei der evangelisch-kon- schläft und schlum- servativen Bevölkerungsmehrheit mert nicht“. Dann fest verankert, aber tatsächlichen begann er auf He- Repressionen waren die Juden bräisch ein Lied zu nicht ausgesetzt. singen, das in deut- Die Das sollte sich erst 1933 dramatisch scher Sprache etwa Siegener ändern. Zunehmend beschnitten übersetzt heißt: Synagoge die Nationalsozialisten die Rechte „Wenn wir wieder am 10. der Juden. Die Kaufleute mussten nach Zion ziehen“. November ihre Geschäfte zu Spottpreisen an Er war so froh, dass 1938 „arische“ Interessenten verkaufen. er seine Kinder Mit der „Reichsfluchtsteuer“ wurde schon drüben hat- denen, die Deutschland verlassen te. Am Nachmittag wollten, auch diese Einnahmen wurden wir alle von Der jüdische Friedhof am Lindenberg wurde 1921 außer Dienst ge- abgenommen. Siegen mit einem stellt. Die Anlage steht unter Denkmalschutz. 6 7 Mitte des Hauses aufgeschichtet, mit dem Benzin Erlaubnis erteilt, den Friedhof anzulegen. Er be- Das Braune Haus übergossen und angezündet. „Vergessen“ wurde kam die Auflage, das Grundstück einzufrieden die Synagoge in Siegen am 9. November jeden- und auch sonst „in anständiger Weise zu unter- falls nicht, wie es der Mythos wissen will. Nach halten“. 15 Jahre später ging der Friedhof das Ei- dem Krieg wurden die Brandstifter vom Siegener gentum der Synagogengemeinde über. Braunes Hospiz Landgericht zu eher geringen Strafen verurteilt. Parteibürokraten und Folterknechte 1941 waren die jüdischen Gemeinden durch Ver- Am Abend des 25. Juli 1933 KPD-Mitglieder aus der Siegener Altstadt und von Einige der jüdischen Siegener, wie Hugo Herr- fügung des Reichsinnenministeriums auch offi- 2 schwärmten SS-Einheiten im Sieger- der Gestapo als Unterbezirksleiter der illegalen mann, wanderten nach Palästina aus, andere blie- ziell aufgelöst worden. Nach dem Krieg ging das land aus, holten ihre Opfer ab oder KPD verdächtigt. Er wurde bereits tagsüber auf ben in Deutschland und wurden in den Lägern Grundstück in die Verwaltung der Jewish Claims zitierten sie unter Vorwänden ins Anordnung des Polizeikommissars Härter in Haft ermordet. Von den 211 im Siegerland gemelde- Conference über und dann in die des Landesver- Braune Haus und misshandelten sie genommen. Härter entließ Henrich abends gegen ten Glaubensjuden kamen 120 ums Leben. Hugo bandes der Jüdischen Gemeinden Westfalens. dort ganz massiv. Eines der ersten 20 Uhr aus der Haft. Im Flur wartete jedoch schon Hermann, der nach dem Krieg aus Palästina nach Die letzte Beerdigung auf dem alten jüdischen Opfer war Willi Henrich, eines der die SA und trieb Henrich mit Gummiknüppel-Hie- Siegen zurückkehrte, wurde eine der prägenden Friedhof war 1921 die von Berta Neheimer. Da- Gestalten der Gesellschaft für Christlich-Jüdische nach wurden die jüdischen Siegener auf dem jü- Zusammenarbeit. „Das war keine Selbstverständ- dischen Gräberfeld in der Hermelsbach bestattet lichkeit“, erinnert sich Prof. Manfred Zabel. Immer- – wie Frieda Löwenstein und ihre Tochter Betty hin habe Herrmann immer wieder den Menschen drei Tage nach der Verhaftung ihrer Männer Sieg- begegnen müssen, die 1938 zugesehen hatten, fried Löwenstein und Hermann Windecker 1938. als er in Schutzhaft kam, denen, die sein Unter- Die alte nehmen arisiert und erworben hatten, und den Am 28.12.1938 ging das Eigentum am Synago- Oberförs- Polizisten, die ihn verhaftet hatten. Bis zu seinem gengrundstück an die jüdische Kultusgemeinde terei in der Tode 1993 sprach Herrmann das Kaddish, das jü- über, bis die Stadt Siegen das Gelände für kleines Hinden- dische Totengebet bei den Gedenkveranstaltun- Geld kaufte und dort einen Hochbunker errich- burgstraße gen zur Reichspogromnacht. tete. Dieser Bunker diente nach dem Krieg als war 1933 Lagerplatz für Krankenhausakten und dann, seit Schauplatz Der jüdische Friedhof am Lindenberg blieb weit- 1996 bis heute, als Standort des Aktiven Muse- von bruta- gehend verschont. 1871 hatte die Königlich-Preu- ums Südwestfalen, das heute an das jüdische Le- len Verhören ßische Regierung dem Fellhändler David Berg die ben in Siegen erinnert. und Folter. Heute Heute

8 9 ben in den Keller. Er schilderte selber, was dann rich wachte erst am nächsten Tag gegen 14 Uhr SA-Kommando mit Karabinern auf ihn angelegt geschah: „Da saß dann Odendahl. Er sagte: „So, in der Polizeizelle auf. Der erste Mensch, den er habe. Am nächsten Tag sei er in einer Gosse ab- ihr Lumpen, jetzt wollen wir euch mal unschäd- sah, war der Siegener Arzt Dr. Stiebeling, der ihm gelegt worden. Wieder einen Tag später, schildert lich machen. Wo habt ihr die Gewehre und den die „Konstitution eines Ochsen“ attestierte. Eine Schutz vor Gericht, sei Pfarrer Ochse gekommen, Sprengstoff?“ Henrich gab zu Protokoll, er sei nie schwächere Natur hätte die Misshandlungen si- um zu erfahren „was an den Gerüchten dran ist“. in der Partei gewesen, sondern nur in der Roten cher nicht überlebt, erklärte er später. Dr. Kehl, Sofort habe er ihn ins Krankenhaus bringen lassen, Kampffront. „Odendahl reagierte verärgert. „So, damals Arzt im Marienkrankenhaus, erklärte nach wo er dann 28 Wochen verbracht habe. Chefarzt dann wollen wir mal die neue Taktik anwenden. dem Krieg, Henrich habe so viele Hämatome ge- Prof. Flosdorf habe ihn wegen eines Gallenrisses Schlagt den Lump zusammen.“ Zehn Minuten habt, dass er ausgesehen habe, als habe er „einen und an Nieren und Darm operiert. Insgesamt habe lang droschen die SA-Leute auf Henrich ein. Mit blauen Anzug an“. er sieben Mal im Krankenhaus behandelt werden Besitz und zog mit einer ganzen Reihe von einem Eimer kalten Wassers brachten die Schläger müssen, im Jahr 1947 sei er wegen der Verletzun- Parteiorganisationen dort ein. Die Deutsche ihr Opfer wieder zu Bewusstsein, bis schließlich Auch Erich Schutz schilderte sehr nachdrücklich, gen zum Invaliden geschrieben worden. Arbeitsfront blieb an der Heeser Straße, das Odendahl seine Pistole 08 auf Henrich richtete. wie er im Braunen Haus misshandelt wurde. Er sei Rassepolitische Amt im Privathaus seines Amts- Der war inzwischen so zermürbt, dass er sagte: die Kellertreppe des Braunen Hauses hinunterge- Erich Schutz wurde ebenso wie Anton Kappi, Ru- walters. HJ- und SA-Heime fanden sich überall „Drück ab, aber hör auf, mich zu schlagen.“ Hen- stoßen worden, wo bereits 20 bis 25 SA-Männer dolf Metzeler und Willi Henrich im Marienkranken- in der Stadt. gewartet hätten. haus behandelt. Nach vierzehn Tagen erschien Sofort sei er ge- SA-Adjutant Irmer und verhängte eine Besuchs- 1938 räumte die Partei die alte Oberförsterei fragt worden, wo sperre über das Zimmer mit den drei Kommunis- und zog mit ihren Dienststellen in das ehema- das MG liege, das ten. Nach sechs Wochen im Krankenhaus tauch- lige Christliche Hospiz Knops-Heim in der Emi- die SA bei den te die SA wieder auf. Sie warf Henrich aus dem lienstraße 2. An der Hindenburgstraße begann Kommunisten Krankenhaus hinaus. Der Kommunist brach schon der Bau eines Tiefbunkers, der 500 Personen vermutet hatte. an der Pforte zusammen und wurde von Passan- aufnehmen sollte. 1941 wird der Hindenburg- Das sei ihm aber ten nach Hause gebracht. Dorthin kam schließlich, bunker als „eindeckungsfertig“ beschrieben. nicht bekannt nachdem andere Ärzte von der SA unter Druck ge- Für den Bau der Anlage bezahlte der Fiskus gewesen, und setzt worden waren, Dr. Stiebeling und setzte die 600096,91 Reichsmark. deshalb hätten Behandlung fort. ihn die SA-Leute 1966 ging der Bunker in städtischen Besitz über. schwer misshan- Das Braune Haus war ursprünglich Sitz einer Ober- Für sinnvolle Zwecke ist er nicht nutzbar - er ist delt und drei Mal försterei. 1933 nahm die NSDAP das Gebäude in durch drängendes Grundwasser ständig feucht. mit kaltem Was- ser wieder zu Bewusstsein ge- bracht. Es habe sogar eine Schein- Das zweite Braune Haus in der Emilienstraße 2, vormals ein Christliches Hospiz, dien- hinrichtung gege- Heute te ab 1938 als Unterkunft der NS-Kreisleitung. ben, bei der ein 10 11 Das Kaufhaus Tietz sich einen Wettlauf um die Eröffnung ihrer nur hundert Meter aus- einander liegenden Wa- renhäuser, das Marx mit 47 Stunden Vorsprung gewinnt.

1927 geht der Konzen- trationsprozess weiter. Julius Stern und Josef Häcker, die inzwischen das Warenhaus Plaut und Daniel gekauft haben, planen einen Neubau. Doch die Kauf- hauskette Tietz hat in- zwischen die drei Ge- schäftshäuser der Firma Um die Jahrhundertwende verkaufte Plaut und Da- Das Kaufhaus Tietz bei seiner Eröffnung: Die Siegener kauften gerne am Markt ein Louis Tobias erworben, und dann kurz darauf auch niel noch in den alten Fachwerkhäusern am Markt. 3 Plaut und Daniel selber.

Ehrbare Kaufleute Der Kölner Konzern lässt eine komplette Häuserzei- Es entsteht die Westdeutsche Kaufhof AG. Von Plaut und Daniel bis zur Kaufhof AG le am Markt abreißen und beginnt die größte Bau- maßnahme seit langen Jahren in Siegen. Es ent- Bei der Bombardierung Siegens 1944 wird das Das 20. Jahrhundert beginnt. Es ist der Kölner Straße, Meyer Leser-Stern in der Sand- steht die 43. Verkaufsstelle des Konzerns im Reich. Kaufhaus zerstört, es bleibt nur noch das Gerippe die Zeit, in der die kleinen Kaufleute straße, Schuss (Kölner Straße), Theobald Pfeifer Die Firma Plaut und Daniel verkauft ihre restlichen stehen. Die Kaufhof AG hält jedoch auch im begin- und Krämer eine neue Bedrohung (Kölner Straße 1, Theodor Ferber (Markt 1 und Ge- Warenbestände aus einer provisorischen Verkaufs- nenden Wirtschaftswunder am Standort Oberstadt am Horizont heraufziehen sehen. Es büder Hermann (Marburger Straße 29). Die Textil- stelle in der Bürgergesellschaft aus und verabschie- fest, baut aus und an und wird zur besten Einkaufs- beginnt die Zeit der Tietzes und der kaufleute Arnold Plaut und Karl Daniel ziehen mit det sich aus dem Siegener Geschäftsleben. adresse Siegens mit zeitweise über 500 Mitarbei- Karstadts. Das Warenhaus beginnt, ihrem erst vor wenigen Jahren eröffneten Textil- tern. die Kunden zu locken – zu festen und Wäschegeschäft aus der Marburger Straße an 1933 beginnen die großen Boykottaktionen der Preisen und mit festgelegten Öff- den Markt, ins Zentrum des Siegener Einzelhan- Nationalsozialisten gegen jüdische Kaufhäuser. Im Anders als heute lag das Zentrum der Stadt Siegen nungszeiten. In Siegen gehen Plaut dels. 1911 wird deutlich, wie sich die Strukturen September 1934 werden die jüdischen Angestell- bis lange nach dem Krieg in der Oberstadt, konkret: und Daniel diesen Weg mit, begleitet des Einzelhandels zu verändern beginnen: Die ten einfach entlassen. Die Kaufhauskette Tietz wird an Kornmarkt, Neumarkt und Markt, in der Mitte von den Kaufleuten Michel Marx in Firmen Michel Marx und Plaut und Daniel liefern arisiert und geht in das Eigentum von Banken über. das Rathaus und die Nikolaikirche. Hier waren die 12 13 Verständnis für Ruhe und Ordnung begrüßte er besten Einkaufszeit am Samstagnachmittag poli- natürlich die Ankunft der Polizei auf das Wärmste tische Demonstrationen zulassen und diese sogar Er machte sich schließlich auch Sorgen um die, die durch die Hauptgeschäftsstraßen führen und auf in Siegen die Steuern zahlten, wie er 1932 bewies. dem Kornmarkt enden lassen. Das geht in Zukunft Am 22. März schrieb er an den städtischen Polizei- auf keinen Fall. Ich werde also während der Ge- oberinspektor Bienert: schäftszeit am Samstag Nachmittag keine Umzü- Eine nächt- ge mehr zulassen, sie vielmehr auf die Zeit nach liche Kund- „Wir müssen bei Demonstrationen und Umzü- Ladenschluss verweisen. Sodann müssen wir uns gebung zur gen künftig mehr Rücksicht auf die hiesige Ge- darüber schlüssig machen, ob wir überhaupt den Machtüber- schäftswelt nehmen als bisher. Samstags ist der Marktplatz für derartige politische Demonstratio- gabe am Besuch der Stadt von auswärtigen Käufern ganz nen noch zulassen. Wie die Erfahrung gezeigt hat, 30.1.1933 besonders stark. Diese Besucher werden aber ab- ist der Marktplatz im Ernstfall von unseren schwa- gehalten, wenn sie immer und immer wieder zur chen Polizeikräften kaum zu säubern. Wir geben

großen Kaufhäuser, hier war das Rathaus, und Siegener und auch der städtischen Verwaltung ein. ebenso die Polizeiwache, die erst nach dem Krieg Kurz darauf wurde Siegen Standort einer beritte- in die Emilienstraße umzog. Und hier fand Politik nen Polizeieinheit, deren Pferde im Untergeschoss statt. Umzüge und Demonstrationen wurden hier des Rathauses untergebracht wurden. Zeitgenos- gerne veranstaltet, was auch verständlich war, sen erinnern sich, das die berittene Polizei bei weil hier das größte Publikum vorhanden war. Demonstrationen und Kundgebungen auf rechte Zum Beispiel 1921: Auf dem Weidenauer Bis- wie linke Marschierer durchaus auch mit robus- marckplatz fand eine Demonstration statt, die ten Methoden einwirkte. Im Rathaus wurde auch schließlich in Richtung Siegen zog und hier eska- eine Funkstelle eingerichtet, die der Polizei gute lierte. Am Tag darauf waren die Geschäfte in der Dienste tat, wenn Krisen das Reich erschütterten. Kölner Straße geplündert und - auf neudeutsch Hier liefen im Frühjahr 1933 die Meldungen über „entglast“. Der 15-jährige Lehrling Walter Scholl kommunistische Bestrebungen zusammen, die die wurde von der Polizei angeschossen und erlag Staatspolizeistellen im Lande gesammelt hatten. kurz darauf seinen Verletzungen. Oberbürgermeister Fißmer war Dienstvorgesetz- Eine typische Veranstaltung der Nationalsozialisten am Siegener Markt: Viele Flaggen, viele Menschen, Das Ereignis brannte sich in die Erinnerung der ter der Siegener Polizisten. Als Mensch mit großem und die Anlieger wurden teils aufgefordert, teils genötigt, ebenfalls Hakenkreuzflaggen aufzuziehen. 14 15 daher auch den Marktplatz für derartige Demons- Fenster heraus provoziert. Das Landgericht trationen ein für allemal nicht mehr frei. Frage Der Aufmarsch von 800 Kommunisten und Sym- nur, wohin mit diesen. Am besten käme wohl der pathisanten war das letzte große Lebenszeichen Herrengarten, Hasengarten oder die Sportplätze der Partei. Sozialdemokraten und das sozialde- in Frage.“ mokratische Reichsbanner hatten zu diesem Zeit- punkt bereits ihre politische Arbeit auf der Straße Tatsächlich blieb der Vorstoß des Oberbürger- beendet. Eine letzte Demonstration wurde vm Die Par- meisters eher ergebnislos. Schon am 1. Mai 1932 Regierungspräsidenten verboten. Und auch im teigliede- marschierten die Kommunisten wieder über den Rathaus, direkt am Markt, zog die neue Zeit ein. rungen Marktplatz. Und 1933, in der Schlußphase der po- beteiligten litisch so bewegten Weimarer Zeit, fanden die De- Die verbliebenen vier SPD- Ratsherren mussten sich an monstrationen gleich reihenweise statt, zuletzt mit dem Verbot der SPD auf ihre Ratsmandate offiziellen die Nationalsozialisten, die die Machtübergabe verzichten, Wilhelm Kollmann, der einzige kom- Anläsen feierten, und zwei Tage darauf 800 Siegerländer munistische Ratsvertreter kam in Schutzhaft. In wie der Kommunisten, die dem braunen Aufmarsch eine der Siegener Zeitung hieß es in der Berichterstat- Einwei- gleichwertige Veranstaltung entgegensetzen tung über die erste Ratssitzung zurückhaltend, hung des wollten. der kommunistische Abgeordnete werde sein Landge- Mandat nach den regierungsseitig getroffenen richts stets Dies führte kurz darauf zu einer behördeninter- Maßnahmen nicht ausüben können, er halte sich mit Fah- nen Kontroverse. Fißmer hatte gehört, aus der dem Vernehmen nach „auch gar nicht mehr in Sie- 4 nen und kommunistischen Menge habe man gerufen „Hit- gen auf“. Die Zentrumsfraktion, immerhin zweit- Marsch- ler, das Schwein, verrecke“. Das schrieb er Ober- stärkste Fraktion, löste sich schließlich ebenfalls musik. inspektor Bienert in einer Hausmitteilung und auf, während sich die Deutsch-Nationale Volks- verband dieses Schreiben mit dem empörten partei der NSDAP-Fraktion anschloss. Hinweis, dass ja diese Demonstration dann unver- züglich aufgelöst gehört hätte. Bienert demen- Die Ratsarbeit fand danach nach dem Führerprin- tierte vorsichtshalber, dass solche Rufe gefallen zip statt. Die kommunale Selbstverwaltung war Justiz ohne Menschlichkeit seien. Allerdings habe ein am Markt wohnender an ihrem vorläufigen Ende angekommen. Rechtssprechung als politisches Kampfmittel Nationalsozialist die Demonstration aus seinem Die Geschichte des Siegener Landgerichts gen. Man blieb unter sich, weil die eingesessenen beginnt schon vor der Gründung des Siegener mit den „Mäckesern” nicht gerne Um- Arnsberger Landgerichts einige Jahrzehn- gang pflegten. Wie so oft spielte am Anfang eine te früher. Eigentlich beginnt sie schon mit gewisse Eitelkeit eine Rolle. 1876 wollte nämlich der Unzufriedenheit des zumeist zugereis- auch Hagen Sitz eines Landgerichtes werden, und

Heute Heute ten Justizpersonals in der ersten Hälfte des man wähnte sich dort in Konkurrenz mit Bochum. 19. Jahrhunderts über das provinzielle Sie- In Hagen suchte man Verbündete, unter anderem 17 16 beim Siegener Landrat von Dörnberg. Der be- Vorleistungen noch aus der demokratischen Zeit bezirke vorsah, einen „fränkischen” und einen dergericht Dortmund unter seinem Vorsitzenden schied seinem Hagener Kollegen kühl, eigentlich stammten. Denn schon vor der Machtübergabe „niedersächsischen”. Als der knauserige preußi- Eckhardt, der neben den Verfahren gegen sei- müsse Siegen Sitz des Landgerichtes werden, und war den Siegenern zumindest eine Große Straf- sche Fiskus schließlich auch noch die Kostenüber- ne zwei prominentesten Opfer Pfarrer Wilhelm wenn das nicht gelinge, sei ihm alles andere ziem- kammer versprochen worden, vor der die „größe- nahme für Glühbirnen im Unteren Schloß mit der Ochse und Vikar Rupieper aus Kirchhundem eine lich egal. Man hoffte darauf, dass Siegen Zentrum ren Fische” abgeurteilt werden konnten. Als dann nicht weniger knauserigen Stadt Siegen geregelt ganze Reihe weiterer politische Prozesse führte. eines Grenzen überschreitenden Bezirks werden der nationalsozialistische Landtagsabgeordnete hatte, war dann das Feld bereitet für eine der 1933 Auf sein Konto gehen auch mehrere Todesurteile. könnte, der von Biedenkopf bis zum Hohen Wes- Richard Manderbach nochmals höheren Orts inter- recht beliebten braunen Weihestunden. Dabei war Eckhardt trotz aller Bemühungen kein terwald ein enormes Einzugsgebiet hätte. venierte, brachen die Dämme. Doch das dann rela- Parteimitglied: Als ehemaliger Freimaurer galt er Es entspann sich, tiv schnell ge- Es erschienen an jenem 1. Oktober 1933 Justizmi- den Nazis als verdächtig. unter Einschal- schriebene nister Kerrl (verspätet), Landrat Goedecke (pünkt- tung örtlicher Ho- Gesetz zur lich), Regierungspräsident von Stockhausen, 1938 löste schließlich ein strammer Marschierer noratioren, eine Neuordnung der Justizstaatssekretär und recht viele Siegener den Landgerichtspräsidenten Schneider ab. Er er- rege Lobbyarbeit. der Landge- Braunhemden und alte Kämpfer. Als Kerrl, selber schien Doch es war ver- richtsbezirke alter Kämpfer, schließlich in Siegen eintraf, war es zum Dienst geblich. Arnsberg sah die Auf- schon dämmerig. SA-Brigadeführer Paul Giesler in Uniform, erhielt am 1. Ok- lösung des durfte ein Grußwort halten, an das sich die Zu- versuchte tober 1878 den Landgerichts hörer hauptsächlich deshalb erinnerten, weil es seine Be- Zuschlag. Arnsberg vor. „recht laut” vorgetragen wurde. legschaft Und schon re- im national- Fortan entspann bellierten Als Staatssekretär Roland Freisler, der spätere Prä- sozialisti- sich ein reger Be- die Arnsber- sident des Volksgerichtshofes, das Wort ergriff, schen Sinne rufsverkehr der ger, die „als brach schließlich, symbolisch aufgeladen, die zu formen, Juristen und De- Niedersach- Dunkelheit herein. Freisler musste seine Rede im empfing linquenten zwi- sen mit den Licht der Lampen und Fackeln zu Ende bringen. Zuspät- schen Siegen und Franken an kommende Arnsberg, der alle der Sieg” nun Das Landgericht erwies sich in der Folgezeit als mit Stiefel- Beteiligten ganz überhaupt systemangepasst. Landgerichtspräsident Otto tritten und wurde ob seiner Linientreue schließ- Politische Justiz am Siegener Landgericht: Der so genannte Heim- außerordentlich nichts gemein Schneider, im Amt bis 1938, fiel immerhin weniger lich 1943 zum Präsidenten des Landgerichts Bo- tückeparagraph war in der NS-Rechtssprechung eine Generalvoll- strapaziert. Und hätten, wie durch Wilkürjustiz auf als zum Beispiel das Son- chum ernannt. so unternahm macht, um Mißliebigen den Mund zu verbieten. Kreisleiter Burk wur- Arnsberger die Stadt Siegen de übrigens nach einer Schwarzschlachtaffäre abgesetzt und als Honoratioren noch während Kreisamtsleiter nach Lippstadt versetzt. schimpften des 1. Weltkrieges einen weiteren Vorstoß in Rich- und eine lange Reihe von Kronzeugen für den tung eigenes Landgericht, der aber wiederum Landgerichtssitz Arnsberg heranzitierten. Justiz- scheiterte. Erst die Nationalsozialisten schafften minister Kerrl knickte ein und ließ mit heißer Nadel Heute es 1933, den Knoten zu durchschlagen, wobei die ein neues Gesetz stricken, das jetzt zwei Gerichts- 18 19 Geheime Staatspolizei DieKommunisten KPD-Zentrale Der Unterdrückungsapparat Außenseiter Vier Gestapo-Beamte verbreiten Angst und Schrecken Die KPD zwischen Anpassung und KZ Die Gestapo war, wie so vieles im NS- ständig. Vermutlich war er auch der Gestapo-Ge- Staat, ein Produkt des ständigen Streites sprächspartner, den der katholische Pfarrer Ochse Kommunisten gab es überall im Sie- Siegerländer Kommunisten eher aus der Gruppe zwischen einzelnen NS-Instanzen. Der in seinem Buch „Sechs Berichte an die Geheime gerland – einige wenige versprengte der An- und Ungelernten. In den Akten der Poli- Terror gegen die politisch Andersdenken- Staatspolizei“ erwähnt. Die Gestapo war nicht nur in Burbach oder Wilnsdorf, und vie- zeibehörden dominierten als Berufsbezeichnung den im Jahr 1933 war noch das Werk von beliebte Adresse für Denunziationen, von denen le im industriellen Bereich zwischen Arbeiter und Tagelöhner. Und in den Augen ihrer SA und SS. Doch die Überwachung und viele zu Prozessen vor dem Sondergericht Dort- Niederschelden und Kreuztal. Starke Mitbürger waren Kommunisten, noch mehr als gezielte Verfolgung von Oppositionellen mund führten. Sie war auch probates Schreck- Betriebsgruppen der Revolutionären die Sozialdemokraten um die Jahrhundertwende und politisch Verdächtigen sollte dann gespenst, um Menschen zu disziplinieren. In der Gewerkschaftsopposition gab es zum herum, eine Außenseitergruppe, fremdgesteuert Aufgabe von Profis werden – die Gestapo Hand des Dienststellenleiters lag es, Menschen Beispiel bei den Hüttenwerken in Ei- aus der Sowjetunion. entstand, und viele alt gedienten Krimi- nur zu verwarnen oder gleich ins Konzentrations- chen und Ferndorf und im Stahlwerk in Die Kommunisten wurden bereits vor 1933 scharf nalisten wechselten aus der Kriminalitäts- lager zu schicken. Zwar steckten auch die Gesta- Niederschelden, Rote Frontkämpfer in überwacht. In Weidenau meldete der Amtsbür- bekämpfung in die aktive Verfolgung und po-Beamten in einem engen Korsett aus Dienst- Geisweid und Weidenau. Anders als im germeister auf Anforderung des Landrates 112 präventive Überwachung bekannter Regi- anweisungen und Vorgaben. Im Einzelfall blieb Bergischen Land rekrutierten sich die Mitglieder, sein Eiserfelder Amtskollege etwa 100 5 megegner. ihnen jedoch ausreichend Freiheit, für oder gegen 6 Mitglieder. Aus diesen Zahlen In Siegen residierte die mit zunächst zwei, Verdächtige zu entscheiden. Alle waren bekannt geht auch hervor, wie sich der später vier Mann besetzte Gestapo-Au- dafür, dass bei ihren Ermittlungsmethoden auch rechte und linke Rand des Par- ßenstelle in der Pfarrstraße 2 neben der körperliche Gewalt eine große Rolle spielte. Darin teienspektrums ab 1930 ver- Nikolaikirche, dann im Unteren Schloß in unterschieden sie sich kaum von den SS- und SA- stärkten. Noch 1930 hatte der der Nachbarschaft des Landgerichts. Mit Schlägern. Die Akten der Siegener Gestapo sind Weidenauer Bürgermeister die der Siegener Gestapo verbinden sich Na- vermutlich vernichtet. Stärke der KPD-Ortsgruppe men, die in Siegen bekannt wurden. Ernst Bültmann und Faust wurden nach dem Krieg zu auf 30 Mitglieder geschätzt. Weitendorf und Wilhelm Bültmann eben- mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, Bültmann Sehr stark war auch die kom- so wie Otto Faust. Weitendorf fungierte als wegen des Mordes an dem italienischen Zwangs- munistische Basis in Kreuztal, Leiter der Dienststelle, Wilhelm Bültmann arbeiter Umberto Montanari. Weitendorf zog es wo 1933 174 Mitglieder sogar war für die Überwachung der Kirchen zu- vor, sich kurz vor Kriegsschluss selbst zu töten. namentlich gemeldet wurden. Die Mitgliederzahlen der Sie- gener KPD sind nicht überlie- fert. Sie dürften sich aber in Die Fahne des Siegerländer Rotfrontkämpferbundes - einem ähnlichen Rahmen be-

Heute Heute wiederentdeckt auf einem Speicher. wegt haben. Besonders großes Interesse an 21 20 den kommunistischen Strukturen hatten natür- Die ersten Regungen zunächst der USPD und verschiedene lich die Nationalsozialisten. In einem ganzseiti- dann der KPD im Siegerland datieren bereits auf Fachreferen- gen Zeitungsbeitrag schrieb Siegfried Kaiser 1933 die frühen zwanziger Jahre. 1924 warnten die Sie- ten zugeord- - offenkundig aus Sicht des politischen Gegners gerländer Arbeitgeber sich untereinander, es sei net waren, - über Strukturen und Personen der Siegerländer im September ein Portier, der Sekretär der KPD angefangen KPD. sei, aus Hagen nach Siegen umgezogen. Auch Ge- beim Agit- burtstag und genaue Anschrift fehlten nicht. Die propleiter, Als gut organisiert galten Kaiser zufolge die Orts- Unternehmer wurden auch aufgefordert, eventu- Siegerländer Eisenindustrie war aber erst 1929 na- dem Organisationsleiter, dem Literaturobmann gruppen Siegen-Ost, Siegen-West, Weidenau, elle Kommunisten in ihren Betriebsräten sofort zu mentlich erfasst. und den Zuständigen für Betriebe, Erwerbslo- Kreuztal-Eichen, Eiserfeld, Betzdorf, Herdorf, melden. senbewegung, bis hin zum Arbeitersport. Ver- Biersdorf, Wissen und Hamm-Breitscheid. Nicht Ansätze für ein kommunistisches Milieu began- gleichbar war die Struktur der Roten Hilfe, der ganz so gut kamen die kommunistischen Funkti- Auch ein privates Detektivbüro, die Pinkerton-Ge- nen sich erst zu entwickeln, als die KPD fast schon Rvolutionären Gewerkschaftsopposition oder des onäre des Siegerlandes weg, die er - natürlich aus sellschaft, war auf diesem Markt aktiv. Pinkerton wieder zerschlagen waren. Zumindest gab es Vier- Kampfbundes gegen den Faschismus, hinter dem der Sicht des Nationalsozialisten - in Bausch und machte sich anerbötig, die Namen der Mitglieder tel, in denen sehr viele Kommunisten wohnten, sich der verbotene Rotfrontkämpferbund verbarg. Bogen und in Einzelkritik als „unfähig“ oder „eitel“ kommunistischer Betriebszellen herauszufinden. in denen sich zumindest Ansätze für ein kommu- verdammte. Der erste Kommunist in einem Betriebsrat der nistisches Milieu entwickelten. Zu diesen Vierteln Spätestens Anfang 1933 bereitete sich die KPD gehörte die Fludersbach und die Friedrich-Wil- reichsweit auf die Illegalität vor. In den Geschäfts- helmstraße, die in den dreißiger Jahren, so Zeit- stellen, und mit Sicherheit auch in der Siegener, zeugen, als „Roter Wedding“ berühmt-berüchtigt lagerte keinerlei Material mehr, das hätte be- waren. Überdurchschnittlich viele Kommunisten schlagnahmt und ausgewertet werden können. wohnten auch in der Hundgasse und der Unte- Die KPD-Geschäftsstelle in der Poststraße, die ren Metzgerstraße, während sich im Bürbacher spätestens mit der Machtergreifung keine Rolle KPD-Auf- Weg zwischen den Hausnummern 49 (stv. KPD- mehr bei kommunistischen Aktivitäten spielte, marsch Unterbezirksvorsitzender Rudolf Metzeler) und 70 war im Mai 1933 geschlossen. Ein Teil der Funkti- auf dem (Bau-Gewerkschafter Wilhelm Stamm) eine bunte onäre war in Schutzhaft, die anderen wurden von Siegener Mischung aus SPD- und KPD-Mitgliedern wohnte. der Gestapo streng beobachtet. Selbst wenn man Markt- gewollt hätte - politische Arbeit war kaum noch platz am Die KPD-Geschäftsstelle in der Poststraße, die als möglich. Und so konnte ein illegaler Kurier des 1. Mai „ausgesprochen primitives Büro“ beschrieben KPD-Unterbezirks 1934 nach einem Inspektions- 1932 wird, war Sitz der verschiedenen Zweige des Un- besuch bei den verbliebenen Genossen nur noch terbezirksvorstandes. Zentrale Institution war der konstatieren: „Von politischer Arbeit kann im Sie- Politische Leiter, ein herausgehobenes Amt, dem gerland nicht mehr gesprochen werden“. Heute Heute

22 23 Der Kaisergarten später das Sieg-Rheinische Volksblatt. Auch wenn Auch die NSDAP war mit im Boot. In Siegen ver- die befürchteten Straßenschlachten ausblieben, zichteten die Nationalsozialisten sogar auf eine war der Eindruck des rechten Aufmarschs doch eigene Veranstaltung. Das brachte ihr die Mög- Besorgnis erregend. Am Tag zuvor demonstrier- lichkeit, in einer großen, überparteilichen Insze- Meinungsmacher ten einige tausend Teilnehmer im Kaisergarten nierung im Kaisergarten einen eigenen Redner Ein Ort für Saalveranstaltungen für die Republik. Es sprach der bekannte Pazifist aufs Podium zu bringen. Wilhelm Kube, später Heinrich Vierbücher aus Berlin. Angriffe aus der von Ostpreußen, nutzte die Gelegenheit Wenn Politik bis 1933 im Siegerland noch vom Nordplatz, wo die Nationalsozialisten rechten Ecke blieben aus. „Der Vertreter der Völ- und forderte unter angeregtem Beifall die Vernich- stattfand, dann vornehmlich in Gast- gelegentlich auch ein Zirkuszelt für ihre Massen- kischen hinterließ einen geradezu kläglichen Ein- tung der SPD. Nachdem der Kaisergarten 1930 in stätten. Die erste Ortsgruppe der NS- veranstaltungen aufstellten. In den zwanziger Jah- druck“, hieß es hinterher in der demokratischen den Besitz der evangelischen Kirchengemeinde DAP wurde in der Gaststätte Langen- ren war der Kaisergarten Schauplatz der verschie- Presse. Die republikanische Veranstaltung zum übergegangen war, sprachen Gauleiter Wagner, bach gegründet, Kommunisten trafen densten Lustbarkeiten. Zeitungsanzeigen geben Deutschen Tag war politisch einer der Höhepunk- Prinz August Wilhelm von Preußen und Gauleiter sich in der Gaststätte Leppert in Siegen Auskunft darüber, dass hier hochkarätige Box- und te der Weimarer Zeit. Es sollten weitere folgen. Wagner im Kaisergarten. Der Führer selbst zog es und bei Bredenbeck in Weidenau, und Ringveranstaltungen stattfanden, bei denen auch vor, auf den Siegwiesen bei Scheuerfeld zu spre- Großveran- der Direktor des Hauses 1929 gelang es den Nationalsozialisten in der chen. Dort konnte er gleich zehntausende von staltungen gelegentlich mit in den Auseinandersetzung um den Young-Plan, viel Menschen erreichen. fanden in Ring stieg. Hier schlug Akzeptanz in der bürgerlichen Öffentlichkeit der Gesell- das Theaterherz Siegens, zu bekommen. In Siegen hatte sich der „Siege- Und dann war die Vergabe der Räumlichkei- 7 schaft Er- und reisende Künster ner Ausschuss für das Volksbegehren gegen den ten auch nicht mehr neutral. Dr. Wirth, ehemals holung und fanden hier zumeist ein Young-Plan“ gebildet. Vorsitzender war der Berg- Reichskanzler, war 1933 vom Siegener Zentrum in der Bis- dankbares Publikum. assessor Gustav Wenderoth, Geschäftsführer Ernst zu einer Wahlveranstaltung eingeladen worden. marckhalle Bach, damals Funktionär der Deutsch-Nationalen Der Verein für kirchlich-soziale Zwecke kündigte in Weide- Immer öfter regierte hier Volkspartei mit bewegter Vergangenheit und im den Mietvertrag, weil Wirth kurz zuvor bei einer nau statt. auch die Politik, zunächst Nachkriegsdeutschland Bürgermeister der Stadt Wahlveranstaltung im Ruhrgebiet erklärt hatte: Gregor ohne dass es hier partei- Siegen und Bundesschatzmeister der CDU. „Der Feind steht rechts“. Das bezog der Siegener Straßer, in politische Vorbehalte von Verein für kirchlich-soziale Zwecke auf sich und den zwan- Seiten der Direktion ge- Die DNVP hatte in Sachen Volksbegehren reichs- sorgte auf diesem Wege dafür, dass die Zentrums- ziger Jahren einer von Hitlers engsten geben hätte. 1924 zum Beispiel bereiteten sich die weit die Fäden gezogen, eine Initiative, die rech- veranstaltung wenige Stunden vor Beginn ausfiel. Mitarbeitern, kam schon 1925 nach Siegener republikanischen Parteien auf den Deut- nerisch aussichtslos war, aber doch die Chance Mit Nazi-Größen gab es derartige Probleme nach Siegen. Er sprach im Großen Saal der schen Tag vor, den die Nationalsozialisten ausrich- bot, die deutsche Rechte an ein Thema zu binden. 1930 in der Regel nicht. Bürgergesellschaft. Der Kaisergarten teten. Reichsbanner, SPD, Zentrum, Demokraten, jedoch war das unumstrittene Zentrum KPD und die Deutsche Friedensgesellschaft beob- der politischen Diskussion. Nur hier gab achteten die Vorbereitungen der Siegener Rechten es die Möglichkeit, gleich mehrere tau- mit großer Sorge. Man habe hier wohl von Seiten Heute Heute send Zuhörer unterzubringen. Über- der Nazis Hoffnungen gehegt, dass die Siegener troffen wurde der Kaisergarten nur Straßen mit Blut bespritzt werden, schrieb Tage 25 24 der Stadt - komplett abgetragen. profitieren, die Wirtschaft wie die Wirtschaften, DieDie KasernenKasernen und auch die Dorfschönen aus der Umgebung, Die ersten Soldaten, die auf Wellersberg und Hei- von denen nicht wenige einen Soldaten aus der denberg einquartiert werden, kamen aus Ohrdruf Garnison zum Mann nahmen. Einige der bayri- Eine Garnison für Siegen in Thüringen. Am 16. Oktober 1935 wurde das 3. schen Soldaten blieben nach dem Krieg in Siegen. Warum die Soldaten so wichtig waren Bataillon des 57. Infanterieregiments am Bahnhof in Weidenau von einer größeren Menschenmen- Das Infanterieregiment 57 und das Artillerieregi- Siegen war über Jahrhunderte hinweg agierten hoch sensibel auf eine mögliche Aufrüs- ge begrüßt. Mit dabei war natürlich auch Amts- ment 9 wurden im Laufe des Krieges fast aufgerie- eine friedliche Stadt. Der Dreißigjähri- tung Deutschlands. Dementsprechend begannen bürgermeister Alexander Hirschfeld (früher DNVP, ben. Die Kasernen wurden nach Kriegsende über ge Krieg verschonte die Region weit- die Verhandlungen über den Bau der Kaserne auf jetzt NSDAP). Dann macht sich das Bataillon zu mehrere Jahre als Lager für Ostvertriebene und gehend, und während der Napoleoni- dem Wellersberg 1933 in aller Heimlichkeit. Ober- den Klängen des als Lager für schen Kriege und der Befreiungskriege bürgermeister Fißmer, damals noch ein Mitglied Steinmetz-Marsches die ehemali- musste man sich nur mit durchziehen- der Deutsch-Nationalen Volkspartei, hatte ein abmarschfertig. gen Zwangs- den oder vorübergehend hier statio- hohes Interesse an Kasernen – er erhoffte sich ei- arbeiter ge- nierten Truppen französischer, öster- nen deutlichen wirtschaftlichen Vorteil durch den An der Hagener Stra- nutzt, die auf reichischer und russischer Herkunft Bau. Beim Reich antichambrierte der Oberbürger- ße, der Demarkati- die Rückkehr auseinandersetzen. Dass Soldaten dau- meister mit einer Reihe von Standortvorteilen: onslinie zur Stadt in ihre Hei- Die West-Ost-Reichsau- Siegen, warteten matländer- tobahn führe an Siegen Oberbürgermeister warteten. Vie- 8 vorbei, im Stadtrat habe Alfred Fißmer, der le von ihnen es auch nur drei Sozi- Standortälteste Pöt- starben noch aldemokraten und ein ter und die Vertre- nach Kriegs- Mitglied der Staatspartei ter der NSDAP, und ende an den gegeben, und die habe außerdem Dr. Maus, Folgen von die nationale Erhebung der Vertreter des schlechter schließlich auch noch Rundfunks, der für Behandlung Begrüßung von Einheiten der entstehenden Garnison Sie- beseitigt. Im übrigen sei sein Mikrofon einen und Unterer- gen am Siegener Bahnhof. die Bevölkerung solda- Übertragungswagen nährung. tenfreundlich und „na- mitgebracht hatte. Die Stadt Siegen und die Um- Über hundert von ihnen wurden in der Nähe der tional bis auf die Kno- landgemeinde sollten in der Tat von den Soldaten Bromberger Straße begraben. Fahnenappell der Soldaten auf dem Siegener Marktplatz. chen“.

erhaft hier stationiert werden sollten, Bei den Verhandlungen musste die Stadt Siegen war bis 1933 kein Thema. Deutschland dennoch Zugeständnisse machen: Die Kuppe war schließlich entmilitarisiert, und die des Heidenberges zum Beispiel wurde vom Bau- Siegermächte des 1. Weltkrieges re- unternehmen Philipp Holzmann – auf Kosten Heute

26 27 Das Realgymnasium Einfluss von Parteigliederungen und der Hitlerju- tigungsapparat. Bottländer und Wagener wurden gend wuchs immer mehr, und die übergeordne- inhaftiert und in die berüchtigte Dortmunder ten Schulbehörden betätigten sich in ähnlicher Steinwache gebracht. Erst am 23. Dezember wur- Weise. Bereits 1936, das zeigen die Schülerfotos den beide, vermutlich aufgrund einer Interven- Schule in braun? aus der ersten Schulchronik, waren die meisten tion des Paderborner Erzbischofes, freigelassen. Zwischen Beharrung und freudiger Anpassung Schüler Mitglied der Hitlerjugend. Einem ehema- Von der Schule verwiesen wurde Wagener den- Schule war in der NS-Zeit für die nicht sozialistisch eingestellt war. ligen Schüler Rudolf Lixfeld berichtete der Religi- noch, wenn auch wahrscheinlich auf Anweisung linientreuen Lehrer und Schüler kein onslehrer Dr. Edmund Mugler von einem Vorfall, höheren Orts. Der kommissarische Schulleiter Dr. Vergnügen. Die Schülerschaft war ganz „Nach 1935 bräunte sich die Lehrerschaft immer der sich im Frühsommer 1934 abgespielt hatte. Otto Hollstein hatte einen vorformulierten Brief überwiegend an den HJ-Uniformen zu mehr. Häufiger erschienen einige zu allen mög- Inzwischen durfte die HJ-Führung ein gewichtiges auszufüllen und zu unterschreiben. Rudolf Wa- erkennen, die Lehrer am „Bonbon“ am lichen Feierlichkeiten in SA- oder PL-Uniform, Wörtchen auch bei schulinternen Fragen mitspre- gener wurde zum Arbeitsdienst eingezogen, und Kragen und, noch deutlicher, durch ei- so die Erinnerung eines katholischen Schülers chen. Ein Siegerländer HJ-Funktionär hatte sich dann zur Wehrmacht. Er ist in Rußland gefallen. nen linientreuen Unterricht, der mit fünfzig Jahre später. Vor jeder Unterrichtsstunde über das seiner Meinung nach zu lasche Lehrer- Sein Vater, ein Beamter, wurde nach Swinemünde dem Führergruß musste der Klassen- kollegium ausgelassen, und gedroht, man werde strafversetzt. An Rudolf Wagener erinnert in den begann und mit sprecher „Meldung“ unliebsame Lehrer zwecks Ertüchtigung in den früheren Schulchroniken keine Zeile. den politisch be- machen, von einigen Ferien in ein Lager sperren lassen, aus dem sie lasteten Inhalten Lehrern bitter ernst dann als „moderne Menschen und gute Deutsche“ In Partei wie Hitler-Jugend hielten sich die Vor- nicht aufhörte. genommen, von an- wieder herausgelassen würden. Derzeit seien die behalte gegen das traditionelle Gymnasium. Und 9 Nur wenige Schü- deren mit Missmut Pädagogen noch „Erzreaktionäre oder Liberale dementsprechend bemühte sich insbesondere ler erschienen oder Ironie quit- oder sogar mit semitischen Ideen verseucht“. Die die Hitlerjugend um Einfluß auf die Schule. Hitler- noch in Zivil, wie tiert. Nachdem ein Versammlung – es waren auch Lehrer anderer jugend-Funktionäre durften vor dem Kollegium das Gruppenbild strenger Marschie- Gymnasien der Region anwesend – endete damit, sprechen und die älteren Herrschaften maßregeln in der Schulchro- rer (Weiershausen) dass Mugler zornentbrannt den Saal verließ und - bis hin zu der Drohung, man werde unzureichen- nik des Siegener Direktor wurde, gab die Tür hinter sich zuwarf. des Engagement oder gar abweichende Meinun- Realgymnasiums es nur noch wenig gen durch entsprechende Maßnahmen bekämp- beweist. Wer zu den Braunen zählte, Lichtblicke. Ich kann mich nur an drei Lehrer Überliefert sind aber Pressionen gegen Schüler. fen. Das Kollegium muss solche Vorfälle erheblich und wer zum Rest, war einfach auszu- erinnern, die sich die notwendige Unabhängig- Der Name Rudolf Wagener steht für solche Pres- erbost haben. Immerhin waren einige der höhe- machen. Wer sich anständig verhalten keit bewahrten und mehr oder weniger laute sionen. Rudolf Wagener war Fähnleinführer der ren HJ-Führer frühere oder aktuelle Schüler des hat, nur Mitläufer war oder Täter lässt Kritik äußerten (Geschichts- und Lateinlehrer inzwischen verbotenen Siegener Gruppe des ka- Realgymnasiums, aber kraft Parteiamtes für Klas- sich heute viel schwerer rekonstruieren. Dr. Schütze. Zeichenlehrer Hasenclever und Dr. tholischen Bundes Neudeutschland (ND). Die ka- senbucheinträge nicht mehr erreichbar. Als An- Das Siegener Gymnasium selber hat sei- S. Koch, genannt `Gurkensiegfried`) Andere wa- tholische Jugendvereinigung stand bereits seit ekdote wird gehandelt, dass ein Religionslehrer ne Vergangenheit nicht aufgearbeitet. ren begeistert, fanatisch oder passten sich an.“ längerer Zeit im Blickfeld der Siegener Gestapo. einem religionsfeindlichen HJ-Führer gewisser- Am 8. Dezember 1941 hielt die Gestapo bei dem maßen als Strafe eine gute Note gab. Als gesichert kann gelten, dass das Kol- Die Lehrer standen vor der Alternative, Mitglied überregional aktiven ND-Funktionär Gerhard Bott- legium zu Beginn der NS-Zeit deutlich im Nationalsozialistischen Lehrerbund zu wer- länder und bei Wagener Haussuchung. Dort fan- Und doch gab es so etwas wie Zweifel im Kolle- stärker nationalkonservativ als national- den oder berufliche Nachteile zu riskieren. Der den sie die Gruppenbücherei und einen Vervielfäl- gium, mehr oder weniger stark ausgeprägt. Dafür 28 29 spricht ein Schreiben an den Entnazifizierungs- siallehrers war, der bereits 1923 als Externer sein ausschuss in Siegen, das ein ehemaliger Schüler Abitur am Städtischen Gymnasium „baute“ und in Ein aufschlussreiches für Studiendirektor Dr. Otto Hollstein verfaßte. Dr. der Tradition des Sprachforschers Dr. Heinzerling Dokument aus der Holllstein, anfangs noch eher linientreu, muss mit hessisch-nassauische Dialektforschung betrieb. Nachkriegszeit: Dr. Holl- den Jahren große Sorgen entwickelt haben. Einer, der 1927 und 1928 am Realgymnasium zu stein war offensichtlich Siegen als Referendar tätig war, und Schule und ebenso wie viele andere An dem Problem mit den Lehrern sollte ein alter viele Lehrer vermutlich recht gut aus eigener An- Bürger des Dritten Rei- Bekannter arbeiten. Dr. Adolf Weiershausen, 1938 schauung kannte. ches über die Morde an als Direktor eingesetzt, wurde als „strammer Mar- Juden, Russen und Roma schierer“ und Nationalsozialist bezeichnet. Nach Das alte Raschdorff-Gebäude am Löhrtor, Schulbi- im Osten informiert. dem Krieg betrachtete ihn die schuleigene Ge- bliothek und Schulmuseum fielen dem Bomben- Dass Dr. Hollstein seine schichtsschreibung eher als Unglücksfall, den der angriff am 16.12.1944 zum Opfer. Das Gymnasium Schüler so offen vor dem Zufall ans Städtische Gymnasium an- und wieder musste 1945 wieder praktisch bei Null anfangen. Eintritt in die Waffen-SS weggespült hatte. Nein: Der Lebenslauf des Dr. Dasselbe galt auch für die Lehrer. gewarnt hatte, spricht Weiershausen weist nach, dass er der Prototyp Geändert hatte sich personell - von einer politi- für großen Mut - oder für eines national gesinnten, heimatkundlich inter- schen Auszeit für einige Pädagogen abgesehen große Loyalität seines essierten, und evangelischen Siegener Gymna- - eher wenig. Schülers in der Nach- kriegszeit, in der „Persil- scheine“ gefragt waren. Solche Aussagen fielen unter den Heimtücke- Paragraphen und hät- ten den Lehrer vor das Sondergericht gebracht, das 1943 für derartige Vergehen schon Todes- urteile fällte.

(Quelle: HStA Düsseldorf) Entnazifizierungsakte Dr. Hollstein.

1935 am Realgymnasium: Einige wenige nicht uniformierte Jugendliche stehen an den Rand ge-

drängt, die große Masse tritt zum Gruppenbild in Braun an. Heute 30 31 Rosenthals, Winters, Julius und Bertha Lennhoff. te man sie ins Ghetto von Zamosc bei Lublin, wo Der Bahnhof Ein Waggon war für die Juden reserviert. Die Stim- kurz zuvor die ersten Massenexekutionen an Be- mung war sehr schlecht, als ich mit dem Koffer für wohnern des Ghettos begonnen hatten. Heinz Lennhoff kam, der schon in Dortmund war. „Willste no Jerusalem?“ Dann kam ein Bahnbeamter mit einer roten Müt- Die westfälischen Juden waren nach einer Schil- Der Abtransport der Siegener Juden ze. Er stemmte die Arme in die Seite und rief schon derung von Pinkas Hakehillot Polin in der Ency- von weitem: „Ja gibt es denn sowas auch noch.“ clopedia of Jewish Communities in so- „Den Heinz hatten sie schon für den Am frühen Sonntagmorgen stieg ich bei Dango „Ach, gehen Sie doch Ihres Weges“, antwortete ich lide, ehrbare Bürger gewesen, die meisten von 25. zur Gestapo nach Dortmund be- und Dienenthal auf der Hagener Straße in die Stra- ihm. „Sie sehen doch, wie diesen armen Menschen ihnen Freiberufler. „Sie hatten naturgemäß große stellt. Sie sollten am Sonntag dem 27. ßenbahn. Heinz „Israel“ Lennhoff stand beidseitig zumute ist.“. „Aber Sie sind doch gar kein Jude. Schwierigkeiten, sich unter diesen schwierigen Le- folgen. Samstags fuhr ich nach Net- mit weißer Farbe auf meinem Koffer. „Mensch, Was helfen Sie denen denn noch.“ Der Streit wurde bensumständen im Ghetto einzugewöhnen. Der phen, um packen zu helfen. Ich nahm willste no Jerusalem“, fragte mich sofort der heftiger, die Juden versuchten mich zu beruhigen.“ Judenrat half ihm, soweit es ihm möglich war, mit abends schon den Koffer für den Heinz Schaffner, der mich aber kannte. „Näh“, sagte ich, Lebensmitteln und anderen Lebensnotwendig- mit. Lennhoffs selbst sind mit einem ihm, „ech komm werer. Ich ging durch die Sperre Bei dem Mann mit dem Koffer handelte es sich keiten. Einige der Ärzte unter den westfälischen Fuhrwerk von Netphen nach Siegen zum Hauptbahnhof. Rechts auf dem Gleis, beina- um Wilhelm Fries aus Weidenau, einem alten So- Juden begannen, im Judenhospital zu arbeiten“. gebracht worden. he schon an der Brücke, da standen sie: Holländer, zialdemokraten. Er hatte bereits eine lange politi- sche Karriere hinter sich. 1921 trat er in die SPD Die älteren Ghetto-Bewohner wurden am 26. und ein. Und er war Mitglied der Friedensgesellschaft, 27. Mai in das Vernichtungslager Belzec abtrans- 10 zusammen mit Demokraten wie Josef Balogh und portiert. Zu dieser Gruppe dürften die 70-jährige späteren Kommunisten wie Heinrich Otto. Weil er Helene Freund, geb. Goslar, Ernst Neumann (63), auch während der Nazizeit nicht den Kontakt zu Laser (62) und Lisa (59) Reches und Paula Stern seinen jüdischen Nachbarn, der Weidenauer Fami- (62) gehört haben. Sie sind vermutlich dort um- lie Frank abbrach, und auch sonst als politisch un- gekommen. Was ihnen geschah, stand den ande- zuverlässig galt, erhielt er immer wieder Vorladun- ren Siegener Juden dieses Transports noch bevor: gen der Gestapo – wenn er auch nie in Haft kam. Das Ghetto wurde im Oktober 1942 liquidiert, die Menschen in Belzec und Sobibor ermordet. Die, Die Siegener Juden, die an diesem 28. April 1942 die noch in Zamosc bleiben konnten, etwa um abtransportiert wurden, kamen zunächst nach die Habseligkeiten der Opfer zu sortieren, kamen Dortmund in ein Sammellager. Von dort aus schaf- 1943 im Vernichtungslager Majdanek ums Leben.

An Gleis 4 am Siegener Bahnhof ist eine Gedenktafel für die Siegerländer Juden angebracht, die Heute von hier abtransportiert wurden. 32 33 heute nicht gewürdigt wurde. Dementsprechend Pfarrer Ochse und den Nationalsozialisten mar- Wilhelm Ochse unbeantwortet ist die Frage, ob es einen katholi- kierte wenige Tage nach der Unterzeichnung des schen Widerstand gegen das NS-Regime im Sie- Reichskonkordats eine Predigt in der Marienkirche, gerland gegeben hat, oder ob sich die Katholiken über die ein junger Nationalsozialist und Mitarbei- lediglich aus dem politischen und gesellschaftli- ter der Nationalzeitung berichtet. Sein Name war Skeptische Katholiken chem Leben zurückgezogen hatten, um die natio- Carl Schopen, und nach dem Krieg sollte er Karri- Ein Pfarrer als Zentrum der katholischen Opposition nalsozialistische Zeit gewissermaßen zu „überwin- ere als Mitglied des Bonner Pressekorps machen. tern“. Schopen, gerade einmal seit fünf Monaten als Re- Nur einen Namen zu nennen – das wäre ben. Mit keinem Wort werden aber bis heute die daktionsvolontär bei der Nationalzeitung beschäf- zu kurz gegriffen. Dennoch war Pfarrer Aktivitäten der katholischen Vikare erwähnt, die Pfarrer Wilhelm Ochse war die zentrale Figur im tigt, schrieb über eine Predigt, die Pfarrer Ochse Wilhelm Ochse, Geistlicher in der St. mehr oder weniger oppositionell in Erscheinung katholischen Leben Siegens, wenn nicht sogar des am 24. September 1933 in der Heiligen Messe Marien-Gemeinde Siegen, eine Sym- traten und Verhöre und Verhaftungen durch die Siegerlandes während der NS-Zeit. Ihm gelang es, gehalten hatte. Unter dem Titel „Schmährede des bolfigur für die NS-kritischen Teile der Gestapo über sich ergehen lassen mussten. Fast die katholische Opposition zum NS-Regime in der Pfarrer Ochse“ gab Schopen schon am darauffol- Bevölkerung. Der einzige war er nicht, ebenso unerforscht sind die Aktivitäten der Sturm- Öffentlichkeit in einer Person zu verkörpern, wie genden Montag eine Predigt Ochses wieder, bei und im eigentlichen Sinne politisch war scharen und des katholischen Bundes Neudeutsch- es auf der evangelischen Seite allenfalls Theodor der er schon im Untertitel das wiedergab, was er er auch nicht. land, dem hauptsächlich Oberschüler angehörten, Noa geschafft hatte – doch Noa starb 1937 unter und die Nationalzeitung für Volkes Stimme hielt: des Katholischen Lehrerverbandes, und einzelner ungeklärten Umständen in Berlin. Seine Leiche „Die nationalsozialistischen Katholiken verlangen Über Wilhelm Ochse wurde bereits wis- Katholiken, deren mutige Haltung bis heute – sei wurde im Berliner Landwehrkanal gefunden. die Amtsenthebung des Pfarrer Ochse.“ 11 senschaftlich geforscht und geschrie- es aus Bescheidenheit, sei es aus Nichtwissen – bis Ochse musste sich immer wieder Angriffen der Ochse war schon 1933 zum Ziel von Attacken der Nationalsozialisten erwehren, die schließlich im NS-Kreisleitung geworden. In einer Predigt habe er Prozess vor dem Sondergericht Dortmund 1935 zum Boykott nationalsozialistisch eingestellter ka- gipfelten. Und: Der Pfarrer Ochse war manchmal tholischer Geschäftsleute aufgerufen. Zudem habe ein wenig unvorsichtig, wie der Dechant des De- er dem Konkordat, seinem Entstehen und seinen kanates, Pfarrer Wilhelm Kenter, in einem Schrei- Nachwirkungen einen ungebührlichen Kommen- ben an das Erzbistum klagte. Und das war er auch tar gewidmet. Ein weiteres Thema, so zitierte die in einem eigentlich unverdächtigen Gespräch mit Nationalzeitung den Priester, sei die katholische den Eltern von Kommunionkindern. Im Verlauf Presse gewesen, die die Machthaber der Kirche ge- dieses Gespräches sagte Ochse, es sei ein offenes nommen hätten. Geheimnis, dass tausende Berliner Landjahrmäd- chen geschwängert zurückgekommen seien. Für Der Pfarrer hatte jedoch auch im eigenen Haus mit die Gestapo war das ein willkommener Anlass, zu Problemen zu kämpfen. Das erzbischöfliche Ge- ermitteln. Schließlich war der Pfarrer bereits als neralvikariat war nur nach längerem Nachdenken politisch hochgradig unzuverlässig bekannt. dazu zu bewegen, sich vor den Pfarrer zu stellen, nachdem zunächst sogar über eine Versetzung des Der Pfarrer-Ochse-Platz hinter der Siegener Marienkirche. Den Beginn der Auseinandersetzungen zwischen Pfarrers nach Herne-Sodingen nachgedacht wur- 34 35 de. Prof. Wagener schildert auch, der Pfarrer sei im Arbeitsvermittler im Arbeitsamt und gemeinsam sich bald sicher und glaubten nach einigen Wo- nach Hause gekommen. Kreise seiner Siegener Confratres isoliert gewesen. mit ganz wenigen anderen Gemeindemitglie- chen, sie müssten in der Führung vertreten sein. Nachdem Teilnehmer der Messe verhört worden dern mit Ochse eng befreundet. Anna Hellmann Unter den ersten hundert Mitgliedern des Nati- Eine der Mütter, die Frau eines Beamten, trug die waren, ergab sich immer noch kein schlüssiges war Mitglied der urkatholischen Familie des Sa- onalsozialistischen Lehrerbundes waren gerade Äußerung weiter. Die Gestapo begann zu ermit- Bild über die tatsächlichen Aussagen während der nitätsrates Adam Hellmann. Zwei Töchter waren vier Katholiken, wie der „Nationalsozialistische teln, die Akte wanderte zur Staatsanwaltschaft Predigt, so dass Ochse schließlich dem Generalvi- ins Kloster gegangen, die Familie selber bekannte Erzieher“ 1934 meldete. In Siegen meldete sich nur beim Sondergericht Dortmund, die für politische, kariat mitteilte, dass er von weiteren Schritten ab- sich voll und ganz zum Katholizismus. Überhaupt ein einziger an, und auf die Anfrage hin, wer bereit so genannte „Heimtückedelikte“ zuständig war. sehen wolle, zumal der Kreisleiter die Sache für er- erwies sich das Zentrum und das katholische Dias- sei, nach der Aufhebung der Sperre in die Kampf- Ochse war kein unbeschriebenes Blatt. Er hatte ledigt erklärt habe. Zudem hatte Ochse selbst mit pora-Milieu als stabil gegenüber den Einflüsterun- verbände einzutreten. Zeigte nur einer den Willen, Flugblätter verteilt, die Broschüre „Christus, nicht dem höchst einflussreichen Brigadeführer Paul gen und Werbeversuchen der Nationalsozialisten. sich der SA anzuschließen, während schon über Hitler“, und er hatte sich vehement für katholische Giesler gesprochen und mit ihm vereinbart, dass Dazu gehörte vor allem der Katholische Lehrer- zwanzig evangelische Lehrer den alten national- Jugendliche eingesetzt, die beim Reichsbahnaus- künftig Streitpunkte nicht öffentlich ausgetragen, bund, aus dessen Reihen Ochses zuverlässigste sozialistischen Kampfverbänden angehörten.“ besserungswerk keine Lehrstelle bekommen hat- sondern „auf dem kleinen Dienstweg“ bereinigt Mitarbeiter kamen. ten, weil sie keine Hitlerjungen waren. Und: Er hatte werden sollten. Diese Oppositionsgruppe hatten auch die Natio- Und dann kam das Jahr 1935. Pfarrer Ochse, der 1933 den gefolterten Kommunisten Löw angehal- nalsozialisten schon ausgemacht. Die Nationalzei- sonst vergleichsweise vorsichtige Seelsorger, er- ten, seine Folterspuren fotografisch festhalten zu Das Zentrum als politischer Arm des Katholizis- tung resümierte schon 1934: klärte in dem bereits erwähnten Gespräch mit den lassen. Das alles machte Ochse zu einer aus Sicht mus erfreute sich in den zwanziger und dreißiger Müttern von Kommunionkindern, es seien von der Nationalsozialisten sehr verdächtigen Person. Jahren des 20. Jahrhunderts dauernder Stabilität. „Bekanntlich versuchten in Siegen die Zentrüm- 10000 Berliner Landjahrmädchen 3000 schwanger Der Prozess begann im September 1935, und die Während die anderen Parteien im Siegener Rat in ler am längsten, den nat.soz. Organisationen ihren Stimmenergebnissen erhebliche Wellentä- ohnmächtigen Widerstand entgegenzusetzen. ler durchschreiten mussten, blieb die Zahl der Sit- Schließlich kamen sie zähneknirschend, fühlten ze für das Zentrum ebenso stabil wie die absolute Stimmenzahl. Dies deutet natürlich darauf hin, Die dass die Siegener Katholiken in ihren politischen National- Präferenzen deutlich stabiler und treuer waren als zeitung etwa die Anhänger der DVP, der DNVP und ande- Der Pfarrer der berichte- rer rechter Parteien, die im Laufe der Jahre durch- Siegener St. Ma- te aus- aus bereit waren, ihre Stimmen an Stöckers Kon- rien-Gemeinde, führlich servative oder an den evangelischen Volksdienst Wilhelm Ochse. bereits zu vergeben und dadurch die Zersplitterung des 2 vor evangelischen Lagers zu fördern. Beginn über den Der Siegener Zentrumsfraktion gehörten in den Prozess. frühen dreißiger Jahren Politiker an, die das Ver- trauen von Pfarrer Ochse genossen, allen voran Wilhelm Geisbe und Anna Hellmann. Geisbe war 36 37 Siegener Gestapo-Beamten hatten mit Sicherheit um eine geistige Auseinandersetzung mit den reichlich zu tun. „Der Prozess hatte schon Tage herrschenden Verhältnissen. Dasselbe galt auch Ein Ende im Landwehrkanal zuvor die Gemüter der Bürgerschaft bewegt und für die Kommunisten, die allerdings meist unter nicht geringe Erregung hervorgerufen“, schrieb scharfer Gestapo-Aufsicht standen. Doch es gab die Siegener Zeitung in ihrem Prozessbericht. „Das Rückzugsorte. Ein solcher Rückzugsort befand Ein Vierteljude mit EK I und II zeigten schon die stillen Kundgebungen in der sich in der Gaststätte Löw bei der Eremitage zwi- Nähe des Gerichts und weitere Vorfälle...“. In der schen Siegen und Rödgen. Hier trafen sich Sozial- Pfarrer Noa Tat hatten sich am Morgen des Prozesses bereits demokraten wie Zentrumsangehörige, die unge- Theoor Noa war eine der prägenden Ge- die Herzen der Gemeinde schnell, insbesondere hunderte Mitglieder der katholischen St.Marien- stört und offen über Politik sprechen wollten. Zu stalten des evangelischen Kirchenkrei- durch seine Jugendarbeit. Noch heute erinnern Gemeinde rund um das Untere Schloß versam- den Katholiken, die hier regelmäßig zu Gast wa- ses. Im Mai 1927 kam er nach Siegen, sich Teilnehmer der Bibelfreizeiten an ihren Pastor, melt. Ochse selber betrat das Landgerichtsgebäu- ren, gehörten Mitglieder des ehemaligen katholi- nachdem Gemeindemitglieder ihn zur der sich auch nicht zu schade war, seine Schützlin- de durch einen Hintereingang, um die Stimmung schen Lehrerverbandes. Sie hatten offensichtlich Bewerbung ermuntert hatten. Nicht zu- ge beim Sackhüpfen zu besiegen. nicht anzuheizen. In seinem Schlußwort sagte er auch Zugang zu verbotener Literatur, die auf ver- letzt die schwierige Situation des evan- aus, er sei das Opfer einer „systematischen Hetze schlungenen Wegen ins Reichsgebiet geschmug- gelischen Religionsunterrichts in Siegen Noa begann sich beim Evangelischen Volksdienst von kleinen Hitlers“ geworden. Er wurde zu acht gelt wurde. Zeitzeugen berichten, dass die Weiter- hatte die Siegener Protestanten ermun- politisch zu engagieren, doch anders als viele sei- Monaten Haft verurteilt, die er im Gefängnis in Ha- gabe der Bücher unter konspirativen Umständen tert, sich um Noa zu bemühen. Stein ner Parteifreunde konnte er sich auch nach 1933 gen absitzen sollte. Kurz vor seiner Haftentlassung stattfand. Die Bücher wurden am Abend überge- des Anstoßes war damals Dr. Edmund nicht mit den Nationalsozialisten arrangieren. boten ihm die verbliebenen Siegener Kommunis- ben und mussten am nächsten Morgen wieder an Mugler, ein württembergischer Pfarrer, Dazu fehlte es ihm offensichtlich an der korrekten ten an, ihn mit einem Auto aus der Haftanstalt einen Kurier weitergegeben werden. der am Realgymnasium seinen Dienst arischen Abstammung – nach den Nürnberger abzuholen - ein Angebot, das Ochse mit Hinweis 12 versah, und der es sich bereits 1913 Gesetzen war Noa ein Vierteljude. auf die Gefahren ablehnte, die von einem solchen Dass es in Siegen eine solche Subkultur gab, in gründlich mit den konservativen Siege- Signal ausgehen mussten. der verbotene Bücher kursierten, wusste auch der ner Christen verdorben hatte. Wörtlich Sozialdemokrat Wilhelm Fries. Bis 1935 zumindest schrieb Presbyter Albrecht Siebel Jahre Als die Nazis an die Macht kamen, reagierten die habe er am Bahnhof noch ausländische Zeitun- später: „Sodann haben wir hier am Real- republikanischen Parteien auch in Siegen auf sehr gen unter dem Ladentisch bekommen können. gymnasium sehr radikal denkende Reli- unterschiedliche Weise. Von Sozialdemokraten Die Zeitungen wurden von Reichsbahnern aus der gionslehrer, die es nicht verstehen, mit weiß man, dass sie sich noch lange in privaten Schweiz nach Deutschland mitgebracht. Offen- unserer Kirche in freundschaftlichem Verhältnis zu bleiben“. Gesprächskreisen trafen, in denen es war nicht sichtlich waren diese Quellen bis in die Kriegszeit Pastor mehr um praktische Politik ging, aber immerhin hinein noch nicht versiegt. Theodor Der mit beiden Eisernen Kreuzen und Noa (1891 - dem Ritterkreuz des Albrechtsordens 1937) mit Schwertern ausgezeichnete und durchaus deutsch-national denkende Weltkriegsteilnehmer Noa passte eher in die konservative Siegener Gemeinde Heute Heute als Dr. Mugler. Noa kam und gewann 39 38 Immer wieder beschwerten sich Nationalsozialis- Haus der Arbeit ten über den Pfarrer. Und die Hetze begann. In ei- nem Interview berichtet ein Zeitzeuge über Pres- Als das Rollkommando kam sionen der HJ gegen Teilnehmer der kirchlichen Jugendarbeit, die zugleich als Hitlerjungen aktiv Das Ende des Hauses der Arbeit waren: Am frühen Vormittag des 2. Mai 1933 tagsabgeordneten Fritz Fries sicher zu stellen. Die „Und kurze Zeit darauf, da kriegte ich `ne Vorla- umstellten SA-Abteilungen das Ge- Beschäftigten wurden aus ihren Büros getrieben. dung zur HJ-Bannführung, und ich komm dahin werkschaftshaus an der Sandstraße. Ein Gewerkschaftssekretär Otto Bäcker war der erste, und da sitzen alle die anderen Jungen, die da auch Doppelposten sicherte die Tür, Standar- der mit Schlägen traktiert wurde. Als Paul Giesler mit waren, im Flur, und wir wurden alle einzeln Kaisergarten, damals noch ein christliches Hospiz. tenführer Giesler und Richard Oden- den Verlagsleiter der Siegener Volkszeitung, Gus- reingenommen und ganz fürchterlich zusammen- Am Morgen reiste er, offensichtlich völlig verzwei- dahl betraten das Haus gemeinsam mit tav Vitt in seinem Büro entdeckte, rief er: „Da sitzt gestaucht, was uns einfiele mit einem Juden ..., er felt, ab, nicht ohne seinem Amtsbruder Pfarrer weiteren mit Karabinern bewaffneten ja das Schwein, das die Artikel über uns geschrie- hatte ja das Pech, einen jüdischen Großvater zu Vacheroth einen Brief zu schreiben, in dem er von SA-Leuten. Odendahl sagte nach dem ben hat.“ Sofort griffen mehrere SA-Leute zu und haben, also das war eine schreckliche Sache.“ Ei- seinen Selbstmordabsichten berichtete. Krieg aus, es sei seine und die Haupt- schleiften Vitt aus dem Büro. Als er sagte, er müsse nige der Jungen wurden für ein Jahr von der HJ aufgabe Gieslers gewesen, die Akten noch den Geldschrank abschließen, wurde er mit ausgeschlossen. Am 15. März wurde seine Leiche aus dem Berliner des – nicht anwesenden – SPD-Land- Kolbenstößen traktiert und aus dem Raum getrie- Landwehrkanal gezogen. Als Frontkämpfer wurde ben. Alle Überfall- Auch Noas jüdischer Großvater war Grund für An- er auf dem Garnisonsfriedhof begraben. In Siegen 13 opfer wurden in feindungen. „Mich kann heute jeder dumme Jun- hielt sich dennoch das Gerücht, dass Noa von der das Büro von Otto ge beleidigen“ Am 12. Dezember 1937 kündigte Staatspolizei umgebracht worden sei. Sein Grab- Bäcker gesperrt. Noa, Mitglied der oppositionellen Bekennenden kreuz vom Berliner Friedhof steht heute neben der Peter Müller hatte Kirche, eine besondere Kollekte an, die für die Un- Nikolaikirche. Die Staatsanwaltschaft Siegen lehn- an diesem Mor- terhaltung von Konvikten und die Unterstützung te 1960 wegen ernstzunehmender Indizien für ei- gen noch Bankge- von Theologiestudenten bestimmt war. Die Ge- nen Suizid die Aufnahme von Ermittlungen gegen schäfte zu tätigen. stapo beschlagnahmte die Kollekte, vernahm den Unbekannt ab. Er kam später am Pfarrer polizeilich und reichte einen Bericht an die Dass die Hetze der Nationalsozialisten ihren Teil zur Gewerkschafts- Stapo-Leitstelle in Dortmund weiter. Eine Woche Situation Noas beigetragen hatte, war nicht Ge- haus an und wur- später feierte Noa seinen letzten Gottesdienst im genstand der Ermittlungen. de von den SA- Posten an der Tür gar nicht erst ein- gelassen. Inzwi- schen hatte sich auf der anderen Heute Heute Straßenseite eine 40 41 größere Menschenmenge gesammelt. Jemand Hier konzentrierte sich die Arbeit von SPD, Ge- rief: „Das ist auch einer von den Bonzen“, worauf werkschaften, Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold Müller von den SA-Leuten eingelassen wurde. Der und der sozialdemokratischen Volkszeitung. Nach stellvertretende Arbeitsamtsdirektor schilderte, beengten Jahren in der Häuslingstraße bot sich wie er und seine Genossen durch ein Spalier von hier die Möglichkeit, viel enger als bisher zusam- Fußtritten und Schlägen“ hindurchgehen mussten. menzuarbeiten. Die angeschlossenen Verbän- Die SA-Männer eskortierten Müller in Bäckers Büro, de konnten hier einen eigenen Saal nutzen, das wo Paul Giesler bereits mit den „Vernehmungen“ „Ebert-Heim“. Hier diskutierten Reichsbannerleu- begonnen hatte. Das bedeutete soviel wie, dass te, hier spielte der Zitherverein, berieten die Ar- der SA-Führer Odendahl als erster losschlug. Er beitersportler, und hier wurde, ganz bürgerlich, hatte sich einen kräftigen Knotenstock mitgenom- Weihnachten gefeiert. Und hier konnten SPD und men und zertrümmerte damit Peter Müllers Zahn- Gewerkschaften ihre Arbeit viel enger koordinie- prothese, wobei der Gewerkschaftssekretär auch ren als das bisher möglich war. Hermann Engelberth trug als Autor der Volks- Kündigung. Es blieben die Spitzen der SPD und einige Schneidezähne verlor. „Die Schläge fielen zeitung erheblich dazu bei, den Haß der Rech- der Gewerkschaften – bis zum 2. Mai 1933. Danach hageldicht“; erinnert sich einer der Zeugen 15 Jah- Hier war auch die Redaktion der Siegener Volks- ten auf das SPD-Organ zu nähren. In satirischen endete für zwöf Jahre die Geschichte der organi- re später. Bei Gustav Stamm, dem Geschäftsführer Randbemerkungen sorgte er immer wieder da- sierten Sozialdemokratie und der Gewerkschafts- des Deutschen Baugewerksbundes Siegen sparten So machte die für, daß man über die Zeitung sprach. Dass die bewegung. Die aktiven Sozialdemokraten zogen sich die SA-Leute das Verhör und schlugen direkt SPD 1932 politi- Identität des Volksschullehrers zum Schluß doch sich in Lesekreise und private Stammtische zurück, zu. Dann ordnete Giesler schließlich an: „Es ist ge- sche Werbung im noch aufgedeckt wurde, führte zu seiner Entlas- ohne sich, soweit erkennbar, oppositionell zu be- nug“. Die Zeugen sagten später im Prozess aus, Siegerland: Die sung aus dem Schuldienst. tätigen. niemand habe etwas Belastendes zu Protokoll ge- Karikatur stammt geben. Giesler ordnete dennoch Schutzhaft gegen aus einem Flug- Nach der Machtübergabe hatte das Haus der Ar- Die Ereignisse am 2. Mai 1933 wurden nach dem alle an. Das Gewerkschaftshaus wurde enteignet blatt, das 1932 beit noch einige Wochen Schonzeit. Doch das Krieg in Strafprozessen gegen Richard Odendahl und zum SA-Heim Siegen-Mitte umfunktioniert. in Siegen verteilt Ende war wirtschaftlich wie politisch absehbar. und andere thematisiert. Odendahl sei ein „Steig- Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass in wurde Am Tag der Reichstagswahl am 5. März 1933 bügelhalter der Nazis“ gewesen, sagte der Ober- diesem Haus politische Gegner misshandelt wur- demonstrierten Nationalsozialisten vor dem staatsanwalt 1948 in seinem Plädoyer. Der eigent- den. Am Volkshaus zog die SA ebenso wie am Haus zeitung, des Blattes der SPD für die Region zwi- Gewerkschaftshaus. Ein Plakat, das das Missfal- liche „satanische Geist“ sei der spätere Gauleiter der christlichen Gewerkschaften in der Kreuzstraße schen Siegen, Wittgenstein und die Nachbar- len der Nazis erregt hatte, wurde mit Gewalt aus Paul Giesler gewesen. Odendahl konnte sich in die Hakenkreuzfahne auf. Heute erinnert eine Ge- gebiete. Motor der Zeitung war Fritz Fries, der dem Schaufenster entfernt. Zweimal erschien dem Prozess nicht erinnern, selber geschlagen denktafel im Hof des Möbelhauses Wonnemann an innerhalb der SPD schon 1922 erkannt hatte, die Volkszeitung aufgrund eines Verbotes nicht, zu haben. Er wurde 1948 in erster Instanz zu zehn die Opfer der Nationalsozialisten. Der DGB erinnert dass eine Partei ohne Massenmedien große und am 29. März erhielten die Beschäftigten die Jahren Zuchthaus verurteilt. damit an die Geschichte des Hauses und an die So- Nachteile haben würde. zialdemokraten und Gewerkschafter, die seit 1933 verfolgt wurden. Die Volkszeitung war traditionell das beliebteste Angriffsziel völkischer und rechtsradikaler Grup- Das „Haus der Arbeit“ wurde 1929 eingerichtet.

pen. „Tante Brätsch“, der Kreuztaler Konrektor Heute 42 43 Das Reichsbahnausbesserungswerk Der Nordplatz Ein unruhiges Nest Im RAW prallten die Meinungen aufeinander Aufmarsch Das Reichsbahnausbesserungswerk RAW Bücher und Zeitungen, die an zuverlässige Emp- am Nord- war nicht nur größter Arbeitgeber in Siegen, fänger weitergereicht wurden. Dass das unruhige platz: Hier sondern gerade in der Zeit ab 1933 einer Klima nicht zu härteren Verfolgungsmaßnahmen und am Bis- der unruhigsten. „Es ist selbstverständlich, führte, lag an Reichsbahnrat Müller, einem promi- marckplatz dass in diesem großen Betrieb die politi- nenten Siegener Katholiken. Ihm bescheinigten stand Raum schen Meinungen innerhalb der Beleg- die Sozialdemokraten nach dem Krieg, er habe für Massen- schaft aufeinanderprallten“, heißt es in ei- gemeinsam mit dem Vertrauensrat allzu deutlich aufmärsche nem Bericht der Westfälischen Rundschau gewordenen Kollegen eine Anzeige und damit zur Verfü- nach dem Krieg. Natürlich versuchten die Verfolgung durch die Gestapo erspart. Doch der gung. Nationalsozialisten 1933, die Betriebsrats- Druck der Gestapo war immer da. 1941 hatte es arbeit zu beenden und die Gewerkschafter im RAW heftige Gerüchte um Unruhen in Italien durch Vertreter der Nationalsozialistischen gegeben. Diese Gerüchte stammten offensichtlich 14 Betriebszellenorganisation zu ersetzen. aus „Feindsendern“, und deren Abhören war mit 15 Das funktionierte weitgehend problemlos. schwersten Strafen belegt. Weil die Affäre zu weite Nur bei der Firma Heinrich Bertrams und Kreise gezogen hatte, erstattete die Werksleitung beim RAW gab es Widerstand. Hier wurden Meldung bei der Gestapo, wenn auch ohne Na- die sich weigernden Betriebsratsmitglieder men zu nennen. Drei Verdächtige wurden festge- in Schutzhaft genommen. Die widerspens- nommen. Der Werkmeister Gustav Weber verübte tigen Geister im RAW ließen sich jedoch nach den ersten Vernehmungen Selbstmord. Der Der Aufmarschplatz offensichtlich nicht dauerhaft abschre- Schlosser Reuter starb in der Haft an einem Herz- ...wo genug Raum für alle war cken. Überliefert ist, dass zum Beispiel die schlag. Der dritte, der tatsächlich den Feindsender Als es dem Oberbürgermeister Fißmer hier steht heute die Agentur für Arbeit - dräng- katholischen Reichsbahner eng mit Pfarrer abgehört hatte, überlebte die Nazizeit. zu dumm wurde mit den ständigen De- ten sich für Massenveranstaltungen auf. Wilhelm Ochse zusammenarbeiteten. So monstrationen, da schrieb er seinem schafften sie einen Brief an den Heiligen Müller und drei weitere Mitglieder der RAW-Lei- Polizeikommandeur Bienert einen er- Das hatten besonders schnell die Nationalsozi- Stuhl per Bahn in die Schweiz, in dem ein tung standen 1948 wegen Verbrechen gegen die zürnten Brief, die Siegener Stadtplätze alisten verstanden, die politische Propaganda Bericht über die Situation der Katholiken in Menschlichkeit vor Gericht. Alle wurden freige- seien wohl für politische Aufzüge völlig besonders intensiv betrieben. Sie liebten große Siegen enthalten war. Und: Noch mindes- sprochen: Die Zeugen hatten den vier Angeklag- ausreichend. Der alte Stadtplatz auf der Umzüge mit Blaskapellen und Uniformen. Des- tens bis 1935 importierten die Reichsbah- ten attestiert, sie trügen am Schicksal der Opfer Schemscheid, wo heute ein kleines Ge- halb gründete die SA bereits 1930 ein Tambour- ner mit Auslandszugang auch ausländische keine Schuld. werbegebiet steht, und der Nordplatz – korps, das fortan braunen Aufmärschen voran- 44 45 marschierte. Tagsüber war der harte, militärische Beteiligte wurden teils schwer verletzt. Marschtritt wichtigstes Kennzeichen der Aufmär- Wenn Parteiprominenz kam, dann hatten die Walter Krämer sche, abends kamen gerne auch Fackeln hinzu, die braunen Aufmärsche ein Ziel: Den Nordplatz. die Inszenierungen mystisch überhöhen sollten. Am 27. Oktober 1932 hatte sich Reichsorgani- Derartige Auftritte gab es besonders vor Wahlen. sationsleiter Gregor Straßer in Siegen angesagt. Der Vergessene Sie waren ein Instrument, um besonders unent- Die Veranstaltung wurde für Partei, SA und SS zur Staatsfeind oder Vorbild schlossene Wähler zu mobilisieren und natürlich Pflichtveranstaltung erklärt. Am Nordplatz bau- den politischen Gegner zu provozieren. Dement- te man ein Zirkuszelt auf, das immerhin 10000 Siebzig Jahre ist es her, dass der kommunisti- Sicherheit eine Entscheidung, an der auch Ernst sprechend waren Menschen Platz sche Landtagsabgeordnete Walter Krämer im Thälmann selber beteiligt war, und die perspek- derartige Aufmär- bot. Aus allen Außenlager Goslar des Konzentrationslagers tivisch ins Politbüro führen konnte. Doch Krämer sche immer auch Richtungen wur- Buchenwald ermordet wurde. Gerade elf Jah- hatte auch handfeste Qualitäten Als Landtagsab- eine Zeit höchs- den die Mitglie- re ist es her, dass die Gedenkstätte Yad Vas- geordneter lieferte er sich handfeste Auseinander- ter Anspannung der der Verbän- hem Krämer als „Gerechten der Völker“ ehrte. setzungen mit prominenten Nationalsozialisten, für die Polizei – es de herangekarrt. Doch in Siegen, wo Krämer am 21. Juni 1892 unter anderem mit dem später bekannt geworde- konnten sich prak- Auf dem Weg geboren wurde, tut man sich mit dem Sohn nen NS-Funktionär Hans Hinkel. Er kassierte, was tisch immer Zwi- dorthin wurden der Stadt schwer. Walter Krämer war einer der für aktive Kom- schenfälle ereig- Zwischenkund- profiliertesten KPD-Funktionäre der Weima- munisten damals nen. gebungen abge- rer Zeit. In Siegen trat er, Sohn eines kaiser- kaum vermeidbar halten, um eine 16 treuen, national gesinnten Vaters, 1919 der war, weitere Vor- Einer dieser Zwi- entsprechende USPD bei, nachdem er 1918 in Kiel bereits an strafen wegen po- schenfälle spiel- Breitenwirkung der Novemberrevolution beteiligt war, 1921 litischer Delikte. te sich am 17. zu erzielen. Und: wurde er wegen eines Firmendiebstahls, den Juli 1932 auf der Alle 10000 Be- er später bitter bereute, zu einer Haftstrafe 1933 endete dann Hagener Straße sucher mussten verurteilt. die Zeit Krämers zwischen Siegen Auch am Bismarckplatz in Weidenau wurde gerne paradiert und Eintritt zahlen, in Freiheit. Nach und Weidenau ab. aufmarschiert. um Geld für den Die Karriere des jungen Funktionärs verlief dem Reichstags- Kommunisten und steil nach oben. Wie in der KPD generell üb- brand wurde er Nationalsozialisten gerieten während einer Pro- weiteren Wahlkampf der chronisch klammen NS- lich, wechselte er als hauptamtlicher Funkti- - von einem sozi- pagandafahrt aneinander. Bei der Stunden wäh- Kreisverbände Siegen-Stadt und Siegen-Land onär innerhalb von jeweils zwei Jahren den aldemokratischen renden Straßenschlacht fielen Schüsse, mehrere heranzuschaffen. Standort. In den folgenden Jahren avancierte Wachtmeister - in er zum Unterbezirksleiter in Krefeld, Wupper- Schutzhaft ge- tal, Kassel und Hannover – ein Zeichen für die nommen. Vom Gerichtsgefängnis an der Celler Stra- hohe Wertschätzung, die er auch im Politbü- ße hielt er Kontakt mit wenigen Genossen in Siegen, ro der KPD genoss. Hannover war einer der unter anderem Heinrich Otto und dessen Frau Bern- Heute Heute wichtigsten Standorte im ganzen Reichsge- hardine. Otto hielt Krämer auch über die Situation biet, und die Besetzung dieser Stelle war mit in Siegen auf dem Laufenden. Aus dem Gefängnis 46 47 in Hannover kam er 1937 in das Konzentrations- mandant Koch ließ sich von Krämer wegen einer Ignaz Bruck und Bäckermeister Dax lager Buchenwald. Hier gab es schon früh eine Syphilis behandeln. Diese Therapie und Krämers kommunistische Lagerorganisation, über die Eu- Wissen, dass Koch sich an dem Eigentum jüdischer gen Kogon schrieb: Häftlinge persönlich bereichert hatte, brachten Die weiße Fahne zu früh gehisst ... sollten ihn in Lebensgefahr, vermutete Kogon. Als „Der Verdienst der Kommunisten um die KL-Ge- „Arzt von Buchenwald“ ging er in die einschlägige Jahrzehnte später nennt man das, was in ohne Gewissensbisse umgebracht habe. Die deut- fangenen kann kaum hoch genug eingeschätzt Literatur ein. 1941 wurde Krämer im Außenlager Klafeld passierte, ein „Verbrechen der End- lich psychopathische Ader des Henkers hatte auch werden. In manchen Fällen verdankten ihnen die Goslar von der SS erschossen. Offensichtlich hatte kriegsphase“. Am Ostersonntag 1945 wurde dessen Kameraden immer beunruhigt. Er habe Lagerinsassen buchstäblich ihre Gesamtrettung, er, der nicht nur Häftlinge, sondern bald auch SS- der Betriebsleiter der Grube Neue Haardt, sich, so erinnerten sich seine „Kameraden“, sogar wenn auch die Beweggründe selten reiner Unei- Leute und sogar KZ-Kommandant Koch behandelt Ignaz Bruck, von Männern des Volkssturms stets freiwillig gemeldet, um nach einem Bomben- gennützigkeit entsprangen, sondern meist dem hatte, einfach zu viel gewusst. Yad Vashem hat Wal- ermordet. Der Betriebsleiter hatte eine wei- angriff Leichen und Leichenteile zu bergen, und Gruppen-Selbsterhaltungstrieb, an dessen positi- ter Krämer als „Gerechten der Völker“ geehrt, weil ße Fahne an die Bunkertür gehängt, um den sich über diese Aufgabe sogar gefreut. Das Land- ven Folgen dann manchmal das ganze Lager teil- er auch jüdischen Häftlingen das Leben gerettet einrückenden Amerikanern deutlich zu ma- gericht Siegen verurteilte Jäger zu zehn Jahren nahm.“ hatte. Die Ehrung fand in der Siegerlandhalle statt, chen, dass hier nur Zivilisten waren. Haft – auf den Entzug der bürgerlichen Ehrenrech- einer der Festredner war Siegens damaliger Bür- te verzichtete das Gericht. Auch der Staatsanwalt Die illegale Lagerorganisation schleuste den ge- germeister Ulf Stötzel. Vermutlich glaubte Bruck in der heranrü- hatte den Angeklagten mit recht großer Sanftmut lernten Schlosser 1938 mit der Diagnose „Rücken- ckenden Volkssturmabteilung Amerikaner behandelt. Für die juristische Bewertung der Tat beschwerden“ ins Krankenrevier ein. Hier wurde Dass Krämer Kommunist war, spielte für die Ge- erkannt zu haben, weil sie eben keine Wehr- als Mord sei sie nicht ausreichend von grausamen er durch das Zutun eines Kapos vom Patienten denkstätte keine Rolle. Dr. Bodo Ritscher, (Gedenk- 17 machtsuniformen trugen. Die Volkssturm- Qualen begleitet gewesen. Für einen Totschlag zum Pfleger und eignete sich dort ausgeprägte stätte Buchenwald): „Krämer war eine herausra- männer nahmen Bruck fest und hängten hingegen konnte er keine mildernden Umstände medizinische Fähigkeiten an. Als Pfleger im Kran- gende Persönlichkeit in der Lagerorganisation“. ihn am Klafelder Markt auf. Als das Seil riss, erkennen. kenrevier erarbeitete er sich schließlich eine au- Die Rolle Krämers in Buchenwald sei historisch griff der Henker Jäger zur Pistole und schoss ßergewöhnliche Stellung, die es ihm ermöglichte, hinreichend erforscht. In Siegen, wo Walter Krä- Bruck noch mehrmals in die Brust. Auch der Bäckermeister Heinrich Dax in Gosen- sich sogar relativ frei im Lager zu bewegen – bis in mer 1892 in der Charlottenstraße geboren und bach wurde umgebracht, weil er die weiße Fah- das ansonsten streng abgeschirmte Lager der rus- in der heutigen Rosterstraße aufgewachsen war, Etwas mehr als sechs Jahre später erfuhr ne zu früh gehisst hatte. Er wurde, ebenfalls im sischen Kriegsgefangenen. Der Schlosser schaffte dauerte es lange, bis er in die Erinnerung der Öf- die Öffentlichkeit mehr über die Ereignis- Frühjahr 1945, von einer SS-Einheit standrechtlich es, auch schwierigere Eingriffe erfolgreich zu be- fentlichkeit zurückgekehrt war. 2011 erinnerte se in Weidenau und Klafeld, die zum Mord erschossen. Wie viele Deserteure in dieser Zeit im wältigen, so dass er manchmal sogar Patienten nur eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus, und führten, und über die Täter. Der Angeklagte Siegerland umgebracht wurden, weiß man heute behandeln musste, die als SS-Leute zu ihren eige- viele Veranstaltungen und Diskussionen an den Friedrich Jäger sei auch bei seinen Volks- nicht. Sicher ist aber, dass im Siegerland SS-Einhei- nen Ärzten kein Vertrauen hatten. Sogar KZ-Kom- „Arzt von Buchenwald“. sturmkameraden als „Dollmann“ berüchtigt ten lagerten, die auch auf der Suche nach Fahnen- gewesen, der auch schon gefangene Russen flüchtigen und Regimegegnern waren. Heute Heute Heute Heute

48 49 Otto Bäcker Zwangsarbeiter-Friedhof Fludersbach Schicksal unbekannt Vergessene Opfer Nummer 137224 bleibt verschollen Tausende Zwangsarbeiter litten im Siegerland Was weiß man von Otto Bäcker? Er stamm- sich seine Spur. Intensive Bemühungen Bereits vor Kriegsbeginn warb die Sie- industrie profitierte massiv. Im Jahr 1939 gingen te aus Derschlag im Bergischen Land und seiner Kameraden, sein Schicksal aufzuklä- gerländer Industrie Arbeitskräfte aus tausende von Siegerländer Männern an die Front. kam als Funktionär der Eisenbahnerge- ren, blieben trotz intensiver Recherchen bis dem Ausland an, insbesondere von Itali- Zugleich begann der Zustrom von Tschechen, werkschaft ins Siegerland. Er war promi- heute ergebnislos. enern. Die Rüstungskonjunktur hatte die Slowaken und Polen und spätestens mit dem Ab- nentes SPD-Mitglied, Ratsherr bis 1933, Industrie in einen Rausch versetzt, und schluss des Frankreich-Feldzugs der Zustrom an und 1933 gehörte er auch zu den Opfern gerade die Siegerländer Eisen- und Stahl- holländischen, belgischen und französischen, ab 18 des Überfalls auf das Haus der Arbeit an 1941 auch von der Sandstraße. Er wurde ebenso wie sei- russischen Kriegs- ne Kollegen verhört und geschlagen, um gefangenen und dann aber zunächst wieder freizukom- Zivilarbeitern, die men. Der damals 46-jährige Bäcker , so in der Siegerlän- kann man man die bruchstückhaften In- der Industrie ein- formationen zusammenfügen, zog dann 19 gesetzt wurden. als Arbeitsloser zurück ins Bergische Anfang 1941 wa- Land. Am 2.9.1944 ren etwa 3500 eineinhalb Monate Kriegsgefange- nach dem Attentat ne im Gebiet des auf Hitler, verhaf- heutigen Kreises tete ihn die Gesta- Siegen-Wittgen- po und brachte stein beschäftigt, ihn ins Konzent- im März 1942 rationslager Sach- sogar 4000. Mit senhausen. Am dem Überfall auf 30.12. 1944 wurde die Sowjetunion er nach Dachau kamen sehr vie- verlegt, dann in le sowjetische ein Außenlager bei Kriegsgefangene Überlingen. Dort, nach Deutsch- Der Einlieferungsschein Otto Bäckers ins Der Zwangsarbeiterfriedhof in der Fludersbach - nur selten verirrt sich ein auf einem Todes- land. Die großen marsch, verliert KZ Dachau Besucher hierhin. 50 51 Unternehmen, angefangen bei der Charlotten- Lager waren in Niederschelden. Hier waren 789 150 Kranke. Später kamen weitere Baracken hin- Emilia, sein Sohn diente bei der deutschen Wehr- hütte in Niederschelden über die Siemag, die Gru- Arbeiter untergebracht. zu. In einem Ziegelbau praktizierte eine ebenfalls macht. Er selber gehörte zu den Badoglio-Italie- be Neue Haardt bis hin zum Eichener Walzwerk verschleppte ukrainische Ärztin. Direkt daneben nern, die nach der Kapitulation der italienischen richteten eigene Barackenläger ein, in denen die Dass die Lebensbedingungen in den Lagern teils entstand ein Friedhof für die Zwangsarbeiter, der Armee und ihrem Schwenk auf die Seite der Alliier- Zwangsarbeiter teils unter unmenschlichen Be- verheerend schlecht waren, verstanden auch die heute noch existiert. ten plötzlich zu Gegnern Deutschlands geworden dingungen festgehalten wurden. deutschen Behörden - ohne allerdings viel dage- waren. Montanari arbeitete im Niederscheldener gen zu tun. Im Gegenteil: Bei Luftalarm durften die Auf dem Zwangsarbeiterfriedhof in der Hermels- Stahlwerk, er lebte in einem Italienerlager in Nie- In Klafeld gab es immerhin 11 Lager, in denen 1167 Ausländer nicht in den Bunker. In diesen Zeiten bach steht geschrieben, dass hier 377 russische derschelden, und er war als ruhiger, verträglicher Zwangsarbeiter untergebracht waren, in Dreis- waren sie besonders ungeschützt, wie zum Bei- Gefangene beerdigt wuden. Insgesamt liegen 691 Mensch bekannt. Tiefenbach 16 Zivilarbeiterlager und 8 Kriegsge- spiel die 17-jährige Nadja Potemkina, die während russische Männer, Frauen und Kinder in Siegen fangenenlager mit 1167 Arbeitern. Gleich 20 Zivil- eines Bombenalarms an einer Bunkerwand am begraben. Diese hohe Zahl, durch etwaiges ho- 1945, am 9. März, wurde Montanari von Wilhelm arbeiterlager und fünf Kriegsgefangenenlger mit Kaisergarten erschossen wurde. In einigen Lagern hes Alter nicht erklärbar, kann begründet werden. Bültmann, dem stellvertretenden Leiter der Ge- 1610 Arbeitern waren in Weidenau. Die größten war der Anteil an Jugendlichen und Kindern ver- Die Russen durften während etwaiger Luftangriffe stapo-Dienststelle Siegen, ermordet. Montanari gleichsweise hoch. nicht in den Bunker. Ihre Ernährung und medizi- hatte in einer Eiserfelder Gaststätte eine Flasche Als besonders auffäl- nische Versorgung war schlichtweg menschen- Bier gekauft und bei der Frau des Wirts bezahlt, lig wird das Lager der unwürdig. Es war den Deutschen sogar verboten, als Bombenalarm ausgelöst wurde. Als der Alarm Dynamit Nobel AG den Russen Essen zuzustecken. Irgendwelche Lie- aufgehoben worden war, sah ihn Bültmann mit in Würgendorf und besbeziehungen zwischen Deutschen und Russen dem Biersiphon und vermutete sofort Plünderung der Siemag gekenn- waren mit dem Tod bedroht. So starb auch die Sie- – ein Vergehen, das gerade für Fremdarbeiter mit zeichnet. generin Ella B. 1945 im Park des Oberen Schlosses dem Tode bedroht war. Die Frau des Gastwirtes - sie nahm sich dort das Leben, nachdem sie von bestätigte dem Gestapo-Beamten zwar, Montana- Es ist nicht schwer einem RAD-Mann wegen einer verbotenen Bezie- ri haben das Bier bezahlt. Dennoch erschoss der zu verstehen, dass hung erpresst wurde. Beamte den Italiener im Hinterhof der Gaststätte die schlechten Le- mit einem Genickschuss. bensumstände zu Wie schnell auch Zwangsarbeiter ums Leben Krankheiten führten. kommen konnten, die nicht den niederen Status Bültmann wurde nach Kriegsende in erster Instanz Wer das Glück hatte, der russischen Deportierten hatten, beweist die zu sieben, in der Berufung zu zehn Jahren Haft mit Erkrankungen Geschichte von Umberto Montanari. Montanari verurteilt, die dann 1955, kurz vor Weihnachten oder Verletzungen stammte aus Montecchio in der Provinz Reggio endeten. zur Behandlung frei- gegeben zu werden, der kam in das Hilfs- krankenhaus in der Fludersbach. Dort Der Zwangsarbeiterfriedhof in der Fludersbach ist heute fast vergessen. Hier lie- gab es anfangs eine gen Kinder und Erwachsene, die die Arbeit in Siegen nicht überlebten. hölzerne Baracke für Heute 52 53 Presse im 3. Reich gab auf. Das Sieg-Rheinische Volksblatt, von den möglich um Schlimmeres zu vermeiden, man sei Nazis mit dem Ehrentitel „Schwarze Giftspritze vom keinesfalls das Organ des erwachenden Staates“. Obergraben“ belegt, musste sich auf Druck der SA Staatstreu gab sich das Blatt jedoch auch weiter. in Siegerländer Tagespost umbenennen. Den Re- Zum Ende des 1000-jährigen Reiches nach knapp Die Bräunung des Blätterwalds dakteuren nutzte das wenig. 1933 wurde die kom- zwölf Jahren, inzwischen war die Nationalzeitung plette Redaktion mit Herausgeber Bernhard Steins, mit der Siegener Zeitung zwangsverschmolzen, Verleger und Journalisten auf schmalem Grat seinem Sohn und Gerd Diez festgenommen und kam es zu propagandistischen Durchhalte-Arti- War die Siegener Zeitung ein Steigbügel- Beim Parteitag der Konservativen in Siegen gab es für einige Tage ins Gerichtsgefängnis gesperrt. Die keln übelster Art. halter der Nationalsozialisten oder eher die Forderung, man möge doch Juden vom Offi- Zelle war so überlastet, erinnerte sich Sohn Hans ein Opfer? Und wer waren die Journalisten, ziersstand und von höheren öffentlichen Ämtern Steins, dass es Pfarrer Ochse möglich war, Brie- die die Politik machten? Um sich einer Ant- ausschließen und den Anteil der Judenkinder an fe hinein und herauszuschmuggeln. 1941 kam wort auf diese Frage zu nähern, muss man öffentlichen Schulen reduzieren. So absurd diese die zweite Welle der Zeitungsschließungen. Aus sich die regionale Zeitungslandschaft in Forderungen auch sind – ihre Protagonisten beim „kriegswirtschaftlichen Gründen“ wurde die Sie- der Weimarer Republik ansehen. Siegener „Volk“ waren hoch anerkannte regionale Persönlichkeiten, Pfarrer, Unternehmer, ein Kaiser- gerländer Tagespost wie viele andere Zeitungen Auf der anderen Seite der Medaille stehen zwei zwangseingestellt. Namen: Die Sozialdemokraten Hermann Engel- Bis 1933 erschienen fünf Blätter im Sie- licher Postmeister und viele andere. berth und Gustav Vitt, der eine wegen journalis- gerland: Das Sieg-Rheinische Volksblatt, Am Obergraben probierte man ab 1933 den Spa- tischer Spitzfindigkeiten unter dem Pseudonym das „Volk“, die Hilchenbacher Zeitung, ab Die Siegener Zeitung war da ein wenig anders. gat. Einmal bot sich die Redaktion in Konkurrenz „Tante Brätsch“ bei Nationalsozialisten bekannt, 1930 die „Siegerländer Nationalzeitung“ Sie pflegte eine national-konservative Grundlinie, zur Nationalzeitung sogar als „Organ des erwa- der andere als Redakteur der SPD-Volkszeitung als Organ der NSDAP und als „Platzhirsch“ öffnete aber ihre Spalten auch Sozialdemokraten, 20 chenden Staates“ an, was eine geharnischte Reakti- ebenso unbeliebt. Beide waren mit den Verlegern die Siegener Zeitung. Das Sieg-Rheinische manchmal sogar Kommunisten, sofern der redak- on der NS-Nationalzeitung und offensichtlich auch freundschaftlich verbunden, und beide fanden Volksblatt war das Organ des Katholizis- tionelle Beitrag mit einer kostenpflichtigen An- eine Reaktion der NS-Kreisleitung zur Folge hatte. im Verlag Vorländer Aufnahme, nachdem die Na- mus, eng dem Zentrum und der Geistlich- zeigenschaltung unterlegt war. Mit den jüdischen Kurz darauf korrigierte sich die SZ jedenfalls, wo- tionalsozialisten den Lehrer wie den Journalisten keit verbunden. Das „Volk“ wiederum war Händlern pflegte der Verlag eine unvoreingenom- stellungslos gemacht hatten. das Berliner Zentralorgan des Hofpredigers mene Geschäftspartnerschaft zu beiderseitigem und konservativen Politikers Stoecker, we- Nutzen, die dem Haus später den Vorwurf der Andere Mitglieder des Vorländerschen Netzwer- gen reichsweiter Erfolglosigkeit 1899 nach NSDAP-zugehörigen Nationalzeitung eintragen kes – wie Johannes Rothmalers Militärfreund Paul Siegen verlegt, wo noch das üppigste Le- würde, mit dem „Judengeld“ der Synagogenge- Giesler - halfen sicher ein wenig mit, die Pressio- serreservoir vorhanden war. Das „Volk“ fiel meinde habe der Verleger die Ausbildung seiner nen der Nationalsozialisten ein wenig zu mildern. schon früh durch einen mehr oder weniger Söhne finanziert. Das hatte aber auch etwas damit zu tun, dass Gies- heftigen Antisemitismus auf, dessen Wort- Das Jahr 1933 bringt die große Zäsur. Das „Volk“ mit ler mit dem Herausgeber der NS-Nationalzeitung, wahl eine deutliche Verwandtschaft zu der Redaktion und Verlag an der Sandstraße stellt auf Richard Manderbach, eine Intimfeindschaft pfleg- des 3. Reiches hatte. Man solle „nicht bei wöchentliche te, bei der ihm die Partnerschaft mit einer anderen Juden kaufen“, forderte Hofprediger Stoe- Erscheinungs- Zeitung durchaus von Vorteil sein konnte. cker schon Ende des 19. Jahrhunderts in weise um, die Nach Kriegsende wurden die Karten wieder neu seinem Blatt, und das „Volk“ schob entspre- Hilchenba- Die Belegschaft der Nationalzeitung beim Appell gemischt. Doch die Verleger waren ohne persönli- chende Forderungen eilfertig hinterher. cher Zeitung zum 1. Mai 1933 54 55 che Belastung durch das Dritte Reich gekommen. Jahr 1943 halten können. Fritz Vorländer war als ehemaliges „Stahlhelm“- Mitglied in die SA übernommen worden und be- „Am 1. April 1943 musste sie ihr Erscheinen in al- kleidete dort den Rang eines Scharführers, was ter Form einstellen, um einer zwar in gleichem Ge- in der Wehrmacht dem eines Unteroffiziers ent- wande erscheinenden Siegener und Nationalzei- sprach. Johannes Rothmaler hatte überhaupt kei- tung Platz zu machen, ohne aber ihr Eigenleben ne Funktion in Partei oder deren Verbänden. Er und ihre Verbundenheit zum Volk aufzugeben. hielt sich in seinem Entnazifizierungs-Fragebogen sogar zugute, nach dem Verbot des Jung- Bis zur Wiederlizenzierung des Blattes sollten noch deutschen Ordens an dessen illegaler Fortsetzung vier Jahre vergehen. teilgenommen Sogar Fritz zu haben. Fries war als Herausgeber Schon am 5. einer „Siege- Mai 1945, vier ner Zeitung Tage vor der für Christli- Kapitulation chen Sozi- des Deutschen alismus in Reiches, und wenige Tage nach der Besetzung des demokratischem Geist“ vorgesehen. 1949 wurde Siegerlandes durch amerikanische Truppen be- der Lizenzzwang aufgehoben. Auch die bis dahin gannen die Verleger, die Siegener Zeitung wieder von der Herausgabe von Zeitungen generell aus- auf den Markt zu bringen. Johannes Rothmaler geschlossenen Altverleger durften jetzt wieder stellte einen Antrag an den britischen Stadtkom- publizieren. Die Fusion mit der Nationalzeitung mandanten, einen Zeitungsverlag betreiben zu im Jahr 1943 wurde, nach erheblichen rechtlichen dürfen. Schwierigkeiten, gesellschaftsrechtlich im Jahr 1953 aufgelöst. Um Nachrichten und Bekanntmachungen der neuen Behörden an die Bevölkerung zu bringen, Zu diesem Zeitpunkt gab es schon die damaligen sei die Siegener Zeitung „bestens vorbereitet“. Sie Parteizeitungen Westfälische Rundschau (SPD) (die SZ) habe in den vergangenen 12 Jahren „ei- und Westfalenpost (CDU), und kurzzeitig auch die nen „schweren Kampf um ihre Existenz geführt. kommunistische „Freiheit“, die aber schon vor dem Unter dem Verlag Vorländer habe sie sich bis zum KPD-Verbot ihr Erscheinen einstellte. Am 16.12.2008 demonstrierten tausende Sie- gener quer durch die politische Landschaft für eine tolerante und weltoffene Stadt. Auch am 16.12.2009 wurde demonstriert.

Heute Heute 57 56 Was man weiß, was man wissen müsste ... seither als Standardwerk herangezogen werden, Bombenangriff auf Siegen verbrannten oder in der aber doch in Teilen sehr Mängel behaftet sind, Endkriegsphase vernichtet wurden. Nur von zwei und die Arbeiten eines Pfarrers Thiemann zu den NS-Ortsgruppen, denen aus Ferndorf und Eiser- Forschungslücken Juden im Siegerland, Arbeiten, die einen gerade- feld, sind versprengte Akten überliefert. Akten aus Die Regionalgeschichte hält noch viele Aufgaben bereit zu unschätzbaren Beitrag zur inneren Hygiene der Siegen gibt es, ebenso versprengt, noch in einigen Siegerländer leistete. Und es war leider selten der Staatsarchiven. Was sich noch in Privatbesitz be- im landläufigen Sinne „konservativere“ Teil der findet, ist unbekannt, dürfte aber erheblich sein. 1981 schrieb Klaus Dietermann, wie unbe- haltshilfe, die aus der Nähe von Oswiecim (zu Bevölkerung, der sich mit Vergangenheitsbewälti- friedigend doch der Forschungsstand zu deutsch: Auschwitz) stammt. Und, vordergründig gung beschäftigte. Sonst gäbe es heute viele po- Deshalb kann auch in dieser Neuauflage des Ban- vielen Themen rund um den Nationalso- ganz banal, das „Mädchen“ aus der Ukraine, das litische Verspannungen nicht, die eine sachliche des „Siegen unter dem Hakenkreuz“ vieles nicht zialismus im Siegerland sei. Das hat viele der Mutter im Haushalt half. Und was haben die Diskussion stören. präzisiert werden, was 1981 nicht erforscht war. Gründe: Jahrelange hatten sich Hobby- Leute gedacht, die am 10. November 1938, auf Die Geschichte der Deutschen Arbeitsfront gehört und Profihistoriker in der Region damit dem Weg zur Arbeit, an der Synagoge standen Hinzu kam: Vieles vom heutigen Stand der histo- dazu. Wenig bekannt ist über das Rassepolitische zurückgehalten, die Geschichte der Stadt und ihr beim Brennen zusahen? Oder die, die zu- rischen Erkenntnis gab es damals noch nicht. Es Amt der NSDAP Siegen-Stadt und Land, wenig über im Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Das sahen, wie die Siegener Juden vom Bahnhof aus gab keine Wehrmachtsausstellung, es gab keinen Zwangssterilisierungen und den Umgang mit den hatte etwas mit dem Klima in der Stadt in den Osten geschafft wurden? Goldhagen, es gab auch noch keinen „Historiker- so genannten Asozialen, die im KZ den schwarzen zu tun, in der noch manch einer der Täter streit“. Oft gab es nur schwarz und weiß, und wer Winkel trugen, und der „Berufsverbrecher“. Die und manch eines der Opfer aktiv war. Eine Die Diskussion über die Entschädigung von sich als Parteigenosse noch vor 1945 von seiner Geschichte der Zeugen Jehovas, der Bibelforscher Stadt, in der man sich kannte, und in der Zwangsarbeitern ist, orchestriert durch viele be- Partei distanzierte, der war nach dem Krieg noch taucht in diesem Buch ebenso wenig auf wie die man viel voneinander wusste. In der fast rufsmäßige Diskussionsteilnehmer, in den neun- lange nicht rehabilitiert, wenn er nicht vor Kriegs- der Siegener Homosexuellen. Damit sollen diese jeder jemanden in der Familie hatte, der ziger Jahren auch durchs Siegerland geschwappt. ende amtlicherseits umgebracht worden war. Das Opfergruppen nicht verschwiegen werden – aber an der Front gestanden hatte und oft ge- Einige Firmen, wie die Dahlbrucher SMS, haben führte dazu, dass auch der eine oder andere Ver- es gibt derzeit einfach zu wenig belastbare For- nug nicht über das Erlebte reden mochte, sich der Diskussion geradezu vorbildlich gestellt, treter der lokalen NS-Parteiprominenz bis heute schungsergebnisse. Wie die Freikirchen und die was auch immer er erlebt haben moch- andere warteten, bis der Spuk vorbei war. Dabei nicht abschließend bewertet werden kann. Zu Brüdergemeinden auf die Gleichschalten im Bund te. Dass man schon während des Krieges wusste jeder, dass die Wehrmacht nicht nur an- diesem Personenkreis gehören etwa der Parteiins- Freier Christen reagierten – das ist ebenfalls ein von dem wusste, was hinter der Front in fangs im Höllentempo gen Osten gestürmt war, pekteur Walter Heringlake, der sich nach eigenem offenes Thema. Wie ist die Entstehungsgeschichte Rußland und in Polen passierte, das steht sondern auch eine riesige Zahl von Sklavenarbei- Bekunden unter dem Eindruck der Novemberpo- des Bundes Freier Christen im Siegerland? Welche fest. Dafür steht beispielhaft das in diesem tern nach Deutschland schaffte. Diese Sklaven- grome aus der Partei zurückzog, und Walter Kol- Gemeinschaften und Denominationen schlossen Buch zitierte Schreiben des Schülers über arbeiter wurden dann nach ihrer Befreiung zum bow, der als Landeshauptmann startete und als sich vorsichtshalber an, und wer zog es - wie die seinen Oberstudiendirektor. Schreckgespenst, wenn sie sich etwa in Gosen- einfacher Fahrer und zweifelnder Nationalsozialist Neunkirchener Brüder - vor, sich im Stillen weiter bach am oder anderswo an ih- an der Front in Kriegsgefangenschaft geriet und zu treffen und ein langwieriges Ermittlungsverfah- Es gibt Berichte, dass man schon frühzeitig ren ehemaligen Aufsehern rächten. dort starb. Waren sie geläutert? ren von Gestapo und Polizei zu riskieren? über die Morde an Behinderten in Hada- mar informiert war, Ein Schüler berichtet Die Aufarbeitung begann, in Ansätzen zumindest, Zu dem kläglichen Forschungsstand beigetra- Fast ist es zu spät – die Zeitzeugen werden immer von grauenhaften Vorgängen in der Nähe erst in den achtziger Jahren. Zuvor hatte es einige gen hat auch der unglückliche Umstand, dass weniger. Um so dringender ist es, jetzt die For- der Heimatstadt seiner polnischen Haus- wenige Arbeiten an der Universität gegeben, die die meisten Akten jener Zeit entweder bei einem schungslücken zu schließen. 58 59 Lesehinweise zur Regionalgeschichte Über dieses Buch: Bis heute fehlt leider eine Gesamtdarstellung der Über Enteignung und Arisierung: „Da muss der Das Buch „Siegen unter dem Hakenkreuz“ ist das Ergebnis eines Nachdenkens über Rechts- Geschichte der NS-Zeit im Siegerland, ebenso wie Jude den Schaden bezahlen“ (Kurt Schilde). radikalismus damals und Rechtsradikalismus heute. Im Jahr 2010 hat das Bündnis für Tole- eine Geschichte der NSDAP im Siegerland. So kann Zur Vorgeschichte des Totalitarismus im Siegerland: ranz und Demokratie in Siegen zum Jahrestag der Bombardierung Siegens am 16.12.1944 das Handeln von einflussreichen Akteuren der NS- Stöckerzeit im Siegerland (Helmut Busch) Zeit bis heute nicht zweifelsfrei erhellt werden. wieder einen alternativen Stadtrundgang angeboten, nachdem die Alternative Stadtrund- „Siegen unter dem Hakenkreuz“ kann natürlich Zu den Biographien in diesem Buch: fahrt bereits vor 30 Jahren „erfunden“ wurde. Der Stadtrundgang sollte eine „Für“-Alternati- nur einen kleinen Ausschnitt aus der Siegener Ge- Zur Biographie von Walter Krämer: Walter Krämer ve zu herkömmlichen „Gegen“-Kundgebungen sein. samtgeschichte geben. Wer sich für diese Epoche Von Siegen nach Buchenwald (Klaus Dietermann, interessiert, findet in den folgenden, beispielhaft Karl Prümm) Wir wissen, dass es einen rechtsradikalen Bodensatz in unserer multikulturellen Gesellschaft ausgewählten Büchern weitere wertvolle Spezial- Zur Biographie von Pfarrer Wilhelm Ochse: Pfarrer gibt. Wir wissen auch, dass der Antisemitismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts heute informationen: Wilhelm Ochse: Glaubenszeugnis und Wider- noch nicht tot ist. Die Zeitzeugen, die von den tatsächlichen Auswirkungen eines totalitä- stand (Ulrich Wagener) ren Regimes berichten können, werden immer weniger. Um so wichtiger ist es, historische Über SPD und Gewerkschaften im Jahr 1933: 2. Mai Zur Biographie von Pfarrer Noa: Theodor Noa Fakten zusammenzutragen und aufzubereiten, damit die, die das Bild unserer Gesellschaft 1933 – Zerschlagung von Arbeiterbewegung (1891-1928) (Ursula Hörsch/Andrea Stötzel) prägen wollen, die Lehren der Vergangenheit nicht vergessen. und Gewerkschaften (Eine Broschüre von Dieter Über Kriegsende und Wiederaufbau: Kriegsende Pfau speziell zur Geschichte der Arbeiterbewegung 1945 in Siegen, (Dieter Pfau, Begleitband zur Aus- Es geht dem Bündnis für Demokratie um ein Engagement für eine demokratische und offe- und zum Überfall der Nazis auf das Haus der Arbeit) stellung). ne Stadt ohne Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus. Das war 1983 so, als man sich Gewerkschaften im Siegerland bis 1933 (Detlef Über die Freikirchen im 3. Reich unter anderem: 150 auch schon Sorgen um ein Wiedererstarken des Rechtsextremismus machte, und heute, Wetzel, Hartwig Durt) Jahre evangelische Gemeinschaft Weststraße mit Siegenern, die aus über hundert Nationen stammen, ist es erst recht so. Das Bündnis Christenkreuz und Hakenkreuz (Dieter Pfau über für Toleranz und Demokratie bekennt sich dazu, dass Antisemitismus, Rassismus und Aus- den Aufstieg des Nationalsozialismus im Sieger- Für dieses Buch wurden Quellen aus verschie- grenzung von Minderheiten in Siegen keinen Platz haben dürfen, weder in Worten noch in land und speziell über die frühen 30er Jahre). densten Archiven herangezogen. Taten. Die Mitglieder des Bündnisses denken politisch ausgesprochen unterschiedlich, aber Über den Zwangsarbeitereinsatz und die Lebens- im ersten Artikel des Grundgesetzes sind wir uns einig: bedingungen von Zwangsarbeitern: Bundesarchiv Koblenz Ausländereinsatz im Siegerland (Ulrich Opfer- Bundesarchiv Berlin Die Würde des Menschen ist unantastbar. mann) Hauptstaatsarchiv Düsseldorf: Entnazifizie- Über die Ursachen und die Auswirkungen des An- rungsakte Dr. Hollstein tisemitismus im Siegerland: Mit Scheibenklirren Staatsarchiv Münster: Strafprozesse gegen Kom- Herausgeber: DGB-Jugend Siegen-Wittgenstein, und Johlen (Reihe Siegener Beiträge, Ulrich Opfer- munisten, Nachkriegsprozesse gefördert durch das Programm „Toleranz fördern, Kompetenz stärken mann) Stadtarchiv Siegen: Zeitungssammlung, Bestand © Redaktion, Layout und Gestaltung: Raimund Hellwig. Fotos: Raimund Hellwig, Archiv Foto Fuchs, Paul Neiner, Sammlung Siebel Über die Geschichte der jüdischen Siegerländer: Fißmer Siegen 2011 Von den Juden im Siegerland (Walter Thiemann) Archiv Foto Fuchs Die Siegener Synagoge (Klaus Dietermann) Privatsammlung Hellwig 60 61 61 Siegener Stolpersteine

Albert, Siegfried, Herbert und Irma Stern, Emilienstraße 16

David, Debora und Hedwig Kogut, Eiserfeld, Grabettstr. 48

Paula, Samuel, Inge Frank, Weidenau, Weidenauer Str. 160

Doris Salomon

Else und Artur Sueßmann, Achenbacher Str. 10

Heinrich Bald, Friedrich-Wilhelm-Str. 89

Nadja Potemkina, Sandstraße (Kaisergartenbunker)

Paula, Julius und Louis Rosenberg, Sandstraße 167

Estera und Abraham Rosenblum, Geisweid Bahnstraße 22

Berta Levi, Sandstraße 137

Meta, Hulda u. Julius Löwenstein, Geisweid, DEW, ehem. Untere Kaiserstr. 54

Wilhelm Steinseifer, Leimbachstr. 128

Samuel Kahn, Marburger Str. 19

Mathilde und Siegmund Hochmann, Alte Poststr. 16

Fanny und Saul Hausmann, Alte Poststr. 16

Martha u. Louis Keßler, Söhne Karl und Fritz, Kornmarkt 32

Rosa und Gustav Jacob, Wiesenstraße 57

Robert Jagusch, Körnerstraße 5

Eduard Herrmann, Harkortstraße 3

Lina Althaus, Köhlerweg 2, Weidenau

Klara und Sigismund Jacobi, Gerbereiweg 10 63 61 (Stand November 2011, weitere Stolpersteine sollen folgen) 62 63 Damals Heute 1 Die Synagoge Obergraben 2 Das Braune Haus Hindenburgstraße 2, später Emilienstraße 2 3 Der Markt Heute: KrönchenCenter 4 Das Landgericht Unteres Schloß 5 Die Gestapo Unteres Schloß , heute: Museum für Gegenwartskunst 6 Die KPD damalige Geschäftsstelle Poststraße 7 Der Kaisergarten Kampen / Hagener Straße 8 Die Kasernen Gelände Kinderklinik, Gewerbegebet Heidenberg 9 Das Gymnasium Oranienstraße 10 Der Bahnhof Gedenktafel zwischen den Gleisen 11 Wilhelm Ochse Pfarrbüro Untere Metzgerstraße 12 Theodor Noa Pfarrstraße /Nikolaikirche 13 Haus der Arbeit Sandstraße /Möbelhaus Wonnemann 14 RAW Tiergartenstraße 15 Der Nordplatz heute: Agentur für Arbeit 16 Walter Krämer Geburtshaus Charlottenstraße 17 Ignaz Bruck / Heinrich Dax Klafelder Markt / Gosenbach 18 Otto Bäcker Sandstraße / Möbelhaus Wonnemann 19 Zwangsarbeiter friedhof Fludersbach/Seilereiweig 20 Zeitungen Obergraben (Siegener Zeitung), Häutebach (Sieg-Rheinisches Volksblatt), Nationalzeitung (Bahnhofstraße) ,Das Volk (Sandstraße)