Gedenkstätten- Nr. 18 / Mai 2017 / 1,– Euro Rundschau Gemeinsame Nachrichten der Gedenkstätten KZ Bisingen, KZ-Gedenkstätten Eckerwald/Schörzingen und Dautmer- gen-Schömberg, Ehemalige Synagoge Haigerloch, KZ Gedenkstätte Hailfi ngen · Tailfi ngen, Alte Synagoge Hechingen, Stauffenberg Gedenkstätte Albststadt-Lautlingen, Löwenstein-Forschungsverein Mössingen, Ehemalige Synagoge Rexingen, Gedenkstätte Synagoge Rottenburg-Baisingen, Ehemalige Synagoge Rottweil, Geschichtswerkstatt Tübingen

Die jüdische Gemeinde in Rottweil hat eine neue Synagoge Heinz Högerle, Horb am Neckar

Am Sonntag, dem 19. Februar, konnte die jüdische Gemeinde in Rottweil ihre neue Synagoge in der Stadtmitte am Nägelesgraben feierlich eröffnen. Nach 18 Monaten Bauzeit ist ein beeindruckendes, dem Stiftszelt der Israeliten nachgebildetes Gotteshaus für die fast 270 Mitglieder zählende Israelitische Kultusgemeinde Rottweil/ Villingen-Schwenningen entstanden. Die Einweihung war ein Ereignis von historischer Bedeutung für die älteste Stadt in Württemberg. Sie wurde auch vom nichtjüdischen Teil der Rottweiler Bevölkerung mit großer Freude und Anteilnahme und von vielen Gästen aus nah und fern begleitet. Mehr als 78 Jahre nach der Zerstö- rung des alten Betsaals in der Juden- gasse am 9. November 1938 hat die 2002 neu gegründete Gemeinde wieder ein eigenes Gotteshaus. Die Einweihung der Synagoge begann mit dem feierlichen und fröhlichen Umzug der drei Torarollen aus dem jüdischen Betsaal im alten Postgebäude in der Hauptstraße in die Synagoge am Nägelesgraben. Ange- führt vom badischen Landesrabbiner Moshe Flomenmann trugen die Männer der Gemeinde und ihre jüdischen Gäste, darunter viele Rabbiner, die Torarollen mit Tanz und Gesang unter einem Baldachin durch die Rottweiler Innenstadt. Mit Stolz durften auch junge Mitglieder der Gemeinde die Torarollen tragen. Kurz Die Torarollen der Gemeinde werden zur neuen Synagoge am Nädelesgraben getragen. Landesrab- vor der neuen Synagoge wurden die biner Moshe Flomenmann, mit Gebetsschal, führt den Zug an. Vor dem Eingang der Synagoge versammelte sich die Festgemeinde und hörte die Ansprache des badischen Landesrabbiners Moshe Flomenmann. Die Torarollen wurden getragen vom Vorsitzenden der IRG Baden, Rami Suliman, vom Oberbürgermeister von Rottweil, Ralf Broß, und vom Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster. heiligsten Gegenstände einer Synago- Drei Wochen nach der Einweihung große Hilfe, dass uns der Arbeitskreis ge an den Vorsitzenden der Israeli- der Synagoge und einen Tag nach Ehemalige Synagoge Rottweil um tischen Religionsgemeinschaft Baden, dem Purimfest hatte ich die Gele- Herrn Kessl unterstützt hat. Herr Kessl Rami Suliman, an den Präsidenten des genheit, mit der Geschäftsführerin hat mich z.B. zum damaligen Ober- Zentralrats der Juden in Deutschland, der Gemeinde Rottweil, Frau Tatjana bürgermeister Herrn Engeser begleitet Dr. Josef Schuster, und an den Ober- Malafy, über den Neubeginn der Ge- und hat mit Rat und Tat geholfen. Das bürgermeister von Rottweil, Ralf Broß, meinde zu sprechen. Für den offenen möchte und kann ich nicht vergessen. übergeben, die die drei Torarollen in und freundschaftlichen Austausch Natürlich hat uns der Oberrat der die Synagoge trugen. danke ich herzlich. Israeliten in Baden ganz besonders Bevor die Festgäste, darunter geholfen. Ministerpräsident Winfried Kretsch- Frau Malafy, wenn Sie zurückblicken auf Für uns war ganz wichtig, dass mann und seine Ehefrau, die Synago- die Anfangszeit der neuen Gemeinde in unsere Kinder schon vor der Gründung ge betreten durften, brachte Landes- Rottweil – was waren damals die größten der Gemeinde jüdischen Religionsun- rabbiner Flomemann am rechten Pfos- Schwierigkeiten? terricht bekommen haben, und zwar ten der Eingangstür die Mesusa an, in Als wir im Jahre 2002 in Rottweil einmal pro Woche zwei Stunden, der das „Schmah Israel“, die Worte begonnen haben, war ich erst vierein- zuerst in der Johanniterschule und aus dem 5. Buch Mose enthalten sind: halb Jahre in Deutschland, ohne gute dann im Leibnizgymnasium. Es ka- „Höre Israel, der Ewige, unser Gott ist Deutschkenntnisse und ohne große men jüdische Lehrer und lernten mit ein einiges, ewiges Wesen“. Kenntnisse der hier gültigen Gesetze unseren Kindern. und Verordnungen. Das war für mich Unsere Kinder haben den Schabbes sehr schwierig. In Rottweil gab es gemacht und wir haben versucht, bei Die Drucklegung der Gedenk- keine alteingesessenen Juden mehr. unseren Kindern die Feiertage, die stätten-Rundschau Nr. 18 wurde Gott sei Dank konnten Menschen in jüdischen Bräuche, die koschere Kü- durch den Landkreis Rottweil der NS-Zeit aus Rottweil fl iehen, che, sogar die jüdische Geschichte zu gefördert. andere wurden umgebracht. Wir lernen. Wir wussten überhaupt nichts. Der Vorstand und die Mitglieds- kamen an einen Ort ohne jüdisches Wir kamen aus der ehemaligen Sow- initiativen des Gedenkstätten- Leben. Die nächste jüdische Gemeinde jetunion. Dort durften wir unser Juden- verbundes danken für diese war ca. 90 km von uns entfernt. So tum nicht leben und lernen. Und es ist Unterstützung. mussten wir hier am Anfang alles wirklich ein großes Paradoxon, dass wir selber aufbauen. Es war eine sehr das nun in Deutschland dürfen. Aber

2 ich bin sehr dankbar. Es haben uns so viele Menschen unterstützt und jetzt steht die Synagoge 14 Jahre nach der Gründung der Gemeinde.

Wo hat man am Anfang Gottesdienst gehalten? Am Anfang sind wir nach Konstanz gefahren. Die dortige Gemeinde hat uns sehr unterstützt. Natürlich sind wir nicht an jedem Schabbes ge- fahren. Aber zu den Feiertagen waren wir immer eingeladen und sind nach Konstanz gefahren. Sonst haben wir Gottesdienst am Anfang bei mir zuhause gemacht. Dann wurden mit Unterstützung der Stadt Rottweil für uns Räumlichkeiten zuerst in der Volkshochschule gemie- tet. Wir hatten damals keine Mittel. Die Stadt hat für uns die Miete der Die Frauenempore ist sehr luftig und freundlich gestaltet. Räume übernommen. So konnten wir dort Schabbes und unsere Feiertage feiern. Das hat mehr als ein Jahr ange- dauert, vor und nach der Gemeinde- gründung.

Wann haben Sie zum ersten Mal daran gedacht, eine eigene Synagoge zu bauen? Wir haben dann die Räumlichkeiten in der alten Post in der Hauptstraße 26- 28 bekommen. Die waren relativ groß und die Gemeinde hat sich in diesem Gebäude sehr gut entwickelt. Wir konnten dort viel mehr anbieten. Im Austausch mit dem Oberrat Baden kam dann vor ungefähr fünf Jahren der Gedanke auf, in Rottweil eine Synagoge zu bauen. Der Bau der Synagoge in Lörrach war abgeschlos- sen. Danach hat der Oberrat mit uns den Entschluss gefasst, hier den Bau einer Synagoge in Angriff zu nehmen. Davor haben wir gemeinsam mit Am Tag der Synagogeneinweihung wurde auch der junge Rabbiner Levi Yitschak Hefer in sein dem Oberrat auch das Gebäude in der Amt in Rottweil eingesetzt. Rabbiner Jehuda Puschkin, Landesrabbiner Moshe Flomenmann und Kameralamtsgasse 6 angeschaut, wo sein Vater legten ihm dabei feierlich den Gebetsschal um. die alte Synagoge untergebracht war. Die frühere Gemeinde, die Ende der Oberbürgermeister Broß und der Landesrabbiner Moshe Flomenmann 1930er Jahre vernichtet wurde, hatte Gemeinderat haben positiv entschie- gesehen. Welche Rolle spielte er bei der damals knapp 100 Mitglieder. Wir den, diesen Platz an uns zu verkaufen. Gemeidegründung und beim Aufbau der waren vor fünf Jahren schon eine viel Sie kamen damit unserem Wunsch Gemeinde? größere Gemeinde. So wurde schnell entgegen, eine Synagoge in der Stadt- Rabbiner Moshe Flomenman – sein klar, dass es sich nicht lohnen würde, mitte bauen zu können. Vorgänger war Landesrabbiner das Gebäude der ehemaligen Synago- In diesem ganzen Prozess war der Benjamin Soussan – ist seit etwa fünf ge für unsere Zwecke umzubauen. Rückhalt durch den Oberrat Baden Jahren im Amt. Seit er für uns zustän- Dann hat der Oberrat Baden den entscheidend. dig war, hat er uns außerordentlich Bauplatz am Nägelesgraben von der geholfen. Er ist ein junger, sympa- Stadt Rottweil gekauft – das war In der jüdischen Gemeinde hat man in den thischer Rabbiner mit viel Energie und schon unter Oberbürgermeister Broß. letzten Jahren immer wieder den badischen Kraft. Er bringt das Judentum in jede

3 Ministerpräsident Kretschmann ging in seiner Volker Kauder, Vorsitzender der CDU-Frak- Rabbiner Dr. Joel Berger erinnerte daran, dass Ansprache auch auf antisemitische Auffas- tion im Deutschen Bundestag, erinnerte an die der jüdische Rottweiler Bürger Moshe Kaz sungen ein, die im Landtag vom AfD-Mitglied großartigen Leistungen, die Jüdinnen und Juden 1799 die Stadt vor der Zerstörung durch napo- Gedeon vertreten werden. Er versicherte allen zur Wissenschaft und zur Kultur in Deutsch- leonische Truppen bewahrt habe. Später habe jüdischen Gemeinden im Land die staatliche land beigetragen haben. Er unterstrich nochmals man dies den Juden in Rottweil nicht gedankt. Solidarität: „Wir werden vor und hinter Ihnen die Aussage der Bundeskanzlerin, dass das Dem jungen Rabbiner Levi Yitschak Hefer stehen.“ Auch Verschwörungstheorien, die Existenzrecht Israels zur deutschen Staatsräson machte er viel Mut: „Ich beneide Sie für Ihre von einzelnen Flüchtlingen vertreten werden, gehöre. Er bezeichnete es als Schande, dass Aufgabe. Sie können sicher sein, dass Sie hier würde man nicht hinnehmen. Der Staatsvertrag in Kippaträger in manchen Stadtteilen große Wunder erleben werden.“ Er versicherte des Landes mit der IRG Baden und der IRG bedroht würden. Dass in Rottweil wieder eine ihm die Solidarität aller anwesenden Rabbiner, Württemberg sei staatliche Verpfl ichtung mit Synagoge eingeweiht werden könne, sei ein die jederzeit mit Rat und Tat helfen würden, Gesetzeskraft, auf die man bauen könne. Geschenk für alle Nichtjuden. wenn er bei ihnen anfrage werde.

Gemeinde mit. Er ist sehr menschlich germeister Engeser und ging weiter Aber bisher hatten wir leider sonst und die Menschen sprechen sehr mit Herrn Oberbürgermeister Broß bis noch nicht die Möglichkeit zu einem gerne mit ihm und stellen ihm Fragen. heute. Mit dem Landkreis Rottweil intensiveren Austausch. Aber daran Und, das ist die Hauptsache, von ihm arbeiten wir seit 2004 zusammen. wollen wir arbeiten. bekommen sie auch Antworten, was Ich wusste am Anfang gar nicht, mit Wir haben auch Familien aus dem nicht selbstverständlich ist. Ich bin wem ich Kontakt auf Landkreisebene Landkreis Tuttlingen in unserer sehr froh, dass wir in diesen letzten aufnehmen sollte. Herr Kessl hat dann Gemeinde, darunter auch die Familie Jahren diese intensive Zusammenar- den Kontakt mit Herrn Landrat Dr. meines ältesten Sohnes. Er wohnt in beit mit Landesrabbiner Flomenmann Michel zustande gebracht. Über Herrn Gosheim. Von Rottweil nach Tuttlin- hatten. Kessl haben wir Herrn Landrat Dr. gen sind es ca. 20 Kilometer, also viel Während des Synagogenbaus Michel 2004 zur Einweihung unserer näher als nach Stuttgart. hatten wir so viele Frage, und wir ersten Tora rolle eingeladen. Und so Andere jüdische Familien im Land- hatten noch keinen eigenen Rabbiner. haben wir Herrn Landrat Dr. Michel kreis Tuttlingen haben sich für die Auf alle Fragen habe ich von unserem näher kennen gelernt. Seit dieser Zeit, Stuttgarter jüdische Gemeinde ent- Landesrabbiner Antworten bekom- jetzt auch schon seit dreizehn Jahren, schieden, aber natürlich können sie men. Das war eine sehr große Hilfe arbeiten wir sehr eng zusammen, und auch den Gottesdienst bei uns besu- und Unterstützung für mich und für das freut mich sehr. chen, und gestern, an Purim, waren die Gemeinde. Mit den anderen Landkreisen, z.B. zwei Familien aus Tuttlingen in un- Villingen-Schwenningen sind wir nicht serem Gottesdienst. Natürlich werden Bei der Einweihung hat Oberbürgermeister so oft in Kontakt, aber auch mit Herrn wir keine Familie abweisen, wenn sie Broß auch eine Torarolle in die Synagoge Landrat Hinterseh haben wir eine sehr zu uns zum Beten und zum Feiern getragen. Wie hat sich denn die Zusam- gute Zusammenarbeit. kommen will, das ist einfach jüdisch. menarbeit mit der Stadt Rottweil und mit dem Landkreis Rottweil und mit den um- Gibt es auch Kontakte zum Landkreis Die Synagoge ist jetzt eröffnet. Wie wird liegenden Landkreisen entwickelt? Tuttlingen? sie mit Leben gefüllt? Was fi ndet hier alles Ich kann mich über die gute Zusam- Wir haben Herrn Landrat Bär aus statt? menarbeit mit der Stadt Rottweil nur Tuttlingen zur Einweihung der Sy- Die Synagoge hat natürlich den freuen. Und das geht jetzt schon seit nagoge eingeladen, und er ist auch Synagogenraum für Gottesdienst und Jahren. Es begann mit Herrn Oberbür- gekommen, was uns sehr gefreut hat. Gebet mit dem Raum für die Män-

4 ner und die Empore für die Frauen. milchige und eine fl eischig. Ohne Hause. Aber bei uns in Rottweil – das Dann gibt es hier eine Mikwe – ein diese Küchen könnten wir niemand ist wie in einer Familie. Wir kommen Ritualbad, das ist auch sehr wichtig, empfangen und gemeinsam essen. zusammen, wir beten zusammen, vielleicht sogar das Wichtigste. Es gibt wir essen zusammen und wir singen die Auffassung, man sollte zuerst eine Es wird sicher so sein, dass nicht alle Ge- zusammen. Und das an jedem Frei- Mikwe bauen und dann eine Synago- meindemitglieder zuhause streng koscher tagabend und an jedem Samstag. Es ge. Wir haben nicht nur das Ritualbad, leben? ist eine große Feier. sondern auch eine Geschirr-Mikwe, in Zuhause macht jeder, was er will. Wir Gestern, an Purim haben wir nicht der man Geschirr kaschern kann. können den Menschen nicht vor- nur die Megilath Esther, das Buch Im ersten Obergeschoss, im größten schreiben, wie sie das für sich in der Ester, gelesen. Wir haben nicht nur Raum, ist unser Jugendzentrum. Das Familie regeln. Jeder entscheidet für Hamantaschen gegessen, sondern es ist wunderschön. Es freut mich sehr, sich selber. Aber in den letzten Jahren gab die volle Palette an Essen. Es gab dass wir von der Kreissparkasse und haben die Gemeindemitglieder so viel verschiedene Salate, Fleischplatten von der Volksbank Rottweil Spenden gelernt, dass sie heute ganz anders und das hat sehr gut geschmeckt, und für die Einrichtung unseres Jugend- die Kaschrut, die koschere Ernährung alle waren sehr zufrieden. Wissen Sie, zentrums bekommen haben. Wir ansehen. Wir lernen mit der Ge- wenn man zusammen isst – das ist haben den schönen und großen meinde weiter. Die Mitglieder stellen etwas ganz anderes. Da kommen Kiddusch-Saal, in dem gestern hier ca. immer wieder Fragen: Was dürfen wir Gespräche zustande und Verbin- 150 Personen Purim gefeiert haben. essen, was dürfen wir in Deutschland dungen zwischen den Menschen und Wir haben ein Seniorenzentrum, die kaufen? Jetzt gibt es ganz aktuell eine zwischen der Gemeinde und dem Rabbinerwohnung, drei Büros und neue Liste der orthodoxen Rabbiner- Rabbiner. Gestern hat Rabbiner Hefer eine Bibliothek, denn die Juden sind ja konferenz, die ich an die Gemeinde- zum ersten Mal die Gemeinde in ihrer das Volk des Buches. mitglieder weiterleite. Dort kann man Größe gesehen, 150 Personen, und Unsere Kinder spielen Theater. fi nden, was man in ganz normalen einige hatte er noch nicht kennenge- Gestern haben sie ein Stück zu Purim Geschäften kaufen darf, welche lernt. Er war begeistert. Natürlich hat aufgeführt. Und wir haben hier in der Lebensmittel sind koscher. Und jetzt er fast jeden angesprochen, und das Synagoge die Sonntagsschule. Die wird unser Rabbiner diese Informati- ist sehr wichtig für mich persönlich, Kinder kommen jeden Sonntag für onsarbeit fortsetzen, die Gespräche dass diese Arbeit jetzt durch ihn drei bis vier Stunden hierher und mit den Gemeindemitgliedern führen weiterläuft. lernen unsere Geschichte, Tradition und sogar mit ihnen in die Geschäfte Meine Tochter wohnt in Pforzheim. und Religion, zusätzlich zum Reli- gehen. Gestern war sie hier und es waren gions unterricht im Leibnizgymnasium. Aber natürlich hier in der Synagoge noch zwei andere Familien aus muss alles koscher sein. Das geht Pforzheim gekommen. Sie haben dort Wer macht die Sonntagsschule? nicht anders. Jeder Jude darf an Arbeit gefunden, aber sie kommen an Bisher machten das unsere Gemeinde- Schabbat kommen und kann sicher jedem Feiertag und wenn es ihnen mitglieder. Wir haben junge Men- sein, dass er hier ein koscheres Essen möglich ist auch zum Schabbes. schen, die das in Israel gelernt haben. bekommt. Gestern hat mich meine Tochter noch Die machen eine wunderschöne Ar- spät, nach 22 Uhr, angerufen und hat beit mit Kindern. Und jetzt wird unser Sie machen an jedem Schabbat hier ein mir gesagt. „Das war wieder so schön neuer Rabbiner Levi Yitschak Hefer Essen? in Rottweil“. So soll es sein – wie dazukommen und an der Sonntags- Natürlich. Das war immer so. Auch zuhause. Die Menschen haben schule mitwirken. schon in den alten Räumlichkeiten. gegessen, dann sind sie nach draußen Wir beten zusammen und dann essen mit den Kindern gegangen, dann sind Gottesdienst ist am Schabbat und an den wir hier zusammen und singen hier sie wieder gekommen und haben Feiertagen in der Synagoge – wird hier auch zusammen. Wir backen hier Brot, gegessen. Dann gabs Livemusik. Wir während der Woche gebetet? jüdisches Brot, Challa, selber. Und alle haben getanzt. Die Kinder waren im Ja. Normalerweise muss man dreimal bekommen koscheren Wein, Brot und Jugendzentrum und wurden von pro Woche beten, Tora lesen, Wo- natürlich warmes Essen. Jugendlichen betreut. Jeder machte, chenabschnitte lernen. Ich hoffe, dass was er wollte und trotzdem waren wir sich das so entwickelt, dass wir das Aber früher in den Gemeinden war das ja beieinander. Das war sehr angenehm. jeden Tag in der Synagoge machen. nicht so. Da ist man doch nach dem Schab- Ein ehemaliges Mitglied der Ge- Für kranke Menschen, wenn jemand batgottesdienst nach Hause gegangen und meinde, der vor fünf Jahren nach eine Operation hat, bekomme ich jeder hat in seiner Familie gegessen. Stuttgart gezogen ist, hat mich die Anrufe und dann kommen Männer, Ja genau. Ich reise sehr oft und sehe Tage angerufen und gesagt: „Ich war und wir beten wir für Gottes Hilfe, in größeren Gemeinden, dass die jetzt in verschiedenen Gemeinden, in und das hilft. Menschen in der Synagoge vielleicht Köln, in Bonn und jetzt in Stuttgart. Übrigens, ich habe fast das Wich- einen Schluck Wein beim Kiddusch, Ich glaube, ich möchte wieder nach tigste vergessen. Wir haben hier in der ein paar Süssigkeiten, ein paar Kekse Rottweil, denn dort lebt man in der Synagoge zwei koschere Küchen, eine bekommen und dann gehen sie nach Gemeinde wie in einer Familie.“

5 Wie ist Ihre Gemeinde organisiert, gibt es der unseren, kennt jeder jeden. Wir einen Vorstand? freuen uns alle gemeinsam über Natürlich. Wir haben einen fünfköp- Neugeborene. Wenn jemand krank ist fi gen Vorstand. Drei Vorstandsmit- oder stirbt, dann nimmt die ganze glieder sind im geschäftsführenden Gemeinde daran Anteil und stützt die Vorstand. Die Vorsitzende ist Frau betroffene Familie. Das ist etwas Elena Logunova. Sie hat zwei Stellver- Besonderes, ein Schatz. Wir sind eine treter. Und es gibt noch zwei Beisitzer. kleine Gemeinde, aber eine große Ich bin nicht im Vorstand der Familie. Gemeinde. Ich bin als Geschäftsführe- rin bei der Gemeinde angestellt. Sie sind Mitglied im Oberrat Baden und Angestellt sind noch ein Sozialbe- Mitglied im Direktorium des Zentralrats der treuer und jetzt neu Rabbiner Hefer. Juden in Deutschland. Was bedeutet das für Sie und für die Gemeinde? Das Jugendzentrum – wird es von den Es ist sehr wichtig, in beiden Institu- Jugendlichen selber organisiert? tionen persönlich vertreten zu sein. Ja. Früher haben wir, wie gesagt, Zur Einweihung der Synagoge ist Sonntagsschule gemacht. Die Sonn- das ganze Präsidium des Zentralrats tagsschule wird weitergeführt. Die der Juden gekommen – Präsident Jugendlichen wolle aber mehr reisen Dr. Josef Schuster und seine Stellver- und Kontakt aufnehmen zu Jugend- treter Mark Dainow und Abraham lichen von anderen Gemeinden in Lehrer. Das gibts sonst nicht einmal Baden und in ganz Deutschland – das in großen Gemeinden. Für mich ist ist auch sehr wichtig. wichtig, dass der Zentralrat von un- Jetzt hat uns die jüdische Gemeinde serem Gemeindeleben etwas erfährt. Der junge Rottweiler Rabbiner Levi Yitschak von Karlsruhe eingeladen zum Scho- Dass die Unterstützung von kleinen Hefer trägt eine Torarolle in die Synagoge am koladen-Seder. Der ist vor Pessach. Gemeinden auch ins Blickfeld des Nägelesgraben. Die Kinder werden alles über Pessach Präsidiums rückt. Und dass man den lernen, aber mit Schokolade. Das lockt Bau von neuen Synagogen auch in wurden unsere Jugendlichen zweite. natürlich die Kinder an. kleinen Gemeinde unterstützt. Denn Das ist auch nicht selbstverständlich. Gestern, an Purim, hat die Leiterin das ist für eine kleine Gemeinde allein Es wird registriert. unseres Jugendzentrums alle Eltern sehr schwierig, fast unmöglich bei den Und es ist nicht selbstverständlich, und Kinder eingeladen, nach Karlsru- heutigen Preisen. dass Herr Ministerpräsident Kretsch- he zu fahren. Der Oberrat übernimmt Auf der Ebene des Oberrats Baden mann mit seiner Ehefrau zur Einwei- dabei die Reisekosten, so dass auch hat der Vorsitzende, Herr Rami hung unserer Synagoge kommt und Kinder von nicht wohlhabenden Suliman, erkannt, dass sich unsere Ge- nicht nur zu uns spricht, sondern auch Familien teilnehmen können. Geld soll meinde sehr gut und orthodox mehrere Stunden mit uns zusammen keine Frage sein. Das ist ein Prinzip entwickelt. Wir gehen einen klaren verbringt, mit uns isst, spricht und des Oberrats und unserer Gemeinde. Weg. Nicht „wischiwaschi“, wie Herr jüdische Musik hört. Oder dass der Suliman zu sagen pfl egt. Deshalb Fraktionsvorsitzende der CDU im Bun- Wie ist das zahlenmäßige Verhältnis von haben wir die volle Unterstützung des destag, Herr Kauder, gekommen ist, Jung und Alt in Ihrer Gemeinde? Oberrats bekommen. Natürlich war es zusammen mit anderer Prominenz, Gestern waren ca. 150 Personen in wichtig, dass ich unsere Gedanken darunter der Vizekonsul des Staates der Synagoge. Darunter waren 50 und unsere Wünsche in den Oberrat Israel, drei Landräte und Oberbürger- Kinder. Daran können Sie sehen, dass eingebracht habe. Ich bin im Vorstand meister, die Vertreter der Kirchen und die Gemeinde relativ jung ist im Ver- des Oberrats für Kinder- und Jugend- viele andere. gleich zu anderen Gemeinden. Unsere arbeit zuständig. Und auf diesem Frauen bekommen Kinder – Gott sei Gebiet gibt es auch eine hervorra- Ich habe noch nie so viele Rabbiner gleich- Dank! Und ich hoffe, dass die Ent- gende Zusammenarbeit mit Herrn zeitig gesehen, wie bei der Einweihung Ihrer wicklung so weitergeht. Suliman. Diese Zusammenarbeit Synagoge. Gestern kam ein Mädchen zur Welt, macht Spaß, aber wir wissen auch, Bei der Einweihung waren mehr als genau am Purimfest. So wurde dem dass hier unser Zukunft liegt. zwanzig Rabbiner. Mädchen der Name Esther gegeben. Es ist nicht selbstverständlich, dass Wir haben am Samstag für die acht Jugendliche aus unserer Gemein- Bei der Einweihung fand ich unter all den werdende Mutter gebetet und gestern de im JuJuBa-Team, das ist die guten und wichtigen Ansprachen die Rede habe ich den Anruf bekommen, dass Jüdische Jugend Baden, mitwirken. von Rabbiner Joel Berger besonders bewe- um halb zwei das kleine Mädchen zur Die Gruppe hat beim musikalischen gend. Er hat Ihren jungen Rabbiner direkt Welt gekommen ist. Darüber freuen Wettbewerb des Zentralrat schon angesprochen und ihm viel Mut gemacht wir uns sehr. In einer Gemeinde wie zweimal gewonnen und dieses Jahr und ihm den Rücken gestärkt für seine

6 neue Arbeit. Können Sie noch etwas über Ihren Rabbiner sagen? Rabbiner Levi Yitschak Hefer ist in Israel geboren und aufgewachsen. Er kommt aus einer religiösen, ortho- doxen Familie. Sein Vater ist in Israel Direktor einer Schule für über 2000 Mädchen. Die Familie des Rabbiners gehört zum Stamm der Leviten, wie man schon an seinem Namen sieht. Rabbiner Hefer wurde in Israel ausgebildet und ordiniert. Er ist verheiratet und hat zwei süße Babys. Er hat hier in der Synagoge seine Wohnung. Gestern, an Purim, hat nicht nur er sehr aktiv teilgenommen, sondern auch seine Frau und seine Babys. Die Seele der Ge- meinde, Gechäftsfüh- Was sind die Hauptaufgaben des Rabbiners rerin Tatjana Malafy, in Ihrer Gemeinde? am Grundstein der Der Rabbiner leitet den Gottesdienst, Synagoge. er bereitet die Feiertag vor. Er prüft Der Stein wurde vom auch die Lebensmittel auf Kaschrut. Tempelberg in Jeru- Ich bestelle gerade die Lebensmittel salem nach Rottweil für Pessach und letzte Woche kam gebracht. schon eine große Palette von ver- Die Inschrift über dem Grundstein schiedenen Lebensmitteln aus Israel. zitiert Psalm 137, Unser Rabbiner hat alles genau unter Vers 5, und lautet die Lupe genommen, was für ein „Wenn ich Dich Fleisch ist gekommen, welche Matza, vergesse, Jerusa- welcher Wein, welche Lebensmittel lem, verdorre meine überhaupt. Rechte!“ Unser Rabbiner wird mit seiner Frau jetzt auch im Jugendzentrum aktiv mich aber wirklich schwer, Pläne zu Gruppen und Einzelpersonen anfra- werden. Den Religionsunterricht machen, weil wir einfach noch sehr gen, ob sie die neue Synagoge besich- macht zurzeit noch unsere Religions- mit der Fertigstellung der Synagoge tigen können. Ich bitte alle darum, zu lehrerin, Frau Rosa Reicher, aus beschäftigt sind. berücksichtigen, dass die Synagoge Heidelberg. Sie kommt an jedem Ich habe mein Büro hier noch nicht wohl eingeweiht und als Gotteshaus Dienstag für einen ganzen Tag ins bezogen. Weitere Umzüge stehen genutzt wird, dass das Gebäude aber Leibnizgymnasium. Vielleicht organi- noch an. Aber ich hoffe, dass ich ab noch nicht restlos fertiggestellt ist. Der sieren wir das später einmal anders. Sommer mehr Luft habe, und dass wir ganze Außenbereich vor der Synago- Aber gerade lassen wir es dabei. die Zusammenarbeit mit dem Rott- ge ist noch provisorisch. Auch im In- Unser Kinder werden sogar im Abitur weiler Verein dann weiter vertiefen nern ist noch einiges zu tun. Sie sehen in jüdischer Religion geprüft. Etwa können. gerade die Handwerker, die noch die zwanzig Kinder besuchen den Religi- Küchen montieren. onsunterricht. Ein so hohe Zahl kann Der Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb Wir benötigen mindestens noch manche große Gemeinde nicht hat elf Mitgliedsinitiativen. Sicher besteht acht Wochen, um die Restbaustellen aufweisen. in unseren Vereinen großes Interesse, die zu erledigen. Deshalb haben Sie noch neue Synagoge in Rottweil zu besichti- etwas Geduld. Wenn wir soweit sind, Sie kennen den Verein Ehemalige Synagoge gen. Sehen Sie eine Chance, dass Sie uns Gäste zu empfangen, werden wir dies Rottweil mit seiner Vorsitzenden Johanna irgendwann mal hier empfangen kön- mit großer Freude tun. Und wir freuen Knaus. Gibt es Pläne, in Zukunft weiter nen? Natürlich wollen wir Sie nicht in der uns schon heute auf Ihren Besuch. zusammenzuarbeiten? jetzigen Phase, wo noch so viel zu tun ist, Liebe Frau Malafy, herzlichen Dank, dass Ich bin selber Mitglied im Verein belästigen. Sie sich heute, einen Tag nach dem Ehemalige Synagoge Rottweil. Wir Es ist schön, dass Sie Verständnis Purimfest, die Zeit genommen haben, so schätzen die Arbeit des Vereins sehr haben für unsere jetzige Übergangs- ausführlich über die Gemeinde, Ihre Arbeit und wir wollen weiter den engen phase. Ich bekomme mindesten 15 und die neue Synagoge mit mir zu spre- Kontakt pfl egen. Kurzfristig ist es für Emails und Anrufe pro Tag, in denen chen.

7 Erinnerungs- und Gedenkkultur durch Erhaltung und Schutz jüdischer Friedhöfe in Osteuropa

Vor dem zweiten Weltkrieg lebten gliedstaaten des Europarats, drei Viertel wurde die Stiftung in das Fried- mehr als sieben Millionen Juden davon liegen in Osteuropa. Langfristig hofsprojekt hereingeholt. Ausschlag- in Zentral- und Osteuropa. Juden ist es das Ziel des ESJF-Projekts, die ca. gebend für unsere Entscheidung zum wohnten über Jahrhunderte in osteu- 8000 jüdischen Friedhöfe zwischen Engagement war die Überlegung, ropäischen Städten und Dörfern, und Elbe und Ural zu identifi zieren und zu dass unsere Stiftung durch eine jüdische Friedhöfe und Grabstätten schützen. Die erste Priorität zum fi nanzielle und personelle Unterstüt- sind heute stumme Zeitzeugen ehe- Schutz der Grabstätten im Rahmen des zung eine Brücke schlagen könnte maligen jüdischen Lebens an diesen ESJF-Projekts besteht in der Sanierung zwischen dem großen Erfahrungs- Orten. 80 Jahre lang sind die Über- des jeweiligen Geländes, dem Bau von schatz deutscher Gedenk- und reste dieser Friedhöfe durch mangeln- Schutzmauern um das identifi zierte Erinnerungsstätten gerade im Bereich den Schutz, Zerstörung und Überbau- Friedhofsgelände und der Anbringung der Friedhofs-und Synagogenarbeit ung als Ergebnis der Auslöschung der abschließbarer Friedhofspforten. und verkörpert in Institutionen wie jüdischen Gemeinden im Holocaust Abweichend von der in Deutschland dem Gedenkstättenverbund Gäu- verrottet und teilweise verlorengegan- praktizierten Erinnerungs- und Ge- Neckar-Alb und vergleichbaren, aber gen. Dadurch wurde das historische denkkultur gehören die Renovation noch sehr viel jüngeren und förder- Zeugnis von Jahrhunderten jüdischer und Dokumentation der Grabsteine bedürftigen Gruppen in der Erinne- Besiedlung aus dem Gedächtnis der nicht zur orthodox-halachischen rungs- und Bildungsarbeit zur jü- Bevölkerung dieser Länder gelöscht. Erhaltungs- und Schutzpraxis. dischen Geschichte in Osteuropa. Ausgehend von einer orthodox- Dagegen hat es sich die von der Die „Stiftung Stuttgarter Lehrhaus“ jüdischen Initiative aus England wurde Bundesregierung geförderte ESJF- schlug dem ESJF-Projekt deshalb vor, vor wenigen Jahren das Projekt Initiative vorgenommen, in Schulen Gil Hüttenmeister, einen der wohl „Erhaltung und Schutz jüdischer und an öffentlichen Orten der jewei- besten Kenner jüdischer Friedhöfe in Friedhöfe (ESJF) in Osteuropa“ ligen Friedhofstandorte eine intensive Südwestdeutschland und ganz gegründet und seit 2015 durch einen Bildungsarbeit durchzuführen, um in Europa, an ausgewählte Orte des ersten Zuschuss in Höhe von einer der heutigen Bevölkerung mit dem fl ächendeckenden halachischen Friedhofsprojekt auch die Friedhofsprojekts für jeweils mehrwö- Erinnerung an die chige Forschungsaufenthalte zu ehemaligen jüdischen entsenden. Er soll mit einheimischen Gemeinden wieder zu osteuropäischen Institutionen, Schulen wecken. und Universitäten Kontakte knüpfen, Genau an dieser die kurzfristig über die Friedhofsarbeit Schnittstelle zwischen zu einer Bildungs-und Öffentlichkeits- baulicher Renovation arbeit über jüdische Geschichte und und historischer Erinne- Religion und mittelfristig vielleicht rungsarbeit durch sogar zur Begegnung und zum Friedhof- und Grabstein- Austausch zwischen deutschen und forschung verbunden mit osteuropäischen Gruppen, die in der öffentlicher Bildungsar- Erinnerungs- und Gedenkstättenarbeit beit engagiert sich die engagiert sind, führen könnte. „Stiftung Stuttgarter Informationsschild in Ukrainisch, Hebräisch Lehrhaus für interreli- Der nachfolgende Bericht von Gil Hüt- und Deutsch am Friedhof von Sdolbuniw. giösen Dialog“ seit dem Jahr 2016 im tenmeister beschreibt seinen ersten „Projekt zur Erhaltung und zum im Rahmen des ESJF-Projekts von Million Euro von der deutschen Schutz jüdischer Friedhöfe in Osteuro- der „Stiftung Stuttgarter Lehrhaus“ Bundesregierung unterstützt. pa“. Seit Jahren macht sich die geförderten Forschungsaufenthalt im Das Projekt arbeitet gegenwärtig an Stiftung schon Gedanken und wird August und September 2016 in Polen ca. 30 Orten in vier osteuropäischen von jüdischen Freunden in Osteuropa und in der Ukraine. Ein weiterer Auf- Ländern. Die Initiative hat eine starke aufgefordert, Ansätze unserer in enthalt möglicherweise in der Bukowi- und nachhaltige Bau- und Erfor- Deutschland über Jahrzehnte aufge- na wird voraussichtlich in diesem Jahr schungsstruktur geschaffen, um bauten Erinnerungs- und Gedenkkul- folgen. ehemalige Friedhöfe in Osteuropa zu tur auch in den dortigen Gesell- identifi zieren und nach halachisch- schaften zu unterstützen. Durch Karl-Hermann Blickle jüdischen Prinzipien zu schützen und Projektpartner in einem Friedenspro- Vorsitzender der Stiftung Stuttgarter zu erhalten. Es gibt ca. 10.000 bekann- jekt in Israel, die sich ebenfalls für das Lehrhaus für Interreligiösen Dialog te jüdische Friedhöfe in den 46 Mit- ESJF-Projekt in Osteuropa engagieren,

8 Jüdische Friedhöfe in Polen und der Ukraine

Bericht über den Aufenthalt in Polen und in der Ukraine im Rahmen der von der Gemeinnützigen Gesellschaft zur Erhaltung und zum Schutz jüdischer Friedhöfe in Europa mbH (ESJF) in Verbindung mit dem Stuttgarter Lehrhaus vom 21.8. bis 2.9.2016 durchgeführten Reise.

Gil Hüttenmeister, Stuttgart

Ziel meiner Reise war es, jüdische Dzierzoniów/Reichenbach. Der Fried- teilweise erhaltenen Ziegelmauer um- Friedhöfe aufzusuchen und, wenn hof ist in einem ordentlichen Zustand. gebenen Waldfriedhof, auf dem etwa möglich, Kontakt mit Einheimischen Die Stadt selbst ist an der jüdischen 40 Gräber erhalten sind. Ein Teil des anzuknüpfen, die sich vor Ort um die Geschichte interessiert. So ist ein Friedhofes ist in Ordnung gebracht, Friedhöfe kümmern können und die Verkehrskreisel groß als „Kreisel an aber viele Grabsteine sind umgefallen Erinnerung an die Geschichte der Ju- der Synagoge“ ausgeschildert, und an oder umgestürzt worden und teilweise den vor Ort wachzuhalten und weiter- der Außenwand eines mehrstöckigen zerbrochen. zugeben bereit und in der Lage sind. Gebäudes ist ein Stadtplan aufgemalt, Die Organisation der Reise lag in auf dem in einigen Medaillons hervor- Oława/Ohlau. Auch dies ist ein den Händen der ESJF. Finanziert ragende Gebäude der Stadt abgebil- kleiner Friedhof mit etwa 130 bis 135 wurde sie durch eine Zusatzfi nanzie- det sind, darunter auch die Synagoge. Grabsteinen. Er wurde von ca 1835 rung des Stuttgarter Lehrhauses an die Eine Frau, die die Geschichte der ört- bis 1935 belegt. Ein Grabstein ist von ESJF. Ausgesucht wurde in Polen das lichen jüdischen Gemeinde erforscht 2007. Der Friedhof ist in sehr schlech- Gebiet um Breslau/Wrocław (Nieder- hat, führte mich über den Friedhof. tem Zustand, nur etwa ein Dutzend schlesien) mit den Friedhöfen in Eine Volldokumentation ist geplant. Steine stehen noch. Dzierzoniów/ Reichenbach, Winsko, Oława/Ohlau und Wałbrzych/ Winsko. Winsko, die Juden nannten Wałbrzych/Waldenburg. Der Fried- Waldenburg. Diese vier Friedhöfe es Winzig, liegt nordnordöstlich von hof ist durch einen Zaun vom katho- gehörten vor dem Krieg zu den Breslau/Wrocław. Der Friedhof wurde lischen Friedhof getrennt. Dort liegen deutschsprachigen, jüdischen Ge- von ca 1827 bis 1936 belegt. Es han- Plastiktüten, die vom katholischen meinden in Niederschlesien. delt sich um einen kleinen, mit einer Friedhof entsorgt worden sind. Ein-

Auf dem jüdischen Friedhof von Korec‘ in der Ukraine.

9 mehr als 20 Palmzweige, Eichen- und Lorbeerzweige. Daneben gibt es fl orale Motive wie ein Rosengebinde oder eine Vase mit Rosen. Auf einem Grabstein mit einer Rosengirlande steht der Spruch: „Glück und Unglück, Lieber, Trag‘s in Ruh‘, / Beides geht vorüber. Und auch Du.“ Solche Zwei- oder Vierzeiler waren im deutschsprachigen Raum seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich. Sie wurden entweder von Verwandten oder Bekannten des oder der Verstorbenen gereimt, oder man suchte sich etwas Passendes aus Büchern aus, wie zum Beispiel aus dem Buch „,Wiedersehen‘ Eine Zwei Löwen halten eine Krone, Ostroh. Sammlung von 424 auserlesenen, zum Gebrauche besonders geeigneten gesetzte Metallbuchstaben waren ent- ischen Buchstaben: „Dem tiefsten Grabschriften“, Prag und Leitmeritz, fernt worden. Die Grabsteine tragen Mitgefühl drücken aus die Frau und 1848. Das Buch wurde von einem eingesetzte Grabnummern aus Stein; Kinder.“ Ein Gedenkstein aus Marmor Christen verfasst. Das in meiner das heißt, dass es ein Gräberverzeich- mit der hebräischen Inschrift: „Dies Bibliothek befi ndliche Exemplar hat nis gegeben haben muss. Häufi g sind sind die Märtyrer, die misshandelt und den Besitzerstempel des Oberrabbi- Grabeinfassungen aus Stein oder aus unterdrückt wurden und gestorben ners von Prag. Metallketten zwischen Metallpfo- sind unter dem schweren Joch in dem Auf dem Friedhof befi ndet sich ein sten. Auf einigen Grabsteinen gibt es Konzentrationslager der Deutschen – renoviertes Tohorahaus („Reinigungs- Farbreste. Die meisten Grabsteine sind ihre Namen mögen ausgelöscht haus“, in dem die Leiche gewaschen aus der Nachkriegszeit. Der Fried- werden! - in der Stadt Waldenburg“ und ihr die Totenkleidung angelegt hof ist bis auf den neueren Teil sehr erinnert an sieben KZ-Opfer. wird), das laut Inschrift von Salo und ungepfl egt. Im neueren, einigerma- Mehrfach gibt es sogenannte Sophie Wygodzinski 1902 gewidmet ßen gepfl egten Teil gibt es einzelne Willkürnamen, die von antisemi- wurde. saubere Grabsteine mit (künstlichen) tischen Beamten vergeben wurden, Blumen und Kerzen. Die neuen Steine z.B. Walfi sz, Wasserkrug, Sauertajg. In der Ukraine war das Gebiet um sind meist aus Granit, teilweise mit An Symbolen gibt es rein jüdische Rivne/Rivni ausgesucht worden, etwa eingesetzten Texttafeln. Symbole wie den Davidstern (Magen 200 km östlich von Lviv/Lvov. Dort Die Inschriften sind selten rein David) sowie einige Menorot. Wäh- besuchte ich die Friedhöfe in Ostroh, Hebräisch – so für einen Rabbiner –, rend man sich im allgemeinen nicht Korec‘, Sdolbuniw, Klivan‘ und Mizocˇ. meist aber zweisprachig Hebräisch/ um das Verbot kümmerte, eine Polnisch. Die Inschriften halten sich an siebenarmige Menora, wie sie im Ostroh. Die jüdische Besiedlung von das übliche Schema und bieten selten Tempel in Jerusalem gestanden hat, Ostroh geht in das 15. Jahrhundert zusätzliche Angaben über die verstor- darzustellen, gibt es aus dem Jahr zurück. Zu Beginn des 20. Jahrhun- bene Person. Ein großer Doppelgrab- 1956 eine dreiarmige Menora. Vgl. derts betrug ihr Bevölkerungsan- stein aus dem Jahr 1929 ist nur dazu: Babylonischer Talmud, Rosch teil über 60 Prozent. Während der halbseitig beschriftet, ein Zeichen ha-Schana 24a/b und Menachot 28b deutschen Besetzung wurden ca. dafür, dass der Ehepartner das NS- sowie Schulchan Aruch, Jore Dea, 10.000 Juden in Ostroh und Um- Regime nicht überlebt hat oder nach Hilkhot Aku“m 141,34: „Man darf gebung erschossen. Der Friedhof ist erfolgreicher Flucht anderswo begra- nicht einen Leuchter in Form des sehr groß, mit einem Zaun umgeben ben wurde. Aus dem Jahr 1950 ist das Leuchters, (wie er im Tempel gestan- und abgeschlossen. Zur Sowjetzeit Grab von Szimon Rozenblum, „der den hat,) machen, wohl aber darf wurde der Friedhof mutwillig zerstört durch Mörderhand starb“. Im Pol- man einen fünf-, sechs- oder achtar- und auf ihm eine Disco eingerichtet. nischen heißt es dagegen: „Zginał migen Leuchter machen, nicht aber Sehr viele Steine wurden in neuerer s´miercia tragiczna“ („Umgekommen einen siebenarmigen.“ An anderen Zeit wieder geklebt und aufgerichtet. durch einen tragischen Tod“). Ein sehr Symbolen, die sich häufi g auf christ- Allerdings gibt es viele Fragmente. kleiner Stein, nicht größer als ca. lichen Grabsteinen fi nden und die Der größte Teil des Friedhofs ist heute 30 cm, wurde 1920 für einen Großva- allgemein üblich waren, fi ndet sich ohne Grabsteine. Niedrig gehaltene ter gesetzt. Aus dem Jahr 1954 gibt es eine abgebrochene Säule als Symbol Sträucher bedecken einen Teil. Die eine deutsche Inschrift mit hebrä- für eine jung verstorbene Person, Grabsteine sind meist sehr hoch, oft

10 über zwei Meter, und sehr dick. Die Giebel sind durchweg reich ornamen- tiert. Es fi nden sich fünf- und auch siebenarmige Leuchter, zwei Löwen, die eine Krone zwischen sich halten, eine Vase mit Ranken, Davidsterne, Vögel, ihre Jungen fütternd usw. Hin und wieder werden deutsche Wörter mit hebräischen Buchstaben geschrieben, so z.B. im Jahr 1926: :גיבארן אין יאהר – גישטארבן אין י(אהר) „geboren im Jahr – gestorben im J(ahr).“ Aus dem Jahr 1906 ist eine franzö- sische Inschrift erhalten: ICI REPOSE MARIE HERMANN de KRIVINE DECÉDÉE À L‘ÂGE DE SOIXANTE DEUX ANS LE VINGT DECEMBRE 1906.

Die Vorkriegsinschriften sind in fehlerfreiem Hebräisch geschrieben. Die Buchstaben sind oft erhaben. Akrosticha gibt es immer wieder und ebenso das durch Gematria ausge- drückte Sterbejahr. Dabei ergibt der Zahlenwert der einzelnen Buchstaben eines Wortes oder eines Satzes das Ein Ohel – ein „Zelt“ auf dem Grab eines bedeutenden Gelehrten auf dem Friehof von Korec‘. gewünschte Jahr. So z.B.: „Wehe! Ein großer Verlust für die Stadt Ostroh“ als Wort und nicht als Zahl nimmt, Korec‘. Es handelt sich um einen sehr als „du wirst ermordet werden“ großen Friedhof, östlich von Rivne. Er (אהה אבדה גדולה לעיר אוטרהא) was dem Jahr (5)664 – 1903/1904 lesen. Außerhalb Deutschlands ist ist eingezäunt und hat ein schmiede- entspricht. Oder: „Im Jahr Esther“ die Reihenfolge der Buchstaben in eisernes Tor sowie eine kleine Pforte .was dem Jahr (5)662 – der Regel gleichgeblieben, doch hat unterhalb dreier kleiner Ohalim (Sg ,(אסתר) 1901/1902 entspricht. man sie in Deutschland auf dem „Ohel“, „Zelte“ – kleien, steiner- Hintergrund der Judenverfolgungen ne Häuschen über dem Grab eines = ולזכר עולם יהיה הצדיק :Oder) „Eine ewige Erinnerung wird der so gut wie immer abgeändert und bedeutenden Gelehrten). Die älte- in der Bedeutung: sten Steine befi nden sich an einem תרחץ :geschrieben תײרחײם :Gerechte sein“ und darunter („Erbarme dich!“) – beides ergibt die „du wirst reingewaschen werden“; Steilhang. Erhalten sind ca 15 Steine, Jahreszahl (5)648 = 1887/1888. der Zahlenwert bleibt bei der Umstel- vorwiegend von Rabbinern, Gelehrten lung erhalten. Aber in Ostroh fi nden und Vorsitzenden des Rabbinatsge- wir beide Varianten. Bei dem Namen richtes, sowie drei Ohalim, die mit Arie - Löwe wird von Orthodoxen einer neuen Texttafel auf Hebräisch der letzte Buchstabe fortgelassen und und einer gemauerten Einfriedung statt dessen hinter dem vorletzten versehen sind. Die Steine sind, soweit Buchstaben ein Abkürzungszeichen erkennbar, aus dem 17. – 19. Jahr- gesetzt, weil die beiden letzten hundert. Die Steine sind sorgfältig Buchstaben einen der Gottesnamen gearbeitet und mit Ornamenten .geschmückt .אריה anstelle von ארי ‘ :ergeben Interessant ist die Umschreibung des Zwischen dem alten und dem neuen Todes im Jahr 1882. Es heißt dort: Teil sind keine Steine mehr erhalten „Plötzlich klopfte die Stimme des bzw. nicht sichtbar. Es handelt sich Das bürgerliche Jahr 1938 entspricht Todes an sein Fenster.“ Dieses Bild ist dabei um den weitaus größten Teil dem jüdischen Jahr (5)698, hebräisch aus Jeremias 9,20 übernommen. des Friedhofs. ,Das kann man, wenn man es All das deutet auf ein hohes Niveau Der neue Teil liegt im oberen .תרצח der Gemeinde hin, die, trotz aller fl achen Teil. Die Steine bestehen fast Assimilierung, die religiöse Überliefe- ausschließlich aus einer Anhäufung rung bewahrte. kleinerer oder mittelgroßer Bruch- steine oder Ziegelsteine, die mit einem

11 unbekannt, doch dürfte es auf die schwierigen Zeitumstände zurückzu- führen sein. Manchmal fi ndet sich der Name auf der Rückseite. Das ist in vielen Gegenden in Mitteleuropa üblich; so war es einfacher, ein bestimmtes Grab aufzufi nden. Auf den jüngsten Steinen fi nden sich auch kurze ukrainische Inschriften. Symbole und Ornamente gibt es wenig. Die alten Steine haben meist fl orale Motive wie Efeuranken. Vereinzelt gibt es Symbole im neuen Teil, hier vor allem bei den jüngeren Steinen. 1847 gibt es einen Löwen, der an einem Baum Blätter abfrisst, eine ähnliche Abbildung gibt es mit zwei Tieren, die wohl Löwen darstel- Ein pfl anzenfressender Löwe. len sollen und an einem Baum oder Strauch Blätter fressen. Ein Grabstein von 1923/1924 in Form eines abge- brochenen Baumes (heute umge- stürzt) ist Symbol für ein jung been- detes Leben. Die hebräische Inschrift ist auf einem großen Baumblatt. Ähnlich ist die Abbildung eines abgebrochenen Baumes auf dem Grab eines Kohen (Plural „Kohanim“, Nachkommen der „Priester“, die im Tempel zuständig waren für den Opferdienst). Auf ihm sind auch segnende Priesterhände abgebildet mit den in bestimmter Weise abges- preizten Fingern, wie die Kohanim sie beim Erteilen des Priestersegens (Num 6,24–26) über die Gemeinde halten. Auf einem anderen Grabstein (die Inschrift ist fast vollständig verwittert) sind zwei Vögel abgebildet Zwei Löwen fressen an einem Baum. und eine Menora. Dieser Friedhof bietet einen voll- Zementmantel umgeben sind und so Es fällt auf, dass diese Steine am kommen anderen Eindruck als andere das Aussehen eines Sarges haben, Kopfende manchmal die dreifache Friedhöfe. Bestimmend sind die recht welcher das eigentliche Grab bedeckt. Dicke eines normalen Grabsteines armseligen Steine im neuen Teil sowie Diese Grababdeckungen sind immer haben. deren Anlage in Form eines Sarges, unbeschriftet. Am Kopfende steht ein Die Inschriften des alten Teils halten außerdem das fast völlige Fehlen von ebenso hergestellter, kleiner Grabstein sich im Rahmen des Üblichen. Sie sind Symbolen und Ornamenten im neuen mit einer meist sehr kurzen Inschrift. sorgfältig gearbeitet und so gut wie Teil sowie die kurzen, nichtssagenden Das Ganze macht den Eindruck einer fehlerlos. Auch gibt es nur ganz selten Inschriften. sehr armen Gemeinde. Da viele der eine Abkürzung, abgesehen natürlich Steine, die aus dem Beginn des 19. von den Standardabkürzungen, wie Sdolbuniw. Es handelt sich um einen Jahrhunderts bis 1940 stammen, sie so gut wie in allen Inschriften kleinen Friedhof mit Mauer und Tor, zerfallen sind, lässt sich eine genauere vorkommen. Die Texte enthalten oft errichtet von ESJF 2015. Ein dreispra- Zeiteinteilung nur nach gründlicher nur den Namen des bzw. der Verstor- chiges Schild (Ukrainisch, Hebräisch, Untersuchung feststellen. Es dürfte benen, das Sterbedatum und den Deutsch) weist darauf hin. Sehr viele sich um mehrere hundert Gräber Schlusssegen. Selbst die Aufzählung Steine – mehr als hundert – sind um- handeln, von denen die meisten aber von guten Eigenschaften fehlt oft. Um gefallen oder umgestürzt worden. zerfallen sind. Zudem sind viele der 1938-1940 gibt es vereinzelt Grab- Der Friedhof ist in den zwanziger Textsteine am Kopfende umgefallen. steine ohne Inschrift. Der Grund ist und dreißiger Jahren des 20. Jahrhun-

12 derts belegt worden, jedoch gibt es einen Nachkriegsstein aus dem Jahr 1962. Der Friedhof macht einen verwahr- losten Eindruck, ist aber frisch gemäht worden. Er bietet ein einheitliches Bild. Die Steine sind groß und haben durchweg dieselbe Größe. Die Grabstelle ist jeweils mit einem Deckstein in Form eines Sarges bedeckt. Die Steine sind teilweise schwarz oder weiß gefärbt. Auf einem Grab steht ein Doppelstein für zwei Brüder, die innerhalb von zwei Tagen gestorben sind. Die Inschriften sind meist sehr kurz und bieten außer Namen und Sterbe- datum oft nur eine kurze Charakter- beschreibung. Sie sind meist auf Segnende Hände auf dem Grabsteine eines Kohen, eines Angehörigen des Priesterstammes, Korec‘. Hebräisch. Das Hebräische ist durch- gehend fehlerfrei. Eine Inschrift aus dem Jahr 1931 ist auf Ukrainisch, ebenso drei weitere ohne erkennbares Datum. Außerdem ist auf dem Nach- kriegsstein von 1962 eine Texttafel aus Marmor auf Ukrainisch. Drei gleiche, nebeneinander stehen- de Steine haben keine Inschrift. Der Grund ist unbekannt. Möglicherweise war die Inschrift aufgemalt, oder man hatte wegen der Zeitumstände nicht mehr die Möglichkeit, eine Inschrift anzubringen. An Symbolen gibt es segnende Priesterhände, aber keine Levitenkan- ne. Viele Grabsteine haben einen Magen David. Im Jahr 1937 gibt es einen Magen David mit einer rechte- ckigen Vertiefung, in der ein Rest einer schwarz gefärbten Glastafel Die Levitenkanne weist den Verstorbenen als Angehörigen der Leviten aus, Klivan‘. steckt. Mehrfach gibt es eine Menora unter einem halbkreisförmigen Bogen sind zumeist Bruchsteine oder Ziegel- bildungen gibt es drei-, sechs- und mit drapiertem Vorhang. Am häu- steine, die mit einem Zementmantel achtarmige Menorot, Levitenkannen, fi gsten sind zwei aufrecht stehende umgeben sind. Die Grabstellen sind abgebrochene Baumstümpfe, Bücher, Löwen, die eine Krone halten. Außer- mit einem Deckstein in Form eines Kerzen, einen Vogel, der aus einem dem gibt es einen Vogel. Auf einem Sarges bedeckt. Sie sind bis auf ganz Becher trinkt und viele Davidsterne. Grabstein aus dem Jahr 1909 ist ein wenige Ausnahmen unbeschriftet. Auf dem Friedhof befi ndet sich ein abgebildet, An den Inschriften sind manchmal Massengrab von von den Deutschen (תהלם) Psalmenbuch Zeichen für eine besonders fromme noch Farbreste (blau) zu erkennen. erschossenen Juden. Person. Durch besonders große Schrift sind Namen und Schlusssegen hervorgeho- Mizocˇ. Der Friedhof ist mit einer von Klivan‘. Dieser Friedhof wurde eben- ben. Akrosticha gibt es offensichtlich der ESJF errichteten Mauer umgeben. falls von der ESJF eingezäunt. Auch nicht. Auch hier sind, wie in Ostroh, Er ist bedeckt mit einzelnen Büschen dies ist ein sehr großer Friedhof, teils die Buchstaben der Jahreszahl 5698 und Bäumen sowie niedrigem Ge- eben, teils steil abfallend. Erhalten (1937/1938) in abgeänderter Rei- büsch. Er ist mittelgroß, und es sind anstelle ca. 40–50 Steine aus der ersten Hälfte תרחץ :sind verschiedene Felder mit insge- henfolge geschrieben (um die Bedeutung „du des 20. Jahrhunderts (1900–1935 ,תרצח samt etwa 70-80 Steinen. Die jün- von zu erhalten. Alle Grabstellen haben – תרצח – “geren Steine aus den zwanziger und wirst ermordet werden dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts vermeiden. An Symbolen und Ab- einen Deckstein. Die Grabsteine sind

13 groß und dick. Im hinteren Teil des darüber veröffentlicht haben. Eine durch Vorträge am Ort, durch Friedhofs befi nden sich einige einzeln weitere Zusammenarbeit ist geplant. Führungen auf dem Friedhof, durch stehende Steine. Einer von ihnen hat Jemand schlug vor, das Ohel über Befragen der Ortsbevölkerung, was die (hebräische) Aufschrift: „Friedhof dem Grab eines Gelehrten zu reno- sie über die Geschichte der Juden am der Heiligen Gemeinde Mizocˇ. An die- vieren sowie sein Leben und seine Ort wissen (es ist ja auch ein bedeu- sem heiligen Ort standen die ,Zelte‘ Bedeutung in einer Broschüre zu tender Teil der Ortsgeschichte), der Rabbiner von Mizocˇ.“ Die meist beschreiben, um den Fremdenver- ferner durch Mithilfe bei der Herrich- nur kurzen Inschriften sind deutsch kehr anzukurbeln. Ich fi nde das nicht tung und weiteren Pfl ege des Fried- und hebräisch beschriftet. Wieder- sehr gut. Das würde vorwiegend hofes usw. besser erreichen. Durch holt gibt es auf den Grabsteinen eine einige orthodoxe Juden oder Histori- die Aktionen der ESJF ist das Interes- ca.20 x 10 cm große Aushöhlung. An ker interessieren, aber wohl kaum se daran ja bereits etwas geweckt, Symbolen gibt es zwei Löwen mit viele Besucher anlocken. Das heißt was man ausnutzen sollte. Eine einer Menora, Davidsterne sowie jedoch nicht, dass man das nicht vorherige Absprache mit den zustän- siebenarmige Leuchter. machen sollte. Wichtiger ist es m.E., digen jüdischen Stellen und deren den Friedhof herzurichten, in einer Unterstützung ist natürlich selbstver- Weitere Planung Broschüre einen Abriss der Gemeinde ständlich. sowie des Friedhofes zu geben, auf Ich habe Kontakt bekommen mit Leu- Besonderheiten hinzuweisen, In- Alle Fotos: Natalia Videneeva. ten, die an der jeweiligen jüdischen schriften, Symbole und Abbildungen Ortsgeschichte interessiert sind und zu erklären usw. All das lässt sich

Mögen ihre Seelen eingebunden sein in das Bündel des Lebens!

Israelitische Kultusgemeinde Rottweil/VS Körperschaft des öffentlichen Rechts

Endlich ist es soweit. Rottweil hat ein neues jüdisches Gotteshaus. Dreizehn Jahre hat die Israelitische Kultursge- meinde Rottweil/Villingen-Schwenningen darauf gewartet.

Die neue Synagoge direkt neben dem mittelalterlichen Stadtkern soll ein Zeichen dafür sein, dass die Schrecken des Holocaust endgültig der Vergangenheit angehören und dass in Rottweil verschiedene Religionen friedlich zusammenleben.

Die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden trägt einen Großteil der Kosten. Entstanden ist nicht nur eine Synagoge, sondern ein Gemeindezentrum mit Büroräumen, ein Veranstaltungsraum, ein Jugendzentrum sowie zwei koschere Küchen und eine Mikwe.

Für die Einrichtung der neuen Synagoge muss auch die IKG Rottweil / VS ihren Beitrag leisten. Zur Zeit ist noch eine Lücke von ca. 150.000 Euro zu schließen.

Deshalb bitten wir alle Bürgerinnen und Bürger: Helfen Sie mit Ihrer Spende, die Finanzierung der neuen Synagoge erfolgreich abzuschließen.

Spendenkonto: Israelitische Kultusgemeinde Rottweil/VS IBAN: DE77 6425 0040 0000 1032 68 BIC: SOLADES1RWL

14 Lagerbericht von Stanislaw Majchrzak geb. 24.8.1919 aus Lodz/Polen. KZ Gefangener in Auschwitz von Mai 1943-Juli 1944 und von August 1944 bis April 1945 KZ Gefangener im KZ Dautmergen – Fortsetzung und Schluss des Berichts –

Im Alter von 86 Jahren hat Stanis- law Majchrzak in drei Briefen seine schrecklichen Erlebnisse in den KZ-La- gern beschrieben. Bernhard Pohler hat diese Briefe übersetzt. Im folgenden Artikel hat Brigitta Marquart-Schad diese Lagererlebnisse von Stanislaw Majchrzak zusammengefasst. Die ersten Teile dieser Zusammenfas- sung erschienen in der Gedenkstätten- Rundschau Nr. 17.

Dritter Teil 1944 – Ende Juli. Ich gehörte zu einem Transport, der, wie sich heraus- stellte, in Richtung Natzweiler zum Außenlager Dautmergen ging. Den Weg von Auschwitz nach Dautmer- gen werde ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen. Hunger und Durst haben einen Abdruck auf meiner Seele hinterlas- Ausschnitt aus dem Fotoalbum von Gerold Müller. Stanislaw Majcharzak mit seinem Enkel Piotr sen. Der Gestank,verursacht durch die und dessen Frau Seon Majchrzak bei einem Besuch in Rottweil im April 2002. Das junge Paar Notdurft der Häftlinge, war sicher spielte mit Violine und Kontrabass in der Predigerkirche. Foto: Gerold Müller weit von den Wagen zu riechen. Auf diesem Hintergrund kann man sich machte sich bemerkbar. Wo vorher Schulterlagern. So etwas vergisst man den mageren, kränklichen und trockene Erde und Gras waren, nicht. Darüber kann ich nur mit ausgetrockneten jungen Mann entstand eine große Schlammfl äche, Tränen berichten. Um so mehr, als ein vorstellen, der in nichts mehr an auf der sich die Häftlinge bewegten, großer Teil meiner Familie auch einem Menschen erinnerte. Eingefal- besser gesagt, darin standen, beim Deutsche sind. Konkret: Der Bruder lene Augen, offener Mund usw. Der Appell vor und nach der Arbeit. Man meines Vaters emigrierte nach Transport dauerte einige Tage, denn baute hölzerne Stege. Entlang dieser Deutschland und gründete dort eine die Eisenbahnlinien waren öfters Stege mussten die Häftlinge vor und Familie. Seine Söhne nahmen teil am durch das Militär belegt. nach der Arbeit stehen. Es kam der Krieg. Es kann sein, dass mich meine Als wir das Ziel erreichten, wurden Herbst, der sich durch Kälte bemerk- Brüder quälten, denn die Verbindung wir wie Gegenstände ausgeladen. An bar machte. Nicht alle hielten glei- zu ihnen ist infolge der Kriegswirren den Ankunftsort kann ich mich nicht chermaßen aus. abgerissen (die Adressen sind leider mehr erinnern. Man trieb uns, wie Unter die Häftlingskleidung (pasiaki nicht bekannt). sich herausstellte, zu dem im Aufbau = Streifenkleider) versuchten die befi ndlichen Lager Dautmergen. Ein Lagerinsassen Papier, Gras usw. zu Die Arbeit werde ich nicht beschrei- Areal durch Stacheldraht eingezäunt, stopfen. Das wurde aber hart bestraft. ben, denn Ihr kennt sie. bildete das Lager. Anstatt Baracken Bei einem Appell berührte ein SS- Ich erinnere mich an eine Beule auf gab es nur Zelte. Wassermangel setzte Mann einen meiner Kollegen mit dem meinem Kopf in der Form eines uns zu. Das Wasser wurde herange- Stock und entdeckte das Papier. Er rief Rückens, die mir ein SS-Mann mit fahren und rationiert. Man trank nicht ihn aus der Reihe heraus und zeigte einer Rute aus Korbweide verpasst genug, sondern nur die Menge, die mit dem Stock auf den Galgen. Die hatte. Das wäre alles erträglich man bekam. Ich sehe noch wie einige Schergen erledigten das Weitere. Man gewesen, wenn nicht dazu Hunger – irre geworden – vor mir gehen. So band ihm die Hände nach hinten und und Durst und die Eilmärsche (links! behaupte ich, dass Durst schlimmer ist hängte ihn an den Händen auf den links! usw.) gekommen wären, wobei als der Hunger. Es war furchtbar. Galgen. Alle mussten zuschauen. auf dem Rückmarsch jeder mit Steinen Solange der Sommer dauerte, war Hängend brüllte er vor Schmerzen, belastet wurde, die vor den Baracken es trocken. Der nahende Herbst denn seine Hände brachen aus den der SS-Männer verpfl astert wurden.

15 Wer zu kleine Steine aufnahm, wurde Dold teilte mir mit, dass er krank sei stürzte und so überlebte. Nach diesem mit Stockschlägen traktiert. Ich selbst und nach kurzer Zeit wurde mir Vorkommnis, wir befanden uns bei wurde geschlagen, weil ich zu wenig mitgeteilt, dass er tot ist. (Anmerkung: einem Weiher vor Altshausen, rief Steine mitnahm. Wer nicht hinfi el war Dold starb aber erst am 11.9.2012) mein Lebensretter laut aus: „Freiheit“. glücklich, denn er lebte noch. Wie sich später herausstellte, lebte Und wir waren wirklich frei. 22. April Das Hinfallen hatte meist den Tod Dold noch und es ging ihm gut. Es 1945 ca. 13.00 Uhr war die gesegnete zur Folge. Oft wurden diese Schinde- war also eine Lüge. Er hatte nur Stunde der Freiheit. reien noch dadurch ergänzt, dass die Angst, der Wahrheit ins Auge zu Unsere Wachmannschaft machte Häftlinge gezwungen wurden, schauen. Es besuchte mich Karl Hans sich aus dem Staub. Zu viert, auch zuzuschauen, wie andere gehängt aus Freiburg mit seiner Frau und mein Retter war dabei, begaben wir oder erschossen wurden. bestätigte, dass Dold lebt und Besitzer uns in den nahen Wald. Dort war- Ein anders Bild steht mir vor Augen: einer Sägerei ist. teten wir bis zum nächsten Morgen. Beim Verlassen des Lagers auf dem Kurze Zeit nach dem Luftangriff Einer der Kollegen, der sich besser Weg zur Arbeit blickte ich zur Seite erfolgte die Räumung des Lagers. Am fühlte, begab sich nach Altshausen, und sah, wie im Dreck Liegende von 17. oder 18.4.1945 wurden einige um sich über die Lage zu informieren. einem Kommando aufgelesen und in Hundert Häftlinge aus dem Lager in Nach der Rückkehr eröffnete er uns, eine Vertiefung (Doline?) abgeladen Richtung Altshausen evakuiert.In einer dass die französische Kommandatur wurden. Hier befi ndet sich jetzt ein solchen Hundertgruppe befand ich sich unserer Anliegen annehmen wird. uns allen bekannter Obelisk. mich. Man trieb uns mit scharfem Wir verließen den Wald und begaben Diese Hölle dauerte 270 Tage, also Tempo und nur nachts. Nicht alle uns zu dem Ort unserer Befreiung. In neun Monate. Nun will ich die haben diese Anstrengungen überlebt, Altshausen wurden wir von einer Essensrationen beschreiben: Eine sie fi elen auf der Straße und wurden deutschen Familie gastlich aufgenom- Lagerschnitte Brot, einen Liter Suppe von den Betreuern, die sich für men. Mit Hilfe der Hausbewohner und etwas Flüssigkeit, die man nicht Übermenschen hielten, erschlagen. konnte ich meine Verletzung behan- Tee nennnen kann. Das war die Plötzlich – o Wunder – trieb man deln und bei Tische konnten wir Tagesration. Bis zum heutigen Tage uns in eine Scheune, mitten im Feld, beraten, was weiter zu tun ist. Andere arbeiten meine Verdauungsorgane unweit der Straße. Den Zweck dieses Kollegen haben sich uns angeschlos- nicht normal. Meine Frau ärgert sich, Tuns erfuhren wir erst nach der sen, unter ihnen ein Arzt, der vor weil ich nicht esse wie ein normaler Befreiung. Wir sollten dort verbrannt einem Jahr starb. Er hatte ein großes Mann. Darüber kann die Mutter von werden, jedoch war die Mehrheit der Herz. Er schaute mich an und sagte: Klara mehr sagen, die mich ihren SS-Männer dagegen, denn sie sahen Du brauchst jetzt eine Kur durch die zweiten Sohn nannte und mir zum schon das Ende des Krieges voraus. Natur – einen Wald, Sand, fl ießendes Abschied ein Familienbild gab. Ich Kurz danach führten sie uns wieder Wasser und vor allem Ruhe. Mit Hilfe habe sie sehr geschätzt.Ich beende aus der Scheune und trieben uns der örtlichen Deutschen begaben wir hier die Beschreibung der Lageralp- weiter. Auf der Straße trat mir ein uns in das Dorf „Meldenhausen“, wo träume und möchte sehr genau den Mithäftling auf den Absatz und riss wir bei der Familie Müller unterka- Luftangriff auf das Lager schildern. Es ihn ab. Der im Absatz befi ndliche men. Anfangs wurden wir unwillig war in der zweiten Hälfte des Monats Nagel verletzte meine Ferse. Im aufgenommen, aber im Laufe der April 1945. Bemühen, den verletzten Fuß zu Zeit haben wir uns so angefreundet, Zuerst ergriff mich ein Freiheitsge- schonen, fi el ich immer mehr zurück. dass mich Mama Müller ihren zweiten fühl, ich ahnte aber nicht, dass mich Ein SS-Mann ließ den Hund los, der Sohn nannte und zum Abschied ein der Kampf ums Leben erwartete. seine Zähne in meinen kranken Fuß Familienbild übergab. Als ich wieder Nach dem Angriff stellte man eine versenkte. Ich schrie auf vor Schmer- zu Kräften kam und arbeiten konnte, Häftlingsgruppe zusammen, zu der zen, aber der sechste Sinn befahl mir, half ich Familie Müller. Mehr will ich auch ich gehörte, um die zerstreuten den Anschluss an die Kolonne zu nicht mehr schreiben und denke, dass Körperteile der SS-Männer vor dem suchen. Hüpfend auf einem Bein Klara hier noch mehr berichten Lager zusammen zu tragen. Ich erreichte ich meine Kollegen. Mich auf könnte. erinnere mich, dass mir die Hand eines einen Kollegen stützend, konnte ich In mein Elternhaus kehrte ich 1946 Soldaten aus den Händen fi el, was leidlich das Tempo durchhalten. Neues im Alter von 25 Jahren zurück. Man vom Kommandanten Dold beobachtet Pech folgte. Ein SS-Mann warf seinen nahm mich auf, wie einen der wieder wurde. Ich sehe ihn heute noch, wie Rucksack auf meine Schultern. Bis auferstanden ist, denn seit zwei er mit gezogener Pistole auf mich zum heutigen Tage ist mir nicht klar, Jahren hatte ich kein Lebenszeichen zuläuft. Ich schloss die Augen, hob ob er das unbewusst tat, oder ob er mehr von mir gegeben. Auch das will diese Hand vom Boden mit Achtung die Absicht hatte, mich fertig zu ich nicht beschreiben, aber es war auf und legte sie auf den mit Trauer- machen. Als mein Kollege, der mich eine bewegte Familienbegrüßung. fl or geschmückten Wagen. stütze, das sah, fi ng er den Rucksack Nach kurzer Zeit meldeten sich Ich wollte Dold später, nach auf, nahm ihn auf seine Schulter und wieder meine Erkrankungen. Ich Kriegsende daran erinnern, aber zu forderte mich auf, weiter zu gehen. kurierte die Verdauungswege und die einem Treffen kam es nicht, denn Ihm verdanke ich, dass ich nicht Lymphknoten. Dieser Heilungsprozess

16 Der Appellplatz von Daut- mergen. Im Hintergrund die Krankenstation. Vorne sieht man die Holzstege, die für die SS angelegt wurden. So mussten die SS- Angehörigen – anders als die Häftlinge – nicht durch den Schlamm laufen. Photo Suzanne Oswald, aus: Pierre Lefèvre, Les Déportés d‘Argonne. Les Dossiers Documentaires Meusiens, 2000. dauerte sehr viele Jahre. Die Ausbil- ich, erlebte bis zum Ende des Lagers Organisation Todt – die maximale dungslücken musste ich in den einen Alptraum. Die Leiden wurden Leistung abpresste. späteren Jahren vervollständigen. gekrönt durch den Todesmarsch bei h) Dass wir nach der Arbeit gezwun- Nach Erlangung der pädagogoischen der Evakuierung des Lagers und das gen wurden, Steine zum Lager zu Qualifi kationen in den fünfziger Ziel, wohin man uns trieb, war nur tragen, um vor den Baracken der Jahren, nahm ich die Lehrertätigkeit in Ihnen bekannt. Vielleicht können Sie SS-Männer Gehwege zu bauen. einer Mittelschule auf, wo ich bis zur mir dies erklären. Wer zu wenig trug, wurde mit Pensionierung arbeitete. Folgende Bilder können Sie weder Schlägen traktiert. Ich lege eine Kopie des Briefes bestreiten noch verdrängen: i) Dass das Lagerkommando die To- diesem Bericht bei, den ich 1995 an a) Das Erschießen von Menschen auf ten in Gruben warf, wo heute ein Erwin Dold geschickt habe, mit dem dem Gebiet des Lagers, wobei die Obelisk steht. Ziel, das Drama zu verstehen. Eine Häftlinge diesem Mord zusehen Nur so viel will ich heute ansprechen. Antwort habe ich nicht erhalten. mussten. Hatten Sie als Kommandant nicht so b) Das Erhängen auf dem Galgen. viel Einfl uss, um dieses verbreche- „Sehr geehrter Herr Dold ! c) Das Erhängen mit nach hinten rische Tun zu verhindern, mindestens Ich schreibe an Sie zum zweiten gebundenen Händen dafür, dass zu erleichtern (zu verbessern)? Ich Male, denn ich weiß nicht, ob Sie sich die Häftlinge gegen die Kälte kann mir nicht vorstellen, dass Sie mein erster Brief erreichte. Warum schützen wollten, indem sie Papier einfl usslos waren. versuche ich so hartnäckig mit Ihnen unter ihre Kleidung stopften. Jetzt habe ich als ehemaliger ins Gespräch zu kommen? Nun, des- d) Dass die Häftlinge, vor und nach Häftling diesen Ort besucht und mich wegen, weil die über Sie publizierte der Arbeit im Schlamm standen, an alles erinnert. Ich erkannte das Biographie mich persönlich nicht während die Aufpasser auf höl- Gebiet, obwohl es mit dichtem überzeugt hat. Ich war seit dem Auf- zernen Stegen die Kommandos Gehölz zugewachsen ist. bau des Lagers bis zu seinem Ende ein abzählten. Ich schreibe diese Zeilen nicht aus Augenzeuge und bin es immer noch. e) Die Essensrationen, z.B. die La- Rache. Ich möchte nur, dass das Ich fühle es immer noch am eigenen gerbrotschnitte, auch heute noch publizierte Bild der Wahrheit ent- Leibe und an eigener Seele, dass es vergleiche ich sie oft mit einem spricht. anders war. richtigen Brot wobei mir Tränen Jeder vernünftige Mensch wird Sie sagen, dass zwei polnische dabei in die Augen fl ießen. Dazu seine Sicht darlegen. Ich kämpfe um Juden Sie verteidigt hätten und dass noch die Flüssigkeit, die man nicht meine Wahrheit, so wie Sie es auch Sie als Einziger von dem Vorwurf des Tee nennen kann. tun würden in meiner Situation. Verbrechens freigesprochen wurden. f) Dass man uns zur Arbeit mit Ich lege ein Dokument bei, das Es kann sein, dass Sie diesen beiden schnellem Schritt trieb, ohne den meinen Aufenthalt im Lager bestätigt. geholfen haben. Das kann ich weder Stock zu schonen. bestätigen noch negieren. Aber der g) Dass man uns bei der Arbeit – Gottes Segen wünsche ich allen Rest der Häftlinge, unter ihnen auch unter der Aufsicht von Leuten der Stanislaw Majchrzak am 10. 7. 2005“

17 Jeden Freitag vor dem Tor Erinnerung an Wanda Heger, die Frau, die drei Jahre lang KZ-Häftlinge mit Paketen versorgte, und dabei Botschaften und Informationen aus den Lagern schmuggelte

Gerhard Lempp, Rottweil

Wanda Heger geborene Hjort starb Die Familie war alles andere als am 27. Januar 2017, also am interna- begeistert von der Vorstellung, auf tionalen Holocaust-Gedenktag, knapp diese Weise für den Vater als Geisel zu 96jährig in . Das Sterbedatum ist dienen. Die Familie, das waren die noch einmal eine Hommage an diese Mutter mit Kindern, sechs Geschwi- mutige Frau und ihr Lebenswerk. stern, von denen Wanda die älteste Mindestens zweimal besuchte sie war. Ein aufgeregter Briefwechsel hin die Initiative Gedenkstätte Eckerwald und her folgte, schließlich übersiedel- zusammen mit einer Delegation der ten sie im Oktober 1942 nach Groß- norwegischen Natzweiler-Überleben- Kreutz, wo sie mit dem frei gelas- den. Im Jahr 2001 wurde Gerhard senen, von der Haft gezeichneten Lempp zu einer Tagung der Gruppe Vater wieder zusammenkamen. nach Lillehammer eingeladen, um Ihr Status lautete „Zivilinternie- über die Erinnerungsarbeit in Deutsch- rung“. Das bedeutete, dass man land am Beispiel der Gedenkstätte zwar unter Aufsicht stand, sich aber Eckerwald zu referieren. Im Rahmen ver hältnismäßig frei bewegen konnte. dieser Konferenz wurde Wanda Heger Die Familie Hjort hatte insofern Glück, mit der höchsten Auszeichnung des als ihre Aufseher es mit ihrem Auftrag norwegischen Roten Kreuzes geehrt. nicht besonders genau nahmen. Sie nannte sich selber naiv, in Wanda Heger, 1982. Wirklichkeit war sie mit ihrer Zivil- Sachsenhausen courage absolut vorbildlich. Einund- an den staatsrechtlichen Grundsätzen Hier beginnen die mutigen Kurier- zwanzigjährig gelang es ihr, ins der Souveränität, die vom Volk aus- aktionen der Jurastudentin Wanda Konzentrationslager Sachsenhausen ging, festgehalten hätte. Die Macht Hjort. Als erstes besuchte sie noch mit hereingelassen zu werden, Pakete mit der „Nationalen Sammlung“ sei einer legalen Besuchserlaubnis Didrik eingemachtem Kartoffelsalat für dagegen lediglich mit Hilfe der Besat- Arup Seip, den Direktor der Osloer Häftlinge abzugeben, und Informa- zungsmacht zustande gekommen und Universität, im Gefängnis am Alexan- tionen und Botschaften herauszu- nicht mit Zustimmung des Volkes. derplatz. Seip hatte denselben Weg schmuggeln. Einen Monat später wurde er hinter sich wie ihr Vater, jedoch mit festgenommen, die Stationen seiner der Zwischenstation Konzentrations- Groß-Kreutz Haft waren die üblichen für norwe- lager Sachsenhausen. Es kam zu einer Geboren ist sie am 9. März 1921 gische Widerstandskämpfer: Das sehr herzlichen Begegnung, und Seip ebenfalls in Oslo. Ihr Vater, der Jurist Osloer Hauptquartier der in machte sie auf einen norwegischen Johan Bernhard Hjort sympathisier- der Victoria-Terrasse, das Lager Grini, Mithäftling in Sachsenhausen auf- te zunächst mit der norwegischen dann Überstellung nach Deutschland merksam: August Lange, Nr. 41 720, faschistischen Partei „Nationale zunächst in den Gestapo-Keller an der Block 1. Sammlung“, 1933 von Vidkum Prinz-Albrecht-Straße in Berlin, später Auch Didrik Arup Seip wird später Quisling gegründet, der sich während ins Gefängnis am Alexanderplatz. unter denselben Bedingungen freige- der Besatzungszeit von Hitlers Gna- Da Hjort einfl ussreiche Verwandt- lassen wie Wandas Vater. Seips den norwegischer Ministerpräsident schaft in Deutschland hatte, zwei Ehefrau muss nach Deutschland nennen durfte. Hjort entfremdete sich seiner Schwestern waren mit hohen kommen, und auch sie werden im jedoch zunehmend und trat 1937 Nazi-Funktionären verheiratet, die sich Schloss in Groß-Kreuz als Zivilinter- wieder aus der Quislingpartei aus. für ihn einsetzten, bot man ihm die nierte einquartiert. Aus dem Anhänger wurde ein Wider- Freilassung unter der Bedingung an, Im November 1942 macht sich standskämpfer. dass seine Familie nach Deutschland Wanda Hjort mit ihrem sechzehnjähri- Im September 1941 veröffentlichte komme und in der Nähe von Berlin gen Bruder Helge zusammen auf nach Hjort in einer juristischen Fachzeit- unter mehr oder weniger strengem Sachsenhausen. Mit dem Vorortzug schrift einen Artikel, in welchem er Hausarrest lebe. Ein Vetter besaß in geht es nach Berlin, und weiter mit unter anderem darlegte, dass das Groß-Kreutz etwa fünfzig Kilometer der S-Bahn quer durch Berlin bis zur norwegische Volk während seiner westlich von Berlin ein Schloss. Hier Endstation Oranienburg. Auf dem ganzen sehr wechselhaften Geschichte sollte die Familie wohnen. Rücken tragen sie typische Rucksäcke,

18 wie sie in Norwegen jeder kennt, gefüllt mit Essbarem: Einmachgläser mit Kartoffelsalat, dazu „Lomper“, norwegische Kuchen. Auf dem Bahnhof in Oranienburg fragen sie nach dem Konzentrations- lager. Man schaut sie verständnislos an, erschrocken bekommen sie zur Antwort: Davon wisse man nichts. Als sie schließlich nach dem Vorort Sachsenhausen fragen, erklärt man ihnen bereitwillig den Weg. Zu Fuß gelangen sie zum Lager, unterwegs kommen sie schon an arbeitenden Häftlingen vorbei. Sie melden sich in der Wachstube beim Eingangstor zum „Schutzhaftlager Sachsenhausen“. Sie hätten Pakete für den Häftling August Lange dabei, ob sie die abgeben dürften. Und nun spielt sich eine merkwür- dige Szene ab. Der wachhabende Wanda Heger im Gespräch mit Gerhard Lempp und, mit dem Rücken zur Kamera, Kari Riss. Soldat fragt, wo sie herkämen. Sie antworten, von Groß-Kreutz. Der SS-Mann versteht: Vom Roten Kreuz. genau und entdeckt, dass manche konnte und wo es einfacher war, an Sie lassen das Missverständnis stehen. unter dem roten Dreieck, dem Zei- Häftlingsnummern zu gelangen. Und Der Wachmann fragt bei seinem chen für Politische, ein großes N auf im Lauf der Zeit ergaben sich noch Vorgesetzten nach, ob das in Ord- ihrer gestreiften Jacke haben. Sie hält weitere Möglichkeiten, mit den nung gehe. Es geht in Ordnung. Sie sich in deren Nähe auf und redet mit norwegischen Häftlingen „indirekt“ in geben ihre Fracht ab und fragen, ob ihrem Bruder auf Norwegisch. Dage- Kontakt zu treten. Dass sie dabei bis sie in einer Woche wiederkommen gen wird nicht eingeschritten. Und zum Schluss nicht erwischt werden, dürfen, die leeren Gläser abholen und wenn zwei norwegische Häftlinge in wirkt wie ein Wunder. neue Pakete mitbringen. Auch das ihrer Nähe ebenfalls auf Norwegisch wird erlaubt. miteinander sprechen, ist das auch Das Netzwerk Groß-Kreutz Von da an wird Wanda Hjort okay. Das ist die List, welche die Das Netzwerk vermittelt Nachrichten zusammen mit ihrem Bruder Helge Aufseher nicht zu durchschauen zwischen den Häftlingen und ihren jeden Freitag um 12 Uhr mittags am vermögen. Und man kann sich fragen, Angehörigen. Als Nacht- und Nebel- Lagertor von Sachsenhausen erschei- wer hier der Naivere ist. Jedenfalls häftlingen ist es den meisten nor- nen und Pakete für norwegische gelingt es durch diese indirekte wegischen Häftlingen nicht möglich, Häftlinge abgeben. Eines Tages fi ndet Kommunikation, Botschaften und Kontakt zu ihren Familien zu halten. sie in den leeren zurückgegebenen Informationen auszutauschen. Ge- Den konspirativen Nachrichtenka- Gläsern einen Zettel, auf dem auf dächtnisweise nehmen Wanda und ihr nälen kommt deshalb eine höchste Norwegisch steht: „Danke für das Bruder diese Botschaften mit hinaus humanitäre Bedeutung zu. Essen“. aus dem Lager und bringen sie Kaum weniger bedeutsam sind die Es konnte vielleicht ein Stückweit danach zu Papier. Das ist der Beginn Dateien, die in Groß-Kreutz über den daran liegen, dass die hübsche, eines konspirativen Netzwerkes, Häftlingsbestand des Lagers Sachsen- „arisch“ aussehende junge Frau auf dessen Zentrum das Schloss in Groß- hausen angelegt werden. Namen, die SS im Lager Sachsenhausen, wie Kreutz sein wird. Häftlingsnummern, und soweit sie selber formulierte, naiv wirkte, es Nachdem man sich an den Anblick möglich auch Lebensdaten, Her- wird ihr jedenfalls eines Tages ge- dieser Frau zusammen mit ihrem kunftsorte, welche Lager durchlaufen währt, ihre Mitbringsel in der Paket- Bruder jeden Freitag im Lager so wurden etc. Mit solchen Listen abteilung direkt abzugeben. Damit gewöhnt hat, dass man in ihr über- werden die Bestimmungen des hat sie Zugang in den Lagerbereich. haupt nichts Verdächtiges mehr Nacht- und Nebelerlasses unterlaufen, Und weil dort Häftlinge beschäftigt erkennt, geht Wanda dazu über, mit sollten sich doch die Wege dieser sind, bedeutet dies zugleich unmittel- den Häftlingen auch zettelweise Gefangenen im Nichts verlieren. baren Kontakt zu diesen. Allerdings ist schriftliche Botschaften auszutau- Umso wichtiger sind sie später, wenn solche Kontaktaufnahme strikt schen. Man gewährte ihr sogar den im Frühjahr 1945 die Rettungsaktion verboten. Zugang zur Häftlingskasse, wo sie mit den „Weißen Bussen“ anläuft. Wanda beobachtet die Häftlinge Geld für die Häftlinge einzahlen Zum Netzwerk gehört eine Reihe

19 von Verbindungen zu offi ziellen Wanda und Helge Hjort weitergege- dreimal werden sie scharf verhört, und Organisationen. Der erste wichtige ben werden, hat es zuvor schon unter dreimal gelingt es dieser jungen Frau Kontakt, den Wanda Hjort schon Häftlingen selber Recherche und mit ihren Begleitern, sich aus der 1942 knüpfte, sind die norwegischen Konspiration gegeben. Schlinge zu ziehen. In Straßburg ist Seemannspfarrer in Hamburg, die Einer der „Gesprächspartner“ ist jedoch endgültig Schluss mit der einmal im Monat in Berlin einen Kristian Ottosen, der später als Reise. Sie kann aber ihre Fracht noch Gottesdienst abhalten. Sie unterhalten Nacht- und Nebelhäftling ins Lager bei der Post abgeben, Adresse: mit offi zieller Genehmigung Kontakte Natzweiler und von da aus ins Wüste- Norwegische Häftlinge im Konzentra- zu Gefangenen in den Gefängnissen, Lager Dautmergen verlegt wird. tionslager Natzweiler. Wie sie später erhalten aber keinen Zutritt in die Ottosen, der die KZ-Zeit überlebt hat, erfährt, erreichen die Pakete tatsäch- Konzentrationslager. Auch sie bringen wird ihr viele Jahre später erzählen, in lich ihre Adressaten. Pakete zu den Gefangenen, und auch welch gefährliche Situationen sie nicht Ein zweites Mal macht sie sich auf sie schmuggeln Briefe und Botschaf- nur sich selbst, sondern auch Häft- den Weg, diesmal allein, aber mit ten heraus, die sie an Angehörige linge und nicht zuletzt auch Wachsol- einer gültigen Reiseerlaubnis. Sie weiterleiten. daten gebracht hat. schafft es bis ans Lagertor. Weiter Selbst große Organisationen wie das wird sie nicht vorgelassen, aber ihre Internationale Rote Kreuz erhalten Natzweiler und Ravensbrück Pakete, die diesmal auch wichtige keinen Zutritt zu Konzentrationslagern. Im Herbst 1943 erfährt Wanda, dass Medizin enthalten, kann sie abgeben. Die inszenierte Inspektion in Theresi- eine Anzahl von norwegischen Häft- enstadt im Juni 1944 bleibt die Ausnah- lingen aus Sachsenhausen verschwun- Auch nach Ravensbrück, wo sich das me. Als Wanda Hjort einmal das Büro den sei, auf Transport geschickt berüchtigte Frauenlager befi ndet, des Roten Kreuzes in Berlin Wannsee mit einem Ziel, das streng geheim macht sie sich zweimal auf den Weg. aufsucht, zeigt man sich an einer gehalten wurde. Und sie erfährt von Das erste Mal ist sie in der Wachstu- Zusammenarbeit sehr interessiert und weiteren Transporten aus dem Lager be mit einer Frau konfrontiert, die ist bereit, die in Groß-Kreutz erstellten Grini / Oslo, die niemals in Sachsen- sie so beschreibt: Klein und hübsch, Listen nach Genf weiterzuleiten. hausen ankamen. Nach komplizierten mit einem dicken blonden Zopf und Schließlich ist auch die norwegische verdeckten Recherchen fi ndet sie kalten blauen Augen. Sie bringt ein Exilregierung in London zu nennen, die Spur, die ins Konzentrationslager Paket für eine Tante Sylvia, die sie der man die Listen zuschleust. Und Natzweiler im Elsaß führt. kaum kennt. Die Situation ist heikel, Arup Seip, der sich immer mehr zu Und wieder macht sie sich mit aber am Ende erfolgreich. einer Schlüsselfi gur des Netzwerkes vollgepacktem Rucksack und Koffer Erst im Frühjahr 1945 lernt sie die entwickelt, wird zum Verhandlungs- auf den Weg, auch mit Listen norwe- Krankenschwester Gerda kennen, die partner der schwedischen Botschaft in gischer Gefangener. Das bedeutet im Revier in Ravensbrück arbeitet, sich Berlin. eine Zugfahrt quer durch Deutsch- aber innerlich aufgrund der Erfah- All das wäre nicht möglich gewesen land. Sie ist mit ihrem Bruder Johan rungen in diesem furchtbaren Lager in ohne das erstaunlich gut funktionie- und mit einem Journalisten unter- Opposition befi ndet. Wieder kommt rende Kommunikationssystem der wegs. Die beiden können eine Reise- es zu einem äußerst waghalsigen norwegischen Häftlinge im Lager erlaubnis vorweisen, sie nicht. Und so Treffen, bei dem ihr die Schwester selber. Wenn die Informationen in der kommt es, wie es kommen muss, drei- eine Liste mit 96 Norwegerinnen und Paketabteilung in Sachsenhausen an mal laufen sie der Gestapo ins Netz, zwanzig Däninnen, die in Ravens- brück interniert sind, heimlich über- reicht. Die weißen Busse Nach der Invasion der Westalliierten im Juni 1944 geht man im Schloss in Groß-Kreutz davon aus, dass der Krieg nicht mehr allzu lange dauert und dass er mit der Niederlage Nazideutsch- lands endet. Was wird dann mit den KZ-Häftlingen geschehen? Es gehen Gerüchte um, dass Himmler plane, sämtliche KZ-Gefangenen zu liqui- dieren. Und dass es zu diesem Zweck bereits Übungen in den Lagern gebe. Das Netzwerk Groß-Kreutz ist inzwischen eingebunden in internatio- nale Aktivitäten. Wie können die Die weißen Busse, mit denen etwa 6000 skandinavische Häftlinge im April 1945 nach Schweden skandinavischen Häftlinge gerettet gerettet wurden. 20 werden? Schlüsselfi gur ist der Vize- präsident des Schwedischen Roten Kreuzes, Graf Folke Bernadotte, dem es in Verhandlungen mit Himmler gelingt, einen Plan zu fassen, wonach sämtliche skandinavischen KZ-Gefan- genen zunächst in einem Lager konzentriert werden sollen, das geografi sch Dänemark am nächsten liegt, also in Neuengamme. Mitte März 1945 machen sich 75 Die norwegische und Fahrzeuge, darunter 36 weiße Busse die deutsche Ausgabe aus Schweden zusammen mit 250 des Berichts von Helfern auf den Weg kreuz und quer Wanda Heger über durch Deutschland von Konzentra- ihre Hilfe für KZ- tionslager zu Konzentrationslager, Häftlinge zwischen nehmen norwegische und dänische 1943 bis 1945. Häftlinge, die sich zum großen Teil in einem gesundheitlich verheerenden wurde im Sommer 1943 aus dem listen anbelangt, wäre es jedenfalls in Zustand befi nden, auf und transpor- Gefängnis am Alexanderplatz entlas- diesem Ausmaß nicht möglich gewe- tieren sie nach Neuengamme. sen. Wanda hatte ihn zuvor schon ein sen. Und dies ist vor allem das Ver- Eines der letzten Lager, das sie nur paarmal besucht. Nach dem Krieg dienst von Wanda Heger, geborene mühsam fi nden, ist das Natzweiler- werden die beiden im Oktober 1945 Hjort, und ihren Mitarbeitern im Außenlager Vaihingen/Enz. Fünf von heiraten. Netzwerk Groß-Kreutz. den zuletzt 21 norwegischen Häftlin- Durch die Rettungsaktion mit den Knapp vierzig Jahre später hat sie gen, von denen die Helfer eine Liste Weißen Bussen blieb etwa 6000 ihre Geschichte in einem höchst dabei haben, sind schon an Fleckfi eber KZ-Gefangenen aus Norwegen und lesenswerten autobiografi schen gestorben. Unter den sechzehn, die Dänemark das letzte schlimme Kapitel Bericht niedergeschrieben und zu- gerettet werden, sind Kristian Ottosen der Todesmärsche erspart. Im April nächst in Norwegen veröffentlicht. und Trygve Bratteli, der spätere 1945 konnten sie sozusagen im Später erschien es auch in deutscher norwegische Ministerpräsident. letzten Augenblick nach Schweden Übersetzung im Schneekluth-Verlag Bei dieser letzten Rettungsaktion ist weitertransportiert werden. Aber ohne unter dem Titel „Jeden Freitag vor einer der wichtigsten Mitarbeiter von die umfangreichen Vorarbeiten, was dem Tor“. Groß-Kreutz beteiligt: Björn Heger. Er die Erstellung der geheimen Häftlings-

Einladung zur Woche der Begegnung und zur Gedenkfeier 2017 der Initiative KZ Gedenkstätte Eckerwald unter dem Thema: Die Erinnerung wach halten

Die Initiative Gedenkstätte Eckerwald Sonntag, 14. Mai 2017, 10 Uhr Namen-Performance: freut sich, dass auch in diesem Jahr Gedenkfeier in der Kapelle beim Schüler des Albertus-Magnus-Gymna- wieder Gäste aus dem In- und Aus- KZ-Friedhof Schörzingen siums Rottweil land ihrer Einladung folgen, darunter Übergabe der beiden neuen Namens- Musikalische Umrahmung: einige Zeitzeugen und Angehörige. tafeln und des Gedenkbuches an die Schüler der Musikschule Rottweil In diesem Jahr werden zwei neue Öffentlichkeit durch Gerlinde Kretsch- Tafeln mit den Namen der Toten des mann Konzentrationslagers Schörzingen der Weitere öffentliche Veranstaltungen: Einführendes Referat: Öffentlichkeit übergeben. Mitglieder Samstag, 13. Mai, 16.30 Uhr Dr. Andreas Zekorn der Initiative und Mitarbeiter des , Kreisarchivar des Ökumenischer Gedenk-Gottesdienst Zollernalbkreises haben Namen, die Zollernalbkreises in der Gedenkstätte Eckerwald auf den bisherigen sechs Tafeln Grußworte Sonntag, 14. Mai, 15.30 Uhr fehlten, recherchiert. Frédérique Neau-Dufour , Leiterin des Besuch des KZ-Friedhofs Schömberg Außerdem wurde ein Totengedenk- CERD Natzweiler Struthof buch gestaltet, welches über die Toten und der Gedenkstätte Dautmergen – und Überlebende und Angehörige Schömberg. des KZ Schörzingen und das Lager der Wüste-Lager aus verschiedenen selber genauere Auskünfte gibt. Ländern

21 Nach 72 Jahren Identität geklärt Ein Häftling aus dem KZ Schömberg rettet 1945 ein oberschwäbisches Dorf vor der totalen Zerstörung

Gertrud Graf und Eugen Michelberger,

Am 27. April 1945 greifen franzö- sische Truppen den Ort Ziegelbach bei Wurzach an. Ein deutscher Stoßtrupp hatte tags zuvor einen französischen Panzer zerstört. Nun eröffnen die Franzosen das Feuer mit Phosphor- granaten. 16 Wohn- und Ökono- miegebäude stehen in Flammen, 120 Rinder, 18 Pferde und weitere Tiere verbrennen. In dieser scheinbar ausweglosen Situation retten zwei gefl üchtete KZ Häftlinge das Dorf. Sie gehen den französischen Truppen entgegen und bitten um Feuereinstel- lung. Der französische Befehlshaber bricht den Angriff tatsächlich ab. Die KZ Kleidung der beiden Bittsteller, ihr fl ießendes Französisch und die Tatsa- che, dass einige Ziegelbacher Einwoh- Bild aus dem Archiv von Gaston Polfer, der dazu schreibt: „Mein Vater mit seinem Lieferwagen ner mehrere KZ Häftlinge vor der SS vor der Nazi-Zeit. Er öffnete seine erste Bäckerei in seinem Geburtsort Pétange. Er hatte Kunden versteckt hatten, überzeugen ihn. Er in den umliegenden Dörfern. Dies tat er auch bis zu seiner Verhaftung. So konnte er Kontakte für stellt nur eine Bedingung – auf dem die Resistenz knüpfen, geheime Nachrichten verbreiten oder erhalten...“. Kirchturm muss eine weiße Fahne gehisst werden. wehr Ziegelbach und den Bericht von gründet er mit anderen die Wider- Bis vor wenigen Wochen war die Andreas Forderer zu den Ereignissen standsgruppe „LetzebuergerRoudeLe- Identität der Retter von Ziegelbach im April 1945. Gaston Polfer wurde we“ (Luxemburger Roter Löwe). Die unklar. Zeitzeugen berichteten, dass bewusst, wie mutig sein Vater im April „Roten Löwen“ machen es sich zur einer der KZ Häftlinge aus Luxemburg 1945 gewesen war und dass seine Aufgabe, Fluchtwege aufzubauen, pa- stammte und Bäcker war. Der andere, Identität den Ziegelbachern nicht triotische Flugblätter zu verteilen, poli- ein Zimmermann, sei aus Belgien bekannt war. Er beschloss, mit Andre- tische Flüchtlinge, Zwangsrekrutierte2 gewesen. Namen konnten sie nicht as Forderer Kontakt aufzunehmen. und französische Kriegsgefangene nennen. Von belgischen KZ-Häftlin- Dadurch erhielt der „Retter“ von zu verstecken und über die Grenze gen sind keine Listen zugänglich. In Ziegelbach 72 Jahre nach den Ereig- nach Frankreich zu bringen. Jean- den Listen der Luxemburger sind nissen einen Namen und ein Gesicht: Pierre Polfer verfügt über günstige mehrere Bäcker aufgeführt. Angehöri- Jean-Pierre Polfer aus Niederkorn in Voraussetzungen. Mit seinem Liefer- ge ließen sich bis vor kurzem aber Luxemburg (1909–1976). wagen kann er sich frei in der Region nicht ermitteln. bewegen. Die Bäckerei in Niederkorn Jean-Pierre Polfer, Mitglied der ist Zwischenstation auf dem Weg zur Über das Internet Kontakt gefunden Resistance in Luxemburg nahe gelegenen Grenze. Vor kurzem meldet sich Gaston Polfer Jean-Pierre Polfer wird 1909 in Pétan- aus Luxemburg beim Ziegelbacher ge in Luxembourg geboren. Er erlernt Verhaftung und Folgen Heimatforscher Andreas Forderer. den Beruf des Bäckers und eröffnet Im Sommer 1942 wird ein Mitglied Der Vater von Gaston Polfer war im ein Geschäft in seinem Heimatort seiner Widerstandsgruppe verhaftet Widerstand Luxemburgs aktiv gewe- Pétange und eines in Niederkorn. und verrät unter der Folter die Na- sen und dafür mit KZ-Haft bestraft Nach dem Einmarsch der deutschen men von anderen Aktiven. Nach der worden. Nach seiner Heimkehr sprach Wehrmacht am 10. Mai 1940 in Verhaftung Jean-Pierres führt sein Lei- der Vater selten über das Erlebte, Luxemburg weigern sich seine Frau densweg über die Gestapogefängnisse erwähnte aber die Flucht vom Todes- Marguerite und er, der V.D.B. (Volks- in Esch-Alzette und Luxemburg Stadt, marsch und die Rettung vor der SS deutschen Bewegung1) beizutreten, in das KZ Hinzert im Hunsrück. Wei- durch eine Familie in Ziegelbach. Bei für das Winterhilfswerk zu sammeln tere Stationen sind: das KZ Natzweiler der Suche im Internet stieß Gaston und sich in der Volkstumskartei regis- in den Vogesen, das Lager Obernai, Polfer auf die Homepage der Feuer- trieren zu lassen. Im Oktober 1941 die Außenlager des KZ Natzweiler:

22 Frommern, Dautmergen und Schöm- berg (Unternehmen „Wüste“)3. Seine Frau wird nicht verhaftet, erhält aber die Androhung, dass sie wie andere Angehörigen von Widerständlern für die Zwangsumsiedelung vorgesehen ist.4 Täglich wartet sie darauf, dass sie und der kleine Sohn Marcel abgeholt werden. Jeden Abend packt Marcel seine Spielsachen in einen kleinen Koffer, weil unsicher ist, was die Nacht oder der nächste Morgen bringen. Sie erfahren nie den Grund, weshalb sie der Maßnahme letztendlich entgehen.

Flucht auf dem Todesmarsch Am 17./18. April 1945 räumt die SS die „Wüste“-Lager. Ziel: die Haus und Bäckerei Knecht in Ziegelbach, in der Jean-Pierre auf der Flucht Unterschlupf fand und noch nicht besetzten Konzentra- wo er in der Bäckerei mithalf. Bildquelle: Andreas Forderer. tionslager, beziehungsweise die fi ktive „Alpenfestung“5. Der Weg später war. Es müsste aber an der mer der Familie Knecht ein, weil das der Schömberger Kolonnen führt Kreuzung gewesen sein. Als Verpfl e- Haus der Knechts als einziges in über Deilingen, Beuron, Pfullendorf, gung verfügen Jean-Pierre Polfer und Ziegelbach über ein Telefon verfügt. Ostrach, Altshausen, Aulendorf, seine Gruppe7 „noch über ein paar Unter der ständigen Gefahr entdeckt Waldsee, in die Gegend von Wurzach. ungekochte Nudeln und etwas zu werden, versorgt Berta Gotsch die An der Straßenkreuzung, zwischen getrocknete Bohnen. Unterwegs sieben Männer auf dem Heustock mit Ziegelbach und Wurzach, an der fi nden sie eine verrostete Blechdose, Lebensmitteln. Einige Tage später, am sich das „Schwarze Kreuz“ befi ndet, die sie mit Kieselsteinen reinigen. An 27. April, wird während des franzö- verlassen die Wachmannschaften einer Quelle im Wald machen sie sischen Angriffs auch das Dach der vorübergehend die Häftlingskolon- Feuer. Plötzlich hören sie Schüsse. Sie Bäckerei Knecht in Brand geschossen. nen, weil sie Angriffe französischer nehmen an, dass sich SS-Einheiten Die KZ Häftlinge verlassen ihr Ver- Truppen erwarten. Mehrere Hun- nähern und haben schreckliche Angst. steck und helfen beim Löschen. Einer dert Häftlinge wagen die Flucht. Sie Doch dann stellen sie fest, dass es von ihnen, ein Belgier, ist Zimmer- verstecken sich entlang der Bahnlinie sich nur um Hitlerjungen handelt, die mann. Er schlägt die brennenden Roßberg – Wurzach im Wurzacher mit zurückgelassenen Waffen Dachlatten mir einem Beil nach Ried, in Einzelhöfen und in nahege- „herumballern“.“8 außen. Die SS bestreicht während- legenen Dörfern. Andere trauen sich Es ist vermutlich die Nacht zum dessen das Dach mit Maschinenge- nicht zu fl üchten und verharren an 23. April, als Jean-Pierre Polfer und wehren. Der Belgier entgeht knapp dieser Straßenkreuzung. Sie fürch- seine Gruppe auf einen französischen den Kugeln. Nur das Beil wird getrof- ten erschossen zu werden, falls die Zwangsarbeiter treffen, der in der fen. Wachmannschaften zurückkehren. Bäckerei Knecht in Ziegelbach Tatsächlich kommen die Wachmänner zwangsverpfl ichtet ist. Sie bitten ihn Die Rettung von Ziegelbach nach einiger Zeit wieder und treiben um Hilfe. Er wendet sich an Berta Die Situation wird immer auswegloser. die noch verbliebenen Häftlinge wei- Gotsch, die Tochter des Bäckers.„Sie Jean-Pierre Polfer schlägt dem Belgier ter Richtung Allgäu, über Kempten, nimmt die sieben Männer auf, die vor, den französischen Truppen ent- Reutte in Tirol, Plansee, Garmisch, bis noch die „zebrafarbene“ Häftlings- gegen zu gehen, um eine Feuerein- Scharnitz. kleidung tragen und versorgt sie mit stellung zu erreichen. In KZ-Kleidung Jean-Pierre Polfer gehört zu den Kleidungsstücken ihres Mannes, der und mit einem weißen Tuch machen Mutigen. Mit einer Gruppe von sechs bei Leningrad gefallen ist. Danach sie sich auf den Weg. Die Maschi- anderen Häftlingen versucht er sich versteckt sie die Männer „in der nengewehre der Panzerbesatzungen durchzuschlagen. Er erwähnt auch Orbez, direkt unter dem Dach“ (auf sind auf sie gerichtet. Der ältere Sohn, einen Vater und seinen Sohn. Beide dem Heuboden). Einer, Jean-Pierre Marcel Polfer, zitiert die Erinnerung waren mit Jean-Pierre im KZ Schöm- Polfer, hilft in den nächsten Tagen in seines Vaters: “Mein Vater rief den berg und stammen ebenfalls aus der Bäckerei.“9 Zur gleichen Zeit sind französischen Soldaten zu: „Vive la Luxemburg. „Der Vater ist schwer in der Gegend SS Einheiten unter- France“. Ein Offi zier oder Panzer- angeschlagen, vollkommen erschöpft wegs, die versuchen, eine Verteidi- soldat ließ sich blicken und schrie und krank. Der Sohn bleibt mit ihm gungslinie gegen die französischen zurück: „Tu en veuxun?“ (Willst du zurück.“6 Jean-Pierre Polfer sagt nicht, Truppen aufzubauen. Ein Teil dieser einen davon haben?) Mein Vater: ob das am Schwarzen Kreuz oder SS-Einheit quartiert sich im Wohnzim- „De quoi?“ (Wovon?). Der Franzo-

23 eine Stelle als Hüttenarbeiter im Unternehmen HADIR. Im Sommer 1955 fährt er mit seiner Frau und mit seinem fünfjährigen Sohn Gaston nach Ziegelbach, um sich bei der Familie Knecht und deren Tochter Berta Gotsch zu bedanken. 2012 erneuert Gaston Polfer diese Reise. Das Haus mit der Bäckerei ist unbewohnt. Im Gasthaus „Adler“, gleich neben der früheren Bäckerei erfährt er, wo Berta Gotsch inzwi- schen wohnt. Es kommt zu einer bewegenden Begegnung. Leider bleibt der Kontakt nicht erhalten. Bei einem Zeitzeugengespräch 2013 erinnert sich Berta Gotsch an den Besuch „eines Elsäßers“, kann sich aber an den Namen nicht erinnern. Sie Malerei im Sitzungssaal des Rathauses von Ziegelbach, die an die dramatischen Ereignisse am 27. ist schon sehr krank und stirbt im April 1945 erinnert. Das Bild zeigt Pfarrer Wendelin Baumann und Augustine Strobel an der Dezember 2014. Feuerspritze. Die beiden Helfer tragen die gestreifte KZ-Häftlingskleidung. Bildquelle: Wolfgang Das ganze Leben Jean-Pierre Polfers Bodenmüller. ist überschattetet von den Erinne- rungen an die Zeit in den Konzentra- se: „Unfromage, imbécile!“ (Einen Tage ein deutsches Fernglas vom tionslagern. Er kann nie von seinen Käse, du Dummkopf!). Dann warf Haufen auswählen.“ Gaston Polfer Erlebnissen erzählen, ohne in Tränen der Franzose ihnen einen Käse zu spielte als Kind damit. Es steht noch auszubrechen. Deshalb fragen ihn und mein Vater bemerkte, dass vorne heute in seiner Bibliothek. seine Söhne später nicht mehr danach. auf dem Panzer noch viel mehr Käse Für seinen Mut und sein Wirken im lag.“10 Man darf annehmen, dass der Heimkehr Widerstand wird Jean-PierrePolfer mit Käse aus der kurz vorher zerstörten Als die Hauptgruppe der Franzosen mehreren hohen Orden13 des Groß- Käserei Abrell stammte. Kurze Zeit abrückt, bieten sie Jean-Pierre Polfer herzogtums Luxemburg und des später überbringt Jean-Pierre Polfer und seinen Kameraden die Gelegen- französischen Staates ausgezeichnet. die Nachricht an Berta Gotsch, jemand heit an, mitzukommen, zunächst auf Er stirbt am 5. August 1976. müsse eine weiße Fahne auf dem einem Panzer, später auf einem Last- Kirchturm hissen. Mit der Pfarrhaus- wagen. In der Liste zu den luxembur- Erklärungen /Ergänzungen hälterin Auguste Strobel steigt sie auf ger Häftlingen gibt Ernest Gillen für 1 Volksdeutsche Bewegung, „V.D.B.“: Mit gewaltigem Druck wurde versucht, die den Turm, der unter Dauerbeschuss Jean-Pierre Polfer den Befreiungsort Luxemburger zu bekehren, die sich gegen die der SS liegt. Dort befestigen die Sigmaringen an, setzt den Ort aber in Besetzung durch die deutsche Wehrmacht beiden Frauen ein Betttuch als weiße Klammer. In Sigmaringen gab es eine wehrten und sich einemAnschluss an das Fahne. Jetzt stellen die französischen Auffangstelle für befreite KZ-Häftlinge Deutsche Reich widersetzten. Mit dem Eintritt in die V.D.B sollten sie ihren guten Willen Truppen den Beschuss ein. (Displaced Persons). Es ist anzuneh- zeigen. Abends dringen noch einmal SS men, dass Jean-Pierre Polfers Gruppe 2 Zwangsrekrutierte: In Luxemburg wurden Männer ins Dorf ein und bedrängen dorthin gebracht und dort von den die Jahrgänge 1920–1927 zum Dienst in der die Bevölkerung. Schreiner Hofmaier französischen Behörden registriert Deutschen Wehrmacht verpfl ichtet. Es waren 10.211 Luxemburger, die zwangsrekrutiert und Berta Gotsch werden verhört, wer wurde. werden sollten. Mehr als ein Drittel weigerte die weiße Fahne gehisst habe. Der Am 8. Mai kommt Jean-Pierre Polfer sich, die deutsche Uniform zu tragen und Schreiner antwortet: „Ich weiß nicht, am Hauptbahnhof in Luxemburg tauchte unter. wer es war, aber die möchte ich nicht Stadt an. Seine Frau und sein Sohn 3 Unternehmen „Wüste“ – Deckname eines Industrieprojekts der Nationalsozialisten. Am 11 sein!“ – Einige Stunden später Marcel erwarten ihn. Marcel erkennt Nordtrauf der Schwäbischen Alb sollte aus übernehmen die französischen Trup- den Vater zuerst nicht wieder, weil der den Vorkommen des Posidonienschiefers Öl pen das Dorf. Gaston Polfer: „Alle so ausgezehrt und angegriffen ist. Es gewonnen werden. 1944 begann der Bau von konfi szierten und erbeuteten deut- folgt eine ärztliche Untersuchung im 10 Industrieanlagen. Zur Bereitstellung „billi- ger“ Arbeitskräfte entstanden 7 Konzentrati- schen Waffen und anderes leichtes Centre Accueil. Die Ärzte stellen ein onslager an der Bahnlinie zwischen Tübingen Kriegsgerät werden auf einen Haufen Nierenleiden als Folge der KZ-Haft und Rottweil: Bisingen, Erzingen, Frommern, im Dorf geworfen. Mein Vater führt und des Todesmarsches fest. Dormettingen, Dautmergen, Schömberg und dort ein längeres Gespräch mit einem Jean-Pierre Polfer arbeitet wieder als Schörzingen. 4 Zwangsumsiedelung: Angesichts der Reak- 12 französischen Offi zier. Er durfte sich Bäcker. Aber Mitte der 50er-Jahre gibt tionen aus der luxemburger Bevölkerung sah als Erinnerung an diese schrecklichen er sein Geschäft auf und übernimmt sich das NS Regime veranlasst, mit äußerster

24 Brutalität gegen jede Form von Widerstand mehrere Waggons mit „Schoka-Kola“ und vorzugehen. Tausende wurden verhaftet und Spinnstoffen. Es bleibt also offen, an wel- gefoltert. Hunderte starben in den Konzentra- chem Ort Jean-Pierre Polfer tionslagern. Viele Familien der „Resistenzler“ vorbeigekommen ist. Wurzach erscheint am wurden umgesiedelt, vorzugsweise nach wahrscheinlichsten. 1935 wurde Schoka- Schlesien. Die Männer wurden als Nacht- und Kola in Berlin von der Firma Hildebrand, Nebel-Häftlinge eingestuft. Das bedeutete Kakao- und Schokoladenfabrik GmbH spurloses Verschwinden in Konzentrationsla- erfunden. gern. Rückkehr unerwünscht. Bei den Olympischen Sommerspielen 1936 5 Alpenfestung: Der Gauleiter von Tirol, Franz wurde „Schoka-Kola“ als „Sportschokolade“ Hofer, richtete im November 1944 ein Memo- eingeführt. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie randum an Martin Bormann. Er empfahl darin als „Fliegerschokolade“ bezeichnet, da sie den Bau einer Festung nach dem Vorbild des Bestandteil der Verpfl egung der Luftwaffe, „Schweizer Alpenreduits“ (reduit = System der U-Bootbesatzungen und des Heeres von Festungsanlagen). Dorthin sollte sich die war.) deutsche Führung für den Endkampf zurück- Lebenslange Furcht vor Schäferhunden: ziehen. Martin Bormann leitete das Schreiben „Mein Vater liebte Hunde. Aber immer, allerdings erst Anfang April 1945 an Hitler wenn sich ein Schäferhund näherte, geriet weiter. er in Panik. Er hatte häufi g erlebt, wie die 6 Vater und Sohn bleiben zurück: Angeregt von Wachmannschaften in den Lagern und auf den Erinnerungen Jean-Pierre Polfer suchten dem Todesmarsch die Schäferhunde auf wir nach den beiden Luxemburgern. Die Häftlinge hetzten.“ Namen hatte er nicht genannt, wusste auch 8 Marcel und Gast Polfer, Erinnerungen, nichts über ihr weiteres Schicksal. Schließlich übermittelt an Gertrud Graf und Eugen fanden wir in den Listen von Professor Robert Michelberger, 2017 Steegmann (Strasbourg) und Ernest Gillen 9 Interview mit Berta Gotsch, 29.09.2013, (überlebender KZ-Häftling aus Luxemburg) Das Ehepaar und Jean-Pierre Polfer nach dem Todesmärsche durch Oberschwaben, aus einen Hinweis auf Vater und Sohn, die Zweiten Weltkrieg. Foto: Gastaon Polfer den Wüste-Lagern und dem Spaichinger gemeinsam den Todesmarsch ausgehend KZ-Außenlager, Gertrud Graf und Eugen von den Wüste-Lagern durchleiden muss- Michelberger, 2016 ten. In diesen Listen sind die luxemburger Luxemburg nach dem Einmarsch der 10 vgl. Anmerkung 8 KZ-Häftlinge genannt, deren Weg durch die Deutschen Wehrmacht am 10. Mai 1940: 11 vgl. Anmerkung 9 Lager nachweisbar ist. Ernest Gillen ver- „Mein Vater musste für das Winterhilfswerk 12 vgl. Anmerkung 8 merkt in seiner Liste zu Pierre Schiltz, geb. sammeln. In einem Wirtshaus hielten sich 13 Auszeichnungen für Jean-Pierre Polfer: am 6.6.1888: „in Scharnitz freigekommen“, ein paar Kollaborateure auf (auf Luxembur- La Médaille de l `0rdre de la Réstinace 1940- setzt „Scharnitz“ aber in Klammer. Zu Joseph gisch „Gielemännchen“, wegen der gelben 1945 Schiltz: geboren am 12.4.1921: „in Probstried Uniform). Als sie meinen Vater erblickten, La Médaille de la Reconnaissance Nationale in Freiheit gelangt“. machten sie sich über ihn lustig und meinten, de la Grand-Duché de Luxembourg Immo Opfermann aus Schömberg schreibt sie würden ihn auch noch in die die VDB La Médaille de l`Internement et de la Dépor- in seinem Begleitbuch zu der Ausstellung kriegen. Er warf ihnen dann die Sammelbüch- tation Croix de la L.P.P.D. „Das Unternehmen Wüste“ (Mai 2000): se vor die Füße und verließ das Lokal.“ La Médaille de la Reconnaissance Francaise „Pierre und Josef Schiltz kamen bis nach KZ Natzweiler: „Mein Vater wurde gezwun- La Médaille de la Libèration Probstried...“. Auf Rückfrage versicherte gen im Steinbruch zu arbeiten. Er war außer- La Médaille de l`Union Nationale des Pas- uns Immo Opfermann, 1995 habe er diese dem eingesetzt beim Galgenbau und beim seurs 1939–1945 Angaben direkt von René-Michel Schiltz, Transport der Leichen zum Krematorium. dem Bruder von Josef Schiltz, erhalten. Laut Die Leichen musste er dabei über den Boden Quellen Immo Opfermann war Josef Schiltz Student schleifen. Schon bald bekam er ernsthaft Marcel und Gaston Polfer, Erinnerungen, gesundheitliche Probleme. Sein Körper war der technischen Hochschule, Fach Elektro- übermittelt an Gertrud Graf und Eugen technik, in Luxemburg. Er wurde bereits 1941 übersät mit Bettwanzen und deren Bisse. Das Michelberger, 2017 verhaftet und war von November 1941 bis Jucken war nicht zu ertragen. Er fügte sich mit Mai 1942 im KZ Hinzert inhaftiert. Über das Hilfe von Rittersporn eine Wunde an einem Todesmärsche durch Oberschwaben, aus Stammlager Natzweiler kam er im Januar Fuss zu, um ins Lazarett verlegt zu werden den Wüste-Lagern und dem Spaichinger 1944 ins Außenlager Schömberg. Er erlangte und so den Wanzen zu entkommen. Aber dort KZ-Außenlager, Gertrud Graf und Eugen dort die Funktion eines Stubenältesten und gab es keine Medikamente. Die Wunde heilte Michelberger , 2016 konnte sich so für andere Häftlinge einsetzten. nicht. Er versuchte es schließlich mit Seife. Robert Steegmann, liste des détenus Pierre Schiltz, Schlachthofdirektor, war laut Das half. Das letzte Stückchen Seife behielt er luxembourgeois, 2005 Robert Steegmann am 6. Mai 1944 über bei sich und rettete es durch alle Schwierig- Ernest Gillen, Gestohlene Jugendjahre in Hinzert, Natzweiler nach Schömberg gebracht keiten bis nach Hause.“ (Rittersporn: in allen den Konzentrationslagern Natzweiler- Pfl anzenteilen, besonders aber in den Samen worden, wo er seinen Sohn antraf. Beide Struthof und Dachau, 1942-1945, überlebten den Todesmarsch und kamen nach sind giftige Alkaloide enthalten). saintpaulluxemborg, 2005 Luxemburg zurück. Zusammen mit Charles KZ Schömberg: „Die Arbeitskolonne meines Hausemer (luxemburger Häftling, Radiomon- Vaters wurde von englischen Flugzeugen Andreas Forderer, Im Wandel der Zeit, teur und Elektriker), gelang es Josef Schiltz, angegriffen.“ Ziegelbach 2010 im KZ Schömberg heimlich ein Radio zu Auf der Flucht nach Ziegelbach: „Mein Va- Wolfgang Bodenmüller, Zulassungsarbeit, basteln. Sie tarnten das Gerät mit einer klei- ter beobachtete Leute, die ein Wehrmachts- Ziegelbach Kreis Wangen – das Jahr nen Magarine-Holzkiste. Mit dem Radio war lager räumten.“ Nach den Aufzeichnungen 1945, Ziegelbach 1966 es möglich, Feindsender zu hören und sich in den Ortschroniken der Region gibt es drei über den Kriegsverlauf zu informieren. – Der Möglichkeiten: Am Bahnhof Wurzach war Bericht über den Radiobau ist in der luxem- ein Versorgungszug stehen geblieben, der burger Zeitung „Die Warte“ veröffentlicht, Fleisch- und Wurstkonserven geladen hatte erschienen im März 1995. und von der Bevölkerung ausgeräumt wur- 7 Erinnerungen Jean-Pierre Polfers, die er in de. Im Bahnhof Haidgau war ein Waggon den 50er-Jahren an seine Söhne weitergab. mit Werkzeugen für die Firma Maybach Marcel und Gaston Polfer erzählen: hinterstellt. In Roßberg allerdings standen

25 Im Andenken an Uta Hentsch Dieter Grupp, Bisingen

Am Donnerstag, 24. November 2016 Man kennt Bisingen und den ist Uta Hentsch im Alter von 77 Jah- Umgang Bisingens mit seiner Vergan- ren ihrer schweren Krankheit erlegen. genheit weit über den Ort hinaus. Das Mit ihr verliert der Verein Gedenk- ist zu einem großen Teil das Verdienst stätten KZ Bisingen e.V. nicht nur ein von Uta Hentsch. In ihrem letzten Gründungsmitglied, seine langjährige Lebensjahr wurde Uta Hentsch für Vorsitzende und Ehrenvorsitzende, dieses Engagement die Staufer-Medail- sondern auch seinen Spiritus Rector, le des Landes Baden-Württemberg für eine starke Persönlichkeit und warm- besondere Verdienste um das Land herzige Gefährtin. verliehen. Die Medaille und die Uta Hentsch hat unseren Verein mit dazugehörige Urkunde hat Uta aus der Taufe gehoben und war nach Hentsch dem Museum Bisingen zur der Gründung 2003 bis 2014 Vorsit- Ausstellung überlassen. zende. In diesen elfeinhalb Jahren hat Was hat Uta Hentsch angetrieben? sie alles, was der Verein auf die Beine Zum einen bestimmt Pfl ichtgefühl bei gestellt hat, wesentlich mitgetragen der Übernahme des Vorsitzes – denn und das meiste selbst auf den Weg wie es bei Vereinen so ist: einer muss gebracht. es ja machen. Das reicht aber nicht Uta Hentsch 1939-2016 Sie hat den Kontakt zu Überleben- aus, um ein Amt so lange mit solcher den gesucht, mit Shalom Stamberg Kraft auszuüben: Bei Uta kamen neben sogar den letzten uns noch bekannten mit Bisinger Klassen der Werkreal- diesem Verantwortungsbewusstsein lebenden Bisinger Zeitzeugen nach schule eine Gedenkstunde im Muse- noch eine tiefe Betroffenheit an- Bisingen gebracht und den Kontakt um durchzuführen. Mit ihrem Blog gesichts der nationalsozialistischen gehalten. Sie hat unzählige Veranstal- hat Uta Hentsch ein einzigartiges Menschheitsverbrechen und eine große tungen des Vereins konzipiert, mit digitales Archiv geschaffen, über das Menschen liebe, speziell für die jüdische organisiert und durchgeführt, hat in dieser Form keine andere Gedenk- Kultur, dazu. Schließlich ist da noch dafür die Experten und Referenten stätte verfügt (https://kzgedenkstaet- der tiefe Glauben an Gott, der ihr bei kontaktiert, hat sich immer wieder tenbisingen.com) – dafür hat sie sich Rückschlägen, zuletzt bei gesundheit- auch neue Formate überlegt, um an noch im fortgeschrittenen Alter auf lichen, geholfen hat, den Optimismus den Holocaust und die daraus entste- Neues, das Internet und seine schöp- zu bewahren und eine beneidenswerte hende Verantwortung zu erinnern. ferischen Möglichkeiten, eingelassen. innere Stärke zu entwickeln. Als Vorsitzende ist sie maßgeblich dafür verantwortlich, dass der Verein Gedenkstätten KZ Bisingen e.V. heute ein lebendiger und aktiver Verein ist. Darüber hinaus hat sie in der Gedenk- stättenlandschaft der Region mitge- wirkt, die Idee, einen regionalen Gedenkstättenverbund zu gründen, von Beginn an klar befürwortet und sich auch dort engagiert. Sie hat andere Gedenkstätteninitiativen in ihrer Arbeit unterstützt und war immer bereit, sich einzubringen, wenn es um die Themen Nationalsozialis- mus, Holocaust oder Israel ging. Nach außen hat Uta zur Gemeinde ein freundschaftliches und von Vertrauen geprägtes Verhältnis aufgebaut. Mit den Schulen des Umkreises hat Uta kooperiert, um Zeitzeugen zu vermitteln, in Bisingen So werden wir sie in Erinnerung behalten: Unsere Ehrenvorsitzende Uta Hentsch beeindruckte alle, initiierte sie die „Spurensuche-AG“ an die sie kannten, mit ihrem Enthusiasmus und ihrem unermüdlichen Engagement für die Erinne- der Realschule und begründete die rung an die Opfer des Nationalsozialismus und vor allem des Holocaust. Die Zusammenarbeit mit Tradition, am Holocaust-Gedenktag jungen Menschen war ihr dabei stets eine besondere Freude.

26 Tagung Der Umgang mit früheren KZ-Außenlagern nach 1945 Perspektiven des Erinnerns heute Samstag, 14. Oktober 2017, 9 – 18 Uhr, Bürgerhalle Tailfi ngen, Hauptstraße 35, 71126 Gäufelden-Tailfi ngen

Vormittag: Die Wirkungsgeschichte der früheren KZ-Außenlager in der Region und die Entstehung der Gedenkstätten in den 1980er- und 1990er-Jahren werden vorgestellt. Die Nachkriegsgeschichte bis zur Gründung der KZ-Gedenkstätten ist noch teilweise wenig erforscht bzw. kaum bekannt. Ein Einführungsvortrag zur Erinnerungskultur nach 1945 sowie ein Beitrag, der die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Vorgeschichte der KZ-Gedenkstätten in der Region behandelt, werden diesen ersten Teil der Tagung einrahmen. Nachmittag: Neue Bildungskonzepte in den KZ-Gedenkstätten sowie Angebote anderer Institutionen (Netzwerk für Demokratie und Courage, Schule, Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Dokumentationszentrum NS-Zwangsar- beit) werden am Nachmittag in acht Workshops präsentiert. Gemeinsam mit der abschließenden Podiumsdiskussion sollen Impulse für eine Zukunft des Erinnerns gesetzt werden, die vor allem auch die Bedürfnisse junger Menschen berücksichtigen.

Der schwierige Weg des Er- Gerhard Lempp, KZ-Gedenkstätte ligen Außenlager des KZ Natzweiler- innerns und die langwierige Eckerwald: Der Gedenkpfad Ecker- Struthof nach 1945. wald und seine Vorgeschichte Entstehung der KZ-Gedenk- 13.00 Uhr – Mittagspause stätten Dr. Michael Walther, Arbeitskreis „Wüste“ Balingen: Gleichgültigkeit 9.00 Uhr – Begrüßung, Tagungshin- Zukunft des Erinnerns – neue und Verdrängen – die KZ-Außenlager weise, Grußworte Bildungs- und Vermittlungs- in Erzingern und Frommern und der ansätze 9.15 Uhr – Prof. Dr. Volkhard Knigge, Arbeitskreis „Wüste“ Balingen KZ-Gedenkstätte Buchenwald: Immo Opfermann, Arbeitskreis „Wü- 14.00 bis 16.30 Uhr – acht Work- Erinnerungskultur in Deutschland von ste“ Balingen: Der Gedenkpfad beim shops (nach einer Stunde gibt es 1945 bis in die 1990er-Jahre Schiefererlebnis Dormettingen einen Wechsel, so dass alle Teilneh- 10.15 Uhr – Dr. Andreas Zekorn, menden zwei unterschiedliche Work- Volker Mall, KZ-Gedenkstätte Hail- Kreisarchiv im Zollernalbkreis: Erste shops besuchen können. fi ngen-Tailfi ngen: Beschwiegen und Spuren des Gedenkens und Erinnerns. verdrängt – Der lange Weg zur Errich- Geschichte und Wandel der KZ- 17.00 bis 18.00 Uhr tung einer Gedenkstätte für die Opfer Friedhöfe Podiumsgespräch: des Konzentrationslagers Hailfi ngen/ Wie sehen KZ-Gedenkstätten der 11.00 bis 13.00 Uhr – sechs Kurz- Tailfi ngen Zukunft aus? vorträge zur Geschichte der früheren Moderation: Sibylle Thelen, Landes- Marco Brenneisen, Historiker, Mann- KZ-Orte seit 1945 zentrale für politische Bildung Ba.Wü. heim: Alles gleich? Die Entwicklung Teilnehmende: Prof. Dr. Volkhard Doris Astrid Muth, KZ-Gedenkstätte der früheren KZ-Orte in Bisingen, Knigge, Dr. Christine Glauning, Eber- Bisingen: Vom „Nestbeschmutzer“ Eckerwald, Balingen, Dormettingen hard Abele (Kompetenzzentrum Schu- bis zur Stauffermedaille. Phasen der und Hailfi ngen-Tailfi ngen im Spiegel le), Andreas Kroll, ein(e) Jugendguide Erinnerungsgeschichte in Bisingen der Wirkungsgeschichte der ehema-

TeilnehmerInnen: Die Tagung richtet sich an Lehrerinnen und Lehrer, Studierende, junge Menschen, Mitglieder der Gedenkstätten, VertreterInnen aus Politik, Kirchen, Verbänden sowie an alle interessierten Bürgerinnen und Bürger. Anmeldung zur Tagung: Die Teilnahme an der Tagung ist kostenlos, Ihre Anmeldung ist jedoch per email erforderlich: [email protected] Anmeldeschluss: 7. Oktober 2017 Auf der Tagung wird ein Mittagessen (vegan / vegetarisch / nicht vegetarisch) für 5 Euro angeboten. Telefonische Auskunft über 0174-3046043.

Die Tagung wird gefördert von: Gemeinde Gäufelden

27 Werner Josef Minden und seine Familie – erneute Recherche nach acht Jahren Volker Mall, Herrenberg

Harald Roths und meine Recherchen years. Occupation: Butcher. This Am 6. August 1941 wurde er wahr- zu Werner Josef Minden waren in den person lived alone or no information scheinlich entlassen und ging zurück letzten 8 Jahren nur teilweise erfolg- about family members is known or nach Deutschland, nach Enschede. reich gewesen. traceable. (http://www.joodsmonu- Dort wurde er wohl erneut festge- Das Kreisarchiv Lübeck hatte uns im ment.nl/person/461591?lang=en) nommen und am 26. März 1943 Dezember 2008 mitgeteilt: Leider sind wieder nach Westerbork geschickt. die Daten zu seiner Person nicht sehr Die Anfrage einer Verwandten im Am 15. Mai 1943 konnte er Wester- umfangreich. Ergänzt durch die Herbst 2016 führte zu einer erneuten bork erneut verlassen und ging nach Informationen aus anderen Quellen Recherche, deren Ergebnis hier vor- Amsterdam. Von dort kam er in das konnte ich lediglich folgendes fest- gestellt wird. Für wichtige Hinweise KZ Vught (Herzogenbusch) und am 2. stellen: Werner Josef Minden, geb. bedanken wir uns bei Gerhard Scheu- März 1944 zum dritten Mal nach 10.1.1909 in Erkenschwick, Kreis rich (Neumünster), der in jahrelanger Westerbork. Einen Tag später wurde Recklinghausen, Beruf: Schlachter, akribischer Arbeit das Schicksal von er von dort nach Auschwitz depor- verh. mit Hanna Gerda Therese Jenni Werner Josefs Bruder Egon erforscht tiert. Meyer, geb. 30.12.1908 in Bremerha- hat. Then he was probably fi red. He ven. Das Ehepaar hat sich am Inzwischen gab es im Gedenkbuch went to the city Enschede. On 6.5.1936 von Bremerhaven kommend des Bundesarchivs neuere Angaben zu 1943-03-26 he was sent again to unter der Adresse Fünfhausen 5 in einigen Familienmitgliedern (s.u.). Westerbork. On 1943-05-15 he Lübeck polizeilich gemeldet und ist Über Werner Josef Mindens Aufent- went to Amsterdam. From here to laut Meldekarte im Juli 1939 nach halt in Westerbork bekamen wir im KL Vught (KZ Herzogenbusch). Then Brasilien ausgewandert. Juli 2016 wichtige Informationen. Im for the third time to Westerbork on Das Stadtarchiv Oer-Erkenschwick September 2016 Zeit erhielten wir 1944-03-02. A day later he was sent schrieb uns am 1.10.2012, dass die vom Stadtarchiv Bremerhaven eine to Auschwitz. (Mitteilung Guido Familie Minden in keiner alten Melde- Fülle von Kopien von Dokumenten. Abuys, Archiv Herinneringscentrum datei zu fi nden sei. Gleichzeitig Kamp Westerbork, am 26.7.2016). er hielten wir eine Kopie der Geburts- Werner Josef Minden wurde am In Auschwitz kam er am 5.3.1944 urkunde: 10.10.1909 als Sohn von David und an und erhielt die Nummer 174 793. Am 15. Oktober 1909 zeigt die Rosa Minden, geb. Markus, in Erken- 5. März. Mit einem Transport des Hebamme Lina Glitsch vor dem schwick geboren. Er war Metzger. RSHA aus Holland sind 732 Juden Standesbeamten die Geburt des 1919 zog die Familie nach Boostedt, aus dem Lager Westerbork eingetrof- Knaben Werner Josef am 10. Oktober 1921 nach Bad Bramstedt und am fen. Nach der Selektion werden 179 1909 um 9 1/2 vormittags an. Eltern: 17.5.1929 nach Neumünster. Von Männer, die mit den Nummern Rosa Minden, geb. Markus, Ehefrau dort zog Werner Josef Minden nach 174684 bis 174862 gekennzeichnet des Kaufmanns David Minden, beide Bremerhaven und fuhr zur See. Er wurden … als Häftlinge in das Lager israelitischer Religion, wohnhaft in heiratete am 19.7.1933 Herma eingewiesen. Die übrigen 477 Men- Erkenschwick (Landgemeinde Reck- Minden geb. Meyer, eine Nichtjüdin, schen werden in den Gaskammern linghausen), Stimbergstr. 100. geboren am 30.12.1908 in Bremerha- getötet. (Danuta Czech: Kalendarium Am 13. Januar 1939 wurde in dieser ven, Beruf „Hausmädchen/Hausange- der Ereignis im KZ Auschwitz-Birkenau Geburtsurkunde wie bei allen „reichs- stellte“. Das Paar wohnte in Bremer- 1939-1945, Reinbek 2´ 2008, S. 733). deutschen“ Juden der standesamtliche haven und in Lübeck. Eintrag gemacht, dass Werner Josef Das Kreisarchiv Lübeck hatte uns ja Am 28.10.1944 wurde er nach Stutt- Minden zusätzlich den Namen im Dezember 2008 mitgeteilt, das hof transportiert (Stutthofnummer 99 „Israel“ angenommen hat. Dieser Ehepaar sei im Juli 1939 nach Brasilien 810) und von dort im November 1944 Randvermerk wurde am 4. November ausgewandert. Ausgewandert ist nur in das KZ Außenlager Hailfi ngen/Tail- 1946 von Amts wegen wieder ge- die Ehefrau. Warum Werner Josef fi ngen. Im Natzweiler Nummernbuch löscht (auf Anordnung des Oberpräsi- Minden nicht mitgegangen ist, ob er steht 40 763 R.D. (Reichsdeutscher) denten der Provinz Westfalen gemäß sich von ihr getrennt hat, um sie zu Minden, Werner, 10.10.09, gest. §134DA). schützen, konnte nicht geklärt wer- 1.2.45. In Joodsmonument fanden wir zu den. Werner Josef Minden ist in die Am 1.2.1945 ist er in Hailfi ngen Werner Josef Minden die dürftige Niederlande emigriert und lebte als gestorben und wurde im Massengrab Angabe: Oer-Erckenschwick, 10 Metzger in Amsterdam und Tilburg. beigesetzt. October 1909 – Midden-Europa, 30 Von Tilburg kam er am 9.12.1940 in Am 2. Juni 1945 wurde er auf den January 1945. Reached the age of 35 das „Durchgangslager” Westerbork. Tailfi nger Friedhof umgebettet. Auf

28 Häftlingspersonalkarte Stutthof der Namenstafel dort und auf dem Mahnmal wird an ihn erinnert. Herma Minden lebte nachweislich – zuletzt unter ihrem Mädchennamen Meyer – 1959 in Sao Vicente/Sao Paulo. Sie hatte am 30.1.1930 einen Sohn Waldemar bekommen, dessen Ausschnitt aus dem Natzweiler Nummernbuch Vater vielleicht Werner Josef Minden ist. Allerdings ist er in Waldemars Geburts- und in dessen Heiratsurkun- de (1953) nicht als Vater eingetragen. Waldemar Meyer lebte nachweislich von 1930 bis 1933, 1941 und 1953 in Bremerhaven. Zuletzt wohnte er in Osterholz-Scharmbeck und ist dort am 6.9.2006 gestorben. Er hat eine verheiratete Tochter und mehrere Enkel. Werner Josef Mindens Mutter Rosa geb. Marcus, geboren am 19.8.1883 in Koblenz, wurde am 11. Juli 1942 aus Neumünster kommend in einem Sammeltransport von Hamburg/ Bielefeld-Berlin nach Auschwitz Ausschnitt aus der Namenstafel auf dem Tailfi nger Friedhof deportiert. In Nordwestdeutschland wurden Teiltransporte aus Hamburg, Meck- hatten 294 eine Hamburger Adresse, Provinz Posen (heute: Budzyn, lenburg und Braunschweig zusam- 2 Personen kamen aus Celle, und je 1 Westpolen) ist am 21.1.1942 in mengestellt. Dem Hamburger Depor- Person aus Lüneburg, Neumünster Hamburg gestorben. tationszug war zuvor der Teiltransport und Berlin. (http://www.statistik-des- Werner Josef Minden hatte neun aus Westfalen zugeführt worden. … holocaust.de/list_ger_wfn_420710. Geschwister: Aufgeführt sind die Namen von 305 html) – Erwin Moses Minden wurde am Personen, von denen 6 gestrichen Werner Josef Mindens Vater David 10. März 1908 in Recklinghausen wurden. Von den 299 Deportierten Minden, geb. am 5.5.1877 in Budsin, geboren und wohnte in Neumün-

29 ster, Lübeck und Bremerhaven. Er Egon Minden kam von Auschwitz 5. Dezember 1941 in Essen, am war ebenfalls Metzger, war ledig nach Flossenbürg und am 7. März 22.4.1942 von Essen ins KZ Izbica und fuhr zur See. Am 29. Juni 1936 1945 nach Bergen-Belsen, wo er bei Lublin deportiert und ist dort emigrierte er in die Niederlande und gestorben ist. verschollen. wurde von dort nach Kriegsbeginn – Herbert Minden wurde am 1.1.1916 Im Gedenkbuch des Bundesarchivs nach Frankreich abgeschoben. Am in Erkenschwick geboren. Er hat heißt es zu Erich Cussel: 27. März 1942 wurde er im er- eine Bäckerlehre gemacht und war Deportation ab Düsseldorf am 10. sten Konvoi von Compiègne nach Mitglied der KPD. Ende Mai 1933 November 1941, Minsk, Ghetto; Auschwitz deportiert, wo er am 21. fl üchtete er nach Holland; er wurde 21. April 1942, Izbica, Ghetto, 4. April 1942 starb. interniert und nach Frankreich abge- August 1944, Flossenbürg, Kon- 30. März …1112 Juden, die mit schoben. Über Sainte Livade-Ville- zentrationslager; 21. August 1944, einem Transport des RSHA aus mur kam er nach Gurs. Von Drancy Natzweiler, Konzentrationslager. dem Lager Compiègne eingewiesen wurde er im 17. Transport am 10. Am 25.8.1944 kam er von Flos- worden sind … stammen aus ver- August 1942 nach Auschwitz de- senbürg in einem großen Transport schiedenen europäischen Ländern portiert, wo er wahrscheinlich sofort in das Lager Urbès bei Colmar. In und sind in Paris am 14. Mai, 20. ermordet wurde. einem Eisenbahntunnel gab es dort August und 12. Dezember 1941 12. August 1942 … Mit einem ein Außenlager des KZ Natzweiler- verhaftet worden. Die einen sind Transport des RSHA … sind 1006 Struthof, in dem 2000 Zwangsar- im Lager Drancy und die anderen in Häftlinge aus dem Lager Drancy beiter Flugzeugmotoren für Daimler Compiègne gefangengehalten wor- eingetroffen. … Fast alle wurden Benz herstellten. (Steegmann). den. Dies ist der erste Massentrans- im Deutschen Reich geboren. Nach Zum Sohn Berl heißt es im BA: port von Juden aus Frankreich, die der Selektion werden 140 Männer Deportation ab Düsseldorf, in Auschwitz eintreffen und noch … in das Lager eingewiesen. Die 22. April 1942, Izbica, Ghetto keiner Selektion unterzogen worden übrigen 766 Deportierten werden Schicksal: für tot erklärt. sind. (Czech S. 193) in den Gaskammern getötet. (Czech – Egon/Salomon Minden wurde am S. 271). Quellen: 1. März 1904 in Herten/Reckling- – Lothar Minden wurde am Gerhard Scheurich: Ein Stolperstein mit hausen geboren und wohnte in 15.4.1924 in Bad Bramstedt gebo- Fragezeichen. Neumünster 3´ 2016. Emmerich, Hamburg, Neumünster ren. Er konnte 1939 nach England Natzweiler Nummernbuch (dort R.D. und Bremerhaven. Er war Land- emigrieren und diente als Johnny = Reichsdeutscher, nur ein Vorname Werner) wirtschaftsgehilfe und fuhr zur Milton in der britischen Armee. Häftlingspersonalkarte Stutthof I-III 27 172 See. Er heiratete Bianca Amanda – Auch die Schwestern Eva Danuta Czech: Kalendarium der Ereignisse Ida Schlüter, geb. am 31.3.1908 in (*22.2.1921 in Bad Bramstedt) im Konzentrationslager Auschwitz-Birke- Groß Kummersfeld. Das Paar hat und Ruth (*11.8.1919 in Boostedt) nau 1939-1945, Reinbek bei Hamburg, eine Tochter Ruth Helene, geb. am konnten 1939 nach England emi- 2´ 2008 8.12.1928. Nach der Reichspogrom- grieren. Eva Jeger, geb. Minden StA Oer-Erkenschwick nacht war er bis zum 28. November ist am 17.8.2013 in Biel (Schweiz) StA Lübeck StA Bremerhaven 1938 im KZ Oranienburg inhaftiert. gestorben. StA Osterholz-Scharmbeck Er emigrierte am 29. April 1939 – Die Schwester Erika ist 1936 mit Archiv Erinneringscentrum Kamp Wester- nach Belgien, wurde nach Fran- ihrem Mann Eduard Frankenberg bork kreich abgeschoben und am 7. nach Belgien emigriert. Sie wurde Liste Natzweiler Nummernbuch/Robert September 1942 im 29. Konvoi von von belgischen Freunden versteckt Steegmann (unveröff.) Drancy nach Auschwitz deportiert. und hat überlebt. Das Paar hat 2 8. September … Mit dem 29. Trans- Kinder, Sonja und Manfred. Die Bundesarchiv: port des RSHA aus Frankreich sind Familie lebte nach dem Krieg kurz in http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/ de931356: Minden, Werner Josef Joseph Wuppertal und wanderte 1951 nach 1000 jüdische Männer, Frauen und http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/ Kinder aus dem Lager Drancy einge- Australien aus (Melbourne). de931336: Minden, Egon troffen. Eine erste Selektion, bei der – Alice/Bertha Spitz, geb. Minden, http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/ wahrscheinlich etwa 200 Männer geboren am 15.11.1906 in Herten, de931339: Minden, Erwin Moses für die Organisation Schmeldt aus- wurde zusammen mit 5 ihrer 6 http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/ gesucht worden sind, ist in Cosel Kinder am 6.12.1941 von Hamburg de931346: Minden, Markus Marcus Max (Koz´le in Oberschlesien) durchge- ins Rigaer Ghetto deportiert und ist http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/ de931350: Minden, Rosa führt worden. Nach der Selektion dort verschollen. http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/ auf der Ausladerampe in Auschwitz – Hella/Helene Cussel, geb. Minden, de906984: Cussel, Berl werden 59 Männer … sowie 52 geboren am 2.6.1918 in Erken- http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/ Frauen … als Häftlinge in das Lager schwick, wurde zusammen mit ih- de906996: Cussel, Erich eingewiesen. Die übrigen etwa 689 rem Ehemann, Erich Cussel, geboren Menschen werden in den Gaskam- am 17. November 1915 in Essen, mern getötet. (Czech S. 297) und ihrem Sohn Berl, geboren am

30 „Der Liebe wegen“ – ausgegrenzt und verfolgt im deutschen Südwesten

Zum Gedenktag an die Opfer des Na- tionalsozialismus am 27. Januar 2017 präsentierten Rosa Hilfe Freiburg e. V. und Weissenburg e. V., Stuttgart, das Internetprojekt „Der Liebe wegen“ (www.der-liebe-wegen.org).

Mit der Webseite werden Lebensas- pekte von Menschen sichtbar, die wegen ihrer Liebe und Sexualität in der heutigen Region Baden-Württ- emberg ausgegrenzt, gedemütigt und verfolgt wurden. Im Mittelpunkt steht die digitale Gedenkkarte „Namen und Gesichter“. Auf ihr werden über 250 Einzelschicksale von Menschen bei jenen Orten von Baden-Württemberg angezeigt, in denen diese geboren wurden, ihren letzten Wohnsitz hat- ten, hier verhaftet, verurteilt und/oder in ein Strafgefangenen- oder Kon- zentrationslager eingewiesen wurden. Eingangsebene der Gedenkkarte der Webseite „DER LIEBE WEGEN“, auf der man Menschen Viele von ihnen haben die nationalso- fi nden kann, die wegen ihrer Liebe und Sexualität in der heutigen Region Baden-Württemberg zialistische Diktatur nicht überlebt. ausgegrenzt, gedemütigt und verfolgt wurden. „Erstmals werden zahlreiche Scans von Originaldokumenten veröffent- ermöglicht. Projektbeteiligte sind: für dieser beiden Geschlechter anzugehö- licht, die zum Beispiel die Einweisung „Geschlechts- & Familienbilder und ren, wird als weit verbreitete Fehlan- in ein Konzentrationslager durch die (Un-)Sichtbarkeit frauenliebender nahme kritisiert. Durch diesen weiten regionale Polizeidienststellen belegen Frauen“ Claudia Weinschenk, für Blick hoffen wir, dazu beizutragen, oder Häftlings-Personal-Karteien und „Die Geschichte der Ausgrenzung und dass rückwärtsgewandte Sexualitäts-, Todesmeldungen aus den Konzentra- Verfolgung homosexueller Männer“ Geschlechts- und Familienbilder tionslagern zeigen. Für die Nach- Werner Biggel, Ralf Bogen (Projekt- heute nicht wieder von rechtspopuli- kriegszeit wird sichtbar, dass Baden- leitung), Rainer Hoffschildt (dessen stischen und neonazistischen Kräften Württemberg bei der Ausgrenzung außeruniversitäre Forschung seit 1987 für demokratiefeindliche Zwecke und Verfolgung ganz vorne mit dabei wesentliche Grundlage der Gedenk- instrumentalisiert werden können, war. Dafür stehen polizeiliche Licht- karte ist), Jens Kolata und William sondern stattdessen die Akzeptanz bildersammlungen, der Einsatz von Schaefer (Mitinitiator des Homepage- menschlicher Liebes- und Lebensviel- V-Männern, annähernd 20.000 projekts) und für „Exkurs Geschlecht falt nachhaltig gestärkt wird“, so Ermittlungsverfahren zwischen 1953 & Minderheiten“ Kim Schicklang und Mathias Falk vom Vorstand der Rosa und 1969 und im Bundesvergleich Christina Schieferdecker. Hilfe Freiburg e. V. überdurchschnittlich hohe Verurtei- „Der Inhalt der Webseite macht lungszahlen, Extrabehandlungen in deutlich, warum Repressionen gegen Ansprechpartner: Ralf Bogen, Lei- den Gefängnissen wie zum Beispiel Lesben nicht mit der Verfolgung von tung des Internetprojekts „Der Liebe monatelange Isolationshaft, angeblich Schwulen gleichgesetzt werden wegen“, Email: kontakt@der-liebe- ‚freiwillige‘ Kastrationen noch im können, sondern unter anderen wegen.org Jahre 1968“, hebt Joachim Stein vom Prämissen und nur im Kontext mit Joachim Stein, Vorstand Weissenburg Vorstand des Weissenburg e. V. den vom Nationalsozialismus ge- e. V., Weissenburgstr. 28 A, hervor. prägten, ausgrenzenden Geschlechter- 70180 Stuttgart, www.zentrum-weis- Das Projekt wird im Rahmen des und Familienbilder zu verstehen sind. senburg.de), Email: joachim.stein@ 2015 verabschiedeten Aktionsplans Dass es möglich sein soll, das Ge- zentrum-weissenburg.de für Akzeptanz und gleiche Rechte schlecht jedes Menschen auf der Basis Mathias Falk, Vorstand Rosa Hilfe vom Sozial- und Integrationsministeri- von körperlichen Untersuchungen zu Freiburg e. V., Adlerstraße 12, um Baden-Württemberg und durch bestimmen, dass nur zwei Geschlech- 79098 Freiburg im Breisgau, eine Spende der Initiative Lern- und ter (,Frau‘ und ‚Mann‘) existieren und www.rosahilfefreiburg.de, Gedenkort Hotel Silber e. V. fi nanziell dass es im Interesse aller ist, einem Email: [email protected]

31 Luthers Judenhass überwinden – eine Einmischung zum Reformationsjubiläum Heinz Högerle, Horb-Rexingen

Seit vielen Jahren beschäftigen sich an sich auch Juden einmischen und daran Orten ehemaliger jüdischer Gemeinden erinnern, was Luthers Lehre für Juden in Hohenzollern und am Oberen Neck- vom 16. Jahrhundert bis heute ar Mitglieder und Freunde von Syna- bedeutete. In Bezug auf Luthers gogen-Gedenkstätten mit dem Leben Schrift „Von den Juden und ihren jüdischer Familien. Die ehemals stolzen Lügen“ betont Micha Brumlik wie jüdischen Gemeinden existieren heute schon der Philosoph Karl Jaspers nicht mehr. Ihre Menschen fl ohen aus 1962, dass kein Zweifel daran beste- NS-Deutschland. Ab 1941 wurden die hen kann, „dass diese Schrift – mit Zurückgebliebenen deportiert und in Ausnahme der Gaskammern – eine den Lagern im Osten ermordet. Blaupause all jener verbrecherischen Das Nachdenken und Forschen über Maßnahmen – von der Verbrennung die Frage: Wie konnte das geschehen? von Synagogen über die Zwangsarbeit macht sensibel. Es prädestiniert die bis hin zur Vertreibung – enthält, die Gedenkstätten, sich in die Jubiläums- das nationalsozialistische Deutsch- feierlichkeiten zum 500. Jahrestag des land Europas Juden antat.“ Beginns der Reformation einzumischen Rabbiner Andreas Nachama, Präsi- und sich mit der Person Martin Luther dent des Deutschen Koordinierungs- intensiver zu beschäftigen. Denn rates der Gesellschaft für Christlich- Bei Martin Luther fand der Historiker Heinrich Martin Luther spielt im Reformations- Jüdische Zuammenarbeit, ergänzte in von Treitschke 1879 die Parole: „Die Juden jubiläum die zentrale Rolle. Es gibt der „Jüdischen Allgemeinen“ (Ausga- sind unser Unglück“. Julius Streicher ließ sie praktisch kein Faltblatt, kein Plakat der be 9/2017): „Vor 84 Jahren – 1933 bis Februar 1945 jede Woche auf das Hetzblatt Evangelischen Kirche in Deutschland – wurde anlässlich des 450. Geburts- „Der Stürmer“ drucken. (EKD) zur Reformation, auf dem tages Martin Luthers am 10. Novem- dem Teufel keinen giftigeren Feind Luther nicht als ber mit einer antisemitischen Groß- hast, denn einen rechten Juden“. Logo erscheint. Es veranstaltung im Berliner Sportpalast Danach wird Joseph Süß Oppenhei- gibt das Pop-Ora- gefeiert. Am 9. und 10. November mer gehängt. Der Film wurde von den torium Luther, 1938 gab es jenes „Feuerwerk“ zum Nazis eingesetzt, um die nichtjüdische beim dem Tausen- Geburtstag des Reformators, der ... Bevölkerung auf die Deportationen de aktiv mitwirken das Niederbrennen von Synagogen ihrer Nachbarn vorzubereiten. und sich an Martin angeregt hat.“ Josel von Rosheim (1476 -1554), zu Luther begeistern. Micha Brumlik und Rabbiner Luthers Lebzeiten Sprecher und Es gibt Luther- Nachama haben Recht. Die Nazis Anwalt der jüdischen Gemeinden in Socken, im liebten Martin Luther. Bis Mai 1945 Deutschland, war ständig mit Ver- Kirchenbezirk Sulz wird, kirchlich stand auf jedem Titelblatt des NS- leumdung, Vertreibung, Raub und abgesegnet, von einer Bauerei Luther- Propagandablattes „Der Stürmer“: Mord konfrontiert. Er trat den Lügen Bier gebraut etc. – Luther sells. „Die Juden sind unser Unglück“. über Ritualmorde und Hostienschän- Micha Brumlik, der ehemalige Leiter Aufgeschrieben hatte dies Martin dungen entgegen und riskierte sein des Fritz-Bauer-Instituts, schrieb in der Luther 1543 in seiner Hetzschrift Leben, um jüdische Menschen zu „Jüdischen Allgemeinen“ (Ausgabe „Von den Juden und ihren Lügen“. retten. Unterstützt vom Straßburger 44/2015), es könne „keineswegs die Dort heißt es: „... denn sie (die Juden) Reformator Wolfgang Capito suchte Rolle von Juden sein, beim öffent- sind uns eine schwere Last, wie eine er 1537 das Gespräch mit Martin lichen „Gedenken“ an Luther mitzu- Plage, Pestilenz und eitel Unglück in Luther, das dieser verweigerte. Die wirken: Verstehen wir doch im unserm Lande.“ Es folgte der Maß- zitierte Hetzschrift von Luther führte Allgemeinen unter „Gedenken“ einen nahmenkatalog, der sich wie das nach 1543 zu Mord und Totschlag. verinner lichenden, trauernden und Drehbuch für die Pogrome am 9. Josel von Rosheim konnte verhindern, auch erhebenden, einen, sei es November 1938 liest, an dem in dass die Schrift in Straßburg nachge- religiösen oder auch weltlichen, Deutschland die Synagogen brannten. druckt werden durfte. So wurden liturgisch gestalteten Bezug auf die Im NS-Progagandafi lm „Jud Süß“, Menschenleben gerettet. Opfer der Geschichte – Opfer, zu lässt Joseph Goebbels den württem- Die deutsch-jüdische Historikerin denen Martin Luther in keiner Weise bergischen Landschaftskonsulenten Selma Stern legte mit ihrer 1959 gehört.“ Sturm Martin Luther zitieren: „Darum erschienenen Biografi e über Josel von Micha Brumlik plädiert dafür, dass wisse, du lieber Christ, dass du nebst Rosheim eine grundlegende Darstel-

32 lung.. der Situation der Juden in „Wir stellen uns in Theologie und Dr. Michael Volkmann in dieser Deutschland zur Zeit der Reformation Kirche der Herausforderung, zentrale Hinsicht große Verdienste erworben. vor. Sie gab in ihrem Werk auch eine theologische Lehren der Reformation Als Beauftragter der Evangelischen differenzierte Beschreibung von Kaiser neu zu bedenken und dabei nicht in Landeskirche in Württemberg für das Karl V., der sich immer wieder schüt- abwertende Stereotypen zu Lasten Gespräch zwischen Christen und zend vor die Juden stellte, die er als des Judentums zu verfallen.“ Juden macht er diese Erklärung Bürger des römischen Reiches deut- „Das weitreichende Versagen der bekannt und klärt über die Schatten- scher Nation behandelte. Bei Selma Evangelischen Kirche gegenüber dem seiten des Reformators auf. Stern wird auch deutlich, dass sich jüdischen Volk erfüllt uns mit Trauer Dr. Volkmann hat eine Ausstellung Luthers Judenhass keinesfalls allein und Scham.“ der Nordkirche gefunden, die sich aus seiner Zeit erklären lässt, denn „Das Reformationsjubiläum im Jahr kritisch und grundlegend mit der Zeitgenossen Luthers wie Johannes 2017 gibt Anlass zu weiteren Schrit- Haltung von Martin Luthers zum Reuchlin oder Andreas Osiander ten der Umkehr und Erneuerung.“ Judentum und zu seinen jüdischen traten mutig für die Religionsfreiheit Diese ermutigende Erklärung der Mitmenschen auseinandersetzt. der Juden ein. EKD hat leider eine große Schwäche. Die Synagogengedenkstätten im Große Teile der evangelischen Sie ist an der Kirchenbasis fast nicht Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar- Kirche im 19. und 20. Jahrhundert bis bekannt. Es wäre eigentlich die Alb haben sich entschlossen, in den nach 1945 haben den judenfeind- Aufgabe der Landeskirchen, jedem Jahren 2017 und 2018 diese Ausstel- lichen Luther neu entdeckt. Jedoch Kirchenmitglied diese Erklärung lung in möglichst vielen Orten mit nicht um ihn zu verurteilen, sondern zukommen zu lassen. Jede Pfarrerin Synagogenvereinen zu zeigen. Sie um ihm nachzufolgen. Diese beängsti- und jeder Pfarrer sollte diese Erklärung wird dabei durch unsere eigenen gende Entwicklung hat Pfarrerin zusammen mit den Kirchengemein- Forschungen ergänzt. Sibylle Biermann-Rau 2012 noch vor deräten in den Gemeinde verteilen Die Ausstellung wird in Hechingen, Beginn der Reformationsfeierlich- und mit den Gemeindemitgliedern Horb, Tübingen, Haigerloch und keiten anschaulich in ihrem Buch „An diskutieren. Rottweil zu sehen sein wird. Die Luthers Geburtstag brannten die In Württemberg hat sich Pfarrer ersten Termine fi nden Sie im Kasten. Synagogen“ dargestellt.

Weg der Umkehr Ausstellung: „Ertragen können wir sie nicht“– Die 12. Synode der Evangelischen Martin Luther und die Juden. Kirche in Deutschland – also das Par- Museum Jüdischer Betsaal Horb, Fürstabt-Gerbert-Str. 2 lament der Evangelischen Kirche – hat von Mittwoch 12. April bis Sonntag 25. Juni 2017. im November 2015 in Bremen eine Öffnungszeiten: Sa. und So., 14.00 bis 17.00 Uhr oder für Gruppen an grundlegende Erklärung unter dem anderen Terminen nach tel. Absprache: 0 74 51 / 62 06 89. Titel: „Martin Luther und die Juden – Ausstellungseröffnung: Mittwoch, 12. April. 20.00 mit dem Vortrag notwendige Erinnerung zum Refor- von Prof. Dr. Matthias Morgenstern, Tübingen: Luthers judenfeindliche mationsjubiläum“ verabschiedet, die Schriften aus heutiger Sicht. auch aus der Sicht der jüdischen Fami- Veranstalter: Träger- und Förderverein Ehemalige Synagoge Rexingen lien und der jüdischen Gemeinden zu begrüßen ist. In der Erklärung heißt es Gemeindehaus Lamm, Foyer, Am Markt 7, Tübingen unter anderem: von Dienstag 27. Juni bis Mittwoch 26. Juli 2017, „Luther verknüpfte zentrale Ein- Öffnungszeiten: Mo. bis Fr.: 9.00-20.00 Uhr, Sa. und So. 11.00-19.00 Uhr sichten seiner Theologie mit juden- – Ausstellungseröffnung am 27. Juni 20.00. Vortrag von Pfarrerin Sybille feindlichen Denkmustern.“ Biermann-Rau: Luthers Judenfeindschaft und ihre Wirkung im Nationalso- „Zwischen Luthers frühen Äuße- zialismus. rungen und seinen späten Schriften – Dienstag, 4. Juli 2017, 20.00 Uhr. Vortrag von Prof. Dr. Matthias Mor- ab 1538 mit ihrem unverhüllten genstern: Martin Luther und die jüdische Mystik (Kabbala). Judenhass besteht eine Kontinuität – Dienstag, 18. Juli 2017, 20.00 Uhr. Vortrag von Prof. Dr. Wolfgang im theologischen Urteil über die Heinrichs: Protestantische Judenbilder im Deutschen Kaiserreich. Juden. Im Judentum seiner Zeit sah er Veranstalter: Geschichtswerkstatt Tübingen e.V., Stiftskirchengemeinde eine Religion, die ihre eigene Bestim- Tübingen und Förderverein für jüdische Kultur e.V. mung verfehlt. Sie lasse sich von der Ehemalige Synagoge Haigerloch, Im Haag 14 Verdienstlichkeit der Werke leiten von Donnerstag 9. Nov. bis Sonntag 31. Dez. 2017 und lehne es ab, das Alte Testament Öffnungszeiten: Sa und So., 11.00 bis 17.00 Uhr auf Jesus Christus hin zu lesen. Das Begleitveranstaltungen sind in Vorbereitung Leiden der Juden sei Ausdruck der Veranstalter: Gesprächskreis Ehemalige Synagoge Haigerloch und Evange- Strafe Gotte für die Verleugnung Jesu lische Kirchengemeinde Haigerloch Christi.“

33 Veranstaltungen im Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb

Sonntag, 30. April 2017, 14.00 Uhr Themenführung: Die Zahlensymbolik der ehemaligen Synagoge Haiger- Ehem. Synagoge Haigerloch, im Haag loch. Mit Claudia Sailer, Haigerloch Sonntag, 7. Mai 2017, Treffpunkt: Bahn- Tagesfahrt ins jüdische Ulm. Der Hechinger Synagogenverein besucht mit hof Hechingen. Abfahrt um 7.19 Uhr Mitgliedern und Freunden die neue Synagoge in Ulm. Danach Stadtfüh- nach Ulm rung auf jüdischen Spuren durch die Ulmer Innenstadt. Dienstag, 9. Mai 2017, 20.00 Uhr Vortrag von Dr. Hans-Otto Binder: Zur Geschichte der Volkshochschule Vhs Tübingen, Katharinenstraße 18 Tübingen. Neuanfang und Demokratisierung nach 1945 Veranstalter: LDNS Tübingen in Kooperation mit der VHS Tübingen Freitag, 12. Mai 2017, 20.00 Uhr Vortrag und Lesung. Dr. Michael Krämer, Literaturwissenschaftler und Jüdischer Betsaal Horb, Fürstabt-Gerbert- Theologe: ... den Staub zu vermählen dem Staube. Zur Gegenwart der Str. 2, Horb Shoah in der deutschsprachigen Literatur. Veranstalter: Synagogenverein Rexingen und Katholische Erwachsenenbildung FDS Samstag, 13. Mai 2017, 9.00 Uhr Der diesjährige Ausfl ug des Gedenkstättenvereins Bisingen führt zum Do- Treffpunkt: Marktplatz, 72406 Bisingen kumentationszentrum Oberer Kuhberg und zur Georg-Elser-Erinnerungs- tätte in Königsbronn. Abfahrt 9.00. Rückkehr ca. 19.00 Uhr. Samstag, 13. Mai 2017, Spurensuche per Fahrrad mit Albrecht Riethmüller. Die Route wird auf Treffpunkt: Am Mahnmal beim Flugplatz dem Gedenkpfad in Hailfi ngen/Tailfi ngen verlaufen. Weitere Infos (Uhrzeit in Hailfi ngen-Tailfi ngen der Abfahrt) auf der Homepage des Vereins oder in der Presse. Initiative KZ-Gedenkstätte Eckerwald Woche der Begegnung: Die Erinnerung wach halten Samstag, 13. Mai 2017, 16.30 Uhr Ökumenischer Gedenk-Gottesdienst in der Gedenkstätte Eckerwald Sonntag, 14. Mai 2017, 10.00 Uhr Gedenkfeier in der Kapelle beim KZ-Friedhof Schörzingen. Übergabe der neuen Namenstafeln und des Gedenkbuches durch Gerlinde Kretschmann. Einführendes Referat von Dr. Andreas Zekorn, Kreisarchivar des Zollernalbkreises. Sonntag, 14. Mai 2017, 15.30 Uhr Besuch des KZ-Friedhofs Schömberg und der Gedenkstätte Dautmergen- Schömberg. Sonntag, 14. Mai 2017, 17.00 Uhr Zwei ungewöhnliche Instrumente im Gleichklang. Konzert mit dem Duo Alte Synagoge, Goldschmiedstr. 20 Souval Réunis. Susanne Jaggy (Blockfl öte) und Waltraud Epple-Holom Hechingen (Akkordeon) spielen Jazz, Barock, Tango Nuevo und Weltmusik. Dienstag, 16. Mai 2017, 20.00 Uhr Vortrag von Prof. Dr. Reinhold Boschki, Kath.-Theol. Fakultät der Uni Jüdischer Betsaal Horb, Fürstabt-Gerbert- Tübingen: „Erinnerung ist ein anderes Wort für Hoffnung“. Zu Leben und Str. 2, Horb Werk des Auschwitzüberlebenden Elie Wiesel. Veranstalter: Synagogen- verein Rexingen und Katholische Erwachsenenbildung FDS. Dienstag, 16. Mai 2017, 20.00 Uhr Vortrag von Dr. Martin Ulmer: Die wirtschaftliche Ausplünderung der Alte Synagoge, Goldschmiedstr. 20 jüdischen Bevölkerung in Württemberg und Hohenzollern während der Hechingen NS-Zeit. Auch mit Beispielen aus Hechingen. Freitag, 19. Mai 2017, 19.30 Uhr Vortrag von Dr. Hartmut Ludwig, Berlin: Der Hechinger Pfarrer Peter Katz. Ev. Johanniskirche, Zollernstraße 5, Wegen seiner jüdischen Vorfahren musste P. Katz sein Pfarramt niederle- Hechingen gen. 1939 fl oh er mit seiner Familie nach Cambridge. Samstag, 20. Mai 2017, 19.30 Uhr Jubiläumskonzert des Hechinger Kammerorchesters anlässlich seines Alte Synagoge, Goldschmiedstr. 20 30jährigen Bestehens mit Alon Sariel aus Beer Sheba,Israel, Mandoline: Hechingen Werke von Vivaldi, Biber, Händel, William Boyce und Telemann. Sonntag, 21. Mai 2017, 14.30–17.00 Familientag vor und in der Ehemaligen Synagoge mit einem Programm für Uhr Kinder, einer Führung für Erwachsene sowie Kaffee und Kuchen. Weiterhin Ehem. Synagoge Haigerloch, im Haag fi ndet an diesem Tag ein Bücherfl ohmarkt statt. Sonntag, 21. Mai 2017, 14–17.00 Uhr Internationaler Museumstag im Stauffenberg-Schloss Stauffenberg-Schloss Albstadt-Lautlingen 15.00 Uhr Führung durch die Stauffenberg-Gedenkstätte 16.00 Uhr Führung durch die Musikhistorische Sammlung Eintritt frei, Führungen kostenlos Montag, 22. Mai 2017, 20.00 Uhr Gabriel Strenger: Jüdische Spiritualität in Wort und Gesang. Gabriel Alte Synagoge, Goldschmiedstr. 20 Strenger ist Psychologe, Lehrer des Judentums und Sänger. Schwerpunkte Hechingen seiner Arbeit: Psychoanalyse, Chassidismus, jüd. Meditation, Spiritualität.

34 Donnerstag, 1. Juni 2017, 20.00 Uhr Vortrag von Lucius Teidelbaum: Rechtspopulismus als Alternative für Salzstadel, Mardergasse 7, Tübingen Deutschland? Veranstalter: LDNS und Geschichtswerkstatt Tübingen e.V. Mittwoch, 21. Juni 2017, 19.30 Uhr Jahreshauptversammlung des Vereins KZ-Gedenkstätten Bisingen. Museum Bisingen, Kirchgasse 15, Nadja Diemunsch, Schülerin am Gymnasium Ebingen, wird in einem Vor- Bisingen trag über den ehemaligen Kommandanten des KZ Bisingen, Franz Johann Hofmann, sprechen. Mittwoch, 21. Juni 2017, 19.30 Uhr Buchvorstellung mit Jörg Armburster: Willkommen im Gelobten Land? Schloss Nordstetten, Ritterschaftsstr. 4 Deutschstämmige Juden in Israel. Der Autor war langjähriger ARD-Korre- Horb-Nordstetten spondent für den Nahen Osten. Veranstalter: Berthold-Auerbach-Literatur- kreis, Projekt Zukunft Horb und Synagogenverein Rexingen. Donnerstag, 22. Juni 2017, 20.00 Uhr Lesung mit Gabriel Heim: „Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus: Alte Synagoge, Goldschmiedstr. 20 Eine Mutterliebe in Briefen“. Heim hat in zwei Schuhkartons Briefe seiner Hechingen jüdischen Mutter Ilse gefunden. Daraus ist ein Buch entstanden. Sonntag, 24. Juni 2017, 14.00 Uhr Themenführung: Auf jüdischen Spuren in Haigerloch. Treffpunkt: Ehem. Synagoge Haigerloch, Mit Margarete Kollmar, Tübingen. im Haag Samstag, 1. Juli 2017, 17.00 Uhr Führung von Daniel Hadwiger: Entnazifi zierung im Zeichen der Trikolore. Treffpunkt: Eingangsportal Schloss Ho- Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Tübingen 1945-1949 hentübingen, Burgsteige 11, Tübingen Veranstalter: LDNS und Deutsch-Französisches Kulturinstitut Tübingen Sonntag, 2. Juli 2017, 20.00 Uhr Vortrag und Lesung mit Prof. Reinhold Boschki: Zwischen Schweigen und Alte Synagoge, Goldschmiedstr. 20 Schreien. Aus dem Werk von Elie Wiesel (1928–2016). R. Boschki geht der Hechingen Frage nach, welche Bedeutung Wiesels Botschaft für die heutige Zeit hat. Sa. 8. Juli bis So. 3. Sept. 2017 Fotoausstellung: Häuser jüdischer Familien in Horb und seinen Teilorten. Museum Jüd. Betsaal Horb, Fürstabt- Öffnungszeiten jeweils samstags und sonntag von 14.00 bis 17.00 Uhr. Gerbert-Str. 2, Horb Sonntag, 16. Juli 2017, 17.00 Uhr Lesung mit Walter Sittler: Stimmen aus dem Hangar. Im Seminarraum Rathaus Tailfi ngen, Um 16.00 Uhr wird eine Einführung in die Ausstellung der Gedenkstätte Gäufelden gegeben. Um 17.00 Uhr beginnt die Lesung. Sonntag, 16. Juli 2017, ab 16.00 Uhr 20 Jahre Träger- und Förderverein Ehemalige Synagoge Rexingen Ehemalige Synagog Rexingen 16.00 Uhr Lesung aus dem Buch: Siggismauchem. Rexingen, der Laubhüt- Freudenstädter Str. 2, Horb-Rexingen tenort. Geschichten, Bilder und Dokumente aus dem jüdischen Rexingen Musik: Jochen Brusch, Violine und N.N., Klavier. 17.30 Buffet 18.00 Die Entstehung des Rexinger Synagogenvereins. Eine Filmdoku. Donnerstag, 20. Juli 2017, 18.00 Uhr Gedenkfeier zum Tag des Attentats am 20. Juli 1944. Festrede: Dr. Nicola Stauffenberg-Schloss Albstadt-Lautlingen Wenge, Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg, Ulm Mittwoch, 16. August 2017, 14.30 Uhr Ferienführung für Jung und Alt. Ursula Eppler führt durch das Stauffen- Stauffenberg-Schloss Albstadt-Lautlingen berg-Schloss mit Musikhistorischer Sammlung Jehle und Stauffenberg- Gedenkstätte. Die Führung ist kostenlos. Sonntag, 20. Aug. 2017, 9.00 Uhr Gottesdienst der Evangelischen Kirchengemeinde Haigerloch zum Ehem. Synagoge Haigerloch, im Haag Israelsonntag um 9.00 Uhr auf dem Vorplatz (Gustav-Spier-Platz) der Ehemaligen Synagoge. Sonntag, 3. Sept. 2017, 14–18.00 Uhr Am Europäischen Tag der jüdischen Kultur fi nden um 14.00 und 17.00 in Ehemalige Synagoge Baisingen der Gedenkstätte Synagoge Baisingen und um 15.30 auf dem Jüdischen Friedhof in Baisingen Führungen statt. Sonntag, 3. Sept. 2017, 11–17.00 Uhr Europäischer Tag der jüdischen Kultur. U.a. zeigen wir den Dokumentar- Ehem. Synagoge Haigerloch, im Haag fi lm von Britta Wauer über den jüdischen Friedhof Weißensee in Berlin, „Im Himmel unter der Erde“, Deutschland 2011 Sonntag, 3. Sept. 2017, 18.00 Uhr Europäischer Tag der jüdischen Kultur. Buchvorstellung von Fritz Frank: Museum Jüd. Betsaal Horb, Fürstabt- „Verschollene Heimat“. Im Mittelpunkt steht die Beschreibung des alten Gerbert-Str. 2, Horb Horb. Es liest Peter Binder, Sprecher beim SWR Sonntag, 3. Sept. 2017, 20.00 Uhr Portraits jüdischer Geiger: „Die Welt des Fritz Kreisler“. Jochen Brusch, Alte Synagoge, Goldschmiedstr. 20 Geige, und Norbert Kirchmann, Flügel, stellen einen der größten Geiger Hechingen aller Zeiten mit Musik und Text vor. Dazu ist eine neue CD erschienen. Dienstag, 12. Sept. 2017, 19.00 Uhr Im Rahmen einer Mitgliederversammlung berichtet Andreas Schulz, Museum Bisingen, Kirchgasse 15, Referent für Jugendarbeit an Gedenkstätten, wie Erinnerungskultur durch Bisingen digitale Medien beeinfl usst und verändert wird.

35 Die Gedenkstätten-Rundschau wird herausgegeben von

Begegnungs- und Ausstellungszentrum Stauffenberg Gedenkstätte Lautlingen Ehemalige Synagoge Haigerloch Stauffenberg-Schloss, 72459 Albstadt Gustav-Spier-Platz 1, 72401 Haigerloch Lautlingen. Öffnungszeiten: Mi., Sa., So. Öffnungszeiten: Sa., So. 11.00−17.00 und an Feiertagen 14.00–17.00 und nach Do. 14.00−19.00 (nur 1. April bis 31. Okt.) Vereinbarung. Gruppen nach Vereinbarung. Information: 0 74 31/76 31 03 Gesprächskreis Ehemalige Synagoge Hai- (Museum während der Öffnungszeiten), gerloch e.V., Weildorfer Kreuz 22, 72401 0 74 31/60 41 und 0 74 31/160-14 91 Haigerloch, Tel. 0 74 74/27 37, Fax: 80 07 Kulturamt Stadt Haigerloch, Tel.: 0 74 74/ 697-26 -27, www.haigerloch.de. Weitere Infos: www.synagoge-haigerloch.de Ehemalige Synagoge Rexingen Gedenkstätten KZ Bisingen Freudenstädter Str. 16, 72160 Horb-Re- Öffnungszeiten des Museums in 72406 xingen. Führungen nach Vereinbarung. Bisingen, Kirchgasse 15: So. 14.00–17.00 Träger- und Förderverein Ehemalige Informationen zur Ausstellung und zum Synagoge Rexingen e.V., Bergstr. 45, Geschichtslehrpfad: Bürgermeisteramt 72160 Horb a.N. – Tel. 0 74 51/62 06 89 Bisingen, Tel. 0 74 76 / 89 61 31 www.ehemalige-synagoge-rexingen.de Fax 0 74 76 / 89 61 50 http://kzgedenkstaettenbisingen.word- press.com

KZ-Gedenkstätten Eckerwald/Schörzingen Ehemalige Synagoge Rottweil und Dautmergen-Schömberg Kameralamtsgasse 6, 78628 Rottweil Initiative Eckerwald. Führungen nach Verein Ehemalige Synagoge Rottweil e.V Vereinbarung. www.eckerwald.de Gisela Roming, Krummer Weg 1, Kontakt über Brigitta Marquart-Schad, 78628 Rottweil Bergstraße 18, 78586 Deilingen. Tel. 07 41 / 94 29 755, Tel. 0 7426 / 8887 email: [email protected] Email: [email protected]

Gedenkstätte Synagoge Rottenburg-Baisingen KZ Gedenkstätte Hailfi ngen · Tailfi ngen Kaiserstr. 59a (»Judengässle«), 72108 Ausstellungs- und Dokumentationszent- Rottenburg-Baisingen. rum im Rathaus Gäufelden-Tailfi ngen. Geöffnet: So. 14.00–16.00. Gruppen nach Geöffnet: So. 15.00–17.00 Vereinbarung. Info und Postanschrift: Führungen auf Anfrage unter Ortschaftsverwaltung Baisingen. Tel.: 0 74 0 70 32 / 2 64 55 57 / 69 65-02, Fax 69 65-56, baisingen@ Kontaktadresse: Walter Kinkelin rottenburg.de. Schlehenweg 33, 71126 Gäufelden, Stadtarchiv und Museen Rottenburg, PF Tel. 0 70 32 / 7 62 31 29, 72101 Rottenburg. Tel. 0 74 72/165- 351, Fax 165-392, museen@rottenburg. de, www.rottenburg.de Alte Synagoge Hechingen Goldschmiedstraße 20, 72379 Hechingen Geschichtswerkstatt Tübingen – Öffnungszeiten und Führungen nach Denkmal Synagogenplatz Vereinbarung über Bürger- und Tourismus- Gartenstrasse 33, 72074 Tübingen büro, Tel. 0 74 71/94 02 11 und rund um die Uhr geöffnet. Führung nach Initiative Alte Synagoge Hechingen e.V., Vereinbarung. Geschichtswerkstatt Tübin- Heiligkreuzstr. 55, 72379 Hechingen. gen e.V., Lammstr. 10, 72072 Tübingen, Tel. 0 74 71 / 66 28 Tel. 0 70 71 / 2 37 70, e-mail: info@ geschichtswerkstatt-tuebingen.de www.geschichtswerkstatt-tuebingen.de

Jüdischer Betsaal Horb – Museum Fürstabt-Gerbert-Str. 2, 72160 Horb a.N. Löwenstein-Forschungsverein Mössingen Öffnungszeiten: Sa. und So. 14.00–18.00 Vorstand: Irene Scherer oder nach Vereinbarung: Rietsweg 2, 72116 Mössingen-Talheim Tel. 0 74 51 / 62 06 89. Postanschrift: Tel. 07473-22750, Fax. 07473-24166 Stiftung Jüdischer Betsaal Horb, E-Mail: [email protected] Bergstraße 45, 72160 Horb a.N. www.ehemalige-synagoge-rexingen.de

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