SWR2 MANUSKRIPT

SWR2 Musikstunde

Das Verlagshaus Simrock Vom Wein- und Musikalienhandel zum Global Player (1)

Mit Jan Ritterstaedt

Sendung: Montag, 03. April 2017 Redaktion: Bettina Winkler Produktion: SWR 2017

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Signet

Dazu begrüßt sie Jan Ritterstaedt. In dieser Woche werfen wir mal einen Blick auf die Geschichte eines Musikverlages, der eine ganz bedeutende Rolle für die Musikgeschichte gespielt hat: Wir erkunden den Aufstieg und Fall des Verlagshauses Simrock. Und zu Beginn unserer Serie knüpfen wir uns zunächst einmal dessen Gründervater Nikolaus Simrock vor.

Indikativ

Wir sehen einen alten Mann - so um die 70 Jahre dürfte er schon auf dem Buckel haben. Ernst ist sein Gesichtsausdruck, ein wenig bleich wirkt seine Hautfarbe und über dem Kopf trägt er eine weiße Zipfelmütze. Das ist die Beschreibung des einzigen Portraits, was wir von Nikolaus Simrock haben. Es wird heute im Bonner Stadtmuseum aufbewahrt und stammt vermutlich von Karl Stieler, dem Maler, der auch ein berühmtes Portrait Ludwig van Beethovens angefertigt hat. Sie merken schon: die Wiege des Musikverlages von Nikolaus Simrock liegt am nördlichen Rand des Mittelrheins, in der Beethovenstadt . Ein Detail von Simrocks Portrait gibt uns auch den entscheidenden Hinweis auf sein ursprüngliches Betätigungsfeld: die weiße Zipfelmütze. Die trugen im frühen 19. Jahrhundert vor allem solche Menschen, die Dank ihres Amtes zum permanenten Perückentragen verdonnert waren - mit all den unangenehmen Nebenwirkungen für die Kopfhaut und ihre Bewohner. Nikolaus Simrock stand nämlich seit 1775 im Dienst der Hofkapelle des Kölner Kurfürsten. In welcher Funktion das verrät ihnen unsere erste Musik.

Musik1.1 Wolfgang Amadeus Mozart Minuetto für 2 Hörner aus 12 Duos KV 487 Teunis van der Zwart und Erwin Wieringa, Horn M0237055, 007+008, 3‘40

Natur pur: zwei Waldhörner ohne Ventile, so wie sie zur Zeit Nikolaus Simrocks in Gebrauch waren, musizierten ein Minuett für zwei Hörner von Wolfgang Amadeus Mozart. Man findet das Stück als Nummer 11 in der Sammlung von 12 Duos Köchel- Verzeichnis 487. Es bliesen Erwin Wieringa und Gijs Laceulle vom Ensemble Nachtmusique. Als zweiter Waldhornist trat unser zukünftiger Verleger Nikolaus Simrock also 1775 in die Bonner Hofkapelle ein. Aufgewachsen war er in . Sein Vater war Korporal bei der kurmainzischen Armee gewesen, hatte aber offenbar auch ein offenes Ohr für die musikalischen Fähigkeiten seines Sohnes. Deshalb drückte er ihm eines Tages ein Horn in die Hand. Mit dem marschierte der junge Mann dann in den Auslandseinsatz nach Frankreich, wo er neun Jahre lang blieb, blies und vor allem gut Französisch lernte. Als Mitglied der Bonner Hofkapelle hatte er dann Dienste in der Kirche, der Kammer und auf dem Theater zu leisten. Als Bläser kam ihm aber auch die Aufgabe zu, bei den regelmäßig stattfindenden Freiluftzeremonien und Tafelmusiken mitzuwirken. Besonders beliebt war in dieser Zeit das Bläsersextett: zwei Klarinetten, zwei Hörner, zwei Fagotte. Diese Besetzung war eine Wiener Erfindung und ist spätestens mit dem Amtsantritt des Kurfürsten Maximilian Franz auch nach Bonn übergeschwappt. Zu diesem Zeitpunkt muss unser Hornist Simrock schon einiges an guter Arbeit geleistet haben, denn er bekam ab Dezember 1784 eine Gehaltszulage von 40 Reichstalern. Nicht etwa um sie in die Kneipe zu tragen, sondern um damit Noten für die Blasmusik zu besorgen. Vielleicht waren darunter ja auch Stücke wie dieses hier.

Musik1.2 Johann Christian Bach Sinfonia IV B-Dur 1. Allegro 2. Largo 3. Marche 4. Cotillion (Allegro) Ensemble Nachtmusique Glossa GCD 920608, LC 00690 8'37'' Inzwischen hatte sich Nikolaus Simrock zum ersten kurkölnischen Hofhornisten nach oben geblasen, was sich an einer erneuten Gehaltssteigerung bemerkbar machte. Die war auch bitter nötig, denn der gute Mann hatte 1780 Otilie Franziska Blaschek geheiratete, natürlich die Tochter eines Blechbläsers, des Mainzer Hoftrompeters Franz Blaschek. Die bekam nun ein Kind nach dem anderen, auch Zwillinge sollen darunter gewesen sein, und der Finanzbedarf der jungen Familie stieg parallel dazu immer weiter an. Da ja unser Simrock nun schon Talent beim Beschaffen, Kopieren und Einrichten von Notenmaterial für die Hofkapelle gezeigt hatte, kam er wohl auf die Idee, den Handel mit Musikalien kommerziell zu betreiben. Das war den Hofmusikern neben ihrer offiziellen Tätigkeit durchaus gestattet. Musikalien gingen damals zwar gut, aber andere Dinge wahrscheinlich noch besser. Was Simrock schon 1786 so alles im Angebot hatte verrät, eine Anzeige aus dem Bonner Intelligenzblatt. Neben neuen Klaviernoten, u.a. mit einem Konzert von Mozart in D- Dur, bietet er dort Tapeten zu wohlfeilen Preisen an, dazu 1783er Rüdesheimer, die Bouteille zu 54 Stüber, außerdem Moseler, Aßmannshäuser, feine Bielefelder Leinen, dazu Gebild von holländischer Bleiche u.s.w. Also ein echter Gemischtwarenladen.

Sehr einträglich war aber wohl auch das Geschäft mit der hauseigenen Kopisterie. Bis zu fünf verschiedene Notenschreiber sollen bei Nikolaus Simrock gearbeitet haben, um das Bonner Bildungsbürgertum mit Notenfutter zu versorgen. Deshalb war es eigentlich nur konsequent, dass er sich im Jahr 1793 dazu entschloss, seinen ersten eigenen Notendruck herauszubringen. Der würde sich bestimmt heute noch gut verkaufen, wäre er noch erhältlich: ein Klavierauszug von Mozarts Zauberflöte - große Oper also fürs behagliche Wohnzimmer. Leider habe ich keine Aufnahme mit diesem Arrangement finden können. Aber ich finde: die aus ähnlicher Zeit stammende vierhändige Version des Bonner Komponisten und Beethoven- Klavierlehrers transportiert die Atmosphäre der Musik auch sehr gut. Vor allem wenn sie auf zwei historischen Flügeln gespielt wird.

Musik1.3 Christian Gottlob Neefe Sechs leichte Stücke aus Mozarts Oper "Die Zauberflöte 1. Der Vogelfänger bin ich ja 5. Ein Mädchen oder Weibchen Cullan Bryant, Fortepiano Dmitry Rachmanov, Fortepiano Naxos 8.572519, LC 05537 8'25''

Noten für das häusliche Musizieren - das waren typische Artikel des frühen Verlages Nikolaus Simrock in Bonn. Mit dem und dessen wechselvoller Geschichte beschäftigt sich die SWR2-Musikstunde in dieser Woche. Seine allerersten Drucke hatte der immer noch hauptberufliche Hofkapellen-Hornist noch außer Haus herstellen lassen. Bald schon ging er aber dazu über, sowohl den Stich der Notenseiten als auch den Druck in der eigenen Werkstatt anzufertigen. Wenn man sich Simrocks Opera dieser Zeit anschaut, dann fällt sofort die große Sorgfalt und Ökonomie auf, mit der sie gestaltet sind. Da wird kein Platz verschenkt und dennoch keine einzige Note an den Rand gequetscht oder vernachlässigt. Dieser hohe Qualitätsstandard sorgte dann auch für stetig steigende Absatzzahlen. Das blieb natürlich auch den anderen Bönnschen Musikern nicht verborgen - selbst wenn sie längst im Ausland tätig waren. So etwa dem Geiger und Konzertunternehmers Peter Salomon. Aufgewachsen in der Bonngasse gleich neben den Beethovens hatte der seine Karriere zunächst als Violinist in der Bonner Hofkapelle begonnen, war dann an den preußischen Hof gewechselt und hatte sich schließlich in London als gefragter Quartettspieler niedergelassen. Und komponiert hat er auch, z.B. die folgende Romanze für Violine und Orchester.

Musik1.4 Peter Salomon: Romanze für Violine und Orchester D-Dur Midori Seiler, Violine Concerto Köln Berlin classics 0300550BC, LC 06203 4'37'' Gewissermaßen "nebenbei" hatte sich Peter Salomon auch als Konzertagent betätigt und so dafür gesorgt, dass eine Koryphäe wie in London für Furore sorgen konnte. Und irgendwie muss Salomon Haydn davon überzeugt haben, auf seiner Reise nach England einen kurzen Zwischenstopp in Bonn einzulegen. Davon hatte natürlich auch Nikolaus Simrock Wind bekommen und so fand auf Vermittlung des Kurfürsten Maximilian Franz am 26. Dezember 1790 ein Treffen zwischen Haydn und einigen Hofmusikern in Bonn statt. Dem Komponisten gefiel es hier offenbar so gut, dass er auch auf seiner Rückreise im Juli 1792 wiederum Bonn besucht hat. Und jetzt passierten wohl einige für die Musikgeschichte bedeutende Dinge: es wurde hier wahrscheinlich die Abmachung getroffen, dass der junge Haydns Schüler werden sollte und - für uns jetzt noch wichtiger: Nikolaus Simrock hatte dem Komponisten versprochen, dessen Sinfonien im Druck herauszubringen zu wollen. Ob er dabei schon an den eigenen Verlag gedacht hat? Den gründete er erst ein Jahr später. Oder meinte er lediglich den Vertrieb von Haydns Musikdrucken anderer Verlage? Wie auch immer: mit seiner Erstausgabe der Londoner Sinfonien Haydns sollte Simrock dann ein Stückchen Musikgeschichte schreiben. Der Komponist hatte dem Verleger 1795 und 96 schriftlich bestätigt, dass er sämtliche Rechte an seinen für London komponierten Sinfonien seinem Konzertagenten Peter Salomon übertragen hatte. Der wiederum hatte sie nun hausmusikgerecht u.a. für Flöte, 2 Violinen, Viola, Violoncello und Klavier bearbeitet. Und diese Version passte hervorragend in das Verlagsprogramm von Nikolaus Simrock. Das britische Ensemble Florilegium hat Salomons Fassung im Jahr 1994 auf CD eingespielt. Wir hören daraus den Kopfsatz der Sinfonie Nr. 104 D-Dur - im kammermusikalischen Gewand.

Musik1.5 Joseph Haydn Sinfonie Nr. 104 D-Dur Hob. I:104 arr. Peter Salomon für Flöte, 2 Violinen, Viola, Violoncello und Klavier 1. Adagio. Allegro Florilegium Channel classics CCS 7395, LC 04481 8'03''

Gerade einmal ein Jahr nach der Gründung des Verlages Simrock wurde es politisch brenzlich im Rheinland: 1794 waren französische Revolutionstruppen dort einmarschiert. Kurfürst Maximilian Franz war Hals über Kopf geflohen ohne seine treue Hofkapelle mitzunehmen. Damit war Nikolaus Simrock wie seine anderen Musikerkollegen faktisch arbeitslos geworden, denn trotz zahlreicher Bittbriefe an ihren Dienstherrn zahlte der im Exil weilende Kurfürst ihnen kein Gehalt mehr. Was für ein Glück für den inzwischen 13-fachen Familienvater, dass er gerade seinen Verlag aufgebaut hatte! Zwar brach mit dem Wegzug des Hofes aus Bonn auch der Absatzmarkt für manche Verlags- und sonstige Produkte weg, es eröffneten sich aber auch ganz neue Möglichkeiten. Und die führten nach Westen, denn de facto war das Rheinland jetzt ein Teil Frankreichs und deshalb auch als Absatzmarkt interessant. Man muss dazu wissen, dass Musikdrucke zu jener Zeit noch keinem Urheberrecht unterlagen. D.h. jeder konnte im Grunde nach Belieben Musik nachdrucken. Erst wenn ein Komponist das Recht an seinem Werk einem Verleger vertraglich übertrug, dann erwarb dieser damit auch die exklusiven Verbreitungsrechte dafür. Das wiederum galt aber nur für den Rechtsraum, in dem der Verlag seinen Sitz hatte. Das bedeutete für Nikolaus Simrock im französischen Bonn: er konnte einmal alles nachdrucken, wovon keine Rechte bei anderen Verlegern waren. Außerdem konnte er sogar solche Werke nachstechen, deren Rechte bei deutschen Verlegern lagen. Und das tat Simrock dann auch im größeren Stil, was ihm bei manchen seiner Kollegen den Ruf eines "elenden Nachdruckers" einbrachte.

Aber: so überstand der noch junge Verlag Simrock in Bonn immerhin die von großer Unsicherheit geprägte Epoche der französischen Besatzung ohne nennenswerte Blessuren. Nachgedruckt wurde auch Musik Joseph Haydns. So etwa seine sechs Streichquartette op. 76, die 1799 gleichzeitig in Wien und London erschienen. Nur kurze Zeit später waren sie auch im französischen Bonn zu haben. Wir hören daraus jetzt den Kopfsatz des d-Moll-Quartetts, besser bekannt unter dem Namen "Quintenquartett" - wegen der absteigenden Quint-Intervalle des Themas. Es spielt das Kuijken Streichquartett auf historischen Instrumenten.

Musik1.6 Joseph Haydn Streichquartett d-Moll Hob. III:76 "Quintenquartett" 1. Allegro Kuijken String Quartet Denon CO-18045, LC 08723 9'59''

In der morgigen SWR2 Musikstunde geht es dann wieder verstärkt um Erstdrucke von Werken eines berühmten Komponisten, der heute schon mehrmals erwähnt wurde: Ludwig van Beethoven, der gute Kollege und Freund von Nikolaus Simrock, von dem er sich so manchen Ratschlag wegen der Verwendung des Hornes in seiner Musik geholt haben soll. Bis dahin verabschiedet sich von ihnen Jan Ritterstaedt.