Geschichtsvorstellungen

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Geschichtsvorstellungen Geschichtsvorstellungen Bilder, Texte und Begriffe aus dem Mittelalter Festschrift für Hans-Werner Goetz zum 65. Geburtstag herausgegeben von Steffen Patzold Anja Rathmann-Lutz Volker Seior unter Mitarbeit von Andreas Öffner 2012 BÖHLAU VERLAGWIEN KÖLN WEIMAR Philippe Depreux Der Petrusstab als Legitimationsmittel Zu Kommunikation, Erinnerungskultur und Autorität im Mittelalter Die Ursprunge eines Bischofssitzes bargen häufig das Potential fUr Aus- einandersetzungen. bei denen die Vorsrellungswelten mittelalterlicher Ge- schichtsschreiber und manchmal auch moderner Historiker eine wichtige Rolle spielten', Oft ging es dabei darum. den ersten Bischof einer Stadt in einen direkten Zusammenhang mit den Aposteln zu bringen', denn im Mittel- alter waren die Rivalitäten zwischen den Bischöfen zum Teil von de~ Legen- den einer apostolischen Gründung des jeweiligen Bischofssitzesbestimme', So 1 Den vorliegenden Aufsatz möchte ich Hans-Werner Goetz als Dankeschön fur vielerlei Anregungen im Bereich der Frühmittelalterforschung widmen. In diesem Bereich sei vor allem auf einen Sammelband des Jubilars verwiesen: Hans-Werner GOETZ, Vorstellungsgeschichte. Gesammelte Schriften zu Wahrnehmungen. Deu- tungen und Vorstellungen im Mittelalter. hg. von Anna AURASTu.a, (2007). 2 Dies gilt auch fur Hamburg. Die Echtheit der diesbezüglichen Urkunden aus dem 9.Jahrhundert wird immer wieder in Zweifel gezogen. Zum status quaestionis vgl. David FRAESDORFf. Der barbarische Norden. Vorstellungen und Fremdheits- kategorien bei Rimbert, Thietmar von Mersehurg. Adam von Bremen und Helmold von Bosau (Orbis mediaeval is 5.2005) 5.59-62. Die Debatte wird nochmals eröff- net von Eric KNIBBS. Ansgar, Rirnberr and the Forged Foundations of Hamburg- Bremen (2011). 3 VgI. Louis DUCHESNE,Fasces episcopaux de I'ancienne Gaule. 3 Bde. (1894-1915); Wilhc:lm LEVISON.Die Anfänge rheinischer Bistümer in der Legende, in: Annalen des historischen Vereins fur den Niederrhein 116 (1930) S. 5-28; Eugen EWIG.Kai. setliehe und apostolische Tradition im mittelalterlichen Trier. in: Trierer Zeitschrift rur Geschichte und Kunst des Trierer Landes und seiner Nachbargebiete 24-26 (1956-1958) 5.147-186. hier 5.181; Michel SOT. La Rome antique dans l'hagiographie episcopale en Gaule. in: Roma antica nel Medioevo, Mito, rappresen- razioni, sopravvivenze ndIa .Respublica Christiana' dei secoll IX-XIII (2001) S.163-188; Samantha Kahn HERRICK.Le pouvoir du passe aposrolique, in: Hagio- graphic, ideologie et pouvoir au Moyen Age. hg. von Edina Bozoxr (im Druck). Zur ..Vergangenheitsorientlerung" vgl. Steffen PAnOLO. Episcopus. Wissen über Bischö- fe im Frankenreich des späten 8. bis frühen 10. Jahrhunderts (Mittelalter- Forschungen 25. 2008) 5.475-482. Zu Trier und Köln als Metropolicansitzen siehe Der Petrusstab als Legitimationsmittel 413 griff zum Beispiel Ademar von Chabannes, der "Impresario" des Martialis von Limoges als Apostel', vehement die apostolische Autorität des Fronto, Grün- der des Bistums von Perigueux, ans. Diese Art von Rivalität ist kein Einzelfall: Der Anspruch auf einen apostolischen beziehungsweise römischen Ursprung wird von etwa einem Viertel aller frühmittclalterlichen Bischofssitze geteilt"! Dies gilt auch fur das Erzbistum Trier und seine Suffraganbistümer Metz und Toul und fur die Bischofssitze von Mainz, Köln und Tongern I Maastricht (jetzt Lüttich) im Rhein-Mosel-Gebiet. Diese Berufung auf einen apostoli- schen Ursprung in diesen Regionen kommt im 8.Jahrhundert auf Als erstes beansprucht das Bistum von Metz mit aller Deutlichkeit eine apostolische Gründung. Paulus Diaconus schreibt in seinem Werk über die Bischöfe von Metz, daß Clemens von Petrus zum Bischof erhoben und dorthin geschickt worden see. Dieser Anspruch wird nicht zufällig in jener Epoche erhoben. in der nach dem Tod des Bonifatius der Bischof von Metz vorübergehend eine Vorrangstellung unter den austrasischen Bischöfen einnahm und Zentrum der Ausstrahlung von römischen Bräuchen in der Liturgie wurde", Zuvor hatten sich nur Kirchen aus Südgallien auf eine apostolische bezie- hungsweise eine frühe römische Gründung berufen", Um die Mitte des 5.Jahr- Daniel Carlo PANGERL,Die Merropoliranverfassung des karolingischen Franken- reiches (Schriften der MGH 63. 2011) S. 39-52 und 121-130. 4 Dazu siehe Richard LANDES.Relics. Apocalypse. and the Deceits of History. Ademar of Ch abann es, 989-1034 (1995) S.195-281: ..The apostolic controversy: from apos- tolic impresario to master forger. 1028-1031". 5 Concilium Lernovicense a. 1031 (Giovanni Domenico MANSI. Sacrorum concilio- rum nova et amplissima colleceio 19. 1774) Sp.514; Samanrha Kahn HERRICK. Studying Apostolic Hagiography: The Case of Fronto of Perigueux, Disciple of Christ. in: Speculum 85 (2010) S. 235-270.hier S. 246 f. 6 Albert HOUTIN. La conrroverse de I'apostolicite des Eglises de France au XIX· siede (1903) S. 71; Liste in Eugene BERNARD.Les origines de l'Eglise de Paris. Etablisse- ment du christianisme dans les Gaules. Saint Denys de Paris avec seize gravures sur acier (1870) S. 33 £E 7 Paul us Diaconus, Liber de episcopis Mertensibus, ed, Georg Heinrich PERTZ(MGH SS 2.1829) S. 261. 8 Dazu siehe Eugen EWIG.Saint Chrodegang et la reforrne de l'Eglise franque, in: Saint Chrodegang, Communications presentees au colloque tenu a Metz a I'occasion du XII· cenrenaire de sa mort. hg. von Jean SCHNEIDER(1967) S. 25-53. Zu Chrode- gang siehe auch Jerome BERTRAM.The Chrodegang Rules. The Rules for the Com- mon Life of the Secular Clergy from the Eighth and Ninth Centuries. Critical Texts with Translations and Commentary (2005) S. 12-14. 9 DUCHESNE.Pastes (wie Anm. 3) 1 (1894) S. 57 f. 414 Philippe Depreux hunderts wandten sich südgallische Bischöfe an Papst Leo den Großen, um den Rang der Stadt ArIes als Metropolitensitz zu verteidigen. Sich auf Briefe des Papstes Zosimus stützend, in denen Trophimus als Gesandter des römi- schen Stuhles bezeichnet wird'", behaupteten die Bischöfe, dieser sei als erster Metropolir von Petrus selbst nach Gallien geschickt worden!'. Der nächste Hinweis auf einen Anspruch auf eine apostolische Gründung stammt aus dem 6.Jahrhundert. In seinem Buch zur Ehre der Märtyrer erwähnt Gregor von Tours - allerdings mit großer Vorsicht - die Weihe des heiligen Eutroplus von Saintes durch Clemens, den dritten Bischof von Rom nach Petrus'P, Damit wären wir also im späten 1.Jahrhundert: "Es wird erzählt, daß der Märtyrer Eutropius von dem seligen Bischof Clemens nach Gallien in die Stadt Saintes geschickt wurde und daß er von ihm aus bischöflicher Macht geweiht wurde'">, In der Karolingerzeit mehren sich die Hinweise auf einen römischen bezie- hungsweise apostolischen Ursprung. Die Behauptung, der erste Bischof von Reims sei ein discipulus des heiligen Petrus gewesen '4, spielt eine nicht geringe Rolle im Streit zwischen diesem Bischofssitz und dem von Trier um den Pri- mat der Gallia Belgica in der zweiten Hälfte des 9.Jahrhunderts'S, Die angeb- liche Gründung durch Petrus war - wenn man in diesem Punkt Widukind von Corvey vertrauen darf - der Grund, warum Ruotbert von Trier dem Erz- bischofWichfried von Köln das Vorrecht bestritt, den Krönungsakt im Jahr 936 in Aachen vorzunehmen - schließlich einigten sich beide auf die Person eines Dritten, und so amtierte der Mainzer Erzbischof, Hildibert, bei der Krö- 10 Siehe die entsprechenden Briefe des Zosimus unter den Epistolae Arelarenses ge- nuinae, ed, Wilhdm GUNDLACH(MGH Epp. 3.1892) Nr.1-3. S. 5-10; ebd .•Nr. 5. S.ll. 11 Epistolae Arelarenses genuinae, ed, GUNDLACH (wie Anm. to) Nr. 12, S.17-20. Dazu LEVISON,Anfänge (wie Anm. 3) S. 8 £ 12 Gregorvon Tours, Liberin gloria martyrum,c. SS. ed, Bruno KRUSCH(MGH SS rer. Merov.l/2, 1885) S. 52. 13 Gregor von Tours, Gloria martyrum, c. SS, ed, KRUSCH(wie Anm. 12) S. 52: Eutro- pius quoque martyr Sannonieee urbis a beato Clemente episcopofertur directus in Gallis, ab eadem etjam pontificalis ordinis gratia consecratus est. 14 Thomas BAUER, Lotharingien als historischer Raum. Raumbildung und Raum- bewußtsein im Mittelalter (Rheinisches Archiv 136.1997) S. 359 £ IS Hermann SCHMIDT, Trier und Reims in ihrer verfassungsrechtlichen Entwicklung bis zum Primatialmeit des neunten jahrhundercs, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung fur Rechtsgeschichte. Kanonistische Abt. 18 (1929) S.I-I11;Jean DEVISSE.Hinc- mar, archeveque de Reims, 845-882 2 (1976) S. 643-657; Michel SOT, Un historien et son Eglise au X" siede: Flodoardde Reims (1993) S. 709-719. Der Petrusstab als Legitimationsmittel 415 l6 nung Orros des Großen • Es geht mir hier nicht darum, die Kontroversen um den apostolischen Ursprung mittelalterlicher Bischofssitze zu behandeln und zu zeigen, wie die mittelalterlichen Schreiber einen Jünger Petri allmählich zu dessen Sohn und dann zum Jünger Christi (wie im Fall des Martialis von Li- moges) oder zu einem der 72 Apostel machen konnten. Es wäre auch möglich, zu zeigen, wie manche Heilige immer näher in die apostolische Zeit rücken. So wird der heilige Dionysius im Laufe des Frühmittelalters zum Zeitgenossen des l7 Clemens von Rom gemacht , obwohl er in Gregors von Tours Geschichts- büchern im Zusammenhang mit der Christenverfolgung unter Kaiser Decius l8 (also fur die Zeit um 250) erwähnt wird : "Unter dem Kaiser Decius aber brachen viele Verfolgungen gegen den christlichen Namen aus, und das Blut- vergießen unter den Gläubigen war so groß, daß [die Opfer] nicht zu zählen sind. [...] Zu dieser Zeit wurden sieben Männer zu Bischöfen geweiht und nach Gallien geschickt, um dort das Wort zu predigen. Denn so erzählt die Leidensgeschichte des
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