Zur Problematik Restringierter Schriftpräsenz Materiale Textkulturen
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Verborgen, unsichtbar, unlesbar – zur Problematik restringierter Schriftpräsenz Materiale Textkulturen Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 933 Herausgegeben von Ludger Lieb Wissenschaftlicher Beirat: Jan Christian Gertz, Markus Hilgert, Bernd Schneidmüller, Melanie Trede und Christian Witschel Band 2 Verborgen, unsichtbar, unlesbar– zur Problematik restringierter Schriftpräsenz Herausgegeben von Tobias Frese, Wilfried E. Keil und Kristina Krüger DE GRUYTER Ergebnisse eines Workshops, veranstaltet vom Teilprojekt A05 des SFB 933 „Materiale Textkulturen“ im Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg am 12. 11. 2011 ISBN 978-3-11-035304-4 e-ISBN 978-3-11-035358-7 ISSN 2198-6932 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Marcus Lindström/istockphoto Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com Vorwort Der vorliegende Sammelband ist das Resultat eines im November 2011 am Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg durchgeführten Work- shops zum Thema: „Verborgen, unsichtbar, unlesbar – zur Problematik restringier- ter Schriftpräsenz“, der im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 933 „Materiale Textkulturen – Materialität und Präsenz des Geschriebenen in non-typographischen Gesellschaften“ vom Teilprojekt A05 „Schrift und Schriftzeichen am und im mittelal- terlichen Kunstwerk“ organisiert wurde. Es ist das Ziel des Bandes, den dort begon- nenen Dialog fortzuführen, zu vertiefen und dabei die Frage nach der „restringierten Schriftpräsenz“ in vortypographischen Gesellschaften weiter zu präzisieren. Unser besonderer Dank gilt dem Sonderforschungsbereich 933 mit seinen Spre- chern Prof. Dr. Markus Hilgert und Prof. Dr. Ludger Lieb und der Deutschen For- schungsgemeinschaft, die die Möglichkeiten und den Rahmen für die dem Band zugrunde liegende Forschungsarbeit geschaffen haben, sowie den Herausgebern der Schriftenreihe „Materiale Textkulturen“ für die Aufnahme des Bandes in diese Reihe und die finanzielle Unterstützung bei der Publikation. Außerdem danken wir Julia Weber für die Erstellung des Satzes sowie Angelika Hermann, Katharina Legutke und Mirko Vonderstein vom De Gruyter-Verlag für die Betreuung und last but not least den studentischen Hilfskräften Irene Maltke, Katharina Bull, Inna Krieger und Carolin von Harsdorf vom Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidel- berg für die Unterstützung bei der Organisation und Durchführung des Workshops und der abschließenden Redaktion der Aufsätze. Heidelberg, im Dezember 2013 Tobias Frese, Wilfried E. Keil, Kristina Krüger Inhalt Vorwort VIII Tobias Frese „Denn der Buchstabe tötet“ – Reflexionen zur Schriftpräsenz aus mediävistischer Perspektive 1 Christina Tsouparopoulou Hidden messages under the temple: Foundation deposits and the restricted presence of writing in 3rd millennium BCE Mesopotamia 17 Joachim Friedrich Quack Die Drohung des Unlesbaren und die Macht des Ungelesenen 33 Ludwig D. Morenz Von offener und verborgener Sichtbarkeit. Altägyptische Einschreibungen in den Raum des Wadi Maghara (Sinai) 43 Kristina Krüger Nicht verborgen, sondern goldgehöht – doch nur den Wenigsten verständlich: die Corveyer Fassadeninschrift 59 David Ganz Von Innen nach Außen 85 Wilfried E. Keil Überlegungen zur restringierten Präsenz mittelalterlicher Bauinschriften 117 Christian Forster Inschriftenspolien. Ihre Verwendung und Bedeutung im Mittelalter 143 Matthias Untermann Lauftexte und Buchstabensalat 169 Johannes Tripps Wandelbare Grabmäler – Fragen zur restringierten Präsenz von Schrift und Bild 191 IV II Inhalt Johannes Endres Zeitkapsel und Paratext 215 Tobias Frese, Wilfried E. Keil und Kristina Krüger Zur Problematik restringierter Schriftpräsenz – Zusammenfassung dieses Bandes 233 Die Autoren 243 Tobias Frese „Denn der Buchstabe tötet“ – Reflexionen zur Schriftpräsenz aus mediävistischer Perspektive* In der mediävistischen Forschung ist die Rede von der mittelalterlichen „Kultur der Sichtbarkeit“ mittlerweile von fast topischem Charakter.1 So beschäftigten sich in den letzten Jahren nicht nur Kunst-, Bild- und Medienwissenschaftler, sondern auch Historiker, Philosophen, Germanisten und Vertreter kulturwissenschaftlicher Diszi- plinen mit der Bedeutung des Visuellen in vormodernen Gesellschaften.2 In großen Forschungsverbünden wurde das ganze Spektrum ästhetischer Praktiken – Rituale, Gesten, visuelle Codes – untersucht und deren gesellschaftliche Funktionen in Herr- schaftsrepräsentation, Konfliktbewältigung, Diplomatie, politischer Willensbildung, Rechtssprechung und Verhaltenskonditionierung analysiert.3 Auf der anderen Seite wurden intensiv die Sphären des Heimlichen und Geheimen ausgeleuchtet,4 wobei insbesondere die komplementären Begriffe des „Öffentlichen“ und „Privaten“ für die Beschreibung vorbürgerlicher Gesellschaftsstrukturen hinterfragt und diskutiert wurden.5 Die Rolle des Mediums Schrift – also von Texten in ihren materialen Erschei- nungsformen – erscheint innerhalb dieses Diskurses merkwürdig zwiespältig und unklar. Welche Gründe sind hierfür zu nennen? Eine eindeutige Zuordnung wird zunächst durch den grundsätzlichen medialen Zwit- tercharakter von Schrift erschwert: Einerseits sind Dinglichkeit und Materialität, Form und Farbe sowie deren angemessene Präsentation zweifelsohne die Bedingungen schlechthin für Wahrnehmung und Rezeption des Geschriebenen. Im Gegensatz zur * Dieser Beitrag ist im Heidelberger Sonderforschungsbereich 933 „Materiale Textkulturen. Materiali- tät und Präsenz des Geschriebenen in non-typographischen Gesellschaften“ entstanden (Teilprojekt A05 „Schrift und Schriftzeichen am und im mittelalterlichen Kunstwerk“). Der SFB 933 wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert. 1 Freise 2004, 16; Müller 2003, 118; Wenzel 2009, 11. 2 Vgl. u.a. Althoff 2003a; Althoff 2003b; Ambos u.a. 2010; Kintzinger/Schneidmüller 2011; Müller 2003; Schmitt 1992; Schmitt 2002; Schneidmüller 2010; Wenzel 2006; Wenzel 2009. 3 Vgl. den in Münster installierten SFB 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme“ (http://www.uni-muenster.de/SFB496/) sowie den in Heidelberg ansässigen SFB 619 „Ritualdynamik. Soziokulturelle Prozesse in historischer und kulturvergleichender Perspektive“ (http://www.ritualdynamik.de). 4 Vgl. Assmann 1997; Engel u.a. 2002. 5 R. Brandt 1993; Emmelius u.a. 2004; von Moos 1998; von Moos 2004. 2 Tobias Frese mündlichen Überlieferung (brain memory) besitzt Schrift den Vorzug des Dauerhaften und dient der langfristigen Konservierung von Wissen (script memory); die Abwesen- heit eines menschlichen Sprechers kann dabei durch eine bis ins Extreme gesteigerte Körperlichkeit der Buchstaben oder des Schriftträgers kompensiert werden.6 Anderer- seits ‚erzieht‘ das Zeichenhafte der Schrift prinzipiell zum Über-Sehen:7 In den Akten des Lesens und Decodierens wird gerade die spezifische Materialität des Informati- onsträgers ausgeblendet und absorbiert; als funktionierendes Medium bringt es sich, so Sybille Krämer, gleichsam selbst zum Verschwinden.8 Somit ist Schrift – einem Kippbild vergleichbar – von einer unauflöslichen „Spannung zwischen zeichentran- szendierendem Verstehen und perzeptorischer Resistenz des Materials“9 gekenn- zeichnet. Aber nicht nur in medientheoretischer, sondern auch in historischer Perspek- tive ist das Phänomen vortypographischer Schriftpräsenz schwer zu fassen: Fraglos besitzen überlieferte Schriften und Schriftzeichen des Mittelalters eine eminent iko- nische Qualität (etwa in der Initialkunst) und sind von betont ostentativem Charak- ter, mithin von größter visueller Potenz, und scheinen damit deutlich dem Bereich der „Sichtbarkeit“ anzugehören.10 Dennoch kann der schriftlichen Kommunikation, die im frühen Mittelalter noch auf eine kleine literate Elite beschränkt war, durchaus auch ein „randständiger“ Charakter bescheinigt werden.11 So merkte etwa Jan Dirk Müller an, dass in der vormodernen, weitgehend oral geprägten „Kultur der Sichtbar- keit“ körpergebundene Inszenierungen wie Gesten, Kleidercodes und Rituale „einen Teil der Aufgaben (übernahmen), die in den neuzeitlichen Kulturen das gesprochene und vor allem das geschriebene Wort erfüllen“.12 Derartig unterschiedliche Wertungen, die nur scheinbar widersprüchlich sind, zeigen zum einen, dass die Frage, welche Rolle der Schrift im Mittelalter zukam, keineswegs global beantwortet werden kann, sondern differenzierte Untersuchun- gen erfordert, die die verschiedenen regionalen, historischen und sozialen Kontexte berücksichtigen. Zum anderen stellt sich die Frage, ob nicht eine allzu unreflektierte Gleichsetzung von Schrift-Sichtbarkeit, -Lesbarkeit und -Wirkung den Blick auf die Komplexität der Erscheinungs- und Gebrauchsweisen mittelalterlicher Artefakte ver- stellt. Die vielen überlieferten Schriftzeugnisse, für deren Verständnis ein derartig einfaches Beurteilungsschema eher hinderlich erscheint, legen ein grundsätzliches Umdenken nahe. 6 Wenzel 2003, 629f. 7 Strätling/Witte 2006, 9. 8 Krämer 2006, 75. 9 Strätling/Witte 2006, 7. 10 Kiening 2008, 37–42. 11 Müller 2003, 118. 12 Müller 2003,