Auf Dem Wege Zur Zivilgesellschaft 50 Jahre Bundesrepublik
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DER BÜRGER IM STAAT 49. Jahrgang Heft 3 1999 Auf dem Wege zur Zivilgesellschaft 50 Jahre Bundesrepublik Sonderteil Kommunalwahlen 1999 Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung DER BÜRGER Baden-Württemberg IM STAAT Schriftleiter Prof. Dr. Hans-Georg Wehling Stafflenbergstraße 38, 70184 Stuttgart 49. Jahrgang Heft 3 19 99 Fax (07 11) 2 37 14 96 Inhaltsverzeichnis Vorwort 145 Paul Ackermann 170 Der interventionsfähige Bürger Martin und Sylvia Greiffenhagen 148 als zukunftsfähiges Leitbild Deutschland und die Zivilgesellschaft Hans-Joachim Mann/Hans-Georg Wehling 174 Ulrich Bausch 153 Kommunalwahl 1999: Wie wird gewählt? Der schwierige Abschied Wer wird gewählt? vom Obrigkeitsstaat Das politische Buch 185 Jürgen Appel 156 Massenmedien in der Zivilgesellschaft Roland Haug 159 Der informierte Bürger Einzelbestellungen und Abonnements bei der Herbert Schneider 165 Landeszentrale (bitte schriftlich) Bürgerkultur und politische Bildung Impressum: Seite 195 Theodor Eschenburg zum Gedächtnis 169 Bitte geben Sie bei jedem Schriftwechsel Politikwissenschaft mit dem Verlag Ihre auf der Adresse aufgedruckte aus dem Geist der politischen Bildung Kunden-Nr. an Auf dem Wege zur Zivilgesellschaft Eigentlich grenzt es an ein Wunder: der Aufbau sten Weltkriegs und dem Untergang des Kaiserrei- einer Demokratie in Deutschland nach 1945, die ches. Als Funktionseliten konnten sie nun ihr Wis- sich nun schon über 50 Jahre hinweg als außeror- sen und ihre Erfahrung in den materiellen Wieder- dentlich stabil erwiesen hat, mit gut funktionieren- aufbau einbringen. Der rasche Erfolg Deutschlands den Institutionen, die letztlich von gemeinsamen nach dem totalen Zusammenbruch nach 1945 be- Grundüberzeugungen und vom Vertrauen der Bür- ruhte gerade auch darauf, dass es außerhalb von gerinnen und Bürger in unserem Land getragen Politik und politischer Kultur keine Stunde Null werden. Von der Ausgangslage her war das nicht gab. Die spezifisch deutsche Situation bestand also unbedingt zu erwarten, angesichts der Trümmer, darin, dass auf dem Gebiet von Staat, Politik und die das „Dritte Reich“ in jeder Beziehung hinterlas- politischer Kultur ein umfassender Neubeginn sen hatte. Skeptisch waren nicht nur Beobachter stattfand, auf den anderen Gebieten wie Verwal- von außen, wenn sie die politischen Traditionen in tung, Bildung und vor allem Wirtschaft eben gera- Deutschland bedachten, die ihnen ganz und gar de nicht. Diskontinuität und Kontinuität in ge- nicht demokratieförderlich erscheinen konnten. schickter, ja in „richtiger“ Weise gekoppelt – das Dass Deutschland wirtschaftlich so schnell wieder war das Erfolgsrezept. Deutlich wird das auch in auf die Beine kam, ja ausgesprochen weltweit er- Hinblick auf den anderen Teil Deutschlands, der folgreich war, war eher zu erwarten, angesichts von einer solchen Entwicklung ausgeschlossen der viel gerühmten „deutschen Tugenden“. Trotz- blieb. dem wurde vom „Wirtschaftswunder“ gespro- An zweiter Stelle genannt zu werden verdient eine chen. Sehr viel angebrachter wäre es, von einem „geschickte Verfassungsgebung“, wie das Martin politischen Wunder zu reden, mehr noch von und Sylvia Greiffenhagen bezeichnet haben. Das einem politisch-kulturellen Wunder. Denn was sich Grundgesetz, das bewusst aus den Erfahrungen seit dem Ende von Nationalsozialismus und Zwei- von „Weimar“ zu lernen versucht hat, darf mit tem Weltkrieg in den Köpfen und im politischen guten Gründen als eine Meisterleistung bezeich- und sozialen Verhalten der Deutschen entwickelt net werden. Insbesondere das Arrangement funk- hat, war völlig unvorhersehbar, hat ein Deutsch- tionstüchtiger Institutionen war wichtig für den land geschaffen, das es so nie gab und das mit Erfolg des Grundgesetzes – so bedeutend es natür- allem vorher Gegebenen nichts zu tun hat – ein lich auch ist, dass in dieser Verfassung die Grund- durch und durch demokratisches Deutschland, ein rechte demonstrativ an erster Stelle stehen. Gerade Deutschland der guten Nachbarschaft, ein wegen dieser hohen Qualität der Verfassungsge- Deutschland, vor dem niemand in der Welt sich bung vor nunmehr 50 Jahren war es durchaus na- mehr zu fürchten braucht. Dieses „Wunder“ gilt es heliegend, es nach der deutschen Vereinigung bei zu konstatieren und – ein Stück weit wenigstens – diesem Grundgesetz zu belassen. auch zu erklären. Eine Verfassung, und sei sie noch so gut, lebt An erster Stelle, zumindest zeitlich, steht die Erfah- davon, dass sie verstanden und akzeptiert und dass rung von „Drittem Reich“ und Krieg. Das System nach ihr gehandelt wird, nicht nur dem Buchsta- des Nationalsozialismus hatte sich so gründlich dis- ben, sondern vor allem dem Geist nach. Das gilt kreditiert, dass nach 1945 ihm niemand mehr nach- nicht nur für die handelnden Politiker, das gilt für trauerte. Der Boden für einen völligen Neuanfang alle. Von daher ist es wichtig, dass die Menschen im war damit vorbereitet. Die politischen Eliten im en- Geist dieser Verfassung erzogen werden, dass sie geren Sinne des Wortes waren umfassend ausge- den Sinn ihrer Institutionen verstehen und dann tauscht: die des „Dritten Reiches“ hatten Selbst- die Politiker daran messen, inwieweit sie sich insti- mord begangen, saßen im Gefängnis, waren amts- tutionengerecht verhalten. Hier liegt eine zentrale enthoben oder waren untergetaucht. Die Eliten Aufgabe der politischen Bildung, in Form des Ge- der anderen Sektoren der deutschen Gesellschaft – meinschaftskundeunterrichts der Schulen, in Poli- in Verwaltung und Justiz, in Massenmedien und in zei und Bundeswehr, in der freien Jugend- und Er- den Hochschulen sowie in der Wirtschaft – hatten, wachsenenbildung. Wobei die Aufgabe von Bun- wenn sie allzu exponiert gewesen waren, ihre Stel- deszentrale und Landeszentralen für politische len verloren. Ansonsten hatten sich die deutschen Bildung darin besteht, die Qualität der politischen Eliten sehr schnell auf die neuen Verhältnisse ein- Bildungsarbeit in den verschiedenen Sektoren der gestellt, nicht nur aus Opportunismus, sondern ge- Gesellschaft zu gewährleisten – durch Publikatio- rade weil das alte System sich auch in ihren Augen nen und durch Veranstaltungen. Die Institutionali- diskreditiert hatte. Hier liegt ein bemerkenswerter sierung politischer Bildung verdient somit an drit- Unterschied zur Situation nach dem Ende des Er- ter Stelle genannt zu werden, wenn nach den 145 Gründen für das politische Wunder Deutschland Bürgerinnen und Bürger diese Verfassung stützen gefragt wird. und schließlich ob die ökonomischen und sozialen Demokratie setzt den informierten und engagier- Gegebenheiten so beschaffen sind, dass jeder seine ten Bürger voraus, der willens und in der Lage ist, Chance sieht und niemand befürchten muss, in der sich politisch einzumischen. Nicht nur wenn er aus- Not alleine gelassen zu werden. drücklich gefragt ist wie bei Wahlen und Abstim- Die Verfasstheit eines Landes weist also drei mungen, sondern immer dann, wenn es notwen- Dimensionen auf: Erstens geht es um die politisch- dig ist, aber selbstverständlich auch, wenn er seine institutionelle Verfassung, die Verfassung im Interessen berührt sieht. In einer Massendemokra- engeren Wortsinn, die wir bei uns in der Bundesre- tie bedarf es dafür der Massenmedien, die die In- publik als Grundgesetz kennen. Sie wird unter- formationen für den konkreten Fall liefern. Politi- stützt, ja getragen, zweitens von der geistig-see- sche Bildung und Massenmedien arbeiten letztlich lisch-moralischen Verfassung eines Landes, die wir dabei Hand in Hand. Eine freie Presse sicherzustel- mit dem Begriff der politischen Kultur benennen. len, gehört zu den Grunderfordernissen der Demo- Kurz gesagt liegt die Bedeutung der politischen kratie. Der regierungsunabhängige Rundfunk als Kultur darin, dass eine Demokratie ohne Demokra- Informationsmedium ist in Deutschland ein No- ten langfristig keinen Bestand haben kann. Das ist vum. Die Weimarer Republik kannte nur den Re- die Lehre von Weimar. Als Drittes schließlich gierungsrundfunk, die deutschen Nachkriegspoliti- kommt die gesellschaftlich-ökonomische Verfas- ker aus der Weimarer Zeit versuchten daran anzu- sung hinzu. Sie beinhaltet die Wirtschafts- und So- knüpfen, wurden aber von den alliierten Kulturof- zialordnung, die Eigentumsstruktur, die Arbeitsbe- fizieren daran gehindert, die auf der öffentlich- ziehungen, das System der sozialen Sicherheit. Alle rechtlichen Konstruktion mit der Kontrolle durch drei „Verfassungs“-Bereiche sind eng miteinander die gesellschaftlich relevanten Gruppen bestan- verwoben, müssen nicht nur in sich, sondern auch den. Die hohe Qualität einer freien, demokrati- untereinander „stimmen“, sich wechselseitig stüt- schen und unabhängigen Medienlandschaft lässt zen und machen insgesamt die Verfasstheit eines sich als vierte Voraussetzung anführen. Landes aus. Damit ist zugleich eine fünfte Voraussetzung ange- Die Bedeutung der politischen Kultur für das sprochen, die das demokratische Wunder Deutsch- Schicksal eines Landes ist am Beispiel Deutschland land ermöglicht hat: die Hilfestellung der Alliier- von der Wissenschaft entdeckt worden, die sich ten, die entscheidende Weichenstellungen im Me- für die Erfolgsbedingungen von politischer Stabi- dienbereich trafen, die im Bereich der Kulturpolitik lität und Demokratie interessiert. Die Ergebnisse deutsche Politiker aus der Weimarer Zeit dazu der Politischen-Kultur-Forschung sind für alle die brachten, autoritäre Staatsvorstellungen zu ver- Länder von Bedeutung, die sich nach dem Zusam- lassen