Deutschland

, 49. Erst im Jahr 1993 JUSTIZ festgenommen, hat sie nach der Pro- gnose der Anstaltsleitung des Gefäng- Rache oder nisses in -Preungesheim noch mindestens weitere acht Jahre Haft vor sich. Gerechtigkeit • Eva Haule, 51. Sie kann immerhin seit dem vergangenen Jahr in Berlin als Frei- Seit zehn Jahren führt der gängerin tagsüber eine Fotoschule besuchen. Ex-Terrorist Knut Folkerts ein Und nun soll Folkerts, normales Leben. Jetzt soll er der bereits fast 20 Jahre bis zu 20 weitere Jahre in Haft. gesessen hat, noch ein- mal bis zu 20 Jahre in m niederländischen Utrecht erfährt das Haft? Leben des Knut Folkerts offenbar be- „Ich bedauere, dass Isondere Wendungen. „Pfeifend“, be- Ihr Mann durch mich richtet Joke Kranenburg, 53, hätten Pas- umgebracht wurde“, santen diesen „Rotzak“, diesen „Scheiß- richtete Knut Folkerts

kerl“ eines Tages durch die Straßen laufen (R.) STROUX (L.);JÖRG-PETER MAUCHER MARILY im Sommer der Witwe sehen, das habe sie zornig gemacht. „Wer Terrorist Folkerts (1980, 2000): Von der RAF distanziert über das niederländi- jemandem das Leben nimmt, der muss sche Fernsehen aus, auch dafür büßen.“ aber eine weitere Inhaftierung finde er Knut Folkerts, heute 54 Jahre und ehe- „nicht gerechtfertigt“. maliger RAF-Terrorist, habe ihr „Leben Im Gefängnis hatte sich Folkerts für eine ruiniert“, sagt Joke Kranenburg. Im Sep- Deeskalation des bewaffneten Kampfes tember 1977 hatte Folkerts während der stark gemacht. Dann distanzierte sich der Geiselhaft des Arbeitgeberpräsidenten Geläuterte von der RAF und ihrer mörde- Hanns Martin Schleyer den 46-jährigen Po- rischen Politik. Hardliner der Terrortruppe lizisten Arie Kranenburg erschossen. Die wie Mohnhaupt und Klar brachen deshalb Polizei hatte Folkerts gestellt, als er eine mit ihm. Das Vollstreckungsersuchen der Autovermietung aufsuchte. Niederländer hält Anwältin Halm darum

Joke Kranenburg, beim Tode ihres Man- ANP für „völlig absurd und unmenschlich“. nes hochschwanger, hat nie wieder gehei- Beerdigung des Polizisten Kranenburg (1977) Wandlung wie Entschuldigung empfin- ratet, ihre beiden Söhne allein großgezo- „Dafür hat er noch keinen Tag gesessen“ det Joke Kranenburg dagegen als Oppor- gen. Folkerts war in Utrecht zu 20 Jahren tunismus: „Sonst hätte er es mir ins Ge- Haft verurteilt, dann aber an die Bundes- hört gerechtes Strafen auf, wo fängt Ra- sicht gesagt und nicht in eine Kamera.“ republik ausgeliefert worden. Hier war er che an? Auch heute noch sieht sie sich als Opfer, 1980 wegen seiner Beteiligung an der Er- Der sogenannte „Deutsche Herbst“ ist von einem Terroristen in die Isolation ge- mordung von Generalbundesanwalt Sieg- bald 30 Jahre und eine friedliche Revolu- trieben. „Und dafür hat er noch keinen fried Buback zu lebenslanger Freiheits- tion her. Die Terrorgefahr kommt inzwi- Tag im Gefängnis gesessen.“ strafe verurteilt, 1995 dann unter Bewäh- schen nicht mehr von links, sondern von „Rechtlich ist es einwandfrei, dass je- rungsauflagen freigelassen worden. Als sie religiösen Fundamentalisten. Die meisten mand zwei Strafen von zwei unterschiedli- von Folkerts’ Besuch in Utrecht erfahren Mörder der siebziger Jahre sind selbst in chen Gerichten gesondert absitzt“, be- habe, sagt die Witwe, habe sie handeln Fällen besonders schwerer Schuld heute stätigt der Stuttgarter Strafverteidiger und müssen: „Er lebt in Glück und Freiheit, wieder frei. Anders ist es bei Vizepräsident des Deutschen Anwaltver- das ist für mich unerträglich.“ • , 56, die mittlerwei- eins Georg Prasser. Die juristische Proble- Entschieden wiederholte sie im alten Jahr le insgesamt seit mehr als 27 Jahren in matik, erläutert Rolf Hannich vom Deut- ihre seit 1995 vorgetragene Forderung, das bundesdeutschen Gefängnissen sitzt. schen Richterbund, ergebe sich daraus, Den Haager Justizministerium solle von den Ihre Entlassung ist nicht in Sicht. dass es sich hier um zwei extrem lange Deutschen verlangen, dass der Mörder ihres • , 53. Das Oberlandesge- Freiheitsstrafen handle. Mannes nun auch noch die in Holland ver- richt legte 1998 fest, dass seine Daher hält es Hans-Jörg Albrecht, Di- hängten 20 Jahre abzusitzen habe. Die Bit- Entlassung auf Bewährung frühestens rektor des Freiburger Max-Planck-Instituts te um Vollstreckung wurde am 13. Juli ver- 2008 möglich ist. Im Bundespräsidialamt für ausländisches und internationales Straf- gangenen Jahres abgeschickt; am 15. Sep- liegt seit zwei Jahren sein Gnadenge- recht, „aus Gründen der Gerechtigkeit“ tember stellte die Staatsanwaltschaft Ham- such, das bisher nicht entschieden ist. für geboten, den ehemaligen Terroristen burg, wo Folkerts nach Angaben seiner An- wältin Ulrike Halm seit seiner Entlassung „arbeitet und ein ganz normales Leben führt“, bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts den Antrag, das Ersuchen der Niederländer zu prüfen. Im Frühjahr wollen die Richter „in diesem exzeptionellen Fall“ (Hamburgs Justizsenator Roger Kusch) mit ihrem Votum jene Frage beantworten, die sich jetzt neu im Falle Folkerts, aber seit ge- ULLSTEIN BILD / DPA BILD ULLSTEIN raumer Zeit schon angesichts der vier noch GRIMM THOMAS AP einsitzenden RAF-Terroristen stellt: Wo Inhaftierte RAF-Terroristen Klar, Mohnhaupt, Hogefeld, Haule: Besonders schwere Schuld

40 1/2006 nicht noch einmal zu inhaftieren: „Wenn Stahlstützen und Stahlbetondecken – sie Folkerts hier in Deutschland wegen aller HAUPTSTADT ist vergleichsweise einfach. Der wahre Ab- Delikte aus dem Jahre 1977 verurteilt wor- rissfeind lebt im Untergrund. Er heißt den wäre, hätte höchstwahrscheinlich eine Ballast der „Schwarze Wanne“ und ist die Ruhe selbst. einheitliche lebenslange Freiheitsstrafe ge- In bis zu acht Meter Tiefe hält eine rie- bildet werden können.“ Und die hätte er sige Stahlbetonwanne als Fundament das jetzt schon lange abgesessen. „Der Betref- Republik Grundwasser ab. Ohne Palast würde dieser fende“, sagt Albrecht, „darf nicht schlech- 174 Meter lange Betonsarg aber nach oben ter gestellt werden, nur weil die Straftaten 15 Jahre nach Ende der DDR gedrückt. Mögliche Folge: Der Grundwas- getrennt abgeurteilt wurden.“ Überdies sei serspiegel könnte sinken, das Holzfunda- eine Strafe von insgesamt bis zu 37 Jahren beginnt der Abriss des Palastes ment der Nachbargebäude womöglich fau- nicht zu vereinbaren mit den Vorgaben des der Republik in Berlin. len. Im schlimmsten Fall könnten die Bau- Bundesverfassungsgerichts. Das habe aus Die Demontage des Prestigebaus ten gar absacken. Gründen der Menschenwürde festgelegt, wird teuer und riskant. Die Wannenfrage wurde erst richtig jedem Täter sei eine Perspektive zu geben. als Problem erkannt, nachdem eine Grup- Somit ziehe selbst eine besonders schwere eit dem Silvestertag sind die Ostal- pe ehemaliger Palast-Generalplaner, die Schuld in der Regel eine Haftzeit von ma- giker der Hauptstadt heimatlos. In sich heute selbstironisch „Ruinen-Kolleg“ ximal 25 Jahren nach sich. S„Erichs Lampenladen“, dem ehema- nennt, davor warnte, an der gigantischen Entscheidend für das Votum der Ham- ligen Palast der Republik, gingen die Lich- Bodenplatte zu rütteln. Die zuständigen burger Richter wird – neben der Beant- ter aus – damit der schon weitgehend ent- Behörden wollten zunächst den Hohlraum wortung der Frage, ob nicht doch schon al- kernte DDR-Prestigebau abgerissen wer- einfach mit Bauschutt füllen und anschlie- les längst verjährt ist – sein, wie sie einen den kann. Noch ist unklar, ob und wann an ßend begrünen. Damit aber wäre mitten Notenaustausch zwischen den Niederlan- gleicher Stelle das historische Stadtschloss auf dem Schlossplatz eine Art Hochbeet den und der Bundesrepublik bewerten. Da- als Humboldt-Forum wiederaufersteht – entstanden: Aus Erichs Lampenladen wäre nach erfolgte die Auslieferung zunächst nur aber mit der Demontage des Platzhalters Honnis Hünengrab mit womöglich ähnli- für den Prozess wegen des Mordes an Bu- soll noch im Januar begonnen werden. cher Symbolkraft geworden. back. In einer Note vom 2. Dezember 1980 Nun soll die Wanne zwar erklärte die niederländische Regierung bleiben, aber keiner darf sie se- dann, dass es „mehr im Sinne einer guten hen. Ihre aus dem Boden ra- Rechtspflege“ sei, nicht auf einer Rücklie- genden Ränder werden abge- ferung Folkerts’ zu bestehen, zumal seine hobelt; der Rest wird mit ei- Rückkehr in die freie Gesellschaft dann nem Sand-Wasser-Gemisch „wahrscheinlich viel weiter in der Zukunft aufgefüllt. Dann soll mittels liegen würde“. Die deutsche Seite wertete „extensiver Begrünung“ Gras das als klaren Verzicht. Die Niederländer über die Sache wachsen. aber bestehen heute darauf, sich stets „das „Noch eine Hundewiese in der Recht auf Vollstreckung der Strafe aus- öden Mitte Berlins“, ätzt die drücklich vorbehalten“ zu haben. einstige grüne Kultursenatorin Nachdem sie über Folkerts’ Entlassung Adrienne Goehler. im Jahre 1995 informiert worden war und Doch auch die Wiesenvari- 2000 erfuhr, dass jetzt auch die Bewährung ante birgt Probleme. Für eine

abgelaufen war, schrieb die niederländi- FOCUS / AGENTUR VOLK MARC blühende Landschaft werden sche Justiz im Oktober 2001 Folkerts in- Palast der Republik: Hundewiese statt Hünengrab 200000 Tonnen Sand benötigt. ternational zur Fahndung aus. Das entspricht mehreren tau- Bestätigt das Hamburger Landgericht Die Palast-Freunde, die sich seit 15 Jah- send Lkw-Ladungen, auch der Bauschutt jetzt die Zulässigkeit des Vollstreckungs- ren aus vielen Gründen gegen einen Abriss muss abgefahren werden. Der massive Ein- ersuchens, muss die Hamburger Justiz im gewehrt hatten, haben nun nur noch ei- satz von Brummis würde den Verkehr in Einvernehmen mit dem Bundesjustizminis- nen Verbündeten: den Palast selbst. Zer- Berlins Mitte über Monate stauen. Deshalb terium entscheiden, ob sie Folkerts dann zaust und störrisch hockt er in der Mitte wird eigens für die Abbruchmission auf auch tatsächlich in Haft nimmt. „Wenn er Berlins und stemmt sich mit 52000 Ton- der Spree ein neuer Anleger gebaut. „80 Glück hat, lehnen die das ab“, sagt Prasser. nen Beton und Stein, 20000 Tonnen Stahl Prozent des Lastverkehrs werden wir auf Sollte Folkerts durch das Drängen aus und 500 Tonnen Glas gegen sein Ende. dem Wasser abwickeln“, sagt Manuela Da- den Niederlanden tatsächlich inhaftiert Diese Masse hat Macht. Sie zu beseitigen mianakis von der Senatsverwaltung für werden, wäre das die Folge eines für ihn wird teuer – und kompliziert. Stadtentwicklung. Der Ballast der Repu- verheerenden Irrtums. Der „Rotzak“, den Sprengung oder Abrissbirnen kommen blik verschwindet per Schiff. die Passanten in Utrecht gesehen haben nicht in Frage. Im sumpfigen Untergrund Dass sich so die mindestens 20 Millionen wollen, war nicht Knut Folkerts – sondern der Museumsinsel an der Spree stehen sen- Euro teure Demontage mit Risiken und ein Doppelgänger. sible Nachbarn. Der Berliner Dom und die Nebenwirkungen bis in das Jahr 2007 hin- Folkerts hatte durch einen Zufall erfah- Museen ringsherum stützen sich auf mäch- zieht, stört niemanden. Die Berliner wol- ren, dass die Niederländer ihn suchen. Bei tige Holzpfähle. Das auf Sand und Wasser len, ähnlich wie früher am Potsdamer einem Türkei-Urlaub war er am Flughafen gebaute Herz der Hauptstadt, so die Be- Platz, Bagger und Kräne als Attraktion ver- festgehalten worden. Nur weil sich sein fürchtung, könnte aus dem Takt geraten, kaufen. „Wir rechnen mit erheblichem Name auf der Fahndungsliste nicht exakt wenn dem morbiden Palazzo die stähler- Baustellentourismus“, sagt Damianakis. mit dem in seinen Papieren deckte, konnte nen Knochen gebrochen werden. Vor- Eine Webcam wird den späten Sieg über er schließlich weiterreisen. Knut Folkerts sichtshalber werden die umliegenden Ge- den Sozialismus sogar weltweit live über- hatte daraufhin beschlossen, Deutschland bäude mit Schwingungsmessern ausgestat- tragen – für die ehemaligen Palast-Planer sicherheitshalber nicht mehr zu verlassen. tet, die im Ernstfall Alarm geben. im Ruinen-Kolleg eine „öffentliche Hin- Caroline Schmidt, Michael Sontheimer, Gefährlich werden kann weniger die richtung per Internet“. Markus Deggerich, Gerald Traufetter, Markus Verbeet Demontage der oberen Geschosse aus Michael Sontheimer

der spiegel 1/2006 41