Klaus Pflieger Generalstaatsanwalt Im Gespräch Mit Werner Reuß
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks http://www.br-online.de/alpha/forum/vor0710/20071018.shtml Sendung vom 18.10.2007, 20.15 Uhr Klaus Pflieger Generalstaatsanwalt im Gespräch mit Werner Reuß Reuß: Verehrte Zuschauer, ganz herzlich willkommen zum alpha-forum. Unser heutiger Gast ist Klaus Pflieger, Generalstaatsanwalt in Stuttgart und Experte des deutschen Terrorismus. Ich freue mich, dass Sie hier sind, herzlich willkommen, Herr Pflieger. Sie waren bereits als Dezernent bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart zuständig für das Verfahren gegen den Rechtsanwalt Klaus Croissant im Jahr 1976, der zunächst die RAF- Terroristen Ulrike Meinhof und Andreas Baader verteidigt hatte und später selbst wegen Unterstützung der terroristischen Vereinigung "Rote Armee Fraktion", also der RAF, verurteilt wurde. Sie waren Mitverfasser der Anklagen gegen die RAF-Mitglieder Peter-Jürgen Boock, Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar sowie später gegen Werner Lotze, Eva Haule, Sigrid Sternebeck und Ralf Baptist Friedrich. Zudem waren Sie bei der Bundesanwaltschaft auch Vernehmender bei den sogenannten Lebensbeichten Peter-Jürgen Boocks und des ersten RAF-Kronzeugen Werner Lotze. Sie waren natürlich noch in vielen anderen Verfahren tätig, auch in weiteren spektakulären Fällen wie z. B. bei den Brandanschlägen auf ein Wohnhaus in Köln oder auf die Synagoge in Lübeck. Aber Sie gehören vor allem zu den ganz wenigen sehr profunden Kennern des deutschen Terrorismus, insbesondere der RAF. Sie haben darüber auch Bücher geschrieben, eines darf ich hier mal kurz zeigen. Es trägt den Titel "Die Rote Armee Fraktion. RAF" und versteht sich als dokumentarisches Buch, das chronologisch und sehr neutral geschrieben ist. Darüber hinaus ist es aber auch, wie ich sagen darf, sehr spannend geschrieben. Ich möchte gleich mit etwas Ungewöhnlichem beginnen, nämlich mit einem Gedicht: "Worte nichts als Worte / trennen die Welten / durch all die Jahre / bis am Ende der Traum war / auf den Gipfeln der Macht / wie in der Tiefe der Nacht / Worte nichts als Worte / verbinden uns Menschen." Dieses Gedicht ist überschrieben mit dem Titel "Die Wahrheit" und stammt von Peter-Jürgen Boock, der als Mitglied der RAF u. a. an der Entführung und dem Anschlag auf Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer beteiligt war und auch an der Ermordung der drei Bewacher und des Fahrers. Dieses Gedicht hat er Ihnen persönlich überreicht: Wenn ich es richtig nachgelesen habe, dann hängt es bzw. hing es in Ihrem Arbeitszimmer. Was bedeutet Ihnen dieses Gedicht, wie verstehen Sie es, wie interpretieren Sie es? Pflieger: Es war im Jahr 1992, als Peter-Jürgen Boock von mir in Fuhlsbüttel in Hamburg vernommen worden ist. Dabei hat er – eine Sensation für einen Staatsanwalt – zugegeben, dass er einer der Mörder am Tatort in Köln war, als Hanns Martin Schleyer entführt wurde und er zusammen mit drei anderen aus der RAF die Begleiter Schleyers erschossen hat. Er hat dann anschließend eine Lebensbeichte abgelegt. Am letzten Tag meines Aufenthalts in Fuhlsbüttel habe ich eine Ausstellung besucht, die die dortigen Häftlinge gemacht hatten. Er hatte dafür u. a. Gedichte geschrieben. Ich habe mir dann erlaubt zu sagen: "Lieber Peter-Jürgen Boock, hättest du doch schon früher" – wir sind selbstverständlich per Sie gewesen, aber so war es gemeint – "zur Wahrheit gefunden." Er, der ja immer wieder einmal etwas Poesie schreibt und der auf diesem Gebiet ja auch schon Bücher geschrieben hat, hat dann dieses Gedicht geschrieben. Insofern ist es für mich eine permanente Erinnerung an diese damalige Vernehmung, die in der Tat ein Höhepunkt in meinem staatsanwaltschaftlichen Berufsleben war. Reuß: Wir kommen gleich noch zu diesem ganzen Themenkomplex, auch zu Ihrem Verhältnis gegenüber diesen Angeklagten, das man ja doch auch aufbaut im Laufe der Zeit. Zunächst aber möchte ich mit Ihrem jetzigen Amt beginnen. Sie sind Generalstaatsanwalt, und dazu habe ich eine schöne Definition gelesen: "Es ist die Amtsbezeichnung für einen Landesbeamten. Der Inhaber des Amtes ist i. d. R. Behördenleiter einer Generalstaatsanwaltschaft und Dienstvorgesetzter der Staatsanwälte, Amtsanwälte, Rechtspfleger und sonstigen Bediensteten seines Bezirks und seiner Zuständigkeit. Er selbst unterliegt der Dienstaufsicht durch den jeweiligen Landesjustizminister." So steht es im Internetlexikon "Wikipedia". Beschreibt das Ihre Funktion? Fehlt etwas? Würden Sie etwas korrigieren wollen? Pflieger: Diese Beschreibung meiner Tätigkeit ist für den Adressaten wohl wenig plastisch. Selbst meine Kinder haben mich – selbstverständlich auf Schwäbisch – schon gefragt: "Was schaffst du denn überhaupt? Was tust'n du?" In der Tat, das ist nicht so einfach zu beschreiben. Ich bin jedenfalls der Vorgesetzte von allen Angehörigen der württembergischen Staatsanwaltschaften. Das sind insgesamt etwa 900 Personen, darunter etwa 300 Staatsanwälte. Die dazugehörigen acht Staatsanwaltschaften reichen von Ravensburg im Süden bis nach Heilbronn im Norden. Ich bin also z. B. aktuell zuständig auch für den Polizistenmord an dieser jungen Frau, die in Heilbronn – durch vermutlich zwei Täter – regelrecht hingerichtet worden ist. Ich habe also die Dienstaufsicht über die Staatsanwaltschaften. Reuß: Aber Sie ermitteln nicht mehr selbst? Pflieger: Nein, ich mache dieses "Ermittlungsgeschäft", das ich früher so sehr geliebt habe, heute nicht mehr. Es war schon ausgesprochen reizvoll, quasi wie ein Archäologe Straftaten aufzuklären. Das mache ich seit gut 12 Jahren nicht mehr, als ich von der Bundesanwaltschaft wieder zurückgewechselt bin nach Stuttgart. Seither bin ich, wie man sagen kann, eher so etwas wie ein Manager. Ich bin also für die Verwaltung, für die Organisation, für das Management in der Staatsanwaltschaft zuständig. Ich bin auch Aufsichtsbehörde und höchster Beamter der Staatsanwaltschaft, kurz, ich bin dafür verantwortlich, dass der Laden läuft, dass da nichts schief geht. Ich habe also die Verantwortung für die Angehörigen der Staatsanwaltschaften in Württemberg. Reuß: "Was gestern noch Recht war, ist heute Unrecht, und morgen ist Unrecht, was heute noch Recht ist. So kann künftiges Recht bereits gegenwärtiges Unrecht sein und künftiges Unrecht ist gegenwärtiges Recht." So sagte es zumindest der Schriftsteller Robert Kroiß. Würden Sie dem zustimmen? Ist Recht etwas Flexibles, etwas Zeitabhängiges? Oder würden Sie sagen, dass es doch eine Art übergeordnetes Naturrecht gibt, so wie wir heute z. B. die Menschenrechte verstehen? Pflieger: Unser Recht besteht zu 90 Prozent aus Tradition. Ich meine damit, dass wir das Recht nicht regelmäßig verändern. Es wird natürlich immer wieder nachgebessert, speziell auch im Strafrecht. Heute ist es z. B. so, dass Homosexualität im Gegensatz zu früher nicht mehr strafbar ist. Es kommen aber auch immer wieder neue Straftatbestände hinzu: Es gibt heute den Straftatbestand des "Stalking", das Verfolgen von Prominenten. Das Strafrecht ist also sehr wohl immer wieder aufgerufen, sich neuen Entwicklungen anzupassen, sodass dann Dinge strafbar werden, die man vorher nicht als Straftat bewertet hatte. Und es ist auch so, dass sich mit der Veränderung gewisser Moralvorstellungen in unserer Gesellschaft das Strafrecht verändert. Permanent im Gespräch ist da z. B. immer das Thema "Abtreibung" gewesen: Das ist ein Thema, über das man sich in der Vergangenheit wirklich die Köpfe heiß geredet hat. Und das ist ganz sicher auch ein Thema, das man in Zukunft im Auge behalten wird. Aber es gibt doch ein paar Grundsätze, die unveränderlich sind. Der Mord, die Tötung eines Menschen war z. B. immer strafbar und wird es immer sein. Reuß: "Am schlimmsten sind die Richter, die glauben, schon deshalb recht zu haben, weil sie Recht sprechen dürfen", so der Rechtsanwalt und Publizist Robert Muthmann. Teilen Sie die Auffassung, dass Recht haben und Recht bekommen zweierlei ist, wie der Volksmund sagt? Pflieger: Wir kämpfen in der Tat permanent darum, Recht zu sprechen. Das ist wirklich ein permanenter Kampf, bei dem wir die von allen gewünschte Gerechtigkeit nur in einer Art Limes erreichen können. Wir können nur den Versuch unternehmen, möglichst gerecht zu sein. Dazu gehört für mich, also für Richter wie für Staatsanwälte, dass man sich selbst immer wieder in Frage stellt. Für mich ist das Faszinierende gerade am Beruf des Staatsanwaltes, dass wir ähnlich wie Richter und anders als Anwälte zur Objektivität verpflichtet sind. Das weiß man nämlich in der Öffentlichkeit häufig nicht. Viele Menschen, die bei uns heute amerikanische Staatsanwälte in irgendwelchen Fernsehserien und Filmen sehen, kennen deren Parteilichkeit ähnlich der des Verteidigers. Wir Staatsanwälte in Deutschland sind jedoch zur Objektivität aufgerufen. Daher lautet für uns die Aufgabe, uns selbst immer wieder in Frage zu stellen: Wir müssen immer wieder versuchen uns zu hinterfragen, ob wir wirklich im Recht sind. Reuß: Ich möchte hier gerne eine kleine Zäsur machen und unseren Zuschauern den Menschen Klaus Pflieger näher vorstellen. Sie sind am 14. Mai 1947 in Stuttgart geboren, Ihr Vater war Handelsvertreter, Ihre Mutter Hausfrau. Sie wohnten mit Ihrer Familie in Böblingen, etwa 20 Kilometer südwestlich von Stuttgart. Böblingen hat heute rund 50000 Einwohner. Sie sind gemeinsam mit einer Schwester aufgewachsen: Wie war Ihre Kindheit? Wie waren Ihre Eltern? Pflieger: Meine Kindheit war vor allem durch den Vater geprägt, der mir zwei Dinge vermittelt hat, die vielleicht heute noch eine Rolle spielen in meinem Leben: erstens mathematisch-nüchternes Denken. Ich habe das