„Leben Gegen Leben“ Im Herbst 1977 Entführt Die Zweite Generation Der RAF Den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer
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Serie (VII): Die Schleyer-Entführung Entführungsopfer Schleyer (1977): „Die Entscheidung liegt in der Hand der Bundesregierung“ „Leben gegen Leben“ Im Herbst 1977 entführt die zweite Generation der RAF den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Bundeskanzler Helmut Schmidt setzt auf Härte – eine beispiellose Jagd beginnt. Doch immer wieder verheddern sich die Fahnder im selbstgeschaffenen Chaos. Von Georg Bönisch ast ehrfürchtig nannten seine Getreu- listen, kannte jedenfalls die Terroristen wie Stimme, Fingerabdrücke, Säurewert des en ihn „Kommissar Computer“, weil kein anderer, im wahrsten Sinne des Wor- Speichels. Aber der BKA-Chef wusste F er das geballte Wissen der Polizei im tes das Schwarze unter den Fingernägeln nicht, wer oder was „H. M.“ war – dieses elektronischen Archiv festhalten wollte, der Meinhof, die Konfektionsgröße von Kürzel war in einem 1976 beschlagnahm- abrufbar binnen Sekunden. Für seine Geg- Willy-Peter Stoll, er hatte vor Augen, „wie ten RAF-Geheimpapier aufgetaucht. He- ner war der Chef des Bundeskriminalamtes Adelheid Schulz über den großen Onkel rold wusste im Frühjahr 1977 nur, dass „Big Brother Herold“, das Schreckgespenst latscht“. „H. M.“ wohl für ein Verbrechen „von im Überwachungsstaat. Er hatte die Terroristen digitalisiert, al- großem Ausmaß“ stand – ein Verbrechen, Horst Herold, der promovierte Völker- les in Einzelinformationen zerlegt und in das ihm schließlich die größte Niederlage rechtler, ein Philosoph unter den Krimina- seinen Rechnern gespeichert – Haare, seines Lebens bringen sollte. 64 der spiegel 43/2007 Seine Beamten blätterten im „Who’s deutschen Republik. Und er war ein Boss denn der Genussmensch Schleyer war das Who“, lasen Fachzeitschriften. „Alle Kom- mit tiefbrauner Vergangenheit. Mit 27 hat- Gegenteil einer dürren Spindel. Die Ter- pendien“, sagt Herolds engster Mitarbeiter te er mal von sich selbst gesagt, er sei „al- roristen hatten fünf Autos gekauft oder Wolfgang Steinke, seien „kreuz und quer ter Nationalsozialist und SS-Führer“. Mit gestohlen und vier Wohnungen gemietet – ausgewertet“ worden. Ohne Ergebnis, den Mitgliedsnummern 227014 (SS, seit und keiner im Staat war in der Lage, der „H. M.“ blieb zunächst ein Rätsel. 1933) und 5065527 (NSDAP, seit 1937) war tödlichen Gefahr entgegenzuwirken, in der Schließlich half ein Zufall: Anfang Juli er sehr früh ein Getreuer Adolf Hitlers ge- Schleyer nun schwebte. nämlich hatten zwei vermeintliche Stu- worden. Im neuen Deutschland wurde er Doch es gab eine Chance, den Anschlag denten im Hamburgischen Welt-Wirt- trotzdem nach drei Jahren französischer zu verhindern – und damit wohl alles, was schafts-Archiv die Akte Ponto kopiert, Ma- Internierung entnazifiziert als „Mitläufer“. dann in der bleiernen Schwere des Deut- terial über das vierte RAF-Mordopfer in Viele hielten seinen Lebensweg für den schen Herbstes geschah, die Entführung der „Offensive 77“, wie jene Blutmonate Musterfall einer kontinuierlichen Karriere des Lufthansa-Jets „Landshut“, die Selbst- morde in Stammheim, Schleyers Tod. Schleyers Vernetzung mit Wirtschaft und Am 2. September, es ist ein Freitag, be- obachtet der Kaufmann Uwe Gartiser von Politik war perfekt – ein Kalkül der RAF. seiner Wohnung im Kölner Raderthalgür- tel aus einen Alfa Romeo, der ganz in der im Jargon der Terroristen hießen. Und eine aus der Hitler-Diktatur in die Ära Ade- Nähe neben einer Telefonzelle parkt. Zeugin erklärte am Tag nach dem Mord nauers – und der RAF-Mann Stefan Wis- Schon tags zuvor war ihm der Wagen auf- an dem Bankier Jürgen Ponto, die beiden niewski behauptete später, der Ex-Nazi re- gefallen, an derselben Stelle. Er sieht nun hätten auch einen Ordner in den Händen präsentiere wie kein anderer den „bruch- drei junge Frauen im Auto oder am Auto, gehabt mit Unterlagen über Hanns Martin losen Übergang“. Deswegen auch sei die auffällig den Verkehr beobachten. Der Schleyer, das Vorstandsmitglied von Daim- Schleyer „einfach ein Magnet“ gewesen – Raderthalgürtel im Südwesten Kölns ist ler-Benz, den Präsidenten der in Köln re- und eine durchaus geeignete Geisel für den Teil der Fahrstrecke Schleyers vom Ober- sidierenden Arbeitgeberverbände. Plan der Pläne: Andreas Baader zu befrei- länder Ufer, wo der Arbeitgeberverband War Schleyer wegen seines Vornamens en, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und residiert, bis zu seinem Appartement im also „H. M.“? die anderen Stammheimer Häftlinge: „Big gediegenen Kölner Stadtteil Braunsfeld. „H. M.“, das behaupten zwei ehemalige Raushole“ hieß der RAF-Code. Gartiser sieht, dass eine der Frauen mit ei- Terroristen heute, sei nicht die Code-Be- Schleyer kannte viele in der Politik, die nem Schraubenzieher am Auto hantiert. zeichnung für Schleyer gewesen, eine Er- das Sagen hatten, bis hoch zum Kanzler. Und er denkt: ganz schön emanzipiert. klärung liefern sie freilich nicht. Herold Mit etlichen war er befreundet, auch mit Zwei der Frauen werden später auf der und seine Ermittler jedoch waren über- Helmut Kohl, damals Oppositionsführer. Fahndungsliste stehen: Es sind RAF-Kom- zeugt, dass nur Schleyer gemeint sein Eigentlich war seine Vernetzung perfekt, mandantin Brigitte Mohnhaupt und ihre konnte, und fortan galt der Manager als das auch war das Kalkül der Terroristen, Helferin Adelheid Schulz. höchst gefährdet. Nicht irgendein Beamter und einer wie der RAF-Mann Rolf Kle- Gartiser wählt den Notruf, die Nummer teilte es ihm mit – sondern der oberste mens Wagner ist heute immer noch über- 110, um 17.32 Uhr wird der Anruf im Poli- Chef der Exekutivkräfte, FDP-Bundes- zeugt, das Opfer Schleyer sei das „richtige“ zeipräsidium registriert. „Wer ist für Ter- innenminister Werner Maihofer. Jetzt galt gewesen. rorismusbekämpfung zuständig?“, fragt er. „Sicherheitsstufe 1“, Leibwächter auf Monatelang hatten die Vorbereitungen Der Streifenwagen „Arnold 12/20“ jagt Schritt und Tritt, und vor Schleyers Tür für das Kommandounternehmen „Spindy“ hinaus, Polizist Wolfgang W. erinnert sich standen rund um die Uhr zwei Schutz- gedauert, Spindy, das war RAF-Ironie, genau an den Wortlaut der Einsatzorder: polizisten. Sicherheitsstufe 1, das bedeu- tet: „Mit einem Anschlag ist zu rechnen.“ Am 1. September berichtete Herold dem Innenausschuss des Deutschen Bundesta- ges, das Leben „einer bestimmten Person“ sei bedroht, den Namen wolle er „hier jetzt nicht nennen“. Maihofer hatte Schleyer gebeten, sich „Anordnungen, die die Polizei treffen muss, zu beugen“, und Schleyer war über- zeugt, alle „Maßnahmen auch korrekt durchgeführt“ zu haben. Deren „Wirk- samkeit“, fügte er hinzu, könne er freilich „nicht beurteilen“. Vier Tage nach seinem Auftritt im Innenausschuss wollte auch der BKA-Chef Herold mit Schleyer telefonie- ren – erreichte ihn aber nicht an diesem Montag, dem 5. September 1977. Schleyers Büro avisierte einen Rückruf, doch der sollte nie kommen. Einem Teil der deutschen Linken gab Schleyer das perfekte Feindbild ab – als die Personifizierung des Ausbeuters. Schleyer war ein Klischee-Boss, der tatsächlich keinen Konflikt scheute; 1963, während des Metallerstreiks in Baden- Württemberg, organisierte er die erste IMO größere Aussperrung in der noch jungen BKA-Chef Herold (1976): Wer war „H. M.“? der spiegel 43/2007 65 RAF-Serie (VII): Die Schleyer-Entführung „Verdächtige Personen am Kfz, Raderthal- nung: „An den Haufen, der sich RAF Kurz nach 18 Uhr wird der Bundes- gürtel, gegenüber Schwimmbad“. nennt. Unsere Geduld mit euch ist zu En- kanzler informiert. Helmut Schmidt sitzt Dies deckt sich fast mit der Formulie- de.“ Das ist O-Ton Stammheim, der letzte gerade zusammen mit Hans-Dietrich Gen- rung auf dem Vordruck der Leitstelle, der Kassiber der inhaftierten RAF-Gründer. scher, dem Außenminister, und Maihofer, nach jedem Hinweis routinemäßig ausge- Und dann die Drohung: „Wenn ihr nicht dem Innenminister, der Schleyer über des- füllt wird: „Verd. Kfz K-XY 847 … Rader- die Initiative ergreift, sprechen wir euch sen bedrohliche Lage eingeweiht hatte. thalgürtel 5 … Insassen 3 weibl. Personen“. das Recht ab, euch noch RAF nennen zu Schmidt erklärt den Fall Schleyer sofort Nur fehlt die Information, warum dem An- dürfen.“ Ein Ultimatum, fraglos. zur Chefsache. rufer die Frauen verdächtig vorkamen – er Der Plan der Terroristen ist simpel: Sie Keiner in der Runde zweifelt daran, wer dachte, es seien Terroristinnen. wollen Schleyer entführen und gegen die die Täter sind. Die Gewissheit folgt zwei Streifenführer Josef T. verlangt Führer- Stammheimer austauschen. „Wir wollen Stunden später: Ein Hausmeister hatte die schein, Fahrzeugschein und die Personal- Leben gegen Leben“, sagt Wisniewski – Polizei auf den Standort eines VW-Bully ausweise, alle Daten stimmen überein. Der ohne Rücksicht auf die vier Männer, die aufmerksam gemacht, in dem Schleyer Beamte gibt das Kennzeichen durch – „ne- Schleyer begleiten würden. nach Zeugenaussagen verschleppt worden gativ“, lautet die Auskunft. Kein Wunder, Als das „Kommando Siegfried Hausner“ war. Im Fahrzeug liegt ein Zettel mit kur- denn das Auto ist ein sogenanntes Dub- – Wisniewski als Anführer, Boock, Stoll zen Anweisungen „an die bundesregie- lettenfahrzeug: Das Nummernschild ist die gefälschte Version eines Kennzeichens, das zu einem ordnungsgemäß zugelassenen Alfa Romeo gleichen Typs und gleichen Aussehens gehört. Ein Trick freilich, der blitzschnell zu ent- larven wäre – wenn die im Schein notier- te Fahrgestellnummer mit der am Fahrzeug verglichen würde; oder wenn bei der Über- prüfung des Kennzeichens gleich nach dem Halter gefragt würde. Beides geschieht nicht – just in der Sekunde, als Polizeimeis-