Volksmusik in Der NS-Zeit Und Danach

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Volksmusik in Der NS-Zeit Und Danach Kultur.verbände Seite 94 Volksmusik in der NS-Zeit und danach Ein Workshop zum aktuellen Umgang mit der (musikalischen) Vergangenheit, Grödig, 17.1.2015: Kurznachlese TEXT: Wolfgang Dreier-Andres Volksmusiksammlung und -pflege vor, während und nach der NS-Zeit (Wolfgang Damit sich interessierte Musikerinnen und Mu- Dreier-Andres) siker und Lehrende nicht von Grund auf und ohne Start- Die intensive Sammlung von Volkslied und Volks- hilfe in das Thema einlesen müssen, startete das Musi - musik im 19. Jahrhundert mündete schließlich 1904 kum in Zusammenarbeit mit Salzburger Musikverein und ins monarchieübergreifende Österreichische Volkslied- Salzburger Volksliedwerk eine Initiative für Lehrende, in unternehmen. Dessen erklärtes Ziel war eine „Gesamt- der die komplexen und vielschichtigen Ursachen, Zusam- ausgabe“ der österreichischen Volksmusik, der man seit menhänge und Wechselwirkungen didaktisch aufbereitet 1908 auch in Salzburg in einem eigens dafür gebildeten und von verschiedenen Seiten beleuchtet wurden. „Arbeitsausschuss“ zuarbeitete. Mit Unterbrechungen sammelte man bis Ende der 1920er-Jahre sehr intensiv. Die Musikwissenschaftler Thomas Nußbaumer, In den 1930er-Jahren wandelten sich die Interessen – die Thomas Hochradner (beide Universität Mozarteum), Pflege der bereits gesammelten Lieder trat in den Vor- Wolfgang Dreier-Andres (Archivleiter Salzburger Volks- dergrund, „offene Singen“, „Volkslieder-Wettsingen“ liedwerk) und der Germanist und Tobi Reiser-Kenner und ähnliche Veranstaltungen boomten. Diese „Pflege“ Karl Müller (Universität Salzburg) haben in vier wurde von den Nationalsozialisten teils direkt übernom- Kurzreferaten die Faktenlage anhand verschiedener men, das „Volkslied“ im Sinn ihrer Ideologie instrumen- Schwerpunkte dargestellt. Ihre Ausführungen bildeten talisiert. Mitunter stellte man Weichen, die das Regime Ausgangspunkt und Diskussionsmaterial für einen überdauern sollten: Vielfach treffen wir vor, während anschließenden, nachmittäglichen Workshop (Leitung und nach der NS-Zeit auf dieselben Personen und Michael Seywald), in den sich die Teilnehmer aktiv Lieder, teils auf dieselben Begrifflichkeiten, Bedürfnisse einbringen konnten. Um die Grundlagenreferate und Aussagen. Diese Kontinuitäten und ihre zeitlichen, dieser Veranstaltung, die am 17. Jänner 2015 unter gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge sind großer Beteiligung im Musikum Grödig stattfand, das Kernthema des Vortrags. auch schriftlich zu dokumentieren und somit für die interessierte Öffentlichkeit nachschlagbar zu machen, Zusatz: Der semantische Aussagegehalt werden nachfolgend die Abstracts zu den vier Vor- von Musik trägen sowie eine nach Themen geordnete Literatur- Musik ist KEINE Sprache, sie lässt sich auch nicht liste (nach Empfehlungen der Referenten) abgedruckt: 1:1 in eine solche „übersetzen“. Vielmehr wird sie mit kultur.gut basisheft 2015-01.indd 94 20.04.15 13:28 Seite 95 jeweils unterschiedlichen Bedeutungen angefüllt, die ihr Vereinnahmungen der „Volkskultur“, insbesondere teils unterlegt werden (Liedtexte, Texte zu einer „Pro- durch das NS-Regime, beklemmend waren und in grammmusik“) oder sich aus dem Vorwissen des Hö- vielfacher Hinsicht nachhaltige Wirkungen zeitigten rers, aus Konventionen im historischen und kulturellen – geistig, sprachlich, institutionell, in der praktischen Kontext ergeben (können). Anhand von Beispielen wird „Pflege“. Es ist kein Zufall, dass sogar Tobi Reisers dieses komplexe, aber nicht zuletzt für die Verortung Biograph davon spricht, dass „der dabei gelebten und bestimmter Musikstücke oder Kompositionen eminent geäußerten Begeisterung [...] leider keine Entschuldi- wichtige Thema genauer erläutert. Die Vortragsbasis gung [folgte], einer inhumanen Idee gedient zu ha- bildet der aktuelle Forschungsstand der Psychoakustik ben.“ (Walter Deutsch 1997). Der Vortrag soll Tobi und Systematischen Musikwissenschaft, beides Fach- Reisers Identitäten vor und nach 1945 nachzeichnen richtungen, die sich mit diesem Thema seit Jahrzehn- und seine von den vorherrschenden Diskursen der ten intensiv beschäftigen. Zwei ebenso zentrale wie in Zeiten geprägten Sichtweisen und Perspektiven auf aktuellen Diskussionen oft durcheinandergewirbelte die volksmusikalische Arbeit skizzieren. Dabei kann Dinge sollen dadurch klargestellt werden: 1. Musik folgt an zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten angeknüpft keinem „genetischen Code“ (den etwa die National- werden, die insbesondere in den 1990er-Jahren nicht sozialisten ihr so gerne unterlegt haben). 2. Es gibt keine nur über die Person Tobi Reiser, sondern auch zu den politische Instrumentalmusik, sondern Musik kann kultur- und wissenschaftsgeschichtlichen Kontexten erst im Kontext bzw. durch Bedeutungszuschreibungen erarbeitet wurden. politisch werden. Volksmusik, Mozarteum, National- Tobi Reiser – ein Fallbeispiel (Karl Müller) sozialismus: Sperrige Fragen und offene Tobi Reiser (1907–1974), der „Erzmusikant“, Or- Antworten (Thomas Hochradner) ganisator, Arrangeur, Komponist und Sammler, ist Im Jahr 1939 wurde die Lehranstalt Mozarteum zur eine herausragende Persönlichkeit der „Salzburger „Reichs hochschule für Musik“ erhoben. Eberhard Volkskultur“ und ein Kind seiner Zeit. Seine Arbeit Preußner, bis dahin Beamter der Reichsmusikkammer, und sein Wirken sind seit den 1920/30er-Jahren in kam als deren geschäftsführender Direktor aus Berlin die zeit- und kulturgeschichtlichen Bedingungen und nach Salzburg, dem aus München stammenden jungen Prägungen eines Milieus eingebettet, in dem die in Komponisten Cesar Bresgen wurde die beigeschlossene allen Lagern virulenten politischen und ideologischen „Musikschule für Jugend und Volk“ übertragen; bald kultur.gut basisheft 2015-01.indd 95 20.04.15 13:28 Seite 96 folgte ihnen der prominente „Pädagoge des Laienmusi- „Volksmusik“ wurde im Reichsgau Tirol-Vorarl- zierens“ Fritz Jöde als Lehrbeauftragter nach. Obgleich berg auf vielfache Weise ideologisch instrumentalisiert diese drei in unterschiedlicher Weise und Form in natio- und begegnet 1) als vorwiegend funktional gebundene, nalsozialistische Strukturen verwoben waren und es wei- mündlich tradierte alpenländische Volksmusik, doku- terhin blieben, haben sie die „Reichshochschule“ nicht im mentiert durch die Feldforschungen von Alfred Quell- Sinne der Diktatur durchtränkt, sich aber angepasst und malz im Auftrag des SS-Ahnenerbes in Südtirol während ihre öffentliche Präsenz in Konformität gestaltet. Sie la- der „Umsiedlung“, 2) als Gegenstand einer modernen vierten vermutlich zwischen ihrem Denken und Handeln, Volksmusik-Archivierung im Gauarchiv für Volksmusik, getragen von einem Dienst an der Hochschule und dem 3) in Volkslied-Publikationen, insbesondere in den Lieder­­- Renommee, der Sicherheit für sich selbst. Observiert zu blättern des Reichsgaues Tirol-Vorarlberg (hg. von Josef sein, gehörte zu ihrem Alltag, der Wolf im Schafspelz saß Eduard Ploner in Zusammenarbeit mit Karl Horak) und in den eigenen Reihen: Franz Sauer, zugleich Domorga- im Liederbuch Hellau! Liederbuch für Front und Hei- nist und Professor für Orgel, Chorleitung und Theorie am mat des Gaues Tirol-Vorarlberg, Potsdam 1942 (hg. v. Mozarteum, war von März 1938 bis Oktober 1939 als Josef Eduard Ploner), 4) zusammen mit der Blasmusik im kommissarischer Leiter der Hochschule tätig und wirkte Rahmen politisch-propagandistischer Großfeste (Lan- dazumal und darüber hinaus als Leiter der Reichsmusik- desschießen und Kreisschießen des Standschützenver- kammer von Salzburg. Und Kollege Erich Valentin, Lehr- bandes, Brixentaler Flurritte, Hitlergeburtstage u. Ä.), 5) beauftragter für Musik- und Kulturgeschichte, gab – ohne im Rahmen der Musikschulausbildung (Musikschule für den Auftrag einer akademischen Leitungsfunktion – in sei- Jugend und Volk) sowie der Hitlerjugend und des BdM, nen Schriften nationalsozialistischer Begeisterung und an- 6) im Rahmen der Volksmusik- und Brauchtumspflege in tisemitischer Einstellung in einer Weise Ausdruck, die im den Landgemeinden („Dorfgemeinschaftsabende“), 7) im Rückblick heute zu einer differenzierteren Einschätzung Rahmen von Sammlungen für das Winterhilfswerk, die Preußners und Bresgens verhilft – zu der die Genannten Verwundetenbetreuung und andere soziale „Einsätze“ selbst bedauerlicherweise in der Nachkriegszeit zu und 8) in Kompositionen der Kunstmusik. Nußbaumer wenig beigetragen haben. ging in seinem Vortrag auf die genannten Punkte so- wie auf Parallelen und Unterschiede zur Situation im Die Instrumentalisierung der Volks- Reichsgau Salzburg ein. musik im Reichsgau Tirol-Vorarlberg – und Parallelen zu Salzburg (Thomas Nußbaumer) kultur.gut basisheft 2015-01.indd 96 20.04.15 13:28 Kultur.verbände Seite 97 LITERATUREMPFEHLUNGEN (THEMATISCH GEORDNET): ALLGEMEINE LITERATUR: TOBI REISER – EIN FALLBEISPIEL: Dreier, Wolfgang: Zur Rolle der Pflege in der musikalischen Volkskultur Deutsch, Walter: Tobi Reiser (1907–1974). Eine Dokumentation, in Salzburg von der Jahrhundertwende bis zum Zweiten Weltkrieg. unter Mitarbeit von Lucia Luidold und Pepi Wimmer. Wien: Verlag In: Hochradner, Thomas (Hrsg.): Lieder und Schnaderhüpfl um 1900 aus Holzhausen, 1997 dem Sammelgut des „Arbeitsausschusses für das Volkslied in Salzburg“. Dreier, Wolfgang (Hrsg.); Hochradner, Thomas (Hrsg.): Im Blickpunkt: Wien, 2008 (Corpus Musicae Popularis Austriacae 19), S. 185–208 Tobi Reiser. Dokumentation des Symposions in St. Johann i. Pongau 2007. Dreier, Wolfgang: Die Schatten einer unrühmlichen Geschichte. Salzburg: Salzburger Volksliedwerk, 2011. – [343 S., Audio-CD], daraus Biologistische
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