Weisweil (Landkreis Emmendingen)
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Stellungnahme zum Planfeststellungsverfahren für den Hochwasser-Rückhalteraum Wyhl/ Weisweil (Landkreis Emmendingen) Karl Westermann im Auftrag des NABU-Bezirksverbandes Südbaden (Februar 2020) *) 1. Allgemeine Bewertung Nachkommen, der Vernichtung von vielen Tierpopu- lationen, der Zerstörung, Entwertung und zeitweisen Der NABU stimmt den Plänen zur Hochwasser- Unzugänglichkeit von Nahrungshabitaten, ganz beson- rückhaltung und zu den ökologischen Flutungen ders in der Verdriftung von Tieren und ihren Entwick- grundsätzlich zu, fordert aber nachdrücklich, die lungsformen und bei „beweglichen“ Arten in einer ver- Antragsunterlagen in verschiedenen Punkten zu stärkten Abwanderung und reduzierten Zuwanderung präzisieren und zu ergänzen. von Individuen. Zu den Auswirkungen von Hochwas- sern existiert eine Fülle von Literatur. Diese kann Bei der allgemeinen Beschreibung der schutzgüter, durchaus als Modell für die künstlichen Flutungen im einschließlich der Erhaltung der Biodiversität, be- Projektraum dienen, wurde aber anscheinend über- steht ebenso grundsätzlich Konsens wie bei der Ver- haupt nicht berücksichtigt. Von WEsTErMANN (2008) pflichtung zur Unterlassung von vermeidbaren Ein- liegen auch publizierte Erfahrungen u.a. aus dem Pro- griffen und bei zwingenden Ersatz- und Ausgleichs- jektraum vor. Auch wenn vermutlich flutungstolerante maßnahmen für schäden im Falle unvermeidbarer Arten einwandern können oder sich im Projektraum Eingriffe. An den verschiedensten stellen sind je- ausbreiten können, muss es zu einem massiven rück- doch ebenfalls Präzisierungen und zusätzliche Maß- gang der Artenzahl und vor allem der Individuenzahl nahmen erforderlich. (Dichte) kommen. Nicht flutungstolerante bzw. nicht an große Fließge- schwindigkeiten (siehe unten) angepasste Pflanzen- 2. Auswirkungen von Flutungen (Übersicht) bestände werden ebenfalls absterben und allmählich ersetzt werden. Wegen ihres langsamen Wachstums Der aktuelle Zustand des Projektraums wird sich und der überwiegenden Pflanzung von nicht hoch- durch rückhaltemaßnahmen und ökologische Flu- wassertoleranten Arten und Individuen entsteht vor tungen stark verändern. Ganz besonders wird jede allem bei Bäumen und ihren Beständen ein erhebli- rückhaltung im Turnus von einigen bis etwa 10 Jah- ches Problem. Das Beispiel der Polder Altenheim ren zu groben schäden führen. Diese können nur zeigt, dass ein Umbau zu flutungstoleranten Bestän- dann gemindert (nicht vermieden!) werden, wenn al- den zwar kostenintensiv, aber erfolgreich sein kann. le Möglichkeiten zur Entwicklung eines naturnahen, Ein hochrangiges Problem stellen alle Quellgewässer d.h. „auenähnlichen“(!) Überflutungsraums genutzt dar, die unten gesondert behandelt werden. werden. Zentrales Element dieser Entwicklung sind die ökologischen Flutungen, deren durchschnittliche Häufigkeit, Einstauhöhen und Abflüsse an naturna- 3. Große Unterschiede zwischen intakten Auen hen Oberrhein-Auen und (!) an den ökologischen Er- und dem geplanten Rückhalteraum fordernissen des Projektraums (siehe unten) zu ori- entieren sind. Eine intakte Aue wird sich jedoch durch die Maßnah- Vor einem ersten Probebetrieb des rückhalteraums men im Projektraum nicht annähernd wieder herstel- müssen ökologische Flutungen schon mehrere Jahre len lassen. In einer natürlichen Aue bestehen ver- auf möglichst großen Flächen praktiziert werden, um schiedenste Verbindungen zwischen dem Fluss und vermeidbare schäden durch den Probebetrieb zu ver- den Auengewässern, die teilweise schon vor einem hindern. kleinen Hochwasser anspringen. Mit wachsenden Die Auswirkungen der Flutungen auf Tiere bestehen in Abflüssen im Vorfluter füllt sich die Aue allmählich; der Tötung von Tieren und ihren nicht selbstständigen wenn hohe Abflüsse erreicht sind, ist die Aue schon *) Für die Publikation wurden die Form angepasst und kleine Teile inhaltlich ergänzt, die mit * gekennzeichnet sind. Naturschutz südl. Oberrhein 10 (2021): 171-182 171 weitgehend hoch geflutet (z.B. auch WEsTErMANN & die einzelnen Gewässer und die überfluteten Land- scHArFF 1988). Bei diesem Mechanismus kommt es flächen, die zwingend für den gesamten Projektraum im Gegensatz zum Projektraum nur lokal zu hohen ergänzt werden müssen. Fließgeschwindigkeiten mit ihren Zerstörungen. Vie- le Tiere können dabei auch ziemlich problemlos aus In den Antragsunterlagen wird nicht einmal erwähnt, dem Flutraum fliehen oder in großer Zahl auf Bäu- dass der Projektraum durch den früheren Altrhein- men Zuflucht finden (z.B. Landschnecken). Eine in- verbund und einzelne moderne Ausbaumaßnahmen takte Aue weist im Gegensatz zu dem Projektraum im Abströmbereich erheblich vorbelastet ist. Im Pro- in entscheidender Weise zahlreiche refugien in den jekt selbst ist zusätzlich sogar ein umfangreicher verschiedensten Ausprägungen für im Wasser leben- Ausbau von weiteren schluten geplant. Dadurch gin- de Tiere auf, von denen aus eine Wiederbesiedlung gen und gehen nicht nur ausgedehnte refugien für verloren gegangener siedlungsräume erfolgen kann. Wassertiere verloren, sondern werden die Fließge- Intakte Auen lassen sich durch Hochwasser-rückhal- schwindigkeiten von zu- und abströmendem Wasser temaßnahmen jedoch keinesfalls wiedergewinnen, kräftig erhöht. weil die noch vorhandenen Fluträume insgesamt zu klein sind. Die neue Fauna und Flora eines „auenähnlichen“ Überflutungsraums muss daher gegenüber natürli- Die geplante Alternative einer technischen steuerung chen Auen ebenso wie gegenüber dem aktuellen Zu- von Flutungen und Leerungen muss dagegen zu mas- stand stark verarmt sein. siven schäden führen. Bei einer bevorstehenden Hochwasserwelle müssen ökologische Flutungen ab einem vorgegebenen rheinabfluss abgebrochen und Der NABU stimmt zu, dass massive Eingriffe der rückhalteraum rasch weitgehend „geleert“ wer- unvermeidbar sind, fordert jedoch mit Nach- den. In diesen ziemlich abgetrockneten raum wer- druck, die Vorgänge der Flutung und Leerung den dann bei einer Füllung sehr große Wassermengen samt ihren Auswirkungen ebenso wie den „sta- (218 m³/s bei rheinabflüssen von 4500 m³/s bzw. tionären“ Betrieb im Detail offenzulegen und ne- 165 m³/s bei 3600 m³/s) extrem rasch und extrem un- gative Auswirkungen durch Vermeidungs-, Aus- natürlich eingelassen, die in großen Teilen (!) des gleichs- und Ersatzmaßnahmen umfassend zu Projektraumes zu hohen Fließgeschwindigkeiten kompensieren. führen müssen. Tieren bleibt überwiegend keine chance für eine erfolgreiche Flucht. Auch die Leerung soll schon in etwa einem halben 4. „Schlutenlösung“ Tag weitgehend erfolgt sein, d.h. extrem unnatürlich rasch und nur in Ausnahmefällen wirklich zwingend. Die schlutenlösung ist ein Konstrukt der Bürgerini- Auch bei diesem Vorgang sind grobe schäden vor- tiativen (BI) und ihrer Unterstützer. sie kann auf ei- programmiert, erst recht wenn wirklich einmal un- nem Großteil der Projektfläche keineswegs eine Ent- mittelbar nach der Leerung die nächste rückhaltung wicklung zu einem auenähnlichen Überflutungsraum durch eine zweite Hochwasserspitze erforderlich auslösen, auch wenn es auf kleineren Teilflächen im werden sollte. Gegensatz zu den Forderungen der BI zu flächenhaf- selbst im „stationären“ Betrieb eines gefüllten rück- ten Ausuferungen kommen sollte. Gegenüber ökolo- halteraums sind schäden wahrscheinlich, abhängig gischen Flutungen ist sie evident weit weniger wirk- von der Höhe und Dauer der Überstauung, der stän- sam, wie auch in den Projektunterlagen klar zum dig in den rückhalteraum einströmenden und von Ausdruck kommt. Damit verstößt sie gegen die zwin- dort ausströmenden Wassermengen und ihren lokalen gende Vorgabe für das Projekt, dass schädigende Ein- Maximalgeschwindigkeiten, den Driftraten von Ge- griffe soweit als möglich vermieden werden müssen. schwemmsel, Kiesen, sanden und Feinsubstraten so- Bei jeder rückhaltung muss es nämlich bei der wie den Nährstoffeinträgen in oligotrophe und me- schlutenlösung immer wieder in weit größerem Aus- sotrophe Gewässerbereiche. maß zur Tötung von Tieren und Zerstörung von Pflanzenbeständen einschließlich Wäldern als bei der Es muss sehr verwundern, dass diese Eingriffe in den Lösung über ökologische Flutungen kommen. Ein Naturhaushalt nicht offen gelegt wurden. Detaillierte Umbau der Wälder zu hochwassertoleranten Bestän- Angaben der relevanten Wasserparameter bei Fül- den ist bei der schlutenlösung nicht in dem erforder- lung, Leerung und „stationärem“ Betrieb fehlen für lichen Maße möglich. Durch ökologische Flutungen 172 stellungnahme Polder Wyhl-Weisweil können dagegen die schäden infolge einer Hochwas- der Ausbau von schluten auf wenige Versuchsgewäs- serrückhaltung erheblich begrenzt werden, wie auch ser beschränkt wird und Quellgewässer (siehe unten) der Umbau der rheinwälder zu hochwassertoleran- soweit als irgend möglich von einem regelmäßigen ten Beständen in den Poldern Altenheim zeigt. Durchfluss erheblicher Mengen eutrophierten rhein- Bei der schlutenlösung ist völlig unsicher, wie lange wassers bewahrt werden. Er fordert, die praktische nach einer rückhaltung eine natürliche renaturie- Umsetzung der Probephase und ihre wissenschaftli- rung der verwüsteten Lebensräume dauert und ob ei- che Kontrolle und Bewertung schnellstmöglich zu ne Wiederbesiedlung angesichts ihrer erforderlichen starten, weil einem Probebetrieb des rückhalteraums Zeitspanne „über Jahre“ überhaupt in ausreichendem mehrere Jahre mit ökologischen Flutungen voraus- Maße stattfinden kann. In jedem Fall ist nach bishe- zugehen haben. rigen Kenntnissen von einer Zerstörung und allmäh- lichen Entwertung erheblicher