Internationale Zeitschrift“
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„Die Böttcherstraße“ – nationalistischer Lehrpfad und „Internationale Zeitschrift“ Daniel Schreiber – (Museum Frieder Burda, Baden-Baden) Die Internationale Zeitschrift ‚Die Böttcherstraße‘ literarisch-künstlerische Zeitschriften – wie der ist ein bibliophiler Leckerbissen. 1 Ihr wertvolles zwischen 1895 und 1900 in Berlin erschienene Papier ist von hoher haptischer Qualität, denn die Pan – gehen für das Zwanzigfache über den Laden- schwarzen Antiqualettern wurden im Hochdruck- tisch.Welche lebensgefährliche Substanz mag sich verfahren eingeprägt. Das unkonventionelle Lay- zwischen den farbig bedruckten Pappdeckeln der out mit rechtsbündigen Zeilen am Absatzende, Böttcherstraßeverbergen? Liefert der Titel Anhalts- die zahlreichen Fototafeln und die farbigen Fak- punkte? similes auf Bütten oder Pergament machen aus Wie beim Wall Street Journal ist eine Straße der Kulturzeitschrift eine „buchkünstlerische und Namenspatronin. Dort weiß jeder sofort: Der be- drucktechnische Höchstleistung“ 2,wie ihr Redak- rühmteste Börsenplatz der Welt steht für das inter- tionsleiter Albert Theile es zu Recht in Anspruch nationale Finanzwesen, das in dem Blatt abgehan- nimmt.Mit ihrem Folioformat von 35 mal 25 Zen- delt wird. Hier dagegen versteht sich nichts von timetern und Pappeinband liegt die Zeitschrift selbst. Die Böttcherstraße, eine kleine, malerisch zudem gewichtig in der Hand – und womöglich verwinkelte Gasse im Herzen der Hansestadt Bre- auch schwer im Magen. Folgen wir einem Kritiker men, wäre eine Zier für jedes Heimatblättchen. von 1929, ist das zwischen Mai 1928 und Juli 1930 Dass sie Namensgeberin einer internationalen in 14 Heften erschienene Periodikum nicht zum Kulturzeitschrift sein soll, bringt selbst deren Ma- literarischen Verzehr geeignet: Es verursache „Vo- cher in Erklärungsnöte: „Es gibt viele Wallstreets mitus“,„Herzkrämpfe“ und führe sogar zum Tod! 3 und Broadways“, führt Theile aus, „aber nur eine ‚Böttcherstraße‘“. Als „Denkmal einer Begegnung Die Bestimmung der Zeitschrift von Jahrhunderten“ verleihe sie der Zeitschrift ihre Vielleicht sind diese unangenehmen Nebenwir- „Bestimmung“. 5„Es gibt so viele Böttcherstraßen“, kungen dafür verantwortlich, dass die Forschung sinniert der Herausgeber Ludwig Roselius dagegen sich erst nach langer Karenzzeit der Böttcherstraße im Editorial der ersten Nummer.Frei nach Lao-Tse annahm, 4 und dass die Nachfrage in den Antiqua- erblickt er in dem Sträßchen nicht weniger als riaten eher gering ist: Ein Heft ist für 30 Euro zu ein „Urvorbild“ aller menschlichen Schöpferkraft, haben. Andere, vergleichbar aufwändig gestaltete einer im „Heimatboden“ wurzelnden „Entwick- lung aus sich“. 6 Dieser im „Grundsätzlichen“ verankerten Pro- grammatik folgend findet sich ein sehr weites Feld zwischen den dicken Deckeln der Böttcher- straße: Es gebe laut Theile hier keine „Grenzen der Gattungen und Richtungen, der Disziplinen und Fächer, der Berufe und Parteien“, und mancher Leser mag auch die redaktionelle Linie vermissen. Die „Mitarbeiterliste“ erreicht indes phantastische Ausmaße: Sie enthalte „alle bedeutenden Dich- ter, Künstler und Gelehrten Deutschlands, Gross- britaniens, Frankreichs, Skandinaviens, Hollands, Spaniens, Italiens, Österreichs, Russlands, Japans, Chinas, Amerikas, der Schweiz und Tschechoslo- wakei,Ungarns und Polens,“ 7 so prahlt der umtrie- bige Blattmacher. Tatsächlich wurde recht wahllos um Prominenz gebuhlt, doch letztlich kann die Das erste Heft der Realität den Ansprüchen kaum standhalten. Ein- Böttcherstraße, das 1928 mal abgesehen von Prominenten wie Reichskanz- anlässlich der interna- ler Wilhelm Marxoder Igor Strawinsky,die mit „lie- tionalen Presseaus- 8 stellung Pressa in Köln benswürdigen Gefälligkeits-Flüchtigkeiten“ auf erschienen ist. die Anfragen reagierten, konnten nur weitgehend 10 AKMB-news 1/2006, Jahrgang 12 „Die Böttcherstrasse“ unbekannte Autoren gewonnen werden: Der Ver- gründen eines versunkenen Kontinents verankert dener Lyzeumsleiter Karl Theodor Strasser ringt werden.Mit der im Roselius-Haus, einem alten Pa- auf fünf Seiten um die „Nordische Seele“ 9,der Ros- trizierhaus, untergebrachten historischen Samm- tocker Psychologe Katz berichtet vier lange Sei- lung deutscher Kunst sollten die Deutschen „mit ten über die Neuentdeckung des Vibrationssinns, berechtigtem Stolz als bevorzugte Hüter der Kul- wobei er es vorzieht, seinen Vornamen David zu tur und der Kraft des großen europäischen Her- einem „D.“ zu verkürzen. 10 Die meisten sagten renvolkes“ 18 vorgeführt werden. Ideologisch wie jedoch auf die formalisierte Anfrage des Redakti- baulich schließt daran das spätexpressionistische onsleiters ab, weil ihnen nicht klar war, „was und Paula Becker-Modersohn-Haus von Hoetger an, wann“ 11 verlangt wurde,und weil sie das Profil der das „bahnbrechend, wurzelecht, nordischstark“ in Publikation nicht einschätzen konnten: „Sie müs- eine bessere deutsche Zukunft weise 19, ebenso wie sen wählen, ob Sie nationalistisch oder europäisch die 1907 verstorbene Malerin, der das Bauwerk sein wollen“ 12, beschied zum Beispiel Heinrich gewidmet ist: Sie wurde von Roselius als Vorläu- Mann reserviert. ferin der Brücke-Maler gefeiert, der – wie er sagte – Helden „einer neuen deutschen Kultur, die einst Die Macher der Böttcherstraße über die ganze Welt strahlen wird.“ 20 Wofür stehen also die Zeitschrift Böttcherstraße, Angesichts dieser durch das bauliche Gesamt- ihre backsteinerne Namensvetterin und die hinter kunstwerk vorgegebenen völkischen Heilser- ihren Kulissen agierenden Personen? Neben dem wartung gewinnt der Untertitel Internationale reisefreudigen Jungjournalisten Theile, dessen Zeitschrift einen eigentümlich imperialistischen Spesenabrechnungen einen guten Teil des Gesamt- Beigeschmack, der bei genauerer Betrachtung der defizits der Zeitschrift von 500.000 Reichsmark aus- Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der machten, 13 ist Bernhard Hoetger zu nennen, ein Böttcherstraße weitere Nahrung erhält. sehr erfolgreicher Bildhauer der ersten Expressio- nistengeneration. Er hatte jedoch nach seiner An- Die Geschichte der Zeitschrift siedlung 1914 in Worpswede an Bedeutung ver- Die Geschichte der Böttcherstraße begann zehn loren. Als Mitherausgeber war er zuständig für D-Zug-Stunden von der gebauten Böttcherstraße die kunstvolle Ausgestaltung der Böttcherstraße. entfernt im Köln des Jahres 1928. Aber genau ge- Hauptakteur war allerdings Roselius,Herausgeber nommen fing alles schon viel eher an: 1925 fand der Zeitschrift und Besitzer sowie Bauherr der in Paris die Exposition Internationale des Arts Dé- Straße. Als reformbewegter Patentinhaber, Fabri- coratifs et Industriels Modernesstatt.Die Deutschen kant und weltweit agierender Kaufmann des ent- waren als ehemalige Kriegsgegner von diesem koffeinierten Kaffee HAG 14 hatte er sich zu einem Spektakel der schönen Welt der Waren weitgehend der reichsten Männer Deutschlands entwickelt. ausgeschlossen.Konrad Adenauer,zu der Zeit Bür- Während des Ersten Weltkriegs kämpfte er für germeister von Köln,fasste damals den Entschluss, Deutschland in diplomatischem Dienst, und nach durch eine eigene große Ausstellung Deutschland der Niederlage betrachtete er wie viele seiner wieder ins Spiel zu bringen und zugleich den Mes- Landsleute den Versailler Vertrag als „Meuchel- sestandort in Köln-Deutz zu stärken. Die Idee mord am eigenen Volke“ 15. Geradezu prophetisch für die Pressa, eine internationale Presseausstel- rief er zum „zweiten Teil des Weltkrieges“ 16 auf. lung war geboren. Neben Städten, Regionen und Ein „einfacher Mann“,der ähnliche Ziele verfolgte, Staaten präsentierten sich 1928 auf dieser Schau hatte bereits 1922 „starken Eindruck“ 17 auf den vor allem einzelne Zeitschriften, aber auch fach- HAG-Gründer gemacht: Adolf Hitler. fremde Firmen, etwa Opel mit einem Raketen- wagen – und auch der Marketing-Pionier Ludwig Die Bestimmung der Straße Roselius ließ es sich nicht nehmen, seine Kaffee Als weltweit agierendem Kaffeemagnaten war Ro- HAG mit einem eigenen Gebäude der Weltpresse selius daran gelegen,dem von Reparationszahlun- zu präsentieren. Dank bester politischer Kontakte gen und Restriktionen gezeichneten Deutschland zu Adenauer gelang es Roselius, einen monumen- wieder zu Selbstbewusstsein und Weltgeltung zu talen,42 Meter hohen Turm – gebaut von Bernhard verhelfen. Die gebaute wie die gedruckte Böttcher- Hoetger – auf dem Gelände aufstellen zu lassen. straße waren Instrumente hierfür. Das zwischen Es wurden keine Kosten und keine Mühen für 1922 und 1931 unweit des Bremer Rathauses ent- ein positives Medienecho gescheut. Die Besucher standene architektonische Ensemble war letztlich konnten dort nicht nur Gebäck essen und ein Täss- nichts anderes als ein nationalistischer Lehrpfad: chen HAG schlürfen.Sie konnten mit einem Fahr- Mit dem vom Roselius-Freund Hoetger gestalteten stuhl zehn Stockwerke hinauffahren, den Rund- Haus Atlantis, das die prähistorische Sammlung blick über die Pressagenießen,und sich dann – von von Roselius beherbergte, sollte der germanische der Entkoffeinierung bis zur Verpackung – beim Weltherrschaftsanspruch in den mythischen Ur- Abstieg die modernen Produktionsanlagen der AKMB-news 1/2006, Jahrgang 12 11 „Die Böttcherstrasse“ HAG-Fabrik vorführen lassen.„Es ist eine Freude, und Stelle,die Böttcherstraße – von Natur aus eine dieses durch sauber gekleidete Mädchen bediente Sackgasse – sorgfältig abgeriegelt und dann hinein Wunderwerk arbeiten zu sehen“,schreibt der Rem- in die Souterrainkneipen der wild gewordenen scheider Generalanzeiger am 30. April 1928. Journalistik! […] Die