1 1 Inge Marszolek 2 2 3 3 4 4 5 5 Der erste Nordatlantikflug von Europa nach Amerika. 6 6 Transatlantische Aushandlungen über Helden, Ehre, Nation 7 7 und Modernität 8 8 9 9 10 10 11 11 12 12 Im Zentrum von , nur durch eine kleine Gasse gegenüber dem Rathaus 13 13 zugänglich, befindet sich eine der Hauptattraktionen Bremens: Die Böttcher- 14 14 straße, eine Zeile von Gebäuden, in den 1920er Jahren im Auftrag des Bremer 15 15 Kaffeehändlers vom Bildhauer aus roten 16 16 Ziegelsteinen gebaut.1 Zu jeder Stunde drängen sich Touristen vor einem Glo- 17 17 ckenspiel. Auf geschnitzten Holztafeln rotieren hier zu den Klängen der Glocken 18 18 bekannte Ozeanbezwinger. Unter ihnen befindet sich Charles A. Lindbergh, der 19 19 1927 den ersten Non-Stop-Flug von den USA nach unternahm, sowie 20 20 Ehrenfried Günther von Hünefeld, Hermann Köhl und der Ire James Fitzmau- 21 21 rice, denen ein Jahr später der erste Nordatlantikflug von Europa nach Nord- 22 22 amerika gelang. Abgebildet sind drei Männer, Köhl und Fitzmaurice mit der 23 23 damals gebräuchlichen Fliegermütze, von Hünefeld hingegen in Zivil. Hinter 24 24 ihnen sind Häuser einer Stadt zu sehen; links im Bild sind diese relativ niedrig, 25 25 rechts unschwer als stilisierte Wolkenkratzer zu erkennen. Im oberen Drittel 26 26 fliegt ein kleines Flugzeug, das aber das gesamte Bild dominiert. Gewidmet ist 27 27 die Tafel, die erst 1934 eingefügt wurde, den drei Atlantikfliegern 1928.2 Unter- 28 28 halb des Glockenspiels befindet sich eine Schrifttafel aus Anlass des Non-Stop- 29 29 Flugs des »Condor«, einem Flugzeug der Bremer Focke-Wulf-Werke, von 30 30 nach New York im Jahre 1938.3 Hier werden die Flieger nicht genannt, aber die 31 31 32 32 1 Nicola Vetter, Ludwig Roselius. Ein Pionier der deutschen Öffentlichkeitsarbeit, Bremen 2002; 33 33 Arn Strohmeier, Kunst im Zeichen der germanischen Vorfahren und der Wiedergeburt 34 34 Deutschlands: Ludwig Roselius und Bernhard Hoetger, in: Arn Strohmeier/Kai Artinger/ 35 35 Ferdinand Krogmann, Landschaft, Licht und Niederdeutscher Mythos. Die Worpsweder 36 36 Kunst und der Nationalsozialismus, Weimar 2000, S. 56ff. Roselius hatte sich bereits 1924 durch eine Kapitalerhöhung an den Bremer Focke-Wulf-Flugzeugwerken beteiligt. Archiv der 37 37 Böttcherstraße, Kasten Focke-Wulf Albatros, darin MS Historischer Überblick, ohne Autor. 38 38 2 Die zehn Tafeln des Glockenspiels wurden erst 1930 von Ludwig Roselius in Auftrag gegeben, 39 39 die Tafel zu den Atlantikfliegern ist die vorletzte, die letzte war den Zeppelinflügen gewidmet. 3 Diese Tafel wurde 1938 angebracht. Mit dem Entwurf der Tafel wurde Ernst Gorsemann 40 40 beauftragt: Gorsemann war ein Bremer Bildhauer und wurde 1934 zum Leiter der »Nordi- 41 41 schen Kunsthochschule« in Bremen berufen. 70 Inge Marszolek Der erste Nordatlantikflug von Europa nach Amerika 71

1 Inschrift endet mit »und schuf damit den Völkern eine neue Brücke«, was an- 1 Diese Ehrungen der Ozeanflieger in der Böttcherstraße stehen im Fokus für 2 gesichts des Datums, ein Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, überrascht. 2 diesen Aufsatz, der Ehrregimen in transnationaler Perspektive nachspürt und 3 3 das komplexe Feld der Flieger-Ehrungen in der Zwischenkriegszeit beleuchtet: 4 4 Zunächst konzentriere ich mich auf den Flug der drei »Luftmusketiere« von 5 5 1928, wie sich Köhl, Fitzmaurice und von Hünefeld selber in einem Buch 6 6 nannten.4 Hierbei interessieren mich insbesondere die verschiedenen Ehrungen 7 7 in den USA wie in Bremen nach ihrer Landung sowie die Rolle der Medien. In 8 8 einem zweiten Schritt werde ich nach dem Bild des Fliegerhelden nach dem 9 9 Ersten Weltkrieg fragen, zu einer Zeit also, als das überhöhte Bild des militäri- 10 10 schen Helden partiell ins Wanken geriet. Drittens geht es um die Einschrei- 11 11 bungen des Fliegerhelden in Diskurse über Nation und Modernität sowohl in 12 12 den USA als auch in Deutschland. Hier konzentriere ich mich auf die Rolle der 13 13 Medien in der Konstruktion des Fliegerhelden und bei der Performativität des 14 14 Ehrens. Der Schwerpunkt liegt allerdings auf Bremen: Ich benutze die Literatur 15 15 zu Lindbergh vor allem für eine Erkundung, wie und warum diese Flieger am 16 16 Ende der 1920er Jahre zu transatlantischen Helden wurden, und frage, wie sie 17 17 sich in ihre nationalen Kontexte einschrieben. 18 18 19 19 20 20 1. Die deutsche Luftfahrtindustrie und der Flug der »Bremen« 21 21 22 22 Die Lage der Luftfahrtwirtschaft in Deutschland war nach der Niederlage im 23 23 Ersten Weltkrieg bis in die zweite Hälfte der 1920er Jahre höchst prekär. Der 24 24 Versailler Vertrag erlegte der Flugzeugindustrie, der zivilen Luftfahrt sowie dem 25 25 Flugsport strenge Verpflichtungen auf. Dadurch entwickelten sich allerdings in 26 26 der Weimarer Republik die Hobby-Fliegerei und der Wiederaufbau des Flug- 27 27 wesens zu Symbolen einer nationalen Wiedererstehung.5 Trotz der Restriktio- 28 28 nen des Versailler Vertrags wurden erfolgreich Flugzeuge konstruiert – zu 29 29 nennen sind hier u.a. die Junkers-Werke, aber auch die Zeppelin-Werft in 30 30 Friedrichshafen.6 Mit der Gründung der Luft Hansa 1926 begann zudem der 31 31 Eintritt des Deutschen Reichs in die internationale zivile Luftfahrt.7 Im euro- 32 32 33 33 4 Hermann Köhl/James C. Fitzmaurice/Ehrenfried Günther von Hünefeld, Die drei Luftmus- 34 34 ketiere: Die Geschichte des ersten Atlantikflugs von Ost nach West, New York 1928. 35 35 5 Peter Fritzsche, A Nation of Fliers. German Aviation and the Popular Imagination, Cambridge, 36 36 Mass., London 1992, S. 103ff. 6 Ebd., S. 138–146. 37 37 7 Die Luft Hansa war ein Zusammenschluss der Aero Lloyd und der Junkers Luftverkehr AG, an 38 38 der Aero Lloyd wiederum war seit 1923 eine der größten Reedereien in Europa vor dem Ersten 39 39 Weltkrieg beteiligt, der Norddeutsche Lloyd mit Firmensitz in Bremen. Vgl. Christian Abb. 1: Die drei Atlantikflieger im Glockenspiel der Böttcherstraße] Ostersehlte, 1918–1945. Zwischen den Zeiten, in: Dirk J. Peters (Hrsg.), Der Norddeutsche 40 40 Lloyd. Von Bremen in die Welt. »Global Players« der Schifffahrtsgeschichte, Bremen 2008, 41 41 S. 61–74. 72 Inge Marszolek Der erste Nordatlantikflug von Europa nach Amerika 73

1 päischen Wettbewerb musste die Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie 1 Aufgrund der Restriktionen der deutschen Luftfahrt nach dem Ersten Welt- 2 wegen der Beschränkungen besonders unter Beweis gestellt werden, sodass 2 krieg mussten Köhl und Hünefeld zunächst heimlich nach Irland fliegen. Dort 3 Flugschauen, aber auch spektakulären Flügen der deutschen Sportflieger eine 3 stieß der Flugleiter des Flughafens in Baldonnel, , spontan zu 4 große Bedeutung zukam. 4 ihnen. Am Morgen des 12. hob die , getauft auf den 5 In dieser Situation entwickelte der eingangs erwähnte Hünefeld, seit 1923 5 Namen »Bremen«, vom irischen Baldonnel mit dem Ziel New York ab. Köhl war 6 Syndikus des Norddeutschen Lloyds (NDL) in Bremen und zuständig für 6 der Pilot. Die Junkers W 33 war ähnlich wie das Flugzeug von Lindbergh eine 7 Pressearbeit, den Plan, die Überquerung des Nordatlantik von Europa aus zu 7 sehr leicht gebaute einmotorige Maschine. Nach einem gefährlichen Flug – die 8 wagen. Unterstützt wurde er dabei durch den Direktor der Norddeutschen 8 Maschine geriet in einen Sturm, der Treibstoff wurde knapp – landete Köhl nach 9 Luftverkehrsgesellschaft, ebenfalls Teil des NDL, Cornelius Edzard. Hünefeld 9 36 Flugstunden auf Greenly Island, eine Insel an der Südküste von , die 10 und Edzard gelang es, die Bremer Kaufmannschaft für die Finanzierung des 10 zu Kanada gehörte. Da das Flugzeug bei der Notlandung schwer beschädigt 11 Unternehmens zu gewinnen. Eine wichtige Rolle spielte hierbei der Staatsrat 11 wurde, mussten die Flieger zwei Wochen auf der Insel ausharren. Ein ameri- 12 Müllershausen als Mittler zwischen Hünefeld, den Vertretern der Wirtschaft und 12 kanischer Flieger, , der ihnen zu Hilfe eilen wollte, starb auf diesem 13 dem Bremer Senat.8 Ziel der Überquerung war nicht zuletzt eine Verbesserung 13 Flug an den Folgen einer Lungenentzündung. Versuche, die »Bremen« zu re- 14 der Handelsbeziehungen zu den USA. 14 parieren – es trafen Ersatzteile und Monteure des Lloyd ein –, waren vergebens. 15 Hünefeld, geboren 1892 in Königsberg, gestorben 1929 in Berlin, war von 15 Erst am 26. April 1928 trafen die Flieger der »Bremen« in einem Flugzeug, das 16 Geburt an auf einem Auge blind, die Sehkraft auf dem rechten Auge war stark 16 von Henry Ford persönlich zur Verfügung gestellt wurde, in New York ein.10 17 eingeschränkt: Er konnte nicht räumlich sehen und daher, trotz seiner Begeis- 17 18 terung fürs Fliegen, kein Pilot werden.9 Sein Markenzeichen war das Monokel. 18 19 Nach einem studentischen Bohmienleben in Berlin – er studierte Kunst und 19 2. Der Flug der »Spirit of St. Louis« und die Ehrungen 20 Philosophie – vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete er sich beim 20 21 Freiwilligen Kraftfahrkorps. Als Meldefahrer an der Westfront machte er sich 21 Die drei Männer der »Bremen« orientierten sich vor allem an den Erfahrungen 22 durch besonders waghalsige Fahrten einen Namen: Bereits im September 1914 22 von Charles A. Lindbergh, der 1927 den ersten Non-Stop-Flug von New York 23 wurde er verwundet. Er wurde in den diplomatischen Dienst übernommen und 23 nach Paris gewagt hatte. Er war der erste, der ohne Zwischenlandung und allein 24 war ab 1916 Konsul in Maastricht. Hier freundete er sich mit dem 1918 dorthin 24 seinen Flieger, die »Spirit of St. Louis«, steuerte. Lindbergh, geboren in Min- 25 exilierten Kronprinzen an. 1921 kam er nach Bremen, wo er 1923 seine Tätigkeit 25 nesota, war zum Zeitpunkt des Flugs erst 25 Jahre alt und gehörte zu den etwa 26 als Propagandachef des Norddeutschen Lloyd aufnahm. Für den geplanten At- 26 1300 Flugbegeisterten, die nach dem Ersten Weltkrieg, oftmals ohne Ausbil- 27 lantikflug suchte Hünefeld nach einem erfahrenen Piloten und gewann 27 dung, in die USA flogen und auf »Tournee« gingen. Diese Kunstflieger unter- 28 schließlich Hermann Köhl. Köhl diente als Flieger im Ersten Weltkrieg, wurde 28 hielten die Menschen durch spektakuläre Tricks in der Luft. Die Flugschauen 29 1916 abgeschossen und arbeitete seit 1926 als Nachtflugleiter für die Luft Hansa. 29 waren sehr populär, allerdings war die Unfallrate extrem hoch. Dennoch be- 30 Er war nationalistisch, trat früh der SA bei und machte Bekanntschaft mit 30 geisterten diese »flying gypsies« die Menschen für das Fliegen zu einer Zeit, als 31 Hermann Göring. Allerdings geriet er 1934 in Konflikt zu Göring, trat aus der SA 31 die Regierung in Washington noch jegliche Unterstützung für den Ausbau der 32 aus und zog sich 1935 ins Privatleben zurück. 1938 starb er in Süddeutschland. 32 Luftfahrtindustrie verweigerte.11 Eine Folge der mangelnden politischen Un- 33 33 terstützung in den USA war die deutliche Überlegenheit der europäischen zi- 34 34 vilen Luftfahrt in den 1920er Jahren, sowohl was den Ausbau der Fluglinien als 35 8 Staatsarchiv Bremen (STAB) 3-L-8 Nr. 347, 2 enthält verschiedene Briefe zwischen Müllers- 35 ü ä ß ä 36 hausen und H nefeld nach dem gelungenen Flug, die ein u erst vertrautes Verh ltnis der 36 beiden dokumentieren und Auskunft über die Finanzierung durch Gelder der Bremer 37 Wirtschaft geben. Siehe Schreiben Hünefelds an Müllershausen v. 1. Juli 1928 und dessen 37 38 Antwort v. 27. August 1928. 38 10 Zu den Jubiläen des Fluges erschienen diverse Broschüren und Bücher, so z. B. Andrea 39 9 Das folgende aus diversen Zeitungsausschnitten v.a. in STAB 9-S 3, Zeitungsausschnitts- 39 Hauser, Die Bremen – Geschichte eines Flugzeugs: ein historischer Exkurs, hrsg. vom sammlung; weiterhin Luftmusketiere (wie Anm. 4), S. 245–381 sowie Heinz Conradis, Eh- Bankhaus Neelmeyer, Bremen 1998. 40 40 renfried Günther von Hünefeld, in: Bremische Biographie 1912–1962, Bremen 1969, 11 Thomas Kessner, The Flight of the Century. Charles Lindbergh and the Rise of American 41 S. 249–250. 41 Aviation, New York, Evanston, London 1964, S. 44. 74 Inge Marszolek Der erste Nordatlantikflug von Europa nach Amerika 75

1 auch was die technische Entwicklung betraf.12 Daher setzte die amerikanische 1 eine große Rolle. Lindbergh startete anschließend zu einem Rundflug in ver- 2 Industrie auch auf die Werbewirksamkeit des Kunstfliegerzirkus.13 2 schiedene Städte der USA, um am Ende in New Yorkzu landen, wo ihm zu Ehren 3 Lindbergh hatte in der Nebraska Aircraft Corporation sowie in der Army eine 3 eine Parade veranstaltet wurde. Vier Tage lang war die Stadt im Lindbergh- 4 Ausbildung als Pilot erhalten und darüber hinaus viele Flugstunden als Kunst- 4 Fieber. 5 flieger absolviert, um schließlich als Postflieger zu arbeiten. Bereits 1919 hatte 5 6 der aus Frankreich stammende New Yorker Hotelbesitzer Raymond Orteig einen 6 7 Preis für einen Nonstop-Flug von New York nach Paris ausgesetzt, der einige 7 3. Der Lindbergh-Flug als Modell für die Propagandastrategie 8 erfolglose Versuche zur Folge hatte. Orteig stiftete den Preis in der Hoffnung, 8 des Norddeutschen Lloyds 9 dass sich aus der zivilen Luftfahrt heraus eine völkerverbindende Kraft ent- 9 10 wickle, die Kriege wie den Ersten Weltkrieg in Zukunft verhindern werde. 1926 10 Zweifellos kannte man in Bremen alle Einzelheiten des Lindbergh-Fluges. Vor 11 entschloss sich Lindbergh schließlich, den Flug zu wagen. Er entschied sich für 11 allem aber scheint die Junkers W 33 der »Spirit of St. Louis« geglichen zu haben. 12 eine kleine Firma in San Diego, die ihm eine einmotorige, sehr leichte Maschine 12 Notwendig war, möglichst viel Treibstoff unterzubringen. Und auch hinsichtlich 13 baute. Zur Gewichtsreduzierung verzichtete Lindbergh auf Funkgerät und 13 der Zeremonien und ihrer medialen Vermarktung nahmen Hünefeld und der 14 Sextanten. Industrielle aus St. Louis griffen Lindbergh bei der Finanzierung des 14 NDL sich den Lindbergh-Flug als Vorbild: Offenbar plante man mit Hilfe des 15 Fluges großzügig unter die Arme, da sich die Stadt als Zentrum der Luftfahrt- 15 New Yorker Büros – den geglückten Flug vorausgesetzt – einen sehr ähnlichen 16 industrie profilieren wollte. Lindbergh flog am 20. Mai 1927 von New York ab 16 Ablauf der Ehrungen für die deutschen Flieger in den USA.16 Leider lassen sich 17 und landete nach dreiunddreißigeinhalb Stunden auf dem Flughafen Le Bourget 17 die Hintergründe nicht mehr detailliert rekonstruieren, da die Akten des NDL 18 in Paris, wo ihn eine begeisterte Menschenmenge empfing. 18 nicht erhalten sind. Aber es ist mehr als wahrscheinlich, dass der Empfang der 19 Lindbergh wurde in Frankreich wie in anderen Ländern Europas frenetisch 19 drei Flieger in New York und anderen amerikanischen Städten insgesamt mi- 20 gefeiert. Offenbar nutzte der amerikanische Botschafter in Paris, der Lindbergh 20 nutiös von Bremen aus geplant worden war. Allerdings verzögerten sich die 21 unter seine Fittiche nahm, die Gelegenheit zu einer PR-Kampagne für die USA 21 feierlichen Empfänge aufgrund der Notlandung der »Bremen« auf Greenly Is- 22 und für die amerikanische Luftfahrtindustrie.14 Lindbergh brach wenige Tage 22 land. Als die Flieger endlich am 26. April 1928 in New Yorkankamen, wurden sie 23 nach seiner Landung in Paris zu einer Rundreise mit der »Spirit of St. Louis« auf, 23 von einer begeisterten Menschenmenge und vom Bürgermeister James »Jimmy« 24 und er wurde überall mit höchsten Ehren empfangen. Die Zeitungen und das 24 Walker begrüßt. Wie Hünefeld in seinen Erinnerungen schreibt, war im Rathaus 25 Radio auf beiden Seiten des Atlantiks berichteten ausführlich. Als er schließlich 25 eigens ein für die Feierlichkeiten zuständiges Komitee gegründet worden.17 Nach 26 an Bord des Schiffes »Memphis« Washington erreichte, empfing ihn dort US- 26 einer Parade, an der auch das amerikanische Militär beteiligt war, besuchten die 27 Präsident Coolidge. Bei diesem Empfang wurde Lindbergh eine eigens für diesen 27 drei Flieger das Denkmal für die gefallenen amerikanischen Soldaten im Ersten 28 Anlass geschaffene Medaille, das »Distinguished Flying Cross«, überreicht. Alle 28 Weltkrieg. Schließlich flogen sie nach Washington und wurden dort von Präsi- 29 Radiostationen der USA übertrugen die Dankesrede Lindberghs. Etwa 500 Fo- 29 dent Coolidge begrüßt, der sie mit der gleichen Medaille ehrte, die erstmalig 30 tografen hielten den Augenblick fest, während zahllose Autos darauf warteten, 30 Lindbergh überreicht worden war. Auf dem Washingtoner Militär-Flugplatz 31 die Filme so schnell wie möglich in die Labors zu bringen, damit sie in die Welt 31 erwartete sie dann auch Charles Lindbergh höchstpersönlich. Anschließend 32 verbreitet werden konnten.15 Lindbergh wurde außerdem zum Oberst befördert, 32 führte sie ein Rundflug in verschiedene Städte, u.a. nach Detroit, wo Henry Ford 33 überhaupt spielte das Militär bei den Begrüßungszeremonien und Ehrungen 33 sie empfing, sowie nach und Montreal. Überall waren Presse und Radio 34 34 gegenwärtig, die Bildagenturen sandten Fotografien nach Europa, besonders 35 35 ü ü nat rlich nach Bremen. Sowohl die Begeisterung der Massen wie die der Medien 36 12 Ebd., S. 25–28. Ausgesprochen unkritisch, aber typisch f r viele »Fliegerbiografen« Walter 36 ü S. Ross, The Last Hero: Charles A. Lindbergh, New York, Evanston, London 1964. war durch Lindberghs Flug bereits entz ndet, und der Flug der »Bremen« fachte 37 13 Da die amerikanische Luftfahrtindustrie sich von der Teilnahme von Frauen eine erhöhte 37 das Medieninteresse weiter an. 38 Attraktivität versprach, boten, anders als in Europa, die Flugschauen auch Frauen eine 38 39 Möglichkeit, sich zu Pilotinnen ausbilden zu lassen. Evelyn Zegenhagen, »Schneidige 39 deutsche Mädel«. Fliegerinnen zwischen 1918 und 1945, Göttingen 2007, S. 41–47. 16 Der NDL verfügte bereits in den 1920er Jahren über eine Agentur mit Sitz in New York, die 40 40 14 A. Scott Berg, Lindbergh, New York 1998, S. 127–164. auch für die Öffentlichkeitsarbeit des NDL zuständig war. 41 15 Ebd., S. 144–145. 41 17 Luftmusketiere (wie Anm. 4) S. 356ff. 76 Inge Marszolek Der erste Nordatlantikflug von Europa nach Amerika 77

1 Am 18. Juni trafen die drei Flieger an Bord des Ozeanschiffes des NDL, der 1 Am nächsten Tag brachen die Flieger nach Berlin auf und unternahmen nach 2 »Columbus«, in Bremerhaven ein. Der Ankunft in Bremen vorausgegangen war 2 der Ehrung durch die Reichsregierung einen Rundflug in verschiedene Städte 3 ein Tauziehen mit der Reichsregierung in Berlin, ob die Flieger zuerst in Bremen 3 des Reichs. Hünefelds Besuch bei Wilhelm II. in seinem Exil in Doorn am 5. Juli 4 oder in Berlin feierlich empfangen werden würden. Von Hünefeld sprach sich in 4 1928 entfachte eine Kontroverse in den Medien, insbesondere denen der Ar- 5 einem Telegramm an den Bremischen Senat deutlich für Bremen aus. Staatsrat 5 beiterbewegung. Die Bremer Volkszeitung (SPD) kritisierte, dass der Besuch in 6 Müllershausen konnte hierdurch den Konflikt um die Ehrung im Sinne Bremens 6 Doorn die Bedeutung der Tat der Flieger verdunkele, da dieser »Zwietracht 7 beilegen.18 Damit war grünes Licht für eine minutiöse Planung gegeben.19 Das 7 säe«.22. Der Besuch bei Wilhelm II. erschien der SPD als Provokation, da er die 8 Programm bestand aus dem Empfang in Bremerhaven und der Fahrt im Auto- 8 Einigkeit des »deutschen Volkes« zugunsten eines nationalen, ja revanchisti- 9 mobil nach Bremen am darauffolgenden Tag, in Begleitung von einer Motor- 9 schen Triumphes aufs Spiel setze. Auch über die SPD hinaus hatte dieser Besuch 10 radstaffel der Polizei und ca. 3000 Automobilen von ADAC-Mitgliedern aus dem 10 Folgen. Der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer sagte einen geplanten 11 gesamten Reich. In Bremen erwartete die Flieger eine riesige Menschenmenge 11 Empfang der Flieger durch die Stadt Köln ab. Die drei besuchten lediglich eine 12 auf den Straßen; der Arbeitgeberverband hatte seinen Mitgliedern empfohlen, 12 Feier anlässlich des 90. Geburtstages von Graf Zeppelin auf dem Flugplatz in 13 ihren Arbeitern und Angestellten an diesem Tag einige Stunden freizugeben. Die 13 Köln.23 Ob diese Absage aufgrund internationalen Drucks erfolgte oder ob 14 Flieger frühstückten im Rathaus mit dem Bürgermeister, den Senatoren und der 14 Adenauer hier als rheinischer Zentrumspolitiker agierte, kann wegen der 15 politischen und wirtschaftlichen Elite, vor allem mit den Finanziers des Un- 15 schwierigen Quellenlage heute nicht mehr geklärt werden. 16 ternehmens, unter ihnen Ludwig Roselius. Anwesend war auch der amerikani- 16 17 sche Konsul. Am Nachmittag ging es zu einer öffentlichen Veranstaltung im 17 18 Stadion, wo u.a. die Bremer Sportvereine, der Vorsitzende des Bremer Vereins 18 4. Die Flieger als Helden der Lüfte 19 für Luftfahrt und natürlich die Flieger selbst Ansprachen hielten. Beteiligt waren 19 20 sowohl der rechtsnationale »Stahlhelm« als auch das sozialdemokratische 20 Fliegerhelden, so Bernd Hüppauf, gab es in der zivilen Luftfahrt sowohl in den 21 »Reichsbanner« – wohl die einzige Veranstaltung, bei der beide Verbände ge- 21 USA wie in Europa seit der Jahrhundertwende. Ihr Bild war eng verbunden mit 22 meinsam aufmarschierten. Im Rathaus überreichte Bürgermeister Donandt den 22 Technikeuphorie und Fortschrittsoptimismus.24 Im Ersten Weltkrieg wurde 23 Fliegern eine eigens für diesen Zweck angefertigte Medaille, und auch der NDL 23 durch Metaphern wie »Flieger-As« und »Ritter der Lüfte« der Heroismus des 24 ehrte die Flieger mit einer Medaille. Die Bedeutung des Fluges und die heraus- 24 einsamen Kämpfers in der Luft stilisiert. Die Flieger galten im Krieg als Aus- 25 ragende Ehrerbietung werden umso deutlicher, wenn man sich vor Augen hält, 25 nahmegestalten, sie waren allein in ihren Maschinen und kämpften »Mann 26 dass es in Bremen bis heute eine besondere Tradition ist, keinerlei Medaillen, 26 gegen Mann«, auch wenn die Gegner jeweils in anderen Fluggeräten saßen. 27 Orden oder ähnliches zu verleihen. Auch wurde – auf Anregung des Bremer 27 Insofern boten sie andere Projektionsflächen als etwa die Mannschaften in den 28 Senats – eine Gedenkmünze in der Größe eines Fünfmarkstücks geprägt.20 Den 28 U-Booten, die nur gemeinsam kämpfen und sterben konnten, wie es der be- 29 ganzen Tag war die Presse anwesend, aus dem Rathaus sendete die Norag 29 rühmt-berüchtigte Film »Morgenrot« von Gustav Ucicky (Erstaufführung 30 (Norddeutsche Rundfunk AG) live.21 30 31. Januar 1933) zeigte. Kaum als Helden eigneten sich die Soldaten in den 31 31 Schützengräben, da deren massenhaftes Leiden und Sterben zu anonym und 32 32 zugleich zu schrecklich war. Die Flieger hingegen trugen selbst zu ihrer My- 18 STAB 3-L-8 Nr. 347–2. Das Tauziehen, ob die Flieger zuerst in Berlin oder in der Hansestadt 33 33 Bremen empfangen werden sollten, ist durch mehrere Briefe dokumentiert. Bürgermeister 34 Donandt telegrafierte den Fliegern, die daraufhin dem Senat dankten und die Einladung 34 22 Bremer Volkszeitung, Ein sinnloser Besuch, 06.07.1928. Der kurzen Notiz beigefügt war eine 35 annahmen. Staatsrat Müllershausen informierte sofort die Presse (4.5.1928). Handschrift- 35 Karikatur, auf der Wilhelm II. in Uniform hoch über den Fliegern steht, die er quasi »ent- ö 36 licher Vermerk. 36 sandt« hatte. Die Zeitung zitierte hier im wesentlichen das K lner sozialdemokratische Blatt. 19 Das Folgende nach STAB 3-L-8 Nr. 347–2. Interessant ist, dass offenbar beide Blätter die Flieger als »Kulturpioniere« bezeichneten. 37 20 STAB 3-L-8. Nr. 347–8. Auf der Rückseite der Münze sind die Namen der drei Flieger, das 37 23 Bremer Nachrichten, 08. und 09.07.1928: Hünefeld rechtfertigte den Besuch, indem er 38 Flugzeug »Bremen« sowie die Inschrift: »Ein Wille, eine Tat, ein Sieg« eingeprägt, die Vor- 38 betonte, er sei als Privatmann in Doorn gewesen, und fuhr fort, er habe nicht aus außen- 39 derseite zeigt ein PorträtvonKöhl mit der Umschrift »Erster Ost-West-Ozeanflug, 13. April 39 politischen Gründen auf diesen Besuch verzichten wollen: »er verbitte es sich […] zur 1928.« Gesinnungslumperei herausgefordert zu werden« (09.07.1928). 40 40 21 Der Senat maß der Anwesenheit der Presse große Bedeutung zu, wie die detaillierte An- 24 Bernd Hüppauf, Fliegerhelden des Ersten Weltkriegs. Fotografie, Film und Kunst im Dienst 41 weisung für die Behandlung der Medienvertreter in der Akte zeigt. 41 der Heldenbildung, in: Zeitschrift für Germanistik, NF XVIII, 2008, S. 575–595, hier S. 575. 78 Inge Marszolek Der erste Nordatlantikflug von Europa nach Amerika 79

1 thenbildung bei. Bernd Hüppauf sieht hierin die Basis für die spätere Anpassung 1 could thrive even in the new technological age. Standing in America’s past he embodied 2 des eigentlich vormodernen Mythos des Helden an die Moderne: Der Flieger als 2 its future.«30 3 Dandy ermöglicht eine Feminisierung des Helden, die visuellen Symbole und 3 Genau dieses Bild verbreiteten die Medien, die insbesondere seitens der Pres- 4 Bezüge zur Technik zelebrieren die Modernität.25 Dank dieser Anpassung an die 4 sekonzerne den »celebrity cult« entdeckt hatten. Portraits bekannter Persön- 5 Moderne behielten die Flieger auch nach dem Kriegsende in den Medien und 5 lichkeiten wurden mit dem »human interest« unterfüttert, und die Gründe, die 6 damit im Bewusstsein der Öffentlichkeit eine gewisse Ausnahmeposition bei. 6 Medienaufmerksamkeit auf sich zu ziehen, waren vielfältig. Oftmals stand hinter 7 Die mediale Aufmerksamkeit verstärkte sich eher in der Zwischenkriegszeit – 7 den Konstruktionen von »celebrity« eine wohl durchdachte und gut finanzierte 8 und anders als zu Kriegszeiten konnten die Fliegerhelden auch zu transatlan- 8 PR-Maschine. Für Lindbergh galt das allerdings nur partiell: Sein medialer 9 tischen Medienikonen werden.26 9 Ruhm war zumindest in Europa eher ungeplant und spontan, wenngleich auch 10 Zur Figur des Helden gehört indes auch das Charisma, das nach Max Weber 10 er bereits vor seinem Flug einen Vertrag mit der New York Times für das erste 11 die einzige Legitimation des Helden ist.27 Daraus folgt, dass der Held erst dann 11 Interview unterzeichnet hatte. Aber in den USA war die mediale Aufmerksam- 12 zum Helden wird, wenn er die Anerkennung der Gesellschaft genießt. Diese 12 keit wohl mit befeuert durch die Reaktionen jenseits des Atlantiks. Nur die 13 öffentliche Anerkennung wurde in der Zwischenkriegszeit medial produziert. 13 Medien im Deutschen Reich, das er aus seinem Rundflug ausgespart hatte, be- 14 Aufgrund neuer Medientechnologien konnte dies erstmalig auf beiden Seiten 14 richteten eher zurückhaltend. Gleichwohl diente er grenzüberschreitend als 15 des Atlantiks in »Echtzeit« passieren. Charles Lindbergh – und das mag ein 15 Projektionsfläche für jung und alt, fürMänner wie für Frauen. 16 Faktor seines Potenzials als fliegerischer Held sein – stand für den Typus des 16 Ehrenfried Günther Freiherr von Hünefeld war eine völlig andere Persön- 17 neuen Helden im amerikanischem Kontext: Er war zu Beginn des 20. Jahrhun- 17 lichkeit, viel ambivalenter, aber vielleicht deswegen ebenfalls geeignet, als Pro- 18 derts geboren, hatte den Krieg lediglich als Junge im ländlichen Minnesota 18 jektionsfläche zu dienen.31 Mit seinem Namen, dem Monokel und seiner mon- 19 erlebt. Er sah blendend aus; der Körper spielt in der Visualisierung des Helden 19 archistischen Überzeugung verkörperte er eher einen Helden der Vergangen- 20 insgesamt bis heute eine herausragende Rolle. Gleichzeitig aber erfüllte Lind- 20 heit, einen aristokratischen romantischen Helden, der für Kaiser und Vaterland 21 bergh die Sehnsucht nach einem Helden, der aus dem »alten« ländlichen 21 zu kämpfen bereit war. Dem heroisierten Bild des »Flieger-Asses« widersprach, 22 Amerika stammte. In einer Zeit der Verunsicherung nach dem Krieg durch eine 22 dass er eher schmal und klein und von diversen Behinderungen und Krank- 23 verbreitete Landflucht, durch Veränderungen der Werte und Normen vor allem 23 heiten gezeichnet war.32 In seinem Auftreten hatte er durchaus etwas Dandy- 24 in den Städten, durch verstärkte Immigration und das sich verbreitende Be- 24 haftes. Hünefeld, so meine Deutung, verband den aristokratischen vormoder- 25 drohungsgefühl des »white male« erschien der jugendlich aussehende, männ- 25 nen Helden mit dem modernisierten, dessen Facetten Hüppauf beschreibt. Wie 26 liche Lindbergh als ein zeitgemäßes Ideal: Der Junge, der bereits auf dem Land 26 ich noch ausführen werde, spielte er in seiner Selbstdarstellung sehr geschickt 27 mit Flugmaschinen gebastelt hatte, der seine Leidenschaft mit Konsequenz und 27 auf dieser Klaviatur und inszenierte den Flug zu einem Gemeinschaftsprojekt: 28 Disziplin verfolgte, der seine Mutter verehrte und damit auch das Familienideal 28 als »Luftmusketier« war er nur einer von dreien, d. h. dieser Nordatlantikflug 29 in einer Zeit der »flappers«28 verkörperte, schien die geeignete Projektionsfläche 29 30 ü 29 30 war Teamwork. Zugleich verweist der Titel des Buches »Die drei Luftmusketiere« f r das verunsicherte Amerika, das sich gegen den »Werteverfall« stemmte: ü ö 31 31 darauf, dass er wie die beiden anderen im bertragenen Sinne Soldat des K nigs ü 32 »To those who feared that the new urban industrial order was promoting regimen- 32 war, bereit, sein Leben zu opfern – der Bezug zu dem weltber hmten Roman war 33 ü 33 tation, threatening to grind down individualism and creativity in favor of bland, cor- 33 sicher gewollt. Zum feminisierten Helden passt, dass H nefeld ledig war und porate orthodoxy, Lindbergh offered eloquent reproach. He reminded the nation, in the 34 34 historians Leo Braudy’s words, that ›nineteenth-century America was not dead‹, that it 35 35 30 Leo Braudy, The Frenzy of Renown: Fame and its History, New York 1986, S. 19, zitiert nach 36 36 Kessner, The Flight (wie Anm. 11), S. 204. 31 Ich beschränke mich hier auf Hünefeld, da er zweifellos im Vordergrund stand, auch wenn er 37 25 Ebd., S. 586–590. 37 das Flugzeug nicht selbst steuerte. 38 26 Ebd., S. 588–589. 38 32 Selbstironisch nannte Hünefeld sich »Hünerbein«, u.a. in Briefen an Müllershausen (wie 39 27 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Neu Isenburg 2005, S. 170–189, nach Hüppauf, 39 Anm. 8). Fliegerhelden (wie Anm. 24), S. 582. 33 Der Roman von Alexandre Dumas, Die drei Musketiere, erschien 1844 in Paris, zwei Fort- 40 40 28 Als »flappers« wurden die modernen Frauen der 1920er Jahre in den Großstädten bezeichnet. setzungen folgten. 1845 bereits erschien die deutsche Übersetzung, 1921 gab es zwei 41 29 Kessner, The Flight (wie Anm. 11). S. 204–205. 41 Stummfilme, einer von Douglas Fairbanks. 80 Inge Marszolek Der erste Nordatlantikflug von Europa nach Amerika 81

1 ein sehr enges Verhältnis zu seiner Mutter hatte, was er öffentlich zur Schau 1 Völkerverständigung dienen könnten. Diese utopischen Diskurse schienen 2 stellte. Seine Leidensfähigkeit und sein zäher Wille, seinen Körper zu bezwingen, 2 durch die Erfahrungen und Wahrnehmungen des Alltags gesättigt. Darüber 3 verweisen wiederum auf den aristokratisch-soldatischen Helden der Vergan- 3 hinaus scheinen sich die (männlichen) Flieger als eine Art verschworene Ge- 4 genheit. 4 meinschaft jenseits nationaler und geografischer Grenzen verstanden zu haben, 5 Eigentlich hätte sich eher Hermann Köhl als Figur des Helden angeboten: Er 5 die die Leidenschaft für das Fliegen und die Maschinen verband. Das Treffen von 6 galt als »Flieger-Ass« des Ersten Weltkriegs, selbst wenn er im Vergleich zu den 6 Hünefeld, Köhl und Fitzmaurice mit Lindbergh ist nur ein Indiz hierfür.35 7 bekannteren wie Baron von Richthofen, Oswald Boelcke u.a. nie eine eigene 7 Aber das war nur die eine Seite: Das Überfliegen von Grenzen bedeutete nicht 8 »Ass-Legende« hatte aufbauen können. Köhl war mit einer ausgesprochen 8 für alle, das Fliegen als Beitrag zur Völkerverständigung zu verstehen. Peter 9 gutaussehenden jungen Frau verheiratet, die das Flugabenteuer ihres Mannes 9 Fritzsche argumentiert, dass im Gegenteil für junge Deutsche, die national ge- 10 unterstützte. Insofern kann man nur vermuten, warum Köhl letztlich hinter 10 sinnt waren, dies auch der Anstoß gewesen sein mag, das Territorium der 11 Hünefeld in der medialen Aufmerksamkeit zurückstand; zum einen wohl fehlte 11 deutschen Nation, ihren »Lebensraum« erweitern zu wollen.36 Darüber hinaus 12 ihm ein gewisser Glamour, zum anderen verfügte er nicht über ein lässiges 12 war die Frage, wer den Luftraum beherrschte und welche Industrie die leis- 13 Auftreten, wie man auf den Fotos erkennen kann. Darüber hinaus stellte die enge 13 tungsfähigeren Maschinen baute, ein weites Feld nationaler Konkurrenz. So 14 Verbindung zwischen Hünefeld und dem NDL den Helden der Vergangenheit 14 wurde in den USA der Flug Lindberghs als Kick-off der politischen Unterstüt- 15 sehr viel stärker in den Mittelpunkt des medialen Interesses. 15 zung der amerikanischen Luftfahrtindustrie und damit des Aufstiegs der ame- 16 16 rikanischen Luftfahrt euphorisch gepriesen. Im Deutschen Reich waren die 17 17 nationalistischen Kodierungen der Luftfahrt bzw. der Fliegerei sowohl in der 18 5. Modernität – Nation 18 Alltags- als auch in der politischen Kultur besonders vehement, vor allem hin- 19 19 sichtlich des Zeppelins.37 Bis zu dem dramatischen Unglück 1937, als sich die 20 Peter Fritzsche hat überzeugend nachgewiesen, wie die fliegerische Sicht auf das 20 »Hindenburg« bei ihrer Landung über Lakehurst, New Yorkentzündete und das 21 Land eine neue geopolitische Perspektive eröffnete: 21 Luftschiff abstürzte, galt der Zeppelin gerade auch aufgrund seiner Größe als ein 22 22 Symbol avancierter deutscher Technik. Nach dem verlorenen Krieg war der 23 »The question was whether the aviator’s globalism anticipated a coming world fed- 23 Wiederaufbau der deutschen Luftfahrtindustrie eine Frage der nationalen Ehre. eration which would make nationalism obsolescent (just as a few railroads had eroded 24 24 Auf Flugschauen38 wurden »deutsche Arbeit« und »deutsche Technik« gefeiert. nineteenth century localism), or whether it foresaw ever more brutish and autarkic 25 25 ü nationalisms striving to encompass the entire globe. What kind of political order did Alf L dtke hat in diesem Kontext daraufhin hingewiesen, wie die Aufladung von 26 people dream about when they considered air routes […]?«34 26 Arbeit als deutsche Tugend zu einem Einfallstor der nationalsozialistischen 27 27 Ideologie insbesondere in der Facharbeiterschaft werden konnte.39 28 Zweifellos führte bei vielen Fliegern die Erfahrung von der Grenzenlosigkeit des 28 Hünefelds Reden, soweit sie in der Presse und den Akten überliefert sind, 29 Luftraums dazu, dass sie selber das wirkmächtige Narrativ vom Knüpfen en- 29 dokumentieren sein Anliegen, den Flug der »Bremen« sowohl in das Feld der 30 gerer, friedvoller Verbindungen zwischen den Ländern und Kontinenten durch 30 Völkerverständigung als auch in das Nationale einzubetten. Interessant ist, 31 die technischen Möglichkeiten der Fliegerei übernahmen. Das war umso na- 31 welche Rolle dabei seine Kriegserfahrungen spielen, die offenbar für ihn – trotz 32 heliegender, als dies ihren eigenen Seh-Erfahrungen entsprach, ließ doch der 32 oder wegen der Kürze seiner eigenen Zeit als Soldat – höchst prägend waren. Der 33 Blick aus der Vogelperspektive Länder und Kontinente zusammenrücken. Die 33 34 Erfahrungen des Weltkriegs verstärkten bei vielen die Hoffnung auf das Ent- 34 35 stehen eines globalen Internationalismus. Zugleich aber waren sie Teil eines 35 35 Luftmusketiere (wie Anm. 4), S. 367. 36 generellen Diskurses über Fortschritt und Technik: So entstanden immer dann, 36 36 Fritzsche, Nation (wie Anm. 5), S. 133–184. 37 Ebd., S. 9ff. 37 wenn ein neues technikbasiertes Medium auftauchte, wie der Telegraf vor dem 37 38 In den ersten Jahren der Weimarer Republik machte der Segelflug, der nicht von den Re- 38 Ersten Weltkrieg und das Radio in den zwanziger Jahren, Hoffnungen, dass die 38 striktionen des Versailler Vertrags betroffen war, Flugschauen besonders populär. 39 Medien aufgrund ihres Potenzials zur Überwindung von Zeit und Raum der 39 39 Alf Lüdtke, Deutsche Qualitätsarbeit. Ihre Bedeutung für das Mitmachen von Arbeitern und Unternehmern im Nationalsozialismus, in: Aleida Assmann/Frank Hiddennau/Eckhard 40 40 Schwarzenberger (Hrsg.), Firma Topf und Söhne – Hersteller der Öfen für Auschwitz. Ein 41 34 Fritzsche, Nation (wie Anm. 5), S. 173. 41 Fabrikgelände als Erinnerungsort? Frankfurt am Main 2002, S. 123–138. 82 Inge Marszolek Der erste Nordatlantikflug von Europa nach Amerika 83

1 Flug über den Atlantik war, wie er es in den »Luftmusketieren« schildert, ori- 1 gewisse Jugendlichkeit und damit verbundene Naivität, die dazu beitrug, dass 2 entiert an soldatischen Werten, vor allem an einer Überhöhung des eigenen 2 Lindbergh zum Fliegerhelden der Moderne wurde. 3 Todes als Dienst für die Mission. Diese Werte werden für ihn in Überwindung 3 4 der ehemaligen Feindschaft zu dem irischen Mitflieger bewahrt: 4 5 5 6. Ehrungen in Bremen zwischen Transnationalität, Nation und 6 »Was auch kommen mag, Sieg oder Ende, wir werden als Kameraden sterben oder als 6 Kameraden siegen und das Band, das zwischen Deutschland und Irland als ein Symbol Lokalität 7 7 dafür geknüpft ist, dass Vergangenes vergangen ist und dass neues Leben erwachte, 8 8 wird im Leben wie im Sterben unzerreissbar werden«.40 Bürgermeister Donandt, bis 1929 der DNVP zugehörig, bis 1933 Bürgermeister 9 9 von Bremen, hielt die Begrüßungsrede für die drei »Luftmusketiere« im Rathaus. Ä ü 10 hnliches formuliert er in seinem Bericht ber die Parade der amerikanischen 10 Er gehörte zweifellos zu denjenigen Politikern der Weimarer Republik, die eine 11 Truppen ihnen zu Ehren in New York, wo er betont: 11 radikale Revision des Versailler Vertrages anstrebten: Er stand dem preußisch- 12 12 »Fitzmaurice hat Seite an Seite im Kriege mit der diesseitigen Wehrmacht gefochten. deutschen Militarismus nahe und pflegte offenbar enge Verbindungen zu Offi- 13 13 Wir jenseits der Schützengräben. In diesem Augenblick [während eines Sturms, I.M.] zieren der Reichswehr, die mehrheitlich der Weimarer Republik ablehnend bis 14 einte uns ein einziger Gedanke. Der Glaube an die eigene Heimat und die Liebe zum 14 skeptisch gegenüberstanden. Zugleich aber war er Hanseat und vertrat die In- 15 Vaterland«.41 15 teressen der Kaufmannschaft, die sich hier mit den Interessen des NDL ver- 16 16 banden. In seiner Rede bettete Donandt den Flug der »Bremen« folglich in das Selbst die Präsentation der amerikanischen Luftwaffe auf dem Militärflugplatz in 17 17 Bemühen Deutschlands um »Weltgeltung« ein: 18 Washington gerätinHünefelds Deutung zu einer Mischung zwischen seiner 18 ü ü 19 militaristischen Grundhaltung und den Hoffnungen auf Frieden: Während er 19 »F r uns aber […] f r uns Deutsche hat der glorreiche Flug der ›Bremen‹ noch eine andere, uns näher berührende Bedeutung. In dem blutigen Völkerringen, das hinter 20 den Staatssekretär Kellogg zustimmend zitiert, der von den Segnungen der 20 uns liegt, ist die frühere Weltstellung Deutschlands zusammengebrochen. Sie kann in 21 Völkerverständigung und des Friedens spricht, lobt Hünefeld zugleich die De- 21 friedlichem Wettbewerb der Völker nur durch deutschen Geist, deutsche Arbeit und monstrationen der amerikanischen Luftwaffe, die bereit sei, »für neue Ziele zu 22 22 deutsche Tatkraft wieder errungen werden. In diesem Sinne war der Bau und der Flug ä 42 23 k mpfen und zu streiten.« 23 der ›Bremen‹, vom deutschen Standpunkt aus gesehen, eine vaterländische Tat.«45 24 Lindbergh hingegen verrät in seinem Buch »The Spirit of St. Louis« keinerlei 24 43 25 größere Ambitionen, als sein Flugzeug erfolgreich in Paris zu landen. Die 25 Zugleich unterstrich er, dass dieser Flug dazu beitrage, dass ein »sicherer ü 26 beispiellose Popularität und mediale Präsenz scheinen ihm eher suspekt gewe- 26 Flugverkehr die Schranken von Raum und Zeit in ungeahnter Weise zur ck- ä ö ü ü 27 sen zu sein, nicht aber die militärischen Ehren. Dem entspricht auch, dass er sich 27 dr ngen und die V lker des Erdballs als Nachbarn zusammenr cken« w rden. ß 28 auf die Entwicklung der amerikanischen Luftfahrt konzentrierte und Berater der 28 Er betonte insbesondere die Bedeutung der Freundschaft zwischen der »gro en 44 ü 29 US-Regierungsbehörde für Aeronautik wurde. Das hatte wohl unter anderem 29 amerikanischen Nation und dem deutschen Volke, die vor bergehend, man ö ö 46 30 mit seinem jugendlichen Alter und einer gewissen Unbedarftheit zu tun: Für ihn 30 m chte fast sagen, durch ein Versehen der Weltgeschichte zerst rt war«, und 31 konzentrierte sich alles auf seine Maschine und auf die Möglichkeit zu fliegen. 31 endete mit der besonderen Aufgabe des deutschen Volks, »der Menschheit neue 47 32 Ganz anders sah das vor allem der amerikanische Botschafter in Paris, der die 32 Wege zu bahnen.« Die Betonung der besonderen Freundschaft zwischen den 33 potenzielle Wirkung der Persönlichkeit Lindberghs und der medialen Kon- 33 USA und dem deutschen Volk entsprach zum einen der lokalen Tradition der ü 34 struktion als »Fliegerheld« erspürt hatte. Aber es war vermutlich gerade seine 34 Hansestadt, die immer um gute Handelsbeziehungen mit den USA bem ht war. ü 35 35 Zum anderen kann man den vielen Gl ckwunschschreiben aus den USA an den 36 40 Luftmusketiere (wie Anm. 4) S. 320. 36 Bremer Senat entnehmen, dass der Flug der »Bremen« gerade bei den Vereinen 41 Ebd., S. 357. der Deutschamerikaner auf große Resonanz stieß.48 37 42 Ebd., S. 367. 37 38 43 Charles Lindbergh, The »Spirit of Saint Louis«, New York 1955. 38 39 44 Es würde zu weit gehen, wenn ich hier die spätere problematische Nähe Lindberghs zum 39 45 STAB 3-L-8-Nr. 347–2, Bl. 4. Nationalsozialismus einbeziehen würde, die in seiner isolationistischen Haltung begründet 46 Ebd. 40 40 war, vgl. u.a. Wayne S. Cole, Charles A. Lindbergh and the Battle against American Inter- 47 Ebd., Bl. 5. 41 vention in World War II, New York, London 1974. 41 48 STAB 3-L-8 Nr. 347–1: In Chicago wurde ein Scheinwerfer der Nachtbeleuchtung des Flug- 84 Inge Marszolek Der erste Nordatlantikflug von Europa nach Amerika 85

1 Diese Mischungen von nationalem und bremischen Diskursen durchzieht 1 Fragt man nach dem Eigenanteil der Flieger bei der Gestaltung des »neuen 2 letztlich alle Reden, mit geringen Akzentverschiebungen: Der Vorsitzende des 2 Helden«, so ist festzuhalten, dass Lindbergh selber wohl von der Massenbe- 3 Bremer Vereins für Luftfahrt, Landgerichtsdirektor Dr. Wilckens, betonte bei- 3 geisterung in Europa wie in den USA eher überrascht war und sich relativ wenig 4 spielsweise voller Stolz auf die technische Leistung und die »deutsche Arbeit«, 4 bemühte, an dem entstehenden Lindbergh-Mythos mitzuwirken. Kessner kon- 5 dass die »Bremen« eine Maschine sei, die in Deutschland produziert worden sei. 5 statiert, dass Lindbergh nach seiner Landung die Freiheit über seine Person 6 »Ja, deutsche Maschine! Denn deutsche Erfinder haben Flugzeug und Motor 6 verloren hatte – er war nunmehr die Projektionsfläche für ganz Amerika, er war 7 erdacht und berechnet, fleissige geschickte Hände gewissenhafter deutscher 7 Amerika.50 Wenn aber der »New York Evening« schreibt, dass sein Flug »the 8 Arbeiter haben beide hergestellt und zu einem Wunderwerk der deutschen 8 greatest feat of a solitary man in the history of the human race« gewesen sei,51 so 9 Technik vereinigt.«49 Wilckens betonte, dass die Finanzierung Ausdruck »bre- 9 wird deutlich, dass mit Lindbergh ein neuer Held geschaffen wurde, der zugleich 10 mischen Hanseatengeists« gewesen sei, hatten doch ausschließlich Bremer 10 in den beginnenden Starkult adaptiert werden konnte. Lindbergh selbst hielt 11 Kaufleute und Unternehmer den Flug unterstützt. 11 sich indes zurück und zeigte sich in erster Linie an der Fliegerei interessiert. Die 12 Wie die Äußerungen von Hünefelds und die der bremischen Vertreter zeigen, 12 gestaltenden Akteure in diesem Prozess waren andere: der Botschafter der USA 13 ist das diskursive Feld, das sich um den Flug der »Bremen« bildete, ebenso fluide 13 in Paris, der Präsident der Vereinigten Staaten, Calvin Coolidge, der Bürger- 14 wie flexibel. Je nach Sprecherposition, aber auch je nach Anlass und Ort konnten 14 meister von New York u.a., die den neuen Helden als Aushängeschild für 15 einzelne Versatzstücke unterschiedlich betont werden. So wurden sie mit den 15 Amerika in der Krise der 1920er Jahre instrumentalisierten. 16 Personen der Flieger, hier insbesondere mit von Hünefeld, verbunden und 16 Das war zweifellos anders im Fall der drei Flieger der »Bremen«, insbesondere 17 medial transportiert. Diese Diskurse waren Teil der durchaus erfolgreichen 17 von Hünefelds. Alle drei hatten als Soldat gedient, Köhl und Hünefeld auf Seiten 18 Marketingstrategien des NDL. Zugleich aber standen sie in Kontinuität zu he- 18 des Kaiserreichs, Fitzmaurice in der britischen Armee. Insbesondere Hünefeld 19 gemonialen Diskursen über Technik und deren nationalistische Rahmung. 19 arbeitete sehr aktiv daran mit, das Bild des militärischen Fliegerhelden nunmehr 20 Indem sie den Wert deutscher Arbeit betonten, verwiesen sie auf die Janus- 20 in die zivile Luftfahrt einzuschreiben. Der Kampf gegen den Feind in der Luft 21 köpfigkeit der Moderne. 21 wurde zum Kampf des Menschen gegen die Widrigkeiten des Wetters und mit 22 22 der Flugmaschine. Die drei Männer fochten einen gemeinsamen soldatischen 23 23 Kampf aus – in dessen Verlauf aus ehemaligen Feinden Freunde wurden. 24 7. Die Atlantikflieger, die Medien und das Feld der Ehre 24 Zweifellos spielen bei Hünefeld männerbündische Vorstellungen eine große 25 25 Rolle. Hünefeld, der mehr oder minder als Sprecher der »drei Musketiere« 26 Die Konstruktionen des Fliegerhelden in der Zwischenkriegszeit schufen ein 26 fungierte, war nicht nur in der Vorbereitung des Flugs und der Ehrungen in New 27 vielschichtiges Feld von Ehre bzw. Ehrregimen. Zwischen den beiden hier un- 27 York und im Reich, sondern auch während der Ehrungen selbst ein eigenstän- 28 tersuchten Protagonisten und den Aushandlungsprozessen über die Figur des 28 diger Akteur in den Aushandlungsprozessen, auch gegenüber den politischen 29 Fliegerhelden sind große Unterschiede festzustellen, die vor allem mit den 29 Akteuren, wie unter anderem aus den Briefwechseln mit Staatsrat Müllershausen 30 Biografien, aber auch mit der Geschichte der zivilen Luftfahrt in den USAund im 30 hervorgeht. Auch zeigt sich an Hünefelds Reden und an seinen Erinnerungen 31 Deutschen Reich verbunden sowie im jeweiligen historischen Kontext verankert 31 sehr deutlich, wie er die Komplexität des diskursiven Feldes der Ehre auslotet. 32 sind. Dennoch gibt es in den Diskursen über Fliegerhelden und Ehre Ähnlich- 32 Ehre steht als normativ aufgeladener Begriff in Beziehungen zu anderen. Die 33 keiten. Das gilt in hohem Maße auch für die jeweiligen Ehrregime, zumal, wie 33 Ehre der Nation ist ebenso wie Vaterland, Fliegerheld etc. ein »umbrella term«52, 34 deutlich wurde, die Ehrungen ja auf beiden Seiten des Atlantiks stattfanden. Im 34 ein Begriff also, der auf situative Anpassungen ebenso verweist wie auf gesell- 35 Fall der Flieger der »Bremen« diente das Ehrregime für Lindbergh als Modell 35 schaftliche, kulturelle Transformationsprozesse und dessen Kompatibilität mit 36 bzw. als Prototyp, um in der Fliegersprache zu bleiben. 36 den Interessen unterschiedlicher Akteure in den »Ehrregimen« immer wieder 37 37 neu verhandelt wird. So war die Wiederherstellung der nationalen Ehre ein 38 38 39 hafens von den Ozeanfliegern auf dem Namen »Bremen« getauft, was als Symbol dieser 39 Freundschaft dienen sollte. STAB 3-L-8 Nr. 347–7. 50 Kessner, The Flight (wie Anm. 11), S. 205. 40 40 49 STAB 3-L-8 Nr. 347–2, enthält Text der Rede Wilckens auf der öffentlichen Kundgebung im 51 Zitiert nach ebd., S. 201. 41 Stadion, Bl. 1. 41 52 Vgl. Alon Confino, The Local Life of Nationhood, in: National Identities 4 (1), S. 7–24. 86 Inge Marszolek Der erste Nordatlantikflug von Europa nach Amerika 87

1 durchgängiger Diskursstrang in der Weimarer Republik, der für die Interessen 1 Erfahrungen und Modelle, wie sie bereits in den USA üblich waren, zurück- 2 der zivilen Luftfahrt argumentativ ebenso zu nutzen war wie für den Bremer 2 griffen. Inwieweit auch Hünefeld sich damit beschäftigt hatte, muss offen blei- 3 Bürgermeister Donandt und andere konservative Politiker oder für die 3 ben. 4 Reichsregierung. 4 Erfolgreich waren diese Strategien auch, weil der Resonanzboden in der 5 Für die Bremer Ehrungen ist in diesem Zusammenhang zu betonen, dass 5 Öffentlichkeit bestand. Nicht nur waren in Deutschland die Flieger-Asse des 6 Politik wie Kaufmannschaft als traditionelles Sprachrohr der bremischen 6 Ersten Weltkriegs weiterhin präsent. Die Flugschauen auf der einen, aber auch 7 Wirtschaft die Diskurse zur Völkerverständigung bzw. zur Vertiefung des 7 der Zeppelin auf der anderen Seite waren für viele, meist Männer, attraktiv und 8 transatlantischen Verhältnisses in ihre wirtschaftlichen und politischen Inter- 8 beflügelten Träume vom Fliegen. Flugzeuge und ihre Piloten waren wie Renn- 9 essen einbetteten. Hünefeld, der aus seiner monarchischen Gesinnung nie einen 9 wagen und ihre Lenker bereits zu Ikonen der Moderne geworden, und sie 10 Hehl machte, konnte aufgrund seiner biografischen Prägung die alten Diskurse 10 wurden von vielen in einen nationalen Diskurs eingebettet.55 Zugleich aber 11 um den soldatischen Flieger des Ersten Weltkriegs mit dem neuen, auch medial 11 waren die Flieger und ihre Fluggeräte eine gemeinsame Projektionsfläche für 12 konstruierten Bild vom Bezwinger des Luftraums in seiner Person verbinden. 12 Teilhabe an der Moderne, die von allen Schichten der Bevölkerung und allen 13 Das gleiche gilt für die Betonung des Fliegens im Dienst der Völkerverständi- 13 politischen Parteien geteilt werden konnte, wie der gemeinsame Aufmarsch von 14 gung. Auch hier knüpfte Hünefeld eine Verbindung des Soldatischen mit den 14 Stahlhelm und Reichsbanner im Bremer Stadion zeigt. Hierfür hat kein gerin- 15 Interessen der zivilen Luftfahrt, in diesem Fall des NDL, in dessen Dienst er ja als 15 gerer als Siegfried Kracauer in seinen Miniaturen über das Alltagsleben in Berlin 16 Pressechef stand. 16 viele Beispiele gegeben.56 Dieser Grundkonsens der Weimarer Republik war 17 Die Ehrung und Popularisierung der Fliegerhelden auf beiden Seiten des 17 jedoch von der Janusköpfigkeit der Moderne konturiert und daher ausgespro- 18 Atlantiks wiederum hatten immens mit deren Medialisierung zu tun. Der 18 chen fragil. 19 Luftraum war Ende der 1920er Jahre nicht länger der einzige grenzenlos er- 19 Performative Ehrbezeugungen waren im Fall der Flieger auf beiden Seiten des 20 scheinende Raum, sondern technisch basierte Massenmedien hatten eine im- 20 Atlantiks nicht zuletzt Teil von alltäglichen Praktiken wie dem Besuch von 21 mense Verdichtung von Raum und Zeit bewirkt. Das Radio sendete in den Äther, 21 Flugschauen oder Automobilausstellungen, die ihrerseits medial verhandelt 22 Texte wurden telegrafiert, Bildagenturen hatten längst für die schnelle Versor- 22 wurden. Gleichwohl kann man feststellen, dass das diskursive Feld in 23 gung der Printmedien durch Bilder diesseits und jenseits des Atlantiks gesorgt. 23 Deutschland bereits ausdifferenzierter und etablierter als das in den USA und 24 Die Filmindustrie Hollywoods hatte die europäischen Kinos erobert. In den USA 24 zugleich nationaler konturiert war. 25 hatten die Massenmedien bereits den Helden durch den Star ersetzt, wenngleich 25 Anders als Lindbergh, dessen Heroisierung noch heute anhält, konnten die 26 Lindbergh von einigen noch als »last hero« bezeichnet wurde. Die Medienof- 26 drei Flieger der »Bremen« dessen Starpersona nie erlangen. Begründet ist dies 27 fensive des NDL, der durch einen erfolgreichen Flug und dessen Vermarktung 27 zum einen im frühen Tod von Hünefeld. Darüber hinaus schien er den Natio- 28 auch seine Geschäftsbeziehungen zu den USA zu verbessern trachtete, war of- 28 nalsozialisten, die offenbar der Person Hünefelds ebenso wie der Beteiligung 29 fenbar erfolgreich. Zumindest gelang es dem NDL, auch die amerikanischen 29 Fitzmaurices gegenüber höchst skeptisch eingestellt waren, wenig kompatibel 30 Medien zu gewinnen. So bewertete Generaldirektor Stimming, dass der Flug 30 mit ihrem eigenen rassistisch konnotierten Heldenideal zu sein. Der Versuch des 31 propagandistisch ein großer Erfolg gewesen sei.53 Zu diesem Erfolg entschei- 31 Bremer Senats, die etablierten Ehrregime auch nach 1933 für sich zu nutzen, war 32 dend beigetragen hatte offenbar das Büro des NDL in New Yorkmit seinen schon 32 wenig erfolgreich. Anlässlich des fünften Jahrestages versuchten der Bremer 33 weiter oben geschilderten detaillierten Planungen.54 Insofern stellt sich am 33 Senat und die Kaufmannschaft, Floyd Bennett in den Mittelpunkt der Ehrung zu 34 Beispiel des Flugs der »Bremen« und der Ehrungen der Flieger die Frage, in- 34 stellen–den amerikanischen Flieger, der bei seinem Versuch, den dreien auf 35 wieweit die Konstruktion des Fliegerhelden auf Marketingstrategien zurück- 35 Greenly Island zu Hilfe zu kommen, ums Leben gekommen war. Explizit erhoffte 36 zuführen sein kann. Zu berücksichtigen ist, dass Bremer Unternehmer dabei auf 36 sich der Senat hierdurch eine Verbesserung der deutsch-amerikanischen Be- 37 37 38 38 55 Uwe Day, Mythos ex machina. Medienkonstrukt »Silberpfeil« als massenkulturelle Ikone der 39 53 Georg Bessell, Norddeutscher Lloyd 1857–1952. Geschichte einer bremischen Reederei, o.O. 39 NS-Modernisierung, Diss. Bremen 2004. Grundsätzlich: Detlev J. K. Peukert, Die Weimarer o.J., S. 152. Republik, Frankfurt am Main 1987. 40 40 54 So dankte Hünefeld ausdrücklich dem Leiter des New Yorker Büros, J. Schroeder: Luft- 56 Z. B. Siegfried Kracauer, Sie sporten, in: Schriften 5.2, aufsätze 1927–1931, Frankfurt am 41 musketiere (wie Anm. 4), S. 381. 41 Main 1990, S. 14–18. 88 Inge Marszolek

1 ziehungen nach dem Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 auch in 1 Dietmar von Reeken / Malte Thießen (Hg.) 2 Bremen. Zwar wurde die Tafel mit der Ehrung Bennetts am Rathaus angebracht, 2 3 aber alle Versuche, Hitler oder Göring nach Bremen einzuladen, scheiterten. 3 4 Diese Konflikte und andere verweisen darauf, wie sehr die Ehrregime im Kontext 4 5 gesellschaftlicher Konstellationen zu sehen sind. Zum einen sind sie als Teil der 5 6 Aushandlungen um die Implementierung und Stabilisierung der nationalso- 6 7 zialistischen Herrschaft in Bremen zu lesen. Ebenso wie die eingangs erwähnte 7 8 Einfügung der Tafel der Atlantikflieger in das Glockenspiel 1934 und die An- 8 Ehrregime 9 bringung der Tafel zu Ehren der Condor 1938 verweisen sie auf die Ambiguität 9 10 des Nationalsozialismus zwischen Moderne und völkischer Ideologie. In Bre- 10 11 men verkörperte Ludwig Roselius in seiner Person beide Versatzstücke der 11 Akteure, Praktiken und Medien lokaler Ehrungen 12 nationalsozialistischen Idee – er hatte Ende der zwanziger Jahre lange Zeit in den 12 in der Moderne 13 USA verbracht, was ihn jedoch nicht hinderte, den völkischen Ideen um »Ger- 13 14 mania« anzuhängen. Hier ging es also nicht zuletzt um einen Interessenkonflikt 14 15 zwischen Bremer Kaufmannschaft, die vor allem an der Durchsetzung ihrer 15 16 Handelsinteressen auch im Nationalsozialismus interessiert war, und dem ras- 16 17 sistischen Primat der NS-Politik.57 Die folgenden Jahrestage des Fluges wurden 17 Mit 24 Abbildungen 18 in Bremen zwar bis 1998 begangen, gerieten aber immer mehr zur Darstellung 18 19 der Bedeutung der Luftfahrtindustrie für die Hansestadt. 19 20 Heute sind die Erinnerungen an den Atlantikflug zwar noch Teil der Me- 20 21 morialkultur der Stadt Bremen. Doch nur wenige Bremer wissen, wer die drei 21 22 Flieger auf der Tafel in der Böttcherstraße sind. Auch die Tafel am Rathaus, 22 23 mittlerweile geschwärzt von der Luftverschmutzung, wird von den Passanten 23 24 wohl kaum wahrgenommen. 1998 holte eine Gruppe flugbegeisterter Männer 24 25 die »Bremen«, das Flugzeug, das bislang im Henry-Ford-Museum in Detroit 25 26 stand, zurück nach Bremen, wo es in einer Ausstellung im Flughafen Bremen 26 27 besichtigt werden kann. In unmittelbarer Nähe der Ausstellung befindet sich 27 28 auch die Hünefeldstraße, die heutzutage indes fast ausschließlich von Autos 28 29 befahren wird. 29 30 30 31 31 32 32 33 33 34 34 35 35 36 36 37 37 38 38 39 39 & 40 40 V R unipress 57 Zur Haltung der bremischen Kaufmannschaft vgl. Inge Marßolek/Ren Ott, Bremen im 41 3. Reich. Anpassung – Widerstand – Verfolgung, Bremen 1986, S. 131–144. 41 1 Formen der Erinnerung 1 Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft 2 2 und Kultur. 3 3 4 4 5 5 6 Band 63 6 7 7 8 8 9 9 10 10 11 Herausgegeben von 11 12 ü 12 13 J rgen Reulecke und Birgit Neumann 13 14 14 15 15 16 16 17 17 18 18 19 19 20 20 21 21

® 22 22 MIX Papier aus verantwor- 23 23 tungsvollen Quellen

® 24 24 www.fsc.org FSC C083411 25 25 26 26 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek 27 27 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen 28 28 Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über 29 29 http://dnb.d-nb.de abrufbar. 30 30 ISSN 2198-6169 31 31 ISBN 978-3-8471-0578-7 32 32 ä 33 33 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erh ltlich unter: www.v-r.de

34 34 2016, V&R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen / www.v-r.de 35 35 Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. ä 36 36 Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen F llen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. 37 37 Printed in . 38 38 Titelbild: Umbenennung des Berliner Kaiserdamms zu Ehren des verstorbenen Bundeskanzlers 39 39 Konrad Adenauer im April 1967. bpk / Klaus Lehnartz Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Zum Alten Berg 24, D-96158 Birkach 40 40 41 41 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. 6 Inhalt

1 Inhalt 1 Lena Elisa Freitag 2 2 Im Spannungsfeld zwischen akademischen Ehrvorstellungen und 3 3 Wissenschaftspolitik. Ehrungen an der UniversitätGöttingen im 4 4 Nationalsozialismus ...... 137 5 5 6 6 Daniel Schmidt 7 7 Industrielle Herrlichkeit. Bürgerliches Ehrregime in Gelsenkirchen 8 8 1875–1928 ...... 157 9 9 10 10 Marcus Weidner 11 11 Neue Namen für die »Neue Zeit«. Straßenbenennungen in Westfalen und 12 I. Einführung 12 Lippe im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit ...... 175 13 13 14 Dietmar von Reeken / Malte Thießen 14 Hansjörg Buss 15 Ehrregime. Perspektiven, Potenziale und Befunde eines 15 Lorbeer, Eichenlaub und Dornenkranz. »Kriegerehrungen« der Lübecker 16 Forschungskonzepts ...... 11 16 Landeskirche in der Weimarer Republik ...... 201 17 17 18 II. Heldenfiguren 18 Nina Fehrlen-Weiss 19 19 »O Tilly, leicht hast Du es nicht, zu der Ehre zu kommen, die Dir schon 20 Yvonne Robel 20 lange gebührt!«. Der steinige Weg zum Denkmal für einen katholischen 21 Ernst Thälmann zur Ehre. Öffentliche Deutungskämpfe in Hamburg . . . 33 21 Kriegshelden in Altötting...... 221 22 22 23 Peter M. Quadflieg 23 IV. Internationale Perspektiven 24 General Gerhard Graf von Schwerin als der »Retter von Aachen«. 24 25 Konstruktion einer Heldenfigur nach dem Zweiten Weltkrieg ...... 51 25 Susanne Lang 26 26 Wenn die Ehre endet. Das Nelson-Denkmal in Dublin und seine 27 Inge Marszolek 27 Wahrnehmung ...... 241 28 Der erste Nordatlantikflug von Europa nach Amerika. Transatlantische 28 29 Aushandlungen über Helden, Ehre, Nation und Modernität ...... 69 29 Stephan Scholz 30 30 »What’s the good of that?« Deutsche Friedhöfe als städtische 31 Ulf Morgenstern / Christian Wachter 31 Ehrungsräume für Kriegstote nach 1870/71 ...... 263 32 Wie der Bismarck-Mythos in die Landschaft kam. Bismarck-Ehrungen 32 33 im öffentlichen Raum: Entstehung, Kartierung und 33 Markus Wurzer 34 Interpretationsansätze...... 89 34 Wem gehört Sepp Innerkofler? Zur Tradierung, Transnationalisierung 35 35 und Differenzierung von Ehrregimen im Spiegel materieller Ehrungen . . 285 36 III. Milieus 36 37 37 V. Bilanz 38 Kerstin Thieler 38 39 Der lange Weg zur Briefmarke. Vergangenheitspolitische 39 Winfried Speitkamp 40 Ehrzuschreibungen an die emigrierten Physiker Max Born und James 40 Verlorene Ehre. Ehrungen im politischen Streit um Vergangenheit und 41 Franck ...... 115 41 Gegenwart ...... 311 Inhalt 7

1 Ehre, wem Ehre gebührt: Danksagung ...... 343 2 3 Autorinnen und Autoren des Bandes ...... 345 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41