W. Skrentny: Julius Hirsch. Nationalspieler 2012-3-115

Skrentny, Werner: Julius Hirsch. Nationalspieler. und seiner Brüder Frontkämpfereinsatz sowie Ermordet. Biografie eines jüdischen Fußballers. an zahllose andere „national denkende und Göttingen: Verlag Die Werkstatt 2012. ISBN: auch durch die ‚Tat bewiesene und durch das 978-3-89533-858-8; 352 S. Herzblut vergossene‘ (sic) deutsche Juden“ (S. 163). Trotz des um sich greifenden Anti- Rezensiert von: Markwart Herzog, Schwa- semitismus und des Ausschlusses jüdischer benakademie Irsee Turner und Sportler aus den Vereinen wollte der KFV, was in der Forschung oft übersehen Über Julius Hirsch erschienen bereits zwei wurde, die Austrittserklärung nicht akzeptie- Biografien, in denen die meisten wichti- ren und bedauerte sie. Für den vaterländisch gen Daten aus dem Leben des jüdischen gesonnenen Juden Hirsch war es folgerichtig, Fußballspielers dokumentiert sind.1 Hirschs sich nach dem Austritt keinem Verein der zio- Karriere ist untrennbar mit dem Karlsruher nistischen Sportorganisation Makkabi anzu- Fußballverein (KFV) der Kaiserzeit verbun- schließen, sondern 1934 dem jüdischen Turn- den. Auch zur „Fußballhochburg Karlsru- club 03 (TCK), der im Sportbund he“ konnte Werner Skrentny auf frühere For- Schild des ultranationalen Reichsbundes jüdi- schungen zurückgreifen.2 Dennoch gelingt es scher Frontsoldaten organisiert war, als Spie- seiner Biografie, neue Details über Karriere ler und Trainer beizutreten. Mit dem TCK ge- und Schicksal Hirschs zu recherchieren und wann Hirsch 1936 die Badische Meisterschaft mit einer ebenso ausführlichen wie spannen- des Sportbundes Schild. den Analyse der Rezeption des Spieleridols Julius Hirsch war im Tuchhandel, in der der Kaiserzeit in den Medien der Jahre vor Herstellung und dem Vertrieb von Flaggen, und nach 1945 abzurunden. Bekleidung und Ausrüstung für Militär, Be- Der 1892 geborene Julius Hirsch ist neben hörden und Sport tätig. Nach dem Kon- der einzige bekannte jüdische kurs des Familienunternehmens „Deutsche Fußballnationalspieler Deutschlands, was sei- Signalflaggenfabrik“ (seit 1929 „Sigfa-Sport ne Sonderstellung in der Sportgeschichte be- GmbH“) war sein Leben von wachsenden gründet. Hirsch spielte von 1902 bis 1913 wirtschaftlichen Schwierigkeiten und zuneh- und von 1919 bis 1924 beim KFV. Unterbro- mender Verzweiflung geprägt. Um seine nicht chen wurde diese Zeit durch die Kriegsjah- jüdische Frau und seine beiden Kinder zu re und ein Engagement bei der Spielverei- schützen, ließ er sich scheiden. Nach einem nigung Fürth 1913/14 und 1919. Mit beiden Suizidversuch wurde er vorübergehend ein Vereinen errang Hirsch die Deutsche Fußball- Fall für die Psychiatrie und 1943 in Auschwitz meisterschaft (1910 und 1914). Von 1911 bis ermordet. 1913 hatte er in der Nationalmannschaft ei- Skrentny beschreibt Hirschs Schicksal ein- nen Stammplatz. Er vertrat sieben Mal die fühlsam, aber nie störend emotional. Er schil- Farben des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), dert Hirsch als einen überaus populären Spie- unter anderem bei den Olympischen Spielen ler der Kaiserzeit, der die Titelblätter der in Stockholm 1912. Ebenso wie seine treu zum Fachpresse schmückte, nach dem ein Wett- Kaiserhaus stehenden Brüder Leopold, Max spielball benannt und über den Zigaretten- (Kriegsfreiwilliger) und Rudolf nahm Julius sammelbilder vertrieben wurden, der als Fa- Hirsch am Ersten Weltkrieg teil, aus dem al- brikant in den 1920er-Jahren zu wirtschaftli- le, mit Ausnahme des 1918 gefallenen Leo- chem Erfolg gekommen war und sich in der pold, mit Orden ausgezeichnet zurückkehr- gehobenen Mittelschicht etabliert hatte. Inso- ten. Die Hirsch-Brüder empfanden, ebenso wie zahllose andere deutsch-national einge- 1 Vgl. Swantje Schollmeyer, Julius „Juller“ Hirsch. 1892 stellte Juden, ihre fortschreitende Entrechtung – 1943 Auschwitz. Deutscher Fußballnational- spieler, Berlin 2007; Gereon Tönnihsen, Julius Hirsch. in der NS-Zeit als eine ebenso tiefe wie voll- Ein deutscher Fußballnationalspieler jüdischer Her- kommen unverständliche Demütigung. Als kunft aus Karlsruhe, Karlsruhe 2008. Julius Hirsch seinem Fußballverein am 10. 2 Vgl. Ernst Otto Bräunche, Fußballhochburg Karlsruhe, April 1933 den Austritt erklärte, um ihm nicht in: Ernst Otto Bräunche / Volker Steck (Hrsg.), Sport in zur Last zu fallen, erinnerte er an seinen Karlsruhe von den Anfängen bis heute, Karlsruhe 2006, S. 168–218.

© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved. fern stieß die NS-Rassenpolitik den ehemali- sich der nach Kanada emigrierte jüdische gen Sportstar in einen erniedrigenden wirt- Nationalspieler Fuchs 1955 bei Bauwens schaftlichen und sozialen Abstieg, der durch bedankte. „damnatio memoriae“, die Tilgung seines Na- Zu einem einzigen Thema indes unterbie- mens aus den Annalen des Sports, vollendet tet Skrentny ohne Not das Niveau seiner an- werden sollte. sonsten ausgewogenen Argumentation. Oh- Akribisch recherchiert Skrentny die Ver- ne irgendeinen stichhaltigen Beleg liefern zu suche der nationalsozialistischen Publizistik, können, schilt er Kollegen der Sportgeschich- Hirsch und andere jüdische Sportler aus te, den Antisemitismus des DFB als „fast legi- der Erinnerung zu löschen, ein Vorsatz, der time“ (S. 325) Haltung in dem Sinn zu recht- aber sehr inkonsequent durchgeführt wur- fertigen, als seien „die Juden selber schuld“ de. Ebenso spannend ist die Darstellung der (S. 324) an der Shoa gewesen. Auch ande- Rückkehr Hirschs ins Gedächtnis des DFB re Mängel hätten leicht vermieden werden und der Vereine, für die Hirsch gespielt hat- können. Denn leider verzettelt sich Skrent- te, in den Jahrzehnten nach 1945. Bereits ny immer wieder in Nebenthemen, die wenig die populäre, aber ohne jeden fachwissen- mit Hirschs Biografie zu tun haben, oder in schaftlichen Anspruch verfasste Darstellung störende Exkurse, beispielsweise über techni- der deutschen Fußballgeschichte durch den sche Probleme mit seinem Rechner oder sei- DFB-Publizisten Carl Koppehel berücksich- ne emotionalen Befindlichkeiten als Fußball- tigte Hirsch und andere jüdische Kicker, oh- fan. Hier hätten Textstreichungen dem Werk ne dabei auf ihr Schicksal in der NS-Zeit gut getan. Noch ärgerlicher ist das Fehlen von einzugehen.3 Dagegen diffamierte die DDR- Quellennachweisen, die es dem Leser ermög- Sporthistoriografie der 1970er-Jahre beispiels- licht hätten, den Erkenntnisweg der Darstel- weise den jüdischen Fußballpionier Walther lung mitzuvollziehen. Wer über die genann- Bensemann als Propagandisten des bürgerli- ten Mängel hinwegzusehen vermag, wird chen „unpolitischen Sports“ und der „kapi- Skrentnys Hirsch-Biographie mit großem Ge- talistischen Klassengesellschaft“ (S. 297). Da winn lesen. fundierte Studien zur Fußballgeschichte der NS-Zeit fehlten, konnte Skrentny zufolge die HistLit 2012-3-115 / Markwart Herzog über „Fußballgeschichte aus DDR-Sicht“ (S. 297) Skrentny, Werner: Julius Hirsch. Nationalspieler. Ende der 1970er-Jahre auch auf bundesdeut- Ermordet. Biografie eines jüdischen Fußballers. sche Darstellungen übergreifen. Einen Tief- Göttingen 2012, in: H-Soz-Kult 30.08.2012. punkt bietet in dieser Hinsicht zweifelsohne Arthur Heinrichs Buch über den DFB aus dem Jahr 2000.4 Bereits damals waren erste fun- dierte Erkenntnisse über die maßgebliche Be- teiligung jüdischer Bürger an der Gründung und Entwicklung des DFB bekannt, dennoch habe Heinrich dieses wichtige Kapitel unter- schlagen, obwohl sein Werk doch eine dezi- diert „politische Geschichte“ (S. 302) des Ver- 3 Vgl. Carl Koppehel (Bearb.), Geschichte des Deutschen bandes bieten wollte. Fußballsports, Frankfurt am Main o.J. [1954], S. 82, Über Hirschs Biographie hinaus lie- 88–90, 135, 239, 308, 312 u.ö. 4 fert Skrentny neue Detailerkenntnisse Vgl. Arthur Heinrich, Der Deutsche Fußballbund. Eine politische Geschichte, Köln 2000; vgl. dazu auch Tön- für eine Neubewertung der sportpoli- nihsen, Julius Hirsch, S. 20f. tischen Rolle, die der ehemalige Natio- 5 Vgl. Franz-Josef Brüggemeier, Zurück auf dem Platz: nalspieler, FIFA-Schiedsrichter und DFB- Deutschland und die Fußball-Weltmeisterschaft 1954, Nachkriegsvorsitzende Peter Joseph „Peco“ München 2004, S. 246–253; Nils Havemann, Biographi- Bauwens gespielt hat.5 Demzufolge sei sche Studien zur deutschen Fußballgeschichte als Feld Hirsch bei „seiner Bewerbung um eine Trai- wissenschaftlich überholter Kontroversen, in: Michael Krüger (Hrsg.), Erinnerungskultur im Sport. Vom kri- nerstelle in der Schweiz“ (S. 170) noch 1938 tischen Umgang mit Carl Diem, Sepp Herberger und von Bauwens unterstützt worden, wofür anderen Größen des deutschen Sports, Münster 2012, S. 75–99, hier S. 86–89.

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