125. Bergedorfer Gesprächskreis Europa neu begründen – Kulturelle Dimensionen im Integrations- und Erweiterungsprozess

24.–26. Januar 2003 in der Elb Lounge, Hamburg

INHALT

Fotodokumentation 1 Teilnehmer 18 Zusammenfassung 19

Protokoll

Begrüßung 21

I. Geschichte und Wirklichkeit europäischer Kultur 23 II. Aufgaben der Kulturpolitik im Rahmen der Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union 63 III. Europas kulturelle Rolle in der Welt 96

Annex

Teilnehmer 135 »Völkertafel« 142 Literaturhinweise 144 Glossar 145 Register 161 Bisherige Gesprächskreise 166 Die Körber-Stiftung 187 Danksagungen, Projektinformation, Impressum 188 INITIATOR

Dr. Kurt A. Körber

DISKUSSIONSLEITER

Otto von der Gablentz Botschafter a.D., Geschäftsführender Vorsitzender, Europa Nostra, Den Haag

REFERENTEN Danuta Glondys, Prof. Dr. Hélène Ahrweiler, Direktorin, Villa Decius, Krakau Rektorin, Europa Universität, Paris Dr. Ursula Keller, Prof. Dr. Üstün Ergüder, Programmleiterin, Literaturhaus Hamburg Direktor, Istanbul Policy Center, Istanbul Dr. Bernhard Maaz, Monika Griefahn MdB, Kustos der Alten Nationalgalerie, Vorsitzende des Kulturausschusses, Doris Pack MdEP, Deutscher Bundestag, Berlin Europäisches Parlament, Straßburg/Brüssel Prof. Yudhishthir Raj Isar, Prof. Dr. Ugo Perone, Forscher und Berater, Paris Direktor der Kulturabteilung, Hywel Ceri Jones, Italienische Botschaft, Berlin Vorsitzender, European Policy Centre, Brüssel Jan Roß, Prof. Dr. Karl Schlögel, DIE ZEIT, Berlin Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder Arne Ruth, Dr. Gary Smith, Journalist, Sundbyberg Direktor, American Academy, Berlin Prof. Dr. Johano Strasser, Gijs de Vries, Schriftsteller und Präsident, Niederländischer Vertreter im Europäischen Konvent, PEN Deutschland, Berg Den Haag Dr. Levin von Trott zu Solz, Bergedorfer Gesprächskreis, Berlin Hortensia Völckers, TEILNEHMER Künstlerische Direktorin, Kulturstiftung des Bundes, Halle/Saale Jean-Baptiste Cuzin, Gottfried Wagner, Ministerium für Kultur und Kommunikation, Paris Generalsekretär, European Cultural Foundation, Catherine David, Direktorin, Witte de With, Dr. Klaus Wehmeier, center for contemporary art, Rotterdam Körber-Stiftung, Hamburg Ekaterina Degot, Dr. Richard von Weizsäcker, Ausstellungskuratorin, Moskau Bundespräsident a.D., Berlin Raina A. Mercedes Echerer MdEP, Christian Wriedt, Europäisches Parlament, Straßburg/Brüssel Körber-Stiftung, Hamburg Prof. Manfred Eichel, Chefkorrespondent Kultur, ZDF, Berlin Prof. Dr. Michael Gehler, Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck

18 ZUSAMMENFASSUNG

Der hier dokumentierte 125. Bergedorfer Gesprächskreis »Europa neu begrün- den – Kulturelle Dimensionen im Integrations- und Erweiterungsprozess« fand vom 24. bis 26. Januar 2003 in Hamburg statt. Ein Kreis von Politikern, Kultur- schaffenden und -vermittlern, Wissenschaftlern und Publizisten vieler Länder und aller Teile Europas erörterte in anderthalb Tagen ein breites Spektrum von Fragen zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft europäischer Kultur und deren politischer Bedeutung. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat Europa die Tei- lung der Vergangenheit überwunden, und es wird, dies war die Arbeitshypothese dieses Gesprächskreises, neu begründet und, ja: gegründet. Zum selben Zeitpunkt fanden die Erörterungen des Verfassungskonvents zu kulturpolitischen Fragen vom Gottesbezug in der Präambel bis zur Kulturförderungspolitik statt, wie auch die Höhepunkte der transatlantischen und innereuropäischen Irak-Kontroverse. Wenige Tage vor der Tagung führte US-Staatssekretär Rumsfeld mit großer öffent- licher Resonanz die Unterscheidung zwischen einem »alten« und einem »neuen« Europa in die Debatte ein und gab ihr damit zusätzliche Dynamik. Der erste Teil des Gesprächskreises diente einer ausführlichen Vergewisse- rung über die Grundlagen der europäischen Kultur – und damit über Europas Selbstverständnis. Je nach persönlichem Standpunkt gehörten dazu historische und philosophische Herleitungen ebenso wie künstlerische und politische Aspek- te. Nicht erst die Frage, was »europäische Kultur« sei, wurde kontrovers erörtert, sondern strittig war bereits, ob es überhaupt eine solche gebe – in Zeiten kultu- reller Globalisierung. Ist Kultur ein umfassender Begriff zur Beschreibung aller Lebensanschauungen und -ordnungen, also auch der Wirtschaft und Politik, oder ist es das Feld der Künste? Wie verhalten sich die Künste zur Gesellschaft – und umgekehrt? Welche fortwirkende Bedeutung haben die Traditionen, die sich mit den Ortsnamen Jerusalem, Athen und Rom verbinden? Ist Europa ein geschlosse- ner Raum oder eine Idee? Eine unerhörte Vielfalt von Fragestellungen, Sachver- halten und Anschauungen kam ans Licht. Fußend auf diesen sehr grundsätzlichen Auslotungen widmete sich der zweite Tagungsabschnitt den Aufgaben der Kulturpolitik im Rahmen der Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union. Weit gehende Einigkeit bestand dahin gehend, dass die Erweiterung der EU eine große Chance sei, nach Jahrzehnten starker Konzentration auf politische und ökonomische Integration die kulturelle Dimension Europas voranzubringen. Die kulturelle Europäisierung Europas nach dem Zeitalter des ideologischen Ost-West-Konflikts könne sich als das zentrale Projekt der nächsten Jahrzehnte erweisen – zur Überwindung mancher inner-

19 gesellschaftlicher Krisensymptome der Gegenwart. Indessen wurde deutlich, dass hier im saturierten Westeuropa andere Prioritäten gesehen werden als im (süd-) östlicheren Teil, wo nach jahrzehntelanger Ideologisierung zunächst national- staatliche Kulturprioritäten betont werden. Erörtert wurde das ganze breite Spek- trum kulturpolitischer Herausforderungen und Optionen auf »europäischer« Ebene (Art. 151 EU-Vertrag, Programme wie Erasmus u.Ä.) sowie im zwischenge- sellschaftlichen, grenzüberschreitenden Zusammenhang. Einigkeit bestand darü- ber, dass der Kultur im umfassenden Sinn des Wortes eine zentrale Rolle im Pro- zess der Vereinigung Gesamteuropas zukomme. Der abschließende Teil des 125. Bergedorfer Gesprächskreises war der Bezie- hung Europas zur übrigen Welt gewidmet. Angeregt durch einige Außenansich- ten wurden die Ambivalenzen einer abgrenzenden Definition europäischer Iden- tität erörtert. Gerade die Erfahrungen von Vielfalt und Diversität ermöglichten es, so wurde übereinstimmend festgestellt, anderen Regionen der Welt Bereicherung und Stabilität zu vermitteln. Umgekehrt sei eine weitere Vertiefung europäischer Integration gerade im kulturellen Bereich nicht zuletzt deswegen unerlässlich, weil nur so eine verantwortliche Rolle in der sich entwickelnden neuen Weltord- nung ausgeübt werden könne. Der mögliche Beitritt der Türkei zur Europäischen Union wurde unter kulturellen Aspekten intensiv erörtert und als beispielhaft für die Frage angesehen, wie sich das Selbstverständnis Europas weiterentwickeln werde. Als besonders fruchtbarer Aspekt dieses Gesprächskreises wurde der Ver- such gewürdigt, durch die Strukturierung der Themenstellung und die Auswahl des Teilnehmerkreises die traditionell eher getrennt verlaufenden Diskurse der Kulturschaffenden und der Politik zusammenzuführen und dadurch in eine pro- duktive Spannung zu bringen.

20 PROTOKOLL

Begrüßung

Das Thema »Europa neu begründen – Kulturelle Dimensionen im von Weizsäcker Integrations- und Erweiterungsprozess« halte ich nicht nur für überaus reizvoll, sondern auch von weiter wachsender politischer und historischer Bedeutung. Die europäische Kultur ist überreich, aber man gewinnt gelegentlich den Eindruck, dass es noch größe- rer Anstrengungen bedarf, um den Menschen, die in Europa leben, eine Vorstellung der europäischen Kultur als prägendes Gefühl der Identität zu geben: nämlich der kulturellen Einheit in ihrer großen Vielheit, so wie es über die Jahrhunderte war. Mit diesem Thema wollen wir uns auseinander setzen und ich freue mich, dass Herr von der Gablentz sich bereit erklärt hat, uns durch dieses Gespräch zu führen.

Anmerkung: Dieses Protokoll enthält eine von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern autorisierte, überarbeitete Version ihrer mündlichen Beiträge.

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I. Europäische Kultur: Geschichte, Wirklichkeit und Relevanz

Ich möchte einleitend kurz begründen, warum wir das Thema »Europa neu von der Gablentz begründen« gewählt haben. Unter diesem gemeinsamen, etwas herausfordernden Titel wollen wir drei Themenbereiche diskutieren. Zum einen ist das die Ge- schichte und die Wirklichkeit europäischer Kultur. Zweitens die Rolle der Kultur beim Neuaufbau Europas, den wir jetzt für das 21. Jahrhundert gestartet haben, und die Aufgaben der Kulturpolitik in diesem Zusammenhang. Und drittens: Wo steht die europäische Kultur – und das Bewusstsein, zu ihr zu gehören – in einer sich rasend schnell verändernden Welt? Ist Kultur ein Teil der Selbstbehauptung Europas in der modernen Welt? Erlauben Sie mir noch einige Bemerkungen zum Titel »Europa neu begrün- Europa neu gründen und den«. Das deutsche Wort »begründen« hat eine doppelte Bedeutung. Es bedeutet neu begründen gleichzeitig, eine Sache »neu zu gründen« und Gründe zu geben für eine Ent- wicklung. Beides sehe ich zurzeit in Europa. In den letzten Jahren haben wir alle – glücklicherweise auch auf politischer Ebene – das Gefühl entwickelt, dass wir dabei sind, ein neues, anderes Europa zu schaffen mit dem großen Erweiterungsprozess, der von der aktuellen Erweite- rungsrunde bis zu einer Erweiterung reicht, die in sagen wir 10 Jahren zu einigen 30 Mitgliedsstaaten führen wird, vom Balkan bis in die Türkei. Dieses Europa wird anders sein, da wir in einer anderen, sich schnell wandelnden Gesellschaft leben, die neue Anforderungen an Europa stellt. Es muss sich in einer anderen Welt zurechtfinden als in der, mit der sich die Gründungsväter vor einem halben Jahr- hundert auseinander zu setzen hatten. Weiterhin muss, wie zu Beginn des Integrationsprozesses, die Frage nach den Gründen für diese Entwicklung erneut beantwortet werden. Neu ist, dass es ge- genwärtig darüber eine europäische Diskussion gibt und dass Europa sich nicht mehr in der bisherigen Form weiterentwickeln kann, nämlich als Reaktion auf Sachzwänge und Herausforderungen, die von außen kamen. Ein Erfolg des Kon- vents, der sich schon jetzt verbuchen lässt, ist, dass eine Debatte entstanden ist, der sich auch die Regierungen nicht entziehen können. Es ist ein gutes Zeichen, dass die Außenminister, die später die Intergouvernementale Konferenz bestim- men werden, es heute für richtig halten, im Konvent aufzutreten. In diesem Sinne wird Europa zweifach neu begründet. Das große Problem bei allen diesen aufregenden und faszinierenden Ent- Europa an das Denken wicklungen ist, dass die Diskussion sich auf eine Weise vollzieht, die den Durch- der Bürger anbinden schnittsbürger und die alltägliche demokratische Debatte nicht berührt. So haben wir zum Beispiel in den Niederlanden, wo ich zurzeit wohne, vor kurzem eine

23 von der Gablentz komprimierte Wahlkampagne von nur drei Wochen gehabt, in der das Wort »Europa« trotz der spannenden Entwicklungen nicht fiel. Und das in einem Land, das zu den Pionieren der europäischen Integration gehört. Ausgangspunkt unse- res Gesprächskreises über »Europa neu begründen« könnte die Herausforderung sein, die europäische Ebene wieder anzukoppeln an das, was die Menschen und vielleicht besonders die Intellektuellen denken. Dies wäre ein Schritt hin zu einer Demokratisierung Europas. Frau Keller hat gestern Abend in ihrem Vortrag ge- sagt, dass sich die europäischen Schriftsteller nicht mehr mit Europa auseinander setzen. Von daher frage ich, wie wir das Denken der Menschen wieder an die euro- päische Idee ankoppeln können. Ich denke, das ist die Grundfrage, der wir uns stellen sollten. Unser erstes Thema, die Geschichte und Wirklichkeit europäischer Kultur, wird durch kurze Beiträge von Frau Ahrweiler und Herrn Schlögel eröffnet. Damit kommen Ideen aus dem westlichen und südlichen sowie aus dem östlichen Bereich Europas, auf den sich Herr Schlögel spezialisiert hat, zum Ausdruck.

Ahrweiler Ich möchte mit einer Beobachtung beginnen, die mir offensichtlich erscheint. In Europa steht Kultur nur dann auf der Tagesordnung, wenn es bei anderen Fragen zu Schwierigkeiten kommt. Obwohl die Verträge von Maastricht und Amsterdam gute Kulturparagraphen enthalten, haben wir in diesem wichtigen Bereich in der Praxis nicht viel unternommen. Lassen Sie mich versuchen zu erklären, warum. Zunächst zur Beziehung von Kultur und Geschichte. Besteht Kultur nur aus vergangenen Leistungen, oder trägt sie auch zur dynamischen Entwicklung unse- rer Zukunft bei? Als Historiker befassen wir uns mit der longue durée und unter- scheiden zwischen Ereignissen und dauerhaften Phänomenen. Wir sagen oft: »Die Vergangenheit ist niemals ganz vergangen.« Für uns schafft einerseits die Ge- schichte den Menschen, andererseits der Mensch die Geschichte. Definieren wir Kultur als die Umstände, die uns zu dem machen, was wir sind, dann ist Geschichte sicher der beste Spiegel der Kultur. Nur für die Elite gibt es Gibt es eine europäische Kultur? Die Vorstellung, dass Europa eine geistige eine »europäische Kultur« und moralische Einheit bildet, stammt aus der Renaissance. Als Francis Bacon »wir Europäer« schrieb, konnte er davon ausgehen, dass seine Leser wussten, was er meinte und was sie trotz ihrer nationalen Unterschiede gemeinsam hatten. Aus nur einem Jahrhundert später stammt jedoch diese populäre »Völkertafel«1, die

1 Siehe Seite 142–143

von der Gablentz | Ahrweiler 24 Wenn Kultur sich dem Neuen verschließt, kann sie die weitere Integration von Menschen verhindern.

Ahrweiler

Unterschiede zwischen den europäischen Völkern hervorhebt und damit die Vision eines gemeinsamen europäischen Bewusstseins ersetzt. Diese relativ di- rekte Gegenüberstellung der Eigenschaften von Franzosen, Deutschen und inte- ressanterweise »Griechen oder Türken« spiegelt das damalige Volksverständnis von europäischer Kultur. Sogar im 18. Jahrhundert gab es also zwei grundsätzlich verschiedene Ansichten über Europa. Bacons Leser gehörten zur geistigen Elite, deren Bemühungen um die Entwicklung eines europäischen Kulturmodells sich in allen künstlerischen Leistungen Europas entdecken lassen. Sie teilte auch eine Leidenschaft für römische, griechische und türkische Kultur. Diese gemeinsame Denkweise der Elite führte zur Idee Europas. Dem steht die selbstbezogenere Sichtweise der einfacheren Menschen gegenüber, der es fremd war, Kultur oder Geschichten auch nur mit den besten Nachbarn zu teilen. Ich glaube, dass beide Denkweisen bis heute fortbestehen. Das heißt, dass die Teilhabe der meisten Menschen an ihrer nationalen oder lokalen Kultur nicht unbedingt zur Akzeptanz anderer Kulturen führt, die ihrerseits auf ihre Leistun- gen stolz sind. Auf Kultur basierte die Identität europäischer Eliten, doch wenn Kultur sich dem Neuen verschließt, kann sie die weitere Integration von Men- schen verhindern, die gemeinsame – meist wirtschaftliche und politische – Inte- ressen, aber unterschiedliche nationale und lokale Kulturen haben. Kann Kultur also heute durch ihre Mystifizierung der Politik gefährlich wer- Eine Überbetonung der Kultur den? Das Festhalten der europäischen Nationen an ihrer jeweiligen Sprache kann Integration gefährden erschwert die Integration und stellt für mich einen gewissen kulturellen Isola- tionismus dar. Die geistige Elite, welche die europäische Idee entwickelte, sprach Latein und verzichtete somit auf ihre nationale Sprache. Doch damit möchte ich nicht für Englisch als gemeinsame Sprache plädieren, dann sollten wir noch lie- ber die europäische Integration über die Wirtschaft statt über die Kultur ein- fädeln, so wie Jean Monnet es getan hat. Ich sehe daher in der Kultur kein wirk- sames Integrationsinstrument. In diesem Zusammenhang möchte ich zwischen Kultur und Zivilisation unter- scheiden, so wie wir zum Beispiel von einer Bauern- oder Arbeiterkultur sprechen, aber nicht von einer Bauern- oder Arbeiterzivilisation. Die Elemente, die alle Kul- turen in Europa gemeinsam haben, bilden die Basis der europäischen Zivilisation. Oft werden diese Gemeinsamkeiten von Menschen artikuliert, die von außen auf Europa blicken. Paul Valéry beschreibt in seiner Studie über das Wort »europäisch« drei solche gemeinsamen Elemente, die symbolisch von Athen, Rom und Jerusa- lem dargestellt werden. Athen steht für die altgriechische Denktradition des

25 Ahrweiler Rationalismus. Roms Erbe ist das der lokalen Verwaltung, und Jerusalem steht für die jüdisch-christliche Spiritualität. Dies waren und sind die Charakteristika des europäischen Geistes, auf dessen Werten die europäische Zivilisation noch heute basiert. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang Voltaire zitieren: »Die Völker Europas besitzen humanitäre Prinzipien, die sich in anderen Teilen der Welt nicht finden lassen. Christliche Europäer sind heute das, was Griechen in der Vergan- genheit waren.« Die europäische Zivilisation beruht Das war die Vergangenheit. Auf dieser Basis werden wir weiter unsere Zukunft auf Demokratie, Dialog, Entwicklung bauen und dabei neue Bestandteile hinzufügen. Für unsere Weiterentwicklung und Menschenrechten müssen wir uns auf unser kritisches Denken verlassen, das stets den europäischen Geist gekennzeichnet hat. So sollte für alle Bürger Europas der Wert der diskursi- ven Demokratie bekräftigt werden, einer notwendigen Bedingung für Frieden, Menschenrechte und Entwicklung. Genauso muss das Prinzip der Nachhaltigkeit berücksichtigt werden, also die Notwendigkeit, die Interessen künftiger Genera- tionen zu schützen. Die vier Säulen europäischer Zivilisation beginnen auf Fran- zösisch mit einem »D«: Démocratie, Dialogue, Développement und Droits de l’Homme. Diese »vier Ds« werden die Grundlagen für die Sozialstruktur unseres neuen Europa bilden, aus der eine neue gemeinsame Kultur entstehen wird. Vielleicht kann man dann von einer europäischen Kultur sprechen, ohne die Völker Euro- pas zu alarmieren, die ihre eigene kulturelle Identität bewahren möchten. Um aus einer Sozialstruktur diese neue gemeinsame Kultur zu schaffen, müssen wir uns der Bildung bedienen. Wir brauchen eine Bildung, die besonders im Hinblick auf Geschichte, Kunst und Sprache weniger national und mehr europäisch ausge- richtet ist. Aus dieser Definition europäischer Zivilisation folgt, dass alle Völker des Kon- tinents, welche die »vier Ds« achten und bereit sind, die Früchte ihrer Entwicklung zu teilen und den Frieden zu erhalten, ihren Platz in der Europäischen Union fin- den müssen. Die EU ist historisch insofern einzigartig, als hier erstmals Länder ohne militärische Gewalt eine wirtschaftliche und fast politische Einheit bilden. Ich möchte unterstreichen, dass die Europäische Union kein multinationales Imperium ist. Vielmehr ist sie eine Region in einer globalisierten Welt, aber nicht, wie früher, Mittelpunkt dieser Welt. Dies ist der Fall, obwohl viele der globalen Werte, insbesondere die wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen, im europäischen Denken und seinen Leistungen verwurzelt sind. Ich schließe mit einem Verweis auf Arthur Rimbaud, der bereits Ende des 19. Jahrhunderts sagte, wir sollten zur Integration Europas vielleicht nicht bei der

Ahrweiler 26 Geografie ist ausschlaggebend, wenn auch nicht hinreichend für die Definition Europas.

Schlögel

Kultur beginnen, die im Übermaß eher hinderlich sein könnte. Stattdessen soll- ten wir bei der Bildung anfangen, in der Hoffnung, am Ende zu einer europä- ischen Kultur zu gelangen.

Frau Ahrweiler endet mit einem klaren Auftrag an die Europäische Union: Küm- von der Gablentz mert euch um die Erziehung der Europäer, sonst wird die europäische Kultur nicht ihre wesentliche Rolle für Europa spielen können. Herr Schlögel, wir sind nun gespannt auf Ihre Perspektive zu unserem Thema.

Meines Erachtens wird es uns nicht weiterführen, wenn wir in diesem ergeb- Schlögel nisoffenen Brainstorming eine essentialistische Diskussion führen über die Fra- Europa = Kontinent + Geschichte(n) gen »Was ist Europa?« oder »Was ist die europäische Kultur?«. Diese Fragen werden in der Diskussion immer wieder anklingen, und wir werden sehen, welche Vor- stellungen es darüber gibt. Mein Bild von Europa wird wahrscheinlich Wider- spruch hervorrufen. Für mich ist Europa im Wesentlichen ein geografischer Raum, ein Kontinent plus der Geschichten, die sich auf ihm ereignet haben, und nicht primär ein Katalog von Prinzipien. Deswegen gehört zu meinem Europa die produktive und faszinierende Reichtums-Geschichte Europas, aber auch die Kata- strophen-Geschichte. Europa ist für mich Immanuel Kant und Adolf Hitler, die Kathedrale von Chartres, der Archipel Gulag, die Hagia Sophia und der große Bau- meister Sinan. San Francisco, Wladiwostok und Tokio gehören gewiss zu dem, was man als europäische Wertewelt bezeichnet, auch wenn sie nicht in Europa liegen. Daher ist für mich ganz klar, dass Geografie ausschlaggebend, wenn auch nicht hinreichend für die Definition Europas ist. Lassen Sie mich für die weitere Diskussion sechs Punkte nennen. Erstens: Europa neu entdecken. Europa nach 1989 ist für viele von uns ein Wir sollten das neue Europa entdecken ... fremdes Europa, das sich geöffnet hat, das man bereisen und entdecken kann und das sich vor allem selbst in seiner unglaublichen Schönheit und seinem Reichtum neu entdeckt. Wir befinden uns inmitten der Rekonstruktion des europäischen Kulturraums als Ganzen und treten damit heraus aus den Beschädigungen der Weltkriegsepoche und des Kalten Kriegs. Wir erleben mit eigenen Augen die Euro- päisierung des Horizonts und den Versuch, eine neue Sprache für Erfahrungen zu finden, die bisher gegeneinander gestellt waren. Es fängt ein großes babyloni- sches Sprachengewirr über neue Erzählungen in Europa an, die endlich zusammenkommen können. Deswegen sind in letzter Zeit besonders das Aus- kundschaften und das Entdecken des alt-neuen Europas gefragt, seiner Land-

27 Ahrweiler | von der Gablentz | Schlögel Das Europa der Kriechströme

Schlögel

schaften, seiner Autoren, seiner Kulturen. Dieser Prozess der Neuvermessung Europas ist nicht nur ökonomisch und politisch, sondern auch kulturell. Zweitens möchte ich anknüpfen an das, was Herr von der Gablentz gesagt hat: Ich halte den Terminus der »Neubegründung Europas« für den einzig angemesse- nen. Die bürokratische Terminologie, in der wir meist über das neue Europa spre- chen, nämlich »Ost-Erweiterung« oder »Beitritt«, ist dagegen völlig unangemessen, da sie suggeriert, dass Bürokratien Meister des Verfahrens wären. In Wahrheit handelt es sich um eine tief greifende Umwälzung, in der alles auf den Prüfstand kommt und neu begründet werden muss. Dieser Prozess der Neukonstitution wirft die Frage auf, ob wir dem wirklich gewachsen sein werden und wer die Hauptakteure in ihm sind. Ich halte es für ein Vorurteil, dass dies unbedingt Intel- lektuelle oder Künstler sein müssen. In der konkreten Analyse sind es ganz unter- schiedliche Leute, die sich auf den Weg in diese Umwälzung gemacht haben. Manchmal erfährt man von Unternehmern, die nach Russland oder in die Ukraine reisen, weit mehr als von Intellektuellen oder Schriftstellern, die nie aus ihrer Stube herausgekommen sind. ...das in Kriechströmen Drittens: Kriechströme. Wir sind Zeugen der Entstehung eines neuen Europa, zum Ausdruck kommt das man überall beobachten kann. Dieses neue Europa ist sehr vielschichtig – es gibt beispielsweise das Konferenz-Europa und das Brüssel-Europa. Es gibt das Basar-Europa, also jene Frauen und Männer, die zwischen Riga, Minsk und Istan- bul Handel treiben. Es gibt das Agrar-Europa mit den Subventionen; es gibt das Europa der Schwulen, die sich geradezu pioniermäßig um die Neuvernetzung der Gay-Szene bemühen; es gibt das Zeitungs-Europa, und es gibt das Prominenten- Europa. Dieses neu entstehende Europa – die Amerikaner würden sagen »Europe in the making« – kommt in Kriechströmen zum Ausdruck. Dieser Terminus stammt aus der Physik und der Elektrotechnik und beschreibt jene Ströme, die zwar bereits existieren, aber noch nicht wahrgenommen werden, da sie statis- tisch noch unerheblich sind, die aber irgendwann hervortreten werden. Das Europa der Kriechströme ist eine äußerst aufregende Szene, deren Indikatoren jeder beobachten kann. Zum Beispiel entstehen neue Städte innerhalb der be- stehenden Metropolen: In Berlin erleben wir die Bildung einer neuen Stadt mit 130.000 bis 140.000 Russen und Zehntausenden von Polen. Ähnlich bildet sich in Budapest eine »Chinesen-Stadt« mit 20.000 bis 40.000 Einwohnern. Andere Bei- spiele sind die jungen Russen in Oxford, die sich nicht mehr von anderen Mit- gliedern der scientific community unterscheiden, aber auch die Hunderttausenden von LKW-Fahrern, die Woche für Woche von Rotterdam nach Astrachan oder von

Schlögel 28 Barcelona nach Petersburg fahren, die berühmten Frauen auf den Basaren des öst- lichen Europas, die Autohändler von Mariampule an der litauisch-ostpreußischen Grenze und die sich ungeheuer entwickelnde Tourismusbranche im östlichen Europa. Ich denke aber auch an Menschen wie Wolf Lepenies, dessen Institute for Advanced Studies überall in Europa Schule gemacht hat. Auch meine Studenten gehören dazu, die vom Zivildienst in Nischni Nowgorod oder Gdansk mit hervor- ragenden Sprachkenntnissen zurückkommen und damit bereits bei Eintritt in die Universität Kenntnisse besitzen, die in unserer Generation erst an der Universität erworben wurden. Viertens: Was ist das Maß des neuen Europa? Das neue Europa sollte sich mes- Maßstab ist das Europa vor 1914 sen an dem Europa, das der Zerstörung vorausgegangen ist, also vor 1939 und vor 1914. Daran zu erinnern ist nicht nostalgisch, sondern es bedeutet, sich zu ver- gegenwärtigen, wie großartig, stark und reich unser Kontinent vor dem 20. Jahr- hundert war, das bekanntlich 1914 begann. Schlüsselfigur für dieses kraftvolle Europa ist für mich Sergej Diaghilew, der Organisator und Impressario der Saison Russe von 1909 bis 1929. Durch dieses Projekt können wir Europa als Ganzes mit einer unglaublichen Dichte sehen, die wir bis heute nicht wieder erreicht haben. Das damalige Europa war ein Europa der Netzwerke, der transnationalen Gemein- schaften, das keine Minderwertigkeitskomplexe, aber dennoch Skepsis und Zwei- fel an sich selbst hatte. Es war geprägt von Personen und nicht von Institutionen, denn es war ein Europa der privaten Mäzene und nicht der Apparate. Kern dieses Europas war nicht die öffentliche Konferenz, sondern der Salon, der auf der Basis privaten Reichtums und bürgerlicher Initiativen entstand. Viele postmoderne Dis- kurse erscheinen heute nur deshalb neu und originell, weil sie alles davor ver- gessen haben. Es gab in den zivilisatorischen Zentren der alten Vielvölkerreiche fast alles, was jetzt als gänzlich neu erscheint: multiple Identitäten, multiethni- sche und multikulturelle Gesellschaften, hybride Kulturen und so weiter. Nur jemand, der nichts vom Europa der Donau-Monarchie, des osmanischen und des russischen Reichs oder der metropolitanen Kulturen der Zwischenkriegszeit weiß, kann glauben, es handele sich bei diesen Erscheinungen um etwas gänzlich Neues. Die transatlantische Welt, die nach 1945 entstanden ist, hat ein sehr kur- zes Gedächtnis. Fünftens: der metropolitane Korridor in Europa. Es ist unwiderruflich, dass Verschiedene Regionen werden Europa nach 1914 von einem bedeutenden Kontinent zu einer Provinz unter vie- sich auseinanderentwickeln len Weltprovinzen geworden ist, ganz wie es Dipesh Chakrabarty in seinem Buch »Provincializing Europe« dargestellt hat. Doch im Zuge der Globalisierung wächst

29 Schlögel und gedeiht Europa auf ganz neue Art, wenn auch nicht vollkommen nach Plan und ideal. Neben den erwähnten Kriechströmen äußert sich das in der Erschei- nung des metropolitanen Korridors. Damit meine ich: Nach dem Wegfall der Ost-West-Grenze sieht sich Europa mit neuen Verwerfungen und Grenzen kon- frontiert, die zwischen Zonen hochdynamischer Entwicklung und rabiater Be- schleunigung einerseits und Zonen der Verlangsamung und des Herausfallens aus dem globalen Kontext andererseits entstehen. In dem, was ich als metropolitanen Korridor bezeichne, herrscht heute eine Einheitszeit, der Rhythmus der globalen Städte: CNN, Plastik-Geld, E-Mail, Internet und die zirkulierenden Finanzströme. Während zwischen Paris, Berlin, Warschau und Moskau quasi Zeitgleichheit her- gestellt ist, können Sie sich insbesondere im östlichen Europa außerhalb dieser Zentren in einem früheren Jahrhundert wiederfinden. Nach 1989 hat sich die homogenisierte Ost-Block-Zeit aufgelöst, und wir können Tag für Tag beobachten, wie Europa wiederum zu einem Ort der Ungleichzeitigkeit wird. In diesem atem- beraubenden und konfliktträchtigen Schauspiel entstehen in Europa neue Gleich- zeitigkeiten und neue Ungleichzeitigkeiten. Während Europa politisch einer Eini- gung entgegengeht, wird es zunehmend ein fragmentierter, sich fremder Ort, der neu erschlossen und neu erkundet werden muss. In dem Sinn hat Marc Augé Recht mit seiner Aussage, das 21. Jahrhundert werde das Jahrhundert der Anthro- pologen sein. Sechstens: Wir ahnen etwas vom Ernstfall, auch wenn er noch nicht für alle eingetreten ist. Das goldene Zeitalter der Nachkriegszeit, von dem Eric Hobsbawm gesprochen hat, ist zu Ende. Ich bin überzeugt, dass der Abwicklung Ost auf andere Art nun die Abwicklung West folgen wird, in der alles auf den Prüfstand kommt und in der Zustände, die unhaltbar geworden sind, abgewickelt werden. Wir müssen uns fragen, welche Rolle die Kultur, die Künste und Wissenschaften in diesem dramatischen Prozess der Transformation spielen werden. Ich glaube, dass dieser Prozess zwei Seiten hat. Einerseits eine Verrohung und Barbarisierung durch die Entstehung eines Darwinschen Kampfs ums Überleben. Darin ist gleichzeitig aber die Chance enthalten, sich auf das Unverzichtbare zu besinnen, vielleicht auch die Spreu vom Weizen zu trennen oder eine neue Liebe zum Rea- lismus zu entwickeln. Die transatlantischen Beziehungen Ich möchte mich abschließend auf die aktuelle politische Diskussion bezie- müssen neu konfiguriert werden hen. Die Auseinandersetzungen, die sich um den Ausspruch von US-Verteidi- gungsminister Donald Rumsfeld über das »alte« Europa entsponnen haben, sind nicht zufällig. Seine Äußerung reflektiert eine reale Spannung. Für mich ist es

Schlögel 30 selbstverständlich, dass nach dem Ende der Ost-West-Konfiguration der Westen und die transatlantische Welt nicht in ihrer alten Homogenität, Geschlossenheit und Eindeutigkeit weiterleben können, sondern dass sie neu konfiguriert und aus- tariert werden müssen. Dabei wird Europa natürlich eigenständiger werden, so wie auch Amerika eigenständiger auftritt. Anstatt auf diese Äußerung von Rums- feld mit einer Retourkutsche zu antworten, wie dies in großen europäischen Zeitungen geschehen ist, sollten die europäischen Schriftsteller und Intellektuel- len sich lieber damit auseinander setzen, was sie in Anbetracht der neuen Bedro- hung durch den de-territorialisierten Terror tatsächlich tun werden. Ich hätte es begrüßt, wenn die Intellektuellen, die sich jetzt über Rumsfeld mokieren, nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 darüber diskutiert hätten, wie unsere so verwundbaren Zivilisationen, unsere offenen Gesellschaften und unsere großartigen Städte sich gegen diese neue Form der Bedrohung verteidigen können.

Ich denke, damit haben wir genügend Anregungen für unsere Diskussion auf dem von der Gablentz Tisch.

Lassen Sie mich einige Bemerkungen aus der Sicht eines Zeithistorikers anfügen. Gehler Der Bezug zum Thema Kultur ergibt sich nicht nur dadurch, dass Zeithistoriker nach österreichischem Steuerrecht Schriftsteller sind, sondern auch dadurch, dass Kultur ohne Geschichte nicht zu verstehen ist, speziell im europäischen Kon- text. Gerade das Stichwort der »Kriechströme« lädt dazu ein, darüber nachzuden- ken, was die Zeitgeschichte zur Geschichte und Kultur Europas beigetragen hat. Eine Bestandsaufnahme der westeuropäischen Zeithistoriographie zeigt – und ich denke, Herr Schlögel wird das für Ost- und Mitteleuropa bestätigen können –, dass sich hier allenfalls ein Kriechstrom in Richtung mehr transnationaler europäi- sierter Geschichte erkennen lässt. Zeitgeschichte ist nach wie vor Ausdruck der nationalen Geschichtskulturen und spielt sich im Schatten der nationalstaat- lichen Paradigmen ab, wenngleich man eine tendenzielle Rückzugsbewegung des Nationalen in diesen Zeitgeschichten erkennen kann. Das Dilemma der Zeitge- schichte ist ihre zunehmende Spezialisierung, die einerseits zu einer Diversifika- tion, andererseits aber auch zu einer Beliebigkeit an Themen führt, die es kaum mehr gestatten, zusammenfassende, bündige Thesen zu formulieren. Auffallend ist, dass zumindest die westeuropäischen Zeitgeschichtsschreibungen sich so gut wie nicht wechselseitig wahrnehmen, trotz Telefon, Fax, E-Mail und Internet.

31 Schlögel | von der Gablentz | Gehler Die Zeitgeschichtsschreibung Im Kontext der nationalen Debatten leisten die Zeitgeschichten sehr viel, mehr als bleibt überwiegend national noch vor zehn oder fünfzehn Jahren. Das äußert sich zum Beispiel in ihrem Bei- trag zur Erosion nationaler Identitäten, die man in Österreich, der Schweiz, Ita- lien, Frankreich, Großbritannien und anderen Staaten beobachten kann. Damit hat die Zeitgeschichtsforschung durch nationale Identitätsdestruktion indirekt auch zur Europäisierung beigetragen. Dennoch bleibt sie extrem fixiert auf den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg und hat andere wesentliche Dimensionen der Nachkriegszeit vernachlässigt. Sie hat jedenfalls insgesamt betrachtet einen sehr geringen Europäisierungsgrad. Historiker, die sich mit euro- päischer Integration und internationalen Beziehungen beschäftigen, sind in der Minderheit. In Westeuropa trägt die Zeitgeschichtsschreibung eindeutig inter- gouvernementale, also nationalstaatlich orientierte, additive, d.h. keine suprana- tionalen Züge. Dies ist Ergebnis einer doppelten Nationalisierung der Zeitge- schichtskulturen, die thematisch sowie institutionell und arbeitsorganisatorisch auf den Nationalstaat fokussiert sind. »Europa neu begründen« ist daher auch eine Herausforderung für die Zeitgeschichtsschreibung, der wohl erst von einer neuen Generation von Historikern und Historikerinnen ausreichend begegnet werden kann. Wolfgang Schmale, ein deutscher Kollege, der in Wien lehrt, hat bereits mit einer historischen Europakunde methodologisch interessante Vorschläge ge- macht – auch wenn der vergleichende Ansatz an sich bereits so alt ist wie die Geschichtswissenschaft selbst. Es wäre auch wichtig, den Kulturtransfer stärker in den Mittelpunkt der Forschung zu stellen, um Europa als ein Geben und Neh- men zu begreifen, ohne die Dialektik zwischen historischer Herkunft und gesell- schaftlicher Zukunft außer Acht zu lassen. Lassen Sie mich mit einer weiteren Beobachtung über die Entwicklung der Zeitgeschichte schließen: Zeithistoriker nehmen heute Diskurstheorien stärker wahr und sehen dadurch auch Europa eher als Element eines Diskurses, als Kon- strukt von Imagination und Gegenstand von Wahrnehmungen und Diskussion.

Strasser Ich glaube, dass wir uns in der aktuellen europäischen Debatte an einem Wende- Weitere Integration bedarf punkt befinden. Wir versuchen endlich wieder, Europa zu thematisieren in der einer Identitätsdebatte Absicht, damit politische Entwicklungen in Gang zu setzen. Lange Zeit haben wir geglaubt, dass wir in Europa besser vorankommen, wenn wir möglichst wenig über Europa sprechen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde eine starke Europa-Diskussion mit großem politischem Anspruch geführt. Dazu gehörten die frühen Initiativen der europäischen Föderalisten, die sich nicht durchgesetzt

Gehler | Strasser 32 haben, und der folgenreiche Haager Europa-Kongress von 1948, an dem im Übri- gen auch schon die Türkei teilnahm. Doch dann hat sich der Prozess der europä- ischen Integration anders entwickelt. Etwas überpointiert gesagt: West-Europa hat sich schrittweise geeinigt unter der Bedingung, dass man eigentlich nicht über Europa sprach. Die Integration wurde listig eingefädelt über die Ökonomie, wäh- rend die großen Fragen der europäischen Identität – »Was sind wir eigentlich?«, »Welche Rolle sollen wir spielen?« – ausgeklammert wurden. Es sah so aus, als wäre es nur auf diese Weise möglich, auch die Engländer ins Boot zu holen und überhaupt ein paar Schritte voranzukommen. Das funktioniert jetzt nicht mehr. Spätestens seit 1989 steht Europa wieder explizit auf der Tagesordnung. Wir müssen jetzt über einige Dinge diskutieren, die wir in Europa bisher nicht angesprochen haben, auch wenn das manche Ent- wicklungen nicht einfacher macht. Dabei wird auch die Frage einer kulturell begründeten europäischen Identität zur Sprache kommen, denn es wird nicht genügen, Herr Schlögel, Europa nur als geografischen Raum zu definieren. Viel- mehr sind nicht zuletzt unsere Geschichtserfahrungen die kulturellen Ressour- cen, aus denen europäische Identität begründet werden muss. Vor allem zwei Erfahrungen scheinen mir wichtig: Erstens, pointiert gesagt, Historische Erfahrungen die Europäer haben alle großen Verbrechen und Irrtümer schon hinter sich und sind ein wertvolles kulturelles die Strafe dafür am eigenen Leib erfahren. Das ist nichts, worauf wir besonders Kapital für die Zukunft stolz sein können, aber es ist ein nützlicher Erfahrungsschatz. Und das – ohne mich nun dem Vorwurf des Antiamerikanismus auszusetzen – unterscheidet uns von gewissen naiveren Vorstellungen jenseits des Atlantiks, wie man mit der Welt umzugehen hat. Zweitens sitzen wir Europäer seit 2000 Jahren ganz eng aufei- nander, was uns dazu gebracht hat, Strukturprobleme zu verstehen. Unser Pro- blemlösungsmodus kann nicht ein »Go West!« sein, ein Weiterziehen, wenn es irgendwo zu eng und zu kompliziert wird. Wir müssen seit langem vor Ort mit dem Vorhandenen unsere Probleme lösen. Daraus resultiert ein besonderes Erfah- rungskapital, das wir nutzen können, um die Zukunft zu gestalten. Kurz gesagt, wir können spezifisch europäische Erfahrungen als kulturelles Kapital für die Zukunft mobilisieren, ganz im Sinne von Frau Ahrweilers Ausführungen. Was Europa ausmacht, ist mehr als nur ein geografischer Raum, der im Übrigen auch schwer abgrenzbar wäre.

Wir sind hier Zeugen eines der vielen faszinierenden Versuche, dem Europa- Wagner Begriff durch historische Referenzen näher zu kommen. Dem möchte ich ent-

33 Strasser | Wagner Das Vergessen spielt eine gegensetzen, dass es keinen anderen Ort auf dieser Welt gibt, an dem das Verges- sehr wichtige Rolle in Europa sen, seine Notwendigkeit und Unmöglichkeit, eine derart zentrale Rolle spielt wie in Europa. Während der Balkankriege zum Beispiel haben die Serben über sich selbst behauptet, sie hätten zu viel Geschichte – mehr, als sie ertragen könnten. Einerseits überfordert Europa Individuen und Gruppen hinsichtlich der Verdau- barkeit und Erinnerbarkeit von Geschichte grenzenlos, andererseits führt das Ver- gessen immer wieder zu neuem Unglück, das wieder vergessen und erinnert wer- den muss. Der Umgang mit Erinnerung und Vergessen ist für mich das konstituierende Element Europas. Winfried G. Sebald hat das wunderschön in seinem Buch »Austerlitz« beschrieben, in dem sich die ganze Tragödie von Ver- gessen, Erinnerung und der Unmöglichkeit, damit zu überleben, an der Bahn- hofsuhr von Antwerpen entrollt. Auch Hans Magnus Enzensberger zielt darauf ab, wenn er beschreibt, wie viel ein 16-jähriges Friseurmädchen von Dingen weiß, von denen wir in unseren Stuben manchmal gar nicht so viel verstehen. Damit konterkariert er nebenbei die gängige Kulturkritik, die beklagt, wie wenig die jun- gen Leute wüssten. Meines Erachtens müssten wir bei der Frage von Herrn von der Gablentz, wie wir Europa wieder mit den jungen Menschen verknüpfen können, das Problem des Erinnerns und der Zumutbarkeit in den Mittelpunkt rücken. Ich möchte mit einem persönlichen Beispiel abschließen. Als ich meine Position in der Europäischen Kulturstiftung antrat, habe ich meine 14-jährige Tochter gefragt, was sie von Europa halte. Da kam zunächst nicht viel. »Europa? Forget it. Interessiert mich nicht wirklich. Ich habe schon Schwierigkeiten damit zu wissen, was es heißen soll, Österreicherin zu sein.« Doch dann kamen die Gegenfragen: »Kannst du mir Nordirland erklären? Und Mazedonien? Können wir über und Palästina reden?« Das heißt, ein 14-jähriges Mädchen stellt sich erneut die Frage nach Krieg und Frieden und der Fähigkeit Europas, damit umzugehen. Das hat sie wirklich interessiert, und das interessiert jetzt auch die jungen Leute in Bezug auf unsere Antwort auf den Irak-Konflikt. Europa hat eine einmalige Chance, diese Herausforderungen konstruktiv anzunehmen und mit einer kreativen Antwort auf die monopolare Weltstruktur, die wir derzeit be- obachten, ein neues Nicht-Vergessen und Aufnehmen von Geschichte zu begin- nen. In dieser Hinsicht bin ich stolz auf das »alte« Europa und seine Fähigkeit, neu zu denken.

von der Gablentz Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang an die Botschaft von Frau Ahrweiler erinnern, dass Erziehung der Transmissionsriemen für Kultur ist. Wenn wir die

Wagner | von der Gablentz 34 Jungen einbinden wollen in unser neues Europa, dann müssen wir an eine euro- päische Dimension in den Erziehungssystemen denken, die bisher – um Herrn Gehler zu zitieren – rein national geblieben sind, in einer Welt, die seit 50 Jahren einem europäischen Wandel unterliegt.

Ich stimme Herrn Schlögel zu, dass bei der Definition Europas die Geografie Ruth entscheidend ist; denn eine kulturelle oder philosophische Definition kann der Komplexität der Wirklichkeit unmöglich gerecht werden. Auch die kleinen, aber sehr realen Entwicklungen vor Ort, die Herr Schlögel beschrieben hat, sind bedeu- tend. Unauffällige Netzwerke aller Art bringen Menschen miteinander in Kontakt. Sie haben nicht unbedingt etwas mit der Europäischen Union zu tun, und man- che widersetzen sich auch der Integration, so wie die Anti-Globalisierungs- bewegung. Doch gleichzeitig bauen diese Netzwerke grenzübergreifende Be- ziehungen auf. Ein weiteres Beispiel sind Gruppen von Einwanderern in Europa, die sich nicht nur mit ihrem Ursprungsland oder dem Land, in dem sie wohnen, sondern auch mit Immigranten in anderen europäischen Ländern identifizieren. Für die Kontakte zwischen diesen Gruppen spielen nationale Grenzen kaum eine Rolle. Hauptsächlich möchte ich jedoch zur Rolle des Journalismus und der Medien Journalisten sollten sich aktiv in Europa Stellung nehmen. Zurzeit bekommen wir eine recht konventionelle für Europa einsetzen Sicht dessen präsentiert, was wirklich auf diesem Kontinent geschieht. Dabei wer- den die oben beschriebenen Entwicklungen außer Acht gelassen. Gleichzeitig gehen wir meist davon aus, dass Europa sich über die Europäische Union bestim- men ließe. Das ist sehr gefährlich. Wir sollten im Gegenteil Europa geografisch definieren und damit jeden Menschen einschließen, der an den Netzwerken und Diskussionen teilnimmt, unabhängig davon, ob er aus der Ukraine oder aus einem anderen Land kommt. Dabei spielen die Medien eine wichtige Rolle, weil insbe- sondere Zeitungen maßgeblich an der Nationalstaatsbildung in Europa betei- ligt waren. Das trifft nicht nur für das 19. Jahrhundert, sondern auch für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu. In vielen europäischen Ländern, besonders in Deutschland, aber auch in Frankreich, wurde der Zeitungsmarkt nach dem Krieg vollständig neu gegründet und umgebildet. Doch die Medien orientieren sich nach wie vor überwiegend an nationalen Grenzen, so dass nur wenig Kommu- nikation zwischen nationalen Öffentlichkeiten besteht. Beiträge beziehen sich häufig auf Nationalgeschichte. So wurde zum Beispiel unlängst ein Treffen in Ver- sailles in Frankreich und Deutschland als Bezug auf den Kampf des napoleo-

35 von der Gablentz | Ruth Unsere gemeinsame Verantwortung für Katastrophen ist grundlegender Bestandteil der europäischen Identität.

de Vries

nischen Frankreichs gegen die deutsche Romantik im 19. Jahrhundert interpre- tiert. Eine vergleichbare Deutung ließe sich in englischen Zeitungen nicht finden und würde außerhalb dieser Länder kaum verstanden werden. Um den Aufbau eines Europas der Netzwerke zu erleichtern und eine euro- päische Öffentlichkeit herzustellen, muss der Beruf des Journalisten neu be- stimmt werden. Wir sollten die Medien kritisieren, weil ihr Blickwinkel zu eng ist und sie die Bedeutung dieser Entwicklungen nicht erfassen. Während der Natio- nalstaatsbildung spielte der Journalismus eine zentrale Rolle beim Kampf um die Meinungsfreiheit als entscheidender Bestandteil der Demokratie. Statt vermeint- lich objektiv zu berichten, bezog der Journalist im Kampf für die Demokratie Posi- tion. Zu dieser Rolle sollte der Berufsstand zurückkehren.

von der Gablentz Herzlichen Dank für diesen wichtigen Beitrag zum Thema Nationenbildung bzw. »Europabildung«. Ich teile die Ansicht, dass die Medien wenig zum Bau Europas beigetragen haben, außer den wenigen, hoch qualifizierten Journalisten in Brüs- sel, die hervorragende Zeitungsberichte über die Ereignisse in Brüssel schreiben. Deren Leistungen sollten wir nicht vergessen, auch wenn sie nur selten in den wei- teren Entstehungsprozess Europas einfließen.

de Vries Herr Schlögel hat Europa nicht nur über die Geografie definiert, sondern auch Was kann Europa aus der Geschichte lernen über die Geschichte, und er erwähnte dabei den Begriff »Katastrophen-Ge- und welche Ziele hat es für die Zukunft? schichte«. Für mich – und darin stimme ich auch Herrn Wagner von ganzem Her- zen zu – ist unsere gemeinsame Verantwortung für Katastrophen grundlegender Bestandteil der europäischen Identität. Doch es kann nicht genügen, auf die Geschichte zurückzublicken. Wir müssen auch nach vorne schauen und unsere Verantwortung in der Welt bestimmen. Zwei Dinge fehlen in der Diskussion über Europa, seine Kultur und Identität: Was können wir aus der Geschichte lernen, und welche Ziele setzen wir uns für die Zukunft? Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen. Nach dem Zweiten Welt- krieg schienen wir die Ereignisse und unsere eigene Verantwortung langsam zu begreifen. Daraus haben wir den Grundsatz des »Nie wieder!« abgeleitet. Doch nur einige Jahre später, als es darum ging, den Völkermord im früheren Jugoslawien zu verhindern – und als mein Land eine besondere Verantwortung für die Vertei- digung von Srebrenica trug –, haben wir nicht nach diesem Grundsatz gehandelt. Für mich lautet die grundlegende Frage daher: Warum haben wir nicht gehandelt? Warum hat das Europa Immanuel Kants und Sergej Diaghilews es nicht nur ver-

Ruth | von der Gablentz | de Vries 36 säumt, die Geschehnisse Mitte des letzten Jahrhunderts zu verhindern, sondern auch im früheren Jugoslawien effektiv vorzugehen? Hier knüpfe ich an Herrn Ruths Schlussfolgerungen an: Zeitungen könnten eine historische Dimension zur Debatte über die Gegenwart und Zukunft beitra- gen. Doch viele Berichte haben eine seichte Zeitperspektive und konzentrieren sich mehr auf das Hier und Jetzt. Es werden wenige historische Linien gezogen und in die Zukunft projiziert. Wir sollten jedoch eine langfristige Perspektive vor Augen haben, wenn wir über europäische Kultur sprechen. Wir müssen diskutie- ren, was wir aus der Geschichte lernen können und welchen Einfluss das auf unser gegenwärtiges und zukünftiges Verhalten haben sollte.

Als Journalist fühle auch ich mich von Herrn Ruth angesprochen. Sein Kommen- Roß tar verdeutlicht einen allgemeineren Trend in den Diskussionen über Europa, der Vorsicht vor Propaganda! mich beunruhigt. Europa-Gespräche sind meist solche über das »Sollen«. Wir reden häufig mit einem teils vorwurfsvollen, teils leidenden Unterton darüber, was passieren sollte, aber nicht geschieht, und wer daran schuld ist. Wir bekla- gen, dass die Bevölkerung die Motive und Ziele nicht versteht, und überlegen daher, wie man das Verständnis und damit die Sache fördern könnte. Das halte ich für einen unfruchtbaren Ansatz. Viel interessanter ist für mich das Europa des »Ist«, also das Konstatieren der bestehenden Verhältnisse – Herr Schlögel hat dazu einige Anstöße gegeben. Vielleicht muss man sich an den Gedanken gewöhnen, dass Ideen, die wenig Interesse finden oder die nur mit ungeheurer Anstrengung populär gemacht werden können, so gut nicht sind. In diesem Zusammenhang möchte ich davor warnen, von Journalisten zu erwarten, dass sie ein Projekt, selbst ein so gutes wie das europäische, voranbringen sollen. Publizistik mit einer solchen Intention ist eben nicht Journalismus, sondern Propaganda. Auch beim Thema der europäischen Erziehung, das Frau Ahrweiler ange- sprochen hat, halte ich Vorsicht für angebracht. Ich glaube nicht, dass sich das Bewusstsein für eine europäische Kultur einstellen kann, wenn man es direkt ansteuert. Vielmehr ergibt es sich, wenn man sich mit den verschiedenen euro- päischen Kulturen intensiv beschäftigt, da man die einzelnen Literaturen und Künste gar nicht anders als in ihrem Zusammenhang verstehen kann. Aber man erreicht das nur über das Einzelne und Besondere, nicht über den Versuch, eine europäische Identität oder Kultur oder Geschichte als solche zu entwerfen.

37 de Vries | Roß Eichel Ich möchte im Zusammenhang mit unserer Debatte, ob Medien in unserem Land mitspielen, wenn es darum geht, europäische Kultur zu präsentieren, einige kon- kretere Bemerkungen über Kulturprogramme speziell im deutschen Fernsehen machen. Im deutschen Fernsehen Zunächst sieht das ganz prächtig aus: Es gibt in Deutschland sage und schreibe gibt es viele Kulturprogramme zwölf Magazine, die sich regelmäßig und ausschließlich mit Kultur beschäftigen. »TTT«, »Kulturweltspiegel« und »Kulturreport«, die großen ARD-Magazine am Sonn- tagabend und die »aspekte« im ZDF am Freitagabend erreichen im Durchschnitt jeweils 1 bis 1,5 Millionen Zuschauer – und das am späten Abend. Das ist ein enor- mer Erfolg, finde ich. Das Themenspektrum dieser TV-Magazine an beiden Sen- deabenden erstreckt sich überwiegend auf überregionales Deutsches, aber regel- mäßig auch immer wieder auf Europäisches und Außereuropäisches. Die acht Kulturmagazine in den Dritten Programmen, die jeweils zwischen 100.000 und 150.000 Zuschauer anlocken, konzentrieren sich eher auf regionale Kultur. Sie haben ganz bewusst – und das ist nicht abwertend gemeint – eine provinziellere Perspektive auf die Kultur. Sie erwerben sich Verdienste um die Pflege der Kultur in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Die »Kulturzeit«, das Fernseh-Magazin von 3sat, ist von vornherein eine überregionale Veranstaltung, eine Kooperation Deutschlands mit Österreich und der Schweiz. Ihr Blick ist für das, was außerhalb der jeweiligen Landesgrenzen geschieht, deutlich offener, unbefangener. »Metro- polis«, das Kulturmagazin des deutsch-französischen Gemeinschaftssenders »arte«, hat im Vergleich zur »Kulturzeit« nicht eine solch deutliche Struktur. Die franzö- sischen Ausgaben drehen sich fast ausschließlich um französische Themen. Das liegt vor allem daran, dass es im französischen Fernsehen kaum andere Kultur- magazine gibt. Der positive Effekt liegt auf der Hand: Deutsche Zuschauer erfah- ren Differenziertes aus der Kulturszene ihres Nachbarlandes. Doch wenn franzö- sische Zuschauer die deutschen »Metropolis«-Ausgaben ansehen, erfahren sie in der Regel nicht nur etwas über das, was auf deutschen Kulturpodien vor sich geht, sondern sie erfahren immer wieder auch eine Menge über andere europäische Länder. Da sich »arte« als europäischer Kulturkanal versteht, nutzen die deutschen »Metropolis«-Redakteure den Spielraum, um den Blick auch nach draußen zu len- ken, also nach Italien oder Polen beispielsweise. Trotz dieser grundsätzlich positiven Bilanz muss ich mit Betrübnis feststellen, dass in den Kulturmagazinen in Deutschland bestimmte Themen immer weniger Raum erhalten, wie beispielsweise zeitgenössische bildende Kunst oder selbst bedeutende Theateraufführungen, die nur wenig Spektakuläres zu bieten haben.

Eichel 38 Es gibt zwar einen Theaterkanal, doch der ist nur für diejenigen zugänglich, die digital ausgerüstet sind, und das sind leider die wenigsten. Ich und viele meiner Kollegen, die sonst gern ins Theater gehen, gehören nicht dazu. So etwas Lobens- wertes wie der Theaterkanal findet leider so gut wie unter Ausschluss der Öffent- lichkeit statt. Festzuhalten ist also: Wir haben in Deutschland eine Fülle von Fernseh-Kul- turmagazinen, die immer wieder über die Landesgrenzen schauen und Europä- isches ins Blickfeld rücken. Doch der Trend zum allgemeinen Amüsement ver- hindert manche analytischere Betrachtungen. Und den früher in unserem Land wahrlich sprießenden Kultur-Feature-Bereich gibt es bis auf wenige Ausnahmen, beispielsweise beim Bayrischen Rundfunk, so gut wie gar nicht mehr. Von daher ist es müßig, demnächst eine fernsehmediale Begleitung europäischer Kulturthe- men in den großen bundesweiten öffentlich-rechtlichen Programmen zu erwar- ten – es sei denn, in den Fernsehräten würde endlich etwas mehr Druck gemacht, auch mal wieder reizvoll Schwieriges zu produzieren. Dass dies nicht langweilig sein muss, ist immer wieder zur Genüge bewiesen worden.

Zunächst möchte ich Herrn de Vries entgegnen: Wir Europäer haben in Jugosla- Strasser wien sehr wohl gehandelt, doch wir haben falsch gehandelt. Wir haben die Selbstbestimmung der Völker zum obersten Prinzip erhoben und darüber verges- sen, dass individuelle Menschenrechte ein noch höheres Prinzip darstellen. Die deutsche Politik hat grundlegende Tatsachen der Region ignoriert, zum Beispiel, dass es dort 1,2 Millionen Mischehen zwischen Serben und Kroaten mit durch- schnittlich drei bis vier Kindern gibt, die man gar nicht der einen oder anderen Volksgruppe zuordnen kann. Wenn man die Selbstbestimmung der Völker als oberstes Prinzip anerkennt, ohne gleichzeitig Minderheitenschutz und Men- schenrechte durchzusetzen, so wie wir das in einem gewissen Überschwang der Multikulturalität dort gemacht haben, dann kann das nur schief gehen. Dann zu Herrn Roß: Sie gehen mir etwas zu weit. Was Herr Schlögel über Wir brauchen auch bewusste Politik Netzwerke und eine Realität Europas gesagt hat, die nicht wahrgenommen wer- für die Bildung Europas den, ist richtig. Doch zur Bildung Europas gehört auch bewusste Politik. Man sollte nicht Netzwerke und spontane Entwicklungen gegen das verfasste Europa aus- spielen. Auch das politisch verfasste, institutionalisierte Europa ist ein sehr wich- tiges Moment. Gerade in Mittel- und Osteuropa trägt die Beitrittsperspektive zur EU wesentlich zur Stärkung anderer zivilgesellschaftlicher Impulse bei. Das Glei- che gilt für die Erziehung. Auch hier gibt es viele spontane Initiativen, die nicht

39 Eichel | Strasser unterstützt werden müssen. So studieren viele junge Leute auf eigene Faust im europäischen Ausland und reisen hin und her, wie meine Kinder, die in Polen jüdi- sche Friedhöfe wiederherstellen oder in Frankreich für ihre Facharbeit recher- chieren. Dennoch wäre es darüber hinaus sinnvoll, wie Frau Ahrweiler gesagt hat, die europäische Dimension in der Erziehung stärker zu betonen. Beide Ansätze verstärken sich gegenseitig, und wir sollten sie nicht gegeneinander ausspielen.

Ruth Herrn Roß und meine Ansichten über Journalismus unterscheiden sich weniger, als es zunächst scheinen mag. Ich wollte auf das Problem hinweisen, dass die meisten Journalisten Europa mit der EUgleichsetzen. So missachten sie viele Aspekte, die für den Aufbau einer grenzübergreifenden europäischen Gesell- schaft wichtig sind, wie etwa die Netzwerke und den Austausch, die bereits erwähnt wurden. Um relevant zu bleiben, muss sich der Journalismus den neuen Realitäten anpassen und sich darum bemühen, wirklich Berichtenswertes zu fin- den. Doch Herr Roß und ich mögen in einem bestimmten Punkt auch unter- schiedliche Erfahrungen mit dem Journalismus gemacht haben. Er arbeitet für »Die Zeit«, die sehr persönliche, essayistische Analysen einzelner Journalisten druckt. Solche Zeitungen gibt es in Deutschland, aber selten in anderen europäi- schen Ländern. In Schweden, wie in den anderen nordischen Staaten, gilt haupt- sächlich die amerikanische Definition des Journalismus als objektive Faktenbe- richterstattung. Sobald die Medien sich mit Themen befassen, die komplexer sind als Feuerausbrüche und Unfälle, wird diese Definition problematisch. Zu einer Zeit, in der sich viele Dinge verändern, wie etwa nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion oder dem 11. September, brauchen wir dringend verschiedene per- sönliche Interpretationen der Ereignisse. Da Europa ein derart komplexes Thema ist, benötigen wir mehr Artikel wie die von der »Zeit«, wenn auch vielleicht mit weniger elitärem Anspruch.

Echerer Sie haben mir sehr aus dem Herzen gesprochen, Herr Ruth. Doch lassen Sie mich Europa erfahrbar und zur Frage des »Europa neu begründen« zurückkehren. Wir müssen heute nicht erfassbar machen ... begründen, warum wir Europa vereinen, das heißt wiedervereinen, denn wir ken- nen die Gründe dafür seit langem. Wir sind dabei, eine Vision zu verwirklichen, die viele Intellektuelle, Politiker und Künstler seit Hunderten von Jahren haben, und nun scheinen wir Angst vor der eigenen Courage zu bekommen. Ich denke, dass wir Europa nicht neu begründen, sondern es erfassbar und erfahrbar machen müssen. Gleichzeitig jedoch fällt jene Identität und Solidarität

Strasser | Ruth | Echerer 40 in Europa, die von außen mitbestimmt wurde, durch die Wende von 1989/90 weg. Daher sind wir genötigt, über uns selbst nachzudenken und zu sagen, was uns ver- bindet. Zu dieser Frage sind viele politische, wissenschaftliche und intellektuelle Texte geschrieben worden. Doch, und hier stimme ich Herrn Ruth zu, wäre es ein- facher, wenn auch die Presse mitgeholfen hätte, eine europäische Öffentlichkeit mitzubegründen. Wir erinnern uns alle daran, wie nach dem Vertrag von Nizza jeder Regierungsvertreter erklärt hat: »Ich habe das Beste für uns herausgeholt.« Das zeigt, dass die Solidargemeinschaft der Europäischen Union oft nur als theo- retische Überlegung existiert, selten aber in der Realität angewandt wird. Dem gegenüber steht immer wieder die Aufforderung, sich beim Einigungsprozess nicht in Groschenzählerei zu verlieren, sondern daran zu denken, dass es in Europa unsere größte Herausforderung ist, diesen Friedensprozess erfolgreich zum Ziel zu führen. Worin liegt dann das Problem? Es liegt darin – und hier komme ich auf das ...mit Hilfe des Kultursektors zurück, was ich anfangs sagte –, dass Europa nicht erfahrbar und nicht erfassbar und der Medien ist. Es gibt noch keine europäische Öffentlichkeit. Welche Möglichkeiten haben wir, diese Erfahr- und Erfassbarkeit herzustellen? Einmal ist es die Geschichte; und ich stimme mit Frau Ahrweiler überein, dass ein europäisches Geschichtsbe- wusstsein für die Entscheidungsträger von morgen ganz wichtig ist. Hier spüren wir auch bereits viele kleine Veränderungen, besonders im universitären Bereich. Dies allein jedoch löst das Problem für die Menschen meiner Generation noch nicht. Daher brauchen wir die Kultur und die Medien, um Europa erfahrbar und erfassbar zu machen. Die Schwierigkeit besteht darin, diese beiden wunderbaren Möglichkeiten zu nutzen, ohne nationalistisch oder propagandistisch zu werden, ohne sich in Details zu verstricken und ohne den Blick für das Ganze in seiner Komplexität zu verlieren. Um das zu verwirklichen, müssten wir über die Gren- zen hinweg kooperieren. Meine Kollegin Doris Pack und ich können Ihnen Opern davon singen, wie schwierig das bereits im Bereich der Bildung ist. Hier müssen wir auf die Länder einwirken, die auf ihre Subsidiarität pochen und glauben, in Scheingefechten ihre Identität verteidigen zu müssen. Letztlich jedoch liegen in Europa die Gemeinsamkeiten weit eher auf der Hand als das Trennende. Aber wir wissen viel zu wenig darüber, was uns unter- scheidet. Trotz der gleichen Sprache habe ich als Österreicherin oft Schwierig- keiten, mich so auszudrücken, dass ein Kollege aus Deutschland meine Begriffe so versteht, wie ich sie für mich selbst definiere. Diese Arbeit der Differenzierung können wir nur durch Kultur leisten. Dazu gehört auch, das Trennende heraus-

41 Echerer zufinden, um dort, wo es möglich ist, Brücken zu schlagen, und dort, wo dies viel- leicht nicht möglich ist, Respekt vor dem anderen aufzubauen.

Pack Ich möchte mich dem anschließen, was Mercedes Echerer gesagt hat: Wir müs- Bildungspolitik ist von sen Europa nicht neu begründen, sondern nur das, was wir begründet und insti- Renationalisierung betroffen tutionalisiert haben, so festigen, dass wir damit umgehen können. Es hat mich sehr gefreut, dass Frau Ahrweiler die Bildung angeführt hat, weil ich überzeugt bin, dass wir vieles nur durch Bildung erreichen können. Auch wenn der europäische Ministerrat ständig über Bildung spricht, bedeutet dies lei- der nicht mehr Geld. Denn Bildung fällt unter die Subsidiaritätsklausel. Die Rena- tionalisierung, die sich zunehmend im Ministerrat abspielt, ist tödlich für dieses Europa. Wir waren bereits viel weiter mit der Politischen Union, als in Maastricht mit Artikel 127 und 128 zum ersten Mal Kultur und Bildung in die europäischen Verträge aufgenommen wurden. Doch heute, 10 Jahre später, sind wir wieder zu- rückgefallen. All die richtigen Bildungsreformen werden auf intergouvernemen- taler Ebene angestoßen, indem die EU-Kommission Vorschläge erarbeitet, das Europäische Parlament ist aber von der Mitsprache ausgeschlossen. Das ist bedau- erlich und muss von uns in unseren Arbeitsbereichen aufgegriffen werden. In diesem Punkt stimme ich Herrn Ruth zu. Die Journalisten könnten helfen, die Bürger zu europäischen Bürgern heranzubilden, wenn sie etwas mehr darü- ber berichteten, was Europa und unsere Identität ausmacht. Die Medien berich- ten zwar über die europäischen Beschlüsse aus den verschiedenen Fachbereichen, aber die Seele Europas spüren sie in keinem Artikel einer normalen Zeitung, eine positive Ausnahme bildet ab und zu »Die Zeit«. Wir Europa-Parlamentarier sind hilflos in Sachen Informationspolitik. Wir versuchen, Informationen über Europa an die Bürgerinnen und Bürger zu brin- gen, damit sie dieses Europa weiter mit uns bauen. Aber eine künstliche Infor- mationspolitik ist im Grunde propagandistisch. Damit erreiche ich die Bürger nicht. Daher haben Journalisten als europäische Bürger die große Aufgabe, aus ihrer Seele keine Mördergrube zu machen, sondern zu versuchen, Europa auch zu leben und für die anderen mit Leben zu füllen. Kulturpolitik kann nicht Ich bin der Meinung, dass man diese Problematik von verschiedenen Seiten die Versäumnisse in anderen anpacken kann, und habe Angst, dass viele der Kulturpolitik, die wir eigentlich Bereichen wiedergutmachen wegen der Subsidiarität gar nicht in Europa betreiben, das aufbürden, was wir in anderen Politikbereichen nicht erreicht haben. Wir haben hier Versäumnisse in allen Bereichen, von der Agrarpolitik bis zur Umweltpolitik, und erwarten, dass

Echerer | Pack 42 wir mit der Kulturpolitik, wie mit einem Zuckerguss, alles ändern können. An- stelle dieser überhöhten Erwartungen sollten wir etwas kleinere Brötchen backen, aber die dann auch so backen, dass sie genießbar sind.

Ich möchte anknüpfen an den allseits mit Recht unterstrichenen Punkt der Erzie- von Weizsäcker hung und mich dabei auf die wichtigen Erfahrungen der Politiker unter uns bezie- Demokratisierung Europas durch hen, seien sie im Europäischen Parlament, dem Rat oder der Kommission. Dabei die Bildung eines Bundesstaats müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir uns zwar einerseits alle zur Demokratie bekennen und sie unter allen Umständen beibehalten wollen, müs- sen und werden, dass die Demokratie aber nach den Gesetzen, denen sie nicht ent- rinnen kann, nicht immer eine Hilfe für die Ziele ist, die wir hier beschwören. Die Europäische Union ist nach deutschen Rechtsbegriffen ein Staatenbund. Es wird in fast allen Mitgliedsländern beklagt, dass dieser Staatenbund nicht demokratisch kontrolliert sei und daher auch nur eine unzureichende Resonanz bei den Bürgern finde. Gleichzeitig aber ist die Demokratie so, wie wir sie kennen, an einen Staat und nicht an ein Bündnis gebunden. Wenn wir wirklich eine Demo- kratie in Europa zur Entfaltung bringen wollen, dann dürfen wir keine so große Angst davor haben, dass wir uns auf einen Bundesstaat zubewegen. Es sind die- selben Politiker, die sich darüber beschweren, dass der Staatenbund undemokra- tisch sei, die sich gleichzeitig mit ganzer Vehemenz gegen eine Entwicklung zum Bundesstaat zur Wehr setzen. Zudem leben wir in einem System der repräsentativen Demokratie, was bedeutet, dass Politiker sich ihr Mandat erringen und dazu Wahlkämpfe führen müssen. Das ist legitim und unausweichlich. Aber solange wir uns dagegen weh- ren, uns in der generellen politisch-historischen Entwicklung Europas den Bedin- gungen für eine Demokratie, das heißt einem Bundesstaat, anzunähern, so lange können wir auch nicht erwarten, dass bei den demokratischen Mandatserteilun- gen in den verschiedenen Nationen europäische Ermutigungen zugkräftige Argu- mente liefern. In Deutschland wird diese Tatsache, gerade im Bereich der Erzie- hung, durch unseren Föderalismus verschärft. Natürlich hat Föderalismus viele positive Seiten, doch in Deutschland und darüber hinaus erschwert er die Popula- risierung des Europa-Gedankens. Zu dem interessanten Gespräch über die Medien möchte ich hinzufügen, dass Mehr Boulevard in der Presse es die Medien den Politikern nicht leichter machen, sich demokratische Mandate ist schädlich für Europa zu beschaffen, die wesentlich auf einem europäischen Bewusstsein der Wähler beruhen. Dazu kommt, dass die Medien zum großen Teil kapitalistische Unter-

43 Pack | von Weizsäcker nehmen sind, das heißt, sie wollen Gewinne erzielen, was gegenwärtig immer schwieriger wird, da zum Beispiel Anzeigen ins Internet abwandern. Was dadurch vor allem zunimmt, sind Boulevard-Artikel, in denen Oberflächlichkeit dominiert und inhaltliche Auseinandersetzungen durch persönliche Attacken ersetzt wer- den. Natürlich wächst Europa nicht durch Diskussionen über die Haarfarbe von Politikern, aber die Medien weiden solche und ähnliche Themen geradezu aus. Und wer einen Wahlkampf in unserem Land gewinnen möchte, braucht nun ein- mal Zugang zur Boulevardpresse und zu den elektronischen Medien. Letztlich sind wir uns über die Bedeutung europäischer Kultur einig. Diese Einigkeit beruht nicht nur darauf, dass wir alle hier diesbezüglich eigene Erfah- rungen und Zielsetzungen haben, sondern auch darauf, dass die Substanz der europäischen Kultur ein ungeheures Kapital ist, das allerdings im Bewusstsein der Bürger noch weit gehend ungehoben ist. Eine zentrale Frage sehe ich deshalb darin, wie man bei den Medien und vor allem in unserer Demokratie, in unseren Parteien und Wahlkämpfen auf dieses Kapital aufmerksam machen kann, um es sozusagen für den legitimen demokratischen Prozess verwertbar zu machen.

Echerer Anknüpfend an das Medien-Dilemma, das Herr von Weizsäcker beschrieben hat, Die Politik muss die Unabhängigkeit möchte ich auf die Doppelnatur der Medien hinweisen, die als wirtschaftliche der Medien gewährleisten Unternehmen journalistische Arbeit mit der dazugehörigen journalistischen Frei- heit leisten müssen. Die Medien haben eine Menge Neuinvestitionen getätigt und benötigen nun einen Konsolidierungsprozess. Hier haben wir die politische Ver- antwortung, eine Balance herzustellen und dazu beizutragen, dass die Medien finanziell unabhängig sind und nicht missbraucht werden. Ohne freie und unab- hängige Medien, ohne Schutz der Vielfalt der Quellen wird sich keine europäische Öffentlichkeit entwickeln; keine Demokratie, auch keine supranationale, kann auf freie und unabhängige Medien verzichten. Ich möchte an dieser Stelle unterstreichen, dass Europa den »Fall Italien« zu- gelassen hat. Dies ist nicht nur ein italienisches, sondern auch ein europäisches Problem. Denn erstens können wir im Erweiterungsprozess nicht von den neuen Demokratien eine unabhängige Medienlandschaft verlangen, wenn dasselbe nicht für die jetzigen Mitgliedsländer der EU gilt. Es ist ein erschreckendes Zei- chen politischer Verantwortungslosigkeit, dass wir nichts dagegen unternommen haben. Und zweitens dürfte es die Union nicht billigen, dass sich ein Spitzenpoli- tiker, Wirtschafts- und Medientycoon in Personalunion mit Hilfe nationaler Gesetze Wettbewerbsvorteile auf europäischer Ebene verschafft. Das Verhältnis

von Weizsäcker | Echerer 44 zwischen politischer und Medienmacht – eine liaison dangereuse – ist nicht nur ein italienisches Problem.

Frau Echerer hat vorhin Europa als eine Realität bezeichnet, die wir erfahrbar und Perone erfassbar machen müssen. Ich stimme dem vollkommen zu: Europa ist eine Rea- lität, doch unser Problem ist, dass diese Realität nicht gesichert ist. Daher, um das in meiner Sprache als Philosoph auszudrücken, sollten wir uns um die Gegenwart Europas kümmern. Wir neigen dazu, entweder uns zu viel mit der Vergangenheit zu beschäftigen und anzunehmen, das Erbe Europas sei so vielfältig und großar- tig, dass seine Gegenwart gesichert ist, oder wir denken zu viel über die Zukunft nach und verlieren uns in realitätsfernen Träumen. Wenn ich von Gegenwart spre- che, dann meine ich nicht den Augenblick oder die Aktualität, denn das wäre zu postmodern. Vielmehr meine ich unsere momentane Situation, einschließlich der nahen Zukunft, die wir beeinflussen können. In Europa haben wir nicht viel Zeit, um diesen Veränderungsprozess umzu- Eine bessere öffentliche setzen. Wenn wir jetzt diese außerordentliche Chance verpassen, dann werden Wahrnehmung der EU durch wir in den nächsten 20 Jahren nichts erreichen. Natürlich ist es schwierig, Lösun- mehr Bürgerrechte gen zu finden, besonders weil unser Kontinent so viele und so große Differenzen im Vergleich zu Amerika auf kleinem Raum vereint. Jean Baudrillard hat gesagt, in den USA konnte man die Grenze immer weiter verschieben, daraus seien eine Ideologie und eine Politik entstanden, die zur Bewältigung von Problemen immer neue Räume erschließt. In Europa dagegen haben wir wenig Raum und müssen deshalb lernen, wie man mit Differenzen umgeht. Doch genau darin besteht unse- re Chance, weil wir etwas Neues schaffen müssen, das gleichzeitig Einheit und Unterschiede beibehält. Ein wichtiger Schritt wäre, einen Pakt mit der neuen Generation zu schlie- ßen. Europa sollte sich um die Rechte der jungen Generation kümmern, das heißt besonders um die Ausbildung. Jeder, der an der Universität arbeitet oder Kinder hat, die zur Universität gehen, kennt das Erasmusprogramm, das zwar bereits überholt ist, aber doch ein sehr großer Erfolg war. Zumindest kann man spüren, dass Europa heute etwas ermöglicht, das früher nicht zu haben war. Momentan vermitteln die Medien ein Bild von Europa, das hervorhebt, wo Europa Grenzen setzt und Regelungen aufzwingt. Außerdem benutzen unsere nationalen Regie- rungen Europa gern als Sündenbock für alle Probleme, die sie nicht bewältigen können. Schwierige Entscheidungen werden oft mit dem Zwang aus Brüssel begründet, so zum Beispiel mit der Regelung, Neuverschuldungen dürften 3% des

45 Echerer | Perone BIP nicht überschreiten. Diese Herangehensweise führt bei den Bürgern zu einer negativen Wahrnehmung von Europa. Stattdessen sollte man besser darauf set- zen, neue Rechte zu erlassen und sie in der Praxis durchzusetzen. Das wäre ein Stück ausgedehnter Gegenwart, die wir als Chance für uns jetzt und nicht nur für die Zukunft begreifen könnten.

von der Gablentz In Brüssel wird häufig gesagt, Europa sei ein einfacher Sündenbock für Politiker, die nicht sehen und nicht sehen wollen, dass wir in einer großen europäischen Gemeinschaft leben, die unser Leben bestimmt und für die wir mitverantwortlich sind. Diese Sicht der Dinge fehlt, da die Bürger sich noch nicht als Bürger Europas fühlen. Der große Alt-Europäer Steve Davignon sagte zum 50. Jahrestag des Schu- man-Plans, der große Unterschied zwischen dem Europa, das wir 1950 aufgebaut haben, und dem Europa, das wir jetzt neu schaffen müssen, sei, dass damals einige wenige Politiker ohne viel Nachfragen entschieden haben: Das machen wir. Robert Schuman nannte das den saut dans l’inconnu, den Sprung ins Ungewisse. Heute dagegen müssen wir bei 500 Millionen Menschen um Zustimmung bitten – ein Mechanismus, der Europa sehr oft stagnieren lässt. Wie Herr von Weizsäcker bereits erwähnte, ist das Fortschreiten der Demokratisierung während der letzten 50 Jahre an sich eine positive Entwicklung, die aber auch große Probleme mit sich bringt. Wir kommen nicht umhin, ein Europa der Bürger zu schaffen, wenn wir weiterkommen wollen.

Ahrweiler Für mich zeichnen sich Europäer dadurch aus, dass sie gleichzeitig im Traum und Junge Menschen sind in in der Realität leben. Lassen Sie mich deshalb kurz den Blick auf die Realität rich- ganz Europa zu Hause ten. Natürlich sind wir uns der Probleme in Europa sehr viel bewusster als der Lösungen. Doch junge Leute erleben heute ein anderes Europa. Ob durch das Eras- mus-Programm oder über andere Wege, junge Menschen sind in fast jedem euro- päischen Land zu Hause. Wir alle konsumieren Wissenschaft, Geschichte und Kul- tur, doch wissenschaftliche und kulturelle Produkte sind eher national als europäisch geprägt. Nur unsere Geschichte ist ein wirklich europäisches Werk. Und weil wir von Geschichte sprechen, noch eine Nebenbemerkung zu Herrn Schlögels Aussage über Geografie: Letztlich hat die Geschichte die geografischen Grenzen festlegt. Geschichtsunterricht zu Ich möchte Ihnen von einer Erfahrung erzählen, die ich als Vorsitzende verändern ist sehr schwierig des internationalen Historikerverbands gemacht habe. Wir untersuchten, wie Ge- schichte in verschiedenen, hauptsächlich europäischen Ländern unterrichtet

Perone | von der Gablentz | Ahrweiler 46 Niemand weiß genau, was wir unter Kultur verstehen.

Ahrweiler

wird, und organisierten ein vierzigköpfiges Komitee, um eine »Geschichte Euro- pas« zu schreiben. Die Namen waren unser erstes Problem: Sollten wir zum Bei- spiel Istanbul oder Konstantinopel sagen? Dann wollten wir ein Kapitel über die Moderne in Europa schreiben, die, so nahm ich an, mit der Französischen Revo- lution begann. Als wir das sagten, verließen die britischen Kollegen den Raum, denn für sie beginnt die Moderne 1815. Aus diesen Gründen scheint es nahezu unmöglich, eine politische, militärische oder diplomatische Geschichte Europas zu schreiben. Doch warum versucht niemand, eine Geschichte der europäischen Kultur zu schreiben? Es gibt eine Geschichte der europäischen Literatur, der euro- päischen Wissenschaft und vieles mehr, aber keine der europäischen Kultur, weil niemand genau weiß, was wir unter Kultur verstehen. Darüber hinaus vermitteln Nationalgeschichten meist ein positives Selbstbild. Diese Art Geschichte wird immer noch gelehrt – natürlich nicht an den Univer- sitäten, wo wir klug sind und objektive Geschichte unterrichten, aber an Schulen. In Schulbüchern für Geschichte werden meist die Leistungen anderer übergangen und die eigenen Erfolge betont. In einem anderen Arbeitskreis haben wir ver- sucht, die französische Geschichte von Fehlern in Bezug auf die arabische und muslimische Welt zu befreien. Doch als ich die Schulbuchherausgeber auf all diese historischen Verdrehungen hinwies, erwiderten sie, dass sie das nur ändern könnten, wenn man auf der anderen Seite des Mittelmeers das Gleiche täte. Wer wird damit anfangen, diesen Teufelskreis zu unterbrechen, der eines der Haupt- probleme des Geschichtsunterrichts ist? Geschichte mag nicht das einzige Wissen sein, das man braucht, aber dem jungen Deutschen, der seinen Vater fragte, als er den Kölner Dom sah: »Papa, warum haben sie den Dom so dicht an den Supermarkt gebaut?«, könnte ein wenig Geschichtswissen helfen, etwas über die Leistungen unserer Nachbarn zu erfahren. Deshalb habe ich als Historikerin und Professorin mich und meine Kollegen stets gefragt, wie man dieses Problem bewältigen kann. Heute spricht jeder über neue Technologien, die wichtig, aber auch gefährlich sind, denn die meisten wissen heute nicht einmal, wie man ein Gemälde interpretiert. (Man sagt in Frankreich, dass in einem Museum keiner Analphabet ist, doch nie hat eine Frau mehr Unsinn zu Ohren bekommen als die Mona Lisa im Louvre.) Wenn wir also neue Technologien an unseren Schulen einführen wollen, müssen wir wis- sen, wie man damit einen kritischen und offenen Geist fördern kann und wie man vermeidet, dass junge Leuten glauben, man könne Antworten finden, indem man auf einen Knopf drückt.

47 Ahrweiler Abschließend zu Herrn Ruths Bemerkung über die Rolle der Medien und insbe- sondere der Zeitungen: Um die komplexe Realität der europäischen Zivilisation oder Kultur zu verstehen, brauchen wir gute Vermittlungsinstanzen. Zweifellos ist die Presse eines der besten Mittel, um Interesse an Dingen hervorzurufen oder Wissen zu vermitteln. Aber andere Vermittlungsinstanzen wie Pädagogen und Museumskuratoren tragen eine ähnliche Verantwortung in der Wissensvermitt- lung. Unsere Hauptaufgabe ist meines Erachtens nicht nur die Erziehung der Erzieher, sondern auch die Bildung der Politiker.

Pack Wenn Frau Ahrweiler sagt, die Jugendlichen sind heute in Europa zu Hause, dann Sprachunterricht festigt Integration stimmt das für meine Kinder und vermutlich auch für ihre. Doch wir müssen uns immer vor Augen halten, dass dies nur für eine bestimmte Schicht von Jugend- lichen zutrifft. In der Europäischen Union haben wir einige hervorragende Pro- gramme, so zum Beispiel das Erasmus-Programm, das nun glücklicherweise in das Sokrates-Programm eingebunden ist. Mit dem Comenius-Programm können end- lich auch Jugendliche, die nicht zur Universität gehen, nach dem Schulabschluss erfahren, was Europa ist. Durch das Grundwig-Programm fördern wir das life-long learning der Älteren, an die wir auch denken müssen. Bei der Aufnahme Portugals, Spaniens und Griechenlands war die Erwachsenenbildung noch kein Thema. Das hat sich erst geändert, nachdem sie vom Europäischen Parlament ins Programm aufgenommen wurde, wobei auch hier der Entscheidungsprozess nicht einfach war. Eine weitere bedeutende Erneuerung in Europa ist der Jugendfreiwilligen- dienst, mit dem Jugendliche im Alter ab 18 Jahren für einen sozialen oder kultu- rellen Dienst ins Ausland gehen und dabei auch die Sprache erlernen. Denn eins ist hier noch nicht gesagt worden: Ohne Sprachen wird sich Europa rückwärts bewegen. Unsere Hauptthese sollte sein: Ohne mindestens die Sprache des Nach- barlands sowie eine weitere zu kennen, werden wir Europa nicht stabilisieren können. Die Europäische Union befindet sich hier auf einem guten Weg, der jedoch ständig von nationalen Egoismen eingeengt wird, die sich hinter dem Wort Subsidiarität verstecken.

Griefahn Ich möchte an das anknüpfen, was Frau Pack gesagt hat. Natürlich gibt es gerade Die Bildung einer gemeinsamen in der jüngeren Generation eine gemeinsame europäische Kultur, doch das ist Kultur bedarf der Anstrengung... nicht die Kultur, die wir uns vorstellen. Diese besteht darin, dass alle Jugendlichen in Prag, Paris, London oder Moskau Britney Spears hören, im Internet surfen und »Counterstrike« spielen. Das dient der gemeinsamen Verständigung, hat aber

Ahrweiler | Pack | Griefahn 48 Eine europäische Identität entsteht wiederum nur, wenn Menschen auch die Möglichkeiten erhalten, sich zu begegnen.

Griefahn

nichts mit dem zu tun, was wir hier diskutieren. Daher möchte ich auch Herrn Roß widersprechen, der meinte, eine gemeinsame europäische Kultur könne ein- fach von unten wachsen. Im Gegenteil bedarf dies einer aktiven Anstrengung. Lassen Sie mich das mit einem Beispiel verdeutlichen: Das Deutsch-Französi- ...durch Austauschprogramme... sche Jugendwerk hatte 1963 nominell die gleichen Mittel zur Verfügung wie heute, womit es immerhin den Austausch von sieben Millionen Jugendlichen bewerkstelligt hat. Diese Mittel besitzen derzeit aber nur noch 34% ihrer früheren Kaufkraft. Viele Menschen, die heute eine Multiplikatorenfunktion ausüben, sind durch das Deutsch-Französische Jugendwerk sozialisiert worden; auch mich hat der Austausch geöffnet und mir erlaubt, europäischer zu denken. Welche Mög- lichkeiten haben wir heute, um Begegnung zu schaffen? Verwaltungsvorschriften und ähnliche europäische Maßnahmen sind für viele Menschen zu abstrakt. Europa kann als Identität begriffen werden, indem sich Menschen begegnen, und zwar nicht nur in Elitezirkeln wie hier, sondern auf allen Ebenen. Ein gutes Bei- spiel sind die Städtepartnerschaften, die der Elysée-Vertrag unterstützt. Durch sie treffen Mitglieder der Stadträte, die Sportvereine, die Chöre und viele mehr auf- einander. Hier wird deutlich, warum Sprache so notwendig ist, wie Frau Pack es ange- deutet hat. Englisch alleine reicht nicht aus, weil die Sprache auch den Zugang zu einer Kultur, zu einem Hintergrund vermittelt. Nicht umsonst heißt übersetzen im Französischen nicht »traduire«, sondern »interpréter«, da man eben den Hinter- grund durch die Sprache mitversteht. Jacques Lang hat einmal den Vorschlag gemacht, es müsste für jedes Kind in Europa Pflicht sein, neben Englisch eine wei- tere Sprache zu lernen und mit dem Schulabschluss ein bestimmtes Sprachniveau zu erreichen. Diesen Vorschlag sollten wir sehr unterstützen, denn er ist immer noch sehr umstritten, wie die Erfahrungen aus Baden-Württemberg und dem Elsass zeigen. Dort sollte Französisch ab der ersten Klasse eingeführt werden, doch die davon betroffenen Eltern reagierten mit großem Protest, da sie der Meinung waren, dass Englisch ausreiche. Auf diesem Gebiet ist daher eine aktive Anstrengung nötig, die auch politische Beschlüsse einschließt. Frau Pack hat vollkommen Recht, dass Kultur und Bildung in den Europäischen Verträgen und der Debatte im Konvent zu kurz kommen und wie eine Nebensache behandelt werden. Die entscheidende Frage ist nicht, ob politische Führungskräfte lernen, sondern – wie Herr von Weizsäcker deutlich gemacht hat – ob und wie die Bürger ihre Identität begreifen. Eine europäische Identität entsteht wiederum nur, wenn Menschen auch die Möglichkeiten erhal-

49 Griefahn ten, sich zu begegnen. Das Phänomen der Renationalisierung innerhalb einer glo- balisierten Welt, das Frau Pack beklagt, hat meines Erachtens mit der zunehmen- den Komplexität der Welt zu tun. Wenn niemand mehr weiß, von wo eine Firma regiert wird, werden nationale Identitäten wieder wichtiger für die Menschen, da sie überschaubarer erscheinen. Dies müssen wir als Fakt zur Kenntnis nehmen. Für die osteuropäischen Länder kommt hinzu, dass für sie die nationale Iden- tität ein erst nach 1990 neu gewonnenes Gut ist, das zuvor nivelliert wurde und nicht zugelassen war. Daher brauchen wir ein aktives Programm, gestützt von entsprechenden Finanzmitteln, damit Menschen sich begegnen und Identitäten entwickeln können. Intensive Lobbyarbeit in jedem Land muss sich gegen die Annahme stellen, die gemeinsame Identität werde automatisch durch den Euro, eine gemeinsame Wirtschaftspolitik und internationale Konzerne kommen. ...und Sonderregelungen Es ist von enormer Bedeutung, Ausnahmen für Bildung und Kultur in für Kultur im GATS-Abkommen Abkommen wie dem GATS (General Agreement on Trade in Services), das gerade verhandelt wird, zu verankern. Mit dem GATS-Abkommen soll nicht nur ein freier Markt für Dienstleistungen, sondern auch für Bildung oder audiovisuelle Medien hergestellt werden. Um zu verhindern, dass diese Güter nur noch unter wirt- schaftlichen Gesichtspunkten betrachtet werden, müssen wir Europäer die »ex- ception culturelle«, die Frankreich bereits in den WTO-Verhandlungen eingeführt hat, auch für uns reklamieren. Nur dann können wir weiterhin audiovisuelle Medien und Bildungsaufträge so gestalten, dass sie der Bewahrung unserer Iden- titäten und Sprachen dienen. In diesem Bereich müsste viel mehr als gemeinsa- mes europäisches Projekt unternommen werden. Dazu gehört auch, Kultur als einen Aspekt der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik aufzunehmen, als Teil einer koordinierten Prävention. Einige vorsichtige Ansätze existieren hier bereits in den Schulen und Kulturzentren, die wir gemeinsam mit England und Frankreich einrichten. Doch müssten wir Ähnliches auf europäischer Ebene tun, etwa in Form eines europäischen Kulturinstituts, in dem einzelne Identitäten berücksichtigt werden, wir aber trotzdem gemeinsam auftreten. Nur so haben wir eine Chance, der Verbreitung der reinen Britney-Spears-Kultur entgegenzuwirken.

Degot Ich werde auf Englisch sprechen, auch wenn das die Sprache der Globalisie- rung – und manche würden sagen des Imperialismus – ist. Ich nehme zum ersten Mal an einer Diskussion über europäische Identität teil, aber ich kenne die Debat- ten über die russische Identität und bin sehr überrascht, dass sie so ähnlich sind. Wir Russen glauben oft, dass nur wir nicht wissen, wer wir sind, wohin wir gehö-

Griefahn | Degot 50 Kulturelle Identität kann zur Zuflucht werden, weil Kultur etwas Ewiges ist.

Degot

ren und wer uns braucht. Der Identitätsdebatte in Russland wie in Europa scheint oft die Annahme zugrunde zu liegen, dass man von niemandem gebraucht wird, und das ruft Ressentiments und Frustrationen hervor. Vielleicht fühlen wir uns so im Verhältnis zu Europa und Europäer im Verhältnis zu Amerika. Der Eindruck ist, dass »sie« schon alles haben, was wir ihnen geben könnten, und deshalb ist es schwer zu erkennen, wozu wir gut sind. In dieser Situation kann kulturelle Identität zur Zuflucht werden, weil Kultur Eine kulturelle Identitätsdefinition etwas Ewiges ist. Doch abgesehen von der Frustration, die meines Erachtens einer kann zur Ghettobildung führen kulturellen Identitätsdefinition zugrunde liegt, schafft sie auch Ghettos. So wird zum Beispiel von eingeladenen russischen Künstlern erwartet, dass sie etwas spe- zifisch Russisches schaffen, so wie wahrscheinlich von mir erwartet wird, dass ich etwas Russisches in die Diskussion einfließen lasse. Weil kulturelle Identität Ghet- tos schafft, stimme ich Herrn Schlögel zu, dass wir Europa geografisch definieren müssen, und ich füge hinzu: auch wirtschaftlich. Wir sollten uns der neuen Fle- xibilität von Informationen und der Wirtschaft anpassen, indem wir die Mobilität der Forscher, Künstler, Museumskuratoren und anderer unterstützen. Wir sollten auch den Begriff eines europäischen Internationalismus prägen, der vielleicht neu klingt, weil Internationalismus gewöhnlich mit Amerika verbunden wird. Dieser Begriff würde über die Europäische Union hinausreichen und somit den politi- schen und wirtschaftlichen Realitäten entsprechen. Wir sollten nicht lokale Iden- titäten als Alternative zur Globalisierung verteidigen, sondern eine andere Glo- balisierung schaffen, die noch globaler und deshalb wirklicher wäre als die amerikanische Globalisierung. Dann sollten wir in Kunst und Kultur die großen Metaerzählungen rehabili- Der Kommunismus sollte tieren, die Jean-François Lyotard verdammt hat. Es ist traurig, das zu sagen, aber als Teil des europäischen Erbes die Tradition des Kommunismus wird von den ehemaligen kommunistischen Län- anerkannt werden dern genauso verleugnet wie vom übrigen Europa. Ich denke, Europa muss das kommunistische Erbe, das bis heute vollständig verleugnet wird, in seine Ge- schichte miteinbeziehen. Ich schließe mit einer Bemerkung zu den Medien. Walter Benjamin kam 1926 als Journalist nach Moskau, um die Ideen von Engagement und Zugehörigkeit zu erforschen. Anstatt sich immer kritisch zu distanzieren, wollte er einmal dazuge- hören. In seinem Tagebuch notierte er aber, dass es auf den Straßen Moskaus so rutschig war, dass er kaum gehen, geschweige denn denken konnte, sondern nur damit beschäftigt war, nicht hinzufallen. Diese Bemerkung muss man im Zusam- menhang mit Benjamins Begriff des Flaneurs verstehen, eines zeitgenössischen

51 Degot Künstler oder Intellektuellen, der durch die Straßen geht, nachdenkt und Dinge kritisiert. In der extremen historischen Situation, in der er sich selbst befand, konnte er kein Flaneur sein, weil er nur daran dachte, nicht hinzufallen. Journa- listen in Russland geht es heute ähnlich. Sie glauben wahrscheinlich, dass es bes- ser ist, sich darauf zu konzentrieren, nicht hinzufallen, und sind deshalb unfähig zur Kritik. Ich halte dies für einen Fehler, wie es auch damals für Benjamin ein Fehler war. Er verließ das Land, weil er nicht dazugehörte und nicht Teil des Geschehens wurde. Wenn Journalisten es heute möglich ist, in Russland zu blei- ben, dann müssen sie unbedingt ihre kritischen Fähigkeiten erhalten und den glatten Straßen und ihrer Angst trotzen.

Smith Walter Benjamin in Moskau ist ein sehr interessantes Beispiel für uns, weil es das Wir sollten die historischen Besonderheiten Problem der Übertragbarkeit nationaler Kulturen verdeutlicht. Benjamin sprach des Kulturaustauschs stärker beachten kein Wort Russisch, die kyrillischen Buchstaben waren für ihn nur unlesbare Zei- chen, und sein Übersetzer, Bernhard Reich, zeigte ihm nur einen speziellen Teil von Moskau. Er erlebte die Stadt auch zu einem ganz bestimmten historischen Zeitpunkt, als der Trotzkismus an Einfluss verlor. Fast symbolisch traf er bereits am Abend seiner Ankunft in Moskau den Schriftsteller Lebovic, Neotrotzkist und Kopf einer literarischen Gruppe, der am nächsten Tag nach Sibirien deportiert wurde. Obwohl es einige angedeutet haben, vermisse ich in dieser Diskussion die Frage nach der Besonderheit der kulturellen Interpenetration, die wir momentan erfahren. Als Amerikaner vertrete ich hier vielleicht Britney Spears ebenso wie Arthur Miller, oder sogar Walter Benjamin, der in amerikanischen Literatenkrei- sen verehrt wird, oder Wolfgang Peterson, der zu einem der führenden amerika- nischen Regisseure geworden ist. Dieser Aspekt wurde hier etwas vereinfachend dargestellt. Ein Wort zur tagespolitischen Debatte. Wenn man die Reaktion europäischer Intellektueller auf Donald Rumsfelds Aussage über das »alte« Europa in den Feuil- letons verfolgt, so finde ich es bemerkenswert, wie weit gehend sich die Intellek- tuellen ihre Themen vom amerikanischen Verteidigungsminister vorgeben las- sen. Und bedauerlicherweise nimmt vieles von dem, was ich gelesen habe, nicht auf Amerikas außenpolitische Traditionen Bezug, ganz im Unterschied zu den Neokonservativen, die gerade ihre eigene Geschichte umschreiben, indem sie sich als Wilsonier bezeichnen. Kultur hängt auch Dann möchte ich anmerken, dass man bei einer Diskussion über europäische mit Macht zusammen Kultur auch Fragen der Macht und Machtlosigkeit berücksichtigen muss. Um es

Degot | Smith 52 dialektisch auszudrücken: Es ist sowohl falsch als auch richtig, dass europäische Identität von außen definiert werden muss, sei es in Abgrenzung zu einem pene- trant negativen Bild der amerikanischen Kultur – das sich aus Blue Jeans und Brit- ney Spears zusammensetzt – oder zum Vorbild amerikanischer kultureller Viel- falt. Was die Frage der Sprache anlangt, ist eine kulturübergreifende gegenseitige sprachliche Durchdringung unbedingt notwendig. Die Dominanz des Englischen im Internet zum Beispiel ist problematisch. Die zweisprachigen Webseiten des Staats Kalifornien zeigen, wie ein mehrsprachiges Internet eine praktische Ant- wort auf das Problem der Sprachdominanz sein kann. Abschließend möchte ich anregen, dass wir uns mehr auf die Zukunft als auf die Vergangenheit der europäischen Kultur konzentrieren. Wer Europas reiche Kulturgeschichte mit Immanuel Kant und Wolfgang Amadeus Mozart heraufbe- schwört, bestimmt ironischerweise a-historisch, was Europa ausmacht, denn so schenkt man zukünftigen Entwicklungen, die sicherlich weltoffenere Traditionen hervorbringen werden, zu wenig Beachtung.

Die Fülle an Frage- und Problemstellungen, die hier aufgeworfen werden, möchte Gehler einen beinahe kapitulieren lassen. Doch erst wenn wir uns der Problemfülle und Tragweite der Schwierigkeiten voll bewusst werden, können wir Lösungen ent- wickeln. Herr von Weizsäcker hat ein grundlegendes Dilemma der Europäischen Ein stärkeres gemeinsames Union angesprochen, nämlich die Diskrepanz zwischen dem Ökonomie- und Effi- Kulturbewusstsein für weitere Integration zienzprinzip auf der einen und dem Legitimations- und Transparenzprinzip auf der anderen Seite. Auf der ökonomischen und politischen Ebene kommen wir momentan offensichtlich nicht mehr substantiell voran. Binnenmarkt und Wäh- rungsunion sind weit gehend realisiert. Der Integrationsprozess hat einen Grad erreicht, an dem nun seine Steuerungsmöglichkeiten und Manövrierfähigkeit fraglich werden. Deshalb diskutieren wir hier über Kultur, und die Entwicklung unseres Gesprächs verdeutlicht die Schwierigkeiten, die wir mit diesem Thema haben. Wir kreisen immer wieder um den Kulturbegriff, der zu diffus und zu wenig definiert ist; stürzen uns unvermittelt auf das Thema, streifen es nur und schweifen wieder ab. Das kulturhistorische und -politische Bewusstsein in Europa bleibt defizitär. Ein Grund dafür liegt darin, dass die westeuropäische Integration ein Umweg war. Es war ein technokratischer, handelsmarkt- und währungspolitischer Um- weg, auf dem zwar eine Kulturpolitik von oben, quasi staatlich gelenkt und kon-

53 Smith | Gehler trolliert zur Stützung der westeuropäischen Integration zwischen der Bundes- republik Deutschland und Frankreich initiiert wurde. Doch auf dieser Basis wurde kein gesamteuropäisches Kulturbewusstsein geschaffen. Hätte man das versucht, hätte die Frage gestellt werden müssen, wer für die Teilung des Kontinents tat- sächlich verantwortlich ist. Diese Verantwortung war nicht nur eine sowjetrussi- sche oder US-amerikanische, sondern auch – und das ist das heiße Eisen – eine europäische, um es präziser zu sagen, eine westeuropäische. Daher steht Kultur heute erst am Ende dieses Umwegs, und man wird sich noch mit den Ost- und Mitteleuropäern und ihren historischen Erfahrungen beschäftigen müssen. Es ist zu Recht angesprochen worden, dass die Intellektuellen und Historiker oft in Carl Spitzweg-Manier mit aufgespannten Regenschirmen im Zimmerchen sitzen und die Realität nicht wahrnehmen. Aber ganz so schlimm ist es nicht, wenn Sie in der Geschichtswissenschaft beispielsweise die Cultural Studies neh- men, die sich seit zehn oder fünfzehn Jahren bahnbrechend auf die Fährte der Kriechströme, um Herrn Schlögel zu zitieren, begeben haben. Hier wird deutlich, dass Diplomatie-, Macht- und Wirtschaftsgeschichte nicht ausreichen, sondern dass wir auch den kulturellen Hintergrund erforschen sollten. Wir müssen daher nichts neu begründen, sondern uns nur auf die Suche nach uns selbst begeben. Und wir werden fündig werden, denn das Kapital unserer europäischen kulturel- len Ressourcen ist enorm. Italien, Österreich und die Zu den Medien und der häufig fehlenden politischen Verantwortung: Hier Anwendung ethischer Prinzipien sollten wir uns mehr an ethischen Prinzipien orientieren, also an solchen Grund- pfeilern der europäischen Identität und Kultur wie Immanuel Kants kategori- schem Imperativ und Max Webers Unterscheidung zwischen Verantwortungs- und Gesinnungsethik. Was den Fall Italien angeht, stimme ich mit Frau Echerer überein. Doch der Sündenfall war nicht Italien mit der Wahl Silvio Berlusconis im Mai 2001 und den ausgebliebenen Maßnahmen der anderen vierzehn EU-Staaten, sondern der völlig verfehlte Umgang mit Österreich im Jahr 2000. Dort wurde durch eine übereilte und kopflose Isolationspolitik kaputtgemacht, was ein Jahr später in Italien möglicherweise sinnvoller hätte angewendet werden können. Nun wurde durch die Neuregelung des Artikels 7 EU-Vertrag verfahrenstechnisch die Latte für Sanktionsverfahren so hoch gelegt, dass eine praktische Anwendung wie im Falle Österreichs höchst unwahrscheinlich ist. Zuletzt noch eine Anmerkung zur Frage der Zumutbarkeit von Geschichte für junge Menschen, die Herr Wagner zu Recht angesprochen hat. In den Geschichts- verlagen, die ja nicht nur in Deutschland in der Krise sind, kann man einen deut-

Gehler 54 lichen Trend hin zu kompakten Aufsatzsammlungen und Essays erkennen, der teilweise zu Lasten der Seriosität und der Wissenschaftlichkeit geht. Hier sollte die Wissenschaft affirmativer sein, Zunftzwänge ablegen und sich zu neuen Darstel- lungsformen bekennen. Zudem laufen wir in der Geschichtswissenschaft Gefahr, nicht nur zu nationalstaatlich zu bleiben, sondern auch zu eurozentrisch zu wer- den. Die Europäisierung der Zeitgeschichte ohne Einbeziehung der Globali- sierungseffekte genügt nicht. Wir werden beispielsweise die massiven Proteste von Jugendlichen beim EU-Gipfel in Göteborg nicht verstehen, wenn wir nicht die vorausgehende Antiglobalisierungsbewegung berücksichtigen. Diese Wechsel- wirkungen zwischen globalen und europäischen Prozessen gilt es erst noch anzu- denken und für die historische Forschung zu erschließen.

Zunächst zur Erziehung. Ich glaube nicht, dass es einen Dissens darüber gibt, wie Schlögel außerordentlich wichtig Erziehung ist, wobei Erziehung nicht als propagandis- Europäer müssen eine gemeinsame tisch, nicht künstlich oder absichtsvoll verstanden wird, sondern als Vergegen- Sprache für ihre unterschiedlichen wärtigung der Standards und des kulturellen Erbes. In diesem Bereich haben wir Erfahrungen finden Fortschritte gemacht. Doch in der Geschichtswissenschaft stehen wir noch ganz am Anfang, denn bis auf die wenigen zitierten Ausnahmen sind es additive und nicht europäische Geschichten. Nun ist sicher das nationale Narrativ zu eng und nicht auf der Höhe der europäischen Erfahrung, aber es ist sehr schwierig, euro- päische Geschichte zu schreiben. Dies würde bedeuten, eine Sprache zu finden für vollkommen unterschiedliche, zum Teil auch antagonistische Erfahrungen, wie schon die zentralen Beispiele aus dem 20. Jahrhundert zeigen: Erster großer Krieg, Gründung der Nationalstaaten in Ost-/Mitteleuropa, Krise der Demokratie, totalitäre Regime, Zweiter Weltkrieg, Genozid und das europäische Vertreibungs- geschehen, das immerhin 60 bis 80 Millionen Menschen involviert hat. Wie können Deutsche, Polen, Juden, Tschechen, Rumänen, Ungarn usw. dafür eine ge- meinsame Sprache finden? Mit Pädagogik im Sinne von absichtsvollen Erklärun- gen ist da sicherlich nichts auszurichten. Vielmehr müssen die Europäer einen Rahmen finden, sich gegenseitig ihre konträren und oft antagonistischen Ge- schichten zu erzählen. Daraus wird irgendwann – das kann man nicht dekretie- ren – ein europäisches Narrativ, eine europäische Geschichte entstehen. Dieser Prozess der Sprachfindung und der Verständigung ist sehr schwierig, aber höchst interessant. Um eine unnötige Frontbildung zu vermeiden, möchte ich zum Thema »Neu- Wer die Augen öffnet, begründung« erläutern, dass ich damit nicht meine, Europa neu zu entdecken, so entdeckt Europa neu

55 Gehler | Schlögel wie man den Nordpol noch einmal entdecken oder das Fahrrad neu erfinden sollte. Vielmehr geht es um die Vergewisserung der Stärke, um eine Anerkennung der Fragilität und bisweilen der Fragwürdigkeit von dem, was besteht. Neubegrün- dung heißt die Gegenwart prüfen; sie ist damit die kritische Pointe gegen den Habitus des Weitermachens, der 1989 unterbrochen wurde. Es wurde vorhin ge- sagt, wir könnten die Menschen nicht ein zweites Mal auf die Schule schicken – das stimmt. Doch wer nicht ein zweites Mal die Augen aufmacht und endlich anfängt, sich Breslau, Krakau, Prag, Kaliningrad oder Vilnius anzusehen, der ist nicht europafähig. In diesem Sinne müssen wir neu anfangen und uns dieses ganze Europa vergegenwärtigen. Lassen Sie mich noch einmal betonen, dass ich den gegenwärtigen Prozess als Wiedereintritt in die europäische Komplexität verstehe. Wir wachsen langsam wieder in eine Komplexität hinein, wie sie im Jahr 1913 bereits bestand und die wir durch ethnische und kulturelle Säuberung, durch entsetzliche Vorgänge zer- stört haben. Für mich ist noch ganz offen, ob wir dieser Herausforderung in einem zweiten Anlauf gewachsen sein werden. Wir müssen akzeptieren, dass Europa kein Spaziergang sein wird. Politiker scheinen manchmal zu denken, sie könnten Europa hinter dem Rücken der Bürger herbeiführen. Das wird scheitern; denn irgendwann wird es Referenden geben, in denen die Leute sich dagegen wehren. Daher muss man offen sagen, dass es hart werden wird und dass es neue Kon- kurrenz geben wird. Man muss zugeben, dass die Veränderungen beunruhigen und neue Reibereien entstehen werden. Harmonisierung und rhetorische Besänf- tigung sind für diesen schwierigen Prozess nicht angemessen. Menschen richten ihr Schließlich möchte ich anmerken, dass die Politiker in den letzten zehn, fünf- Leben ganz neu ein zehn Jahren mit der politischen Transformation großartige Arbeit geleistet haben. Mit allen Künsten der Diplomatie wurde die Auflösung der Hemisphären und der Blockgrenzen, die Wiedergewinnung der Souveränität und zum Teil auch der Einheit von Völkern bewerkstelligt. Aber jetzt kommt etwas anderes auf uns zu, nämlich die Neueinrichtung des Lebens. Moskau beispielsweise, diese atembe- raubende Boom-Stadt, erfindet sich ganz neu und richtet sich neu ein. Überall in Mittel- und Osteuropa versuchen Abermillionen von Menschen einen neuen Le- bensstil für sich zu begründen. In diesem Prozess der Neueinrichtung des Lebens und der Schaffung neuer Routinen spielen Städte die zentrale Rolle. Daher ist für mich das Europa der Bürgermeister so wichtig, vielleicht wichtiger als das »Europa der Hochebene« oder auch das Europa von Brüssel, auch wenn man diese Dinge nicht im Gegensatz zueinander diskutieren sollte. Zudem bin ich der Meinung,

Schlögel 56 Ich finde es besorgniserregend, dass eine Europa-Diskussion nur dann in Gang kommt, wenn entweder Barbaren vor der Türe stehen oder wenn ein amerikanischer Verteidigungsminister eine Bemerkung über das »alte« Europa macht.

Schlögel

dass wir in den letzten zehn Jahren mit einer Reihe von bemerkenswerten Bür- germeister-Persönlichkeiten gesegnet worden sind, die ein bedeutendes Krisen- management geleistet haben. Juri Luschkow, der Bürgermeister von Moskau bei- spielsweise, mag umstritten sein, aber es ist beachtlich, dass er es geschafft hat, diesen 12-Millionen-Moloch vor der Gefahr des Bürgerkriegs zu bewahren und Moskau von einer sowjetischen Hauptstadt in eine boomende Weltstadt zu ver- wandeln. Ähnliches gilt für die Bürgermeister von Budapest oder Warschau. Lassen Sie mich mit einer Frage abschließen: Warum hat in den neunziger Warum gibt es seit 1989 Jahren keine wirkliche europäische Diskussion in dem Sinne stattgefunden, wie keine Europadebatte? es sie nach 1945 und in den achtziger Jahren gegeben hat? Nach 1945 lag Europa danieder. In dieser Situation musste man ganz neue Überlegungen anstellen. Die Gründerväter Europas waren beseelt von der Wiedergeburt Europas aus den Rui- nen. Daher war das europäische Projekt nach 1945 kein rein ökonomisches, son- dern ein umfassendes, politisches und kulturelles. In den achtziger Jahren spürte man förmlich die Erosion der Alten Welt, also des geteilten Europas. Der Mittel- europa-Diskurs dieser Zeit hatte etwas ungemein Inspirierendes, er brachte Europa in Fahrt, das dann 1989 strahlend dastand. Ich verstehe nicht, warum es heute keine inspirierte Europa-Diskussion gibt. Ich finde es besorgniserregend, dass eine Europa-Diskussion nur dann in Gang kommt, wenn entweder Barbaren vor der Türe stehen und Europa sich durch die Bedrohung neu definieren muss oder wenn ein amerikanischer Verteidigungsminister eine Bemerkung über das »alte« Europa macht.

Dazu möchte ich bemerken, dass wir heute die große Chance einer wirklichen von der Gablentz Europa-Debatte haben, auch wenn sie verspätet ist. Ansätze dazu gab es bereits beim Vertrag von Maastricht und der Einführung des Euros. Doch diese Ansätze verliefen meist nach der Methode der fünfziger Jahre: Man antwortet auf Sach- zwänge und weitet die Zuständigkeitsbereiche der Europäischen Union aus. Diese Entwicklungen verliefen aber losgekoppelt vom Bewusstsein der Menschen. Für mich ist daher das Ziel unserer Debatte heute, etwas zur Lösung dieses Grund- problems beizutragen.

Es ist für mich eine interessante Erkenntnis, dass wir uns immer dann, wenn wir Maaz von einem funktionierenden Europa-Begriff sprechen, auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg beziehen. Was die »Neubegründung« angeht, so denke ich auch, dass man Europa nicht neu schaffen, sondern eine Identität neu begründen muss. Hier

57 Schlögel | von der Gablentz | Maaz liegt eine verlockende Aufgabe, auch auf Seiten der Museen, ja der Kultur- vermittlung und der Präsentation der Traditionen generell, wobei wir uns immer in dem Spannungsfeld zwischen regionaler, nationaler und europäischer Kunst- und Kulturgeschichte befinden. Dabei sollten wir zwischen den verschiedenen Kunstgattungen unterscheiden, die mit unterschiedlicher Effizienz operiert wer- den können. So sind die bildenden Künste viel leichter zu vermitteln als die an das Wort gebundene Kunst. Das heißt, wir sollten den Transmissionsriemen der Kul- tur differenzierter betrachten, als wir es bisher getan haben. Globalisierung überholt An die Metapher der Kriechströme möchte ich die ebenfalls metaphorische die Europäisierung Frage anknüpfen: Sind das eigentlich Wechselströme, oder ist es Gleichstrom? Ich glaube, dass es vorwiegend ein einseitig gerichteter, also ein Gleichstrom ist, und halte das für einen Teil des Problems. Kurz gefasst: Der russische Installations- künstler Ilja Kabakov ist nicht direkt aus Russland, sondern über die USA nach Europa gekommen. Demzufolge lautet meine These, dass die Globalisierung heute die Europäisierung überholt. Dem kann man nur durch die Schaffung europäi- scher Kulturinstitutionen entgegenwirken. Der Begriff des Kriechstroms sugge- riert, wir hätten flächendeckende Projekte in ganz Europa. Doch bisher haben wir immer nur axiale Projekte, etwa mit Titeln (und Blickachsen) wie »Berlin-Moskau«. Zum Beispiel verkörpert das Deutsche Forum für Kunstgeschichte in Paris die starke Achse Paris-Berlin. Diese Projekte leben von Personen, in diesem Fall Tho- mas Gaehtgens, und sind noch lange nicht flächendeckend ausgebaut. Ein ande- res Beispiel ist ein Forschungsprojekt der Museen in Weimar, das sich mit Henry van de Velde beschäftigt. Damit wären wir wieder im Europa vor 1914 angelangt, also in der Zeit, in der Europa tatsächlich als geistige Einheit funktioniert hat. Vor dieser Zeit gab es immer wieder ein offenes Europa, wenngleich in einer gewissen Kontinuität der Brüche: Deutsche Künstler lernten in Paris, belgische Maler stellten in Deutsch- land aus, französische Kunst wurde von deutschen Sammlern erworben, deutsche Künstler studierten auf einer dänischen Akademie. Deswegen muss und kann man mit diesen Brüchen gut leben; sie sind der eigentliche Reichtum der euro- päischen Kultur. Aus den Schwankungen solcher axialen Beziehungen resultiert die Sinuskurve der Historie, und jetzt scheinen wir uns – so, wie ich das Gespräch hier deute – im Aufschwung dieser Kurve zu befinden. Das deckt sich auch mit der Tatsache, dass eine immer größere Zahl internationaler Gemeinschaftspro- jekte das Bild der Museums- und Ausstellungslandschaft bereichert.

Maaz 58 Ich möchte den Beitrag von Herrn Schlögel, in dem er den fehlenden Europa- Keller Diskurs der Intellektuellen bedauerte, als Anregung nehmen, über das Literatur- »Europa schreibt« – symposion »Europa schreibt – was ist das Europäische an den Literaturen Euro- ein Literatursymposion pas?« zu berichten, das wir gemeinsam mit der Körber-Stiftung genau aus diesem Anlass veranstalten. Das große Schweigen der Intellektuellen zu Europa setzte seltsamerweise in dem Augenblick ein, als Europa politisch zur Debatte stand, in den neunziger Jahren. Heute scheint Europa mehr denn je Probleme damit zu haben, seine eigene Gegenwart als eine europäische zu verstehen. Wenn das europäische Bewusstsein tatsächlich nicht auf der Höhe seiner eige- nen Realität ist, dann müssen wir uns fragen, wie man diese Lücke schließen kann. Was braucht Europa, um eine eigene, nicht nur ökonomisch verstandene Identität zu entwickeln? Wie lernt Europa, sich selbst zu verstehen und selbstbe- wusst zu handeln? Aus der eigenen Geschichte zum Beispiel: Ferdinand Seibts Europa-Buch beschreibt, wie zentral das Wegesystem für die ungeheure Dynamik und Erfolgsgeschichte Europas war. Dieses differenzierte, weit verzweigte Wege- system quer durch Europa, an dessen Rändern sich die Städte gebildet haben, ermöglichte einen innereuropäischen Austausch von Wissen, handwerklichen Fertigkeiten und Informationen, wie er sonst nirgendwo auf der Welt zu finden war. Daneben führten Intellektuelle wie Erasmus und viele andere mit großer Selbstverständlichkeit ein Gespräch über europäische Grenzen hinweg, das Europa zum Thema hatte. Gleichzeitig mit dem Austausch von Waren und Wis- sen fand in Europa also immer auch ein Prozess der Verständigung über sich selbst statt. Diese Form der Verständigung ist heute im Zeitalter der Information abge- brochen. Europa kann mit seinen ungehobenen historischen Schätzen, seinem geistigen Reichtum genauso wenig umgehen, wie es mit diesen neuen, von Herrn Schlögel als Kriechströme bezeichneten Geschichten umgehen kann, in denen das Europa von heute sich selbst kennen lernen könnte. Unser Symposion ist ein kleiner Versuch, diese Lücke zu schließen. Wir wol- len damit zwei Probleme gleichzeitig angehen, nämlich zum einen lernen, mit den europäischen Differenzen produktiv umzugehen, die Vielfalt als ein enormes kulturelles Potenzial zu verstehen, und zum anderen auf der Basis dieser Unter- schiede über das Gemeinsame in Europa nachzudenken, um den europäischen Diskurs wiederzubeleben. Die Essays, die für dieses Symposion geschrieben wur- den, zeigen ein erstaunliches Wissen um das Dilemma, in dem wir stecken. Dabei fällt ein Unterschied zwischen den westeuropäischen und osteuropäi- schen Sichtweisen auf, so wie sie sich in den Essays darstellen. Für die Osteuro-

59 Keller päer ist Europa ein sehr stark kulturell besetzter Begriff – ambivalenter, kom- plexer, bedeutungsvoller als für die Westeuropäer. Westeuropäer sehen Europa weit gehend als identisch mit dem Konstrukt EU, das heißt, sie haben ein prag- matisch-politisches und funktionales Verhältnis zu Europa. Europa ist für sie eine Frage von Lebensqualität, von Reise- und Austauschmöglichkeiten, aber man ver- bindet nichts Emphatisches mehr damit, keine Idee, keine Utopie. Aufgrund ihrer schwierigen Geschichte sind sich die Osteuropäer der Komplexität des europäi- schen Bewusstseins viel bewusster. Auffallend ist, dass alle diese Essays erzählen, was sie zu Europa beizutragen haben. Und alle bieten ihren Beitrag als Europäer, nicht aus ihrer nationalen Perspektive an. Viele Osteuropäer reagieren empfind- lich darauf, wenn sie nur als Repräsentanten ihrer Nation gesehen werden. Die Kroatin Dubravka Ugresic sagt zum Beispiel von sich, sie lebe in Amsterdam, reise überall in der Welt herum und das Letzte, was sie sei, sei eine kroatische Schrift- stellerin. Sie habe größtes Interesse an Europa und bedaure sehr, dass der »Grand Prix d’Eurovision« zurzeit den Höhepunkt der mentalen Vereinigung des moder- nen Europa darstelle. Literatur ist die gemeinsame Sprache Wir müssen uns also fragen, wie diese Bewusstseinslücke geschlossen werden für europäische Erfahrungen kann. Anders als Herr Schlögel meine ich, dass die Schriftsteller und Intellekt- uellen hier eine sehr große Rolle spielen. Denn all die von ihm beschriebenen komplexen Veränderungen auf diesem Kontinent sind ja auch der Stoff der Lite- ratur, Gegenstand von Erzählungen, sie spiegeln sich in Tausenden von Geschich- ten. Es geht also eher darum, dass all diese Geschichten auch von den jeweils ande- ren europäischen Ländern wahrgenommen werden. Und bei dieser Frage der Neugier aufeinander existiert in Europa ein enormes innereuropäisches Defizit. Die kulturelle Neugier richtet sich auf Amerika, der Blick geht nach Westen. In den osteuropäischen Essays wird sehr deutlich kritisiert, dass die Perspektive des Westens weiterhin dominant ist. Osteuropäische Literatur wird an dem gemessen, was für den Westen interessant ist, und nicht an dem, was die Schriftsteller über ihre Wirklichkeit erzählen wollen und in Europa einzubringen haben. Wenn es also darum geht, ein europäisches Narrativ zu entwickeln und eine gemeinsame Sprache für europäische Erfahrungen zu finden, dann sind die Schriftsteller gefragt. Um diese individuellen Geschichten als europäische Geschichten zu deuten, brauchen wir vielleicht in einem zweiten Schritt die Intel- lektuellen, die diesen gemeinsamen geistigen Schatz, der verstreut in den ein- zelnen Geschichten verborgen ist, ins europäische Bewusstsein heben. Die Selbst- vergewisserung dessen, was europäisch ist an den Literaturen Europas und an den

Keller 60 Europäer zu sein heißt für mich, Verantwortung für Europas Zukunft zu übernehmen.

Glondys

Erfahrungen der Gegenwart, ist angewiesen auf die Intellektuellen und Schrift- steller. In seiner gesamten Geschichte hat sich Europa seiner selbst immer auch in der Literatur vergewissert, angefangen bei Homer über Johann Wolfgang von Goethe bis heute. Literatur ist besonders dazu geeignet, die Komplexität und Undurchsichtigkeit der Gegenwart zu erkennen, die von Politikern gerne igno- riert wird. Und der Begriff der Komplexität wird für die Zukunft Europas ein ganz essentieller sein, wenn es gilt, herauszufinden, was dieses Europa eigentlich ist, was es sein will, kann und soll.

Ich will aus der Sicht einer Osteuropäerin erklären, was es bedeutet, Europäer zu Glondys sein. Ich habe an den positiven wie auch negativen Seiten europäischer Ge- Eine osteuropäische Sichtweise schichte Anteil. Doch für mich erlebte Europa seine Blüte nicht vor 1914, sondern in der Renaissance. Ich gehöre zum kulturellen Erbe Europas, auch weil deutsche, italienische, russische und nicht nur polnische Künstler zur Entwicklung mei- ner Heimatstadt Krakau beitrugen. Meine Sprache hat lateinische Wurzeln, und meine Spiritualität gründet auf christlichen Werten. Aber das Christentum ist nicht die einzige geistige Basis der europäischen Zivilisation, denn beispielsweise die polnische Gesellschaft schließt auch nicht-christliche Gruppen wie die Tar- taren ein. Europäer zu sein heißt für mich, Verantwortung für Europas Zukunft zu über- »Villa Decius« nehmen. Deshalb engagiere ich mich für kulturelle Projekte, die zur Entwicklung einer europäischen Identität beitragen. Wir versuchen Inhalte wie Menschen- rechte, interkulturellen Dialog und die Bedeutung ethnischer und nationaler Min- derheiten zu vermitteln. In weiteren Konzeptionen werden Künstler zu europäi- schen Projekten ermutigt, beispielsweise eine Interpretation von Samuel Beckett aus der Sicht einer anderen Kultur. Diese Projekte finden in der Villa Decius statt, die von dem Elsässer Justus Decius gebaut wurde, der Sekretär des polnischen Königs Sigismund des Alten und ein Freund von Nikolaus Kopernikus und Eras- mus von Rotterdam war. Die Villa ist ein Ort der Reflexion und Kreativität, ein Raum für offenen Dialog zwischen Ost- und Westeuropa. Polen gehört zu Mittel- europa, was vielleicht darauf hindeutet, dass wir beim Dialog der Kulturen eine Mittlerrolle spielen könnten. So sollten alle Europäer mit uns die Verantwortung tragen, sich um die Länder zu kümmern, die außerhalb der Schengener Grenzen liegen werden, und ihnen helfen, so dass sie nicht so allein gelassen werden, wie wir es einmal wurden. Die europäischen Verträge machen deutlich, dass Kultur in der Europäischen

61 Keller | Glondys Union nur eine sehr begrenzte Rolle spielt. Das muss sich ändern, und Einrich- tungen wie die Villa Decius, die unabhängig von der Lokalpolitik und im Charak- ter europäisch sind, indem sie die Werte des Humanismus und der Renaissance pflegen, sollten unterstützt werden.

Glondys 62 II. Aufgaben der Kulturpolitik im Rahmen der Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union

Nach dieser Debatte über die grundlegenden Themen der Geschichte und Wirk- von der Gablentz lichkeit europäischer Kultur eröffne ich die zweite Sitzung. Unser Thema heißt nun »die Aufgaben der Kulturpolitik im Rahmen der Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union«. Es geht also darum, welche Aspekte europäischer Kul- tur politisch relevant sind und welche Instrumente auf allen verschiedenen Ebe- nen uns zur Verfügung stehen, um Kultur zu fördern, zu formen und für die euro- päische Integration nutzbar zu machen. Wir werden nun zur Einführung in die kulturpolitische Diskussion zunächst drei Impulsreferate hören.

Was die Rolle und die Herausforderungen der Kulturpolitik im Rahmen der Erwei- Griefahn terung und Vertiefung der EU angeht, möchte ich zunächst Herrn Schlögel zu- »Wiedervereinigung« statt »Osterweiterung« stimmen, der den Begriff der Osterweiterung ablehnt und stattdessen den der Wiedervereinigung vorzieht. Im Prozess dieser Wiedervereinigung müssen wir uns dessen bewusst sein, dass die osteuropäischen Staaten ihre gerade erst zurückgewonnene staatliche Souveränität verteidigen werden. Das Modell des souveränen Nationalstaats als Gegenentwurf zur ehemaligen Sowjet-Herrschaft bildet dort immer noch das bestimmende politische Koordinatensystem und steht in einem Spannungsverhältnis zur europäischen Integration. Die Furcht vor Ver- lust von nationalen kulturellen Identitäten ruft jedoch in ganz Europa kulturpo- litische Abwehrmechanismen hervor. In den osteuropäischen Ländern äußert sich dies als antisowjetischer Reflex, in den westeuropäischen Ländern eher als antiamerikanischer Reflex, wie die aktuelle Debatte über das »alte« und »neue« Europa zeigt. Die kulturpolitische Herausforderung besteht darin zu erreichen, dass beide Mechanismen in ein europäisches Kulturverständnis und nicht in nationale Schemata münden. Zudem wird von einigen Politikern das Subsidiaritätsprinzip instrumentalisiert, um zu einer Renationalisierung bzw. Enteuropäisierung der Politik zu gelangen. So wird in der öffentlichen Diskussion das Europa der Kulturen als ein Europa primär der Nationen und ihrer Nationalkulturen pro- pagiert. Aus diesen Gründen scheint eine erfolgreiche europäische Einigung ohne aktive europäische Kulturpolitik unmöglich, denn ein wiedervereinigtes Europa wird auch in qualitativer Hinsicht ein verändertes Europa sein. Zwei unter- schiedliche politische Kulturen, die während der Ost-West-Konfrontation ent- standen sind, müssen zusammenwachsen, und wir werden gleichzeitig eine Re- naissance des Europas der Kulturen erleben. Die Gemeinschaft ist auf diese Entwicklungen aber weder institutionell noch inhaltlich wirklich vorbereitet,

63 von der Gablentz | Griefahn Eine erfolgreiche europäische Einigung ohne aktive europäische Kulturpolitik scheint unmöglich.

Griefahn

weshalb die Kulturpolitik für die Gestaltung der Erweiterung politisch bedeutsam wird. Kulturelle Vielfalt Die Herausforderung besteht somit darin, eine europäische Kulturpolitik zu als europäisches Anliegen schaffen, welche die Vielfalt der Kulturen in Europa anerkennt und unterstützt, ohne das Subsidiaritätsprinzip für antigemeinschaftliche Zwecke zu missbrau- chen. Bisher findet nur eine Addition der einzelnen nationalen Politiken statt, wobei es sogar noch mehr Kulturpolitiken als Mitgliedsländer gibt, da einige föde- rale Länder – wie Deutschland oder Belgien – selbst jeweils mehrere Kulturpoliti- ken haben. Nur wenn es uns gelingt, die Erhaltung der kulturellen Vielfalt als europäisches Interesse zu definieren, können wir Netzwerke europäischer Kultu- ren schaffen und so eine europäische Identität herstellen. Dies wiederum ist Vo- raussetzung dafür – und da kommt der machtpolitische Aspekt herein, den Herr Smith angesprochen hat –, dass Europa gegenüber anderen Regionen in der Welt ein gewisses Gewicht erhält. Wie wichtig dieser Aspekt ist, zeigt die aktuelle Debatte. Wenn wir also von der kulturellen Einheit Europas sprechen, dann wol- len wir das gemeinsame kulturelle Erbe hervorheben und dem kulturpolitischen Partikularismus zugunsten des Konzepts der Komplementarität des Gemein- schafts-Handelns eine Absage erteilen. Unser gemeinsames Erbe ist das aktive, engagierte, selbstbestimmte, von Bürgern getragene Europa, das vielfältige pri- vate Initiativen einschließt. Unser Ziel sollte sein, das Europabild der Bürger, das sich momentan stark auf Brüssel und seine Verordnungen konzentriert, durch eines zur ersetzen, das die Stärke, die sich aus unseren Gemeinsamkeiten und Unterschieden ergibt, berücksichtigt. Artikel 151 stärken Die Hauptinstrumente, die der Europäischen Union momentan zur Verfü- gung stehen, basieren auf Art. 151, Absatz 1 und 4 des EU-Vertrages. Dabei begrün- det Art. 151.1 keine Kulturgemeinschaft, sondern zielt darauf ab, Kulturpolitik zwischen den Mitgliedsstaaten abzustimmen, und betont die Wahrung und För- derung der Vielfalt der Kulturen. Die Kulturverträglichkeitsklausel des Artikels 151.4 EUV bestimmt die Beachtung kultureller Aspekte in anderen Politikberei- chen, was zurzeit aber noch als Gebot der Rücksichtnahme auf die kulturellen Interessen der Mitgliedsstaaten interpretiert wird und keine neuen Kompetenzen der Gemeinschaft schafft. Um Kulturpolitik zu institutionalisieren, müssen wir daher dringend die Forderung in die Verfassungsdiskussion im Konvent einbrin- gen, dass die Kulturverträglichkeitsklausel vergleichbar der Umweltverträglich- keitsklausel gestärkt und auf europäische Interessen angewandt wird. Außerdem sollten wir den Vorschlag der Kulturverbände unterstützen, Artikel 151 dahin-

Griefahn 64 gehend zu ändern, dass für die Abstimmungsverfahren nicht Einstimmigkeit, sondern eine qualifizierte Mehrheit vorgeschrieben ist. Das würde eine nachhal- tige Aufwertung der Kultur im bisher überwiegend ökonomisch und wettbe- werbspolitisch orientierten Vertragsgeflecht der Europäischen Union zur Folge haben. Die GATS-Verhandlungen beispielsweise würden dann auch automatisch von den Vertretern der Europäischen Union anders behandelt werden müssen, als wenn nur die Wettbewerbspolitik an erster Stelle steht. Meine zweite Forderung ist die Einrichtung eines auf breiter Ebene angesie- Mehr Kulturaustausch delten Kulturaustauschs in der EU und einer Kulturpolitik, die ein gegenseitiges Verständnis für die kulturellen Eigenarten der anderen sichert. Wir benötigen nicht nur eine flächendeckende Informations- und Austauschpolitik innerhalb Europas, sondern auch einen verstärkten Dialog der Kulturen mit Nicht-Euro- päern. Gerade nach dem 11. September ist die Frage zentral, ob der Clash der Kul- turen wirklich stattfindet oder ob wir einen Dialog der Kulturen bewerkstelligen können. Doch muss Europa in diesen Dialogen kritisch bleiben und zeigen, dass Vielfalt der Kulturen eben auch Unterschiedlichkeit bedeutet. Konkret muss Europa seine kulturellen Werte der Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte offensiv vertreten, ohne seine eigene Historie in den Hinter- grund zu drängen; das Gleiche kann es auch von den Partnern verlangen. Auf diese Weise könnte auch der Werte-Relativismus, der eine latente Gefahr eines falsch verstandenen Dialogs der Kulturen sein kann, vermieden werden. Dann las- sen sich auch Gemeinsamkeiten finden, anstatt nur Unterschiede zu konstatieren, wie es manchmal in der Debatte mit dem Iran geschieht. Wie Johano Strasser lege ich Wert darauf zu betonen, dass die Menschenrechte auch zu unserem kultur- geschichtlichen Hintergrund gehören. Schließlich möchte ich für die Schaffung einer europäischen auswärtigen Kul- Wir brauchen eine gemeinsame turpolitik plädieren. Kulturelle Faktoren spielen eine zunehmend bedeutende auswärtige Kulturpolitik Rolle in der internationalen Politik. Dies wird deutlich einerseits bei den Ausei- nandersetzungen um den Globalisierungsprozess, andererseits bei den vielen innerstaatlichen Konflikten, die neben machtpolitischen häufig auch ethnische und religiöse, also kulturelle Ursachen haben. Daher benötigen wir neue Strate- gien der Konfliktvermeidung und -behebung, die sich auf kulturelle Faktoren beziehen. Eine Gemeinsame Europäische Außen- und Sicherheitspolitik darf sich nicht auf Polizeiausbildung und die Koordinierung von Waffensystemen beschränken, sondern muss auch auswärtige Kulturpolitik beinhalten. Ihr Ziel sollte sein, ähnlich wie dies bei der KSZE und OSZE der Fall ist, Konfliktprävention

65 Griefahn durch die Förderung von Zivilgesellschaften und Dialogorientierung zu betreiben. Gerade in diesem Bereich könnte Europa als Gemeinschaft unterschiedlicher Kul- turen ein Alternativkonzept zu den USA anbieten. Entscheidend ist, in der aus- wärtigen Kulturpolitik die Gefahr einer politischen Instrumentalisierung von Kunst und Kultur zu vermeiden. Denn – das belegen Beispiele aus Ländern, in denen Goethe-Institute auch nach dem Abbruch der politischen Kontakte weiter- existierten – Kunst und Kultur können eine unabhängige Kommunikationsebene für Reformkräfte schaffen, auch wenn auf der politischen Ebene keine Kontakte mehr möglich sind. Um das zu erreichen, muss die europäische Ebene die Haushaltsmittel im Kul- turbereich aufstocken. Im Jahr 2000 wurde gerade einmal 0,1% des Budgets der Gemeinschaft für die Bereiche Kultur und audiovisuelle Medien ausgegeben, ohne Mittel aus dem Strukturfonds oder anderen Gemeinschaftsinterventionen mitzu- zählen. Wenn wir Kulturpolitik als eine europäische und nicht als eine nationale Aufgabe begreifen, dann müssen wir auch die Mittel bereitstellen und über Pro- gramme wie Erasmus hinausgehen.

de Vries Zunächst zu Herrn Schlögels Bemerkung, er ziehe das Europe des Salons, also ein Europa der aufgeklärten Bürger, dem Konferenz-Europa, also der anonymen und bürokratischen Zusammenarbeit von Staaten, vor. Bei dieser Vorstellung schlug uns wohl allen das Herz höher, denn Europa ist dann am besten, wenn es um Men- schen geht. Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass das Europa der Intellektuel- len nicht imstande war, die Grausamkeiten zu verhindern, die mehrfach auf die- sem Kontinent gewütet haben. Die europäische Zivilgesellschaft konnte weder den Ersten noch den Zweiten Weltkrieg, noch den Völkermord in Jugoslawien ver- hindern. Daher brauchen wir auch das öffentliche Europa, für das die Arbeit des Europäischen Konvents eine wichtige Rolle spielt. Wie können wir eine Bisher hat sich die Europäische Union meist nach einer funktionalen Logik europäische Polis schaffen? entwickelt, das heißt, die Integration erfolgte Schritt für Schritt und breitete sich von einem Gebiet aufs nächste aus. In vielerlei Hinsicht war dieser Prozess unge- heuer erfolgreich und hat zur Schaffung des Binnenmarkts, der gemeinsamen Währung und zur Integration anderer Politikbereiche geführt. So verdankt zum Beispiel die Umweltpolitik in einigen Ländern der Europäischen Kommission min- destens so viel wie den nationalen Regierungen und Parlamenten. Diese Leistun- gen sollten nicht unterschätzt werden. Dabei fehlt jedoch ein entscheidender Aspekt. Es mag eine europäische Politik geben, aber es gibt kein europäisches

Griefahn | de Vries 66 Gemeinwesen. Das heißt, wir identifizieren uns meist nicht mit einer europäi- schen Regierung und fühlen uns nicht für sie verantwortlich. Die Hauptfrage für den Europäischen Konvent ist daher, wie man ein politischeres Europa und wie man aus den vielen verschiedenen Nationalgeschichten eine Polis schaffen kann. Nationale Politiker – und ich sage das als ehemaliges Mitglied der holländi- schen Regierung – sind für dieses Problem mitverantwortlich. Obwohl sie in Brüs- sel zusammenarbeiten, scheuen sich Minister oft davor, dafür zu Hause Verant- wortung zu übernehmen und die Entscheidungen der Öffentlichkeit zu erklären. Im Ergebnis schweigen politische Eliten die Bedeutung europäischer Institutionen für die Lösung nationaler Probleme tot. Politiker leugnen oft die wichtige Stellung, die Europa innehat, weil sie glauben, andernfalls ihren nationalen Einfluss zu ver- lieren. So vernachlässigen sie ihre Aufgabe, demokratische Unterstützung für die auf europäischer Ebene vereinbarte Politik zu mobilisieren, und machen es den Menschen schwer, sich als Bürger Europas zu verstehen. Wie können wir das Selbstverständnis als Bürger Europas stärken? Zunächst: Unionsbürgerschaft stärken Die Methoden, die im Zuge der Nationalstaatsbildung im 19. Jahrhundert ver- wendet wurden, können heute nicht mehr angewandt werden. Damals, wie es etwa Eugen Weber in dem Buch »Peasants into Frenchmen« beschreibt, wurde die Bürgerschaft von oben geschaffen – durch die allgemeine Wehrpflicht, nationale Bildungssysteme und die Stärkung der Nationalsprache auf Kosten regionaler Sprachen. Europa kann auch nicht auf Symbole zurückgreifen, die denen der Nationalstaaten ähnlich wären. Es gibt keine Denkmäler für die historischen Schlachten der Europäischen Union. Sie hat keine Schlachten gewonnen, weil sie glücklicherweise keine geschlagen hat. Deshalb müssen die Symbole, auf die sich eine europäische Identität gründet, andere sein als die der nationalen lieux de mémoire, die wir gewohnt sind. Welche Alternativen haben wir? Ich möchte zumindest drei Elemente einer etwas komplexeren Antwort andeuten. Erstens ist es ganz entscheidend, dass wir voneinander lernen, besonders was die Geschichte des jeweils anderen angeht. Es klingt vielleicht banal, aber Völkerverständigung basiert auf gegenseitigem Ler- nen, und das müssen wir besonders zu einem Zeitpunkt unterstützen, an dem die Union sich erweitert. Wir sollten die Geschichten und Lebensformen anderer Nationen stärker im Unterricht berücksichtigen, da diese Dimension von unseren nationalen Bildungssystemen vernachlässigt wird. Wir sollten auch mehr über unsere eigenen Geschichten lernen, darüber, wie sie aus politischen Gründen im 19. Jahrhundert manipuliert wurden und welche Rolle die Amnesie spielt. Um Vor-

67 de Vries urteile zwischen den Völkern Europas abzubauen, müssen wir uns zunächst unse- ren Vorurteilen über unsere eigene Vergangenheit und Identität stellen. Das ist für den Aufbau eines europäischen Gemeinschaftssinns äußerst wichtig. Zweitens müssen wir die Beziehung zwischen Europa und dem Islam klären. Migration macht die Frage des Staatsbürgerrechts zu einem wichtigen Bestandteil in unserem Dialog mit dem Islam. In diesem Zusammenhang finde ich weniger wichtig, was Samuel P. Huntington als clash of civilizations bezeichnet hat, sondern vielmehr den Konflikt innerhalb der Kulturen, zwischen dem fundamentalisti- schen und dem modernen Islam, zwischen dem toleranten und dem intoleranten Europa. Wollen wir in Europa einen inklusiven Bürgerbegriff, der den Islam mit einbezieht, oder nicht? Diese Frage wird in Europa umstritten sein, und an ihr werden sich viele politische Parteien spalten. Drittens sollten wir als Europäer unsere Ziele bestimmen. Identität und Staats- angehörigkeit haben viel mit der Vergangenheit zu tun und damit, wer wir zu sein glauben. Doch die entscheidende Frage betrifft die Zukunft und wer wir sein wollen. Welche Ambitionen verfolgen wir, und wofür möchten wir in der Welt stehen? Welche gemeinsamen Werte wollen wir innerhalb der Union und gegen- über der restlichen Welt verkörpern? Ist in den Beziehungen zu anderen Staaten beispielsweise unsere Unterstützung der Menschenrechte nur ein Lippenbekennt- nis, oder stehen wir für sie ein, wenn die Zeiten schwierig werden? Intellektuelle ebenso wie Politiker und Journalisten müssen sich diesen Fragen annehmen. Ich schließe mit zwei Empfehlungen, die eng an Frau Griefahns Vorschläge angelehnt sind. Erstens konzentriert sich der Europäische Konvent, wenn es um Bürger geht, meist ausschließlich auf das Wahlrecht, also auf recht eng gefasste institutionelle Fragen. Ich glaube, wir sollten den Begriff der Bürgerrechte aus- weiten und das Recht einbeziehen, an anderen Kulturen in Europa teilzuhaben, indem man andere Sprachen lernt, einige Zeit im Ausland verbringt und zu den Austauschnetzwerken gehört. In der Europäischen Union und in den Mitglieds- staaten sollten wir uns zum Ziel setzen, dass jedes Schulkind einige Zeit in einer Familie in einem europäischen Land verbringen kann, um zu lernen, was es heißt, in einem anderen Land zu leben. Die Kulturpolitik beschränkt sich zumeist auf die Förderung von Austauschen zwischen Künstlern, etwa Bildhauern oder Fil- memachern. Diese Programme sind zwar notwendig, aber wir sollten auch auf die europäischen Durchschnittsbürger zugehen und sie in unsere kulturpolitische Strategie miteinbeziehen. Einen europäischen politischen Raum bilden Zweitens brauchen wir das, was im Französischen elegant une espace politique,

de Vries 68 Bürger zu sein bedeutet mehr als wählen dürfen. de Vries

auf Deutsch ein politischer Raum heißt, wofür es aber keine gute englische Ent- sprechung gibt. Damit ist ein politischer Diskurs auf europäischer Ebene gemeint, d.h. Debatten über bestimmte Themen, die in verschiedenen Ländern gleichzei- tig stattfinden. Zurzeit haben wir getrennte nationale Diskussionen, aber keine gemeinsamen. Die Europäische Kommission könnte solche Debatten organisie- ren, die dann möglicherweise zu gemeinsamen Folgerungen führen. Bürger zu sein bedeutet mehr als wählen dürfen. Wir brauchen eine grenzübergreifende Diskussion, wie wir sie an diesem Tisch führen. Neben den Journalisten könnten Institutionen wie dieser Gesprächskreis einen wichtigen Beitrag zum Bürgersinn leisten.

Danke für diesen Beitrag von einem Mitglied des Europäischen Konvents, der im von der Gablentz Mittelpunkt der entstehenden Diskussion über das neue Europa steht.

Ich möchte auf die Bemerkungen von Herrn de Vries zur Rolle des Islam in Europa Ergüder eingehen. In der Europäischen Union sind muslimische Minderheiten oft schlecht Soziale Ausgrenzung schafft in die Gesellschaften integriert, in denen sie leben. Daher rührt der Vorwurf, dass Nährboden für radikalen Islam der fundamentalistische Islam aus Deutschland und anderen Ländern in die Tür- kei exportiert wird. Lassen Sie mich das genauer erklären: Es ist ein bekanntes soziologisches und kulturelles Phänomen, dass eine Bevölkerung, die nicht inte- griert ist und sich ausgeschlossen fühlt, auf extreme religiöse und politische Werte anspricht. Während der siebziger und achtziger Jahre haben sich in Deutschland türkisch-marxistische Organisationen gebildet, die sich dann auch auf die Türkei ausgeweitet haben. Das Gleiche passiert heute mit dem religiösen Fundamentalismus. Nehmen Sie zum Beispiel den 11. September, der für mich nicht nur ein religiöses Phänomen ist, sondern auch Ausdruck der Unzufrieden- heit derer, die aus unserem globalen System ausgegrenzt werden. Religion kann also dazu dienen, andere Probleme zu artikulieren.

Erlauben Sie mir ein Wort zur Situation der Kulturstiftung des Bundes in Deutsch- Völckers land. Mit einem Budget von fast 38 Millionen Euro im Jahr bemühen wir uns seit Die deutsche Kulturstiftung des Bundes knapp einem Jahr darum, ein Instrument zu schaffen, das greift. Diese Einrich- tung, die in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern erst spät gegründet wurde, soll gleichzeitig der Erinnerung und der Zukunft dienen. Damit würde sie beide von Frau Ahrweiler beschriebenen Aspekte einschließen, nämlich das kul- turelle Erbe und die dynamische Weiterentwicklung.

69 de Vries | von der Gablentz | Ergüder | Völckers Ich finde es mutig, dass eine Argentinierin, die aus der Kultur und nicht aus dem akademischen Bereich kommt, gebeten wurde, Formen zu finden, in denen Kul- turschaffende und Wissenschaftler einander kennen lernen, miteinander produ- zieren und ihre eigenen Geschichten erzählen können. Diese Institution ist als Bindeglied zwischen Politik und Kunst gedacht, und zu ihren thematischen Schwerpunkten gehören Europa, die kulturellen Folgen des 11. September sowie die kulturelle Dimension der deutschen Einigung. Durch unsere Projekte in Argentinien, China und anderswo versuchen wir, die Asymmetrie der Wahrneh- mungen, die angesprochen wurde, etwas auszugleichen. In Skopje, Sarajewo, Mos- tar, Bukarest, Sofia, Warschau und an vielen anderen Orten zielen unsere Projekte darauf ab, einen Standort zu schaffen, an dem Künstler und Wissenschaftler kom- plexe und differenzierte Inhalte diskutieren können, und damit eine Öffentlich- keit herzustellen, die für die Entstehung demokratischer Gemeinschaften unab- dingbar ist. Eine wichtige Erfahrung war für mich, dass Künstler und Wissenschaftler an diesem Prozess mitwirken und dem spezifischen Wissen der Kultur Raum geben. Das kommt auch in Deutschland bislang viel zu kurz. Unser Beitrag geht weit über das Theaterprogramm oder schöne Ausstellungen hinaus. Mit geht es beim Aufbau der Kulturstiftung des Bundes im Wesentlichen darum: Bedingun- gen und Möglichkeiten zu schaffen, damit verschiedene Geschichten erzählt wer- den können.

Jones Zu unserer Diskussion über europäische Geschichte, die Frau Ahrweiler angeregt Europas Regionen dürfen hat, empfehle ich Norman Davis’ Buch »The History of Isles«, in dem er sich gegen nicht unterschätzt werden die Gleichsetzung Großbritanniens mit England wehrt. Wie Sie wissen, bezeich- nen die französischen, belgischen, holländischen und deutschen Medien Groß- britannien immer als »England« und leugnen so die Existenz anderer Regionen. Das Beispiel Hamburgs zeigt, dass die Regionen Europas unglaublich dynamisch sind. Meist jedoch spielen sie in den politischen Prozessen auf europäischer Ebene nur eine untergeordnete Rolle. In Brüssel werden die Regionen jetzt von 163 Büros und Delegationen vertreten, die untereinander Netzwerke und Partnerschaften bilden. Diesen Beitrag der Zivilgesellschaft zur Kultur sollten wir nicht ignorieren. Widersprüche und Gefahren sehe ich in zwei parallel laufenden Prozessen auf europäischer Ebene: den so genannten Frühjahrs-Gipfeltreffen, auf denen die »Ziele von Lissabon« diskutiert werden, und den Diskussionen im Europäischen Konvent.

Völckers | Jones 70 Zunächst zu den Frühjahrs-Gipfeln: Im Jahr 2000 verpflichteten sich die Staats- Die Frühjahrsgipfel der EU oberhäupter in Lissabon, in der Europäischen Union bis 2010 das weltweit beste wissensbasierte Wirtschaftssystem aufzubauen. Auf diese Aufgabe wurde sehr viel Energie verwendet. Im Kern ging es um die Entwicklung einer koordinierten Beschäftigungsstrategie, nicht zuletzt als Folge der hohen Arbeitslosigkeit, unter der weite Teile Europas leiden. Die Strategie nennt vier Prioritäten: Erstens, unter- nehmerisches Können zu fördern. Zweitens, die Fähigkeit des Einzelnen zu stär- ken, sich während des Arbeitslebens an Wandel und Innovationen anzupassen, d.h. lebenslanges Lernen von der frühen Kindheit bis zur Weiterbildung in klei- nen und mittleren Unternehmen. Drittens geht es darum, die Arbeitsfähigkeit zu stärken, wobei man vor allem an die 20% der Jugendlichen denkt, die ohne jede Qualifikation die Schule verlassen. Und viertens, Chancengleichheit herzustellen, nicht nur zwischen Frauen und Männern, sondern auch für behinderte Menschen und ethnische Minderheiten. Um diese vier Ziele angemessen verfolgen zu können, muss Europa die Poli- tikbereiche Bildung, Ausbildung, Forschung und Kultur integrieren. Die recht- lichen Grundlagen dafür wurden im Maastricht-Vertrag gelegt und im Vertrag von Amsterdam vervollständigt, der dazu verpflichtet, für die Ausbildung der Arbeits- kräfte Sorge zu tragen. Die Strategie von Lissabon ist deshalb so entscheidend, weil sie versucht, ein besseres Gleichgewicht zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik zu finden. Beide Politikfelder werden durch Investitionen in Menschen, durch Bil- dung und Innovationen verbunden. Dabei spielt der Sozialfonds der Europäischen Union, den man eigentlich Aus- und Weiterbildungsfonds nennen sollte, eine zen- trale Rolle. Er ist neben der gemeinsamen Agrarpolitik und dem Fonds zur Ent- wicklung der Regionen der drittgrößte Strukturfonds, und seine Bedeutung wächst schnell. Irland ist das beste Beispiel für das Potenzial solcher Fonds. Es hat 37% aller EU-Gelder in die Verbesserung der Aus- und Weiterbildung auf allen Ebe- nen investiert. So wurde es in den letzten zehn Jahren zur größten wirtschaft- lichen Erfolgsgeschichte Europas und vielleicht der Welt. Die Ziele von Lissabon werden durch offene Politikkoordination verfolgt. Das heißt, Länder vergleichen ihre Arbeitsmethoden und Projekte, um die besten herauszufinden. Es geht also darum, Netzwerke zu schaffen und Erfahrungen auszutauschen. Diese neue Form der Zusammenarbeit, die keiner gesetzlichen Grundlage bedarf, erweist sich als zunehmend effektiv, zumal durch das europäische Forschungs- und Entwick- lungsprogramm – das erste, das sich auf Investitionen im Bildungsbereich kon- zentriert – erhebliche finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen.

71 Jones Beunruhigende Signale aus Das zweite wichtige Ereignis ist der Europäische Konvent. Dort zeichnen sich zwar dem Europäischen Konvent: einige positive Entwicklungen ab, so zum Beispiel die Schwerpunkte »soziales Europa« und »die Rolle der Regionen«, die ab Februar 2003 besprochen werden. Doch eine Reihe formeller und informeller Signale des Konvents finde ich äußerst beunruhigend. Zuerst die guten Nachrichten. Eine Mehrheit im Konvent scheint die Aufnahme der Grundrechtscharta in die Präambel des Vertrags zu unterstüt- zen, als Ausdruck der gemeinsamen Werte, auf denen die Europäische Union beruht. Der Konvent billigt offenbar auch den Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Dieses doppelte Bekenntnis wird es Bürgern in ganz Europa kurz vor der Erweiterung ermöglichen, sich mit den gemeinsamen Wer- ten zu identifizieren. Die Renationalisierung von Zu den schlechten Nachrichten gehört, dass die Renationalisierung von Bil- Bildung und Kultur steht wieder dung, Kultur und möglicherweise anderen Politikbereichen wieder auf der Tages- auf der Tagesordnung ordnung steht. Diese Frage wurde vor einem Jahr von einigen deutschen Bundes- ländern ein wenig ambivalent aufgeworfen und wird jetzt selbst auf höchster Ebene wieder diskutiert. Das ist eine gefährliche Entwicklung, auch wenn ich nicht glaube, dass der Konvent Bildung und Kultur aus dem Vertrag streichen oder hinter den Maastricht-Vertrag zurückfallen wird. Auch die Subsidiaritätsdebatte könnte schlimme Folgen haben. Für einige Politikbereiche ist ausschließlich die EU zuständig, während für viele Bereiche die Zuständigkeiten gemischt sind. Da- rüber hinaus hat eine Arbeitsgruppe im Konvent vorgeschlagen, einige so ge- nannte unterstützende zusätzliche Maßnahmen in den Entwurf einzubeziehen, die von der Gesetzgebungskompetenz der EU ausgeschlossen sind. Der Konvent hat zwar zunächst sehr kritisch auf diesen Vorschlag reagiert, aber dennoch scheint er in den neuesten Verfassungsentwurf eingeflossen zu sein. Betrachten wir den Maastricht-Vertrag, der sich in Artikel 150 mit Bildung befasst, etwas genauer. Dieser Artikel ist hauptsächlich dem Erfolg des Erasmus- Programms zu verdanken, das sich nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch bei der Wirtschaft großer Unterstützung erfreut. Obwohl Jacques Delors damals Schwierigkeiten voraussah, wurde dieser Artikel einstimmig und nahezu ohne kontroverse Diskussion angenommen. Das war nur möglich, weil er eine Subsidi- aritätsklausel enthält, die bestimmt, wofür die Europäische Union nicht zustän- dig ist. So darf die EU keine Bildungssysteme, -strukturen oder Curricula verein- heitlichen. Ebenso wurde auch mit dem Kulturartikel 151 verfahren und übrigens auch mit den neuen Bestimmungen zur Gesundheitspolitik. In allen drei Fällen wurden die Ausnahmen klar definiert und damit rechtliche Bestimmungen

Jones 72 geschaffen, die nicht bedrohlich wirken. Rechtliche Handlungsgrundlagen sind in der Europäischen Union so wichtig, weil sie Voraussetzung für alle finanziellen Bestimmungen sind. Was jedoch die Ergebnisse anlangt, die im Kulturbereich auf der Grundlage von Art. 151 erreicht wurden, stimme ich mit meinen Vorrednern überein, die sie als sehr dürftig beschrieben haben. Das ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern es kommt auch auf die richtigen Einfälle und auf eine Politik an, die positive Anreize schafft. Aber es sind auch gute Programme wie Erasmus entstanden, und wir dürfen deshalb im Konvent nicht ihre rechtliche Grundlage eliminieren. Denn ohne sie würde sogar das Erasmus-Programm scheitern. Das Erasmus-Programm hat die anfängliche Mobilitäts- und Austauschrate von 0,5% innerhalb der Europäischen Union erheblich erhöht. Von Frankreich, Deutschland und Großbritannien wurde es auf alle europäischen Länder ausge- weitet, von denen die meisten vorher keine Austausch-Programme hatten. Der Erfolg des Erasmus-Programms beruht auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, das heißt, es wurde freiwillig von unten umgesetzt statt von oben erzwungen. Uni- versitäten und höhere Bildungseinrichtungen bestimmen alle Aspekte der Zusammenarbeit selbst. Das Programm gilt nicht nur für Fremdsprachen, son- dern für alle Disziplinen, und es führte dazu, dass ein Auslandsstudium für den akademischen Abschluss anerkannt wird. Auf diese Weise wurde die äußerst schwierige Frage der gegenseitigen Anerkennung akademischer Qualifikationen gelöst. Noch wichtiger ist aber, dass es jungen Leuten Gelegenheit gab, im Ausland zu leben und zu studieren und das zu erfahren, wozu Herr de Vries aufgerufen hat: Freundschaften zu schließen und Vorurteile über andere Völker und Kultu- ren abzubauen. Joshua Fishman, ein berühmter Soziolinguist, hat es so formu- liert: »Wir sollten alle die Welt durch eine andere Brille betrachten, um uns ande- ren Blickwinkeln und Lebensweisen auszusetzen und uns selbst mit den Augen anderer zu sehen. Die Menschheit ist nicht überall aus dem gleichen Stoff gemacht, und die Wirklichkeit entspricht nicht vollkommen unseren anschei- nend allgegenwärtigen hausgemachten Vorstellungen.« Um diese Ideen zu verwirklichen, sollten wir sehr bald dem Konvent konkrete Zur Antwort: vier Vorschläge und klare Vorschläge unterbreiten. Erstens sollten wir uns mit Nachdruck für die für den Konvent Aufnahme der Grundrechtscharta in die Präambel des neuen Vertrags ausspre- chen. Sie sollte auch einen Hinweis auf die enger werdenden Beziehungen zwi- schen den Völkern – nicht nur den Länder – enthalten. Darin käme die Ver- pflichtung zum Ausdruck, in den Bereichen Bildung und Kultur enger zusammenzuarbeiten. Zweitens sollten wir überzeugend darlegen, dass das Prin-

73 Jones zip der Subsidiarität in den beiden bestehenden Artikeln zu Bildung und Kultur hinreichend geschützt ist. Da genau definiert ist, was von der Gemeinschafts- politik ausgeschlossen ist, muss niemand diese Bestimmungen fürchten. Drittens sollten die Europäische Union, ihre Mitgliedsstaaten und die Zivilgesellschaft ermutigt werden zu überlegen, was auf Grundlage dieser zwei Artikel getan werden kann. Das geht zwar über die konkrete Aufgabenstellung des Konvents hinaus, doch wurde er einberufen, um die Verbindung zwischen der Europä- ischen Union und ihren Bürgern zu verbessern. Diskussionen über eine doppelte Präsidentschaft oder andere Aspekte der institutionellen Maschinerie mögen faszinierend und politisch wichtig sein, aber sie werden dieses Ziel nicht errei- chen. Viertens müssen für die Kulturpolitik unbedingt qualifizierte Mehrheitsent- scheidungen gelten, wenn wir uns von fünfzehn auf fünfundzwanzig Mitglieder erweitern. Schließlich sollten wir den Begriff des europäischen Bürgers an- spruchsvoller definieren. Die Identitätsdebatte wird uns nirgendwohin führen. Wir haben wohl alle multiple Identitäten – so wie ich aus Swansea komme, ein leidenschaftlicher Waliser bin, einigermaßen froh bin, Brite zu sein, und hocher- freut darüber, Europäer und ein Globetrotter zu sein. Der Konvent sollte ein Bür- gerrecht formulieren, das über das Wahlrecht hinausgeht und das uns nicht bedroht, sondern kreativ sein lässt.

von der Gablentz Die drei einleitenden Beiträge stellen drei große Probleme zur Diskussion. Erstens die Möglichkeiten der internen und externen europäischen Kulturpolitik; zwei- tens das Problem der europäischen Bürgerschaft als Teil einer kulturpolitischen Entwicklung und drittens die konkreten Zuständigkeiten der Europäischen Union, zugespitzt auf die Diskussion im Konvent über soziale und kulturelle Aktionen, die weiter reichen, als es meistens erscheint. In diesem Punkt hat uns Hywel Jones dankenswerterweise eine Insiderperspektive präsentiert.

David Ich möchte versuchen, unsere Diskussion über die Geschichte und Wirklichkeit Der Islam ist bereits Teil der europäischen Kultur mit der Erörterung der Instrumente der Kulturpolitik zu der europäischen Wirklichkeit verbinden. Zunächst zur europäischen Wirklichkeit. Wenn ich mich in Europa umsehe, erkenne ich, dass die Dinge sich viel weiter entwickelt haben, als es hier beschrie- ben wurde. In Paris gibt es zweifellos einen französischen, verfassungstreuen Islam. Viele französische Muslime sind so etabliert, leben so normal und vertre- ten die Werte der Republik, dass es mir unvorstellbar erscheint, noch darüber zu

Jones | von der Gablentz | David 74 Viele definieren sich heute eher durch ihre Lebenswege, ihre »routes«, als durch ihre Herkunft, die »roots«.

David

diskutieren, ob der Islam Teil der europäischen Wirklichkeit sein sollte oder nicht. Problematisch sind die schlechten Lebensverhältnisse und die Extremisten. Extre- misten gibt es zwar keinesfalls nur im Islam, aber über sie wird regelmäßiger berichtet als über andere. Mohammed Arkoun, ein großer Kenner der europäi- schen und islamischen Kulturen, hat darauf hingewiesen, dass Christen oder Juden sich nie rechtfertigen müssen, während junge Franzosen, die zufällig auch Muslime sind, dazu ständig aufgefordert werden. Diese Diskrepanz ist äußerst fragwürdig und für mich unerträglich. Leider hat uns die Debatte über Identität nicht sehr weit gebracht. Wir sollten Identität hat mehr mit »routes« uns darüber im Klaren sein, dass wir gelegentlich von einer Ursprungsfantasie als mit »roots« zu tun sprechen und es gut wäre, sich von manchen Äußerungen zu distanzieren. Es gibt im Französischen das schöne, aussagekräftige Wort se déprendre, das bedeutet, von Teilen der Vergangenheit Abstand zu nehmen oder zu akzeptieren, dass sie verlo- ren gehen. Das führt nicht zu Nostalgie oder Bitterkeit, sondern macht uns durch- lässiger und offener und lässt uns bewusster wahrnehmen, welche Vorteile und Gefahren in klaren Alternativen liegen. Ich halte es für angemessener, von Iden- tifikationsprozessen zu sprechen, weil viele sich heute eher durch ihre Le- benswege, ihre »routes«, als durch ihre Herkunft, die »roots«, definieren. Wir kön- nen viel lernen von diesem neuen kulturellen Erbe, das sich aus komplexen Wegen zusammensetzt, die Menschen nicht immer freiwillig gegangen sind. Auch sollten wir mit unseren Worten sehr sorgsam umgehen und Exil und Migration nicht verwechseln. In seinem wunderbaren Buch »La Double Absence« hat der franko-algerische Soziologe Abdelmalek Sayad beschrieben, wie es Emigranten ergeht, die weder zu ihrer alten Gesellschaft gehören noch zu der neuen, in die sie sich »integrieren« wollen. In meiner täglichen Arbeit mit Künstlern erlebe ich mehr Offenheit und Viel- falt, als viele Kultursendungen suggerieren. Deshalb muss ein richtig verstande- ner Europäismus gegenüber der Welt offen und mit dem verbunden sein, was wir im Französischen mondialité nennen. Wir unterscheiden zwischen Globalisierung – mondialisation –, also der wirtschaftlichen Integration und der Mobilität von Informationen und Kapital, und mondialité, einem Bewusstsein für die Welt, für unsere Stellung in ihr und unsere Beziehungen zu anderen Menschen. Diese Denkart sollte uns davor bewahren, das Europäische allzu eng zu definieren. Was das Bild angeht, das andere von uns als Europäer haben, bin ich oft über- Inkonsequentes Handeln rascht und manchmal traurig über die Ansichten, auf die ich bei meinen Reisen schadet Europas Image treffe. Menschen erwarten oft entweder zu viel oder sind übertrieben enttäuscht.

75 David Im Nahen Osten wurde mir öfter gesagt, ich sei kein Europäer, was mich zuerst irritierte, mich aber nach einer Weile ganz zufrieden machte. Was folgt daraus für die Politik? Wenn wir konsequente Europäer sein wollen, können wir nicht mehr von Srebrenica sprechen, ohne auch Ruanda und Tschetschenien zu erwähnen. Wir haben von den Holländern in Srebrenica gesprochen, und ich denke, wir kön- nen auf Frankreichs Rolle in Ruanda genauso wenig stolz sein. Diese Tragödie sollte uns mehr berühren. Es sind zu viele Menschen gestorben, und die Doppel- moral in unseren Reaktionen erklärt zum Teil, warum sich immer mehr Men- schen über die Europäer ärgern. Auf aktuelle Ereignisse bezogen, können wir nicht glaubwürdig täglich über Saddam Hussein und seine angeblichen Massenvernichtungswaffen berichten, ohne gleichzeitig Vladimir Putin zu verurteilen, der verbotenes Giftgas gegen seine eigene Bevölkerung einsetzt. Wir müssen mit dieser Doppelmoral aufhören, sonst machen wir uns der Mittäterschaft schuldig, die in Schizophrenie und manchmal in sehr tragischen Situationen endet. Manche definieren die Grenzen Europas dort, wo die Barbarei beginnt. Wir sollten nicht vergessen, dass heutzu- tage in Europa Menschen von der Flughafenpolizei erstickt werden. Dieser Vorfall war nicht nur ein Unglück oder Zufall, sondern konnte aufgrund gefährlicher und undemokratischer Einstellungen in unserer Gesellschaft passieren. Das sollte Gegenstand unserer Diskussionen sein, und wir sollten aufhören, vieles für selbst- verständlich zu halten. Es genügt nicht, dass Europa ein großer Markt ist, wenn es eine Reihe von Staaten gibt, die durch Notverordnungen oder im Ausnahmezustand regiert wer- den, wie es Giorgio Agamben kürzlich in einem Text dargelegt hat, womit er nicht 1940, sondern unsere Zeit beschreibt. Dieser Text ist kritisiert worden, weil er zu sehr nach Michel Foucault klang, aber ich finde ihn wichtig, weil er genau und kritisch ist und uns ernsthaft veranlasst, darüber nachzudenken, was zum Bei- spiel zurzeit in Italien vorgeht. Es schockiert mich, dass viele meiner Kollegen den Fall Italien nicht ernst nehmen. Sie halten das für eine Art von commedia dell’arte und nehmen es auf die leichte Schulter, dass der Staat gerade demontiert und ein Großteil der italienischen Öffentlichkeit auf dramatische Weise einge- schränkt wird. Es ist kein Luxus, heute Europäer zu sein, sondern dazu gehört ein Mindestmaß an Radikalismus, an Genauigkeit und an kritischem Bewusstsein, außer wir verstehen Kultur als reine Verzierung.

David 76 Vielen Dank für diese wichtige Mahnung, dass glaubwürdige Europäer auch glaub- von der Gablentz würdige Weltbürger sein müssen, die sich für das verantwortlich fühlen, was anderswo auf der Welt geschieht.

Frau Griefahn hat über die Arbeit des Konvents bereits so ausführlich und enga- Cuzin giert gesprochen, dass ich mich dem Gesagten lediglich anschließen möchte. Kulturpolitik wird auf allen Lassen Sie mich einige Anmerkungen zum Subsidiaritätsprinzip machen. Wir politischen Ebenen gemacht haben bereits die Verantwortung der Europäischen Gemeinschaft für die Kultur- politik angesprochen, und ich möchte betonen, dass alle Träger des öffentlichen Rechts für das europäische Projekt verantwortlich sind. Die Kulturhoheit der Län- der in Deutschland ist dabei ein wesentlicher Punkt. In unseren Diskussionen über Geldmittel und die Legitimität gemeinschaftlichen Handelns lassen wir häu- fig außer Acht, dass europäische Politik eine gemeinsame Politik aller Träger ist. So ist eben nicht nur die Europäische Kommission durch Programme wie Kultur 2000, Media+ und Media-Ausbildung für den Austausch verantwortlich, sondern genauso Gemeinden, Länder und Staaten. Nach über 40 Jahren europäischer Inte- gration haben wir noch immer nicht akzeptiert, dass jede Politik den europä- ischen Faktor im Kern beinhalten sollte und dass Politik auf europäischer Ebene komplementär zur Landes- bzw. Staatspolitik ist. Gerade im kulturellen Bereich sollten alle politischen Ebenen zusammen- arbeiten. Neben der Vergemeinschaftlichung der Kulturpolitik im Geiste der Kul- turverträglichkeitsklausel des Artikel 151 EUV brauchen wir eine stärkere Beteili- gung aller Ebenen an der Umsetzung dieser Politik. Das bedeutet auch, dass wir den gesellschaftlichen Wandel in den letzten 50 Jahren berücksichtigen müssen. Anlässlich des 40. Jahrestags des Elysée-Vertrags war viel davon die Rede, dass die beiden Gesellschaften sich in den letzten vierzig Jahren zum Teil voneinander ent- fremdet haben, nicht zuletzt deshalb, weil sich die deutsch-französischen Bezie- hungen völlig normalisiert haben. Diese Beziehungen haben jetzt plötzlich einen Impuls bekommen, weil Bundeskanzler Schröder und Präsident Jacques Chirac zum Thema Irak entschieden Stellung bezogen haben. Dieses Beispiel zeigt, wel- che zentrale Bedeutung Werte haben, die nach außen und nach innen glaubwür- dig vertreten werden müssen. Über den kulturellen Austausch hinaus sind die Bürger Europas auf der Suche Kultur stärker in die europäische danach, wie man ein Zusammengehörigkeitsgefühl schaffen kann. Durch Britney Verfassung einbeziehen Spears und Coca-Cola wird das sicher nicht gelingen. Statt uns Gedanken darüber zu machen, was genau europäische Kultur ist, sollten wir uns eher darum bemü-

77 von der Gablentz | Cuzin hen, einen europäischen way of life zu definieren. So gibt es zum Beispiel eine euro- päische Kultur der Landschaften, der Bauordnungen und anderer materieller Ele- mente, die das konkrete Umfeld prägen, in dem wir uns bewegen. Einige dieser architektonischen Elemente, aber auch der sozialen Werte sind typisch europäisch und müssen in der zukünftigen europäischen Verfassung ihren Platz finden. Ich möchte hier nicht den Teufel an die Wand malen, aber es besteht eine große Gefahr, dass wir in den kommenden drei Monaten die Chance, die wir mit dem Konvent haben, verpassen werden. Einige Mitglieder des Konvents haben diese Gefahr durchaus realisiert, andere aber nicht. Daher möchte ich von gan- zem Herzen dafür plädieren, dass wir in den nächsten Monaten alles tun, damit die Präambel der Verfassung die kulturelle und sprachliche Vielfalt aufnimmt und Artikel 151 dadurch gestärkt wird. Denn ohne eine Stärkung der Kulturver- träglichkeit aller Politiken besteht die Gefahr, dass wir Fremde im eigenen Land werden. von der Gablentz Herr Cuzin hat einen wichtigen Aspekt betont, nämlich die Komplementarität mehrerer Politikebenen. Zum einen muss die Politik der nationalen, regionalen und lokalen Ebenen Europa-freundlich sein, denn aufgrund seiner beschränkten Exekutivbefugnisse handelt Europa auch durch die nationalen Ebenen. Hinzu kommt die Kulturverträglichkeit anderer Politikbereiche der Europäischen Union, wie der Agrarpolitik, der Strukturpolitik etc., die im Artikel 151.4 ver- ankert ist.

Isar Ich möchte über die Frage europäischer Identität aus der Perspektive eines außen- stehenden, aber teilnehmenden Beobachters sprechen. Ursprünglich komme ich aus einem anderen Kulturkreis, habe aber in den vergangenen 34 Jahren viele europäische kulturelle Erfahrungen sammeln können. Mir gefällt der von Cathé- rine David eingeführte Begriff der »Routen«, ein Begriff, der von James Clifford in seinem gleichnamigen Buch erstmals in diesem Zusammenhang benutzt wurde. Denn dieser Begriff erinnert uns an die Unterscheidung zwischen einer älteren Definition des Identitätsbegriffs, der auf den kulturellen Wurzeln basiert, und einer neueren Definition, die sich auf die »Routen«, die Lebenswege, bezieht. So wie Stuart Hall ausgeführt hat, müssen wir alle Diskussionen über Identität in dem Spannungsfeld zwischen Entwicklung und Erfahrung der Völker und Kultu- ren führen. Denn durch die Globalisierung und die Migrationsströme sind über-

Cuzin | von der Gablentz | Isar 78 all relativ feststehende Werte erschüttert worden. Ein heutiger Identitätsbegriff, auch wenn er sich auf die Vergangenheit gründet und diese fortschreibt, benutzt die Erfahrungen aus der Geschichte, die Sprache und die Kultur nicht mehr als feststehende Größen. Es geht eher darum zu werden, als zu sein: Nicht »wer wir sind« und »wo wir herkommen«, ist entscheidend, sondern was wir werden könn- ten, wie wir wahrgenommen werden und wie das auf unser Selbstbild zurück- wirkt. Der Beitrag von Herrn de Vries hat dieses Begriffsverständnis nun auf eine Identitätskonstruktion ist praktische Agenda übertragen: Wenn Europa sich eine eigene Identität schaffen ohne Föderation schwer möglich will, dann ist es in der Tat wichtig, sich auf den Prozess der Darstellung und auf die Frage, wie man gesehen werden möchte, zu konzentrieren. Wenn politische Einheiten sich eine Identität schaffen wollen, müssen wir bedenken, dass dies anders als beispielsweise bei Life-style- oder ethnischen Gemeinschaften funktio- niert. Bei politischen Einheiten handelt es sich immer um konstruierte, imaginäre Gemeinschaften mit einer erfundenen Tradition. Zu diesem Zweck haben alle unsere Nationalstaaten sich Bilder und Symbole geschaffen und sich ein Reperto- ire von Ambitionen und Inspirationen erdacht. Es ist aber schwierig, dieses Hand- lungsmuster auf Europa zu übertragen, vor allem solange Europa sich noch nicht zu einer wirklichen Föderation entwickelt hat. Schließlich stimme ich mit Frau Ahrweiler darin überein, dass es gefährlich ist, den Prozess der kulturellen Identitätsbildung als Kompensation für Mängel auf anderen Gebieten zu nutzen. Deshalb bin ich der Auffassung, dass das Ziel einer gemeinsamen europäischen Identität zunächst zweitrangig sein sollte. Wichtiger ist, zuerst europäische Lebenswege und Verbindungen und Möglichkeiten für ein gemeinsames Lernen zu schaffen.

Herr Isar, Sie verderben denen, die eine europäische Identität schaffen möchten, von der Gablentz etwas die Lust. Es fällt in der Tat auf, dass wir über den Begriff Identität bisher kaum gesprochen haben. Ich halte diesen Ausdruck insofern für problematisch, als er eine exklusive Loyalität suggeriert. Wie Hywel Jones betont hat, ist es aber für moderne Gesellschaften viel typischer, vielschichtige Identitäten zu entwi- ckeln. Wir sollten die Warnung ernst nehmen und Identitäten, die es nicht gibt, nicht künstlich konstruieren wollen.

Einige Bemerkungen aus der Perspektive einer Künstlerin. Zunächst eine Anre- Echerer gung für die Körber-Stiftung: Ich vermisse Künstler in dieser Runde. Ich weiß, Sie

79 Isar | von der Gablentz | Echerer hatten Literaten eingeladen, die leider abgesagt haben. Aber es gibt auch andere Künstler, Musiker, bildende Künstler, die Filmwelt, Internetkünstler und viele mehr. Aus Künstlersicht zählt die Ich möchte hier nicht für die europäische Künstlerschaft sprechen, die sehr EU-Staatsbürgerschaft nicht viel heterogen ist, sondern zunächst nur für mich. Wenn von einer europäischen Bür- gerschaft die Rede ist, dann fühle ich mich als Künstlerin nicht besonders ange- sprochen. Durch meine Herkunft – ich bin halbe Ungarin, also, wie man in Wien sagt, ein »Monarchie-Kindl« – fühle ich mich zwar Europa zugehörig, aber nicht als Künstlerin. Denn wir haben in der Kulturpolitik weder auf lokaler, regionaler und nationalstaatlicher noch auf europäischer Ebene unsere Hausaufgaben ge- macht. Die Versuche, die im Europäischen Parlament unternommen wurden, und die Artikel 151 und 150 sind zwar schön und gut, aber sie lösen die Probleme nicht. Künstler waren immer mobil. In der holländischen Malerei beispielsweise war es wichtig zu wissen, was in Italien geschah, und genauso haben damals die Italie- ner ihre »Spione« geschickt, um die neuesten Techniken der Holländer zu erkun- den. Doch in der Europäischen Union wird es für Künstler immer schwieriger zu reisen. Das hat mit unterschiedlichen Politikbereichen zu tun, weshalb eine wirk- lich profunde Kulturpolitik nicht nur andere Ressorts miteinbeziehen, sondern auch auf gleicher Augenhöhe mit der Wettbewerbs- und Binnenmarktspolitik ste- hen müsste. Das Urheberrecht als Beispiel Ein Beispiel: das Urheberrecht; ein Instrument, das eigentlich für Autoren und für unausgewogene Politik Künstler geschaffen wurde. Dazu hätte die Kulturpolitik etwas zu sagen, aber die relevanten Entscheidungen wurden von Justizministern getroffen, die dies unter ganz anderen Gesichtspunkten betrachten. Ähnlich haben wir in vielen anderen Politikbereichen, in denen Entscheidungen nicht im Sinne der Künstlerschaft getroffen wurden, zu Hause und in Europa dafür nicht genug getan. Auf europäi- scher Ebene könnte man beispielsweise die Professionalisierung und Europäisie- rung von Künstlernetzwerken unter anderem mit Hilfe der europäischen Kultur- stiftungen fördern. Doch dies ist problematisch, da nicht die Kulturpolitik, sondern wie so oft andere Ausschüsse wie der Rechts- und Binnenmarktsaus- schuss oder der Budgetausschuss die Entscheidungskompetenz innehaben. Diese verfolgen nicht primär das Ziel, etwas für die Künstlerschaft zu tun. Wie wesentlich Netzwerke sind, habe ich in meiner dreieinhalbjährigen Arbeit im Europäischen Parlament miterlebt. Wirtschafts-, Industrie- oder Ver- braucherschutzverbände geben (fast) immer rechtzeitig ihre Stellungnahmen zu relevanten Richtlinien ab, bevor diese beschlossen werden. Eine ähnliche Lobby

Echerer 80 existiert auf Seiten der Künstler nicht. Trotz des europäischen Kulturrats, des europäischen Autorenparlaments und vieler anderer Organisationen kommen keine Netzwerke zustande, die rechtzeitig miteinander kommunizieren und zum richtigen Zeitpunkt tätig werden. Einer der Hauptgründe dafür ist die schwächere Wirtschaftskraft der Künstler. Am Beispiel des Urheberrechts wird dies deutlich. Aufgabe der Politik wäre es, zwischen den Interessen der Industrie, der Konsu- menten und der Urheber eine Balance zu finden, die alle Aspekte berücksichtigt. Doch Politik ist immer häufiger eine reine Interessenvertretung, in der Politiker es nicht wagen, sich gegen die Wirtschaft oder gegen potenzielle Wähler, also die Konsumenten, zu stellen. Und die an den Verhandlungen zum Urheberrecht betei- ligten so genannten Right Holder Coalitions sind nicht etwa Verbände von Urhe- bern, sondern von Rechteinhabern. Und das sind meist die großen Produzenten und Verleger. Dementsprechend wurde die Richtlinie zum Urheberrecht ausge- staltet. Nicht, dass ich etwas gegen diese Gruppierungen hätte. Im Gegenteil, sie sind von großer Bedeutung. Nur agieren sie auf europäischer Ebene derart, dass sie den Künstler unmündig machen und ihn seiner Autonomie berauben. Die Kulturpoli- tik hat als höchste Aufgabe, innerhalb des kulturellen Supermarktes dafür zu sor- gen, dass neben den Mainstream-Produkten auch die Nischenware wahrgenom- men wird. Diese Aufgabe können wir nicht erfüllen, solange Kulturpolitiker kein großes Gewicht haben, kein Budget mitentscheiden dürfen und bei der Steuerpo- litik außen vor bleiben. Auch die gesellschaftliche Achtung für Kulturpolitiker spielt hier eine wichtige Rolle. Momentan geht die öffentliche Aufmerksamkeit kaum über Galerie-Eröffnungen hinaus. Das mag mit daran liegen, dass es in der Kulturpolitik an Visionären mangelt. Die berechtigte Sorge ist, dass europäische Kulturpolitik dazu führen könnte, die Vielfalt zu beschneiden. Zu Gunsten eines »Europudding« geht zudem die Authentizität verloren. Das ist besonders sichtbar in der Filmwelt. Während grenzübergreifende Co-Produktionen vor 20 Jahren zu- stande kamen, wenn es den Produzenten inhaltlich sinnvoll erschien, kooperiert man heute, um die Kosten zu teilen, an einen europäischen Fördertopf heranzu- kommen und weil es »zu Hause« an Mitteln fehlt. Zum kulturellen Austausch möchte ich betonen, dass dafür die Grundlagen Kulturaustausch muss auf Investitionen durch Investitionen in die eigene lokale und regionale Kunst geschaffen werden in die eigene Kultur basieren müssen. Doch überall werden die Budgets gekürzt, und es gibt keine steuerlichen Anreize für privates Investment und Sponsoring. Diese Mechanismen, die der Kul- tur helfen würden, liegen auf der Hand, sie werden aber nicht umgesetzt. Dass es

81 Echerer an einer gemeinsamen europäischen auswärtigen Kulturpolitik ebenso fehlt, hat auch damit zu tun, dass sich die Vertreter der einzelnen Regierungen nicht dafür einsetzen. So bleibt es bei Sonntagsreden. In diesen Problembereich gehören auch die GATS-Verhandlungen, die Frau Griefahn angesprochen hat. Statt Kultur und Medien auf der internationalen Ebene den GATS-Regelungen zu unterwerfen (die ja bekanntlich weder kulturelle noch soziale Aspekte kennen), sollten wir ein internationales, rechtsverbindliches Instrument schaffen, das die kulturelle Vielfalt schützt und der Doppelnatur der Kunstproduktion gerecht wird. Diese Maßnahmen sind keine unerreichbaren Visionen oder Träume. Diese Idee, die in Quebec geboren wurde, wird von ein- zelnen Ländern unterstützt, und die EU könnte – wenn sie wollte – ein Motor zur Erreichung dieses Ziels sein.

von der Gablentz Erlauben Sie mir zwei Bemerkungen zu dieser Vielfalt von Anregungen. Zum einen können einige Aspekte in den Konvent eingebracht werden, damit in der neuen Verfassung Platz für Kultur gelassen wird. Auf dieser rechtlichen Grundlage wären dann weitere Entwicklungen möglich. Zum anderen möchte ich betonen, dass es verschiedene europäische Kultur- stiftungen gibt. Die European Cultural Foundation in Amsterdam gehört dabei zu den wichtigsten und umfassendsten, und wir sollten sie fördern. Gottfried Wag- ner wird sicherlich darauf zurückkommen.

Gehler Zunächst eine Bemerkung zur Instrumentalisierung Europas, die bereits in den Europa wird oft instrumentalisiert Beiträgen von Frau Griefahn und Frau Echerer angeklungen ist. Die Deutschen haben eine bewundernswerte Integrations-Euphorie und Europabegeisterung, für die wir auch dankbar sind, weil die anderen davon profitiert haben. Dennoch wäre etwas mehr Integrationsrealismus manchmal wünschenswert. Um Otto von Bismarck sinngemäß zu zitieren: Wer von Europa spricht, hat eigentlich Unrecht. Das heißt, viele Politiker, die von Europa reden und mit Europa argumentieren, drücken nur das aus, was sie im nationalen Namen so nicht sagen konnten. Als Wissenschaftler und auch als Künstler und Kulturschaffende müssen wir uns daher auch die Frage nach der Instrumentalisierbarkeit Europas und unserer Ver- einnahmung stellen. Wir beachten zu wenig, dass Europa fast immer zweckbe- stimmt ist und instrumentalisiert wird, also mehr Mittel zum Zweck als Selbst- zweck war und ist. Europa diente und dient nicht zuletzt der Legitimation von Herrschaft. Das Spannende dabei ist, dass diese Legitimation sich grundlegend

Echerer | von der Gablentz | Gehler 82 verändert. Wenn Alan S. Milward Recht hat, so diente die europäische Integration anfangs der Stärkung der Nationalstaaten und der Legitimation modernisierter westlicher Staaten. Doch jetzt geht es anscheinend um die Legitimation der Union selbst. Hier bekommt die Instrumentalisierungs- und Legitimationsfrage eine neue Dimension und Dynamik. Meine zweite Bemerkung betrifft die Frage der Erweiterung und der Grenzen Die Habsburger Monarchie Europas. Ich bin erstaunt, dass in dieser Runde immer wieder die Zeit vor 1914 an- als Lehrbeispiel für die europäische gesprochen wird, ohne auf die Habsburger Monarchie einzugehen. Dabei könnte Erweiterung die K. u. K.-Monarchie ein historisches Lehrbeispiel im Positiven wie im Negativen für die europäische Erweiterung sein. Denn der aktuelle Raum von Mittel- und Osteuropa hat heute mit sehr ähnlichen Problemen zu kämpfen wie seinerzeit Habsburg. Helmut Rumpler beschreibt in seinem Buch »Eine Chance für Mittel- europa – Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburger Monar- chie«, welche Loyalität und Bindungskraft dieses merkwürdige Gebilde Öster- reich-Ungarn erzeugen konnte. Das Habsburger Reich war kein Völkerkerker, sondern ein Völkerverbund mit einer gemeinsamen Rechtszone, einem weiter integrierten Arbeitsmarkt, als er es heute dort ist, und einem modernen Ver- kehrsverbund. Dabei zog sich der Staat infolge der Erosion von Dynastie, Armee, Kirche und Adel in einer relativ friedlichen Entwicklung ein Stück weit zurück. Doch die verschleppte Demokratisierung, die verspätete Modernisierung und die unterentwickelte kulturelle Autonomie bei der Koexistenz der Nationalitäten führten schließlich zu Ethnozentrismus und Nationalismus. Damit bestätigte sich das Franz Grillparzer Diktum von der Degeneration von der Humanität über die Nationalität zur Bestialität. Außerdem konnte dieses Gebilde dem Druck von außen nicht standhalten. In diesem Zusammenhang einige Worte zu Graz, der Kulturhauptstadt Euro- pas 2003. Für Graz sprach erstens, dass diese Stadt einen Schnittpunkt der euro- päischen Kulturen darstellt mit romanischen, slawischen, magyarischen und ger- manisch-alpinen Einflüssen. Zweitens spielt sie eine interkulturelle Mittlerrolle am Rande der Konfliktzone des Balkan. Durch seine Nähe zu Ungarn und Italien war Graz auch während des Kalten Kriegs die nächstgelegene westeuropäische Stadt für Künstler und Kulturschaffende aus Osteuropa, ein erster Brückenkopf mit Blickrichtung Westen. Wir sollten nicht vergessen, dass die Habsburger Mon- archie nicht zuletzt an der Balkanfrage gescheitert ist, während die EU – bei allem Dissens um die Anerkennung von Slowenien und Kroatien – dieses Problem ge- meistert hat. Das ist bei aller Problematik eine große politische Leistung, wie ich

83 Gehler finde. Drittens: Graz ist eine Stadt des internationalen Dialogs und bietet eine Dia- log-Plattform für den Frieden. Das Friedensargument taucht in der Diskussion um Kultur und Kunst kaum auf, obwohl es ganz entscheidend ist. Frieden im Südos- ten Europas ist ein essentielles Anliegen der Europäischen Union, und hier kann das Europa der Bürgermeister, um Herrn Schlögels Begriff aufzunehmen, viel bei- tragen. Augsburg ist die Stadt des Religionsfriedens. Osnabrück und Münster sind die Städte des Westfälischen Friedens. Schließlich ist Graz ein Ort für konkrete Kulturprojekte. Hier wären zu nennen: die Partnerschaft mit Dubrovnik in Kroa- tien; die Kulturwerkstatt in der Mitte Europas; ein Objekt für Kunst und neue Medien im Inneren des Grazer Schlossbergs; eine neue Kunst- und Ausstellungs- halle und der Wiederaufbau der 1938 zerstörten Synagoge und eine Moschee, die beide als multikulturelle Zentren zu sehen sind.

von der Gablentz Die Idee der Kulturhauptstädte ist ein gemeinsames Projekt von Europarat und Europäischer Union. Sie ist ein Stück der Kulturpolitik, die im Rahmen der sehr begrenzten Zuständigkeiten der Europäischen Union seit längerem betrieben wird.

Ruth Frau Echerer hat die Frage des Copyrights angesprochen. Das ist keine technische Das Copyright ist ein Angelegenheit, die nur Rechtsexperten interessiert. Vielmehr ist es sowohl in sei- Individual-, kein Firmenrecht nen konkreten Auswirkungen wie in seiner symbolischen Bedeutung ein zentra- ler Aspekt zukünftiger Kulturpolitik. Der englische Begriff »Copyright« beruht auf einer anderen Tradition als das deutsche »Urheberrecht« oder das französische »droit d’auteur«. Das Copyright entstand in Großbritannien als Ergebnis einer Aus- einandersetzung im 17. und 18. Jahrhundert über das Recht der Drucker, Bücher zu veröffentlichen. Es bezieht sich daher auf die Rechte der Drucker, nicht der Autoren oder einzelner Künstler, wie es in Frankreich und Deutschland der Fall ist. Über ebendiesen Unterschied bin ich mit den Besitzern der liberalen Tages- zeitung, die ich herausgegeben habe, in Streit geraten. Sie hielten das Copyright für ein Firmenrecht, nicht für ein individuelles Recht. Da dies nicht mit der libe- ralen Vorstellung von Individualrechten in Einklang zu bringen ist, war das für mich einer der Gründe, meine Position in dieser Zeitung vor einigen Jahren auf- zugeben. Aber diese Frage hat eine viel tiefere Bedeutung und erklärt meine Überzeu- gung, warum es überhaupt eine Kulturpolitik geben sollte. In seinem Essay »Zumutungen der Kulturpolitik« hat Hans Magnus Enzensberger den Begriff der Biodiversität auf das Gebiet der Kultur angewandt. Demnach sollte es das Ziel jeder

Gehler | von der Gablentz | Ruth 84 Kulturpolitik sollte keine Kollektivkultur schaffen.

Ruth

Kulturpolitik sein, viele Auswahlmöglichkeiten zu eröffnen und so viele indivi- duelle Werke wie möglich zu schaffen. Kulturpolitik sollte keine Kollektivkultur schaffen. Eine Gemeinschaftskultur ist nur dann interessant, wenn sie aus ver- schiedenen individuellen Beiträgen entsteht. Das hat auch mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung zu tun, ein wichti- Zum Recht auf freie ger Bestandteil der Öffentlichkeit, die Herr de Vries erwähnt hat. Freie Mei- Meinungsäußerung gehört nungsäußerung schließt nicht nur Tatsachenberichte oder politische Meinungen künstlerische Kreativität ein, sondern auch künstlerische Kreativität. Das Recht jedes Individuums auf eine ästhetische Aussage ist ebenso wichtig wie das Recht, politische Ansichten zu äußern. Politiker unterschätzen das häufig. Sie verstehen meist nicht, dass Fiktion eben kein Tatsachenbericht ist und daher »Lügen« enthält. Vielmehr ist es eine andere, symbolische Art, die Wahrheit zu sagen. Dies als Teil des Rechts auf freie Meinungsäußerung anzuerkennen ist erst relativ spät erfolgt. Im Nationalsozia- lismus zum Beispiel gehörte die Ästhetik zum Kern des Wertesystems, ein- schließlich genauer Vorstellungen darüber, wie Menschen aussehen sollten und dass Juden meist anders aussahen als die blauäugigen und blonden Arier. Und in der Sowjetunion war es kein Zufall, dass bei Dissidentenbewegungen wie der Charta 77 viele Künstler und Schriftsteller waren. Sie wussten, dass das indivi- duelle Recht, ein Kunstwerk zu schaffen, zum Kern der Revolution werden konnte. Diese Überlegung müssen wir Westeuropäer als Gegenstück zu einem kollektiven Kulturbegriff wiederentdecken. Auf europäischer Ebene laufen wir Gefahr, Kul- turpolitik als identitätsstiftende Kreativität zu begreifen, und das ist das Gegen- teil von Freiheit. In den Nationalstaaten können wir diesen Rückfall schon bei populistischen Parteien beobachten, die sich für kollektive kulturelle Rechte ein- setzen. Schließlich möchte ich auf die sehr nützliche Unterscheidung zwischen »rou- tes« und »roots«, Lebenswegen und Wurzeln, eingehen: Dazu gehört das Recht, kreativ ein Außenseiter zu sein. Dabei sollte Kreativität nicht nur elitär verstan- den werden, wie das in Europa oft der Fall ist, sondern auch Formen der Alltags- kultur einschließen, wie das in Amerika geschieht. In Schweden zum Beispiel machen junge Einwanderer Hip-hop und Rap-Musik. Solche Stilrichtungen wer- den zwar von außen nach Europa importiert, sie sind aber Teil des künstlerischen Schaffens in Europa. Europäische Kunst ist für mich, was in Europa geschaffen wird, und nicht etwas, das sich nur auf Goethe oder Beethoven bezieht. Euro- päische Kunst kann sich jeder Art von ästhetischer Kreativität bedienen, die heute relevant ist. Es ist kein Zufall, dass junge Einwanderer aus dem Iran, aus Somalia,

85 Ruth Südafrika und so weiter das Rap-Idiom aus den Vereinigten Staaten verwenden oder sich ihrer eigenen modernen Medien bedienen, wie Salsa für Lateinamerika oder Rai für Nordafrika. Diese Musikrichtungen stellen eine Außenseiterästhetik dar, und das ist etwas, was wir mehr als je zuvor auf diesem Kontinent brauchen.

von der Gablentz Ich denke, wir sollten dem Missverständnis entgegentreten, Kulturpolitik könne Kultur schaffen. Kulturpolitik kann lediglich dafür sorgen, dass Rahmenbedin- gungen für die politischen Werte einer Gemeinschaft entstehen, die ein möglichst breites und kreatives kulturelles Schaffen ermöglichen. Wir können und wollen natürlich nicht zurück zu einer Politik, die eine Kollektivkultur fabriziert. Das ist glücklicherweise in Europa und in einer Welt, in der die Werte, die in den Kopen- hagener Kriterien festgeschrieben wurden, politisches Handeln bestimmen, aus- geschlossen.

Perone Ich komme auf die Bemerkung von Herrn Jones zurück, dass wir keine ausschließ- Eine europäische Perspektive hilft uns, lichen, sondern mehrschichtige Identitäten haben. Das ist sehr richtig und trifft Unterschiede als Chance zu erkennen auch auf mich zu. Ich finde es viel einfacher zu sagen, dass ich Turiner bin, was eine emotionale Bindung zu meiner Stadt, aber keine politische Bedeutung bein- haltet, als dass ich Italiener bin. Mich mit meinem Staat zu identifizieren ist auch deshalb problematisch, weil das letztlich auch eine politische und nicht nur eine kulturelle Kategorie ist. Der Blickwinkel von Europa kann dabei als Schutz gegen den Provinzialismus und für die Vielfalt der Identitäten sehr nützlich sein. Wir betrachten Vielfalt und Unterschiede meist aus der Ich-Perspektive, d.h., etwas ist anders, weil es anders ist als ich. Diese Perspektive berücksichtigt nur zwei As- pekte. Wenn wir dagegen die Perspektive Europas mit einschließen, ermöglicht uns das, eine größere Vielfalt zu erkennen. Europa kann uns auch dabei helfen, Differenzen nicht nur als Problem (was sie auch sind), sondern eben auch als eine Chance zu erkennen. Ich möchte das mit einer kleinen Geschichte aus meiner Zeit als Kulturde- zernent der Stadt Turin verdeutlichen. Wir wollten ein Europa-Museum gründen, um zu zeigen, wie reich Europa an Unterschieden ist. Der Besucher sollte diese Unterschiede erleben und nicht nur darüber nachdenken. Und er sollte die Viel- falt aus einem europäischen Blickwinkel wahrnehmen und nicht nur im Ver- gleich der Italiener oder der Turiner mit den anderen Völkern, wie das bei vielen Reisen geschieht. Nun, was geschah mit unserer Idee? Wer war daran interessiert? Niemand! Auch seitens der Europäischen Kommission hieß es, das übersteige ihre

Ruth | von der Gablentz | Perone 86 Kompetenzen und sie könnte nicht direkt politisch-kulturell handeln. Das ist ein großes Problem, denn Museen können das Bewusstsein der Menschen beeinflus- sen. Zur Zeit der italienischen Nationalstaatsbildung sind viele Museen zur Ein- heit des Landes gegründet worden. Dagegen haben wir keine Museen oder andere kulturelle Orte, die diese europäische Perspektive darstellen. Wir brauchen kom- petente Behörden, die so etwas anregen oder unterstützen.

Vor dem Hintergrund dieser praktischen Anregungen weise ich darauf hin, dass von der Gablentz es seit einigen Jahren eine Initiative in Brüssel gibt, um im großen neuen Gebäude des Europäischen Parlaments ein »Museum Europa« einzurichten.

Eine Anmerkung zur Geschichte des Europäischen Museums in Brüssel, das ein Ahrweiler altes Projekt ist. Sein erster Direktor war der ehemalige Botschafter Israels in Frankreich, Herr Eli Bar-Navie. Das Projekt war sehr umstrittenen, besonders bei den Griechen, weil dort Europa mit Karl dem Großen begann. Das antike Grie- chenland und Rom kamen gar nicht vor. Als ich mich weigerte, dort eine Vorle- sung zu halten, wurde mir entgegnet, Byzanz – genau wie der Islam – sei gegen Europa gerichtet gewesen. Da ich selbst griechisch-orthodox bin, habe ich darauf hingewiesen, dass Konstantinopel die erste Hauptstadt Europas war, die gleich- zeitig christlich, griechisch und römisch war, und somit alle drei Elemente kom- biniert, die laut Paul Valéry Europa ausmachen. Mir geht es jedoch um ein anderes Thema. Die Sorgen, die hier über den Euro- Die Präambel der europäischen Verfassung päischen Konvent und die künftige Verfassung geäußert wurden, sind sehr real. sollte auf Bildung und Kultur verweisen Die Vorschläge, die derzeit diskutiert werden, verletzen nicht nur Art. 151 des Ver- trags von Amsterdam, sondern auch die Resolution des Europa-Parlaments vom 5. September 2001, in der Kultur als notwendige Grundlage für die Identifizierung der Bürger mit Europa und als Basis einer zukünftigen europäischen Verfassung verstanden wird. Nehmen Sie zum Beispiel das Erasmus-Programm. Seine Bedeu- tung besteht nicht in der Anzahl der Studenten, die am Austausch teilnehmen, sondern liegt in seinem symbolischen Wert. Mittlerweile unterstützt jede Uni- versität den Austausch mit anderen europäischen Ländern finanziell, was von der Quantität her viel wichtiger ist als das Erasmus-Programm. Daher wurde die Aner- kennung des Auslandsstudiums für Diplome, als der Bologna- und Prag-Prozess bezeichnet, zu unserem wichtigsten Projekt. Aber symbolisch bleibt das Erasmus- Programm wichtig, und auch ich plädiere dafür, Bildung und Kultur in die Prä- ambel der neuen Verfassung aufzunehmen.

87 Perone | von der Gablentz | Ahrweiler Akkulturation, nicht Integration Lassen Sie mich auf ein anderes allgemeines Problem eingehen, über das niemand ist die Antwort auf Einwanderung gerne offen spricht: die Migration in Europa und die Probleme, die das für die Schulen schafft. Viele Menschen sehen es als unhaltbar, wenn in einer Klasse mehr ausländische als einheimische Kinder sind. Kaum jemand spricht das offen aus, aber auch Politiker versuchen, solche Zusammensetzungen zu verhindern. Wir haben auch ein semantisches Problem. Meist sprechen wir von »Integration«, aber Integration funktioniert nur durch starke Institutionen wie die Armee, viel- leicht die Kirchen, Schulen, Gewerkschaften und ähnliche. Heute jedoch haben diese Institutionen viel von ihrem Einfluss eingebüßt. Alternativ dazu wird von »Assimilation« gesprochen, aber wenn man diesen Begriff verwendet, wird man für einen Faschisten gehalten, der anderen die europäische Zivilisation aufzwin- gen will. Viel angemessener wäre der Begriff »Akkulturation«. Damit ist gemeint, sich in eine andere Kultur zu begeben und gegenseitig Erfahrungen auszutau- schen. Auf diese Weise kann jeder eine andere, gemeinsame Zivilisation aner- kennen. Dieser Begriff verdeutlicht eine unserer wichtigsten Aufgaben: andere Menschen zu achten – und nicht nur Ausländer sind andere. Schon verschiedene soziale Klassen einer Gesellschaft in ein Bildungssystem einzubeziehen ist eine große Herausforderung. Da die Trennlinien so wichtig sind, müssen wir gegen- seitigen Respekt lehren, und das beginnt beim Fremdsprachenunterricht. Unser Ziel sollte sein, junge Leute nicht nur zum Reisen zu ermutigen, sondern dazu, in Europa zu Hause zu sein, inshallah.

von der Gablentz Wir versuchen hier, Worte wie Integration, Identität und Assimilation neu zu defi- nieren, die alle eine exklusive Identität, ein Zugehörigkeitsmonopol suggerieren. Diese Annahme sollten wir wirklich vermeiden, schließlich leben wir in einer ver- gleichsweise offenen Gesellschaft. Ich nehme daher dankbar Ihren Begriff der Akkulturation an.

de Vries Herr Jones hat uns daran erinnert, wie wichtig es politisch und symbolisch ist, einen Verweis auf Kultur in die Präambel der europäischen Verfassung aufzu- nehmen. Damit wäre die Europäische Union legitimiert, auf kulturellem Gebiet tätig zu werden. Das bedeutet nicht, dass die Europäische Union Kultur harmoni- siert, was niemand will und was auch noch kein ernsthafter Politiker vorgeschla- gen hat. Vielmehr sollte die EU unterstützend wirken, und dazu muss sie autori- siert sein. Ich stimme auch Frau Griefahn zu, dass unter Artikel 151 qualifizierte Mehr-

Ahrweiler | von der Gablentz | de Vries 88 heitsentscheidungen getroffen werden sollten. Es ist absurd, bei 25 Mitgliedsstaa- Mehr Unterstützung ten Einstimmigkeit zu verlangen; das würde jede Entscheidung verhindern. Wenn für Austauschprogramme... wir keine Mehrheitsentscheide wollen, sollten wir den Mut haben, die Kultur ganz aus dem Vertrag herauszulassen und der EU gar keine Kompetenz in diesem Bereich zu geben. Welche Maßnahmen sollte die Union ergreifen? Herr Cuzin hat angedeutet, dass trotz jahrzehntelanger französisch-deutscher Zusammenarbeit immer noch nicht klar ist, ob die beiden Gesellschaften sich viel näher gekom- men sind. Auch wenn seine Einschätzung vielleicht zu pessimistisch ist, sollte sie uns zwei Dinge lehren: Erstens sollten wir realistisch sein und nur allmähliche Veränderungen bei Loyalitäten und Freundschaften erwarten. So etwas dauert Jahrzehnte und muss in jeder Generation erneut angegangen werden. Zweitens sollten wir den Ehrgeiz entwickeln, Menschen einander näher zu bringen, indem sie gegenseitig ihre Geschichten, Sichtweisen und Lebensarten kennen lernen. Das ist nur möglich, wenn sich ihre Wege kreuzen und sie die Verbindungen ein- gehen, von denen hier die Rede war. So soll keine einheitliche europäische Kultur geschaffen werden, sondern die verschiedenen Teile des Mosaiks müssten mit- einander verknüpft werden. Dazu brauchen wir Instrumente, die das Überschrei- ten von Grenzen erleichtern, vor allem Austauschprogramme. Die Europäische Union, ihre Mitgliedsstaaten und Regionen sollten sich in dieser Hinsicht höhere Ziele stecken. Zumindest sollten nicht nur Studenten am Austausch teilnehmen, sondern auch meinungsbildende Persönlichkeiten wie Künstler und Journalisten. Ein weiteres entscheidendes Instrument hat Frau Echerer genannt: Netz- ...und Netzwerke werke. Um ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln, müssen Menschen ermutigt werden, in Netzwerken von NGOs zusammenzuarbeiten. Auch hier sollte die Union sich stärker engagieren, um solche Netzwerke zu schaffen, die keinesfalls auf die 15 oder 25 EU-Mitglieder begrenzt sein sollten. Da unser Ideal eine offene Gesellschaft im Sinne Karl R. Poppers ist, sollten wir auch Außenste- hende mit einbeziehen. Stiftungen können bei der organisatorischen und finan- ziellen Unterstützung solcher Netzwerke sehr wichtig sein, und ich habe mich gefreut, von Frau Völckers etwas über die deutsche Kulturstiftung des Bundes zu erfahren. Ich hoffe, dass diese Stiftung und die Stiftungen der Länder gemeinsam Netzwerke anregen und unterstützen werden. Eine Bemerkung zum Geschichtsunterricht, den Frau Ahrweiler ansprach. Wenn es um die Zusammensetzung der Lehrpläne geht, streiten sich Experten oft darüber, ob Mathematik oder Sprachen wichtiger sind. Wir müssen aufpassen, dass die Geschichte nicht an den Rand gedrängt wird.

89 de Vries Schließlich ein Wort zur Identität, die sicher mehrschichtig ist. Identität baut sich nicht einfach auf Geschichte auf, sondern wird ständig von uns erschaffen. Für nationale Identitäten hat Benedict Anderson den wunderbaren Ausdruck der »vorgestellten Gemeinschaften« geprägt. Wir können selbst entscheiden, welche Aspekte unserer Identität wir stärken möchten. Eine Schlüsselfrage auch für Intel- lektuelle und Künstler sollte deshalb sein, welches Europa wir wollen – nicht im Sinne von Institutionen, sondern im Sinne des Verhaltens und der Werte, die wir verkörpern.

Strasser Es wird oft darauf hingewiesen, dass der Pluralismus der Kulturen eine der Stär- Übersetzungen können Dialog fördern ken Europas ist. Dies gilt aber nur, wenn es sich um einen dialogischen Plura- lismus handelt, denn ein Leben und Lebenlassen in ghettoisierten Kleingemein- schaften wäre nicht besonders fruchtbar. Deswegen sind alle Formen der Kommunikation so wichtig. In diesem Zusammenhang ist es ein ärgerliches Defi- zit, dass die Völker Europas die Literaturen ihrer Nachbarn oft kaum zur Kennt- nis nehmen. Insbesondere die kleineren Literaturen in Europa werden kaum über- setzt. Durch die wenigen Autoren, die übersetzt werden, erhalten wir ein völlig verzerrtes Bild von der literarischen Realität kleinerer Länder. Da die Verlage die zusätzlichen Übersetzungskosten in der Regel nicht selbst tragen können, müssen wir das Übersetzen fördern. Die vorhandene Förderung auf nationaler Ebene ist völlig unzureichend und zudem meist auf den Export von Büchern und Kultur bezogen. Hier besteht konkreter Handlungsbedarf für die Europäische Union. Zum Urheberrecht: Ich stimme Herrn Ruth zu, dass das Copyright und das Urheberrecht auf ganz verschiedenen Traditionen beruhen. In der Europäischen Kommission ist das ökonomistische Denken weit verbreitet. Daher besteht die Gefahr, dass sie das angelsächsische Copyright dem kontinentaleuropäischen Urheberrecht vorzieht. Aus ökonomischer Sicht ist der Urheber uninteressant, denn Wertschöpfung beginnt erst dort, wo auf dem Markt Werte realisiert wer- den. Diese Haltung ist leichter vereinbar mit der angelsächsischen Tradition des Copyrights, in der es auf die Verwerter und nicht auf die eigentlichen Urheber ankommt. Zur Sicherung der Pluralität von Kultur sollten wir jedoch die andere europäische Tradition verteidigen.

Wagner Ich bin sehr froh über die klare Position von Herrn de Vries; wir wären ein Stück weiter, wenn das im Konvent Schule machen würde. Doch das Rennen ist noch

de Vries | Strasser | Wagner 90 Aufrichtigkeit mit Solidarität zu verbinden scheint oftmals zu viel verlangt von der Politik.

Wagner

nicht gewonnen, und ich möchte auf drei Gründe eingehen, warum es so schwie- rig ist. Erstens ist es schon auf der nationalen Ebene extrem schwer, zwischen Poli- tik und Kunst zu vermitteln. Künstler sind einerseits unverzichtbar mit ihrer Fähigkeit, Friktionen vorauszuahnen. Andererseits sind sie häufig sehr schwierig und manchmal so radikal, dass Gesellschaften lange brauchen, um ihre Inhalte anzunehmen. Es ist Teil der europäischen Tradition, diese Spannung zwischen Politik und Kunst auszuhalten. Dennoch ist es für die Politiker nicht einfach, Kunstpolitik mit einer so abweisenden Klientel zu machen, auch wenn sie grund- sätzlich wissen, wie wichtig das ist. Zweitens verhalten sich die Dinge auf der europäischen Ebene weitaus kom- Das Bedürfnis nach plexer. Bereits in dieser Gesprächsrunde treffen äußerst widersprüchliche Kon- Identität hängt von den zeptualisierungen von Europa und der Identitätsfrage aufeinander. Das wurde sozialen Umständen ab etwa bei Frau David und Herrn Isar deutlich. Doch selbst wenn wir uns hier und in der Kulturpolitik auf einen komplexen Identitätsbegriff einigen könnten, hät- ten wir große Schwierigkeiten, diesen in Rotterdam, Oberbayern oder im Tuxer- tal zu vermitteln. Ich plädiere dafür zu verstehen, dass Menschen mit einem ande- ren sozialen und Bildungshintergrund ein anderes Bedürfnis nach Identität haben. Dies kann beispielsweise auf dem Wunsch nach individueller Sicherheit, Stärke und Partizipation beruhen, mit anderen Worten auf dem Bedürfnis nach sozialer Sicherheit. Die jedoch ist uns zum Teil in diesem ultraliberalen Kapita- lismus abhanden gekommen. Die Identitätsdiskussion ist auch eine Kompen- sation für eine nicht geführte sozialpolitische Diskussion. Kulturpolitik muss daher auf die sozialpolitischen Bedingungen stärker Rücksicht nehmen, ohne sich dabei instrumentalisieren zu lassen. Wir dürfen die Debatte über Identitäten nicht vereinfachen, wir dürfen sie aber auch nicht aufgeben, weil sie zu kompli- ziert ist. Es wird uns nicht erspart bleiben, diese Spannung in den nächsten Jah- ren auszuhalten. Den dritten und schwierigsten Punkt hat Herr Schlögel angesprochen, als er davor warnte, dass es verdammt hart werden würde und dass wir uns vor Har- monisierungen hüten müssen. Eine europäische Integration, die hinter dem Rücken der Bürger stattfindet, wird uns ungemeine Probleme bereiten. Dazu möchte ich zwei Beispiele nennen. Die Erweiterungsdebatte etwa in den Nieder- landen oder in Österreich hat bereits in Ansätzen gezeigt, wie leicht sich dies aus- beuten lässt. Aus Gründen der politischen Kompromisssuche leugnen Politiker auf nationaler und internationaler Ebene die tatsächlichen Kosten der Erweite-

91 Wagner Netzwerke aufzubauen ist nicht eine Aufgabe, die von irgendjemandem organisiert werden könnte, sondern es ist etwas, das Menschen machen oder eben nicht.

Schlögel

rung. Wenn Sie nur die Kosten der deutschen Wiedervereinigung hochrechnen, kommen Sie zu weitaus höheren Beträgen als den derzeit vorausgesagten. Auf- richtigkeit mit Solidarität zu verbinden scheint oftmals zu viel verlangt von der Politik. Das zweite Beispiel, das Frau Ahrweiler erwähnt hat, sind die massiven Span- nungen innerhalb unserer Gesellschaften mit Immigranten und zwischen Süd und Nord, die sich mit fortschreitender Globalisierung noch intensivieren wer- den. Unsere Gesellschaften müssen in den nächsten Jahren unter sehr schwieri- gen Bedingungen damit umgehen und auch kulturelle Antworten darauf finden. Neue Instrumente der Kulturpolitik: Daraus sollten wir für die Kulturpolitik Schlussfolgerungen ziehen. Der Euro- public private partnerships parat spielt kaum mehr eine operative Rolle, und die Kommission hat beschränkte legale Grundlagen und marginale Ressourcen in der Kulturpolitik. Wir brauchen ein viel breiteres Instrumentarium, längeren Atem und nachhaltige Zusammen- arbeit. Zu den bereits genannten Instrumenten für diese Ziele möchte ich eines hinzufügen: public private partnerships, zum Beispiel zwischen staatlichen und euro- päischen Autoritäten und Stiftungen. Stiftungen wie die Europäische Kultur- stiftung können das Vakuum zwar nicht füllen, sie können aber als Vermittler und Katalysatoren diese Agenda durch Lobbyarbeit und Beispiele von best practice weiterführen.

Schlögel Mir war nicht bekannt, dass es Pläne für ein europäisches Museum in Brüssel gibt. Das ist insofern interessant, als damit die Frage verbunden ist, ob es so etwas wie eine museale Narrative für Europa gibt. Das heißt, wie stellen wir uns eigentlich europäische Geschichte vor? Die Politik sollte sich nicht Mich hat die Diskussion um Netzwerke ein wenig irritiert. Ich verstehe unter in Netzwerke einmischen Netzwerken etwas ganz Einfaches. Durch den Wegfall der Grenzen wurden in Europa Räume geöffnet, in denen wir uns trotz aller Schwierigkeiten fast mühe- los bewegen können. Statt uns groß darüber auseinander zu setzen, müssen wir diese Chance einfach ergreifen, uns in Bewegung setzen und Kontakte knüpfen. So wie vor 1989 jeder, der ein Interesse daran hatte, nach Prag fahren konnte, um mit den Leuten von Charta 77 Kontakt aufzunehmen, ist das auch heute ohne wei- teres möglich. Es bedarf überhaupt keiner besonderen Anstrengung, um Netz- werke zu errichten, sondern jeder kann die Initiative ergreifen, sich in Bewegung setzen und tun, was er für wichtig hält. Ich habe geradezu einen Horror vor der Errichtung von Netzwerken, bei denen es letztlich darum geht, über die Zuteilung von Geld zu entscheiden. Menschen wie Sergej Diaghilew hätten in einem Europa,

Wagner | Schlögel 92 in dem Netzwerke konstruiert und finanziert werden, keine Chance gehabt. Er hat seine Saisons Russes aus eigener Kraft und durch Aufnahme von Kontakten ermöglicht. Gerade in Anbetracht der knapper werdenden öffentlichen Mittel muss man sich vor der Illusion bewahren, von irgendjemandem Unterstützung zu bekommen. Im Gegenteil hängt es weit gehend an den Bürgern selbst. Netzwerke aufzubauen ist nicht eine Aufgabe, die von irgendjemandem organisiert werden könnte, sondern es ist etwas, das Menschen machen oder eben nicht. Es wurde hier die Notwendigkeit angesprochen, in Europa einen »political space«, also einen Raum für politischen Diskurs, zu schaffen. Daneben braucht Europa aber einen Raum für kulturellen Diskurs, damit wir erfahren, welche Mög- lichkeiten es überhaupt gibt; zum Beispiel dass der Europarat Ausstellungen orga- nisieren kann, die in verschiedenen Städten laufen. Schließlich noch eine Bemerkung zu den Kulturhauptstädten. Ich bin natür- St. Petersburg hätte lich glücklich, dass Graz Europäische Kulturhauptstadt 2003 geworden ist, aber Europäische Kulturhauptstadt ich bin ganz unglücklich darüber, dass es nicht Petersburg war. Petersburg wird werden sollen in diesem Jahr 300 Jahre alt und ist als Stadt nach Europa zurückgekehrt. Es wäre wirklich eine europäische Angelegenheit gewesen, Petersburg die Würde, das Geld und die Initiative für die Europastadt zu geben. Im Grunde ist es EU-provin- ziell, dass wir das nicht getan haben. Beunruhigend ist, dass es keine politischen oder kulturellen Räume gibt, wo solche Dinge öffentlich erörtert und entschieden werden.

Die Debatte über die Re-Nationalisierung der Kultur- und Bildungspolitik macht Glondys mich besorgt, besonders weil dafür die künftigen osteuropäischen Mitgliedsstaa- Osteuropäische Staaten verlassen ten der EU als Argument angeführt werden. Ich möchte denjenigen, die in Europa sich auf europäische Kulturpolitik über Kulturpolitik diskutieren, eine einfache Frage stellen: Was wissen Sie über die polnische Kulturpolitik? Ich selbst verstehe nichts von der Kulturpolitik unse- rer engsten Nachbarn, der Slowakei und Ungarn. Aber sind sich die, welche eine »nationale« Kulturpolitik fordern, dessen bewusst, dass wir in Polen seit 1990 16 Kulturminister gehabt haben? Wenn man den Art. 151 aus den Europäischen Ver- trägen herausnimmt, worauf können wir uns dann noch verlassen und beziehen? Wir haben alle acht oder neun Monate einen neuen Kulturminister, der Ad-hoc- Entscheidungen trifft, die meist politischen Zwecken dienen. Eine nationale Kul- turpolitik gibt es nicht, genauso wenig wie Instrumente, um sie umzusetzen. Manchmal werden Projekte finanziell unterstützt, doch Kriterien für die Zutei- lung gibt es nicht.

93 Schlögel | Glondys Bitte führen Sie diese Argumente an, wenn Sie mit Menschen sprechen, die für eine Re-Nationalisierung von Kultur und Bildung eintreten. Die Kultur ist Träger von Ideen und Ideologien, und es ist noch nicht sehr lange her, dass die sozialis- tischen Systeme in Europa diese Verbindung ausgiebig genutzt haben. Aus diesem Grund warne ich jeden davor, Kultur für politische Zwecke zu missbrauchen.

Pack Zunächst zu den Kulturhauptstädten. Ich stimme Herrn Schlögel zu, dass St. Pe- Europäische Kulturhauptstädte tersburg eine bessere Wahl gewesen wäre als Graz. Aber wenn Sie wüssten, wie werden ausgekungelt die Kulturhauptstädte ausgekungelt werden, dann würden Sie sich schämen, dass es überhaupt welche gibt. Der EU-Ministerrat hat die Kulturhauptstädte bis ins Jahr 2019 festgelegt, und es ist keine einzige Stadt aus den neuen Ländern dabei, weder Budapest noch Prag, Krakau oder Tallinn! Unser Protest im Europäischen Parlament gegen diese Vorgehensweise wurde in Brüssel einfach abgetan. Das gehe uns nichts an, wurde uns beschieden. Wir sollen jetzt über die nächste Kulturhauptstadt entscheiden. Griechenland ist an der Reihe, und der einzige Vorschlag ist Patras, ohne irgendeine Wahlmöglichkeit. Wir haben angeregt, Grie- chenland solle wenigstens Patras im Tandem mit einer Stadt aus den Beitrittslän- dern vorschlagen. Doch der Auftritt des griechischen Ministers vergangene Wo- che im Ausschuss des Ministerrats war alles andere als befriedigend. Wir dürfen der europäischen Kulturpolitik Zum Artikel 151 des EU-Vertrags über Kultur möchte ich anmerken, dass er nicht die rechtlichen Grundlagen entziehen, genau das beinhaltet, was Herr Strasser fordert, nämlich einen dialogischen Plu- nur weil sie schlecht umgesetzt wurde ralismus. Die Maßnahmen sollen darauf abzielen, die Nachbarkulturen kennen zu lernen. Aber wie die Kommission diese Forderung umsetzt, ist erbärmlich. Daher wundert es mich nicht – und da stimme ich Herrn Jones zu –, wenn einige dieser Politik leichten Herzens die Unterstützung entziehen. Doch wir riskieren damit, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Wenn wir nämlich das Programm mit sei- nen eher symbolischen 160 Millionen Euro streichen, weil die Kommission nicht das Beste daraus macht, verlieren wir gleichzeitig die Unterstützung für alle guten Projekte des Europäischen Parlaments im Kulturbereich. Für das europäische Jugendorchester, die Chöre und auch das Programm Ariane zur Übersetzung von Literaturen aus kleineren Sprachräumen hätten wir dann keine legale Basis mehr. Wegen dieses Dilemmas müssen wir an dem Kulturprogramm festhalten, so schlecht es bisher auch umgesetzt wurde. Dann zum Thema Bildung. Das Erasmus-Programm bestand lange, bevor Bil- dung 1992 in den Vertrag aufgenommen wurde. Das konnte geschehen, weil es nicht als allgemeine, sondern als berufliche Bildung verstanden wurde. Berufli-

Glondys | Pack 94 che Bildung wiederum konnten wir in Europa betreiben, weil die EG für die Wirt- schaft zuständig war. 1992 wurde aus »Erasmus« »Sokrates«, und es kam eine ganze Reihe sinnvoller anderer Initiativen hinzu. Inzwischen sind dadurch immerhin eine Million Studenten nach Europa gegangen. Das hat dazu geführt, dass wir uns im Bologna-Prozess Gedanken über das Kredittransfersystem machen. Daher sehe ich keine so große Gefahr, dass der Bildungsartikel im Kon- vent scheitern könnte, wohl aber der Kulturartikel. Um dies zu verhindern, soll- ten wir eine entsprechende Anfrage an den Konvent richten.

95 Pack III. Europa und die Welt: Herausforderungen

von der Gablentz Erlauben Sie mir einige überleitende Bemerkungen zu unserem dritten Thema »Europa und die Welt: Herausforderungen«. In dem ersten Thema haben wir verschiedene Facetten der Frage, was euro- päische Kultur ist, beleuchtet: von unserem Geschichtsbild bis hin zu den Kriech- strömen des schnellen gesellschaftlichen Wandels, die deutlich machen, dass europäische Kultur nichts Statisches ist. Im Gegenteil verändert sich die europäi- sche Kulturszene rasend schnell im Prozess der Rekonstruktion des europäischen Kulturraums nach dem Fall der Mauer, der sich institutionell in der Erweiterung der Europäischen Union widerspiegelt. Nach der ersten Gesprächsrunde waren wir uns einig, dass die europäische Kultur Kapital für die Zukunft des europäi- schen Aufbaus sein wird. Was die Aufgaben der Kulturpolitik anbelangt, wurde beim zweiten Thema deutlich, dass wir den Platz der Kultur beim Aufbau eines neuen Europas sichern müssen. Das ist vor allem deshalb nötig, weil viele Kräfte Kultur und Kulturpoli- tik als Reservat der Nationalstaaten betrachten. Bei den Instrumenten der Kultur- politik haben wir über die Rahmenbedingungen gesprochen, die durch die euro- päischen Verträge und die Debatten im Konvent geschaffen werden. Gleichzeitig kamen wir immer wieder darauf zurück, dass die Netzwerke der Menschen über die Grenzen hinweg das eigentlich Entscheidende sind und wie man sie fördern kann. Auch auf die wichtige Rolle der Erziehung und Bildung haben wir mehrfach hingewiesen. Gijs de Vries betonte besonders die Bedeutung der Kultur bei der Ent- stehung einer politischen Gemeinschaft, einer Polis auf europäischer Ebene. Genauso waren wir uns einig, dass die Zivilgesellschaft zwar eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der Kultur spielt, dass Kultur aber dennoch eine Aufgabe des öffentlichen Sektors bleibt. Zum dritten Thema, Europas kultureller Rolle in der Welt, fielen in den letz- ten Debatten schon einige Stichworte: Migration, Akkulturation und die Rolle der 12 bis 15 Millionen Moslems, die schon heute in Europa leben. Wichtig war auch der Dialog der Kulturen in einer globalisierten Welt, die zum Großteil auf euro- päischen Wert- und Kulturvorstellungen basiert. Gleichzeitig aber ändert Globali- sierung den Charakter der kulturellen Entwicklung, so dass die Globalisierung der Kultur heute ihre Europäisierung überholt. Daraus ergab sich die Frage nach den Instrumenten der Politik: Ist es möglich, eine auswärtige Kulturpolitik Europas zu entwickeln, eine Selbstdarstellung der Union, die natürlich auch der kulturellen Selbstbehauptung Europas in einer globalisierten Welt dienen wird?

von der Gablentz 96 Ich bin auch Atheist, aber vergessen Sie nie, dass Sie ein muslimischer Atheist sind, ich dagegen ein anglikanischer Atheist.

Ergüder

Einige Anekdoten mögen verdeutlichen, welche Verwirrung hinsichtlich der tür- Ergüder kischen Identität und der Rolle der Türkei in Europa herrscht. Die Türkei hat eine Als ich 1959 an der Universität von Manchester studierte, ging ich häufig in vielschichtige Identitätskrise: die Stadtbibliothek, um mich auf meine Prüfungen vorzubereiten. Dort gab es nicht nur gute Bücher, sondern man konnte auch sehr interessante Menschen treffen. Eines Tages näherte sich mir während der Kaffeepause ein angetrunkener Herr und fragte mich, woher ich käme. Als ich antwortete »aus der Türkei«, sagte er: »Dann sind Sie Moslem.« Ich erwiderte, das stehe zwar so in meinem Pass, ich sei aber noch nie in einer Moschee gewesen. Darauf gab er die schlagfertige Ant- wort: »Dann müssen Sie ein Atheist sein – ich bin auch Atheist, aber vergessen Sie nie, dass Sie ein muslimischer Atheist sind, ich dagegen ein anglikanischer Atheist.« Für mich bringt das die Rolle der Religion in der Kultur sehr gut auf den Punkt. Auf einer Konferenz der Fletcher-School im vergangenen Jahr in Boston über die griechisch-türkischen Beziehungen brachte eine Dame ein gutes Argument für die türkische Mitgliedschaft in der Europäischen Union aus der Sicht Grie- chenlands vor. Sie sagte, die griechisch-orthodoxe Kirche sei eine östliche und keine westliche Religion. In ihren Augen seien die Unterschiede zwischen dem griechischen und dem westeuropäischen Christentum so groß, dass sich Grie- chenland wegen seiner kulturellen Nähe zur türkischen Ausprägung des Islam der Türkei manchmal näher fühle als Europa. Das hat meine Vorstellung vom Chris- tentum als Einheit oder als homogener Kultur erschüttert. Und die »Völkertafel«, die hier herumgereicht wurde und auf der typische Cha- raktereigenschaften der verschiedenen Nationen abgebildet sind, stellt Griechen und Türken gemeinsam dar; als Illustration wird eine türkische Wache gezeigt. Sie sehen also, wie groß die Verwirrung auf allen Seiten über die türkische Identität ist. Diese Identitätskrise lässt sich durch einige unterschiedliche Fakto- ren erklären. Herr Strasser hat erwähnt, dass die Türkei von Anfang an in die Diskussion geografisch... über europäische Integration einbezogen wurde. Auch dazu eine Anekdote: In den frühen 70er Jahren wurde die Bosporus-Universität eingeladen, dem Europä- ischen Konsortium für Politikforschung beizutreten. Damals hatten wir dafür nicht genügend Mittel und konnten nicht beitreten. Als wir dann 1982 beitreten wollten, ließ uns der Präsident des Konsortiums wissen, wir könnten nicht Mit- glied werden, weil die Türkei geografisch nicht zu Europa gehöre. Nach dem Ein- spruch eines eloquenten amerikanischen Wissenschaftlers hätten wir dennoch

97 Ergüder beitreten können, aber nur deshalb, weil unsere Universität um einige hundert Meter auf der europäischen Seite des Bosporus liegt. Über diese Argumentation waren wir dann doch etwas verwundert und haben abgelehnt. ...historisch... Eine weitere Komponente unserer Identitätskrise ist historisch bedingt. 1683 standen die Türken vor den Toren Wiens, und das hat heute einen zweischneidi- gen Nachhall. Einerseits sind wir stolz darauf, bis ins Herz Europas vorgestoßen zu sein, andererseits sind sich die Türken bewusst, dass die Europäer dies als einen Angriff der Ungläubigen, der Barbaren verstehen. Deshalb haben die Türken einen »Ungläubigen-Komplex« und reagieren auch auf gut gemeinte europäische Kritik sehr sensibel. Gleichzeitig sind wir allerdings ganz in Europa vernarrt und orientieren uns meist nach Westen. Ein kleines Beispiel: Der türkische Wetterbe- richt deckte zeitweise nur Westeuropa ab, nicht aber den Nahen Osten oder Nord- afrika, obwohl wir sehr enge Beziehungen zu diesen Regionen haben. ...und ethnisch Neuerdings ist die ethnische Dimension der türkischen Identitätskrise wich- tiger geworden. Während des Kalten Kriegs stellte sich die Frage nach den Bezie- hungen zu den türkischstämmigen Völkern in Mittelasien nicht wirklich, da wir eindeutig zum westlichen Lager gehörten und sie weit hinter den sowjetischen Grenzen lagen. Mit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums änderte sich das schlagartig. Jetzt lenken die Turk-Völker die Türkei von Europa ab, und manche können sich eine Orientierung nach Mittelasien als Alternative vorstellen. Wir haben uns auch in die inneren Angelegenheiten dieser Staaten eingemischt. Das macht die Frage nach der türkischen Identität noch schwieriger. Auch die Beziehungen zu den arabischen Staaten sind problematisch. Histo- risch gehörten die arabischen Staaten zum Osmanischen Reich. Manche hegen deshalb Ressentiments gegen die Türkei (ein »antikoloniales Syndrom«), während die Türken auf die Araber herabsehen, weil sie sich im Ersten Weltkrieg von ihnen verraten fühlten (das »Lawrence-von-Arabien Syndrom«). Man darf auch nicht ver- gessen, dass die Türken erst spät zum Islam konvertierten. Deshalb sind sie für die Araber keine echten Muslime – eine Wahrnehmung, die durch unseren Versuch verstärkt wurde, eine säkulare Republik zu begründen. Deshalb sind wir auch aus Sicht der Araber Ungläubige. Der Islam stellt also keine so starke Bindung zum ara- bischen Nahen Osten dar, wie man annehmen könnte. Die Kontakte zwischen der Damit komme ich zu den gegenwärtigen Beziehungen zwischen der Türkei Türkei und Europa werden stärker und Europa, die in mancher Hinsicht paradox wirken. Herr Schlögel erwähnte die Bedeutung der Kriechströme: Die Verbindungen zwischen den Menschen in Europa und der Türkei sind heute sehr eng. NGOs, Universitäten und andere Bil-

Ergüder 98 dungseinrichtungen verstärken ihre Kontakte nach Europa. Meine ehemalige Uni- versität hatte anfangs – wie die meisten anderen auch – starke Verbindungen zu amerikanischen Universitäten, und zwar ohne Zwischenstopp in Europa. In den letzten zehn Jahren haben wir an der Bogazici Universität aber unsere Kontakte zu europäischen Universitäten ausgebaut und sind jetzt zum Beispiel aktives Mit- glied im Europäischen Universitätsverband. Istanbul ist zu einer wichtigen Metropole des modernen Europas geworden. Für den Tourismus und die Unterhaltungsindustrie ist diese Stadt so bedeutsam, dass sie schon mit New York verglichen wurde. Festspiele wie das Klassische Musikfestival, das Istanbuler Jazzfestival und die Film- und Theaterfestivals haben eine starke europäische Ausrichtung. Auch der Tourismus verbindet, und die Tür- kei engagiert sich heute viel stärker im internationalen Sport wie im Fußball oder Basketball. Die Globalisierung wirkt sich erheblich, aber ambivalent auf die Türkei aus. Die Elite fühlt sich zum Teil dem Westen zugehörig, während andere sich aus- gegrenzt fühlen. Das führt zu Spannungen in unserem Land. Eine der interes- santesten Auseinandersetzungen findet zwischen den Islamisten und den Säku- laristen statt. Wir können derzeit beobachten, wie der Säkularismus, der den Menschen ursprünglich von oben aufgezwungen wurde, internalisiert wird. Das ist nur möglich, weil eine islamische Partei die Wahlen gewonnen hat. Die AKP- Regierung (Gerechtigkeits- und Freiheitspartei) hat eindeutig islamische Wurzeln, aber sie hat die Religion zur individuellen Gewissensentscheidung erklärt und will sie nicht für politische Zwecke missbrauchen. Das Paradoxe an der Türkei ist, dass manche Säkularisten Fundamentalisten Die Islamisten sind starke Europaanhänger, sind, für die der Säkularismus den Platz der Religion einnimmt. Sie haben die die Säkularisten Europaskeptiker Machtstrukturen Ankaras tief durchdrungen und misstrauen Europa, weil es De- mokratie, Menschenrechte und kulturelle Vielfalt fördert, die zum Auseinander- brechen (durch das »Kurdenproblem«) oder zur Zerstörung (durch den politischen Islam) der säkularen kemalistischen Republik führen könnten. Die herrschende kemalistische Elite ist sehr vorsichtig, weil sie vermutet, dass Europa den Islamis- ten dabei helfen könnte, einen Staat auf der Grundlage des islamischen Rechts, der Scharia, zu errichten. Dagegen sind die Islamisten zu den stärksten Euro- paanhängern in der Türkei geworden. Besonders nach dem 11. September hat der gemäßigte Islam der AKP auch in Europa und den USA viel Unterstützung erfah- ren. Überdies haben die Islamisten erkannt, dass eine nähere Bindung der Türkei an Europa die demokratischen Werte in der Türkei festigen würde. Das wiederum

99 Ergüder würde die politische Existenz der Islamisten sichern. Dieser Gegensatz polarisiert mitunter die Gesellschaft sehr, so dass die säkulare kemalistische Elite in der Beto- nung von Demokratie und Europa durch die AKP eine Verschwörung zur Errich- tung eines islamischen Staates sieht. Der Dialog mit Europa stärkt Obwohl die Türkei sich also klar der Demokratie verpflichtet hat, haben wir Demokratie und Säkularismus noch einen steinigen Weg vor uns. Wir befinden uns in einer Phase, in der der Säkularismus internalisiert wird. Engere Beziehungen zu Europa, selbst die Auf- nahme eines Dialogs mit Europa, können zur Konsolidierung der Demokratie und zur Vermittlung zwischen dem politischen Islam und dem fundamentalistischen Säkularismus in der Türkei beitragen. Europa hat bei der Demokratisierung Grie- chenlands eine zentrale Rolle gespielt. Wir können nur hoffen, dass es mit der Türkei ähnlich verlaufen wird, auch wenn die Probleme hier sehr viel komplexer sind. Viele Menschen haben das Ergebnis des Kopenhagener Gipfels sehr negativ aufgenommen. Ich sehe das nicht so, weil der Dialog als solcher hilfreich ist, denn die Türkei weist aus der Sicht Europas tatsächlich einige problematische Züge auf. Um uns der Problematik bewusst zu werden, müssen wir gar nicht über Kultur und Religion sprechen; eine demografische Statistik macht das deutlich: Die Bevölkerungsentwicklung in der Diese Zahlen zeigen, dass die Türkei im Vergleich zu den jetzigen Mitglieds- Türkei ist zugleich Chance und Problem staaten der EU eine sehr junge Bevölkerung hat. Selbst die neuen Beitrittskandi- daten aus Mittel- und Osteuropa können die demografischen Probleme der Euro- päischen Union nicht lösen. Berechnungen für 2025 sagen auch für die Türkei einen Rückgang des Bevölkerungswachstums vorher, aber das wird sich erst mit einer deutlichen Zeitverzögerung bemerkbar machen. Die Bevölkerungsentwicklung ist aber nicht nur für Europa ein Problem, son- 0–15 über 60 dern auch für die Türkei. Einige Nationalisten behaupten, eine junge Bevölkerung Jahre Jahre sei in jedem Fall gut. Ich sehe das anders. Eine junge, gut ausgebildete und pro- Türkei 30% 5% demokratische Bevölkerung wäre sowohl für die Türkei wie für Europa ein Griechenland 15% 22% Gewinn, da sie die nötigen Arbeitskräfte liefern könnte. Mit dem Istanbul Policy Großbritannien 18% 16% Center haben wir kürzlich ein Forschungsvorhaben bei der Soros-Stiftung und Italien 14% 21% anderen Institutionen eingereicht, mit dem wir die Frage untersuchen wollen, wie Deutschland 15% 20% wir unsere Jugend ausbilden sollten, damit sie zu den Bürgern werden, die wir Ungarn 14% 13% 2025 haben möchten, insbesondere was die demokratischen Werte angeht. Daher Bulgarien 15% 19% bin auch ich der Meinung, dass Ausbildung ein ganz zentrales Thema ist, dem wir Tschech. Rep. 16% 15% uns in der Türkei wie in Europa annehmen müssen.

Ergüder 100 Ich bin sehr dankbar für die Worte von Herrn Ergüder. Zum einen, weil es doch Isar sehr schwierig ist, als Vertreter des »Restes der Welt« in so einer hochkarätig Ein Beitrag vom »Rest der Welt« besetzten europäischen Diskussionsrunde aufzutreten, und deshalb schätze ich seinen moralischen Beistand. Und zum anderen habe ich festgestellt, dass die ver- westlichten Eliten und Mittelschichten überall auf der Welt in ihren Reaktionen auf und Erwartungen an Europa im Grunde vor den gleichen Paradoxa und Di- lemmata wie die Menschen in der Türkei stehen. Außerdem – und hier komme ich auf die Bemerkungen von Herrn Schlögel zum kulturellen Austausch zurück – funktionieren die Kontakte zwischen einzelnen Menschen, der Austausch zwi- schen Zivilgesellschaften und die Dynamik von Netzwerken international auf ganz ähnliche Weise. Auch wenn die Schwierigkeiten größer sein mögen und die Grundvoraussetzungen ganz verschieden sind, bringen doch die gleichen Inter- aktionsprozesse Europäer und Asiaten, Europäer und Afrikaner sowie Europäer und Lateinamerikaner auf unterschiedliche Weise in neue Beziehungen zueinan- der. Durch die Globalisierung ist es notwendig geworden, nach neuen globalen Werten zu suchen. Diese Suche muss selbstverständlich interkulturell erfolgen. Denn viele Probleme berühren nicht nur einzelne Regionen oder Nationen, son- dern betreffen letztlich uns alle. Wir können nicht länger um die Gebiete, in denen wir leben, Grenzen ziehen. So wie Ursache und Wirkung, Aktion und Reak- tion sich nicht um Landes- oder Nationengrenzen scheren, so ist es auch mit der moralischen Verantwortung. Doch die Kultur kann die Lücken zwischen europäi- schen Prinzipien und europäischem Handeln nicht schließen. Immer wieder wird etwa gesagt, dass globaler freier Handel den Entwicklungsländern helfe. Doch die- ses Konzept funktioniert nicht, da die Volkswirtschaften dieser Länder sich den Regeln der reichen Länder unterordnen müssen. Diese wiederum nutzen die Vor- teile, die ihnen der Freihandel bietet, und schließen den Rest der Welt von diesen Vorzügen aus.2 Vor Jahren hat Edgar Morin diesen Sachverhalt sehr elegant auf den Punkt

2 Vgl. das kürzlich erschienene Buch Kicking Away the Ladder: Development Strategy in Historical Per- spective des Volkswirtschaftlers Ha-Joon Chang. Der Autor benutzt dort das von Friedrich List entwickelte Bild des „kicking away the ladder“, so wie es im 19. Jahrhundert von den Industrie- nationen praktiziert wurde.

101 Isar Europa hat seine kulturelle gebracht: »Europa hat die Welt europäisiert und den Europäismus globalisiert.« Führungsrolle verloren Die Kolonisation Amerikas und die nachfolgende Gründung der Vereinigten Staa- ten von Amerika war einer der ersten Schritte in diesem Prozess. In jüngerer Zeit sind in diesem Zusammenhang die Verbreitung der vier »D’s«, wie Frau Ahrweiler es genannt hat, also Démocratie, Dialogue, Développement und Droits de L’Homme, sowie die Schaffung der Vereinten Nationen zu nennen. Doch was heute von Europa in Sachen Kultur ausgeht, hat keine Leitfunktion mehr: Europäische Kultur hat weder die Bedeutung noch die Stellung, die sie einmal innehatte, auch wenn Euro- zentristen wie Hans Magnus Enzensberger immer noch der Meinung sind, es gebe eine europäische Hegemonie in den Bereichen Wirtschaft und Kultur. Die Länder der Dritten Welt wollen nicht »westlich« werden, wenn damit »europäisch« ge- meint ist. Wenn überhaupt, dann möchten diese Länder amerikanisch werden – und sie sind zum Teil bereits auf dem besten Weg dazu. Das heißt, das »europäi- sche Projekt« wird nicht in angemessener Weise wahrgenommen und geschätzt. Die interessanten und vielfältigen Diskussionen, die wir über dieses Projekt füh- ren, und ihre Relevanz für andere Weltregionen werden einfach nicht gut genug verstanden. Praktisch die einzige Ausnahme in diesem Zusammenhang dürfte die französische exception culturelle sein, die mittlerweile als diversité culturelle begriffen wird. Der Rest der Welt glaubt nicht daran, dass Europa seinen alten universalisti- schen Ansatz der »Zivilisation«, der die europäische Hochkultur weltweit als Spitze der Entwicklung sah, inzwischen modifiziert hat und Europa tatsächlich zu einem interkulturellen Dialog bereit ist. Durch die wirtschaftliche und geopo- litische Dominanz des Westens wird ein Dialog auf Augenhöhe verhindert. Für beide Seiten ist es nicht leicht, den jeweils anderen gleichberechtigt zu be- handeln. In seinem Artikel »Postcoloniality and the Artifice of History«3 schreibt der in- dische Autor Dipesh Chakrabarty, das größte Hindernis für einen Dialog sei, dass europäische Erfahrungen immer noch aus einer Perspektive der Überlegenheit heraus präsentiert werden. Die vorherrschenden Konzepte der Moderne ver- weisen alle auf Europa als quasi den einzigen Ort der Moderne. Diese Sichtweise wird allerdings nicht nur von Europäern propagiert. Der Nationalismus in der

3 In Unpacking Europe, einem Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Boijmans Van Beuningen Museum in Rotterdam im Jahr 2001.

Isar 102 Sogar die Unwissenheit ist asymmetrisch.

Isar

Dritten Welt – im Übrigen die moderne Ideologie par excellence – ist genauso dafür verantwortlich. Intellektuelle und Historiker aus der Dritten Welt zum Beispiel müssen in ihren Arbeiten immer noch auf Werke und Ereignisse der euro- päischen Geschichte verweisen, während Europäer umgekehrt keineswegs auf Autoren aus Ländern der Dritten Welt Bezug nehmen. Sogar die Unwissenheit ist asymmetrisch: Europa bleibt der Souverän, das theoretische Subjekt der Ge- schichte, auch bei denen, die wir »Inder«, Marokkaner« oder »Chinesen« nennen. So sind Historiker aus jenen Ländern dazu verdammt, Europa als den Geburtsort der Moderne zu akzeptieren, während die europäischen Historiker die Vergan- genheit des größten Teils der Menschheit keineswegs in demselben Maße zur Kenntnis nehmen. Deshalb ist es so wichtig, dass man sich auf allen Seiten bemüht, einen wirk- Globale Werte können lichen interkulturellen Dialog in Gang zu setzen. Einen Dialog, den die Delors- durch interkulturellen Dialog Kommission, die Internationale Kommission zur Erziehung für das 21. Jahrhun- gefunden werden dert, als einen Prozess des »Zusammenleben-Lernens« bezeichnet. Ein solcher Prozess entsteht, wenn man durch ein »Verständnis der Anderen und ihrer Ge- schichte, Traditionen und spirituellen Werte einen neuen Geist schafft, der die wachsende gegenseitige Abhängigkeit anerkennt und eine gemeinsame Analyse der Risiken und Herausforderungen der Zukunft anstellt. Dann sind die Menschen auch bereit, sich für gemeinsame Projekte zu engagieren und die unvermeid- lichen Konflikte auf intelligente und friedliche Weise zu lösen.«4 Ich sehe darin eine Art »interkulturelle Deontologie«: also ein interkultu- relles moralisches Handlungsmuster. Dieser Prozess wird von selbst ernannten Multiplikatoren, von Philosophen, Künstlern, Politikern und Entscheidungsträ- gern in anderen Feldern bewusst getragen. Sie organisieren Treffen von Indivi- duen und Gruppen, um so die logischen Kategorien, Symbole und Mythen, also die Grundzüge der jeweiligen Kulturen, kennen zu lernen, die dann auf einem gemeinsamen neuen Terrain eingebracht werden. So entsteht ein gemeinsames Ganzes, das für alle Beteiligten neu ist und das niemand für sich allein beanspru- chen kann. Interkulturelle Begegnungen können auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Eine vorläufige Typologie, die auf bereits bekannten »Modellen« aufbaut, könnte

4 Education: the Treasure Within, Bericht der Internationalen Kommission zur Erziehung im 21. Jahrhundert, UNESCO Publishing, 1996.

103 Isar wie folgt aussehen: Auf der höchsten Ebene könnten Staats- und Regierungschefs zusammentreffen, die entsprechend diplomatischen Normen einen abstrakten Dialog wie den »Dialog der Kulturen« führen. Das Modell eines interreligiösen Dia- logs richtet sich an religiöse Führer. Das Thema ihre Gespräche ergäbe sich von selbst. In dem Modell repräsentativer intellektueller Persönlichkeiten könnten Akademiker, Journalisten und andere Meinungsführer aus unterschiedlichen Kul- turen vor dem Hintergrund liberaler und gemeinsamer interkultureller ethischer Werte diskutieren. In einem so genannten transaktionalem Modell würden sich Manager und Wirtschaftsführer treffen, um vor dem Hintergrund verschiedener kultureller Grundannahmen über ihre jeweiligen Einstellungen zur Weltwirt- schaft zu debattieren. Schließlich könnte ein Modell epistemischer Gemeinschaf- ten Spezialisten verschiedener Disziplinen ansprechen, also Wissenschaftler, Künstler, Vertreter von Nicht-Regierungs-Organisationen, Journalisten. Oder man bringt Menschen aus einer Altersgruppe oder eines Geschlechts zusammen, z.B. junge Leute oder Frauen. Wir müssen diejenigen Diese Modelle werden allerdings sicherlich vor allem von denjenigen verfolgt, erreichen, die nicht vom Prinzip die bereits von der Notwendigkeit eines interkulturellen Dialogs überzeugt sind. des Dialogs überzeugt sind Natürlich wäre es aber die vorrangige Aufgabe, diejenigen zu erreichen, die noch nicht überzeugt sind, einschließlich derer, die einen Dialog vielleicht sogar grund- sätzlich ablehnen. Das ist die Herausforderung des »nach außen Gehens«. Das heißt, es müssen andere als die »üblichen Verdächtigen« angesprochen werden. So muss versucht werden, auch Meinungsführer auf lokaler Ebene zu erreichen, z.B. Bürgermeister, also Personen, die der Bevölkerung am nächsten sind. Weltweit müssen wir im Bereich der interkulturellen Beziehungen und des gegenseitigen Verständnisses auch auf lokaler Ebene Fortschritte erzielen. Dazu müssen wir unsere Ziele neu definieren. Es sind also nicht nur die Regierungen und die eta- blierten nationalen Eliten einzubeziehen, sondern auch zivile und lokale Organi- sationen sowie der private Sektor und die lokalen Medien. Anders gesagt, der Dis- kurs und auch der interkulturelle Dialog selbst müssen viel breiter geführt werden. Der Präsident der Europäischen Kommission, Romano Prodi, hat gerade einen »Rat der Weisen« eingerichtet, der untersuchen soll, wie die Europäische Union solche Beziehungen entwickeln kann, und der sich um die unmittelbaren Nach- barn der Europäischen Union kümmern soll. Die Mitglieder des Rates sind Intel- lektuelle aus dem südlichen und östlichen Mittelmeerraum. Sie kommen aus Län- dern wie der Türkei, Israel oder Marokko. Der französische Journalist Jean Daniel

Isar 104 und die bekannte marokkanische Juristin Assia Bensalah Alaoui sitzen gemein- sam diesem Rat vor. Eine weitere Initiative, die erst im Entstehen begriffen ist, ist die Initiative Beispiel: das indische der indischen Regierung, ein Internationales Zentrum für den Dialog der Kultu- »Internationale Zentrum für ren einzurichten. Dazu habe ich einige Gedanken beigetragen. In einem solchen den Dialog der Kulturen« interkulturellen Zentrum sind folgende Aktivitäten denkbar: Man könnte ein jähr- liches »Davos« des interkulturellen Dialogs organisieren, hochrangige wissen- schaftliche Konferenzen und Zusammenkünfte über Demokratie, Menschen- rechte, Gleichberechtigung der Geschlechter, Säkularisation und religiöse Identi- tät – alles Themen, die manchmal innerhalb von Gesellschaften kontroverser dis- kutiert werden als zwischen verschiedenen Gesellschaften oder Staaten. Das Zen- trum könnte auch Seminare für eine mittlere Führungsschicht anbieten, also vor allem für Praktiker auf lokaler Ebene und z.B. für Stadt-Manager. Auch Workshops für Journalisten wären denkbar, die ihre interkulturelle Kompetenz fördern. Ein solches Zentrum könnte sich mit Themen beschäftigen, die für einen Dialog zwi- schen den Kulturen essentiell sind, wie zum Beispiel religiöser Fundamenta- lismus. Das ist sowohl aus einer internationalen oder aber auch aus einer trans- nationalen Perspektive heraus denkbar. Man könnte multikulturelle Lexika der grundsätzlichen Werte-Kanons, die in unterschiedlichen Kulturen benutzt wer- den, erstellen. Möglich wären auch Fall-Studien über Dialog und Kooperation zwi- schen ethnischen oder kulturellen Gemeinschaften, die publiziert und als Modell für andere genutzt werden.

Als Letzter, der ein Einführungsreferat hält, fühle ich mich ein wenig wie ein Smith Ergebnis, das erst auf Seite 42 einer Google-Suche auftaucht – viele der Punkte, die ich nennen wollte, wurden bereits angesprochen. Ich kann deshalb zwei Dinge versprechen: Ich werde mich kurz fassen und keine amerikanischen Politiker namentlich erwähnen. Ich werde es auch vermeiden, auf die Rolle Europas in der Welt und die Globalisierung einzugehen, weil ich meine, dass diese eindrucks- volle Runde von Kulturvermittlern sich nicht mit solch allgemeinen theoreti- schen Fragen befassen sollte. Stattdessen möchte ich mich darauf konzentrieren, auf welchen Wegen Kul- Kulturelle Übermittlungswege tur übermittelt wird. Wir sollten uns vor einem insularen Bild europäischer Kul- können Legitimität beeinflussen tur als einer romantisch historisierten Einheit hüten. Interessant ist für mich die Frage, wie Kultur übertragen wird und wie unter den Bedingungen der Globali- sierung und der weltweiten Vermischung von Kulturen sich ein europäisches

105 Isar | Smith Selbstbewusstsein bilden kann. Der Weg, den ein Kulturprodukt nimmt, kann heute über seine Legitimität entscheiden. So wurde beispielsweise Carl Schmitt in Deutschland kaum gelesen, bis plötzlich einige seiner Bücher ins Englische, Fran- zösische und Italienische übersetzt wurden. Nur weil sie im Ausland rezipiert wur- den, spielten sie auch in Deutschland wieder eine Rolle. Auch Walter Benjamins Moskauer Tagebücher kamen erst nach Amerika, nachdem sie in Frankreich ver- öffentlicht wurden. Diese Transmissionswege sind nicht nur zufällig; ein deut- scher Künstler zieht nicht wegen der Miete nach Brooklyn Heights – die ist am Prenzlauer Berg günstiger –, sondern weil die Umgebung dort Prestige verleiht. Wir Kulturvermittler interpretieren das als Zeichen für Expertise, für herausra- gende Leistung und Qualität. Dadurch wird es zu einem Auswahlkriterium für Intellektuelle und Künstler. Methoden der Kunstförderung In Europa beurteilt man Kunst ganz anders als in Amerika. Als wir ein unterscheiden sich zwischen den deutsch-amerikanisches Künstlerprogramm ins Leben riefen, hatten wir darüber USA und Europa große Auseinandersetzungen. Die deutschen Sponsoren wollten mit Hilfe ihrer Netzwerke und Berater eine Vorauswahl interessanter Künstler treffen, während die Amerikaner aus Fairnessgründen darauf bestanden, einen ganzen Tag lang im Whitney alle 112 Bewerber zu begutachten. Viele Arbeiten waren nicht besonders überzeugend, aber wenn man so umfassend vorgeht, kann man auch Entdeckun- gen machen. Auch das Internet macht Entdeckungen möglich und erschwert sie zugleich wegen der ungeheuren Masse an Informationen. Ich bin gebeten worden, mich aus amerikanischer Sicht zur kulturellen Rolle Europas in der Welt zu äußern. Dabei will ich mich auf die unterschiedlichen Ansichten zu Fragen der Ethnizität und des Weltbürgertums konzentrieren. Als Experte für deutsch-jüdische Kulturgeschichte im frühen 20. Jahrhundert emp- fehle ich, die Diskussionen am Vorabend des Ersten Weltkriegs erneut in den Blick zu nehmen. So zum Beispiel die infame Kunstwartdebatte, die sich um die Defi- nition »deutscher Kunst« angesichts ihrer starken Veränderung durch jüdische Einflüsse drehte. Ein Journalist fragte in einem Bericht über den Kunstwart, wie Juden als Anwälte der deutschen Kultur fungieren konnten, wenn sie nicht als Teil dieser Kultur akzeptiert wurden. Dieser Artikel führte zu einer lang anhaltenden und lautstarken Diskussion. Die Frage ist nicht, ob wir die Durchmischung der europäischen Kultur mit amerikanischer, chinesischer, lateinamerikanischer oder einer anderen Kultur akzeptieren. Die wechselseitige Durchdringung ist eine Tatsache, die sich nicht leugnen lässt; sehen Sie sich nur die monatliche Bestseller-Liste in der Süddeut-

Smith 106 schen Zeitung an und wie viele Übersetzungen dort auftauchen. Die Forscher soll- ten sich daher damit befassen, wie man »europäische Kultur« neu definieren und übermitteln kann.

In Ihrem Beitrag, Herr Smith, wird deutlich, dass Europa und Amerika trotz von der Gablentz aller Schwierigkeiten durch steten kulturellen Austausch eine kulturelle Region bilden.

Unsere Diskussion hat gezeigt, dass wir bei dem Thema europäische Identität sehr Strasser vorsichtig sein müssen. Eine ungebrochene Identität, so wie man sich das einmal Europäische Kultur sollte vorgestellt hat, kann und sollte es unter der Last der europäischen Geschichte von Ironie geprägt sein nicht geben. Es wäre daher gut, wenn die europäische Kultur von Ironie geprägt wäre. Vielleicht gelingt es uns, Ironie mit Engagement zu verbinden und so eine Rolle der Europäer in der Welt zu definieren, die uns vor Missionarismus bewahrt. Vor diesem Hintergrund nenne ich fünf Punkte zur Rolle Europas, die mir wich- tig sind. Erstens. Wenn die Europäer eine gestaltende Rolle in der Welt annehmen wol- len, müssen sie auch Verantwortung für Afrika tragen. Wenn es Europa nicht tut, wird keine andere Großregion der Welt diese Aufgabe übernehmen. Wie dringend nötig das ist, zeigen die desaströsen Entwicklungen in großen Teilen Schwarz- afrikas. Zweitens werden wir als Europäer, ob wir es wollen oder nicht, die Vermitt- lung über das geografische Europa hinaus nach Osten leisten müssen. Sowohl die Türkei als auch Israel müssen in einer längerfristigen Perspektive in die Europäi- sche Union eingebunden werden. Israel beispielsweise kann meines Erachtens ökonomisch auf Dauer nicht als Außenposten der USA existieren, sondern es muss zu Europa gehören. Drittens. Damit ergibt sich gleichzeitig eine Mittlerrolle zur islamischen Kul- tur, die ohnehin zum Grundbestand europäischer Kultur gehört. Wir wüssten nichts von Aristoteles, wenn uns nicht die islamischen Gelehrten daran erinnert hätten, wo unsere griechischen Wurzeln sind. Viertens müssen die Europäer eine Alternative zum ökonomistischen ame- Vorsicht vor ökonomischem rikanischen Modell der Globalisierung entwickeln, das heute dominant ist. Ich Fundamentalismus! sehe – und hier beziehe ich mich auf den Präsidenten der Georgetown Universität, einen amerikanischen Jesuiten – eine neue Gefahr des Totalitarismus, die darin besteht, dass die ökonomische Logik alle Lebensbereiche durchdringt und domi-

107 Smith | von der Gablentz | Strasser niert. Wir in Europa haben schreckliche Erfahrungen mit dem politischen Totali- tarismus gemacht. Religiöser Totalitarismus, vulgo: Fundamentalismus, ist heute vor allem, aber nicht nur, in der islamischen Welt ein Problem. Wir sollten aber die Augen vor der Gefahr des genuin westlichen, des ökonomischen Totalita- rismus nicht verschließen. Schließlich müssen wir in Europa eine eigene Konzeption einer globalen Frie- densordnung entwickeln. Diese sollte sich deutlich von der sich jetzt abzeich- nenden, waffenstarrenden Pax Americana unterscheiden.

de Vries Herr Isar hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass »der Rest der Welt« nicht unbedingt »europäisch« werden möchte. Ein solcher Realitätstest trägt viel zu unseren Diskussionen bei, nicht nur als Anregung zum Nachdenken, sondern auch als Grundlage für unsere Handlungen. Ich bin fasziniert von den Plänen für ein Internationales Zentrum für den Dialog der Kulturen und würde gerne mehr darüber erfahren. Die türkische Armee Ohne damit eine Dimension dieser facettenreichen Diskussion übermäßig zu schwächt politische Parteien betonen, möchte ich Herrn Ergüder nach der Rolle der Armee in der türkischen Politik fragen. Es werden viele gute und schlechte Argumente in der Debatte über die Beziehungen zwischen der Türkei und Europa vorgebracht, aber wir alle sind grundsätzlich der Demokratie verpflichtet. Und es scheint mir selbstverständlich, dass jedes Land, das der Europäischen Union beitritt, die Armee dort lassen muss, wo sie hingehört: in den Kasernen. Nur am Rande: Nachdem Spanien und Portu- gal 1986 der Europäischen Union beigetreten waren, fragte ich meinen spani- schen Kollegen nach den wichtigsten Folgen des Beitritts. Als Antwort hatte ich Investitionen, Arbeitsplätze oder kulturellen Austausch erwartet. Stattdessen sagte er, das Wichtigste sei, dass sich die spanische Armee in die Kasernen zurück- gezogen habe. In der Türkei scheint die Rolle der Armee eng mit dem anschei- nenden und möglicherweise tatsächlichen Versagen der politischen Parteien zusammenzuhängen. Dort sind die politischen Parteien, wenn ich das so sagen darf, noch schwächer als im übrigen Europa. Meine Frage lautet deshalb: Wie erklären Sie sich die Schwäche der politischen Parteien, sofern das auch in Ihren Augen ein Problem darstellt? Und was, wenn überhaupt, können andere europäi- sche Länder tun, um der Türkei bei diesem Problem zu helfen und die Demokra- tie auf dem Weg zu einer möglichen Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu stärken?

Strasser | de Vries 108 Unsere Bindung an die parlamentarische Demokratie ist ein kleiner, aber grundlegender Teil der europäischen Kultur. de Vries

Könnten Sie schnell auf diese Frage antworten, Herr Ergüder, denn sie hat nur von der Gablentz indirekt mit den kulturellen Dingen zu tun, mit denen wir uns befassen.

Herr von der Gablentz, Ihren Einwand akzeptiere ich nur zum Teil. Denn unsere de Vries Bindung an die parlamentarische Demokratie ist ein kleiner, aber grundlegender Teil der europäischen Kultur.

Die Rolle der Armee ist ein sehr sensibles Thema in der türkischen Politik. Zu ihrer Ergüder Verteidigung könnte man anführen, dass die Armee die Modernisierung unter- stützt. Aber das gehört bereits der Vergangenheit an. Das türkische Militär war Garant für den Säkularismus, aber wir treten momentan in eine andere Phase ein. Deshalb müssen wir die Aufgaben des Militärs neu bestimmen, vor allem weil es die politischen Parteien schwächt. Die Militärputsche von 1960, 1970, 1971 und 1983 hatten verheerende Auswirkungen, da Parteien verboten und ihre Führer politisch kaltgestellt wurden. Und auch wenn später neue Parteien gegründet wur- den, war es sehr schwierig, sie zu etablieren. In der Politik macht Übung den Meis- ter. Deshalb ist es für ein Land sehr kostspielig, wenn die Armee alle zehn Jahre unerfahrene Politiker installiert. Eine Annäherung der Türkei an Europa, auch ohne volle Mitgliedschaft in der Als islamische Demokratie könnte EU, wäre ein wichtiges Beispiel für die Welt, weil es das einzige demokratische die Türkei zum Vorbild werden Experiment in einem islamischen Kontext wäre. Und je näher die Türkei an Europa heranrückt, desto stärker wird die türkische Zivilgesellschaft werden. Das wird militärische Staatsstreiche zwar nicht ganz unmöglich, aber doch sehr unwahrscheinlich machen.

Ich erinnere daran, dass wir das Thema der Kultur in Europa deshalb gewählt von Weizsäcker haben, weil die europäische Entwicklung nur dann ihren Sinn erfüllt, wenn sie Kann die Kultur etwas zur Bildung langfristig zu einer Politischen Union heranwächst. Daher ist die Frage an die einer Politischen Union beitragen? Adresse der Kultur gerichtet, ob sie zu diesem Ziel etwas beitragen kann. Da hier von auswärtiger Kulturpolitik die Rede war, möchte ich ein Beispiel erwähnen, das ich selbst erlebt habe: Auf einer Pressekonferenz in Danzig mit den Präsidenten von Polen und Frankreich ging es um die dreiseitige Zusammenarbeit, das so genannte Weimarer Dreieck – was im Übrigen vielleicht deswegen bisher nicht so viele Früchte getragen hat, weil sich die Franzosen dafür nicht mehr so sehr interessieren, ganz anders als zu der Zeit, als Polen noch geteilt war. Wäh- rend sich Lech Wałęsa darüber beklagte, dass Polen immer noch nicht Mitglied

109 von der Gablentz | de Vries | Ergüder | von Weizsäcker der NATO sei, versuchte ich auf die Vorzüge des Weimarer Dreiecks hinzuweisen. Darauf nahm François Mitterrand das Wort und sagte, es gebe nur ein Thema: Bei der Uruguay-Runde über die Liberalisierung des Welthandels werde er seiner Regierung nur dann erlauben, das Schlussprotokoll zu unterschreiben, wenn es einen Passus enthalte, dass keinerlei amerikanische Software je wieder auf den europäischen Kontinent gelangt. Auch Mitterrand war sich natürlich darüber im Klaren, dass diese Forderung technisch unerfüllbar ist. Dennoch hat uns sein State- ment daran erinnert, dass von Frankreich ein Bewusstsein von der politischen Bedeutung der Kultur ausgeht, das auch dann für die Politische Union Europas viel bedeutet, wenn andere europäische Länder mit ihrem Kulturbewusstsein hinter den Franzosen herhinken. Das Nationalbewusstsein der Franzosen hat sich ins Universelle erweitert, weil die französischen Ziele als Menschheitsziele gedeutet wurden und so französische Geschichte zu einer Art Erfüllung einer universellen Mission wurde. Wer denkt, ich spräche hier über die Amerikaner, täuscht sich; ich zitiere viel- mehr Frankreich. Dennoch ein Wort zu den USA. Gary Smith hat vom insularen Denken in Europa gesprochen. Doch wenn es eine Insel auf der Welt gibt, dann sind es die Vereinigten Staaten. Herr Schlögel hat zu Recht die Bedeutung des Rau- mes betont. Amerikas Insellage, geschützt von zwei Ozeanen und mit zwei abso- lut verträglichen Nachbarn, ist sein großes Raumglück. Ebendeshalb hatte der 11. September für die Amerikaner diese ungeheure Wirkung, die wir Europäer noch immer nicht begriffen haben. Denn die Insulaner mussten feststellen, dass heute die geschützte Lage nicht einmal mit einem Raketenschutzschild aufrecht- erhalten werden kann. Diesen überwältigenden Schock für Amerika müssen wir ernst nehmen, wobei ich dem Argument, wir Europäer liefen Gefahr, ein insula- res Bewusstsein zu entwickeln, nicht folgen kann. Europäische Kultur ist nach Dann zur Frage der Religionen, einem Thema, das eng mit der Kultur zusam- wie vor bedeutsam in der Welt menhängt. Ich erinnere daran, dass alle monotheistischen Religionen nicht in Europa, sondern im Nahen Osten entstanden sind. In Europa hat aber relativ früh- zeitig ein Prozess eingesetzt, der zu einer gewissen Selbstständigkeit von Politik und Kultur gegenüber den Kirchen und religiösen Zentren geführt hat. Die Euro- päer haben, wahrscheinlich wiederum unter Führung der Franzosen, den Lai- zismus entwickelt, und dieser führte sowohl zu Toleranz in pluralistischen Gesell- schaften wie auch zu einer Blüte der Wissenschaften. Was die Europäer in die Welt exportiert haben, sind nicht in erster Linie Religionen, sondern Philosophien und Ideologien, also Humanismus, Aufklärung, Marxismus und Kapitalismus.

von Weizsäcker 110 Der europäischen Kultur kommt langfristig eine unentbehrliche Funktion auf dem Weg zur Politischen Union zu. von Weizsäcker

Dass dies nicht nur positiv zu bewerten ist, brauche ich nicht eigens zu betonen. Aber es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die europäische Kultur in einer sich globalisierenden Welt nach wie vor eine bedeutsame Rolle spielt. Auch wenn wir in unseren 37 europäischen Ländern 37 verschiedene natio- nale Kulturbewusstsein entwickelt haben, gibt es doch so etwas wie ein europäi- sches Kulturbewusstsein. Denn jede nationale Kultur in Europa definiert sich nicht nur durch die Unterschiede, sondern auch durch die Gemeinsamkeiten mit ihren Nachbarn. Die Vielfalt der europäischen Kultur ist daher zugleich immer auch ein Ausdruck der Einheit. Und dieses kulturelle Bewusstsein birgt eine Kraft, die Herr Isar im Sinne Jacques Delors’ zitiert hat: Kultur ist nicht den Eliten vor- behalten, sondern sie ist das Feld, in dem sich lernen lässt, wie man zusammen- lebt. Daher kommt der europäischen Kultur langfristig eine unentbehrliche Funk- tion auf dem Weg zur Politischen Union zu. Die Politische Union brauchen wir zum einen, um die Breite des Ärmelkanals Europäische Einheit für eine zu verringern und das Vereinigte Königreich näher an Europa zu binden. Zweitens multipolare Weltordnung brauchen wir sie für eine wahre Partnerschaft mit den Amerikanern. Denn solange es keine handlungsfähige Europäische Politische Union gibt, ist die Part- nerschaft mit den USA immer in Gefahr, zu einer Abhängigkeit zu geraten, und Abhängigkeit ist eben keine Partnerschaft. Die Entwicklung im Zuge der Globali- sierung setzt voraus, dass wir mit Amerika zusammenarbeiten. Wogegen wir uns wenden, ist das Entstehen einer unipolaren Welt. Ob in China, Indien, Indonesien, Japan oder in Russland, überall spürt man das Verlangen nach Einstimmigkeit der Europäer, um zur Entstehung einer multipolaren Weltordnung beizutragen. Das müssen wir in der Kultur vormachen und auf diese Weise die Bildung einer Poli- tischen Union unterstützen.

Ich kehre zu der Frage nach den Grenzen Europas zurück, die wir besonders am Gehler Beispiel Türkei immer sehr kontrovers diskutieren. Als Historiker weise ich da- Demokratie und Menschenrechte rauf hin, dass die Unbestimmtheit des Raumes eine Kontinuität in der Geschichte sind die kulturelle Grenze Europas Europas ist. Geografisch bleibt die Frage nach dem Anfang und dem Ende Euro- pas unbeantwortbar. Aber es gibt eindeutige kulturelle Grenzlinien, und es gehört zur Aufgabe der Kulturschaffenden und Kulturhistoriker, diese aufzuzeigen und zu vermitteln. Die kulturelle Grenze ist definiert durch Demokratie, Freiheit, Gleichberechtigung der Geschlechter, Toleranz, Menschenrechte und die Achtung der Menschenwürde. Nehmen Sie dagegen die vier Argumente, die Agrarkommissar Franz Fischler

111 von Weizsäcker | Gehler kürzlich zum Thema Türkei angeführt hat. Ein Beitritt sei erstens nicht finan- zierbar; schon die Erweiterung um die neuen Kandidatenländer koste viel zu viel. Zweitens das demografische Argument: Die Türkei werde in zehn Jahren 100 Millionen Einwohner haben, was Fischler allerdings nicht so positiv wie Herr Ergüder beurteilt. Drittens mache die Agrarbevölkerung in der Türkei knapp 50% aus, und viertens sei sich die EU schlichtweg uneinig, wie man mit der Türkei als Kandidatenland verfahren solle. Aus diesen Argumenten weht uns reines Euro- kraten-Denken entgegen, eine primär ökonomistische Betrachtungsweise, wäh- rend eine kulturgeschichtliche und kulturpolitische Dimension gänzlich fehlt. Lassen Sie mich dagegen einen Beitrag von Joachim Ritter aus dem Jahr 1956 zitieren, den Aufsatz »Europäisierung als europäisches Problem« am Beispiel Türkei, der in »Metaphysik und Politik – Studien zu Aristoteles und Hegel« 1969 in Frankfurt/Main veröffentlicht wurde. Er begreift Europäisierung als einen Vor- gang, »in dem außereuropäische Völker sich aus ihren bodenständigen Le- bensformen lösen und die in Europa ausgebildeten Formen der gesellschaftlichen Produktion, der Bildung und der staatlich-gesellschaftlichen Organisation über- nehmen und diese sich spontan und aktiv aneignen«. Dabei verweist Joachim Rit- ter, wie Herr Ergüder, darauf, dass die Türkei 1928 mit dem Gesetz der laizisti- schen Begründung des Staates die Entwicklung des Landes bewusst in eine neue Richtung gelenkt und den neuen türkischen Staat aus der Bindung zum Islam gelöst hat. An diesem Wendepunkt wird die Religion zur Privatsache und aus dem Zusammenhang des Staates und seiner Ordnung herausgenommen. »Damit« – so Ritter – »hört der Islam auf – zum ersten Mal in der Geschichte in der moham- medanischen Welt –, das Fundament zu sein, auf dem sich alle sittlichen, recht- lichen und politischen Ordnungen aufbauen.« Anhand der Türkei werden wir Der zentrale Prozess der Europäisierung ist die Dialektik zwischen der abend- europäische Identität begreifen ländischen Herkunft und der durch die moderne Zivilisation bestimmten Zukunft. In der Türkei ist eine Versöhnung beider Elemente möglich. Daher wird die Türkei das Vehikel sein, mit dem wir die europäische Identität erst wirklich erkennen, begreifen und erleben werden. Darin sehe ich eine große Chance für uns Europäer. Dabei dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass dies ein Prozess des Nehmens und Gebens sein sollte, wie das schon immer in der europäischen Geschichte der Fall war. Doch wir sprechen immer nur von einer Europäisierung der Türkei, nie von einer Islamisierung Europas. Diese Frage wird offenkundig völ- lig ausgeblendet und bleibt unbeantwortet. Noch eine kurze Antwort auf die Provokation von Johano Strasser. Ich meine,

Gehler 112 Afrika und Israel sind Aufgaben, die für Europa noch in weiter Ferne liegen. Wir müssen uns vor Augen halten, dass der Balkan der europäische Verantwortungs- raum Nummer 1 ist. Es war bereits ein Glück, dass die Europäische Union die Jugo- slawien-Krise in den 1990ern insofern meistern konnte, als sie nicht an ihr zer- brochen und politisch gescheitert ist. Doch es wird noch lange dauern, bis wir den Balkan in eigener Verantwortung europäisieren und die dortigen Länder bei- trittsreif machen können.

Anschließend an Herrn von Weizsäcker ein Zitat von Fernand Braudel: »Wenn es Ahrweiler ein einheitliches Europa gibt, dann wird es ein Europa der Kultur und Zivilisation Der Barcelona-Prozess: sein.« Dabei fordere ich Sie nochmals auf, zwischen Kultur und Zivilisation zu Zusammenarbeit mit Mittelmeerstaaten unterscheiden. In der Kulturdebatte betreiben wir häufig eine europäisch-französische Nabelschau. Dagegen möchte ich den Blick auf die kulturellen Beziehungen zu unseren unmittelbaren Nachbarn richten. In Europa gibt es eine Nord-Süd- und eine Ost-West-Achse. Die Erweiterungsdiskussion deckt die Ost-West-Achse ab. Auf der Nord-Süd-Achse liegt die mediterrane Dimension der europäischen Kul- tur, und dazu gehört die Wiege der drei monotheistischen Religionen, wie Herr von Weizsäcker erwähnte. Diesen Aspekt haben wir bisher kaum diskutiert, und ich würde es begrüßen, mehr über den Barcelona-Prozess zu erfahren. Bei einem Treffen der Außenminister der Mittelmeeranrainerstaaten konnte ich kürzlich feststellen, dass sie alle an eine gemeinsame wirtschaftliche, politische und kul- turelle Zukunft glauben. Doch bei diesem Gipfel fehlte ganz entscheidend ein israelischer Teilnehmer. Ich denke, wir sollten die mediterrane Dimension Euro- pas unter diesem Blickwinkel erneut prüfen.

Für den letzten Abschnitt unserer Diskussion würde ich vorschlagen, dass wir von der Gablentz weder die Probleme der Erweiterung, die sich hier am Beispiel der Türkei mani- festieren, noch das Verhältnis Europas zu Amerika weiter vertiefen. Im Falle Ame- rikas teilen wir ohnehin einen gemeinsamen kulturellen Raum und gemeinsame Werte, die auch Basis des Globalisierungsprozesses sind. Daher haben wir es hier eher mit dem politischen Problem zu tun, wie man eine Partnerschaft organisie- ren kann, als mit der Frage der kulturellen Ausdehnung Europas. Stattdessen sollten wir uns zum einen auf die kulturelle Rolle Europas in der Welt konzentrieren, mit besonderem Augenmerk für die Frage der Selbstbehaup- tung europäischer Kultur, die eng verknüpft ist mit der Bildung einer politischen

113 Gehler | Ahrweiler | von der Gablentz Gemeinschaft in Europa. Zum anderen rege ich an, das Problem zu thematisieren, ob es zu Zeiten der kulturellen Globalisierung noch eine Fortentwicklung einer spezifisch europäischen Kultur geben kann. Drittens sollten wir das Problem des Dialogs der Kulturen, das von Herrn Isar eingeleitet wurde, weiter im Auge behalten.

Schlögel Ich möchte auf die europäische Entwicklung im Kontext der Globalisierung Bezug Kultur wird eine Rolle spielen, wenn nehmen. Der heutige Prozess der beschleunigten Globalisierung knüpft an ähnli- sie der Selbstbehauptung Europas dient che Entwicklungen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert an, bei denen es bereits Erscheinungen gab, die man heute wieder beobachtet, das heißt Interna- tionalität, Kosmopolitismus, gemischte Gesellschaften etc. Dieser Prozess wurde durch die Weltkriege und den Kalten Krieg unterbrochen und setzt sich heute wei- ter fort. Dass die Wiedervereinigung oder besser Neugründung Europas unter den Bedingungen der Globalisierung vor sich geht, bedeutet, dass dies ein außeror- dentlich schmerzlicher und konfliktreicher Prozess sein wird. Europäische Kul- tur, die ganz wesentlich zu dem Projekt der Einigung Europas gehört, wird wohl nur dann in Erscheinung treten, wenn sie der Selbstbehauptung Europas dient. Für mich stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie es Europa gelin- gen kann, sich nicht mehr auf seinen Triumphen und Schätzen von gestern aus- zuruhen. Wie kann Europa eine souveräne Position finden, die gegenüber ande- ren zivilisatorischen Zentren gelassen bleibt und doch auf dem besteht, was es kann und was es zu sagen hat. Diese Souveränität einer europäischen Kultur wäre dann gelungen, wenn sie ohne Ressentiments gegenüber Amerika auskäme und sich gleichzeitig bemühen würde, die Asymmetrie des Dialogs, die Herr Isar ange- sprochen hat, aufzuheben. Diese selbstbewusste, aber doch gelassene Europäizität bräuchte keine billigen Polemiken und könnte mit Europas Errungenschaften, aber auch mit seinen Defekten umgehen. Zudem wird der Prozess der Globalisierung in Europa weder konfliktlos noch idyllisch ablaufen. Die neue Einheit Europas wird begleitet von einem Prozess der erneuten Fragmentierung und der Schaffung von Ungleichzeitigkeiten, die ich bereits bei dem Thema des metropolitanen Korridors erwähnt habe. Einige Regio- nen wie die der so genannten »blauen Banane« werden boomen, andere Regionen dagegen zurückfallen. Für mich ist die große Frage, wie die europäische Kultur mit den Spannungen dieser Neukonfiguration umgehen und wie sie sich in diesem Prozess auch erneuern kann. Ich glaube nicht, dass wir diese Frage beantworten können, doch wir sollten diesen Vorgängen gegenüber wachsam sein und die Illu-

von der Gablentz | Schlögel 114 sion aufgeben, dass wir es mit einem idyllischen und planbaren Vorgang zu tun hätten, in dem wir Meister des Verfahrens sind.

Ich knüpfe an die Frage nach dem Verhältnis von Kultur und Politik und nach der Roß globalen Ausstrahlung europäischer Kultur an. Die westliche, nicht die europäische Zunächst: Es gibt keine globale Ausstrahlung europäischer Kultur mehr. Die Kultur hat globale Ausstrahlung kulturellen Eliten in aller Welt werden ihr großes Interesse an europäischer Kunst und Philosophie beibehalten und damit ihre zentrale Stellung im Bildungskanon fortschreiben. Doch dies bezieht sich auf die historische Kultur und nicht auf die gegenwärtige, die auch viel schwerer als europäische definiert werden kann. Die europäische Überlieferung wird in diesem Sinn weiter Maßstäbe setzen für inter- nationale Bildungseliten; aber das verstehen wir hier nicht unter globaler Aus- strahlung europäischer Kultur. Ausnahmen finden sich manchmal durch die Nachgeschichte des Kolonia- lismus. Der Schriftsteller V.S. Naipaul beispielsweise stammt aus einer einstmals britisch kolonisierten Welt und hat in London seine Bestimmung gefunden. Die »Verwestlichung« ist hier genuin europäisch; Naipaul ist nicht über Amerika zur Literatur und dem kulturellen Selbstverständnis gekommen, das ihn prägt und das er liebt. Andererseits ist die Sache eher spezifisch englisch als europäisch. Mit diesen alten Verbindungen, die es analog in der Frankophonie gibt, bleibt Europa global präsent; doch auch das ist ein Eliten-Phänomen. Unsere gemeinsame Kultur ist stark vergangenheitsorientiert. Als beispiels- Unsere Kultur ist in die Vergangenheit weise Herr Ergüder über die Türken vor Wien sprach, lief ein Lächeln über das und nach innen gerichtet Gesicht von Frau Glondys, vermutlich weil sie sich daran erinnerte, dass ein pol- nischer König eine wesentliche Rolle bei der Abwehr dieses Angriffs gespielt hat. Diese Familiarität, die wir untereinander haben, werden wir mit Angehörigen keines anderen Kontinents erreichen. Aber das ist eher etwas für ein Familien- treffen als eine eigentlich politische Angelegenheit. Außerdem ist das Europäische leicht etwas binnengerichtet. Wir diskutieren darüber, wie wir enger zusammen- kommen, aber nicht, wie wir nach außen wirken. Daher ist unser Diskurs für Außenstehende oft schwer verständlich. Ich glaube nicht, dass jemand aus Haiti oder Ghana viel mit dem, was wir hier besprechen, anfangen könnte. Global ist also die Ausstrahlung der westlichen, nicht der europäischen Kul- tur. Auf absehbare Zeit wird das primär etwas Amerikanisches sein, auch wenn es tiefe europäische Wurzeln hat. Das schließt politische Institutionen mit globaler Ausstrahlung ein, also rule of law, Privateigentum, parlamentarische Demokratie

115 Schlögel | Roß und dergleichen. Sobald wir den politischen Bereich im engeren Sinne betreten, gibt es keine europäischen Spezifika mehr. Die Kopenhagener Kriterien zum Ein- tritt in die Europäische Union zum Beispiel können auch von nicht-europäischen Demokratien erfüllt werden, ganz ohne Bezug auf kulturelle Merkmale. Deshalb glaube ich nicht, dass auf dem Wege der kulturellen Reflexion viel für die politi- sche Identität zu gewinnen ist. Abschließend noch eine Anmerkung zu den gegenwärtigen europäisch-ame- rikanischen Reibungen. Es ist auffällig, dass in einem historischen Augenblick, in dem der Westen wieder durch einen gemeinsamen Feind, den radikalen Islam, geeint ist, vor allem auf europäischer Seite der Wunsch besteht, sich gegen die Amerikaner abzugrenzen. Letztlich sitzen wir bei dieser Konfrontation wieder im selben Boot, ähnlich wie im Kalten Krieg. Ich bin überrascht, dass man sich auf beiden Seiten des Atlantiks gerade jetzt darauf konzentriert, die Gegensätze he- rauszuarbeiten, die doch im Vergleich zu dem, was uns gegenübersteht, relativ gering sind.

Ruth Aus westlicher Perspektive definieren wir Globalisierung stets im Sinne von wirt- Wir dürfen die menschlichen Seiten schaftlicher Interaktion und vernachlässigen dabei ihre menschlichen Seiten. Wir der Globalisierung nicht vernachlässigen! vergessen häufig, dass Globalisierung auch Menschen und ihre Haltung zu vielen Dingen beeinflusst, insbesondere ihre Mobilität. Mit dem Bild von Konsum und individuellem Erfolg, das westliche Medien über die Welt verbreiten, ist es kein Wunder, dass junge Menschen aus ärmeren Ländern sich in reicheren Regionen ansiedeln wollen. Und sie werden das zunehmend auch tun, ob wir wollen oder nicht. Darauf müssen wir uns irgendwie einstellen. Gruppen kulturell zu unterscheiden Kultur kann in diesem Zusammenhang missbraucht werden. Man kritisiert ist eine Form von Rassismus Huntingtons These des clash of civilizations oft, aber populistische Parteien in Europa definieren Unterschiede jetzt häufig kulturell. Für mich ist diese Betonung kultureller Verschiedenheit eine Fortsetzung rassistischer, biologisch begründe- ter Ideologien. Der Erfolg der Dänischen Volkspartei liegt beispielsweise auch darin begründet, dass sie Dänen und insbesondere muslimische Immigranten kul- turell unterscheidet. Dass dies in einer fortschrittlichen Gesellschaft wie Däne- mark geschieht, hat etwas damit zu tun, dass Europas Linke die problematische Seite des Multikulturalismus nicht verstanden hat. Die Linke verbreitete in den 1970er Jahren ein Konzept der multikulturellen Gesellschaft, das auf der Vorstel- lung beruhte, jede Gruppe habe das Recht, sich selbst als ethnisch einzigartig zu betrachten und ihre eigene Geschichte zu schreiben. Das führte dazu, dass die

Roß | Ruth 116 Wenn das europäische Projekt auf kultureller Ausgrenzung basiert anstatt auf universell gültigen Rechten, sehe ich dem Ergebnis nicht optimistisch entgegen.

Ruth

Mehrheitsbevölkerung die gleichen Rechte für sich in Anspruch nimmt und damit die Freiheit anderer Gruppen einschränkt. Herr Schlögel hat vor unvorhersehba- ren und gefährlichen Entwicklungen gewarnt. Ich denke, dieses Problem wird dazugehören. Einmal mehr sieht sich Europa mit der Frage konfrontiert, ob Demokratie für alle gilt oder ob sich Gesellschaften wieder in »wir« und »die ande- ren« teilen. Ich fürchte, dass die Abgrenzung, wer zu einer Gesellschaft gehört und wer nicht, zunehmend zu einem zentralen politischen Thema in Europa wird. Die Einwanderungsfrage hat auch mit der Vorstellung zu tun, dass kulturelle In Europa werden »Einwanderer« Kreativität auf Individualrechten beruht. Hier unterscheiden sich Europa und die anders behandelt Vereinigten Staaten grundlegend. Es gibt zwar sicherlich Rassismus in den USA, aber anders als in Europa bleibt man nicht für immer Immigrant. Die Menschen haben so viele verschiedene Hintergründe, die auch zu ihrer Identität gehören, aber sie werden nicht primär als Einwanderer dargestellt. Herr Isar beispielweise ist für mich kein Nicht-Europäer. Er ist ein Europäer, dessen Hintergrund ihm ein anderes Wissen und andere Sichtweisen verleiht, als ich sie habe. Aber die Tatsa- che, dass er einmal eingewandert ist, sagt nichts über seine politische Einstellung aus. In meiner Heimat Schweden dagegen ist jemand bis in die dritte Generation ein Immigrant. Das ist besonders für künstlerisch kreative »Einwanderer« rele- vant, weil wir in unserer Fortschrittlichkeit die Gruppe der Einwanderer einbe- ziehen möchten. Das ist eine herablassende Sichtweise, weil »wir« »ihnen« das Recht zugestehen, ihren Hintergrund darzustellen, ob sie das wollen oder nicht. Jeder, unabhängig von seiner Herkunft, hat das Recht, eine ganz individuelle Posi- tion zu beziehen. Ein anderes Beispiel ist die Salman Rushdie-Affäre. Europäische Politiker wei- gerten sich, ihn zu treffen, bis Mary Robinson den ersten Schritt getan hat. Wären etablierte britische Autoren wie William Golding oder Graham Greene ähnlich in ihrer künstlerischen Freiheit bedroht worden, hätte man ganz anders reagiert. Doch Rushdie galt als Einwanderer, und deshalb hat Margaret Thatcher sogar fast verteidigt, dass er beim Schreiben über den Islam und im Gebrauch islamischer Symbole in seinen Romanen Beschränkungen unterliegen sollte. Das zeigt, dass Europa das Recht von »Immigranten« auf freie Themenwahl nicht ernsthaft ver- teidigt. Meine Schlussfolgerung: Wenn das europäische Projekt auf kultureller Aus- grenzung basiert anstatt auf universell gültigen Rechten, sehe ich dem Ergebnis nicht optimistisch entgegen.

117 Ruth Isar Ich möchte vier weitere Punkte in die Diskussion einbringen. Erstens – und da knüpfe ich an Arne Ruths Bemerkungen an – sehen Menschen außerhalb Europas die Europäer entweder als entschiedene Universalisten, wobei das Universelle allerdings in europäischen Werten zum Ausdruck kommt, oder als Differenzia- listen, für die Kulturen durch Kontakt mit anderen nie verändert werden können. In beiden Fällen handelt es sich um geschlossene essenzialistische Positionen, die sich niemals annähern können. Die Ideologien europäischer Rechtsparteien fal- len meist in eine der beiden Kategorien. Das Europabild im Ausland Zweitens Herrn Gehlers Bemerkung zur Islamisierung Europas: Wichtig ist hängt auch davon ab, wie hierbei nicht nur die schiere Größe der muslimischen Bevölkerung in Europa, Einwanderer behandelt werden sondern auch die Tatsache, dass Auswanderung heute etwas anderes bedeutet. Früher emigrierte man ein für allemal und ließ die »alte Heimat« hinter sich zurück. Heute dagegen werden die Bindungen an die Herkunftsländer beibehal- ten. Darum wird das Europabild im Ausland dadurch beeinflusst, wie dieser Kon- tinent die neuen Einwanderer willkommen heißt. Was drittens den von Frau Ahrweiler erwähnten Barcelona-Prozess anbelangt, liegt einer der Hauptbeweggründe für die Einsetzung der Hohen Kommission für den interkulturellen Dialog, die ihren Schwerpunkt auf »zwischennachbarliche« Kulturfragen legt, zum Teil in dem Bemühen, einen festgefahrenen Prozess wiederzubeleben. Europa ist zu schwach, um eine Schließlich viertens die von Herrn von Weizsäcker angeschnittene Frage der multipolare Weltordnung herzustellen Multipolarität. Die übrige Welt würde zwar eine multipolare Weltordnung begrü- ßen, dabei aber möglicherweise China oder Japan als Gegenpol zu den USA anse- hen. Einige Beobachter denken, Europa sei dieser Aufgabe politisch und wirt- schaftlich nicht gewachsen, erkennen dabei aber das europäische Kulturerbe durchaus an. Paradox ist daran, dass die Menschen bereit wären, Europa als Urquell der Kultur zu akzeptieren, obwohl sie einräumen, dass es politisch schwach ist. Allerdings könnten genau auf diesem Gebiet andere Teile der Welt etwas sehr Wichtiges von Europa lernen: wie man kultureller Vielfalt Raum gibt und mit ihr umgeht.

Wagner In diesem Zusammenhang ein Wort über die Lust am Atavismus. In dieser Diskussion gibt es Momente, in denen Sigmund Freud ein wichtiger Gesprächs- teilnehmer wäre, denn bestimmte Verhaltensmuster sind universell und be- drohen uns ständig. An mir selbst bemerke ich, dass ich beim Thema Amerika stark emotional und affektiv reagiere und bestimmte kritische Mechanismen

Isar | Wagner 118 Die Rolle von Kunst und Kultur ist es, Komplexität aufrechtzuerhalten.

Wagner

ausfallen. Ich vermute, das hat mit dem Phänomen der Komplexitätsreduktion zu tun. Momentan erleben wir eine derartig lusterfüllte Reduktion von Komplexität Komplexitätsreduktion in auf beiden Seiten des Atlantiks, dass ich das Gefühl habe, wir stehen an einem der transatlantischen Krise Wendepunkt der Geschichte. Entweder stehen wir – entgegen der These von Fran- cis Fukuyama – am Beginn der Geschichte, in der sich Europa lustvoll in ein neues Außenfeindverhältnis begibt, damit »Identität« gewinnt und Globalisierung neu definiert. Oder aber Europa wird im Stande sein, die Komplexität auszuhalten, auch unter der Regierung eines Herrn X oder Y, die ja immer ein kurzfristiges Phä- nomen ist. Die Rolle von Kunst und Kultur ist es, Komplexität aufrechtzuerhalten und Widerstand zu leisten gegen bestimmte Massenphänomene – Henrik Ibsen hätte gesagt gegen die kompakte Majorität. Derzeit heißt das, den transatlanti- schen Dialog nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern zu intensivieren, um dem Atavismus der Komplexitätsreduktion zu entgehen. Gleichzeitig muss ich geste- hen, dass ich in den letzten Jahren affektiv von nichts so erschüttert war wie von dieser Zuspitzung der amerikanischen Politik. Dieses Verhaltensmuster macht es so gefährlich und so wichtig für Europa, Stellung zu beziehen. Abschließend noch zu den Instrumenten der Kulturpolitik. Europa hat nichts, um dieses komplexe Beziehungsgeflecht europäisch zu beantworten. Laut Artikel 151 geht es zwar auch um die Beziehungen Europas zu Drittstaaten, doch in der Realität haben wir nach wie vor eine klassische bilaterale nationale Außenkul- turpolitik, und das ist eine Katastrophe. Wir benötigen dringend Instrumente oder Foren der Bearbeitung, um den Atavismen zu entgehen. Daher mein Appell auch an die Herren und Damen im Europäischen Konvent, mehr Arbeit beispiels- weise in den Artikel 32 des Verfassungsentwurfs zu stecken, der »privilegierte Beziehungen zu unseren europäischen Nachbarn« vorsieht. Wer vergibt hier Pri- vilegien, und wer sind unsere Nachbarn? Braucht die EU nicht vielmehr ein kla- res Bekenntnis zu einer differenzierten Kulturaußenpolitik, und sind nicht die nationalen Kulturinstitute meilenweit hinter den Entwicklungen zurück? Hier ist europäische Politik gefragt.

Gottfried Wagner hat ein großes Anliegen von mir angesprochen – vielen Dank. Echerer Ich denke, dass wir auf die Frage, was europäische Kultur ist und was sie sein Europäische Kultur ist durch könnte, keine endgültige Antwort finden müssen. Denn die Frage an sich kann kritische Reflexion bestimmt dies bereits leisten: Die kritische Reflexion in Europa zwischen Logos und Mythos, Glaube und Vernunft, Romantik und Aufklärung, Tradition und Fortschritt be-

119 Wagner | Echerer stimmt das kulturelle Denken und Handeln und auch das politische Handeln immer wieder neu. Europa ist also ein Prozess und nicht ein Vertrag zwischen ein- zelnen Parteien. Noch zu einer anderen Dimension der Kulturpolitik, der wir uns weniger bewusst sind. In einem langen Prozess haben wir uns viele Kulturgüter einverleibt, so wie das Wiener Caféhaus oder die ungarischen Bäder, die beide eigentlich tür- kischen Ursprungs sind. Das Schöne wird schnell vereinnahmt. Was also als euro- päisches Kulturgut nach außen verteidigt wird, entstand (und entsteht immer noch!) durch Einflüsse unterschiedlichster Art. Damit es weiterhin zu ähnlich befruchtenden Begegnungen kommen kann, müssen wir den Austausch von Künstlern und Kulturgütern nicht nur innerhalb der EU weiter befördern. Die drei wichtigsten Schlagwörter sind dabei: Authentizität, Vielfalt und Austausch! Europas globale Rolle: Schließlich zu der großen Frage: Welche globale Rolle hat Europa, und wel- nachhaltige Politik che könnte es haben? Ich glaube, dass eine Verantwortung für das Morgen, also nachhaltige Politik in allen kritischen Bereichen, die verschiedenen Aspekte einer europäischen Rolle bündeln könnte. Dazu lassen sich, wie Herr Isar vorgeschlagen hat, Elemente aus der Vergangenheit mit einbeziehen, um für die Gegenwart stark zu sein. Mit unserer Kultur, Bildung und Wissenschaft könnten wir in einem stän- digen Prozess Nachhaltigkeit fördern. Ein Motor für Demokratie, Rechtsstaatlich- keit, Umwelt- und gerechte Sozialpolitik, Pluralismus und kulturelle Vielfalt zu sein – für mich ist das eine wunderbare Vision für die Rolle Europas.

David Wir haben europäische Kultur als einen fortlaufenden Prozess charakterisiert und Europa als möglichen Garanten und Förderer der Komplexität verstanden. Zugleich verstehen wir unter europäischen Werten nicht ausschließlich ökonomische Werte. Damit sind wir ein Stück vorangekommen, auch wenn wir uns mit dem Ergebnis unserer Diskussion noch nicht zufrieden geben sollten. Die These des clash of civilizations Herr Isar und andere haben vom clash of civilizations gesprochen. Ich muss geste- ist stark vereinfachend hen, dass ich Herrn Huntington satt habe. Wer ihn andauernd zitiert, und sei es in kritischer Absicht, trägt zum Erfolg seiner Thesen bei. Diese Theorien sind äußerst vereinfachend, und es ist natürlich leichter, sich auf Huntington zu bezie- hen als auf Charles Malamoud und andere, deren Schriften zur Kultur weitaus komplexer sind. Wenn Sie vom Zusammenstoß der Kulturen oder auch vom Dia- log der Kulturen sprechen, vertreten Sie immer noch eine sehr essentialistische Position. Wir haben die Asymmetrie angesprochen, aus der sich viele Probleme ergeben haben und künftig ergeben werden. Doch Informationsasymmetrie hat

Echerer | David 120 nicht nur mit Inhalten zu tun, sondern auch mit nicht-kulturellen Werten. Be- stimmte Informationen und Vorstellungen verbreiten sich, weil sie mit Macht oder mit wirtschaftlichen Werten verbunden sind, die meist mehr zählen als an- dere Werte. Wenn man im kulturellen Bereich tätig ist, muss man sich eine sehr bescheidene Technik zulegen, das heißt, man muss genau sein und die unmittel- bare Umgebung ebenso berücksichtigen wie das, was in der jüngeren Vergangen- heit geschehen ist. In Europa gehen wir häufig nicht angemessen mit komplexen kulturellen Phänomenen um. Im Gegensatz dazu kommen sehr differenzierte Theorien, Dialoge und Deu- Das movimento antropofagico tungen beispielsweise aus dem movimento antropofagico, der anthropofagischen hat weitaus komplexere Bewegung in Brasilien, die in den 1920er und 1930er Jahren eine sehr ambitio- Theorien hervorgebracht nierte und polemische Kulturkritik verfasste. Diese Denkschule, in der Mario de Andrade ein führender Kopf war, befasste sich mit kulturellen Veränderungen und Akkulturation. Sie verglich Akkulturation mit dem Prozess des Essens: Am Ende kann man nicht alle einzelnen Bestandteile wiederentdecken, die man gegessen hat. Fast wie Alchemie bringt sie neue Werte und Ausdrucksweisen her- vor. Ich möchte betonen, dass Denker wie Mario de Andrade oder Walter Mignolo und Enrique Dussel in Südamerika oder Gitta Kapur in Indien uns geeignetere Instrumente zum Nachdenken an die Hand geben. Das führt uns zum Problem der Medien zurück. Die Denker, die ich erwähnt habe, sollten viel intensiver diskutiert, verbreitet und gefördert werden als nur Herr Huntington. Dazu gehören auch die Asymmetrie und Nicht-Gleichzeitigkeit vieler kultureller Phänomene. Wenn man eurozentrisch und sehr konservativ sein will, könnte man die Moderne als Einbahnstraße beschreiben, in der eine Seite Neues erfindet und die andere es nachahmt. Aber wenn man genauer betrachtet, was wirklich geschehen ist, wird man sehr komplexe Entwicklungen entdecken, die so nicht erklärt werden können. Genauso ist es unmöglich, das Ein- treten der Moderne zeitlich oder geografisch klar zu definieren. Stattdessen soll- ten wir dies als ein vielschichtiges und komplexes Phänomen betrachten, das es weiter zu durchdenken gilt.

Viele von Ihnen werden bereits Folgendes erlebt haben: Sie erhalten eine E-mail Degot mit Informationen über einen sehr gefährlichen Virus, die Sie auffordert, eine Europäische Identität muss Ihrer Dateien sofort zu löschen. Natürlich ist die Nachricht selbst der Virus, der ein offener Begriff sein Sie dazu bringen will, etwas sehr Wichtiges auf Ihrem Computer zu vernichten. Das Problem mit dem Globalismus ist ähnlich; denn er selbst fordert uns dazu auf,

121 David | Degot die Idee des Weltbürgertums aufzugeben. Stattdessen sollen wir unsere Identität als eine nationale oder europäische definieren, was nahezu aufs Gleiche hinaus- läuft. Das könnte sehr gefährlich sein. Ich glaube, wir brauchen eine globalere Vorstellung von Europa als die, welche uns der derzeitige Globalismus suggeriert. Europäische Identität muss zu einem inklusiven Begriff werden. Die Erfahrungen Osteuropas Herr Isar hat auf einige postkoloniale Theorien Bezug genommen, und wir werden verleugnet sollten diese Ideen stärker in unsere Diskussion einbeziehen. Da in Europa keine offensichtlichen ethnischen Unterschiede bestehen, könnte man meinen, postko- loniale Theorien fänden hier keine Anwendung. Doch wir befinden uns tatsäch- lich in einer postkolonialen Situation. Paradoxerweise glauben einige Länder, sie hätten den Kalten Krieg gewonnen; es gibt aber keine Staaten, die glauben, sie hät- ten ihn verloren. Die Erfahrungen der ehemals kommunistischen Länder werden so verleugnet, und somit wird ein wichtiger Bestandteil aus der europäischen Geschichte getilgt. Es wurde die Chance vertan, bestimmte Werte, Ideen und kulturelle Erfahrungen in ein gemeinsames Verständnis von Europa einzubrin- gen. Der sowjetische Block hatte kulturell tatsächlich eine Menge zu bieten, selbst wenn er wirtschaftlich versagt hat. Dies gilt insbesondere, wenn wir die inoffi- zielle Kultur mit einbeziehen, die schließlich auch ein Produkt des Sozialismus war. In dieser postkolonialen Situation geht es uns häufig ähnlich wie den Immi- granten-Künstlern, von denen Herr Ruth sprach. So werden russische Künstler oft gedrängt, Russland zu vertreten; russische Forscher sollen nur über spezifisch russische Themen sprechen, und russische Filmemacher werden nicht ermutigt, Filme über internationale Themen wie die Liebe, den Tod und das Leben zu dre- hen. Vermutlich wird das bereits von Regisseuren aus Frankreich oder Deutsch- land erledigt, und deshalb müssen wir etwas spezifisch Russisches – etwas über unser schreckliches Leben in Russland – produzieren, um bei einem internatio- nalen Filmfestival angenommen zu werden. Diese schmerzlichen und subtilen Probleme wurden bereits im amerikanischen Kulturdiskurs erörtert und sollten auch hier diskutiert werden. Um dieses Identitätsproblem mit einer Anekdote zu verdeutlichen: Ein sowje- tischer inoffizieller Konzeptkünstler der 1970er Jahre kannte sich sehr gut mit den Entwicklungen der Konzeptkunst in Amerika und Europa aus; er fühlte sich jedoch völlig isoliert. Er schrieb eine Geschichte, in der er selbst als Mitglied eines internationalen Geografievereins auftritt. Er beschreibt sich als geschätztes Ver- einsmitglied, das aber von den übrigen Mitgliedern vergessen wird, während er

Degot 122 Identität ist eine persönliche Wahl und ein künstlerisches Projekt.

Degot

auf einer Expedition ist. Während er nach wie vor glaubt, er sei ein Mitglied, hört er für den Verein auf zu existieren. Diese Geschichte gibt drei wichtige Hinweise für unsere Diskussion. Erstens ist der Geografie-Verein für jeden offen, der Mit- glied werden will, und wir sollten es mit der europäischen Identität ähnlich hal- ten. Zweitens ist Identität eine persönliche Wahl und ein künstlerisches Projekt. Schließlich ermöglicht einem eine Identität, eine andere abzulehnen. Weil er dem internationalen Geografenverein angehört, kann diese Person sagen: »Nein, ich bin kein Sowjetbürger, ich bin Mitglied dieses Geografenvereins.« Meine eigene Identität funktioniert auch so. Als halbe Russin und halbe Jüdin könnte ich immer sagen: »Danke, mit russischen Problemen will ich nichts zu tun haben, ich bin Jüdin.« Oder: »Vielen Dank, jüdische religiöse Probleme gehen mich nichts an, ich bin Russin.« In Amerika sage ich jetzt manchmal: »Danke, ich bin Europäer, euren Kaffee kann ich nicht trinken.« Und in Europa sage ich gern, nicht dass ich Ame- rikaner bin, sondern irgendwie Trans-Europäer.

Ich pflichte Herrn Roß bei, dass die Rolle der europäischen Kultur international, Eichel also von Südamerika oder von Asien aus betrachtet, längst nicht den Stellenwert hat, den viele vermuten. Da ist das Wissen von dem, was wir für bedeutend halten, meist ziemlich unterentwickelt – oder, noch häufiger, überhaupt nicht vorhanden. Erstaunlicherweise klaffen da selbst bei sonst recht Gebildeten bemer- kenswerte Lücken. Ich hatte bereits erwähnt, dass wir in der Kulturberichterstattung im deut- Die ZDF Reihe »Hot Spot« schen Fernsehen zwar eine Fülle von Spezial-Magazinen haben, doch dass die Berichte dort immer kürzer und oberflächlicher und manche Themen gar nicht mehr behandelt werden. Aber damit nicht alles im trüben Grau oder vielleicht besser: im bunten Brei versinkt, möchte ich auch auf einige positive Entwicklun- gen hinweisen, die es beispielsweise im ZDF bereits seit einigen Jahren gibt. Damit meine ich die Reihe »Hot Spot«, wobei ich nicht verheimlichen will, dass ich selbst der Autor dieser Reportagen aus Schanghai oder Salvador oder Durban oder Havanna bin. Aber dass das ZDF für solche aufwändigen Kulturreportagen aus anderen Ländern überhaupt Sendeplätze zur Verfügung stellt, verdient meines Erachtens im Sinne unseres Generalthemas kräftigen Applaus. Denn in solchen TV-Dokumentationen werden völlig unerwartete, weil bisher unbekannte Per- spektiven eröffnet. Es werden Horizonte erweitert, wenn wir beispielsweise etwas über die uns weit gehend fremde Township-Kultur Südafrikas in den Bildern Zwe- lethu Mthathwas erfahren. Oder wenn der brasilianische Künstler Marepe uns mit

123 Degot | Eichel den Candomblé-Kulten seiner Heimat Bahia vertraut macht, oder wenn der chine- sische Komponist Qu Xiao-song uns eine Vorstellung von der Musikalität von Pau- sen vermittelt – dann werden Verständnismöglichkeiten aufgebaut, dann wird im besten Fall fast unmerklich, aber vielleicht wirkungsvoll Toleranz eingeübt. Über ähnliche Themen sollten wir vermehrt in unseren Fernseh-Programmen berich- ten, auch als bewussten Beitrag zum Dialog der Kulturen. Goethe-Institute können Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zu einer ganz Horizonte erweitern persönlichen Erfahrung: Vor rund elf Jahren habe ich auf Vermittlung des Goe- the-Instituts in Guangzhou/Südchina lokale Fernsehjournalisten beraten und mit ihnen ein chinesisches Kulturmagazin entwickelt, das noch heute im dortigen Programm laufen soll. Doch viel wichtiger als diese konkrete Arbeit war vermut- lich ein Seminar, in dem ich vorher drei Tage lang über unsere damals noch sehr viel differenzierteren Kulturprogramme im deutschen Fernsehen gesprochen und dabei auch Ausschnitte aus bestimmten Magazinen vorgeführt habe. Ich bin davon überzeugt, dass damals ganz neue Denkanstöße vermittelt wurden und diese Präsentationen nachhaltige Auswirkungen hatten – beispielsweise die sehr europäische und für chinesische Köpfe revolutionäre Erkenntnis, dass Kultur auch etwas mit Auseinandersetzung und Kritik zu tun haben kann. Oder dass das Indi- viduum mit all seinen Nöten und Sorgen im Zentrum einer Kulturbetrachtung ste- hen kann. Oder dass Kultur nicht nur das Schöne und Harmonische, sondern auch das Verquere, vielleicht sogar das Kaputte, in jedem Fall das Nachdenkenswerte behandeln kann oder soll. Meine Zuhörer haben sich damals bei Free Jazz die Ohren zugehalten, und bei Joseph Beuys haben sie herzhaft gelacht – weil sie sich wunderten, dass wir in unseren Breitengraden auf solch einen Scharlatan hereinfielen. Ich bin vor kur- zem wieder in China gewesen und habe festgestellt, dass es heute ein solches Gelächter vermutlich kaum noch gäbe – nicht meines damaligen Auftritts wegen, sondern weil inzwischen das Verständnis für europäisches Denken durch vieler- lei Einflüsse gewachsen ist – nicht zuletzt durch das Internet. Letztlich will ich damit sagen, dass solche verbal-anschaulichen Präsentationen europäischer Kul- tur in unseren Goethe-Instituten sicherlich wirkungsvoller und nachhaltiger sind als manche kammermusikalischen Preziosen. Noch ein letzter Hinweis: Im Januar 2003 hat die Universität der Künste in Ber- lin einen neuen Studiengang kreiert, den Aufbaustudiengang »Kulturjourna- lismus«. In diesem in dieser Form einzigartigen Projekt sollen Menschen für die Fragen sensibilisiert werden, die wir hier diskutieren: zuerst die jungen Journa-

Eichel 124 listen und durch sie dann eine breitere Öffentlichkeit, also Leser, Zuschauer, Zuhö- rer. Wir hoffen, dass wir durch diese Ausbildung von jährlich 25 ausgesuchten Stu- dierenden, die selbstbewusst sind und ihre Materie nicht nur kennen, sondern auch lieben, die Qualität von Kulturberichterstattung in unserem Lande erhöhen und – das ist ein wünschenswertes Fernziel – vielleicht eines Tages auch die Quan- tität von Kultur in unseren Zeitungen und Sendeanstalten vergrößern können. Denn wir glauben, dass sich immer mehr selbstbewusste, gut schreibende Kul- turjournalisten auch kraftvoll die Räume schaffen, in denen sie auftreten können – auch im Sinne einer intensiveren Beschäftigung mit europäischer Kultur.

Herr Roß meinte, wir beschäftigten uns in Europa zu sehr mit uns selbst. Ich dage- Griefahn gen glaube, dass wir uns zu wenig mit uns selbst beschäftigen. Denn nur wenn wir in Europa mit unseren unterschiedlichen Kulturen tatsächlich eine Einheit in der Vielfalt praktizieren, können wir ein Beispiel für andere Regionen, insbeson- dere den Balkan, abgeben. Dann zum Dialog der Kulturen, der 1999 von der UNO beschlossen wurde. Wir Nach dem 11. September haben uns besonders gefreut, dass diese UN-Resolution von dem iranischen Präsi- müssen wir den Dialog der denten Mohammed Chatami ausgegangen ist, denn dadurch hat sie die islamische Kulturen fördern Welt geöffnet und die Möglichkeit geschaffen, Reformkräfte in diesen Ländern zu unterstützen. Vor der Resolution galt die islamische Welt immer als ein homoge- ner Block, in dem es niemanden gibt, den man unterstützen könnte. Der 11. Sep- tember hat uns allerdings im Dialog der Kulturen zurückgeworfen. Auch wenn ich Herrn von der Gablentz nur ungern widerspreche, hat das auch dazu geführt, dass sich die Einheit der amerikanischen und europäischen Grundüberzeugungen etwas auseinander entwickelt hat. In gewissem Sinn werden die Amerikaner die Geister, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg riefen, nicht mehr los. In Europa haben wir die Idee des Marshall-Plans, durch Entwicklung wieder eine zivile Gesellschaft zu schaffen, so sehr verinnerlicht, dass wir dieses Modell gerne auch in der übrigen Welt anwenden würden. Wenn dagegen 60 Staaten, ob mit oder ohne innere Reformbewegungen, als Gegner definiert werden, die man bekämp- fen sollte, dann zweifle ich daran, dass der Dialog der Kulturen, um den wir uns so bemühen, zu einem Ergebnis führen kann. Das lässt sich deutlich am Beispiel Iran beobachten. 1999 haben wir seitens Europa sollte sich in der Prävention des Deutschen Bundestags eine Zusammenarbeit begonnen und den Iran bei der und im Staatsaufbau engagieren Ausarbeitung von Gesetzen für Frauen, die Pressefreiheit oder Ähnlichem beraten. Doch nun verschließen sich die Reformkräfte in diesen Ländern wieder, weil der

125 Eichel | Griefahn Prozess offenbar nicht weiterführt. In diesem Punkt ist der Konsens und das gemeinsame Interesse mit den USA aufgebrochen, und ich würde gerne einen Weg finden, das zu revidieren. Denn der Ansatz, den Aufbau von Institutionen und Strukturen zu fördern, war in Europa sehr erfolgreich, und wir verfolgen ihn auch in Afghanistan. Europa hat ein starkes Interesse daran, die kulturelle Leis- tung der Prävention und des Staatsaufbaus zu stärken und auf diesem Gebiet wie- der eine gemeinsame Position mit den USA herzustellen.

Pack Ich möchte Frau Griefahn darin unterstützen, dass sich Europa nach seiner Wiedervereinigung seiner eigenen Vielfalt bewusst werden sollte. Denn die West- europäer wissen nicht, wie tief die europäische Kultur in Estland, Lettland, Litauen oder Polen verwurzelt ist. In unserer Fraktion haben wir uns bemüht, in diese Länder zu fahren, um dies zu erleben. Das ist immer wieder ein sehr positi- ves Aha-Erlebnis. Genau an diesem Punkt, nämlich um unsere kulturelle Vielfalt stärker präsent zu machen, sollte der Kulturartikel der Europäischen Verträge ein- gesetzt werden. Die EU hat keine Zweitens diskutieren wir über Europas kulturelle Rolle in der Welt. Wir spre- auswärtige Kulturpolitik chen wohlgemerkt nicht von der Rolle der Europäischen Union in der Welt; denn das würde uns zu ganz falschen Schlüssen führen. Die Europäische Union macht keine auswärtige Kulturpolitik. Das heißt, die Aufgabe, europäische Kultur nach außen zu vermitteln, ist eine individuelle, eine regionale oder eine nationale Auf- gabe. Der EU-Vertrag und der Haushalt bieten nur minimale Möglichkeiten, was die Beziehungen zu Drittländern angeht. Auf dem Balkan beispielsweise haben wir im Bereich Kultur gar nichts gemacht. Und was wir im Bereich Erziehung erreicht haben, war nur möglich, weil wir andere Finanziers hatten. Die Europä- ische Kommission und der Ministerrat haben für diese Fragen zwar manchmal ein offenes Ohr, aber das Geld wird lieber für andere Dinge ausgegeben oder versi- ckert gelegentlich einfach nur. Drittens ein positives Beispiel, mit dem wir dennoch versuchen, die kulturelle Vielfalt Europas auch der Welt zu zeigen. Das neue Programm Erasmus World, das wir gerne in Erasmus Mundus umbenennen würden, gibt Studenten aus aller Welt die Möglichkeit, an europäischen Hochschulen ein Diplom zu erwerben. Dieses hervorragende Programm könnte im Rahmen der EU eine Art Transmissionsrie- men sein; leider sind wir bis heute nicht zu mehr in der Lage.

Griefahn | Pack 126 Wir haben Europa durch drei Elemente charakterisiert: Erstens die politische Ein- Perone heit Europas, die noch nicht genügend entwickelt ist. Zweitens eine kulturelle Europas Schwächen können Identität, die existiert, die aber relativ vielfältig bleiben muss und unpräzise defi- gemeinsam eine Stärke ergeben niert werden sollte. Da Identität ein Prozess ist, ist diese schwache Definition ein Vorteil und nicht ein Nachteil. Drittens Familienähnlichkeiten zwischen uns. Wir haben eine gemeinsame Geschichte, die sehr oft auch eine Konfliktgeschichte war und die Gemeinsamkeiten schafft, auch wenn es schwierig ist, diese genau zu bestimmen. Auch diese Verbindung ist daher eher schwach, aber nicht ohne Bedeutung. Wichtig ist, dass diese drei schwachen Punkte zusammen eine Stärke ergeben. Um dies mit einem Bild zu veranschaulichen, stelle man sich einen Tisch vor, des- sen Stabilität von der Anzahl der Tischbeine abhängt: Um die Tischplatte zu hal- ten, müssen es mindestens drei sein; jedes einzelne für sich allein reicht nicht aus, aber drei zusammen genügen. Es wäre ein Fehler, sich entweder nur auf die kul- turellen oder die politischen oder die geschichtlichen Gemeinsamkeiten zu kon- zentrieren. Unsere Chance besteht darin, alle drei Aspekte gleichzeitig im Auge zu behalten und dadurch die Komplexität zu bewahren. Komplexität kann nicht durch eine starke Theorie erreicht und bewältigt werden, im Gegenteil können uns gerade diese drei schwachen Ansätze helfen, die Komplexität zu meistern. Als letzte Bemerkung möchte ich Herrn Roß zustimmen, dass die internatio- nale Ausstrahlung unserer Identität und Kultur zurzeit nicht allzu groß ist. Doch das ist auch eine Frage der Macht, und das Fehlen einer politischen Einheit schwächt uns sehr. Nur wenn wir alle drei Elemente gleichzeitig ansprechen, ist auch unsere Außenwirkung viel größer.

Ich möchte kurz aus der Rolle, in die ich als einziger Amerikaner hier gedrängt Smith werde, ausbrechen. Meine Mutter ist 1939 aus Deutschland über Kuba nach Ame- In Europa wird die amerikanische rika emigriert. Ich selbst kam zum Studium der Frankfurter Schule und der Kri- Debatte über die Legitimität tischen Theorie nach Deutschland. Doch in Jürgen Habermas’ Doktorandenkollo- von Gewalt nicht wahrgenommen qium in Frankfurt haben wir Willard van Orman Quine und Hilary Putnam gelesen. Daher bin ich linguistisch und kulturell genauso verwirrt wie manch andere hier am Tisch. Von Johano Strasser habe ich nichts anderes erwartet als diese Ideologisierung der Diskussion, die übrigens keine Ironie duldet, auch wenn sie Ironie fordert. Aber ich bin enttäuscht von Gottfried Wagners Beitrag, in dem er ein so einseiti- ges Bild von der Komplexitätsreduktion zeichnet. Natürlich findet Komplexitäts-

127 Perone | Smith reduktion auf beiden Seiten des Atlantiks statt, aber es wird oft übersehen, dass in Europa auch in intellektuellen Kreisen mit einem Comic-Bild von Amerika gear- beitet wird. Nehmen Sie zum Beispiel den Gedankenaustausch zwischen Intellek- tuellen im Vorfeld des Afghanistan-Einsatzes. Eine bemerkenswerte Gruppe ame- rikanischer Intellektueller, von Michael Walzer auf der linken bis zu Amitai Etzioni auf der rechten Seite des Spektrums, hat sich mit der Frage auseinander gesetzt, wann es moralisch gerechtfertigt ist, Gewalt anzuwenden. Diese Debatte hat Tradition in Amerika in den Auseinandersetzungen während des Vietnam- kriegs, den Arbeiten Walzers und vielem mehr. Mit diesen Fragen setzt sich der Brief dieser ziemlich labilen Gruppe europä- ischer Professoren und Intellektuellen, der kürzlich veröffentlicht wurde, über- haupt nicht auseinander, sondern er enthält nur eine allgemeine Polemik gegen die Globalisierung. Und genau deswegen, Herr Jones, ist die unipolare Welt ein Mythos. Wir sprechen zu undifferenziert über die Globalisierung. Die reine Glo- balisierungskritik ist falsch, weil die Mächte, die die Globalisierung vorantreiben, unter anderem Europa und Amerika, auch gewisse Steuerungsmöglichkeiten haben. Zur Insularität: Einerseits sollten wir die Insellage Amerikas sehr differenziert bewerten, denn Amerika ist ein ethnisch äußerst vielfältiges und offenes Land. Ich sage das, obwohl ich seit 17 Jahren in Europa lebe und mit Hilfe des Europäers Jean Baudrillard Amerika besser verstehe. Andererseits wende ich mich auch gegen die Vorstellung der Tradierbarkeit einer insularen oder statischen europäischen Tra- dition. Die Türkei zeigt, dass diese Tradition nicht statisch sein kann. Europa und die USA Schließlich halte ich es für einen großen Fehler, europäische kulturelle oder bleiben ein kultureller Raum politische Prioritäten gegen Amerika zu definieren. Auch wenn manche Kräfte, sei es unser leidiger Verteidigungsminister oder Ihr ungeschickter Kanzler, da- gegen wirken, bleiben Europa und Amerika ein kultureller und ein politischer Raum. Eine souveräne europäische Position bedarf einer Vision, die auch die natürliche politische, strategische und normative Allianz mit Amerika reflektiert. Dabei unterstreiche ich alles, was Jan Roß gesagt hat. Ich will nur anmerken, dass Amerika die Todesstrafe sicher abschaffen wird, wenn auch nicht in den nächsten zwei Jahren, in denen George Bush noch regiert.

Jones Herzlichen Dank, Herr Smith, für diese letzte, beruhigende Bemerkung! Ich hoffe, dass Sie bald verkünden können, dass die Vereinigten Staaten dem Internationa- len Strafgerichtshof beigetreten sind, was ein wichtiger Beitrag wäre.

Smith | Jones 128 Gegen Ende unseres Gesprächskreises schließe ich mich Frau Packs Optimismus an und trete damit dem Pessimismus und Zweifel entgegen, die hier besonders am Anfang deutlich wurden. Europa entwickelt sich und steht kurz vor einem weite- ren bemerkenswerten Integrationsschritt. Die Aufgaben des Europäischen Ver- fassungskonvents sind gewaltig. Ich möchte mich zu den kulturellen Grundlagen für eine Politische Union Vorschläge für die Präambel äußern, die Herr von Weizsäcker erwähnt hat. Um diese Grundlagen abzusichern, der europäischen Verfassung schlage ich vier Dinge für die Präambel des neuen Vertrags vor. Erstens sollten wir daran festhalten, eine zunehmend engere Beziehung zwischen den Völkern, nicht nur zwischen den Mitgliedsstaaten, zu schaffen, wie es bereits in den Römischen Verträgen von 1957 steht. Zweitens sollten wir die Idee aus dem Bericht von Jac- ques Delors aufgreifen zu lernen, miteinander zu leben, oder vielleicht zu leben, zu studieren und zusammenzuarbeiten. Drittens sollte die Formulierung, den Reichtum und die Vielfalt unserer Kulturen zu wahren und zu fördern, nicht nur defensiv, sondern auch aktiv und dynamisch verstanden werden. Viertens sollte die fünfte Freiheit erwähnt werden, von der Delors oft gesprochen hat, als Eras- mus und andere Programme 1986/87 im Vorfeld des Binnenmarkts geschaffen wurden. Die bestehende Freizügigkeit von Kapital, Dienstleistungen, Gütern und Personen sollte um den freien Fluss der Ideen erweitert werden. Wenn dazu die Grundrechtscharta in den Vertrag aufgenommen wird, haben wir eine gute Grundlage für europäische Kulturpolitik geschaffen. Zum Schluss möchte ich mich besonders für die ausgezeichnete Simultan- übersetzung bedanken, die uns klar die Bedeutung interkultureller Kommunika- tion darlegt.

Ich möchte zu Johano Strassers Bemerkung über die wirtschaftlichen Auswir- Ergüder kungen der Globalisierung hinzufügen, dass die sozialen Auswirkungen der Wir brauchen einen Globalisierung sehr wichtig sind, aber oft vernachlässigt werden. Europa könnte globalen Sozialstaat einiges dagegen tun. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das System von Bretton Woods geschaffen, um die Weltwirtschaft zu regulieren. Dieses System muss reformiert werden, denn die Globalisierung schafft viele Unsicherheiten, Ungleichheiten und Konflikte zwischen den Reichen und den Armen, den Zurück- gelassenen. Gegenwärtig versagt das internationale System dabei, diesen Prozess sozial und wirtschaftlich zu gestalten. Ich habe bereits erwähnt, dass diese Sorgen durch den Islam zum Ausdruck gebracht werden. Nehmen Sie zum Beispiel die Piloten vom 11. September und

129 Jones | Ergüder ihre persönlichen Geschichten: Sie waren gut ausgebildet, konnten Erfahrungen in Europa sammeln und waren sich der dunklen Seiten der Globalisierung sehr bewusst. Die internationale Gemeinschaft muss sich dieses Problems unbedingt annehmen, indem sie ein internationales Wohlfahrtssystem schafft.

von der Gablentz Ich danke Ihnen allen für ein außerordentlich lebhaftes Gespräch. Ich freue mich besonders, dass vielfach erwähnt wurde, wir würden viel voneinander lernen, wenn wir auch keine Lösungen für die unendlich vielen angesprochenen Pro- bleme finden können. Wir können Trost schöpfen aus der Feststellung von Herrn Perone, dass die mangelnde Präzision im Kulturbereich Stärke bedeutet; denn so sind wir fähig, mit der unermesslichen Komplexität und Unsicherheit künftiger Entwicklungen fertig zu werden. Als Ergebnis des ersten Teils unserer Diskussion haben wir gesagt, dass Kultur ein wichtiges Kapital für die Zukunft und den Zusammenhalt des größeren, wei- teren Europas ist. Denn dieses Europa kann nicht allein durch den acquis commu- nautaire und die 80.000 Seiten Regelungen zusammengehalten werden. Insofern begrüße ich, dass die Rolle der Kultur für das Entstehen einer politischen Gemein- schaft, einer Polis und eines Europas der Bürger, immer wieder zum Ausdruck kam. Das bedeutet, dass wir in unseren jeweiligen Lebens- und Arbeitsbereichen auch dafür sorgen müssen, dass in der Neukonstruktion Europas Platz für Kultur geschaffen wird. Dazu wurde eine Reihe praktischer Vorschläge gemacht, die sich in dem Appell zusammenfassen lassen, dass der Europäische Konvent die Stimme der Zivilgesellschaft hört und die Politik sich der Kultur in Europa annimmt. Erzie- hung und Bildung spielen in diesem Zusammenhang eine ganz entscheidende Rolle. Der dritte Teil der Diskussion behandelte die Frage, wie sich die europäische Kultur in einer modernen, globalisierten kulturellen Entwicklung behaupten kann, was sie zu dieser Entwicklung beitragen kann und welches ihre wesent- lichen Partner sind.

von Weizsäcker Abschließend möchte ich noch einmal auf das Thema der Kultur im Zusammen- Europa und die USA hang mit den transatlantischen Beziehungen zurückkommen. Jan Roß hat voll- müssen gemeinsam gegen den kommen Recht, dass es falsch und gefährlich wäre, es gerade jetzt zwischen radikalen Islam vorgehen Amerika und Europa zu einer Spaltung kommen zu lassen, denn wir stehen ge- meinsamen Gefahren gegenüber und haben gemeinsame Ziele.

Ergüder | von der Gablentz | von Weizsäcker 130 Dennoch sollten wir die Parallele zwischen dem Kalten Krieg und der Geg- nerschaft zum radikalen Islam nicht so wörtlich nehmen. Während des Kalten Kriegs hatte man einen klar definierten Gegner. Heute dagegen ist der Gegner, auch wenn wir ihn als radikalen Islamismus benennen, schwer definierbar und schlagbar, und gerade das zählt zu den Schwierigkeiten in der transatlantischen Diskussion. In einem Krieg gegen den Irak haben wir den »Vorteil« eines definier- baren, schlagbaren Gegners, nicht aber beim radikalen Islam. Umso wichtiger für das Vorgehen gegen den radikalen Islam wäre es, keine Gegensätze über den Atlantik hinweg entstehen zu lassen. Durch gegenseitige Vorwürfe kommen wir nicht weiter; dennoch müssen wir uns darüber im Klaren sein, wie unterschied- lich in diesem Punkt die Wahrnehmungen sind. Gibt es also keine Unterschiede zwischen europäischer und amerikanischer Kultur und infolgedessen auch keine spezifische europäische Kulturbotschaft? Hier dürfen wir den Kulturbegriff nicht zu eng definieren. Kultur heißt lernen, zusammenzuleben. In der amerikanischen Gesellschaft ist Kultur als die Kunst, zusammenzuleben, in vieler Hinsicht höher als bei uns entwickelt. Was aber die Globalisierung anbetrifft, sehe ich einen Unterschied zwischen dem, was Ame- rika bisher ansteuert, und dem, was Europa nach meiner Überzeugung auch im Wege einer Politischen Union anstreben sollte. Im internationalen Bereich bedeutet Zusammenleben lernen und organi- Europa sollte Weltordnungspolitik und sieren Weltordnungspolitik. Mit diesem Gedanken beschäftigt sich Amerika aus internationale Organisationen unterstützen verständlichen Gründen weniger direkt. Ursprünglich haben wir viele der Welt- institutionen Amerika zu verdanken, so die Vereinten Nationen und das Bretton Woods System. Doch mit dem Ende des Kalten Kriegs, mit der ständig wachsen- den Machtdistanz und der europäischen Weigerung, an etwas anderes als an die Friedensdividende zu denken, hat sich ein Unterschied herausgestellt, der auf die Dauer so nicht bleiben darf. Weltordnungspolitik bedeutet, dass wir angefangen bei den Vereinten Nationen dafür sorgen müssen, dass handlungsfähige interna- tionale Institutionen entstehen und sich die Machtausübung nicht auf den Sicher- heitsrat beschränkt, der ausschließlich sicherheitspolitisch denkt. Gemeinsam müssen wir erreichen, dass die WTO mit der Hilfe der WHO bes- ser mit den Seuchen und Krankheiten in der Welt fertig wird. Es gibt amerikani- sche Firmen, die auf dem Gebiet der AIDS-Bekämpfung Hervorragendes leisten und dazu beitragen, dass die Arzneimittel für besonders betroffene Länder erschwinglich werden. Die Aufgabe der Europäer sehe ich vornehmlich darin, dass sie gerade auch auf diesem Gebiet systematisch an einer Weltordnungspoli-

131 von Weizsäcker Das Recht ist Kernstück von Kultur, nicht nur Kunst.

von Weizsäcker

tik arbeiten. Die Amerikaner mögen uns dann vorwerfen, wir seien die Schwa- chen und dächten deswegen an Weltorganisationen. Amerika dagegen sei stark und komme auch ohne den ewigen Frieden von Immanuel Kant aus. Das sollte uns indes nicht stören, denn wir wollen den Weg zu einer Weltordnungspolitik gemeinsam mit den Amerikanern gehen. Aber wir Europäer haben auf diesem Gebiet einen gewissen Vorsprung, und es geht hier nicht primär um die Abschaf- fung der Todesstrafe, nicht einmal um den Beitritt zum Internationalen Strafge- richtshof, sondern darum, die Weltordnungspolitik mit ihren Institutionen ernst zu nehmen. Denn das, was das Zusammenleben unter Menschen regelt, ist der eigentliche Kern dessen, was Recht bedeutet. Das Recht ist Kernstück von Kultur, nicht nur Kunst. So wunderbar die Kunst ist, aber mit der 9. Sinfonie von Beetho- ven alleine können wir die Weltordnungspolitik nicht regeln. Ich möchte in erster Linie Ihnen, Herr von der Gablentz, dafür danken, wie Sie uns durch diese schwierige Thematik geführt haben. Wenn man nur unter Politikern diskutiert, ist zu befürchten, dass die Orientierung an Interessen eine eingehende Diskussion, die der Sache angemessen ist, verhindert. Wenn man nur mit Intellektuellen redet, besteht die Gefahr, die Welt in so vielen verschiedenen intellektuellen Facetten zu betrachten, dass man am Ende zu keinem Ergebnis kommt. Unter Ihrer Stabführung hat sich hier ein gemischter Kreis in sehr frucht- barer Weise mit unserer Fragestellung beschäftigt. Deshalb gebührt der Körber- Stiftung Lob für die Auswahl eines wirklich guten Themas und die Einladung die- ses spannungsreichen Kreises in das schöne Hamburg.

von Weizsäcker 132 ANHANG

Teilnehmer

Prof. Dr. Hélène Ahrweiler ges Pompidou, Paris; Professorin an der Ecole du geb. 1926 Louvre. Rektorin der Europa Universität, Ausgewählte Schriften: Politics-Poetics, Das Buch zur Paris; Ehrenpräsidentin der Sor- Dokumenta X (1997). bonne; ehem. Rektorin der Aka- Seiten: 74, 120 demie von Paris; ehem. Präsiden- tin des Centre Pompidou; Präsi- Ekaterina Degot dentin des Europäischen Kulturzentrums Delphi; geb. 1958 Präsidentin des griechischen Nationaltheaters; Kunstkritikerin, Kunsthistorike- Professorin der Sorbonne; Ehrendoktorin ver- rin und Kuratorin, Moskau; Lehr- schiedener internationaler Universitäten; zahlrei- tätigkeit an der Staatlichen Russi- che Veröffentlichungen über das byzantinische schen Universität der Geistes- Reich, Europa und Griechenland. wissenschaften, Moskau; Kurato- Seiten: 24, 46, 87, 113 rin der Ausstellung »Berlin-Moskau 1950–2000«; Kolumnistin (Kommersant). Jean-Baptiste Cuzin Ausgewählte Schriften: Contemporary Painting geb. 1975 in Russia (1995); Terroristic Naturalism (1998); Beauftragter für europäische Fra- History of the 20th Century Art in Russia (2002). gen im französischen Ministe- Seiten: 50, 121 rium für Kultur und Kommuni- kation, Paris; ehem. Attaché für Raina A. Mercedes Echerer, Zusammenarbeit im Bereich MdEP Rechtswesen (Justiz) der französischen Botschaft geb. 1963 in Ungarn; Lehrtätigkeit am Institut d’Etudes Mitglied des Europäischen Par- Politiques, Lyon, und an der Universität Paris. laments (Fraktion der Grünen/ Seiten: 77 EFA), Straßburg/Brüssel; Künstle- rin; Mitglied im Ausschuss für Catherine David Kultur, Jugend, Bildung, Medien und Sport, Stell- geb. 1954 vertretendes Mitglied im Ausschuss für Recht und Direktorin des Witte de With, Binnenmarkt sowie im Budgetausschuss; kultur- center for contemporary art, und medienpolitische Sprecherin der Fraktion; Rotterdam; Künstlerische Leite- freischaffende Schauspielerin; ehem. Ensemble- rin der Dokumenta X, Kassel; mitglied des Theaters in der Josefstadt, Wien; ehem. Kuratorin der Galerie Na- ehem. Fernsehmoderatorin der »Kunststücke« tionale du Jeu de Paume, Paris; ehem. Kuratorin (ORF). des Musée National d’Art Moderne Centre Geor- Seiten: 40, 44, 79, 119

135 Prof. Manfred Eichel Otto von der Gablentz geb. 1938 geb. 1930 Chefkorrespondent Kultur des Botschafter a.D., ehem. Rektor ZDF, im Hauptstadtstudio Berlin des Europakollegs in Brügge und Leiter und Moderator von Fern- Natolin (Warschau). Nach Stu- seh-Kultur-Magazinen für die dien und Forschungsarbeiten in ARD (»Kultur aktuell« und »Kul- Recht, Soziologie und Politologie turreport«) und das ZDF (»aspekte« und »Literari- in Berlin, Freiburg, Brügge, Oxford und Har- sches Quartett«) von 1975 bis 1999; Honorarpro- vard im Auswärtigen Dienst von 1959–95. Abtei- fessor an der Hochschule der Künste in Berlin für lungsleiter im Bundeskanzleramt unter Helmut Fernseh- und Kultur-Journalismus; Dozent des Schmidt, Botschafter in Den Haag, Tel Aviv Goethe-Instituts, »Alexander-Zinn«-Preisträger des und Moskau. Zurzeit neben anderen Ehrenäm- Hamburger Senats. tern Geschäftsführender Vorsitzender »Europa Seiten: 38, 123 Nostra«. Seiten: 23, 27, 31, 34, 36, 46, 57, 63, 69, 74, 77, 78, Prof. Dr. Üstün Ergüder 79, 82, 84, 86, 87, 88, 96, 107, 109, 113, 130 geb. 1937 Direktor des Istanbul Policy Cen- Prof. Dr. Michael Gehler ter, Istanbul; ehem. Rektor der geb. 1962 Bogazici University, Istanbul; Prä- Professor am Institut für Zeitge- sident der TUSEV-Stiftung (Zu- schichte, Universität Innsbruck; sammenschluss türkischer Ver- Vorstandsmitglied der Ranke-Ge- eine und Verbände); Vorstandsmitglied der Vehbi sellschaft; Redaktionsmitglied Koc Stiftung; Mitbegründer und Vorstandsmit- der Zeitschrift »Zeitgeschichte«; glied der türkischen Stiftung für Wirtschafts- und Mitbegründer des Arbeitskreises Europäische Sozialforschung; Vorstandsmitglied des Euro- Integration (); Permanent Senior Fellow pean Foundation Center und der European Cul- am Zentrum für Europäische Integration, . tural Foundation. Ausgewählte Schriften: Finis Neutralität? Histori- Ausgewählte Schriften: Post-1980 Parties and Poli- sche und politische Aspekte im europäischen tics in Turkey, in: Perspectives on Democracy in Vergleich: Irland, Finnland, Schweden, Schweiz Turkey (1986); Restoration of Democracy in Tur- und Österreich (2001); Zeitgeschichte im dynami- key? Political Reforms and the Elections of schen Mehrebenensystem (2001); Der lange Weg 1983, in: The Middle-East: Implications of Recent nach Europa. Österreich vom Ende der Monar- Trends (1988). chie bis zur EU (2002); Europa. Von der Utopie Seiten: 69, 97, 109, 129 zum EURO (2002). Seiten: 31, 53, 82, 111

136 Danuta Glondys Professor Yudhishthir Raj Isar geb. 1955 geb. 1948 Direktorin der Villa Decius (Willa Selbstständiger Forscher und Decjusza), Krakau; Beraterin für Berater; ehem. Abteilungsleiter Kommunalverwaltung und Kul- für Kulturpolitik und für den turpolitik; ehem. Regionaldirek- International Fund for the Pro- torin des USAID Programms für motion of Culture der UNESCO; die Entwicklung von Kommunalverwaltungen; ehem. Geschäftsführer der World Commission ehem. Leiterin der Kulturabteilung der Gemeinde on Culture and Development; ehem. Professor für Krakau; Lehrtätigkeit an der Jagiellonischen Uni- Cultural Policy Studies an der Amerikanischen versität, Krakau. Universität Paris und Dozent an zahlreichen in- Ausgewählte Schriften: Ausgewählte Beispiele und ternationalen Universitäten; Berater des World Aspekte des Kulturmanagements der Stadt Kra- Monuments Funds, der Sanskriti Foundation, der kau im Zeitraum 1993–1999 (auf Polnisch); in: Zar- Europäischen Komission, der OECD und der Euro- ządzanie w kulturze (2001); Das Krakauer Festival pean Cultural Foundation; Vorstandsmitglied des 2000 im Kontext der Europäischen Integration Institute of International Visual Arts (inIVA) und (auf Polnisch), in: Przegląd Europejski (2001); Das des Creative Exchange Networks. Weimar Dreieck und die Ukraine (Hrsg.) (2002). Ausgewählte Schriften: The Challenge to our Cultu- Seiten: 61, 93 ral Heritage (1986); »The intercultural challenge: an imperative of solidarity« in: Intercultural Dia- Monika Griefahn, MdB logue (2002); »Human rights and cultural rights: geb. 1954 tension or dialogue« in: Notes et Documents Mitglied des Deutschen Bundes- (2002); Towards the »European Observatory of tags (SPD), Berlin; Soziologin; Cultural Co-operation:« Stakes, Objectives, Gover- Ministerin a.D; Vorsitzende des nance (2003) Ausschusses für Kultur und Me- Seiten: 78, 101, 118 dien des Deutschen Bundestags; Mitglied des SPD-Fraktionsvorstandes; Vizevorsit- Hywel Ceri Jones zende des Ausschusses für Wirtschaft und Um- geb. 1937 welt der OSZE-Parlamentarierversammlung; Mit- Vorstandsvorsitzender des Euro- glied der deutschen UNESCO-Kommission; ehem. pean Policy Centre, Brüssel; Vor- Umweltministerin Niedersachsens; ehem. Mit- sitzender des European Institute glied des Landtags von Niedersachsen; ehem. Mit- for Education and Social Policy, glied im Internationalen Vorstand von Green- Paris; ehem. Stellvertretender Ge- peace. neraldirektor für Beschäftigung und Soziales der Seiten: 48, 63, 125 Europäischen Kommission; ehem. Europaberater

137 des Staatssekretärs für Wales und Vorsitzender Doris Pack, MdEP des Komitees Wales und Europa; Gastprofessor an geb. 1942 der Universität von Glamorgan (Wales); Ehren- Mitglied des Europäischen Parla- doktor verschiedener internationaler Universi- ments (PPE-DE), Straßburg/Brüs- täten; königliche Auszeichnung Commander of sel; Lehrerin; Mitglied im Frak- St. Michael and St. George (1999). tionsvorstand der Europäischen Ausgewählte Schriften: Teaching and Learning Volkspartei; Präsidentin von Eu- (1979); Education in a changing Europe (1992); ropa in der Schule; Sprecherin der EVP-Fraktion The National Assembly for Wales and the Euro- für Bildung und Kultur; Stellvertretende Vorsit- pean Union (1998). zende der Deutschen Vereinigung der European Seiten: 70, 128 Cultural Foundation; Mitglied im ZDF-Fernsehrat; ehem. Bundestagsabgeordnete (CDU/CSU); ehem. Dr. Ursula Keller Mitglied der Parlamentarischen Versammlung geb. 1940 der WEU; Ehrenmitglied und ehem. Mitglied der Programmleiterin des Literatur- Parlamentarischen Versammlung des Europarats. hauses Hamburg; Freie Journalis- Seiten: 42, 48, 94, 126 tin, Filmemacherin und Drama- turgin. Prof. Dr. Ugo Perone Ausgewählte Schriften: Zeitsprünge geb. 1945 (1999); Böser Dinge hübsche Formel. Das Wien Direktor der Kulturabteilung der Arthur Schnitzlers (2000); Nun breche ich in Stü- italienischen Botschaft, Berlin; cke. Leben, Schreiben, Suizid (2000); Perspekti- Direktor des Istituto di Cultura, ven metropolitaner Kultur (2000). Berlin; ehem. Stadtrat für Kultur Seiten: 59 der Stadt Turin; ehem. Präsident des italienischen Vereins zur Förderung junger Dr. Bernhard Maaz Künstler; Professor der Philosophie an der Uni- geb. 1961 versität Amedeo Avogadro, Ost-Piemont; Gründer Kustos der Alten Nationalgalerie, und Mitherausgeber der Zeitschrift »Filosofia e Berlin; Kunsthistoriker; Kurator. teologia«. Ausgewählte Schriften: Christian Ausgewählte Schriften: In lotta con l’Angelo (1989); Friedrich Tieck, 1776–1851 L. Feuerbach, il finito e l’infinito (1992); Le pas- (1995); Alte Nationalgalerie Ber- sioni del finito (1994) Cartesio o Pascal? Un dia- lin (1997), Von Caspar David Friedrich bis Manet. logo sulla modernità (1995); Il racconto della filo- Meisterwerke der Nationalgalerie Berlin (1999); sofia, in: Annuario filosofico (1998); Trotz dem Die Alte Nationalgalerie. Geschichte, Bau und Subjekt (1998). Umbau (2001). Seiten: 45, 86, 127 Seiten: 57

138 Jan Roß Prof. Dr. Karl Schlögel geb. 1965 geb. 1948 Journalist; Redakteur bei DIE Professor für Osteuropäische Ge- ZEIT; ehem. Redakteur im Feuil- schichte, Europa-Universität Via- leton der Frankfurter Allgemei- drina, Frankfurt/Oder; Historiker; nen Zeitung. Publizist; Europäischer Essay- Ausgewählte Schriften: Die neuen preis »Charles-Veillon« (1990); Staatsfeinde (1998); Der Papst. Johannes Paul II., Anna-Krüger-Preis des Wissenschaftskollegs zu Drama und Geheimnis (2000). Berlin (1999). Seiten: 37, 115 Ausgewählte Schriften: Moskau lesen (1984); Go East oder Die zweite Entdeckung des Ostens (1995); Arne Ruth Berlin Ostbahnhof Europas. Russen und Deutsche geb. 1943 in ihrem Jahrhundert. (1998); Die Mitte liegt Ost- Journalist; ehem. Chefredakteur wärts. Europa im Übergang (2002); Petersburg. der Zeitung »Dagens Nyheter«, Das Laboratorium der Moderne 1909–1921 (2002); Schweden; Gastprofessor für Promenade in Jalta und andere Städtebilder Journalistik an der Universität (2001); Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivili- Stockholm und der Universität sationsgeschichte und Geopolitik (2003). Oslo; Berater der Transnational Foundation for Seiten: 27, 55, 92, 114 Peace and Future Research; Vorstandsmitglied des Swedish Helsinki Committee für Menschen- Dr. Gary Smith rechte und der Vereinigung Artikel 19; Berater geb. 1954 der Organisation Index on Censorship. Direktor der American Academy, Ausgewählte Schriften: Trans Europe Express (1979); Berlin Samhället som teater (Gesellschaft als Theater) Gründungsdirektor des Einstein- (1984). forums, Potsdam (1992–1997); Seiten: 35, 40, 84, 116 Honorarprofessor der Universität Potsdam; Lehrtätigkeit an der Universität Boston, Universität von Massachusetts, Freien Universität Berlin und der Universität von Chicago. Ausgewählte Schriften: On Walter Benjamin: Critical Essays and Recollections (1991); Benjaminiana – eine biografische Recherche (1991); Vom Nutzen des Vergessens (1996); Amnesie oder die Politik der Erinnerung in der Demokratie (1997); Die

139 Ungewisse Evidenz: Für eine Kulturgeschichte Gijs de Vries des Beweises (1998). geb. 1956 Seiten: 52, 105, 127 Vertreter der niederländischen Regierung im EU-Konvent; Mit- Prof. Dr. Johano Strasser glied des niederländischen Parla- geb. 1939 ments (VVD) Schriftsteller; Präsident des deut- Ehem. Staatssekretär im nieder- schen PEN-Clubs; ehem. Heraus- ländischen Innenministerium; ehem. Mitglied geber und Redakteur der Zeit- des Europäischen Parlaments und Vorsitzender schrift »L’80«; Mitglied der Grund- der Liberal-Demokratischen Fraktion im Europä- wertekommission der SPD; Trä- ischen Parlament; ehem. Dozent an der Univer- ger des Gerty-Spies Preises (2002). sität Leiden. Ausgewählte Schriften: Bei Regen über Regen reden Seiten: 36, 66, 88, 108, 109 (1983); Der Klang der Fanfare (1887); Dengel- manns Harfe (1992); Stille Jagd (1995); Ein Lachen Gottfried Wagner im Dunkeln (1999); Leben oder Überleben (2001); geb. 1950 Die Tücke des Subjekts. Handreichungen für Un- Generalsekretär der European verbesserliche (2002). Cultural Foundation; ehem. Di- Seiten: 32, 39, 90, 107 rektor von KulturKontakt Öster- reich; ehem. Beauftragter für die Hortensia Völckers bildungspolitische Kooperation geb. 1957 mit Mittel- und Osteuropa im österreichischen Künstlerische Direktorin und Vor- Ministerium für Unterricht und kulturelle Ange- stand der Kulturstiftung des Bun- legenheiten. des, Halle a.d. Saale; Mitglied des Seiten: 33, 90, 118 Universitätsbeirats der Akademie der Bildenden Künste, Wien; ehem. Persönliche Beraterin des Staatsministers für Kultur und Medien, Prof. Dr. Nida-Rümelin; 1998–2002 Direktorin der Wiener Festwochen; 1995–1997 Leiterin der Dokumenta X; 1991–1995 Künstlerische Leiterin des Münchner Tanzfesti- vals »Dance«; Mitbegründerin des AWAR Tanz- theaters. Ausgewählte Schriften: Zeit-Räume (1991); Remem- bering the Body (2000). Seiten: 69

140 Dr. Richard von Weizsäcker geb. 1920 1984–1994 Präsident der Bundes- republik Deutschland; 1981–1984 Regierender Bürgermeister von West-Berlin; 1969–1981 Mitglied des Deutschen Bundestages; 1979–1981 Vizepräsident des Deutschen Bundes- tages; ehem. Mitglied des Bundesvorstandes der CDU; ehem. Präsident des Deutschen Evan- gelischen Kirchentags; Heinrich-Heine- (1991) und Leo-Baeck-Preisträger (1994); Vorsitzen- der des Bergedorfer Gesprächskreises der Körber- Stiftung. Seiten: 21, 43, 109, 130

141

»Kurze Beschreibung der In Europa Befintlichen Völckern Und Ihren Eigenschafften« Öl auf Leinwand, Steiermark, frühes 18.Jahrhundert, Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien

S. Verweis auf S. 24 Literaturhinweise

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Gordon, Christopher und Simon Mundy, European Vobruba, Georg, Integration und Erweiterung. Euro- Perspectives on Cultural Policy, Paris: 2001. pa im Globalisierungsdilemma, Wien: 2001.

144 Glossar

»acquis communautaire« beitslager in der UdSSR ein. Wörtlich ist GULag Der gemeinschaftliche Besitzstand ist das ge- die Abkürzung für russisch Glawnoje Uprawle- meinsame Fundament aus Rechten und Pflich- nije Lagerej, »Hauptverwaltung der Lager«. ten, die für alle Mitgliedstaaten im Rahmen der Europäischen Union verbindlich sind. Dieser Besitzstand entwickelt sich ständig weiter und Marc Augé (geboren 1935) umfasst den Inhalt der Verträge und die daraus Französischer Anthropologe und Ethnologe. Zen- resultierenden Rechtsvorschriften sowie die von trales Thema seiner Arbeit ist die Frage des »An- der Gemeinschaft geschlossenen internationalen deren«. Abkommen. Beitrittskandidaten müssen diesen gemeinschaftlichen Besitzstand akzeptieren, be- vor sie der Union beitreten. Francis Bacon (1561–1626) Britischer Staatsmann, Naturforscher, Historiker http://www.europa.eu.int/scadplus/leg/de/cig/ und Philosoph. Bacon ist bekannt als Begründer g4000g.htm der modernen Erfahrungsphilosophie und Ver- treter eines zweckbetonten Utilitarismus. Er gilt als einer der Väter der modernen, auf Induktion »Altes« und »neues« Europa beruhenden Wissenschaften. Diese Unterscheidung wurde im Januar 2003 im Kontext der Irakkrise von US-Verteidigungsminis- ter Donald Rumsfeld geprägt. In einer Rede hatte Barcelona-Prozess er die kriegskritischen Nationen Europas, die zu Bei der Außenministerkonferenz in Barcelona den Gründungsmitgliedern der EU gehören, pejo- 1995 wurde die Mittelmeerpolitik der EU um ei- rativ als »Altes« Europa bezeichnet. Ihnen stellte nen regionalen Ansatz erweitert. Er soll die EU er das »Neue« Mittel- und Osteuropa gegenüber, und die Mittelmeer-Drittstaaten auf politischer deren Regierungen den gegenwärtigen amerika- und technischer Ebene zusammenführen. Die nischen Kurs unterstützten. Europa-Mittelmeerpartnerschaft umfasst die Mit- gliedstaaten der EU sowie zwölf Partner aus dem südlichen und östlichen Mittelmeerraum. Archipel Gulag Das 1967 erschienene Werk »Der Archipel Gulag« http://europa.eu.int/comm/external_relations/ von Alexander Solschenizyn stellt eine Aufar- euromed/ beitung seiner Erfahrungen in den Straflagern Sibiriens und der Verbannung dar. Anschließend bürgerte sich im Westen der Titel des Buches als Bezeichnung für das System der Straf- und Ar-

145 Jean Baudrillard (geb. 1929) Fernand Braudel (1902–1985) Französischer Soziologe, Philosoph und Medien- Französischer Historiker und Sozialwissenschaft- theoretiker. Baudrillard gilt als einer der ein- ler. Braudel gehört zu den berühmtesten franzö- flussreichsten zeitgenössischen französischen sischen Historikern des 20. Jahrhunderts. Er stu- Denker. Als Autor zahlreicher Werke (die in mehr dierte an der Sorbonne, lehrte in Algier, São Paulo als 12 Sprachen übersetzt wurden) wie »Konsum- und Paris. In deutscher Kriegsgefangenschaft gesellschaft«, »Simulacra und Simulation« und schrieb er »La Méditerranée«. In dieser Arbeit ver- »Telemorphose« hat er sich weltweit den Ruf ei- suchte er eine histoire globale der Mittelmeer- nes scharfen Kritikers der Konsum- und Medien- welt zur Zeit Philipps II, in der er das Wissen über gesellschaft erworben. Geografie, Geschichte, Religion, Landwirtschaft, Technik und intellektuelles Klima dieser Zeit ver- einte. Walter Benjamin (1892–1940) Jüdisch-deutscher Schriftsteller. Zu Benjamins Hauptwerken gehören der »Ursprung des deut- Bretton Woods schen Trauerspiels«, seine Abhandlung über »Das 1944 fand in der amerikanischen Stadt eine Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen internationale Konferenz statt, in der die inter- Reproduzierbarkeit« und das Fragment »Passa- nationale Wirtschafts- und Finanzordnung neu genwerk«. Er stand in Kontakt mit Brecht und geregelt wurde. Dabei wurde die Errichtung der Adorno, der sich nach Benjamins Tod um die Edi- Weltbank und des Internationalen Währungs- tion und Herausgabe seines Werks bemühte. fonds beschlossen. Das ebenfalls auf der Konfe- Nach der nationalsozialistischen Machtergrei- renz vereinbarte System fester Wechselkurse fung emigrierte Benjamin nach Paris. wurde 1973 aufgegeben, nachdem die USA die Goldeinlösungspflicht für den Dollar widerrufen hatten. »Blaue Banane« Die Blaue Banane ist eine geografische Metapher www.imf.org für den europäischen Raum mit dem größten www.worldbank.org Wirtschaftspotenzial, der als gekrümmtes Agglo- merationsband von London über die holländi- sche Randstad sowie das Rhein-Ruhr- und Rhein- Charta 77 (Prag) Main-Gebiet bis nach Mailand reicht. Oppositions- bzw. Dissidentenbewegung gegen das sozialistische Regime in der Tschechoslowa- kei. Am 1.1.1977 veröffentlichte die Charta ihre erste Deklaration, die vor allem die Respektie- rung und Einhaltung der Menschen- und Bürger-

146 rechte forderte. Das Regime jedoch reagierte mit Davos – World Economic Forum Repressionen, vom Verbot der Veröffentlichung Das Weltwirtschaftsforum (World Economic Fo- sämtlicher Schriften der Charta 77 bis hin zu Ver- rum – WEF) ist eine private, von Mitgliedern ge- haftungen und Ausweisungen der Mitglieder. In tragene Stiftung. Mitglieder sind die 1000 größ- den westlichen Medien hingegen fand die Charta ten privaten Wirtschaftsunternehmen der Welt. starkes Gehör. Im November 1992 stellte die Das Jahrestreffen des WEF findet jedes Jahr im Charta ihre Aktivität ein, da sie ihre historische Januar in Davos statt. Es werden welt- und wirt- Aufgabe erfüllt sah. schaftspolitische Fragen erörtert.

http://www.weforum.org/ James Clifford Anthropologie-Professor in Kalifornien. Bekannt durch seine bahnbrechende Studie »The Predica- Jacques Delors (geboren 1925) ment of Culture«, die die wacklig gewordene Posi- Französischer Politiker, langjähriger Präsident tion des westlichen Anthropologen in Bezug auf der EU-Kommission. In den ersten Jahren seiner sein Gegenüber beschreibt. Weiteres Werk: »Rou- Amtszeit (ab 1985) gestaltete er die Einheitliche tes: travel and translation in the late twentieth Europäische Akte als Grundlage für ein geplantes century«. Binnenmarktprogramm. In der Folgezeit war De- lors maßgeblich an den Entwürfen zur Umset- zung des Europäischen Binnenmarkts beteiligt. »commedia dell’arte« Commedia dell’arte (italienisch), Stegreifkomödie des 16. und 17. Jahrhunderts mit bestimmten Cha- Deontologie raktermasken, feststehender Szenenfolge, aber Ethische Pflichtenlehre (z.B. des Arztes). Der improvisiertem Dialog; von Berufsschauspielern Begriff wurde 1825 von dem Philosophen Jeremy gespielt, die immer in gleicher Maske auftraten. Bentham geprägt. Mitte des 20. Jahrhunderts ent- standen die deontologischen Verhaltenscodices, d.h. Mindestanforderungen für ein korrektes Ver- Counterstrike halten bei der Ausübung eines Berufs sowohl Bellizistisches Computerspiel, bei dem Online- gegenüber den Klienten als auch gegenüber den Teams gebildet werden können, die sich gegen- Kollegen. seitig mit verschiedensten Waffenarten bekämp- fen. Das Spiel ist derzeit eines der beliebtesten Computerspiele auf dem Markt und so Element Deutsch-französisches Jugendwerk (DFJW) einer Jugendkultur, die auf der gemeinsamen Das DFJW ist eine internationale Organisation im Begeisterung für diese Art von Spielen gründet. Dienst der deutsch-französischen Zusammenar-

147 beit. Seine Gründung geht auf den Elysée-Vertrag Hans Magnus Enzensberger (geboren 1929) von 1963 zurück. Artikel 2 (1) des Abkommens Deutscher Lyriker, Essayist, Herausgeber und bestimmt: »Das Jugendwerk hat die Aufgabe, die Übersetzer. Bekannt wurde Enzensberger 1957 Bande zwischen der Jugend der beiden Länder mit seinem Lyrik-Debüt »verteidigung der wölfe« enger zu gestalten und ihr Verständnis fürei- und etablierte sich in den folgenden Jahrzehnten nander zu vertiefen; es hat hierzu die Jugend- durch sein vielfältiges Schaffen als feste kultu- begegnung und den Jugendaustausch anzuregen, relle Größe in der Bundesrepublik. zu fördern und gegebenenfalls selbst durchzu- führen.« Europäische Grundrechts-Charta http://www.dfjw.org Die Europäische Grundrechts-Charta wurde im Dezember 2000 vom Europäischen Rat in Nizza proklamiert. Damit wurden die auf Unions- Sergej Diaghilew ebene geltenden Grundrechte schriftlich und Der aus Sankt Petersburg stammende Künstler in einer verständlichen Form niedergelegt. Mit begründete Anfang des letzten Jahrhunderts die ihren sechs Kapiteln (Würde des Menschen, Frei- Saison Russe in Paris. Die erste »Russische Saison« heit, Gleichheit, Solidarität, Bürgerrechte und wurde 1906 eröffnet. Im Laufe von vielen Jah- justizielle Rechte) fasst die Charta die allgemei- ren hat Diaghilew in Paris russische Malerei, nen Menschen- und Bürgerrechte und die wirt- Musik und Ballett präsentiert. Diaghilew war Mit- schaftlichen und sozialen Rechte in einem über- begründer der Künstlervereinigung »Welt der staatlichen Dokument zusammen. Kunst« (Art Nouveau). http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/infoservice/ download/pdf/eu/04487.pdf Elysée-Vertrag Am 22. Januar 1963 unterzeichneten Konrad Ade- nauer und Charles de Gaulle den Elysée Vertrag, Europäischer Konvent der Fundament für die Aussöhnung zwischen Der Konvent wurde vom Europäischen Rat der ehemaligen »Erzfeinden« war. Die Zusammenar- Staats- und Regierungschefs im Dezember 2001 beit betrifft die Bereiche Jugend, Kultur und Wirt- eingesetzt, um über die Zukunft Europas zu be- schaft. raten und Vorschläge für eine umfassende Re- form der Europäischen Union zu erarbeiten. Am http://www.historicum.net/aktuell/diskussion/ 13. Juni 2003 hat der Europäische Konvent seine elysee/ Beratungen offiziell beendet und den gemeinsa- men Entwurf für eine EU-Verfassung verabschie- det. Auf einer Regierungskonferenz der Mit-

148 gliedsländer wird nun auf dieser Grundlage triebe, gerade in der Musik-, der Verlags- und über den endgültigen Text der Verfassung ent- der Filmbranche, vor einer Verdrängung durch schieden. finanzkräftigere amerikanische Betriebe schüt- Im Konvent arbeiteten 105 Politiker aus allen zen und so die kulturelle Vielfalt weiterhin garan- 15 EU-Staaten sowie den 13 Beitrittskandidaten tieren. (inkl. Türkei) mit, unter Vorsitz von Valéry Gis- card d’Estaing. Francis Fukuyama (geboren 1952) http://european-convention.eu.int/ Japanisch-amerikanischer Politikwissenschaftler und Geschichtsphilosoph. Er war als Osteuropa- Experte Mitglied des politischen Planungsstabs European Voluntary Service – im US-Außenministerium und ist heute Professor Jugendfreiwilligendienst für Politikwissenschaft. Sein Buch über das »Ende Der European Voluntary Service (EVS) ist ein Pro- der Geschichte« fand weltweit breites Echo. gramm der Europäischen Union. Jugendliche im Alter von 18 bis 25 Jahren mit Wohnsitz in einem der EU-Länder können für sechs bis zwölf Monate GATS als Freiwillige in einem gemeinnützigen Projekt Unter dem Dach der World Trade Organisation und Land ihrer Wahl mitarbeiten. wurde 1994 mit dem Dienstleistungsabkommen GATS (General Agreement on Trade in Services) http://www.evs-info.com ein Rahmenwerk für die fortschreitende Libera- lisierung des internationalen Handels mit Dienst- leistungen geschaffen. Die Einzelaspekte werden »exception culturelle« seitdem in Verhandlungsrunden geklärt. Kultur- »Kulturelle Ausnahme« (Freistellung der Kultur- politiker und Kulturschaffende rufen die EU dazu güter von bestimmten Wettbewerbsregeln). Das auf, die Selbstverpflichtung der Union zur Erhal- Prinzip der »kulturellen Ausnahme« rechtfertigt tung der kulturellen Vielfalt in den Verhand- die Subventionierung von Kultur, um die kultu- lungsrunden zu beachten. relle Eigenständigkeit jedes Landes zu erhalten. Im Rahmen der EU soll die »exception culturelle« http://www.wto.org/english/tratop_e/serv_e/ die kulturelle Vielfalt innerhalb der Staatenge- gatsintr_e.htm meinschaft garantieren. Die »kulturelle Ausnahme« gerät in Zusammen- hang mit dem Abkommen über eine Liberalisie- William Golding (1911–1993) rung der Dienstleistungen (GATS) vermehrt ins Britischer Schriftsteller. Bereits sein erster Ro- Gespräch. Sie soll die europäischen Kulturbe- man von 1954, »The Lord of the Flies«, wurde zum

149 großen Erfolg. Der Roman zählt inzwischen seiner Resolution forderte der Kongress ein geein- zum Kanon moderner Klassiker der englischen tes demokratisches Europa. Die Forderungen Literatur und machte ihn auch international fanden ein breites Echo und gaben den Anstoß bekannt. 1983 erhielt er den Nobelpreis für Lite- zur Aufnahme von Verhandlungen, die 1949 zur ratur. Gründung des Europarats führten.

http://europa.eu.int/abc/history/index_de.htm Google Die Webseite des Anbieters »Google« ist eine der bekanntesten Suchmaschinen im Internet. Jürgen Habermas (geboren 1929) Bei Eingabe eines Suchbegriffs werden die ver- Deutscher Philosoph und Soziologe. Habermas ist schiedenen Webseiten, die Information zu dem ein Vertreter der Frankfurter Schule. 1986 löste er gesuchten Begriff bieten, geordnet nach Relevanz den so genannten Historikerstreit aus. Mit sei- aufgelistet. nem Artikel »Eine Art Schadensabwicklung« wies er auf Tendenzen in der deutschen Zeitge- schichtsschreibung hin, die den Nationalsozia- Graham Greene (1904–1991) lismus relativierten. Britischer Schriftsteller. Greene zählt zu den be- rühmtesten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Im Zentrum seines Werks steht der Konflikt zwi- Hagia Sophia schen Gut und Böse. Sein bekanntestes Werk »The Als Symbol der Macht und Herrlichkeit des Power and the Glory« erschien 1940 und erhielt byzantinischen Kaiserreichs von Justinian 532 den Hawthorne-Preis. n. Chr. erbaut, diente die Hagia Sophia nicht nur als Zeichen politischer Macht, sondern sollte auch das kaiserliche Anrecht auf die irdische Franz Grillparzer (1791–1872) Stellvertretung Gottes inszenieren und behaup- Österreichischer Erzähler; Lyriker und Drama- ten. Mit der Eroberung Konstantinopels durch die tiker. Bekannte Werke sind u.a. Tragödien wie Osmanen (1453) erfolgte die Umwandlung der »Sappho« und die Trilogie »Das goldene Vlies«. Hagia Sophia in eine Moschee. Heute beherbergt sie ein Museum.

Haager Europa-Kongress von 1948 »Geburtsstunde der Europäischen Bewegung«: Stuart Hall (geb. 1932) 750 Politiker aus nahezu allen europäischen Staa- Jamaikanisch-britischer Autor und Philosoph. ten nahmen am Haager Kongress der europä- Als eine der führenden Personen in der »Neuen ischen Einigungsbewegung im Mai 1948 teil. In Linken« war er der erste Herausgeber der New

150 Left Review. 1964 baute er an der Universität publikationen mit den Perspektiven der Welt- Birmingham das Centre for Contemporary Cultu- politik im 21. Jahrhundert auseinander gesetzt. ral Studies mit auf, dessen Direktor er bis 1979 Für Aufsehen sorgte sein Buch »Clash of Civiliza- war. Bis zu einer Emeritierung im Jahre 1997 tions«. war er Professor für Soziologie an der Open University. Kathedrale von Chartres Die Kathedrale von Chartres »Notre Dame« ist Hamburger Literatursymposion – eine der ersten rein gotischen Kathedralen, sie »Europa schreibt« wurde von 1194 bis 1226 erbaut. Sie ist Weltkul- Literarisches Symposium, das in einer Koopera- turerbe und gilt als eines der großen Meister- tion der Körber-Stiftung und des Literaturhauses werke europäischer Architektur. Hamburg in Verbindung mit dem 125. Berge- dorfer Gesprächskreis durchgeführt wurde. Zum Thema »Europa schreibt. Was ist das Europäische Kemal Atatürk (1881–1938) an den Literaturen Europas?« trafen sich Autoren Mustafa Kemal Pascha, türkischer Staatsmann, aus 33 verschiedenen Ländern zur Diskussion um Feldherr und Schöpfer der modernen Türkei mit das Europäische in ihrem Werk. dem Ehrentitel »Vater der Türken«. Kemal besei- tigte das Sultanat und das Kalifat; er wurde 1923 Präsident der Republik und führte Reformen Eric Hobsbawm (geboren 1917) durch (Übernahme westeuropäischer Rechtssys- Britischer Historiker und Autor. Von 1971 bis teme, Einehe, Lateinschrift, Hut statt Fes, Ein- 1982 Professor für Wirtschafts- und Sozialge- schränkung der Religion). Seine Politik wurde schichte an der University of London, seit 1984 von der Republikanischen Partei fortgeführt und Professor für Politik und Gesellschaft an der New wird bis heute von der Armee verteidigt. School for Social Research, New York. Der über- zeugte Marxist gehört zu den populärsten Histo- rikern der Gegenwart. Kopenhagener Kriterien Im Juni 1993 hat der Europäische Rat von Ko- penhagen den Staaten Mittel- und Osteuropas Samuel P. Huntington (geboren 1927) das Recht eingeräumt, der Europäischen Union Professor für Politikwissenschaft, Berater des US- beizutreten, wenn sie folgende drei Kriterien Außenministeriums und Leiter des John-M.-Olin- erfüllen: Instituts für Strategische Studien an der Univer- 1. institutionelle Stabilität als Garantie für demo- sität Harvard. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift kratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Foreign Affairs und hat sich in zahlreichen Fach- Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung

151 und den Schutz der Minderheiten; unterstützen, die MEDIA-Ausbildung ist ein Aus- 2. funktionstüchtige Marktwirtschaft; bildungsprogramm für Fachleute der europä- 3. Übernahme des gemeinschaftlichen Besitz- ischen audiovisuellen Programmindustrie. standes (acquis communautaire): Die Länder müssen sich die Ziele der politischen Union so- http://www.europa.eu.int/scadplus/leg/de/lvb/ wie der Wirtschafts- und Währungsunion zu l29006.htm Eigen machen. http://www.europa.eu.int/scadplus/leg/de/cig/ Kulturhoheit der Länder g4000e.htm Die Kulturhoheit der Länder in Deutschland be- zieht sich auf die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern in den Bereichen Bildung und Kriechströme Kultur. Das Grundgesetz verleiht den Ländern Dieser Terminus stammt aus der Physik und der weit gehende Gesetzgebungs- und Verwaltungs- Elektrotechnik. Er beschreibt jene Ströme, die kompetenzen in diesen Bereichen. Um ein Min- zwar bereits existieren, aber noch nicht wahrge- destmaß an Vereinheitlichung zu erreichen, nommen werden, da sie statistisch noch uner- besteht die Kulturministerkonferenz als zentrales heblich sind. Sie werden aber irgendwann her- Koordinierungsgremium der Länder. vortreten. Im europäischen Kontext beschreibt dieser Begriff die zunehmende Mobilität der http://www.kmk.org/index0.htm europäischen Bürger in verschiedensten Berei- chen und die Entstehung informeller Netzwerke. Diese fallen zunächst nicht weiter auf, prägen bei Kulturstiftung des Bundes genauerer Betrachtung aber bereits das Gesicht Die Kulturstiftung des Bundes wurde 2002 von der Europäischen Union mit. der deutschen Bundesregierung ins Leben ge- rufen. Sie fördert Kunst und Kultur im Rahmen der Zuständigkeit des Bundes. Schwerpunkte Kultur 2000, Media+, Media-Ausbildung sind die Förderung innovativer Programme und Kulturprogramme der Europäischen Kommis- Projekte im internationalen Kontext sowie der sion. Das Programm »Kultur 2000« ist das Rah- kulturelle Austausch und eine grenzüberschrei- menprogramm zur Kulturförderung der Europä- tende Zusammenarbeit. ischen Kommission und soll einen gemeinsamen Kulturraum schaffen. Das MEDIA+ Programm www.kulturstiftung-des-bundes.de soll die audiovisuelle Industrie einzelstaatlich

152 »Lieux de mémoire« Marshall-Plan Les Lieux de mémoire (»Die Orte der Erinnerung«) ist Wiederaufbauprogramm für Europa. Der Begriff der Name eines zwischen 1984 und 1993 gründet auf 1947 an der Harvard University vom unter der Leitung von Pierre Nora entstandenen damaligen US-Außenminister George C. Marshall Sammelbands, in dem rund hundert der bedeu- unterbreiteten, auf der Truman-Doktrin fußen- tendsten französischen Fachleute anhand von den Vorschlägen. Diese sahen für die europä- »Erinnerungsorten« (Metaphern, Symbole, geo- ischen Länder, die sich damit einverstanden grafische Orte etc.) die Geschichte Frankreichs erklärten, Warenlieferungen, Aufträge und güns- rekonstruieren. Die Erinnerungsorte stellen ein tige Kredite zum Wiederaufbau und zur wirt- Instrument für das Begreifen von Geschichte dar. schaftlichen Entwicklung vor. Der Marshall-Plan Aus dem Werk Noras entstand eine moderne bewirkte einen engeren wirtschaftlichen Zu- Gedächtnisgeschichte, die Geschichtsschreibung sammenschluss der beteiligten europäischen als Erinnern und kollektives Gedächtnis begreift. Länder, der sich auf die politische Befriedung und die Verwirklichung der Idee eines europäischen Wirtschaftsraums günstig auswirkte. »Longue durée« – Annales Die Annales sind eine bedeutende französische Historikerschule. Wichtige Vertreter sind ne- Alan S. Milward ben anderen Marc Bloch, Fernand Braudel und Britischer Historiker, bis 2003 Lehrstuhlinhaber E. LeRoy Ladurie. Mit der Gründung der Zeit- für »Geschichte der Europäischen Integration« schrift »Annales« 1929 wird in der Geschichts- am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. wissenschaft des 20. Jahrhunderts ein Paradig- Er veröffentlichte unter anderem »The European menwechsel von der klassischen Politik- und Rescue of the Nation-State«. Geistesgeschichte hin zu einer Gesellschaftsge- schichte verbunden, die den Anschluss an die Fragestellungen der Sozialwissenschaften sucht. Jean Monnet (1888–1979) Angestrebt ist eine problemorientierte histoire Französischer Politiker und Unternehmer. Mon- totale, die ausdrücklich auf Ergebnisse und net gilt als einer der wichtigsten Vordenker und Methoden verschiedener Disziplinen zurück- Lenker des europäischen Einigungsprozesses. greift. 1976 wurde er erster Ehrenbürger der Europäi- schen Union.

153 Edgar Morin (geboren 1919) OSZE Französischer Anthropologe und Soziologe. Ehe- Die Organisation für Sicherheit und Zusammen- maliger Résistance-Kämpfer und Kommunist, arbeit in Europa (OSZE) ging 1995 aus der Kon- emeritierter Forschungsdirektor des Pariser Cen- ferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in tre National de la Recherche und einer der bedeu- Europa (KSZE) hervor. Zu den insgesamt 55 Mit- tendsten französischen Denker der Gegenwart. gliedstaaten der OSZE zählen alle Staaten in Zu seinen wichtigsten Publikationen zählt das Europa, die Nachfolgestaaten der Sowjetunion soziologische Hauptwerk »La Méthode«. sowie die USA und Kanada. Alle Teilnehmerstaa- ten schulden einander Rechenschaft für ihre Beziehungen untereinander und für ihren Um- V. S. Naipaul (geboren 1932) gang mit den eigenen Bürgern. Ungeteilte Sicher- In Trinidad geborener britischer Schriftsteller heit, Konfliktverhütung und Wiederaufbau nach mit indischen Vorfahren. Sein Werk ist geprägt Konflikten gehören zu ihren wichtigsten Zielen. von der eigenen Wurzellosigkeit und vielfältigen Reise-Eindrücken. Er kritisiert in seinen Roma- http://www.osce.org nen und Novellen die negativen Auswirkungen des Kolonialismus und des neuen Nationalismus in der Dritten Welt. Naipaul ist einer der bedeu- Sir Karl Raimund Popper (1902–1994) tendsten »Kolonialliteraten« Großbritanniens und Österreichischer Philosoph, der vornehmlich in wurde 2001 mit dem Literaturnobelpreis ausge- England lebte und Logik und Wissenschafts- zeichnet. theorie lehrte. Wesentliches Merkmal seiner philosophischen Arbeiten ist die Suche nach dem verlässlichen Kriterium für wissenschaftliche NGO Rationalität, er prägte den Begriff »Kritischer Non-Governmental Organization (Nichtregie- Rationalismus«. Er gilt als einer der wichtigs- rungsorganisation). Bezeichnung für nicht-staat- ten Erkenntnis- und Gesellschaftstheoretiker des liche Selbsthilfe- und Interessengruppen mit 20. Jahrhunderts. Hauptwerke sind u.a. die »Of- fester Organisationsstruktur, die eigenständig fene Gesellschaft« und »Die beiden Grundproble- oder in Abstimmung mit Regierungsstellen natio- me der Erkenntnistheorie«. nal oder international (INGOs) in einzelnen Poli- tikfeldern tätig sind, in denen soziale, ökonomi- sche oder politische Probleme von staatlichen Public-Private Partnerships Akteuren nicht befriedigend gelöst werden. Unter dem Begriff werden Kooperationen zwi- schen öffentlichen, privatwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren verstanden. Sie verfolgen den Zweck, ein Projekt oder eine

154 Dienstleistung zu erbringen, die zuvor meist von Römische Verträge von 1957 der öffentlichen Hand allein erbracht wurde. Die Römischen Verträge sind die Gründungsver- PPPs sollen das Wissen und die Ressourcen der träge der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Projektpartner optimal nutzen, Synergien schaf- (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft fen und so bessere Ergebnisse garantieren. (EAG/Euratom) sowie deren Zusatzprotokolle. Sie wurden in Rom am 25. März 1957 von Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Ita- Hilary Putnam (geb. 1926) lien, Luxemburg und den Niederlanden unter- Amerikanischer Philosoph, Schüler von Quine. zeichnet. Während er zunächst den Funktionalismus maß- geblich mitprägte, wendete er sich später von http://europa.eu.int/comm/publications/booklets/ diesem deutlich ab. Er hat in vielen Schriften die eu_glance/12/txt_de.htm - 1 Grundideen und Programme des logischen Posi- tivismus kritisiert. Ruanda Dem ruandischen Bürgerkrieg zwischen den Willard van Orman Quine (1908–2000) Volksgruppen der Hutus und der Tutsi 1990 bis Amerikanischer Philosoph. Quine versuchte, 1994 fielen ca. 800.000 Tutsis zum Opfer. 1994 Wissenschaftsphilosophie und Wissenstheorie besiegten die Tutsi-Rebellen das Hutu-Regime (knowledge theory) zu vereinen. Durchgängig und beendeten die Gewalttätigkeiten. Annähernd war bei Quine eine Skepsis gegenüber »Bedeu- zwei Millionen Hutus flohen in der Angst vor Ver- tung« und anderen relationalen Begriffen zu spü- geltungsschlägen in die benachbarten Länder Bu- ren. Zu seinen bekanntesten Werken gehören die rundi, Tansania, Uganda und Zaire. Die Rolle der Bücher »The Ways of Paradox«, »Quiddities« und internationalen Gemeinschaft und ihrer Vertre- »Word and Object«. ter vor Ort im Vorfeld des Konflikts ist immer noch umstritten. Es gibt viele Stimmen, die es für möglich halten, dass man den Völkermord hätte Arthur Rimbaud (1854–1891) verhindern können. Französischer Dichter. Sein Werk entstand in nur vier Jugendjahren, zwischen sechzehn und zwan- http://www.cia.gov/cia/publications/factbook/ zig. 1874 wandte sich Rimbaud von der Literatur geos/rw.html ab und widmete sich seinen Geschäften, u.a. als Waffenhändler in Afrika.

155 Edward Said (geboren 1935) nalsozialisten dazu diente, den »Führerstaat« Amerikanisch-palästinensischer Schriftsteller. rechtsphilosophisch zu legitimieren. Er wurde Said lehrt an der Columbia University in New zum führenden nationalsozialistischen Rechtsge- York Anglistik und Vergleichende Literaturwis- lehrten, zog sich aber ab 1937 zunehmend in die senschaften und ist einer der profiliertesten Ver- »innere Emigration« zurück. treter der palästinensischen Sache. Edward Said ist Autor einer Reihe kulturkritischer Werke, die das Verhältnis zwischen Europa und den Schuman-Plan außereuropäischen Kulturen thematisieren; am Der am 9. Mai 1950 vom französischen Außen- berühmtesten wurde »Orientalism« (1979), eine minister Robert Schuman vorgelegte Plan war Studie zur Produktion und Repräsentation des der Anstoß zur Gründung der Europäischen »Orients« im europäischen Diskurs. Gemeinschaft. 1953 wurde auf seiner Grundlage von Frankreich, der Bundesrepublik, Italien und den Beneluxstaaten die Gründung einer Europä- Schengen ischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) Das Schengener Abkommen ist das Übereinkom- beschlossen. men für die EU-Mitgliedstaaten zum schrittwei- sen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen http://www.europa-digital.de Grenzen. Ferner regelt es die erhöhte Sicherung der Außengrenzen der EU durch verstärkte Kon- trollen von Personen aus Drittstaaten sowie die Winfried G. Sebald (1944–2001) stärkere Zusammenarbeit der nationalen Polizei- Deutscher Autor und Literaturwissenschaftler. und Zolldienste. Es ist seit März 1995 vollständig Seit 1987 Professor für Literaturwissenschaften wirksam und wurde mit In-Kraft-Treten des an der Universität von East Anglia in Norwich. Zu Amsterdamer Vertrags 1999 in den EU-Vertrag seinen erfolgreichsten Werken gehören »Vertigo« integriert. (1990), »Die Ausgewanderten« (1992), »Die Ringe des Saturn« (1995) und »Austerlitz« (2001). http://www.europa.eu.int/scadplus/leg/de/cig/ g4000s.htm Sinan (gestorben 1588) Türkischer Architekt. Sinan ist einer der bedeu- Carl Schmitt (1888–1985) tendsten Namen der türkischen Kultur. Zu seinen Deutscher Staatsrechtslehrer und Rechtstheo- größten Werke gehören die Prinzen-Moschee in retiker. Schmitt formulierte eine umstrittene Istanbul und die Selimiye Moschee in Edirne. autoritäre Staatsrechtlehre, die später den Natio-

156 Sokrates-Programm fallen, handelt die Union also nur dann, wenn Bildungsprogramm der Europäischen Union. ihre Maßnahme wirksamer ist als eine nationale, Das Gemeinschaftsprogramm SOKRATES soll regionale oder lokale Maßnahme. die Entwicklung der europäischen Dimension im Bildungswesen fördern. Die einzelnen Unter- http://european-convention.eu.int/ programme richten sich an verschiedene Ziel- glossessent.asp?lang=DE gruppen: – Erasmus: Studentenbildungsprogramm der EU – Comenius: Schülerbildungsprogramm Srebrenica – Grundwig: Erwachsenenbildungsprogramm Der Name der Stadt wurde zum Begriff für eine der größten Tragödien des Bosnienkriegs. http://www.kmk.org/pad/sokrates2/ Am 11. Juli 1995 wurde die UN-Schutzzone Sreb- renica von serbischen Truppen unter dem Kom- mando von General Ratko Mladic eingenommen. Soros-Stiftung Die niederländischen UNO-Blauhelme unter ein- Die Soros-Stiftung wurde vor 17Jahren von George geschränktem Mandat blieben dabei passiv. Auf Soros gegründet und ist ein Netzwerk 24 un- die Besetzung der Stadt folgte eines der schwers- abhängiger Stiftungen in Nordamerika, Zen- ten Massaker des Bosnienkriegs, bei dem schät- tral- und Osteuropa, den Neuen Unabhängigen zungsweise 8000 muslimische Bosnier ermordet Staaten, Südafrika und Haiti. Das Hauptziel wurden. der Stiftungen ist die Schaffung »offener Gesell- schaften«. http://www.un.org/Depts/dpko/dpko/co_mission/ unprof_b.htm http://www.soros.org

Tschetschenien Subsidiaritätsprinzip Gegenstand des Konflikts zwischen der Kauka- Laut diesem Prinzip sollen Entscheidungen in- susrepublik Tschetschenien und der russischen nerhalb der Europäischen Union auf einer mög- Regierung ist der Status der Republik. Während lichst bürgernahen Ebene getroffen werden. Es Tschetschenien seit 1991 die volle staatliche muss immer überprüft werden, ob ein gemein- Unabhängigkeit von der Russischen Föderation schaftliches Vorgehen angesichts der nationalen, anstrebte, bestand Letztere auf der Beibehaltung regionalen oder lokalen Handlungsmöglichkei- des territorialen Status quo und war lediglich ten wirklich gerechtfertigt ist. In den Bereichen, zu Zugeständnissen bei der Ausgestaltung der die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit tschetschenischen Autonomie bereit. Dies führte

157 zum ersten Tschetschenien-Krieg von 1994–1996 Vertrag von Amsterdam sowie zum erneuten Ausbruch der Gewalt seit Mit dem am 2. Oktober 1997 unterzeichneten 1999. Zudem hat der Konflikt eine weitere Di- und am 1. Mai 1999 in Kraft getretenen Vertrag mension erhalten: Tschetschenische Terroristen von Amsterdam sind Bestimmungen des EU-Ver- verübten in den letzten Jahren mehrere Attentate trags, der Verträge zur Gründung der Europäi- in der russischen Föderation, vornehmlich in schen Gemeinschaften und einiger mit diesen Moskau, worauf die russische Regierung mit ver- Verträgen zusammenhängender Rechtsakte ge- mehrtem Druck im Kaukasus reagierte. ändert worden. Er ist nicht an die Stelle der übri- gen Verträge getreten, sondern ergänzt sie.

Uruguay-Runde http://europa.eu.int/eur-lex/de/treaties/dat/ Die Uruguay-Runde (1986–93) ist eine der acht amsterdam.html GATT-Runden, die vor Ablösung des GATT (Gene- ral Agreement on Tariffs and Trade) durch die WTO (World Trade Organization) durchgeführt Vertrag von Maastricht: Artikel 128 bzw. 151 wurden. Ziel des GATT war es, den weltweiten Der 1993 in Kraft getretene EU-Vertrag baut auf Handel durch Senkung der Zölle und Beseitigung dem seit den fünfziger Jahren verfolgten Inte- anderer Außenhandelsbeschränkungen zu för- grationsprozess Europas und den bisherigen Ver- dern. In den Runden wurden konkrete Vereinba- trägen der Europäischen Gemeinschaften auf. Er rungen über den weiteren Abbau von Handels- begründet die Europäische Union (zunächst der hemmnissen getroffen. zwölf, ab 1995 der 15 EU-Mitgliedsländer). Kultur wurde erst im Jahr 1992 mit Artikel 128 (nun- http://www.bpb.de/ mehr Artikel 151) in die europäischen Verträge popup_lemmata.html?guid=DCDCRD aufgenommen: 151(1) Die Gemeinschaft leistet einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten Paul Ambroise Valéry (1871–1945) unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Französischer Lyriker, Literaturwissenschaftler Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des und Kulturtheoretiker. Valéry wurde 1925 in die gemeinsamen kulturellen Erbes. Académie Française gewählt und 1937 Professor (4) Die Gemeinschaft trägt den kulturellen Aspek- für Poetik am Collège de France. ten bei ihrer Tätigkeit aufgrund anderer Bestim- mungen dieses Vertrags Rechnung.

158 Villa Decius Wilsonier – Woodrow Wilson (1856–1924) Die Villa Decius ist ein aus Mitteln des polnischen 28. Präsident der USA 1913–1921. Unter seiner Ministeriums für Kultur und Nationalerbe finan- Präsidentschaft traten die USA 1917 aufgrund ziertes Kulturinstitut in Krakau. Sie widmet sich der deutschen Wiederaufnahme des uneinge- dem internationalen Wissenschafts- und Kultur- schränkten U-Boot-Kriegs in den 1. Weltkrieg ein, austausch und organisiert hierzu Stipendien- und den Wilson als »Kreuzzug für die Demokratie« Förderprogramme, Konferenzen und Kulturver- rechtfertigte. In seinen Vierzehn Punkten, die er anstaltungen. im Januar 1918 verkündete, plädierte er für einen »Frieden ohne Sieg«, in dem das Selbstbestim- www.villa.org.pl mungsrecht der Völker die zukünftigen Grenzen und Verfassungen bestimmen sollte. Bei den Pa- riser Friedensverhandlungen 1919 erreichte er zwar die Gründung des Völkerbunds, nicht aber einen Friedensvertrag auf Basis seiner Vierzehn Punkte. Er erhielt 1919 den Friedensnobelpreis.

159 160 Register

acquis communautaire 130 Charta 77 85, 92 Agamben, Giorgio 76 Chatami, Mohammed 125 Akkulturation 88, 96 Chirac, Jacques 77 Alaoui, Assia Bensalah 105 Christentum 61 »Altes« und »neues« Europa 34, 63 Clifford, James 78 Anderson, Benedict 90 Commedia dell’arte 76 Andrade, Mario de 121 Daniel, Jean 104 Archipel Gulag 27 Davignon, Steve 46 Aristoteles 107 Davis, Norman 70 Arkoun, Mohammed 75 Davos 105 Arte 38 Decius, Justus 61 Athen 25 Delors, Jacques 72, 111, 129 Augé, Marc 30 Demokratie 26, 36, 43, 99, 108, 117, 120 Austauschprogramme 45, 46, 48, 65, 66, 68, 72, Deutsches Forum für Kunstgeschichte, Paris 58 77, 87, 89, 94, 126 Diaghilew, Sergej 29, 36, 92 Bacon, Francis 24 Dialog 26, 61, 90, 94, 102 Barcelona-Prozess 113, 118 Dialog der Kulturen 61, 65, 96, 124, 125 Bar-Navie, Eli 87 Doppelmoral 76 Baudrillard, Jean 128, 45 Dussel, Enrique 121 Beckett, Samuel 61 Einwanderer 35, 85, 92, 116, 118, 122 Beethoven, Ludwig van 132 Elite 25, 99 Benjamin, Walter 51, 52, 106 Elysée-Vertrag 49, 77 Berlusconi, Silvio 54 Entwicklung 26 Beuys, Joseph 124 Enzensberger, Hans Magnus 34, 84, 102 Bevölkerungsentwicklung 100, 112 Erasmus von Rotterdam 29 Bildung 26, 27, 34, 37, 39, 42, 43, 55, 67, 71, 72, 89, Etzioni, Amitai 128 93, 94, 96, 100 Euro 50, 53, 57 Bismarck, Otto von 82 Europa Blaue Banane 114 – Demokratisierung 24 Bologna-Prozess 95 – Grenzen 26, 76, 83, 97, 107, 111 Braudel, Fernand 113 – internationale Rolle 36, 76, 106, 107, 111, 115, Bretton Woods 129, 131 118, 120, 123, 126 Bürger Europas 26, 42, 67, 74, 80, 87, 130 – öffentliche Debatte über 23, 32, 57, 59, 64 Chakrabarthy, Dipesh 29, 102 – Öffentlichkeit 35, 41, 67, 69, 70, 93

161 – Selbstbewusstsein 29, 114 Fischler, Franz 111 – und seine Bürger 23, 34, 43, 56, 57, 74, 91 Fishman, Joshua 73 – vor 1914 29, 56, 61, 83 Flaneur 51 – Wiedervereinigung 27, 33, 40 Foucault, Michel 76 – wirtschaftliche Integration 25, 50 Föderalismus 43 – Ziele 23, 40, 63 Freud, Sigmund 118 Europarat 84, 92, 93 Fukuyama, Francis 119 Europäische Grundrechtscharta 73 Gaethgens, Thomas 58 Europäische Menschenrechtskonvention 72 GATS 50, 65, 82 Europäische Union (EU) 35, 40, 43, 48, 53, 60, 63, Geografie 27, 33, 35, 46, 51, 97 83, 84 Geschichte 24, 26, 27, 29, 31, 33, 34, 35, 36, 41, 46, – Abstimmungsverfahren 65, 68, 74, 89 54, 58, 67, 70, 74, 79, 89, 92 – Auswärtige Kulturpolitik 65, 126 Globalisierung 29, 51, 58, 65, 78, 92, 96, 99, 101, – Binnenmarkt 53, 66 107, 114, 116, 128, 129, 131 – Erweiterung 23, 28, 63, 91, 96 Goethe, Johann Wolfgang von 61 – Europäische Kommission 42, 43, 66, 69, 77, 86, Golding, William 117 90, 92 Greene, Graham 117 – Europäischer Ministerrat 42 Grillparzer, Franz 83 – Europäisches Parlament 42, 43, 48, 87, 94 Haager Europa-Kongress (1948) 33 – Gemeinsame Agrarpolitik 71 Habermas, Jürgen 127 – Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Habsburger Monarchie 83 (GASP) 50, 65 Hagia Sophia 27 – Integration 63, 66, 97 Hall, Stuart 78 – politische Union 42, 43, 109, 127, 131 Hitler, Adolf 27 Europäische Verfassung 88 Hobsbawm, Eric 30 Europäischer Konvent 23, 49, 66, 68, 70, 73, 77, 87, Homer 61 90, 95, 96, 119, 129, 130 Humanismus 62 Europäischer Kulturrat 81 Huntington, Samuel P. 68, 116, 120 Europäisches Autorenparlament 81 Hussein, Saddam 76 Europäisches Jugendorchester 94 Ibsen, Henrik 119 Europäisches Kulturinstitut 50 Identität 29, 32, 33, 40, 41, 42, 49, 50, 57, 59, 61, European Voluntary Service 48 64, 68, 74, 75, 78, 79, 86, 90, 91, 107, 122 exception culturelle 102 Individualrechte 84, 117 Finanzierung 66, 69, 71, 73, 77, 81, 90, 92, 93, 94 Instrumente der Kulturpolitik 64

162 Intellektuelle, Rolle der 28, 31, 59, 60, 66 Lebovic 52 Intergouvernementale Konferenz 23 Legitimität 77, 83, 88 Irak 77 Lepenies, Wolf 29 Irland 71 lieux de mémoire 67 Ironie 107 Literatur 60, 90, 94 Islam 68, 69, 74, 96, 98, 107,, 112, 116, 117, 118, Literatursymposion »Europa schreibt« 59 125, 129, 131 Lobby 80 Italien 76 Luschkow, Juri 57 Jerusalem 25 Lyotard, Jean-François 51 Jugoslawien 36, 39 Malamoud, Charles 120 Kabakov, Ilja 58 Marepe 123 Kant, Immanuel 27, 36, 53, 54, 132 Marshall-Plan 125 Kapur, Gitta 121 Massenkultur 39, 44 Karl der Große 87 Media + 77 Kathedrale von Chartres 27 Media-Ausbildung 77 Komplexität 40, 50, 56, 60, 119, 127 Medien Komplementarität 64 – Rolle der 35, 37, 38, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 48, Kopenhagener Gipfel 100 51, 54 Kopenhagener Kriterien 86, 116 – und Politik 44 Kopernikus, Nikolaus 61 Menschenrechte 26, 39, 61, 65, 68, 72, 99 Kriechströme 29, 30, 31, 58, 59, 96, 98 Metropolitaner Korridor 30 Kultur 30, 31, 72, 79, 93, 96 Mignolo, Walter 121 – Definition 24, 27, 47, 53, 77, 119 Migration 68, 75, 78, 88, 96, 116 – Einrichtungen 58, 62, 66, 70 Miller, Arthur 52 – gemeinsame europäische 26, 111 Milward, Alan S. 83 – und Identität 25, 33, 36, 41, 64 Minderheiten 61 – Rolle der Politik in 37, 39, 49, 86, 89 Mittel- und Osteuropa 30, 39, 50, 54, 56, 59, 61, 70, Kultur 2000 77 83, 93, 100 Kulturhauptstädte Europas 83, 84, 94 Mitterrand, François 110 Kulturpolitik 63, 68, 74, 77, 80, 81, 84, 91, 92, 93, Monnet, Jean 25 96, 109, 119 Morin, Edgar 101 Kulturstiftung des Bundes 69, 89 Mozart, Wolfgang Amadeus 53 Kunst 26, 30, 66, 79 Mthathwas, Zwelethu 123 Lang, Jacques 49 Museen 58, 86, 92

163 Naipaul, V.S. 115 Schmale, Wolfgang 32 Netzwerke 29, 35, 39, 64, 70, 80, 89, 92, 96, 101 Schmitt, Carl 106 Niederlande 23 Schuman, Robert 46 Offene Politikkoordination 71 Schröder, Gerhard 77 Österreich 54 Sebald, Winfried G. 34 OSZE 65 Seibt, Ferdinand 59 Pax Americana 108 Sinan 27 Peterson, Wolfgang 52 Soros-Stiftung 100 Popper, Karl Raimund 89 Souveränität 63 Postmoderne 29 Spears, Britney 48, 50, 52 Prodi, Romano 104 Spitzweg, Carl 54 Public-private Partnerships 92 Sprache 25, 26, 27, 29, 41, 48, 49, 53, 67, 79, 88 Putin, Wladimir 76 Srebrenica 36, 76 Putnam, Hilary 127 Städte 56 Quine, Willard van Orman 127 Städtepartnerschaften 49 Recht auf freie Meinungsäußerung 85 Subsidiarität 41, 42, 48, 72, 73, 77 Recht auf nationale Selbstbestimmung 39 Südosteuropa 23, 34, 83, 113, 126 Regionen Europas 70, 89 Symbole 67, 79, 103 Reich, Bernhard 52 Terrorismus 31, 69, 99, 110, 125, 129 Religionen 97, 110 Thatcher, Margret 117 Renaissance 24, 61 Toleranz 65 Renationalisierung 42, 50, 72, 93 Tourismus 29 Rimbaud, Arthur 26 Transatlantische Beziehungen 31, 111, 116, 130 Ritter, Joachim 112 Tschetschenien 76 Rom 25 Türkei 23, 97, 108, 111, 128 roots/routes 75, 78, 85 Ugresic, Dubravka 60 Ruanda 76 Ukraine 28 Rumpler, Helmut 83 Urheberrecht 80, 84, 90 Rumsfeld, Donald 30 Valéry, Paul 25, 87 Rushdie, Salman 117 Van de Velde, Henry 25 Russland 28, 50 Vereinigte Staaten von Amerika (USA) 57, 60, 63, Salon 29 66, 106, 110, 117, 119, 126 Sayad, Abdelmalek 75 Vertrag von Amsterdam 24, 71, 80, 87, 88, 94, 119 Schengen 61 Vertrag von Maastricht 24, 42, 57, 64, 71, 72

164 Vertrag von Nizza 41 Weimarer Museen 58 Vielfalt 59, 64, 75, 78, 81, 85, 86, 90, 99, 111, 120, Werte 27 125, 126, 129 Wirtschaftliches Denken 43, 50, 59, 90, 107, 112 Villa Decius 61 Wissenschaft 30 Voltaire 26 World Trade Organization (WTO) 50, 110 Wałęsa, Lech 109 Xiao-Song, Qu 124 Walzer, Michael 128 Zeitgeschichte 31 Weber, Eugen 67 Ziele von Lissabon 70 Weber, Max 54 Zivilgesellschaft 39 Weimarer Dreieck 109 Zivilisation 25, 61, 88, 102

165 Bisherige Gesprächskreise*

Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

1961 1 Schwächen der Prof. Dr. F. W. Schoberth, Dr. H. B. Tolkmitt, industriellen Gesellschaft M. A. Universität Unilever, Hamburg Erlangen/Nürnberg

2 Kulturkrise in der Prof. Dr. Erik von Sivers, Prof. Dr. Fritz Voigt, industriellen Gesellschaft Technische Hochschule Universität Bonn Stuttgart

3 Glanz und Elend Prof. Dr. Fritz Baade, Dr. Günther Buch, der Entwicklungshilfe MdB Universität Bonn Hamburg

4 Welche Fragen stellt uns die Prof. D. Helmut Gollwitzer, Prof. Dr. Eugen Kogon, gesellschaftliche Entwicklung Freie Universität Berlin TH Darmstadt im Osten?

1962 5 Die Fragwürdigkeit der Dr. Rüdiger Altmann, Josef Müller-Marein, Bildungspolitik in unserer freien DIHT, Bonn »Die Zeit«, Hamburg industriellen Gesellschaft

6 Die Erziehung zum Europäer. Stéphane Hessel, François Bondy, Ein geschichtlicher Auftrag in Ministère de l’Éducation »Preuves«, Paris der freien Welt Nationale, Paris

7 Die Bewältigung des Prof. Dr. Theodor Pütz Prof. Dr. Gottfried Bombach, Preis-Lohn-Problems und die Universität Wien Universität Basel Autonomie der Sozialpartner

8 Die Preis-Lohn-Dynamik in der Dr. Hans-Constantin Paulssen, Prof. Dr. Fritz Voigt, Bundesrepublik Deutschland Bundesvereinigung der Universität Bonn Deutschen Arbeitgeberverbände, Köln

1963 9 Maschine – Denkmaschine – Prof. Dr. Pierre Bertaux, Prof. Dr. Arnold Gehlen, Staatsmaschine Universität Lille TH Aachen Entwicklungstendenzen der modernen Industriegesellschaft

* Eine vollständige Liste aller Teilnehmer seit 1961 finden Sie unter www.bergedorfer-gespraechskreis.de

166 Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

10 Kybernetik als soziale Tatsache Prof. Dr. O. W. Haseloff, Dr. h. c. Freiherr von Stackelberg, Anwendungsbereiche, PH Berlin EMNID-Institute GmbH, Leistungsformen und Folgen für Bielefeld die industrielle Gesellschaft

11 Die westliche Gesellschaft und Winfried Martini, Prof. Dr. Th. Eschenburg, die kommunistische Drohung München Universität Tübingen Zur Psychologie der Aufweichung

12 Wohin treibt die EWG? U. W. Kitzinger, Oxford Prof. Dr. Eugen Kogon, Europa mit oder ohne England? Roland Delcour, TH Darmstadt »Le Monde«, Paris-Bonn

1964 13 Planung in der Prof. Dr. Edgar Salin, Prof. Dr. Gottfried Bombach, freien Marktwirtschaft Universität Basel Universität Basel

14 Wohin Deutschland in Europa? Prof. Alfred Grosser, Univ. Paris François Bondy, Karl Theodor Frhr. zu »Preuves«, Paris Guttenberg, MdB, Bonn

15 Entwicklungshilfe – Dr. Walter Rau, BMZ, Bonn Prof. Dr. Edgar Salin, Mittel des Aufstiegs oder Dr. E. F. Schumacher Universität Basel des Verfalls? National Coal Board, London

16 Industrielle Gesellschaft – Prof. Dr. Raymond Aron Prof. Dr. Ralf Dahrendorf, menschlich oder unmenschlich? Universität Paris Universität Konstanz

1965 17 Vermögensbildung in Arbeitnehmer- Prof. Dr. Helmut Meinhold Prof. Dr. Eugen Kogon, hand – ein revolutionäres oder evolu- Universität Frankfurt a.M. TH Darmstadt tionäres Ziel? Prof. Dr. H. J. Wallraff, SJ Philos.-Theolog. Hochschule Frankfurt a.M.

18 Hemmen Tabus die Prof. Dr. Alexander Mitscherlich Prof. Hellmut Becker, Demokratisierung Universität Heidelberg Institut für Bildungsforschung, der deutschen Gesellschaft? Berlin

167 Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

19 Automatisierung – eine Prof. Dr. Gottfried Bombach, Prof. Dr. Hans Wenke, gesellschaftliche Herausforderung? Universität Basel Universität Hamburg Soziale Konsequenzen Dr. Günter Friedrichs, aus Tatsachen und Ideologien IG Metall, Frankfurt a.M. Dr. Kurt Pentzlin, H. Bahlsens Keksfabrik KG, Hannover

20 Ein Dilemma der westlichen Demo- Prof. Dr. Leo H. Klaassen, Prof. Dr. Edgar Salin, kratien: Kurzfristige Soziallösungen Nederlandsch Economisch Universität Basel contra langfristige Regionalpolitik – Institut, Rotterdam das europäische Koordinationsproblem

1966 21 Die »unterentwickelten« Prof. Dr. Friedrich Heer Prof. Hellmut Becker, hochindustrialisierten Gesellschaften Universität Wien Institut für Bildungsforschung, Berlin

22 Muss unsere politische Maschinerie Dr. Rüdiger Altmann, Prof. Dr. Eugen Kogon, umkonstruiert werden? DIHT, Bonn TH Darmstadt Joseph Rovan, »Peuple et Culture«, Paris

23 Wissenschaftliche Experten und Prof. Dr. Helmut Schelsky, Prof. Hellmut Becker, politische Praxis – Das Problem der Universität Münster Institut für Bildungsforschung, Zusammenarbeit in der heutigen Dr. Ulrich Lohmar, MdB, Bonn Berlin Demokratie

24 Ist der Weltfriede unvermeidlich? Prof. Dr. Carl-Friedrich Prof. Dr. Edgar Salin, Frhr. v. Weizsäcker, Universität Basel, Basel Uni Hamburg

1967 25 Bedroht die Pressekonzentration Prof. Dr. Helmut Arndt Prof. Hellmut Becker, die freie Meinungsbildung? Freie Universität Berlin Institut für Bildungsforschung, Berlin

26 Neue Wege zur Hochschulreform: Prof. Dr. Ralf Dahrendorf Prof. Hellmut Becker, Differenzierte Gesamthochschule – Ph. D., Universität Konstanz Institut für Bildungsforschung, autonome Universität Berlin

168 Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

27 Beherrschen die Technokraten Alfred Mozer, Prof. Dr. Eugen Kogon, unsere heutige Gesellschaft? EWG-Kommission, Brüssel TH Darmstadt Erfahrungen und Perspektiven

1968 28 Freiheit als Störfaktor in einer Frau Prof. Dr. Jeanne Hersch, Prof. Dr. Carl-Friedrich programmierten Gesellschaft Universität Genf Freiherr v. Weizsäcker, Universität Hamburg

29 Fördern die Bündnissysteme Prof. Wladimir Chwostow, Prof. Alfred Grosser, die Sicherheit Europas? Akademie der Pädagogischen Fondation Nationale Wissenschaften, Moskau des Science Politiques, Paris

30 Haben wir im entstehenden Dr. Hans von der Groeben, Prof. Dr. Hans Peter Ipsen, Europa noch eine Chance für die EWG-Kommission, Brüssel Hamburg freie Marktwirtschaft?

31 Mögliche und Dr. Robert Jungk, Prof. Hellmut Becker, wünschbare Zukünfte Zentrum Berlin für Zukunfts- Institut für Bildungsforschung, forschung, Berlin Berlin

1969 32 Die Biologie als Prof. Dr. Adolf Portmann, Prof. Dr. Hoimar von Ditfurth, technische Weltmacht Universität Basel Universität Heidelberg

33 Verstärken oder verringern sich die Prof. Dr. Friedrich Hacker, Prof. Dr. Eugen Kogon, Bedingungen für Aggressivität? Beverly Hills/USA TH Darmstadt Die Rolle der Gewalt in der modernen Gesellschaft

34 Welchen Spielraum hat die Prof. Alfred Grosser, Dr. Theo Sommer, Entspannungspolitik? Fondation Nationale des »Die Zeit«, Hamburg Eine Diskussion zwischen West- Politiques, Paris und Osteuropäern

1970 35 Zugänge zur Friedensforschung. Prof. Dr. Carl-Friedrich Prof. Dr. Karl Carstens, Soziale und politische Perspektiven Frhr. v. Weizsäcker, Gesellschaft für Auswärtige Starnberg Politik, Bonn Prof. Dr. Richard Löwenthal, Freie Universität Berlin

169 Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

36 Europäische Sicherheit und Prof. Alfred Grosser, Nikolai E. Poljanow, Leningrad Möglichkeit der Zusammenarbeit. Fondation Nationale des »Istwestija«, Moskau Wege für einen stabilen Frieden Sciences Politiques, Paris und die Sicherheit in Europa Nikolai E. Poljanow, »Istwestija«, Moskau

37 Demokratisierung der Demokratie? Prof. Joseph Rovan, D. Klaus von Bismarck, Möglichkeiten und Schwierigkeiten Universität Paris/Vincennes WDR, Köln stärkerer Teilnahme an den Entschei- dungsprozessen

1971 Arbeitsgespräch: Aufgabenstellung Dr. Franz Karasek, Wien und Verfahrensfragen einer inter- nationalen Konferenz für Europäische Sicherheit

38 Infrastrukturreform als Innenpolitik – Ministerpräsident D. Klaus von Bismarck, Möglichkeiten, Grenzen, Prioritäten Dr. Helmut Kohl, Mainz WDR, Köln

39 Globalsteuerung der Wirtschaft – Prof. Dr. Gottfried Bombach, Prof. Dr. Herbert Giersch, Illusion oder Realität? Universität Basel Institut für Weltwirtschaft, Kiel

40 Der bevollmächtigte Mensch – Prof. Dr. Dennis Gabor, D. Klaus von Bismarck, Kann sich die freie industrielle London/Rom WDR, Köln Gesellschaft zur Stabilität und Reife entwickeln?

1972 41 Sprache und Politik. Kultusminister Prof. Hellmut Becker, Können Begriffe die Gesellschaft Prof. Dr. Hans Maier, Institut für Bildungsforschung, verändern? München Berlin

Arbeitsgespräch: Demokratie Prof. Dr. Richard Löwenthal, François Bondy, und Nationalbewusstsein in der FU Berlin Zürich Bundesrepublik

42 Das erweiterte Europa Prof. Dr. R. Dahrendorf, Brüssel Bundesaußenminister zwischen den Blöcken Jean-Pierre Brunet, Paris Dr. Rudolf Kirchschläger, Sir Con O’Neill, London Wien

170 Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

43 Wo bleiben die alten Menschen Prof. Dr. Helge Pross D. Klaus von Bismarck, in der Leistungsgesellschaft? Universität Gießen WDR, Köln Interdisziplinäre Diskussion in der Gerontologie

1973 44 Die »neue Mitte«: Dr. Richard Frhr. v. Weizsäcker D. Klaus von Bismarck, Schlagwort oder Strukturwandel? MdB, Bonn WDR, Köln

45 Umsteuerung der Industriegesellschaft? Bundesminister Prof. Dr. Gottfried Bombach, Sollen Technik, Wirtschaft und Dr. Hans-Jochen Vogel, Bonn Universität Basel Politik die wachsenden materiellen Dr. Hugo Thiemann, Genf Ansprüche weiter befriedigen?

46 Neutralität – Bundesaußenminister Prof. Dr. Olivier Reverdin, Wien Wert oder Unwert für die Dr. Rudolf Kirchschläger, Wien Genf europäische Sicherheit Außenminister Gaston Thorn, Luxemburg Vizeaußenminister Jósef Czyrek, Warschau

1974 47 Revolution der Gleichheit – Prof. Dr. Ralf Dahrendorf D. Klaus von Bismarck, Ende oder Beginn der Freiheit? Brüssel WDR, Köln

48 Rohstoff- und Energieverknappung – Prof. Dr. H. B. G. Casimir Prof. Dr. Gottfried Bombach, Herausforderung der Industrie- Eindhoven Universität Basel gesellschaft? Dr. Manfred Schäfer Saarbrücken

49 Entwicklungshilfe – Prof. Dr. Peter T. Bauer, London Dr. Max Thurn, eine Illusion? Prof. Dr. Karl-Heinz Sohn, Köln Wien

171 Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

1975 Arbeitsgespräch: Prof. Dr. Ralf Dahrendorf Dr. Kurt A. Körber, Moskau Entspannungspolitik, wirtschaftliche London Hamburg und kulturelle Zusammenarbeit Dr. H. Ehrenberg, MdB, Bonn Lew Tolkunow, Dr. Theo Sommer, Hamburg Moskau Prof. Dr. C.-F. Frhr. v. Weizsäcker, Starnberg Prof. Dr. G. Arbatow, Moskau Prof. Dr. O. Bogomolow, Moskau Schalwa Sanakojew, Moskau Georgij Shukow, Moskau

50 Kooperation oder Konfrontation – Bundeskanzler Ministerpräsident Gaston Thorn, Stürzt die Wirtschaft in eine welt- MdB, Bonn Luxemburg politische Krise?

51 Welche Zukunft hat die parlamen- Ministerpräsident Gaston Thorn, Prof. Dr. Ralf Dahrendorf, Bonn tarische Demokratie westlicher Luxemburg London Prägung?

52 Ordnungspolitik oder Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf Dr. Theo Sommer, Verteilungskampf? Bonn Hamburg Eine Strategie der Innenpolitik

1976 53 Die Berufsgesellschaft und ihre Staatsminister Prof. Dr. Hellmut Becker, Bildung. Bilanz und Ausblick Prof. Dr. Hans Maier, Institut für Bildungsforschung, München Berlin

54 Nach der Wahl ’76: Prof. Dr. Ralf Dahrendorf, Welchen Spielraum hat die London deutsche Innenpolitik?

55 Entspannungspolitik nach Helsinki – Prof. Dr. G. Arbatow, Moskau Prof. Dr. Ralf Dahrendorf, eine Zwischenbilanz Leonard H. Marks, Washington London Dr. Theo Sommer, Hamburg Ryszard Wojna, Warschau

1977 56 Ein anderer »Way of Life« – Ist der Dr. E. F. Schumacher, Prof. Dr. Hans K. Schneider, Bonn Fortschritt noch ein Fortschritt? London Köln

172 Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

57 Europa und die Weltwirtschaft – Claude Cheysson, Brüssel Ministerpräsident Gaston Thorn, Luxemburg Politische und ökonomische Ansätze Prof. Dr. Herbert Giersch, Kiel Luxemburg zur Lösung des Nord-Süd-Konfliktes

58 Energiekrise – Europa im Dr. Guido Brunner, Prof. Dr. Hans K. Schneider, Belagerungszustand? Brüssel Köln Politische Konsequenzen aus einer eskalierenden Entwicklung

1978 59 Terrorismus in der demokratischen Prof. Walter Laqueur, Prof. Dr. Ralf Dahrendorf, Gesellschaft London London

Arbeitsgespräch:Alternativenergien Joachim Gretz, Prof. Dr.-Ing. Werner H. Bloss, unter besonderer Berücksichtigung Ispra Stuttgart der Sonnenenergie

60 Europäische Arbeitslosigkeit als Bundesminister Dr. Volker Hauff, Prof. Dr. Gottfried Bombach, Dauerschicksal – oder brauchen wir MdB, Bonn Basel einen anderen Arbeitsmarkt? Prof. Dr. Gerhard Fels, Kiel Prof. Dr. Erich Streissler, Wien

61 Wachstum und Lebenssinn – Prof. Dr. Carl-Friedrich Prof. Dr. Ralf Dahrendorf, Alternative Rationalitäten? Frhr. v. Weizsäcker, London Starnberg

1979 62 UdSSR und Bundesrepublik Deutsch- Staatsminister Dr. K. A. Körber, Hamburg Moskau land – wirtschaftliche und politische Dr. Klaus von Dohnanyi, Boris A. Borrissow, Moskau Perspektiven in den 80er Jahren Bonn Alexander E. Bowin, Moskau

63 Jugend und Gesellschaft. Chronischer Univ.-Prof. Dr. Staatsminister Konflikt – neue Verbindlichkeiten? Leopold Rosenmayr, Prof. Dr. Hans Maier, Wien München

64 Weltrezession 1980? Prof. Dr. Herbert Giersch, Kiel Prof. Dr. Hans K. Schneider, Befürchtungen und Hoffnungen Bundesbankpräsident Köln Karl Otto Pöhl, Frankfurt a. M.

173 Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

1980 65 Der Westen und der Nahe Osten – Dr. Arnold Hottinger, Madrid Dr. Udo Steinbach, Krise im Zeichen der islamischen Prof. Dr. Hans A. Hamburg Revolution? Kulturelle, wirtschaft- Fischer-Barnicol, Heidelberg liche, politische Aspekte M. A. H. Hobohm, London

66 Europas Sicherheit. Probleme der Dr. Christoph Bertram, London Dr. Theo Sommer, westlichen Welt in den 80er Jahren Dr. W. R. Smyser, Washington Hamburg

67 Voraussetzungen und Ziele der W. A. Matweew, Moskau Prof. Dr. Karl Kaiser, Entspannung in den 80er Jahren – Prof. Dr. Stanley Hoffmann, Bonn Der europäische Schauplatz Cambridge, Mass./USA

1981 68 Der Ausbau des Sozialstaates und Prof. Dr. R. Dahrendorf, London Prof. Dr. Armin Gutowski, das Dilemma des Staatshaushaltes – Parl. Staatssekretärin Hamburg ein internationales Problem Anke Fuchs, Bonn

69 Europe and America facing the crises Prof. Dr. R. Dahrendorf, London Prof. Dr. Karl Kaiser, Washington of the 80’s – lasting foundations and Prof. Dr. Stanley Hoffmann, Bonn new forms of cooperation Cambridge, Mass./USA

70 Was bleibt noch vom staatsbürger- Dr. Hans-Jochen Vogel, Prof. Dr. Ralf Dahrendorf, lichen Grundkonsens? Jugendprotest, Berlin London Wertwandel, Krise der politischen Prof. Dr. E. Noelle-Neumann, Kultur Allensbach

1982 71 Repräsentieren die Parteien Minister Dr. Werner Remmers, Dr. Hans Heigert, unsere Gesellschaft? Hannover München Prof. Dr. Richard Löwenthal, Berlin

72 Wirtschaftspolitik in der Krise? Prof. J. Tobin, New Haven/USA Prof. Dr. Herbert Giersch, Kiel Bonn Zur Situation in den Vereinigten Prof. M. Feldstein, Staaten, Großbritannien, Frankreich Cambridge, Mass./USA und der Bundesrepublik Deutschland Sir Alec Cairncross, Oxford A. A. Walters, London Prof. P. E. Uri, Paris Prof. P. Salin, Paris Prof. A. Gutowski, Hamburg Dr. H. Schulmann, Bonn

174 Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

1983 73 Die politisch-kulturelle Heraus- Präsident Gaston Thorn, Prof. Dr. Ralf Dahrendorf, Zürich forderung Europas – Ein Weg zur Brüssel London Erneuerung der Industriegesellschaft

74 Die deutsche Frage – neu gestellt Regierender Bürgermeister Prof. Dr. Karl Kaiser, Berlin Dr. Richard Frhr. v. Weizsäcker Bonn Berlin

1984 75 Zukunft Europas: Probleme der politi- Ministerialdirektor Prof. Dr. Karl Kaiser, Bonn Moskau schen und militärischen Entspannung. Horst Teltschik, Bonn Juri Shukow, Moskau Perspektiven der politischen und Wadim W. Sagladin, Moskau wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der UdSSR und der Bundes- republik Deutschland

76 Ist die Spaltung Europas das letzte Franz Kardinal König, Wien S. E. Botschafter Prof. Rom Wort? Europa der Gegensätze auf dem Bundeskanzler a.D. Helmut Luigi Vittorio Graf Ferraris, Wege zu sich selbst Schmidt, Hamburg Bonn

1985 77 Neue Strukturen für die soziale Prof. Dr. Helmut Meinhold, Fides Krause-Brewer, Sicherheit? Der Sozialstaat an der Heidelberg; Bonn Wende zum 21. Jahrhundert Senator Ulf Fink, Berlin Senator a.D. Olaf Sund, Düsseldorf

78 10 Jahre Helsinki – Botschafter R. Burt, Bonn (USA) Prof. Dr. Ralf Dahrendorf, Bonn die Herausforderung bleibt Prof. Dr. S. Tichwinskij, Moskau Konstanz Dr. M. Szürös, Budapest Botschafter Prof. L. V. Graf Ferraris, Bonn (Italien) Prof. Dr. M. Dobrosielski Warschau MinDir. H. Teltschik, Bonn

175 Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

1986 79 Findet Europa wieder die Kraft, eine Präsident Jacques Delors, Prof. Dr. Karl Kaiser, Bonn Brüssel Rolle in der Weltpolitik zu spielen? Brüssel Gen.-Sekr. Lord Carrington Brüssel Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt, Hamburg

80 Bürger und res publica – Staatsminister Prof. Dr. Prof. Dr. Ralf Dahrendorf, die Zukunft der Verantwortung Hans Maier, München Konstanz

1987 81 Die Beziehungen zwischen der Volker Rühe, MdB, Bonn Valentin Falin, Moskau Moskau Sowjetunion und der Bundesrepublik Wadim W. Sagladin, Moskau Dr. Theo Sommer, Hamburg Deutschland. Eine mittelfristige Egon Bahr, Hamburg Perspektive

82 Die Modernität in der Industrie- Prof. Dr. Hermann Lübbe, Botschafter Genf gesellschaft – und danach? Zürich Prof. Luigi V. Ferraris, Bonn

83 Zusammenarbeit als Mittel zur Dr. M. Szürös, Budapest Prof. Dr. Karl Kaiser, Budapest Vertrauensbildung. Die Zukunft der Bundeskanzler a.D. Bonn Ost-West-Beziehungen in Europa Helmut Schmidt, Hamburg Prof. Dr. R. Bogdanow, Moskau Prof. Dr. H. Sonnenfeldt Washington

1988 84 Systemöffnende Kooperation? Prof. W. Leonhard, New Haven Jürgen Engert, Berlin Berlin Perspektiven zwischen Ost und West Prof. Dr. Harry Maier, Flensburg

85 Die ökologische Wende – Dr. H. Frhr. v. Lersner, Berlin Staatsminister a.D. München hat sie noch Chancen? Staatss. Alois Glück, München Prof. Dr. Hans Maier, München

86 Das gemeinsame europäische Haus – Wadim W. Sagladin, Moskau Prof. Dr. Karl Kaiser, Bonn aus der Sicht der Sowjetunion und der MinDir. Horst Teltschik, Bonn Bonn Bundesrepublik Deutschland

1989 87 Globale Umweltproblematik als Prof. W. Mundt, Berlin/DDR Prof. Dr. Max Schmidt, Dresden gemeinsame Überlebensfrage – Prof. Dr. W. Haber, München Berlin/DDR neue Kooperationsformen zwischen Ost und West

176 Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

88 Auf dem Wege zu einem neuen Stellvertr. Außenminister Sir Ralf Dahrendorf, Bonn Europa? Perspektiven einer Lawrence Eagleburger, Oxford gemeinsamen westlichen Ostpolitik Washington, D. C. Bots. Sir Christopher Mallaby Bonn (Großbritannien) MinDir. Horst Teltschik, Bonn

89 Chancen für die europäische Kultur Dr. Valtr Komárek, Prag Dr. Hans Heigert, Prag am Ende des 20. Jahrhunderts – Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, Bonn München Gemeinsamkeiten, Gegensätze, systemübergreifende Kooperationen

1990 90 Wie geht es weiter mit Bundeskanzler a.D. Sir Ralf Dahrendorf, Dresden den Deutschen in Europa? Willy Brandt, Bonn Oxford Konsistorialpräsident Dr. Manfred Stolpe, Berlin-Brandenburg Ministerpräsident Dr. Lothar Späth, Stuttgart

91 Europa im Aufbruch – Wadim W. Sagladin, Moskau Staatssekretär Moskau auf dem Wege zu einer MinDir. Horst Teltschik, Bonn Dr. Andreas Meyer-Landrut, neuen Friedensordnung Bonn

1991 92 Perestrojka: Kontinuität, Prof. W. Wladislawlew, Moskau Sir Ralf Dahrendorf, Moskau Ende oder Wende? Dr. F. W. Christians, Düsseldorf Oxford

93 Nach dem »Sozialismus«: Ministerpräsident a.D. Prof. Dr. Hans Maier, Berlin Wie geht es weiter mit den neuen Tadeusz Mazowiecki, München Demokratien in Europa? Warschau Sir Ralf Dahrendorf, Oxford

1992 94 Wege zur inneren Einheit – Ministerpräsident Dr. Brigitte Seebacher-Brandt, Dresden was trennt die Deutschen nach Prof. Dr. Kurt Biedenkopf Bonn der Überwindung der Mauer? Dresden Wolfgang Thierse, MdB, Bonn

177 Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

95 Welche Antworten gibt Europa auf die Bundeskanzler a.D. Prof. Dr. Karl Kaiser, Paris neuen Einwanderungswellen? Politische Willy Brandt, Bonn Bonn Voraussetzungen, gesellschaftliche Präsident Jacques Delors Folgen Brüssel

96 Zwischen Integration und nationaler Jim Hoagland, Washington Staatssekretär Tallinn Eigenständigkeit: wie findet Europa Dr. Krenzler, Brüssel Dr. Andreas Meyer-Landrut, zusammen? Präsident Lennart Meri, Bonn Tallinn Botschafter T. Örn, Bonn (Schweden) Staatsmin. B. Schmidbauer, Bonn

97 Energiesicherheit für ganz Europa? Dr. Hermann Krämer, Hannover Staatssekretär Kiew Technische Voraussetzungen – Min. Prof. W. Skljarow, Kiew Dr. Andreas Meyer-Landrut, wirtschaftliche Bedingungen – Helga Steeg, Paris Bonn politische Aufgaben Prof. Dr. Y. Rudenko, Moskau

1993 98 Orientierungskrise in Politik und Dr. Antje Vollmer, Bielefeld Jürgen Engert, Berlin Berlin Gesellschaft? Perspektiven der Prof. Dr. Wolf Lepenies, Berlin Demokratie an der Schwelle zum 21. Jahrhundert

99 Wird der Westen den Zerfall des Senator Bill Bradley Lord Ralf Dahrendorf, Ditchley Ostens überleben? Politische und Washington, D.C. Oxford Park ökonomische Herausforderungen Dr. W. F. van Eekelen, Brüssel für Amerika und Europa Dr. H.-G. Poettering, Straßburg

100 Wie viel Gemeinsinn braucht Ministerpräsident Prof. Dr. Dieter Grimm, Dresden die liberale Gesellschaft? Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, Karlsruhe Dresden Prof. Dr. Albert O. Hirschman Princeton/USA

178 Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

1994 101 Rußland und der Westen: Minister A. A. Kokoschin, Staatssekretär St. Internationale Sicherheit Moskau Dr. Andreas Meyer-Landrut, Petersburg und Reformpolitik – BMin. Volker Rühe, Bonn Bonn Ziele und Mittel der Gestaltung Bürgermeister Prof. A. A. Sobtschak, St. Petersburg

102 Zukunftsfähigkeit von Politik, Dr. Lothar Späth, Jena Jürgen Engert, Berlin Friedrichsroda Wirtschaft und Gesellschaft Leo A. Nefiodow, Sankt Augustin

1995 103 Die Verfassung Europas Prof. Jean-Claude Casanova Lord Ralf Dahrendorf, Oxford Paris Oxford Timothy Garton Ash, Oxford Dr. Wolfgang Schäuble, Bonn

104 Europa – Prof. Bronislaw Geremek, Prof. Dr. Karl Kaiser, Warschau aber wo liegen seine Grenzen? Warschau Bonn Anders Björck, Stockholm Senator J. François-Poncet, Paris

105 Ein neuer Gesellschaftsvertrag? Bundesminister Horst Seehofer, Prof. Dr. Hermann Korte, München Wirtschaftliche Dynamik Bonn Hamburg versus sozialer Zusammenhalt Prof. Dr. Barbara Riedmüller, Berlin

1996 106 Europa und die Zukunft Dr. Mahdi F. Abdul Hadi, Prof. Dr. Michael Stürmer, Jerusalem des Nahen Ostens – Jerusalem Ebenhausen Frieden als Aufgabe Hanan Bar-On, Rehovot Prof. Leonard Hausman, Cambridge/Mass. Jean-Paul Jesse, Tel Aviv Staatsminister Helmut Schäfer, Bonn

107 Medien – Macht – Politik. Prof. Dr. Wolfgang Donsbach, Thomas Kielinger, Verantwortung in der Demokratie Dresden Bonn Senator Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem, Hamburg Dr. Theo Sommer, Hamburg

179 Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

108 Was bewegt Russland? Sergej Baburin, Moskau Staatssekretär a.D. Moskau Der Westen auf der Suche Sir Rodric Braithwaite, Dr. Andreas Meyer-Landrut, nach einem Partner London Moskau

1997 109 Im Kreuzungspunkt der Kräfte – Ilter Türkmen, Istanbul Prof. Dr. Curt Gasteyger, Istanbul Die Türkei in einer veränderten Morton Abramowitz, Genf politischen Umwelt Washington Hans-Ulrich Klose, Bonn

110 Wege aus der blockierten Gesellschaft – Dr. h. c. André Leysen, Mortsel Lord Ralf Dahrendorf, Berlin Perspektiven für die Gestaltung der Bundesminister London Zukunft Dr. Jürgen Rüttgers, Bonn

111 Wie ist Europa zu sichern? Dr. Ulrich Cartellieri, Prof. Dr. Michael Stürmer, Amsterdam Die Suche nach konzeptioneller Frankfurt Ebenhausen Gestaltungskraft Sir Christopher Mallaby, London Wolfgang Ischinger, Bonn Marten van Heuven, Washington Frits Bolkestein, Den Haag Prof. David P. Calleo, Washington Max Kohnstamm, Brüssel Elmar Brok, Brüssel/Bielefeld

1998 112 Wachsende Ungleichheiten – Ministerpräsident Prof. Dr. Barbara Riedmüller, Leipzig neue Spaltungen? Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, Freie Universität Berlin Exklusion als Gefahr für Dresden die Bürgergesellschaft Prof. Dr. Heinz Bude, Hbg. Institut für Sozialfor- schung, Hamburg Prof. Dr. Wolfgang Huber, Bischof der Evang. Kirche in Berlin-Brandenburg, Berlin

180 Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

113 Energie und Geostrategie Dr. Terry D. Adams, Monument Staatssekretär a.D. Baku im kaspischen Raum – Akteure, Oil and Gas plc, London Dr. Andreas Meyer-Landrut, Interessen, Konfliktpotentiale Botschafter Vafa Goulizade, Daimler-Benz AG, Moskau Republik Aserbaidschan, Baku Paul Haseldonckx, DEMINEX GmbH, Essen Staatssekretär Dr. Hans-Friedrich von Ploetz, Auswärtiges Amt, Bonn

1999 114 Welche gesellschaftliche Wertigkeit Prof. Dr. Hans Lenk, Prof. Dr. Magdeburg hat der Sport? Universität Karlsruhe Hermann-Anders Korte, Herbert Riehl-Heyse, Universität Hamburg Süddeutsche Zeitung, München Prof. Dr. Jürgen Palm, Deutscher Sportbund, Heusenstamm

115 Neue Dimensionen des Politischen? Prof. Dr. Antonia Grunenberg, Prof. Dr. Jutta Limbach, Berlin Herausforderungen für die repräsenta- Berlin Bundesverfassungsgericht, tive Demokratie Bundesministerin a.D. Sabine Karlsruhe Leutheusser-Schnarrenberger, MdB, Berlin

116 Russland in Europa: Wolfgang Ischinger, Dr. Andreas Meyer-Landrut, Moskau Zehn Jahre nach dem Kalten Krieg – Staatssekr. AA, Berlin DaimlerChrysler AG, Moskau Politische und wirtschaftliche Oleg Morosow, Herausforderungen Fraktion Russische Regionen, Staatsduma, Moskau Dr. Ulrich Cartellieri, Deutsche Bank AG, Frankfurt a.M. Andrej A. Kokoschin, Zentrum f. Probleme d. Nationalen Sicherheit Russlands, Moskau

181 Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

2000 117 Modell Deutschland: Dr. Henning Scherf, Dr. Klaus v. Dohnanyi, Berlin Reif für die Globalisierung? Präsident des Senats der Freien Bürgermeister a.D., Hamburg Zum Verhältnis und Hansestadt Bremen von Politik und Ökonomie Prof. Dr. Carl Christian v. Weizsäcker, Universität Köln

118 Ein föderatives Europa? Sylvie Goulard, Prof. Dr. Rudolf von Thadden, Berlin Das politische Gesicht Europas im Centre d’Etudes et de Recherches Universität Göttingen Zuge der Erweiterung Internationales (CERI), Paris Prof. Dr. Klaus Hänsch, MdEP, Brüssel Dr. Jerzy Kranz, Auswärtiges Amt, Warschau

119 China: Prof. Yang Qixian, Beijing Präsident Mei Zhaorong, Peking Partner in der Weltwirtschaft Minister Zheng Silin, Beijing Beijing Minister Wang Chunzheng, Prof. Dr. Karl Kaiser, Beijing Berlin Vizeminister Shen Jueren, Beijing Prof. Dr. Zhu Min, Beijing Shi Mingde, Beijing Song Jian, Beijing Dr. Konrad Seitz, Bonn Dr. Horst Teltschik, München Dr. Martin Posth, Berlin

2001 120 Verhandlungsdemokratie? Prof. Dr. Dieter Grimm, Prof. Robert Leicht, Berlin Politik des Möglichen – Berlin Hamburg Möglichkeiten der Politik Dr. Annette Fugmann-Heesing, Berlin

182 Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

121 Die Ostsee – ein Binnenmeer Minister a.D. Bertel Haarder, Minister Dr. Jaako Iloniemi, Helsinki der Prosperität und Stabilität? Brüssel Helsinki Chancen und Grenzen einer Botschafter Dr. Artur regionalen Politik in Nordosteuropa J. Kuznetsov, Kaliningrad Alar J. Rudolf Olljum, Tallinn Hans Olsson, Stockholm Timo Summa, Brüssel Außenminister Dr. Erkki Tuomioja, Helsinki Staatsminister Dr. Christoph Zöpel, Berlin

122 Russlands europäische Sergej W. Jastrschembskij, Moskau Dimension und weltpolitische Moskau Herausforderungen Dr. Sergej A. Karaganow, Moskau

2002 123 Die Zukunft Südosteuropas – Andy Bearpark, Martti Ahtisaari, Belgrad auf dem Weg zur europäischen UNO-Repräsentant im Kosovo, Staatspräsident a.D., Helsinki Integration Pristina Dr. Erhard Busek, Dr. Erhard Busek, Koordinator im Sonderkoordinator des Balkan-Stabilitätspakt, Brüssel Stabilitätspakts für Südosteuropa, Brüssel Nebojša Čović, Vize-Premierminister, Belgrad Bozidar Djelić, Finanz- und Wirtschafts- minister, Belgrad Dr. Alexandra Jovičević, Stellv. Ministerin für Erziehung und Kultur, Belgrad Dr. Herwig Kempf, Goethe-Institut, Belgrad Gerald Knaus, Europäische Stabilitäts- initiative, Berlin/Belgrad Dr. Wolfgang Petritsch, ehem. UNO-Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, Sarajewo Goran Svilanović, Außenminister, Belgrad 183 Protokoll Themen Referenten Diskussionsleiter

124 Konturen einer »Neuen Weltordnung«? Prof. Dr. Egon Bahr, Lord Ralf Dahrendorf Berlin – Amerikanische und europäische Bundesminister a. D., Berlin Perspektiven Prof. John L. Hirsch, International Peace Academy, New York Dr. Peter W. Singer, Brookings Institution, Washing- ton, D.C. Prof. Paul W. Schroeder, University of Illinois, Urbana Prof. Georges-Henri Soutou, Université de Paris/Sorbonne, Paris Karsten D. Voigt, Koordintor für deutsch-ameri- kanische Zusammenarbeit, Berlin Prof. Dr. Norbert Walter, Chefvolkswirt, Deutsche Bank AG, Frankfurt a.M. Prof. Samuel F. Wells Jr., Vizedirektor, Woodrow Wilson International Center, Washing- ton, D.C.

184 Europa schreibt.

Ursula Keller/Ilma Rakusa (Hrsg.) Europa schreibt. Was ist das Europäische an den Literaturen Europas?

Essays aus 33 europäischen Ländern 395 Seiten mit Fotografien von Peter Peitsch Gebunden|SU|14,5 x 22 cm ISBN 3-89684-328-1 Euro 18,– (D)|sFr 35,–

Das Literaturhaus Hamburg und die Körber-Stiftung luden Anfang 2003 zu dem internationalen Symposium »Europa schreibt« ein. Namhafte Schriftsteller aus 33 europäischen Ländern begaben sich eine Woche lang auf die Suche nach Signaturen des Europäischen in ihrem Schreiben. Unter Autoren, Publikum und Medien fand das Treffen in Hamburg begeisterte Anerkennung.

Was ist das Europäische an den Kulturen Europas? Welche Rolle können Schriftsteller und ihre Literatur heute bei der Konstruktion einer kulturellen europäischen Identität spielen? 33 renommierte Autoren finden ernste, ironische, skeptische und optimistische Antworten. Die Essays spiegeln die überwältigende Vielfalt der europäischen Kulturen. So unverwechselbar die Stile und Erfahrungen der Literaten, so unvergleichlich erscheinen zunächst ihre Perspektiven und Thesen.

Wo neben dem individuellen und dem regionalen auch ein europäisches Gedächtnis an den Texten mitschreibt, analysiert die Herausgeberin Ursula Keller. Sie kommentiert und reflektiert die Entwürfe der Dichter Europas, die die (multi-) kulturelle Identität des Kontinents neu zu denken beginnen. Ilma Rakusa gelingt es in ihrem poetischen Beitrag, die Atmosphäre im Hamburger Literaturhaus auf wunderbare Weise einzufangen. So präsentieren die Essays ein einmaliges Literaturprojekt, einen Meilenstein für den dringend notwendigen Europa-Diskurs in der Kultur.

»Was bleibt von dieser Überfülle? Mit Gewissheit das Erlebnis eines betörenden Reichtums, die lustvolle Erfahrung der Andersheit des Anderen sowie die Arbeit eines Verstehens, in der sich das Zögern mit Entschlossenheit verband.« NEUE ZÜRICHER ZEITUNG

Wir möchten Herrn Gottfried Wagner, Generalsekretär der European Cultural Foundation, Amsterdam, sehr herzlich für seine umfassende Unterstützung bei der Vorbereitung dieses Gesprächskreises danken. Unser Dank gilt auch Herrn Prof. Peter Tamm für die Führung durch sein beeindruckendes Wissenschaftliches Institut für Schiffahrts- und Marinegeschichte, Hamburg, und Frau Dr. Ursula Keller, Programmleiterin des Literaturhauses Hamburg, für ihre anregende Dinner Speech.

Der Bergedorfer Gesprächskreis

Vorsitz Dr. Richard von Weizsäcker, Bundespräsident a.D.

Koordination Dr. Klaus Wehmeier (stellv. Vorsitzender des Vorstandes) Dr. Levin von Trott zu Solz (Geschäftsführer)

Wissenschaftliche Mitarbeit Julia Steets

Projektassistenz Karen Pehla-Elsaesser, M.A.

Anschrift Bergedorfer Gesprächskreis Hauptstadtbüro der Körber-Stiftung Neustädtische Kirchstraße 8 D-10117 Berlin Telefon: 030-20 62 6760 Telefax: 030-20 62 6767 E-Mail: [email protected] www.bergedorfer-gespraechskreis.de

Impressum

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

© edition Körber-Stiftung, Hamburg 2003

Verantwortlich Dr. Levin von Trott zu Solz Redaktion Julia Steets Horst Rödinger Übersetzungen Dr. Holger Riemer Fotos Marc Darchinger Umschlag Hamburger Kunsthalle – Alt- und Neubau (Foto: Michael Zapf) Gestaltung Groothuis, Lohfert, Consorten | glcons.de Druck und Bindung Fuldaer Verlagsagentur

ISBN 3-89684-236-6 Alle Rechte bleiben vorbehalten. Ein Nachdruck ist jedoch auf Anfrage möglich.

Wir weisen darauf hin, dass der Volltext des Protokolls auch in englischer Sprache gedruckt wird und dass beide Fassungen unter www.bergedorfer-gespraechskreis.de mit Recherchefunktion abrufbar sind.