Deutschland Der schwerstePOLITIKER Schritt

Abschied aus der Politik: Kaum einer gelingt, fast alle Lebensläufe von Politikern enden tragisch, bitter, quälend. Warum muss das so sein? Unterwegs auf den letzten Metern mit Parlamentariern, für die in diesem Sommer Schluss ist. Von Christoph Schwennicke

ch genieße es jeden Tag, die Dinge ein letztes Mal zu tun“, sagt Ludwig Stieg- Iler, als er morgens aus seiner Haustür in Weiden tritt und die Morgenluft einsaugt. So war das immer wieder in den letzten Tagen. Ein Mann auf dem Weg ins Glück. Einer, der sich darauf freut, nach 30 Jahren der Diktatur seines Terminkalenders zu entrinnen, wie er es nennt. Er werde nun „nach dem Reich der Notwendigkeit das Reich der Freiheit betreten“. Stiegler ist dabei, sich selbst abzuwickeln. „Vollzug des Beschlossenen“ nennt er das nüchtern, wahlweise auch „mein Phasing-out“. Er müsse sich seit einiger Zeit immer mehr überwinden, die Reise in den Tag an- zutreten. Wenn er in der Veranstaltung sei, dann gehe es wieder, dann pumpe er sich auf. Aber er wirkt nicht unglücklich an die- sem Morgen, weil er ahnt: Es gibt ein Leben danach, da ist noch was hinter dem Hori- zont, mindestens liegt da noch ein Stapel lesenswerter Bücher, der zu groß ist, als dass er sie alle in den statistisch verbleiben- den zehn Lebensjahren lesen könnte. Er ist Mitglied des Bundestags und noch für kurze Zeit Vorsitzender der bayeri- schen SPD, war Fraktionsvorsitzender in

Berlin; aber es gibt mehr für ihn als den (U.) PHOTOTHEK GRABOWSKY/ UTE (O.); WEISS / OSTKREUZ MAURICE knallroten Dienst-Audi mit Herrn Pöhl- mann und mehr als den Tagesbefehl, der auf der Rückbank bereitliegt, perfekt bis auf die Minute von Frau Regler aus sei- nem Wahlkreisbüro ausgetüftelt. Herr Pöhlmann fährt, Frau Regler orga- nisiert, und funktioniert. Seit 30 Jahren geht das so. Die Sinnfrage stellte sich nicht mehr. Am Abend dieses Tages ist Stiegler in ei- nem Nebenzimmer der Gaststätte Knopf in Pechbrunn, wo der Ortsverein der SPD sei- ne Jahreshauptversammlung abhält. Top eins bis sechs sind verhandelt, der Ausflug in die Rotkäppchen-Sektkellerei in Freyburg wurde als „voller Erfolg“ gewürdigt, der SPD-Politiker Stiegler*: Angst vor der Leere Kassierer entlastet, der Vorstand bestätigt. An die 3000 Mal hat Ludwig Stiegler in kurzer Folge. Es folgt der Abschied von „Seid gewiss, ich bin bei Euch alle Tage, Abende wie diesen erlebt. Er hält seine Pechbrunn. bis ans Ende der Welt“, steht auf einem Rede, anderthalb Stunden, ohne Manu- „Mei, mit allem, wo ich gerechnet Holzschild hinter ihm an der Wand, und skript. Der Ortsvereinsvorsitzende steht hab …“, stammelt Stiegler jetzt, sonst nie jetzt fehlt nur noch, dass sich dieser Stieg- auf, lässt sich einen Korb herüberreichen, um ein Wort verlegen, und schaut auf ler mit roten Socken an den Füßen in die aus dem ein paar selbstgestrickte rote die Strickware in seinen Händen, als hätte Lüfte erhebt und durch die Gewölbedecke Socken herausleuchten. Stiegler sitzt da wie er noch nie ein Paar Wollsocken gesehen. ins Reich der Freiheit entschwebt. ein Schuljunge, durchgedrücktes Kreuz, Er ist den Tränen nahe. Hinterher im Auto, durch die dunkle Hände auf dem Tisch, schaut aus glasigen Nacht zurück nach Weiden. Augen, und sein rechter Mundwinkel zuckt * Unten: mit Journalisten in Berlin 2005. „Herr Stiegler, Sie haben gelogen.“

38 27/2009 „Was hab ich?“ den letzten Metern mit Ludwig Stiegler, Tun und ein verpasstes Leben. Danach „Von wegen Reich der Freiheit. Es macht SPD, , Bündnis 90/Die Grü- gähnt das Loch. Es gibt daher viele ver- Ihnen was aus aufzuhören.“ nen, und Bernd Schmidbauer, CDU, Kohls patzte Abschiede, viele bittere Abschiede, Pause. Mann im Kanzleramt. es gibt erzwungene Abschiede – aber nur „Hat man das g’merkt?“ Der Abschied ist der schwerste Schritt wenige gelungene Abschiede. Es ist wie „Ja.“ im Leben eines Politikers. Es ist schwer, bei einem Kunstturner am Reck: Auf die Pause. sich bis nach Berlin durchzukämpfen, es ganze Darbietung fällt ein Schatten, wenn „Stimmt.“ ist eine Kunst, sich zu halten. Aber nichts der Turner den Abgang nicht steht. Es wird Abschied genommen in diesen ist so schwer wie die Kunst, wieder da- Er gehe nicht leichten Herzens, hatte Tagen in Pechbrunn, in Kleinkummerfeld, von zu lassen. „Wer die Kunst des Ab- Konrad Adenauer gesagt, ganz so, als kön- in . Der in Berlin schieds kann, kann alles.“ Hugo von Hof- ne er die junge Republik keinem anderen geht an diesem Montag in seine letzte re- mannsthal. überlassen, schon gar nicht diesem Erhard. Sie entrücken. Alle haben ihren Ludwig Erhard, alle müssen durchhalten, weil die Nachfolger es nicht können. Sie verschan- zen sich hinter etwas, das sie für Pflicht- gefühl halten und das doch nur Narzissmus und Egomanie ist. Gerhard Schröders Qualen, von der Macht zu lassen, konnten Millionen Fern- sehzuschauer miterleben, als er in der Runde nach der Bundes- tagswahl prophezeite, sie werde nie Bun- deskanzlerin. Bei Ludwig Stiegler ist es so schlimm nicht, er hat ja die Aussicht auf die Bücher. Aber noch fährt er mit dem knallroten Audi durch Bayern, Kurs Osterhofen, Betriebs- besuch der Firma Wolf, mit dabei die Bruni Irber, Wahlkreisabgeordnete und Ausschei- derin wie Stiegler. Die Fahrt wird zu einem Anschauungsunterricht der politischen Le- bensleistung des Ludwig Stiegler. Wenn man es recht versteht, dann würde die Oberpfalz heute noch aussehen wie Zonenrandgebiet, hätte der Abgeordnete Ludwig Stiegler die- ser Region nicht die Zivilisation beschert. Das Gewerbegebiet mit Zonenrandförde- rung hier, die Autobahnspange dort. Das war sein Kick. Die Heldengeschich- ten müssen sich nicht haargenau so zuge-

MAURICE WEISS / OSTKREUZ (O.); MIKE SCHROEDER / ARGUS (U.) (O.); WEISS / OSTKREUZ MAURICE tragen haben. Aber sie haben sein Leben mit Sinn erfüllt. Abends, nach einem langen Tag im Reich der Notwendigkeit, zeigt Stiegler seine Wohnung und seinen Garten. Er schwelgt im Wiesenschaumkraut, das auf seiner Ra- senfläche wächst, auch deshalb, weil er nie zum Mähen kommt, schwärmt von der Amsel, die im Baum singt, auf der Fahrt hatte er die gelben Rapsfelder besungen wie Nero sein brennendes Rom. Keiner kann so barock schwärmen wie Stiegler. „Bruni, schau die Wiesn o, da magst di doch hinwerfen und rumrollen!“ Der Hah- nenfuß steht leuchtend gelb in der Sonne. „Des konnst ja dann machen, wenn d’ in Verteidigungsexpertin Beer*: „Eine notwendige Provokation“ Pension bist“, sagt die Irber-Bruni. Vielleicht. Vielleicht wälzt sich Stiegler guläre Sitzungswoche vor der Sommer- Politik ist eine Extremsportart. Sie nächstes Frühjahr in seiner Wiese und liest pause. Das Europaparlament ist schon auf- macht süchtig. Der Körper, der Geist und dabei ein Buch. Aber vielleicht ist das al- gelöst und neu gewählt. die Seele brauchen irgendwann die Be- les auch nur als Desiderat so erstrebens- Es gehen zwei Generationen, es geht die deutung, die Wichtigkeit, die Flughäfen, wert, nur dann, wenn es Sehnsucht ist und Generation Schröder, und es gehen, mit die Fahrbereitschaft, das Publikum, das nicht Wirklichkeit. Vielleicht wälzt er sich elf Jahren Verspätung, die letzten Verblie- Korsett aus Terminen, das aufgeblasene nicht wohlig in einer Blumenwiese, son- benen der Generation Kohl. Unterwegs auf Nichts, das zwar Tagesabläufe in komplet- dern in kaltem Schweiß im Bett. ter Besinnungslosigkeit beschert, aber auch Kürzlich hatte Fraktionschef Peter * Unten: während einer Informationswehrübung des verhindert, dass man zum Nachdenken Struck, der selbst ausscheiden wird, die Heeres in Munster 2006. kommt, zum Nachdenken übers eigene Ausscheider der Fraktion zu einem Emp-

der spiegel 27/2009 39 Deutschland fang geladen. Stiegler hat sich mit Walter nicht mehr gewählt. Es gab wurde, hat sie auf jeder Position von Num- Kolbow unterhalten. Kolbow, am Ende sei- keinen Plan B, sie musste ran. mer 3 bis 15 kandidiert. „Warum tust du dir ner politischen Laufbahn Parlamentari- Hinterher fuhr sie mit ihrem Lebensge- das an?“, hat sie ein Freund gefragt. Sie hat scher Staatssekretär im Verteidigungsmi- fährten Peter nach Kleinkummerfeld, und es gebraucht so, noch einen Schlag und nisterium, habe ihm gestanden: „Ludwig, sie fragte: „Peter, was ist jetzt?“ Peter sag- noch einen und noch einen. Bis sie nichts ich habe Angst vor der Leere.“ te: „Du bist jetzt Parteivorsitzende, wie mehr spürte. Karlheinz Geißler ist Fachmann für Ab- Schröder.“ Danach hat sie beim Landesparteitag in schiede. Der emeritierte Pädagoge nahm Die Geschichte von Angelika Beer und Bad Oldesloe Ende März ihren Austritt aus seinen eigenen Abschied von der Münch- den Grünen könnte einen Lars-von-Trier- der Partei erklärt. Sie hat den Schritt in- ner Bundeswehruniversität zum Anlass, Film abgeben. Sie ist ein Martyrium. Der haltlich begründet, aber die Begründun- sich mit dem schwersten Schritt im Leben Parteivorsitz, man sieht der zierlichen Frau gen erscheinen vorgeschoben. Sie war tief auseinanderzusetzen. Daraus ist ein Buch das bis heute an, hat sie Kraft gekostet, verletzt und fühlte sich verstoßen. geworden: „Schlusssituationen – Die Suche nach dem guten Ende“. Er hat auch ein Buch über Anfänge geschrieben. Es ver- kauft sich deutlich besser. Der Politikerabschied, sagt Geißler, sei die extremste Spielart des Abschieds, weil er, jedenfalls der nicht selbstgesuchte, mit dem höchsten Maß an Kränkung einher- geht. Das Wahlvolk oder die Partei hat’s gegeben, das Wahlvolk oder die Partei hat’s genommen. Bis eben noch hoffen, so wie Schröder in der Elefantenrunde, und dann der große Absturz. Ein Mann zwi- schen Kanzleramt und Ende. Dahinter lauert der kalte Entzug. Gut wäre es, sagt Geißler, wenn das Gift, das Rauschmittel der Macht, allmählich ausschleichen könnte, so wie man Psycho- pharmaka nicht mit einem Mal absetzt, sondern die Dosis allmählich reduziert. Aber so ist es nicht. Das Ende des Politikers kommt meist aus voller Fahrt, der Fall ins tiefe, schwarze Loch immer von ganz oben. Heinemann habe einen guten Abschied hingekriegt, sagt Geißler. Nach einer Pau- se setzt er hinzu: „Ich dachte immer, der Müntefering kriegt es hin.“ Es gibt diesen Moment, den selbstbe- stimmten Moment, den Stiegler mögli- cherweise erwischt hat. Die meisten las- sen ihn verstreichen. Der 6. Mai ist der letzte Sitzungstag des Europaparlaments in Straßburg. Die Um- zugskartons stehen schon gefaltet an der Wand. Heute wird Angelika Beer die Tür ihres Abgeordnetenbüros in Straßburg das letzte Mal hinter sich zuziehen. Ihre Fröh- lichkeit wirkt ein bisschen gespielt, und die Grenze zwischen Witz und Zynismus ist fließend. „Da, das brauche ich jetzt ja nicht mehr“, sagt sie und reicht eine kleine Papp- box, in der ein schwarzer USB-Stick mit ihrem Namenszug und einem Signet hinter dem Plastiksichtfenster zu sehen ist.

Angelika Beer, das steht schon vor der (U.) / CORBIS SYGMA M. NAAMANI (O.); WEISS / OSTKREUZ MAURICE Europawahl am 7. Juni fest, wird nicht CDU-Mann Schmidbauer*: Immer 008 geblieben mehr ins Parlament einziehen, weil die Grünen sie auf dem Wahlparteitag nicht vielleicht mehr Kraft, als sie hatte. Danach Jetzt bekommt sie keine Chance mehr. mehr aufgestellt haben. Angelika Beer er- war sie ausgebrannt, und die Grünen ha- Sie hat die Grünen in der Regierungs- lebt die bitterste Form des Abschieds. ben sie nach Europa geschickt, der Klassi- zeit von Rot-Grün in den Krieg geführt, Sie ist 52 Jahre alt. Sie hat die Grünen ker, die erste Stufe des abschiebenden Ab- sie hat sich in ihr Thema verliebt und einen mitbegründet vor fast 30 Jahren, zusam- schieds. Von Brüssel kommen sie selten Bundeswehr-Oberstleutnant geheiratet, sie men mit Thomas Ebermann und Rainer zurück. hat sich in Uniform fotografieren lassen Trampert. Sie war für zwei Jahre deren Sie hat die Qualen voll ausgekostet. Als bei einer Wehrübung. „Beer in Flecktarn: Vorsitzende, als Folge eines Betriebsun- die Liste für die Europawahl aufgestellt Es ist natürlich eine Provokation“, sagt falls bei den Grünen. Auf dem Parteitag in sie, „aber es ist eine notwendige Provo- 2002 in Hannover wurden und * Unten: als Nahostvermittler im Libanon 1996. kation.“

40 der spiegel 27/2009 30 Jahre – wie bei Stiegler. Die Grünen ben überall in Pappe und Karton abgela- Plutoniumdeal zu verantworten. Der frü- und sie, das sei wie eine Ehe gewesen, sagt gert. Alles kam hierher, aus dem Berliner here Studiendirektor Bernd Schmidbauer Beer. „Die einen sagen nach 30 Jahren: Büro, aus Brüssel, aus Straßburg. war sich selbst sein bester Agent. Trennung; die anderen sagen: Jetzt sind das Eigentlich hatte sie jahrelang den falschen Schmidbauer geht nicht, er schreitet so viele Jahre, jetzt kriegen wir den Rest Job, sagt sie. Aber sie unterdrückte ihre Flug- Richtung Sitzungssaal, schiebt Bauch und auch noch rum. Ich hab gesagt: Schnitt.“ angst. Am folgenden Tag will sie von Ham- Bedeutung vor sich her. Jeder Zoll immer Es ist Beers zweite Scheidung, die erste burg nach Brüssel fliegen. Es tagt das „Par- noch Kanzleramtsminister, Geheimdienst- erlebte sie im Alter von 18 Jahren, von liamentarians Network for Conflict Pre- koordinator – zuständig für die Geheim- ihrem ersten Mann. „Ich bin Profi, was vention and Human Security“. Ein „großer nisse Deutschlands und seine Sicherheit. Brüche im Leben angeht.“ Kongress“, sagt sie. Sie könnte eventuell Vor- Ein verblasster Mythos. Wer den Ab- Der Preis der Politik sei hoch, den kön- sitzende werden. Die Angst vor der Leere ist gang verpasst, der wird zum Faktotum, zur ne man nur zahlen, „wenn der innere Mo- größer als die Angst vorm Fliegen. Farce seiner selbst, zum Gespött. Kürzlich, tor mitmacht“. Bei Angelika Beer hat er ir- Die parlamentarische Demokratie bringt wird erzählt, habe Schmidbauer in der gendwann die hohen Drehzahlen nicht es mit sich, dass ganz normale Menschen in Fraktion eine längliche und kryptische mehr ausgehalten. Das haben die Grünen ganz hohe Sphären vorstoßen. Der Hei- Rede zu Afghanistan gehalten. Auch die gemerkt und sie aussortiert. Politik ist da Kanzlerin rollte mit den Augen. gnadenlos. ANZEIGE Er redet in Andeutungen und Rätseln, er Was bleibt, sind Reminiszenzen, das Ge- will geheimnisumwittert sein wie früher. fühl, ganz oben dabei gewesen zu sein. Als Er ergeht sich im Parlamentarischen Kon- die Opposition Gerhard Schröder mit dem trollgremium in langen Dialogen mit den Kandidaten Köhler für das Amt des Bun- Chefs der Dienste – Männer auf seiner Au- despräsidenten überrascht, beraumt Schrö- genhöhe. „Er ist immer derjenige, der alles der für den folgenden Morgen die Koali- ein bisschen besser weiß“, sagt ein PKG- tionsrunde an, um zu kontern. Alle kom- Kollege. Schmidbauer ist immer 008 ge- men, Beer auch, Gerhard Schröder ist blieben. Er habe den ersten Schritt zurück fröhlich, wartet, bis alle sitzen, erhebt sich, schon nicht geschafft, sagt der PKG-Kolle- stellt sich auf ein Bein, streckt das andere ge: Wie er den nächsten zurück nach Hei- nach hinten und breitet seine Arme aus delberg als Kurator eines Schulprojekts wie Schwingen. schaffen wolle, sei ihm „schleierhaft“. „Ich bin ein Schwan! Ich bin ein Besuch in der Kreisgeschäftsstelle in Schwan!“, flötet er dabei mit Kopfstimme. Heidelberg. Vor dem Büro von Schmid- Beer spielt die Szene nach, senkt wie- bauer liegen ein paar Briefe. Die Tür ist der das zweite Bein und setzt sich zurück geschlossen. Seine Sekretärin arbeitet, wie an den Tisch. „Da kannst du noch so lan- es heißt, schon länger von zu Hause aus. ge im Parlament sitzen und weißt immer Auf die Frage nach Wahlkreisterminen noch nicht, wie’s läuft.“ mussten alle passen oder drucksten her- Die frühere Arzthelferin Angelika Beer um. Also, Wahlkreistermine in dem Sinne gründete eine Partei, die heute fest ins poli- habe Herr Schmidbauer keine. tische Gefüge des Landes gehört. Sie sah Bernd Schmidbauer lässt es ausgleiten. Schröder als Schwan, war mit Gaddafi im Genau genommen „lässt er es schon seit Zelt, fachsimpelte auf Augenhöhe mit Ge- elf Jahren ausgleiten“, sagt ein CDUler in neralinspekteuren und Verteidigungsminis- Heidelberg. tern. Ihr Fachwissen ist immer geschätzt Schmidbauer will nicht über seinen ver- worden, auch vom Gegner. Große Welt, passten Abschied reden. Er hätte strahlen großes Kino. können, mit in Würde abtre- Sie hat darüber das Leben verlernt und ten nach der Wahlniederlage 1998. Statt- vergessen. Sie war jahrelang Abgeordnete dessen wollte er, 70-jährig, dieses Jahr ein in Straßburg, reiste einige hundert Male weiteres Mal für den Bundestag kandidie- hierher. Aber sie kennt kein einziges Re- ren. Sie haben ihn nicht gelassen. Es reicht staurant in der Innenstadt von Straßburg. jetzt, befand die CDU Rhein-Neckar und Dort war sie nie, all die Jahre nicht, sie brachte erfolgreich einen jungen Kandida- war immer nur im Raumschiff an der Rue ten gegen ihn in Position. Lucien Febvre. Sie sagt von sich, wegen Alle Politikerkarrieren, sagte einst der bri- der Politik habe sie in den vergangenen tische Unterhausabgeordnete Enoch Powell, 30 Jahren kein Buch mehr gelesen. Sie delberger Lehrer Bernd Schmidbauer zum „enden im Scheitern“. Triumph und Tragik freue sich darauf, wieder zu lesen. Aber es Beispiel durfte das ganz große Rad dre- liegen ganz nah beieinander. Manche sind klingt, anders als bei Stiegler, so bestellt. hen. Über seinen Freund Helmut Kohl, den triumphal-tragisch wie der Sprung in den Sie wird auch danach kein Buch lesen. er beim Studieren in Heidelberg kennen- Tod des Jürgen Möllemann. Als die Chefin vom Café de l’Europe ab- lernte, führte der Weg 1991 ins Kanzler- Das gute Ende – darüber machen sich kassieren kommt, überlegt es sich Beer an- amt. Staatsminister im Kanzleramt – ein schon die Jungen Gedanken. Eckart von ders mit dem Essengehen in der Innen- Titel nach dem Geschmack des ebenso eit- Klaeden von der CDU stellt sich eine stadt. Sie gehe lieber noch einmal rüber len wie intelligenten Schmidbauer. U-Bahn vor, in der man sitzt, und die ins Büro, druckst sie herum, ihren letzten So sehr wie keiner vor ihm und keiner Bahnsteige tauchen aus dem Dunkel auf, Newsletter schreiben und verschicken. Sie nach ihm stilisierte sich Schmidbauer als einer nach dem anderen. Und jedes Mal funktioniert bis zum Schluss. Das Büro gibt Chef der Schlapphüte, er geriet unter Be- denkt man: Weiterfahren? Aussteigen? Halt, bis zum bitteren Ende. schuss der Kokain-Mafia in Lateinamerika, Umsteigen vielleicht? Tage später in Kleinkummerfeld. In er nahm kurdischen Konsulatsbesetzern Die meisten bleiben sitzen, bis die Türen ihrem Haus in Kleinkummerfeld bei die Waffen ab und befreite deutsche Gei- sich wieder schließen. Fahren über jedes Neumünster hat sich Angelika Beers Le- seln im Libanon. Er hatte einen ominösen Ziel hinaus und kommen nie an. ™

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