Plenarprotokoll 13/141

Deutscher

Stenographischer Bericht

141. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Inhalt:

Nachruf auf den Vizepräsidenten des Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE Deutschen Bundestages Hans Klein . . . 12667 A GRÜNEN 12684 D Dr. F.D.P 12689 B Tagesordnungspunkt I: SPD 12693 A, 12714 B Fortsetzung der zweiten Beratung des Dr. PDS 12693 B von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes über die Dr. , Bundeskanzler . . . 12696 D Feststellung des Bundeshaushaltsplans Oskar Lafontaine, Ministerpräsident für das Haushaltsjahr 1997 (Haushalts- () 12705 B gesetz 1997) (Drucksachen 13/5200, Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . 12709 C 13/5836) 12668 B Dr. F.D.P. . . . . 12713 C Einzelplan 04 Dr. F D P. 12713 D Bundeskanzler und Bundeskanzleramt CDU/CSU 12714 C (Drucksachen 13/6004, 13/6025) . . 12668 B Eckart Kuhlwein SPD . 12717B, 12721D, 12740 A Eckart Kuhlwein SPD 12717 D in Verbindung mit Dr. (München) CDU/CSU . 12719 D, Einzelplan 05 12727 B Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 12720 B Auswärtiges Amt (Drucksachen 13/ 6005, 13/6025) 12668 C Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . 12721 A, C Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜ in Verbindung mit NEN 12722 D Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . 12723 A Einzelplan 14 - Norbert Gansel SPD 12723 B Bundesministerium der Verteidigung Dr. , Bundesminister AA . 12724 A, (Drucksachen 13/6014, 13/6025) . . 12668 C 12726 D SPD 12668 D Volker Kröning SPD 12726 C Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . 12673A, 12706 A Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . 12675 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12727 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 12678 C Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12727 C Otto Schily SPD 12679 C Steffen Tippach PDS 12728 D Gabriele Iwersen SPD 12680 D Dr. SPD 12729 C Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . 12682 D CDU/CSU . . . 12731 B Günter Verheugen SPD 12684 B Ernst Kastning SPD 12733 B, 12748 A II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesmini NEN 12735B, 12744 A ster BMJ 12777 D Jürgen Koppelin F.D.P. . . 12736C, 12743 B Jörg van Essen F.D.P. . . . . 12779D, 12785 B Jürgen Koppelin F.D.P 12737 B Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 12780 B Günter Verheugen SPD 12738 B CDU/CSU .12783 C, 12787 D, 12788 C Ernst Kastning SPD 12739A, 12741 C Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD . . . 12784 B Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. . 12739 B CDU/CSU 12784 C SPD 12739 C Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 12785 C Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 12740 B Otto Schily SPD 12788 B CDU/CSU 12741 B Margot von Renesse SPD 12788 B Manfred Opel SPD 12742 B Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN (zur GO) 12788 D SPD 12744 B Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 12746 A Einzelplan 06 Innern Namentliche Abstimmung 12748 D Bundesministerium des (Drucksachen 13/6006, 13/6025) . . . 12789 A Ergebnis 12750 A in Verbindung mit Einzelplan 23 Beschlußempfehlung und Be richt des Bundesministerium für wirtschaftliche Haushaltsausschusses zu dem Antrag Zusammenarbeit und Entwicklung des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi und (Drucksachen 13/6019, 13/6025) . . . 12752 C der weiteren Abgeordneten der PDS: Dr. Emil Schnell SPD 12752 C Vergütung der Mitglieder der Unab- hängigen Kommission zur Überprü- Dr. F.D.P. . . . . 12754 C lung des Vermögens der Parteien und Michael von Schmude CDU/CSU . . . 12754 D Massenorganisationen der DDR beim Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Bundesministerium des Innern NEN 12756 D (Drucksachen 13/79, 13/459) 12789 B Roland Kohn F.D.P. 12758 B in Verbindung mit Dr. Willibald Jacob PDS 12759 D Adelheid Tröscher SPD 12761 A Einzelplan 33 Carl-Dieter Spranger, Bundesminister Versorgung (Drucksache 13/6023) . . 12789 B BMZ 12762 D Uta Titze-Stecher SPD 12789 C Dr. R. Werner Schuster SPD 12763 C Ingrid Holzhüter SPD 12790 C Wolfgang Schmitt (Langenfeld) BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN 12764 C Nächste Sitzung 12793 D

Einzelplan 07 Anlage 1 Bundesministerium der Justiz (Druck Liste der entschuldigten Abgeordneten . 12794* A sachen 13/6007, 13/6025) 12765 D in Verbindung mit Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zum Haus- Einzelplan 19 haltsgesetz 1997, hier: Einzelplan 06 - Bundesministerium des Innern -, zu dem (Drucksache - Bundesverfassungsgericht Antrag: Vergütung der Mitglieder der Un- 12765 D 13/6025) abhängigen Kommission zur Überprüfung Gunter Weißgerber SPD 12765 D des Vermögens der Parteien und Massen- Manfred Kolbe CDU/CSU 12768 A organisationen der DDR beim Bundesmi- nisterium des Innern sowie zu Einzelplan 33 (Köln) BÜNDNIS 90/DIE - Versorgung - GRÜNEN 12770C, 12787 B Dr. Klaus- Dieter Uelhoff CDU/CSU . . . 12794* B Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . . 12773 A Dr. Hermann Kues CDU/CSU 12796* C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS . . . 12774 C, 12777 B Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12798* C Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN 12775 D PDS 12800* A Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Fritz Rudolf Körper SPD 12801* B NEN 12777 A , Bundesminister BMI . 12803* B Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12667

141. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Beginn: 9.01 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Hans „Johnny" diese Zeit im Ausland politisch und menschlich ge- Klein, unser Vizepräsident, Kollege und Freund, ist prägt hat. Sein Denken war bei aller heimatlichen nicht mehr unter uns. Er ist gestern nachmittag an Verbundenheit international. den Folgen eines schweren Herzinfarktes gestorben. Journalist, Diplomat, Politiker - ein überzeugter und Seine Einschätzungen politischer Entwicklungen überzeugender Demokrat, der in seinen zahlreichen vor allem im Nahen Osten waren für seine zahlrei- chen Gesprächspartner von größter Bedeutung. Aufgaben unserem Land an hervorragender Stelle Seine Freunde in der arabischen Welt haben ihn, den gedient hat, ist für immer von uns gegangen, mitten aus dem aktiven politischen Leben heraus. klar abwägenden und in der Sache kompetenten Diplomaten und Politiker, hoch geschätzt. 20 Jahre lang war Hans Klein Mitglied des Deut- Bundeskanzler Ludwig Erhard berief Hans Klein schen Bundestages, seit sechs Jahren Vizepräsident 1965 zu seinem Pressereferenten. Sieben Jahre spä- dieses Parlaments. Parlamentarier, das war „Johnny" ter wurde er als Pressechef der Olympischen Spiele Klein vor allem dank seiner Lust und Fähigkeit, mit von München einer breiten Öffentlichkeit bekannt, Herz und Verstand für die wichtige politische Sache eine Aufgabe, die er nach dem verbrecherischen zu streiten. Dieser vielseitige Politiker wollte über- Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft in zeugen durch scharf formulierte Argumente, geist- äußerst schwieriger Situation mit größter Umsicht reich und geschliffen, hart und profiliert im Wo rt, meisterte. aber stets im Respekt vor der Meinung des Anders- denkenden. Seine aus persönlicher Erfahrung und intensiver Beschäftigung mit den Fragen des Nahen und Mittle- Er hat in verschiedenen Ämtern die Politik der ren Ostens erworbene Vertrautheit mit den komple- Bundesrepublik Deutschland mitgestaltet und auf xen Problemen dieser Region führte ihn mit Franz Jo- seine ganz besondere Weise ihr im Ausland ge- sef Strauß und der CSU zusammen. 1972 ist er der prägt. Hans Klein ist „heiter durch ein ernstes Leben CSU beigetreten. Für seine Partei gewann er 1976 geschritten". den Wahlkreis München-Mitte direkt und engagierte Geboren wurde er 1931 in Mährisch-Schönberg im sich als Mitglied des Deutschen Bundestages vor Sudetenland. Dort besuchte er das Gymnasium, do rt allem für Fragen der entwicklungspolitischen Zu- erlebte er 1945 den Einmarsch der Roten Armee und sammenarbeit, um 1982 außenpolitischer Sprecher die Vertreibung aus der Heimat. Bereits als Kind ver- der CDU/CSU-Fraktion zu werden. lor er Vater und Mutter; später wurde er mit seinen Bundeskanzler Helmut Kohl berief ihn 1987 als Brüdern nach Wallerstein im Nördlinger Ries ausge- Bundesminister für wi rtschaftliche Zusammenarbeit siedelt. in sein Kabinett, eine Aufgabe, die ihn auch über Nach Abschluß der Schule in Heidenheim absol- seine Amtszeit hinaus fesselte und nie wieder losließ. vierte er ein Zeitungsvolontariat, studierte als Stipen- Sein Einsatz galt der Förderung von Eigeninitiative diat Geschichte und Volkswirtschaft in England und und der nachhaltigen Unterstützung von Schlüssel- bereitete sich beim Nestor der deutschen Publizistik, projekten in den armen und ärmsten Ländern der Professor Emil Dovifat, auf seine künftige berufliche Welt. Der in seiner Amtszeit durchgeführte Erlaß der Tätigkeit als Journalist vor. Schreiben, das war seine Schulden dieser Länder wird immer mit seinem Na- Liebe und blieb seine Leidenschaft. men verbunden bleiben. Darauf war er stolz. 1989 übernahm er als Bundesminister für beson- In diesem Beruf arbeitete er für verschiedene deut- dere Aufgaben das Amt des Sprechers der Bundes- sche und ausländische Zeitungen in Bonn, bevor er regierung, das er bis zur ersten gesamtdeutschen sich dazu entschied, als Presseattaché bei den deut- Bundestagswahl ausübte. schen Botschaften in Jordanien, Syrien, dem Irak und in Indonesien tätig zu werden. Aus vielen persönli- 1990 wurde er als Nachfolger von Richard Stücklen chen Gesprächen mit ihm wissen wir, wie sehr ihn mit großer Mehrheit zum Vizepräsidenten des Deut- 12668 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth schen Bundestages gewählt. In diesem Amt hat Einzelplan 05 „Johnny" Klein Maßstäbe für das parlamentarische Miteinander gesetzt. Es war ihm wichtig, dazu beizu- Auswärtiges Amt tragen, verhärtete Positionen und starre Fronten im- - Drucksachen 13/6005, 13/6025 - mer wieder zu locke rn. Er empfand es als selbstver- ständlich, den Respekt voreinander auch bei noch so Berichterstattung: widerstreitenden Meinungen nicht zu verlieren. Abgeordnete Dr. E rich Riedl (München) Kompetenz und Schlagfertigkeit, Stilgefühl, Eckart Kuhlwein Strenge, vor allem viel Humor und Gelassenheit Antje Hermenau kennzeichneten den Führungsstil unseres Kollegen. Er war ein energischer Verfechter parlamentarischer Einzelplan 14 Prinzipien. Bundesministerium der Verteidigung Mit ihm haben wir eine Persönlichkeit verloren, die - Drucksachen 13/6014, 13/6025 - in der Heimat verwurzelt und in der Welt zu Hause war. Als Sudetendeutscher vergaß er nie die Pro- Berichterstattung: bleme und Belange seiner mit ihm vertriebenen Abgeordnete Kurt J. Rossmanith Landsleute. Wahrheit war für ihn die Grundlage der Dietrich Austermann Versöhnung. Er war Politiker und Parlamentarier, um Jürgen Koppelin die Dinge in der Welt zum Menschlicheren zu wen- Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) den. Hans Klein hat sich um den Deutschen Bundes- Ernst Kastning tag verdient gemacht. Oswald Metzger Wir denken an unseren Kollegen in Dankbarkeit Es liegen insgesamt 14 Änderungsanträge vor. und mit großem Respekt. Wir denken in dieser Stunde vor allem auch an seine Frau und seine drei Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache Kinder. Ihnen gilt unser tiefes Mitgefühl. Wir alle über den Einzelplan 04 namentlich abstimmen wer- trauern um ihn. den. Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen erho- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind ben. Ich danke Ihnen. für die Aussprache fünf Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Wir verfahren entspre- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir unterbrechen chend. die Sitzung bis 9.30 Uhr. Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Vor- (Unterbrechung von 9.09 Uhr bis 9.30 Uhr) sitzende der SPD-Fraktion, Rudolf Scharping.

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen Rudolf Scharping (SPD): Frau Präsidentin! Meine und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder sehr verehrten Damen und Herren! Wer die öffentli- eröffnet. che Debatte der letzten Wochen verfolgt, erlebt eine Regierung auf der Jagd nach den Sündenböcken. Wir setzen die Haushaltsberatungen - Punkt I - Die Gewerkschaften sollen schuld daran sein, daß fort, und ich rufe die Einzelpläne 04, 05 und 14 auf: die Situation in Deutschland schwierig ist, mal ist es der Bundesrat, mal die SPD, jetzt sind es neuerdings Zweite Beratung des von der Bundesregierung sogar die Arbeitgeber, im Zweifel auch noch die Glo- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über balisierung oder die Europäische Union. Könnte es die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für nicht, Herr Bundeskanzler, die Bundesregierung das Haushaltsjahr 1997 selbst sein? (Haushaltsgesetz 1997) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne - Drucksachen 13/5200, 13/5836 - ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Erste Beratung 120. Sitzung) und der PDS) - Beschlußempfehlungen und Berichte des Beschleicht Sie nicht manchmal der Verdacht, daß Haushaltsausschusses (8. Ausschuß): Sie selbst die Probleme schaffen, deren Gegenwart Sie beklagen? Einzelplan 04 (Beifall bei der SPD) Bundeskanzler und Bundeskanzleramt Können Sie nicht endlich zu Ihrer Verantwortung ste- - Drucksachen 13/6004, 13/6025 - hen und sie wahrnehmen? Berichterstattung: (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!) Abgeordnete Roland Sauer (Stuttgart) Wissen Sie, daß Fehler gemacht werden - auch in Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) der Politik, auch von einzelnen, sogar von uns -, Jürgen Koppelin Antje Hermenau (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12669

Rudolf Scharping das ist ganz normal. Das Problem aber ist, daß Sie mit wart, und das ist bitter für eine wachsende Zahl von einer solchen Sturheit an Ihren Fehlern festhalten. Menschen in Deutschland.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall bei der SPD) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Sie mißbraucht die Globalisierung, die unzweifelhaft stattfindet, als Vorwand für Konfrontation in Deshalb sage ich, meine Damen und Herren: Sie Deutschland, anstatt sie für die internationale Koope- verantworten den Zustand dieses Landes. Sie verant- ration und die gemeinsame Verantwortung zu nut- worten die hohe Arbeitslosigkeit. Sie verantworten zen. die hohe Steuerbelastung. Sie verantworten den Mangel an Ausbildungsplätzen. Sie verantworten (Beifall bei der SPD) den Mangel an Gerechtigkeit. Stellen Sie sich end- lich Ihrer Verantwortung, anstatt nach Ausflüchten Man könnte sofort beginnen, und ich will Ihnen zu suchen. vorschlagen, die Belastung der Arbeit endlich wie- der zu reduzieren, die Belastung der Arbeitsplätze, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne die Belastung der Arbeitseinkommen mit immer ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN neuen Beiträgen zur sozialen Sicherheit, die auf und der PDS) diese Weise nicht finanziert werden dürfen.

Es ist, Herr Bundeskanzler, ein Prinzip Ihrer Politik Es war und bleibt ein Grundfehler Ihrer Politik, geworden, überall da auszuweichen, wo mutige Ent- Herr Bundeskanzler, den Beitragszahlern über die scheidung gefordert ist, überall da Illusionen zu er- Sozialversicherung zuzumuten, was Sie aus Feigheit zeugen und Menschen zu täuschen, wo Klarheit und vor dem Steuerzahler versäumen wollen. Das bleibt Orientierung erforderlich wären. Das war 1990 so; der Grundfehler. das war 1994 so; das ist heute wieder so. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dabei wären bessere Wege durchaus möglich: DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Wege, um Arbeit zu schaffen und Ausbildung zu ge- PDS) währleisten, Wege, um Gerechtigkeit aufrechtzuer- halten und wieder zu stärken, Wege, um diesem Deshalb sind Sie, so unbestritten Ihre Verdienste um Land einen wirklichen Fortschritt zu ermöglichen, die deutsche Einheit sind, dabei, aus dem Glück der anstatt es immer neuen Belastungen auszusetzen. staatlichen Einheit ein wirtschaftliches und soziales Unglück zu machen. (Beifall bei der SPD) Wir schlagen Ihnen vor, die versicherungsfremden Diese Regierung ist keine zukunftsträchtige Einrich- Leistungen sofort aus den Sozialversicherungen her- tung mehr; sie ist eine schwere Hypothek für die Zu- auszunehmen und sie fair und unter Beteiligung aller kunft geworden. zu finanzieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD) und der PDS) Wir schlagen Ihnen vor, sofort den Beitrag zur Ar- Allerdings wird im Nein der Opposition zu Ihrer Poli- beitslosenversicherung um ein Drittel, den Beitrag tik auch sichtbar, was man für die Zukunft besser zur Rentenversicherung in einem ersten Schritt um machen könnte - Arbeit schaffen, Ausbildung er- einen Prozentpunkt zu senken. Wir weisen Sie dar- möglichen. auf hin, daß nach Auskunft aller Wirtschaftsfor- schungsinstitute und vieler Unternehmer die Sen- (Zuruf von der CDU/CSU: Abgaben erhe kung der Lohnnebenkosten pro Punkt Lohnnebenko- ben!) sten 80 000 bis 100 000 Arbeitsplätze erbringt, unser Vorschlag also die Schaffung von 300 000 bis 400 000 Sie kommen immer und sagen, Deutschland müsse Arbeitsplätzen ermöglicht. im Interesse seiner Wettbewerbsfähigkeit jetzt mit - den Löhnen, mit den sozialen Standards herunterge- (Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der hen. Das sagen Sie in einem Land, das wie keine an- CDU/CSU) dere Region auf der Erde vom und mit dem Expo rt rts pro Kopf der lebt, den höchsten Anteil des Expo Wir schlagen Ihnen vor, diese großangelegte erste Bevölkerung und sehr gute Entwicklungen der Han- Operation zur Entlastung der Arbeit, der Arbeits- dels- und Leistungsbilanz aufweist. Das alles ist ei- plätze und der Arbeitseinkommen mit einem neuen gentlich in der Gegenwart vernünftig. Die Frage Gesprächsangebot an die Tarifpartner zu verbinden. bleibt: Hält das auch für die Zukunft, und was tut die Regierung, damit die Wettbewerbsfähigkeit, die Was Sie gemacht haben, Herr Bundeskanzler, ist Kraft Deutschlands, seine Fähigkeit zur Solidarität, eine üble Täuschung. Sie haben zunächst die Ge- die Möglichkeit zur Verantwortung erhalten bleibt? werkschaften und die Arbeitnehmer zu einer großen gemeinsamen Kraftanstrengung eingeladen; dann Meine Damen und Herren, die Regierung ver- haben Sie nach dem Ende der Wahlkämpfe im März säumt die Erfüllung ihrer Aufgaben in der Gegen- den Gewerkschaften ins Gesicht geschlagen und die 12670 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Rudolf Scharping soziale Konfrontation in Deutschland heraufbe- finanziell zu beteiligen, die sich bisher der Verant- schworen, die wir jetzt erleben. wortung für die Zukunft verweigern. (Lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall beim (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der DIE GRÜNEN) PDS) Ich füge hinzu: Das sagen wir einer Regierung, die Verlassen Sie diesen Weg; er ist nicht klug, er bela- völlig unglaubwürdig geworden ist, die die Bela- stet die Zukunft, er grenzt Menschen aus. Es gibt stung mit Lohnnebenkosten beklagt und die im sel- bessere Möglichkeiten. ben Atemzug die Beiträge zur Rentenversicherung erhöht, die die Mängel bei der Jugend, die sich in Einer der Wegweiser in eine menschenfreundliche, Gewalt, in Alkoholismus, in Drogen und anderem solidarische, den Zusammenhalt stärkende Zukunft ausdrücken, beklagt und im selben Atemzug die Ga- ist die Entlastung der Arbeitsplätze und der Arbeits- rantie der Ausbildung verweigert. Das müßte jedem einkommen, ist ein neues Gespräch mit den Gewerk- schaften, ist die Kombination von Entlastung auf der Konservativen auf der Seele brennen; er dürfte nicht so kalt darüber hinweggehen, wie Sie das tun. Seite der Beiträge zur Sozialversicherung mit ver- nünftiger Zurückhaltung bei den Lohnforderungen, (Beifall bei der SPD) ist eine aktive Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspoli- tik und ist der Versuch, dies dann vernünftig durch Wir schlagen Ihnen drittens vor, den Arbeitsmarkt Abbau von Subventionen, Steuervergünstigungen in Ordnung zu bringen, Recht und Ordnung durch- und einen fairen Lastenausgleich in Deutschland zu zusetzen. Es ist ja einer der aktuellen Konflikte inner- finanzieren. halb Ihrer Koalition, daß noch nicht einmal jene Men- schen zu Beiträgen für die Rentenversicherung und Das zweite ist die Ausbildung. Die Bundesregie- andere Sozialversicherungen herangezogen werden rung, die sich über schwierige Entwicklungen be- können, die neben einer normalen Tätigkeit auch schwert und neuerdings auch Arbeitgeber zu Sün- noch eine Zweittätigkeit ausüben und für diese denböcken zu machen sucht, hat in den letzten fünf zweite Tätigkeit keine Sozialversicherungsbeiträge Jahren ihrer Amtszeit die Zahl der eigenen Ausbil- entrichten. Wie fühlen Sie sich eigentlich, wenn Sie dungsplätze auf eine dramatische Weise reduziert. den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern immer (Dr. Peter Struck [SPD]: Unerhört!) höhere Lasten zumuten, wo Sie doch selbst zu feige sind, wenigstens denen einen Beitrag abzuverlan- Sie sind wahrlich alles andere als ein glaubwürdiger gen, die einer Zweittätigkeit ohne Sozialversiche- Verfechter der Idee, jedem Jugendlichen eine Aus- rungspflicht nachgehen? bildung zu geben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Haben Sie noch eine Vorstellung davon, was das be- deutet und daß es in einem Land wie Deutschland Ich habe von diesem Pult aus mehrfach darüber ge- auf Dauer zur Kündigung des Gesellschaftsvertrages sprochen, daß bei allem Streit über Haushaltszahlen führt, wenn Sie immer weniger Arbeitnehmern in oder über die Ideen der Politik bitte niemals außer den normalen Arbeitsverhältnissen immer höhere acht geraten darf, was die Entscheidungen der Poli- Belastungen zumuten und wenn auf der anderen tik für einzelne Menschen in Deutschland bedeuten. Seite mittlerweile schon 6 Millionen Menschen ste- Können Sie sich vorstellen, was es heißt, wenn ein hen, die außerhalb von normalen Arbeitsverhältnis- 15jähriges Mädchen oder ein 15jähriger Junge 20, sen arbeiten? 40, 60, 80, 100 Bewerbungen schreibt, zum Arbeits- amt und zur berufsbildenden Schule geht und dann Also schlagen wir Ihnen vor, diesen Zustand zu än- 20, 40, 60, 80, 100 Absagen bekommt? Damit bekom- dern und gleichzeitig zur Beitragsentlastung derjeni- men sie jedesmal die Bestätigung: Du wirst nicht ge- gen Menschen beizutragen, denen jetzt Arbeit ge- braucht; wir wollen dich nicht; sieh zu, wie du zu stohlen wird, gestohlen durch illegale Beschäftigung, Rande kommst! gestohlen durch Scheinselbständigkeit. Wenn Sie sich dann so verhalten, wie Sie das tun, Immer und vor allen Dingen geht das zu- Lasten der dann ist das unerträglich in bezug auf die Zukunft Frauen. dieses Landes. Das schlägt der Jugend ins Gesicht. Das muß geändert werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne So, wie die Arbeitslosigkeit vor allem weiblich ist, ist ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auch die daraus entstehende Armut vor allem weib- und der PDS) lich. Eine Partei wie die Christlich Demokratische Union, die von ihrem eigenen Anspruch her etwas Also schlagen wir Ihnen vor, eine wirksame Garan- mehr sein sollte als das, was Sie heute durch Ihr Han- tie auszusprechen, damit jeder junge Mensch in deln zum Ausdruck bringen, kann doch auch nicht Deutschland eine Ausbildung findet. Also schlagen dem Ideal anhängen, daß irgendwo zwischen Küche, wir Ihnen vor, diejenigen zu entlasten, die dieser Kirche und Kindererziehung allein das Wohl gefun- Verantwortung für die Zukunft gerecht werden, und den werden und die Zukunft Deutschlands gestaltet jene an dieser Aufgabe für die Zukunft mindestens werden kann. Sorgen Sie in Ihrer Politik für die prak- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. 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Rudolf Scharping tische Gleichberechtigung der Frauen, nicht nur in bewerbsfähigkeit, die wirtschaftliche Kraft, der so- Ihren Sonntagsreden! ziale Friede in Deutschland eigentlich beruhen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Schließlich viertens: die Würde einer Demokratie, und der PDS) die Stabilität einer Demokratie, die Ideen, die am An- Und da, wo man Ziele setzen, Regeln schaffen, fang dieser Bundesrepublik Deutschland standen Grundlagen erhalten und festigen, Leistungen ermu- und in die Verfassung gegossen wurden. Die Ver- tigen und Hoffnungen befördern müßte, da tun Sie pflichtung des Staates, jedes Menschen Würde und nichts. Freiheit gleichermaßen zu schützen, diese Verpflich- tung mißachten Sie, wenn Sie nicht gleichzeitig end- Ich erinnere mich sehr gut Ihrer Regierungserklä- lich wirksame Schritte gehen, die wir Ihnen auch vor- rung vor knapp zwei Jahren. Wenn man sie liest, schlagen, nämlich der Beteiligung der Arbeitnehme- dann liest sich das wie ein politisches Märchenbuch. rinnen und Arbeitnehmer am Haben und Sagen, der Beteiligung an den wachsenden Vermögen in (Zuruf von der SPD: Lyrik!) Deutschland. Nichts davon ist geschehen, nichts davon ist einge- Es darf so nicht weitergehen, daß sich der Bundes- treten. finanzminister - dem ich gute Besserung wünsche - hier hinstellt und von einer symmet rischen Finanzpo- Sie haben beispielsweise zugelassen, daß der eine litik spricht, was sich ja ganz schön anhört, und daß Minister - der steht jetzt in sehr kurzem Hemd da - am Ende die Symmetrie dieser Politik nur darin be- als Zukunftsminister bezeichnet wurde. Niemals, nie- steht, daß die Arbeitslosigkeit steigt, die Verschul- mals zuvor hat eine Bundesregierung in so kurzer dung steigt und gleichzeitig die Steuern auch noch Zeit so rabiat alles abgebaut, was der Zukunftsvor- steigen. sorge Deutschlands dienen sollte, niemals! Diese Form von Symmetrie ist eine Belastung im (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Dreiklang für die Menschen in Deutschland, und wir ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN brauchen Entlastung auf allen drei Seiten statt immer und der PDS) neue, zusätzliche Belastungen. Sie haben bei Forschung und Entwicklung wie bei (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne vielem anderen - ich will das gar nicht alles aufzäh- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN len - rabiat abgebaut, in dem irrigen Glauben, das und der PDS) könne am Ende bei der Konsolidierung helfen. Sie Herr Bundeskanzler, in der Nachkriegsgeschichte häufen eine Hypothek auf die andere! der Bundesrepublik Deutschland wurde häufig für Wie wollen Sie rechtfertigen, daß die Hochschulen Lohnzurückhaltung geworben mit dem Argument mit diesem Haushalt so belastet bleiben, wie es jetzt knapper Gewinnspannen. Heute gibt es eine neue der Fall ist? Wie wollen Sie rechtfertigen, daß die Kombination. Es gibt anerkannt hohe Unterneh- neuen technischen Möglichkeiten nicht mehr so vor- die wir nicht beklagen, aber wir be- mensgewinne, angebracht werden, wie es der Fall sein müßte? Wie klagen, daß sie nicht mehr investiert werden, was wollen Sie eigentlich vor sich selbst bestehen und vor Folge einer Politik ist, die Sachinvestitionen schlech- Ihren eigenen Worten? Die Unglaubwürdigkeit die- ter behandelt als Finanzanlagen. ser Regierung ergibt sich aus der tiefen Kluft zwi- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau! - schen Ihren Ankündigungen und Ihren Taten. Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Aber die neue Kombination besteht darin, daß die ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN anerkannt hohen Unternehmensgewinne jetzt ge- und des Abg. Manfred Müller [] koppelt werden mit der Forderung nach deutlichen [PDS]) realen Lohneinbußen bei den Arbeitnehmern und ei- nem Rückbau des Sozialstaates. Also schlagen wir Ihnen ein gemeinsames Zu- kunftsprogramm für die Hochschulen -vor. Wir ak- Wer diese Politik der sozialen Desintegration, des zeptieren ausdrücklich, daß Leistung, daß die Bil- sozialen Auseinandertreibens fortsetzt, der gefährdet dung von Eliten in Deutschland notwendig ist und nicht nur die historische Erfahrung, die kluge Ver- gefördert werden muß; aber es sollte beim gleichen nunft, er gefährdet auch die politische Stabilität. Ich Zugang für alle bleiben. Sie haben zu vertreten, daß weiß sehr wohl, daß dieses Gift aus dem Glauben, der Anteil der Kinder aus Arbeitnehmerfamilien an der globale Wettbewerb erfordere den Abbau des So- den deutschen Hochschulen wieder auf einen dra- zialstaates, matischen Tiefstand gesunken ist. Sie haben zu ver- (Widerspruch bei der CDU/CSU) antworten, daß die Begabungen nicht mehr ausge- schöpft werden. Sie haben zu verantworten, daß am Ende nichts anderes bedeutet als das Außerkraft- Deutschland im Welthandel mit den forschungsinten- setzen jeder Politik. Wer für den globalen Wettbe- siven Produkten deshalb immer deutlicher zurück- werb und seine Realität nur die Antwort der gesell- fällt. schaftlichen, der sozialen Konfrontation in Deutsch- land hat, der hat nicht verstanden, worauf die Wett (Beifall bei der SPD) 12672 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Rudolf Scharping Also schlagen wir Ihnen auch vor, mehr zu tun für recht, in dem die Leistung zählt, nicht die Dienstal- die Finanzierung eines nachhaltigen Wi rtschaftens tersstufe. und für gute Rahmenbedingungen. Das geschieht zur Zeit nicht. Die ökologische Modernisierung der (Zustimmung bei der SPD) deutschen Wirtschaft ist das entscheidende Zu- Wir wollen, daß Spitzenpositionen im öffentlichen kunftsprojekt. Wer dann einwendet, das koste Geld, Dienst auf Zeit und nach Qualifikation besetzt wer- dem kann ich nur eines sagen: Mit der Regierung den, nicht nach Parteibuch. Kohl ist Deutschland zur geistigen Provinz verkom- men. (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Wir wollen, daß in Deutschland endlich die Leistung ten der PDS - Lachen bei der CDU/CSU) wieder zählt, In den Vereinigten Staaten von Nordamerika lädt (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Man die Regierung zusammen mit den Wirtschaftsfor- fred Müller [Berlin] [PDS] - Zurufe von der schungsinstituten die 100 größten Unternehmen ein. CDU/CSU und der F.D.P.) Sie halten eine gemeinsame Tagung über die soziale Verantwortung der Unternehmen ab. In Japan lädt auch im öffentlichen Dienst. die Regierung die großen Unternehmen ein, um eine gemeinsame Vision der nachhaltigen Modernisie- (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) rung der Wirtschaft zu entwickeln, unter Rücksicht- nahme auf die künftigen Generationen durch Schutz - Sie lachen wie die ertappten Sünder! der Lebensgrundlagen. Sogar in Großbritannien ist (Beifall bei der SPD - Dr. Hermann Otto das der Fall. Lord Dahrendorf meldet sich zu Wo rt Solms [F.D.P.]: Denken Sie doch einmal an und sagt völlig zu Recht: Alle westlichen Industriege- den hessischen höchsten Richter!) sellschaften stehen vor der gleichen Herausforde- rung, nämlich das prekäre Gleichgewicht aus wirt- Das ist außerordentlich bezeichnend. Sollen wir ein- schaftlicher Wettbewerbsfähigkeit, sozialem Zusam- mal anfangen, die Bundesregierung durchzugehen? menhalt und politischer Demokratie zu bewahren Sollen wir das einmal tun? und zu stärken. (Zurufe von der CDU/CSU: Ja!) Wir in Deutschland aber haben eine Regierung, die nicht versteht und nicht hinschaut, was in den Sollen wir uns einmal bis auf die Ebene der Abtei- USA, was in Japan, was in der Europäischen Union lungsleiter anschauen, wie das aussieht? geschieht, sondern die den Menschen in Deutsch- land immer noch einredet, sie müßten ihre sozialen (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Nicht mit Rechte zur Seite legen, um wirtschaftlich wettbe- Steinen werfen!) werbsfähig zu bleiben. Der Mensch aber ist mehr als Ich sage Ihnen einmal eines: In der Regierung sitzen nur ein wirtschaftliches Wesen, und Leistung ist viel zu viele, die Sie nur aus Versorgungsgründen da mehr als das, was betriebswirtschaftlich meßbar ist. hingesetzt haben. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) Damit Fortschritt möglich wird und damit solche Wege geebnet werden, schlagen wir Ihnen nicht nur Sie haben in der Regierung doch Leute sitzen, die eine durchgreifende ökologische Modernisierung, nicht wegen ihrer Leistung dort sitzen. Sie haben da- nicht nur eine Entlastung der Hochschulen, nicht nur von doch ganze B rigaden von Menschen in der Re- eine bessere Studienorganisation, einen großen Kon- gierung sitzen, neben vielen anderen, die sorgfältig sens zwischen Bund und Ländern vor - beispiels- ihre Arbeit tun und vernünftig etwas für das Land weise in einem neuen Hochschulrahmengesetz -, tun. sondern auch, daß der Staat selbst endlich mit der (Lachen bei der CDU/CSU) Modernisierung seiner Tätigkeit beginnt. - Vornedran haben Sie diejenigen gesetzt, die wegen Auch darüber gibt es zwischen uns Streit. Es ist ihrer Parteibücher dahin sollten. Die Spitze der Re- ganz erstaunlich, zu sehen, daß von der Sozialdemo- gierung ist das beste Beispiel dafür, daß Leistung kratie und den Gewerkschaften des öffentlichen überhaupt nicht zählt. Dienstes weitreichende Reformvorschläge kommen, während der Bundesinnenminister vor dem Beam- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU tenbund und den do rt versammelten Interessen und der F.D.P.) kuscht. Das ist doch der Punkt. (Beifall bei der SPD) (Lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall bei Es ist ganz interessant zu sehen: Sie werden Ihrer Abgeordneten der PDS) Verantwortung nicht gerecht. Staat ist mehr als Ver- waltung, die Organisation von Abgaben und irgend- Ich hatte davon gesprochen, daß Arbeit und Aus- eine Form von Hierarchie. Wir wollen ein Dienst- bildung der eine Wegweiser in die Zukunft seien. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12673

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kollege der CDU-internen Seilschaften do rt hingesetzt wer- Scharping, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ab- den. geordneten Hirsch? (Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Ger hardt [F.D.P.]: Es ist nicht gut, wenn man so Rudolf Scharping (SPD): Aber bitte schön! Beim etwas macht!) Kollegen Hirsch ist das immer in Ordnung. Zum Thema zurück: Neben der Arbeit und neben dem Fortschritt wollte ich Ihnen einen dritten Weg Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Vielen Dank, Herr vorschlagen, der mit der Zukunft unseres Landes zu Kollege Scharping. - Zu Ihrer Rede läßt sich ja man- tun hat, nämlich einen modernen Sozialstaat, der zu- ches sagen. Ich bin ganz sicher, daß das ganze Haus verlässig finanziert ist und Gerechtigkeit gewährlei- gegen Ämterpatronage ist. stet.

(Zuruf von der SPD: Frage stellen!) (Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Sind Sie, wenn Sie hier mit dem Finger auf die eine Sie haben in den letzten Tagen den Beitrag zur Seite zeigen, bereit, mit uns zusammen auch einmal Rentenversicherung erhöht. Wir schlagen Ihnen vor, die Ministerien aller Bundesländer durchzugehen die Beiträge zur Rentenversicherung ausschließlich und zu sehen, wie do rt die Ämter verteilt sind? an den Leistungen zu bemessen, für die Beiträge ein- gefordert worden sind und in Zukunft eingefordert (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - werden. Wir schlagen Ihnen vor, die versicherungs- Zuruf von der SPD: Fangen wir in Bayern fremden Leistungen auch aus der Rentenversiche- an!) rung herauszunehmen. Wir schlagen Ihnen vor, eine soziale Grundsicherung zu ermöglichen, die das bü- 1st es nicht so, daß, wenn Sie mit einem Finger auf rokratische Nebeneinander des heutigen Sozialstaats die eine Seite zeigen, drei Finger auf Sie zurückzei- in Würde und zur Sicherung der Freiheit der betroffe- gen? nen Menschen durchforstet. Wir schlagen Ihnen das ausdrücklich vor. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Zuruf von der CDU/CSU: Mindestens!) (Beifall bei der SPD)

Wir schlagen Ihnen vor, das Steuerrecht zu durchfor- Rudolf Scharping (SPD): Verehrter Herr Kollege sten, es an Leistung und Gerechtigkeit zu orientieren Hirsch, zunächst ein Wo rt zu mir selbst: Ich, der ich und den Dschungel wegzuschaffen, den das heutige diesen Vorwurf erhebe, habe in dem öffentlichen Steuerrecht darstellt. Amt, das ich dreieinhalb Jahre bekleidet habe, Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie ha- (Zuruf von der CDU/CSU: Viel zu lange!) ben sich in den letzten Wochen heftig wegen der Senkung des Solidaritätszuschlages gestritten. Ich in der Staatskanzlei von Rheinland-Pfalz zwei Abtei- will Sie von dieser Stelle ausdrücklich davor warnen, lungsleiter weiterbeschäftigt, die mir ihre Entfernung einen faulen Kompromiß zu suchen nach dem Motto: aus dem Dienst angeboten hatten. Der Solidaritätszuschlag sinkt um x, und dafür wer- (Zurufe von der CDU/CSU) den zur Finanzierung die Abschreibungsbedingun- gen verschlechtert. - Entschuldigung! Zunächst einmal reden wir hier über die Frage der persönlichen Glaubwürdigkeit. (Zustimmung bei der SPD) Ich werfe dieser Regierung vor, daß sie jede politi- Sie haben in der Vergangenheit schon häufig diesen sche und persönliche Glaubwürdigkeit verspielt hat. verhängnisvollen Ausweg gesucht. Sie haben die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Sachinvestitionen in Deutschland, die wir zur Schaf- ten der PDS) fung von Arbeitsplätzen dringend brauchen, immer zugunsten der bloßen Finanzanlage zu belasten ge- Es handelte sich um treue CDU-Mitglieder und sucht. - sehr gute Beamte. Ich habe überhaupt nichts dage- gen - wie sollte ich auch? -, daß es Menschen gibt, Dieser Weg darf nicht fortgesetzt werden. Statt die ihre politische Überzeugung in der CDU ausdrük- dessen sollten wir ein Steuerrecht entwickeln, das für ken. Das ist völlig in Ordnung. Ich habe aber etwas den Normalverdiener einfach, gerecht und durch- dagegen, daß der Brauch, der in dieser Regierung schaubar ist, niedrige Steuersätze enthält, die Steuer- Usus geworden ist, weiter gepflegt wird, subventionen und Steuervergünstigungen soweit wie möglich streicht und damit zu mehr Gerechtig- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja, beim keit, Durchsetzbarkeit und Durchschaubarkeit des Finanzminister!) Steuerrechtes beiträgt. nämlich daß vom Finanzminister bis zu den Abtei- Wir schlagen Ihnen eine neue Arbeitsmarktpolitik lungsleitern fortwährend Leute auf Positionen ge- vor. Der Deutsche Bundestag hat mit seiner Mehrheit setzt werden, die nicht die erforderliche Qualifika- etwas beschlossen, was vom Bundesrat vermutlich tion mitbringen, sondern die ausschließlich wegen nicht akzeptiert wird. Sie haben das Reform genannt. 12674 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Rudolf Scharping Sie haben das gute Wo rt der Reform durch ihre jahre- Im Rahmen eines modernen Sozialstaates wird die lange Tätigkeit immer weiter entwertet. Förderung von Familien und Kindern besser sein, als sie heute ist. Es war schon ein schlimmer Kampf, die (Beifall bei der SPD) Förderung der Familien zu verbessern und das Kin- Da Sie auf der Suche nach den Sündenböcken dergeld von 70 DM auf 200 DM anzuheben. häufig auf den Bundesrat zu sprechen kommen, will ich Ihnen folgende Zahl zur Kenntnis geben. Der Lassen Sie mich das einmal so sagen: Die Regie- Bundesrat hat bei genau 31 von 201 Gesetzesbe- rungspolitik hat viele Mängel. Sie werfen uns immer schlüssen des Bundestages den Vermittlungsaus- vor, alternativlos zu sein. Ich setze unsere Vorschläge schuß angerufen. Das sind 15 Prozent der hier im dagegen. Ich füge hinzu: Der einzige Erfolg, mit dem Bundestag verabschiedeten Gesetze. In der Wahlpe- Sie sich schmücken können, ergibt sich aus der Be- riode 1972 bis 1976 wurde er bei 20 Prozent, harrlichkeit der Sozialdemokratie in Bund und Län- dern. Wir haben ein höheres Kindergeld durchge- (Zurufe von der SPD: Hört! Hört!) setzt. Wir haben den steuerlichen Grundfreibetrag in der Wahlperiode 1976 bis 1980 bei 22 Prozent an- durchgesetzt. Das ist-unser Erfolg, und es war in den gerufen. letzten zwei Jahren der einzige Erfolg für die Zu- kunft des Landes. (Zurufe von der SPD: Aha!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Von den 31 Anrufungen des Vermittlungsausschus- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ses wurden 19 von den CDU/CSU-regierten Ländern initiiert oder unterstützt. Meine Damen und Herren, ich warne Sie davor, (Zurufe von der SPD: Hört! Hört!) das bewährte Gesundheitswesen in Deutschland zu zerschlagen. Ich sage das auch mit Blick auf die Beratungen des neuen Arbeitsförderungsgesetzes: Wissen Sie, was (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Sie hier anrichten? Sie machen 300 000 bis 400 000 ten der PDS) Menschen zusätzlich arbeitslos. Sie gehen ein hohes menschliches, ein hohes politisches und übrigens für Was Herr Seehofer tut, ruiniert die Selbstverwaltung, Ihren Haushalt auch ein hohes finanzielles Risiko es ruiniert die Freiheit und die Verantwortung der ein. Das halten wir für falsch. am Gesundheitswesen Beteiligten. Es ruiniert die Qualität der medizinischen Versorgung. Sie werden Wir wollen, daß die Arbeitsmarktpolitik örtlich den entschlossenen Widerstand der SPD in Bund und verankert wird, daß die Tarifpartner an ihr beteiligt Ländern zu spüren bekommen: Wir wollen nicht, daß werden und daß die Gemeinden nicht zum Schuttab- man am Lächeln eines Menschen erkennen kann, ladeplatz Ihrer verfehlten Politik gemacht werden. wie dick sein Portemonnaie ist. Die Gesundheitsvor- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne sorge darf nicht von der Dicke des Po rtemonnaies der ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Menschen abhängig werden. und der PDS) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Wir wollen, daß im Rahmen einer solchen neuen Ar- ten der PDS) beitsmarktpolitik aus Leistungsempfängern wieder Leistungsträger werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Deutschland sind Verbesserungen möglich. Man Ich schlage Ihnen außerdem vor, im Rahmen dieser kann Arbeit schaffen und Ausbildung ermöglichen. Politik für mehr Investitionen, für die höhere Attrakti- Dazu ist es notwendig, die finanzielle Belastung der vität von Sachinvestitionen und für die Schaffung Arbeitsplätze zu senken. Dazu ist es notwendig, von Arbeitsplätzen die Gewerbekapitalsteuer und Recht und Ordnung am Arbeitsmarkt durchzusetzen. die Doppelbesteuerung bei der Vermögensteuer in Dazu ist die Beteiligung der Arbeitnehmer am Pro- einem Zug zu beseitigen. Die SPD-Bundestagsfrak- duktivkapital sinnvoll. tion ist bereit, die entsprechenden Änderungen des Grundgesetzes mitzutragen. Man kann einen modernen Sozialstaat befestigen Ich sage Ihnen ganz deutlich: Sie werden entschei- und erneuern. Dazu ist es notwendig, die- Lohnne- den müssen, ob die Attraktivität der Sachinvestitio- benkosten zu senken, die Sozialversicherungen von nen, die Attraktivität der Schaffung neuer Arbeits- versicherungsfremden Aufgaben zu befreien und plätze und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit den eine soziale Grundsicherung einzuführen. Dazu ist es höheren Stellenwert hat. Wenn Sie, wozu Sie angeb- notwendig, das Steuerrecht zu reformieren, und dazu lich entschlossen sind, über die Abschaffung der ge- ist es notwendig, für die Fami lien, für die Kinder und samten Vermögensteuer den finanziellen Spielraum deren Zukunft mehr zu tun als bisher. verbrauchen, den wir für neue Arbeitsplätze und bessere Sachinvestitionen benötigen, dann ist das Man kann in Deutschland Fortschritt ermöglichen. Ihre alleinige Verantwortung. Wir machen Ihnen offi- Dazu ist es notwendig, die Innovationen und die Aus- ziell dieses Angebot. Gehen Sie darauf ein! bildung zu stärken, die Ängstlichkeit vor neuen Ent- wicklungen zu besiegen sowie Mut und Hoffnung zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne machen. Wir brauchen die besten Schulen - übrigens ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auch die besten Hochschulen der Welt -, wenn wir und des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS]) uns in Zukunft behaupten wollen. Es geht nicht Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12675 Rudolf Scharping darum, billiger zu sein als andere. Es geht darum, schlag, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag um ein besser zu sein als andere. Drittel Prozentpunkt und den Rentenversicherungs- beitrag um einen Prozentpunkt zu senken. Offenbar (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne sollen die Leistungen auf den Bundeshaushalt über- ten der PDS) tragen werden. Das sind 40 Milliarden DM, die wir Globalisierung ist eine Herausforderung, kein Anlaß durch Steuern finanzieren müssen. für innergesellschaftliche Konfrontation. Europäische (Zuruf von der SPD) Integration ist die Antwort auf die Erfahrungen der Geschichte und das einzig wirksame Zukunftskon- - Doch, das haben Sie gesagt. zept. Dann haben Sie gesagt, man solle das auch durch Ein modernes Deutschland, das seine Menschen den Abbau von Subventionen finanzieren. Aber da wieder ernster nimmt, gibt im eigenen Land die warte ich noch immer auf die Antwort von Herrn La- beste Antwort. Chancen zu managen, anstatt Risiken fontaine - die er mir in der letzten Debatte verwei- aufzuhäufen, Vertrauen zu stärken, anstatt Mißmut gert hat -, warum Sie im Bundesrat den Abbau von über die Politik zu fördern, die Sicherheit zu kräfti- Steuervergünstigungen für Schiffbau und Flugzeuge gen, anstatt Ängste auszunutzen - es gibt einen bes- blockiert haben. seren Weg. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl, Sie haben diesem Land 14 Jahre mit einem sehr gemischten Er- Zweitens haben Sie gesagt, man solle eine Ausbil- gebnis zu dienen versucht. Eines aber ist klar: Ihre dungsplatzabgabe einführen. Darüber wird zu disku- Zeit läuft ab. tieren sein; ich will mich gleich damit auseinander- setzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Günter Verheugen [SPD]: Das Wo rt ist überhaupt nicht gefallen! Wo haben Sie es Die Zeit einer Regierung, die seit der deutschen Ein- gehört?) heit - mehr, als jemand ahnen konnte - Menschen belastet und Hypotheken für die Zukunft aufgehäuft - Entschuldigung, Sie haben das doch gerade be- hat, geht zu Ende. schlossen. Wir wollen für die Menschen in Deutschland einen (Günter Verheugen [SPD]: Das ist gar nicht realistischen, einen hoffnungsvolleren, einen besse- wahr! - Lachen bei der CDU/CSU und der ren Weg. Er ist möglich, und er wird durchgesetzt F.D.P.) werden, spätestens 1998. - Das ist ja noch schöner. (Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall Verzeihen Sie, Herr Kollege Scharping: Ihr zweiter bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Vorschlag war, die Lasten der Ausbildung finanziell DIE GRÜNEN und der PDS - Zurufe von gleichmäßiger zu verteilen. der SPD: Kohl muß weg!) (Zurufe von der SPD: Aha! - Richtig!)

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt Das haben wir bisher als Ausbildungsplatzabgabe der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Wolf- verstanden. So haben Sie es am Montag beschlossen. gang Schäuble. (Günter Verheugen [SPD]: Nein, keine Ahnung!) Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) (von der CDU/ CSU sowie von Abgeordneten der F.D.P. mit Beifall - Sie haben offenbar ein schlechtes Gewissen gegen- begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da- über Ihren eigenen Vorschlägen. So ist es wohl. men und Herren! Herr Kollege Scharping, ich habe (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU versucht, aufmerksam zuzuhören und der F.D.P. - Günter Verheugen [SPD]: (Zuruf von der SPD: Aber nur versucht!) Nein, hören Sie doch zu!) - - - aber mein Versuch hat weiter getragen als bei Ih- Herr Verheugen, bitte geben Sie Ihr Schreien einen nen; ich habe genau gezählt, wie viele Wörter ich bis Moment auf! Sie haben das beschlossen, und Sie ha- zu Ihrem ersten Zwischenruf aussprechen kann -, ben es hier in die Debatte eingeführt. aber viel Neues habe ich nicht zu hören bekommen. Ihr dritter Vorschlag war, Sachinvestitionen steuer- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - lich zu entlasten. Dann sollten wir nun wirklich end- lich die Gewerbekapitalsteuer und die Vermögen- Günter Verheugen [SPD]: Ihr Anfang ist steuer abschaffen. auch nicht neu!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich will, damit wir uns darüber verständigen kön- nen, in Kürze das rekapitulieren, was Sie vorgeschla- Als viertes haben Sie vorgeschlagen, Bund und gen haben, und mich dann damit auseinandersetzen. Länder sollten ein gemeinsames Programm für die Sie haben vieles ein paarmal genannt, insbesondere Hochschulen machen. Wir werden über das Hoch- die versicherungsfremden Leistungen in der Arbeits- schulrahmengesetz und dergleichen mehr miteinan- losen- und Rentenversicherung. Es war Ihr Hauptvor der reden. Wenn es da Bereitschaft gibt, ist das gut. 12676 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Dr. Wolfgang Schäuble Darüber, daß in den Hochschulen vieles verbesse- Nein, wir müssen die Wachstumskräfte stärken, Frau rungsfähig ist, besteht Konsens. Aber die prioritäre Kollegin Matthäus-Maier. Wir müssen wettbewerbs- Verantwortung der Bundesländer für die Bildungspo- fähiger werden. Deswegen sind am Anfang Vertei- litik steht außer Frage. lungsdebatten falsch. Dann haben Sie in diesem Zusammenhang gesagt, Ich glaube nicht, daß die Antworten der politischen die Bundesrepublik Deutschland sei zur geistigen Linken auf die Probleme unserer Zeit die richtigen Provinz verkommen. sind. Ihre Antwort auf ein entdecktes Problem ist noch immer, neue Steuern und Abgaben, noch mehr (Zuruf von der SPD: Das stimmt!) Bürokratie und noch mehr kollektive Regelungen zu Herr Scharping, ich weiß nicht recht, ob man wirk- fordern. lich auf diesem Niveau diskutieren sollte. Ich wi ll das - einmal so stehenlassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist ja dummes Als nächstes - und damit waren Ihre Vorschläge zu Zeug! - Weiterer Zuruf von der SPD: Wer Ende, wenn ich aufmerksam zugehört habe - haben hat denn die Steuern erhöht?) Sie gesagt, man solle im öffentlichen Dienst Spitzen- positionen auf Zeit vergeben. - Aber natürlich! (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Nicht (Rudolf Scharping [SPD]: Sie sind doch der nur da!) Steuererhöher!) Auch darüber kann man mit Fug und Recht unter- Wenn Sie das Problem mangelnder Ausbildungs- schiedlicher Meinung sein. Aber das Argument der- plätze in unserem Lande durch eine neue Abgabe lö- jenigen, die gegen die Vergabe von Spitzenpositio- sen wollen, dann ist das der Ruf nach neuen Abga- nen im öffentlichen Dienst auf Zeit sind, ist doch, daß ben und noch mehr Bürokratie. man besorgt ist, daß dadurch die Einfallstür breiter wird, um nach parteipolitischen und nicht nach sach- (Dr. Peter Struck [SPD]: So ein Quatsch!) lichen Gesichtspunkten Spitzenpositionen zu verge- ben. Das Ergebnis werden weniger Ausbildungsplätze sein. Herr Kollege Scharping - der Kollege Hirsch hat es Ihnen in seiner Zwischenfrage gesagt -, daß die So- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge zialdemokraten aber gegenüber CDU/CSU und ordneten der F.D.P. - Günter Verheugen F.D.P. in der Parteibuchpersonalwirtschaft einen [SPD]: Er begreift es nicht!) Nachholbedarf hätten, haben wir heute wirklich zum erstenmal gehört. Lächerlicher kann man sich nicht Sie sind mit Ihren kollektiven, zentralistischen und machen. bürokratischen Lösungsversuchen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Lachen bei der SPD)

Die Probleme sind ja seit der letzten Debatte die- weit hinter dem Stand der gemeinsamen Gespräche selben geblieben. Wir haben eine zu hohe Arbeitslo- zwischen Bundesregierung, Wi rtschaft und Gewerk- sigkeit und ringen um die Antwort auf die Frage, wie schaften zurück. Sie haben im übrigen im Januar viel wir in unserem Land auf Veränderungen reagieren Kraft investiert, um die Gewerkschaften von dem können und müssen, die in der Gesellschaft, in der Weg des Dialogs und von der Diskussion mit Wi rt industriellen Arbeitswelt und in der Welt um uns -schaft und Bundesregierung abzuhalten. herum stattfinden: die Globalisierung der Wi rtschaft, die technologische Revolution, die zum Wegfall von (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Arbeitsplätzen führt, und die Veränderung in der Al- ordneten der F.D.P. - Ecka rt Kuhlwein tersschichtung unserer Bevölkerung, die man demo- [SPD]: Das ist Geschichtsklitterung!) graphische Entwicklung nennt. Diese Fragen sind geblieben, nur finde ich, Ihre Antworten werden von Ich will es Ihnen an einem Beispiel zeigen. Die ge- Debatte zu Debatte noch älter. meinsame Erklärung von Bundesregierung,- Spitzen- repräsentanten der Wirtschaft und der Gewerkschaf- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ten kann gar nicht oft genug in Erinnerung gerufen ordneten der F.D.P.) werden: Politik, Regierung und Parlament, die Wi rt -schaftsverbände, die Gewerkschaften und die Tarif- Es macht wirklich keinen Sinn - das haben Sie im ner haben sich ja zur Erhöhung der Chancen für steuerpolitischen Teil Ihrer Ausführungen wieder ge- part mehr Arbeitsplätze am 23. Januar 1996 gemeinsam tan -, wenn wir auf solche dramatischen Herausfor- darauf verständigt, was jeder in seinem Bereich zu derungen in unserem Lande in erster Linie mit Ver- tun hat. Die Politik kann die Arbeitsplätze nicht teilungsdebatten antworten. Wir brauchen mehr zum schaffen. Sie kann die Rahmenbedingungen gestal- Verteilen und nicht eine Verteilungs- und Neid- ten. In jener gemeinsamen Erklärung ist festgehalten debatte in unserem Lande. worden, was jeder tun soll. Wir, die Koalition aus (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - CDU/CSU und F.D.P., haben Schritt für Schritt und Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie verteilen Punkt für Punkt umgesetzt, was in jener gemeinsa- um!) men Erklärung vom Januar festgehalten worden ist. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12677 Dr. Wolfgang Schäuble Soweit wir durch den Bundesrat nicht blockiert wor- Jetzt hören Sie zu: Dann hat die Frau den sind, ist es inzwischen auch Gesetz geworden. ... ein Schmuckstück und der Juwelier 10 000 (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - DM. Dieser geht zum Installateur und erwirbt für Zuruf von der SPD: Das ist doch nicht wahr, 10 000 DM eine neue Badezimmerausstattung. auch wenn Sie es hundertmal behaupten!) Der Installateur hat die 10 000 DM und der Juwe- lier die neue Badezimmerausstattung. Der Instal- Der Schlüsselpunkt in jener gemeinsamen Erklä- lateur trägt sein Geld zum Anstreicher und läßt rung - das ist auch meine Überzeugung - ist die Ver- seine Wohnung renovieren. Der Anstreicher hat ringerung des öffentlichen Anteils am Bruttoinlands- die 10 000 DM und der Installateur eine neu reno- produkt, also die Verringerung der sogenannten vierte Wohnung. Staatsquote, die der Bund, die Länder, die Gemein- den und die Sozialversicherungen in unserem Land (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der in Anspruch nehmen. Als Ziel steht in der gemeinsa- F.D.P.) men Erklärung, daß die Staatsquote bis zum Jahr 2000 auf einen Stand zurückgeführt werden muß, Der Anstreicher kauft seiner Frau einen Kleinwa- den wir vor der Wiedervereinigung erreicht hatten. gen für 10 000 DM. Der Autohändler hat 10 000 DM. Die Frau des Anstreichers hat ein neues Sie wissen, daß wir in den achtziger Jahren, seit Auto. dem Amtsantritt der Regierung Helmut Kohl, die Staatsquote von über 50 Prozent auf 45,7 Prozent im Und so weiter. So Lafontaine am Montag dieser Wo- Jahre 1989 zurückgeführt haben. Diesen Stand müs- che. Mein lieber Mann! sen wir wieder erreichen. Das geht aber nur, indem (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU wir bei den Ausgaben von Bund, Ländern, Gemein- und der F.D.P. - Zurufe von der SPD - Zuruf den und Sozialversicherungen kürzertreten. Was das des Ministerpräsident Oskar Lafontaine Kürzertreten bei Ausgaben anbetrifft, machen Sie [Saarland]) nicht einen einzigen Vorschlag, auch nicht in Ihrer Rede. Sie machen andere Finanzierungsvorschläge, - Ja, das ist vollständig. aber keine Sparvorschläge. So können wir die Staats- quote nicht senken. (Zuruf von der SPD: Was haben Sie denn dagegen?) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - Das will ich Ihnen sagen: Das ist die Geschichte Auf welcher Basis Ihre Vorschläge beruhen, kann von Hans im Glück. man wunderbar an der Rede erkennen, die der SPD- Vorsitzende Lafontaine auf dem Parteitag der SPD (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU am Montag dieser Woche gehalten hat. und der F.D.P. - Michael Glos [CDU/CSU]: Mexikanische Wirtschaft!) (Zuruf von der SPD: Das war eine gute Rede!) Wissen Sie, was in der Realität passiert? Wenn der Mann, der die 10 000 DM hat, das Schmuckstück - Das ist ja in Ordnung; ich will gerade daraus zitie- kauft, dann hat der Juwelier nicht einmal mehr 5 000 ren. DM, nachdem er Steuern und Abgaben bezahlt hat. (Rudolf Scharping [SPD]: Lesen Sie sie (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der ruhig ganz vor!) F.D.P.) - Nein, Herr Scharping, das wäre ein bißchen zuviel Wenn der Juwelier anschließend von den 4 000 DM, verlangt. Wir haben vorhin Ihre Rede ruhig angehört. die ihm verbleiben, Wenn ich jetzt die ganze Rede von Lafontaine verle- (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Dann hat er sen würde, wäre das ein bißchen viel. Glück gehabt!) (Zurufe von der SPD) eine Badezimmerausstattung kauft, dann bleiben - Hören Sie doch einen Moment zu! dem Installateur von diesem Geld noch ungefähr 1 500 DM. (Peter Dreßen [SPD]: Wir hören zu!) (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der In dem verteilten Exemplar des Manuskripts dieser F.D.P.) Rede von Herrn Lafontaine, die an die jungen Men- schen gerichtet war, ist auf der letzten Seite zu lesen: Wenn der Installateur sich von diesem Betrag einen Anstreicher leistet, bekommt er dafür höchstens eine Laßt mich an einem Beispiel erklären, worum es Wand bemalt. Dem Maler bleiben dann vielleicht geht: Nehmen wir an, .. . noch 500 DM. - dann nennt er einen Namen; den nenne ich jetzt (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU nicht, irgend jemand - und der F.D.P.) habe 10 000 DM. Er steckt sie nicht in den Spar- Das, verehrter Herr Ministerpräsident Lafontaine, strumpf oder trägt sie auf die Bank, sondern kauft ist die Geschichte von Hans im Glück, der vor lauter seiner Frau ... ein schönes Schmuckstück. Torheit aus einem Klumpen Gold einen Stein ge- 12678 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Dr. Wolfgang Schäuble macht hat und zum Schluß auch noch froh war, daß Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Bitte sehr. er ihn los war. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Kollege Schäu- F.D.P.) ble, wollen Sie mir nicht zustimmen, daß das, was Sie gerade vorgetragen haben, nicht die Geschichte von Kennen Sie die Ursache, warum es nicht so funk- Hans im Glück ist, sondern die Folge Ihrer un- tioniert, wie Sie es beschrieben haben? Weil die gehemmten Erhöhung der Steuern und Abgaben Staatsquote zu hoch ist. Ein großer Teil geht an Steu- auf ein Rekordniveau in diesem Land, das wir ern und Abgaben verloren. noch nie gehabt haben? Das letzte Beispiel ist die von Ihnen durchgesetzte Erhöhung des Renten- (Rudolf Scharping [SPD]: Aber wer hat versicherungsbeitrages, die dazu führt, daß die Erhö- denn die Steuern so hoch gesetzt? Sie hung des Kindergeldes um 20 DM, die wir erreicht waren es doch! - Weitere Zurufe von der haben, im nächsten Jahr nicht nur aufgezehrt wird, SPD) sondern ein doppelt so hoher Betrag gezahlt werden - Der Tatbestand bleibt doch unverände rt, daß sich muß. die 10 000 DM auf dem Weg vom Juwelier zum Auto- (Beifall bei der SPD und der PDS - Minister händler auf jeder Zwischenstation halbieren. präsident Oskar Lafontaine [Saarland]: (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar Genau das ist der Punkt!) land]: Warum haben wir denn die Steuern und Abgaben?) Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich bin in den Geschichten aus - Sie müssen ein bißchen ruhig sein. Grimms Märchen hinreichend bewande rt. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P. (Rudolf Scharping [SPD]: Das merkt man! - - Widerspruch bei der SPD) Weitere Zurufe von der SPD)

Sie dürfen von der Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Jetzt hat der Frak- Bundesratsbank keine Zurufe machen, Herr Lafon- tionsvorsitzende das Wo rt. Er antwortet auf die taine. Frage.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Wenn man ei- Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Wenn wir nen solchen Blödsinn redet, kann man nicht gegen nicht zur geistigen Provinz verkommen wollen, soll- die Hausordnung verstoßen und von der Bundesrats- ten wir wenigstens noch in Grimms Märchen zu bank Zwischenrufe machen. Hause sein. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU (Zuruf des Abg. Eckart Kuhlwein [SPD]) und der F.D.P.) - Jetzt hören Sie einmal mit Ihrer Schreierei auf, da- mit ich wenigstens die Frage Ihrer Kollegin beant- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das hatte ich ge- worten kann. Was ist das denn für ein Pöbelstil? rade bereits gesagt, Herr Schäuble. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Gestatten Sie eine Zwischenfrage? Die Geschichte von Hans im Glück ist natürlich nicht genau die Geschichte von Oskar Lafontaine. Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Ich möchte Die Geschichte geht auch gar nicht so glücklich aus. mit meiner Argumentation fortfahren. Sie zeigt ja, wie man durch Torheit Dinge ganz (Lachen bei der SPD) furchtbar falsch machen kann. Damit der Wirtschaftskreislauf besser funktioniert, Der ökonomische Hintergrund, Frau Matthäus- muß die Staatsquote abgesenkt werden. Maier, bleibt. Das wissen auch Sie. Wenn Sie 10 000 DM vom ersten Verbraucher über den Juwelier- zum (Rudolf Scharping [SPD]: Dann machen Sie Installateur, Maler und zum Autohändler tragen, das!) dann haben Sie eben nicht mehr 10 000 DM, sondern am Ende nicht einmal mehr 1 000 DM. Deswegen ist unsere Politik der Ausgabensenkung notwendig, damit wir mehr Arbeitsplätze und mehr Zum anderen sage ich: Die Staatsquote ist zu hoch. wirtschaftliches Wachstum bekommen. Sie muß gesenkt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Zurufe von der SPD: Ja! - Ingrid Matthäus Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar Maier [SPD]: Ich habe Sie gefragt, wer das land]: Mein lieber Mann!) zu verantworten hat!) - Ich gebe Ihnen wiederum die Antwort: 1982, beim Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Gestatten Sie jetzt Amtsantritt von Bundeskanzler Helmut Kohl, lag die eine Zwischenfrage der Kollegin Frau Matthäus- Staatsquote bei mehr als 50 Prozent; 1989 lag sie bei Maier? 45,7 Prozent. Nach 1990 liegt sie inzwischen in der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12679

Dr. Wolfgang Schäuble Folge der Wiedervereinigung - nicht wegen der Ver- Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Wenn er ver- einigung, sondern wegen 40 Jahren Teilung und So- spricht, daß seine Fraktion wenigstens während der zialismus - bei über 50 Prozent. Da kann sie nicht Antwort ruhig bleibt, dann kann er fragen. bleiben. Sie muß vielmehr gesenkt werden. Soweit (Dr. Peter Struck [SPD]: Das kann er nicht ist alles unstreitig. garantieren!) (Beifall bei der CDU/CSU und F.D.P.) - Das kann er nicht. Gesenkt werden kann sie nur auf einem einzigen Weg, indem nämlich die Ausgaben weniger stark an- Otto Schily (SPD): Herr Kollege Schäuble, weil Sie steigen als das gesamtwirtschaftliche Wachstum. Sie offenbar Gespräche mit Fidel Castro für unangemes- legen keine Sparvorschläge vor, sondern fordern nur sen halten, frage ich Sie: Halten Sie auch das Ge- Umfinanzierungen. spräch des Papstes mit Fidel Castro für unangemes- sen? (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Doch!) (Lachen bei der CDU/CSU) - Ich habe alle Vorschläge von Herrn Scharping ver- folgt. Sie haben es ja gerade gehört. Ich habe ja so- eben noch einmal, wie in der Schule, eine Zusam- Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Herr Kollege menfassung dessen gemacht, was er gesagt hat. Schily, ich will wiederholen, was ich gesagt habe. Ich habe doch überhaupt nicht kritisiert. Ich habe ledig- (Dr. Peter Struck [SPD]: Leider nicht!) lich gesagt, er war in Kuba. Warum finden Sie das schlimm? Ich habe mir überlegt, was er da wohl ge- Da kam kein einziger Sparvorschlag vor. Und dieje- tan hat. Ich habe vermutet, daß er ein Land sucht, mit nigen Sparvorschläge, die wir machen, blockieren dem wir auch dann noch wettbewerbsfähig wären, Sie. Deswegen geht das nicht zusammen. wenn die SPD ihre Wirtschaftspolitik verwirklichen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) könnte. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Man muß schon bei den dreien bleiben, also bei Scharping, Lafontaine und Schröder - er ist, wenn Ich will Ihnen gerne sagen, warum ich glaube, daß ich das richtig weiß, der wirtschaftspolitische Spre- dieser Weg nicht unsere fundamentalen Probleme cher der SPD. Dieser war - so habe ich gehört - kürz- löst. Unsere Probleme liegen darin - ich habe das lich in Kuba. Da hat er offenbar studiert, mit wel- schon gesagt -, daß wir angesichts dieser dramati- chem Land wir noch wettbewerbsfähig sind, wenn schen Veränderungen die Innovationskräfte stärken die SPD ihre Wirtschaftspolitik verwirklichen würde. müssen. Ich glaube eben nicht daran, daß man mit einer immer höheren Staatsquote, mit immer mehr (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU kollektiven Regelungen die notwendige Flexibilität, und der F.D.P. - Zurufe von der SPD: Oh!) die notwendige Dynamik, die notwendige Leistungs- Wegen der Zusammenarbeit mit Kommunisten hätte bereitschaft und Kreativität in unserem Lande errei- er ja nicht nach Kuba fahren müssen. Da hätte schon chen kann. Deswegen glaube ich, daß Ihre Antwor- eine Reise nach Magdeburg gereicht. ten alte Antworten sind, die uns nicht in die Zukunft führen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch etwas zu Ich habe im übrigen den Verdacht - vielleicht den- China und Ihrem Herrn Glos! - Weitere ken Sie, wenn nicht jetzt in der Debatte, dann hinter- Zurufe von der SPD) her darüber nach -, ob Sie in Wahrheit nicht selber in der Versuchung sind, den Menschen die Flucht aus der Modernität anbieten zu wollen. Schröder macht Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Die Erregung ist Stimmung gegen die europäische Einigung; daran jetzt hofffentlich vorbei. Ich denke, wir fahren mit der gibt es überhaupt keinen Zweifel. Sitzung fort . Ruhe jetzt! (Zuruf von der SPD: Auch Stoiber!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge - ordneten der F.D.P.) Lafontaine redet davon, daß der Standortwettbe- werb keine Lösung sei, schürt also die Ängste vor der Globalisierung. Aber Antworten auf den Stand- Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Herr Schar- ortwettbewerb geben sie damit nicht. Sie sagen den ping war letztens in Mexiko, Herr Schröder in Kuba. Menschen nur: Wenn ihr rückwärts schaut, da müßt Man kann nur schaudernd fürchten, wo Herr Lafon- ihr euch nicht den Herausforderungen der Zukunft taine demnächst landen wird. stellen. Aber die Zukunft kommt. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) F.D.P.) Deswegen führt kein Weg daran vorbei, daß wir uns um mehr Investitionen in unserem Land küm- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kollege mern müssen. Wir müssen für öffentliche wie für p ri Schäuble, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Investitionen sorgen. Öffentliche Investitionen-vate Kollegen Schily? heißt, nicht alles zu blockieren, auch vor Ort nicht, 12680 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Dr. Wolfgang Schäuble auch nicht durch Rot-Grün, sondern dafür zu sorgen, form schon dreimal gebracht, und jetzt hat es Herr daß sie wirklich stattfinden. P rivate Investitionen Scharping übernommen. Wenn Sie sich darüber em- heißt, die Rahmenbedingungen, insbesondere die pören, dann lassen Sie es doch bleiben. Lassen Sie steuerlichen, für Investitionen zu verbessern, und diese Art von Demagogie doch einfach bleiben! heißt, die Vermögensteuer und endlich auch die Ge- werbekapitalsteuer abzuschaffen. Wer das blockie- (Beifall bei der CDU/CSU - Zurufe von der ren will, der versagt sich den Antworten, die für die SPD) Gewinnung der Zukunft in unserem Land notwendig Was ist denn eigentlich aus der Ankündigung der sind. Ministerpräsidentenkonferenz vom 13. Juni 1996 (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge geworden? Die Regierungschefs der Länder werden ordneten der F.D.P.) gemeinsame Vorschläge für nachhaltig wirkende Einsparungen und einen Maßnahmenkatalog zum Wenn die Geschichte von Lafontaine einen Sinn Abbau von steuerlichen Vergünstigungen und Privi- machen soll, dann müssen wir den Leistungsaus- legien erarbeiten. Alles ist durch die SPD-Zentrale tausch verstärken, und das heißt Lohnzusatzkosten blockiert worden. Die Finanzminister, die Sparvor- und Regulierungen abbauen und nicht dafür sorgen, schläge erarbeiten wollten, sind auf ihrer Konferenz daß sie immer höher werden und alles blockieren. Es von Merseburg gescheitert, weil laut entsprechenden nützt mir keine Statistik, in wieviel Prozent der Ge- Agenturmeldungen die SPD-Minister an die Leine setze der Vermittlungsausschuß angerufen worden von Lafontaine gelegt worden sind. Das ist die Reali- ist. Die Wahrheit ist, daß Sie im Bundesrat allein für tät; und das müssen Sie aufgeben. den Bundeshaushalt 1996 Einsparungen in Höhe von 7 Milliarden DM und für den Haushalt 1997 in einer (Dr. Peter Struck [SPD]: Quatsch!) Größenordnung von 12 Milliarden DM blockiert ha- - Ja, natürlich. ben. Das Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur (Dr. Peter Struck [SPD]: Wer hat Ihnen denn Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwick- das aufgeschrieben?) lung hat klar gesagt, daß der Weg von Koalition und Das ist unverantwortlich, wenn wir die Lohnzusatz- Regierung, der schon in der gemeinsamen Erklärung kosten senken wollen. von Januar mit dem Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung aufgezeigt worden ist, der rich- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tige ist, daß er aber auch durchgesetzt werden muß. Der Vorsitzende des Sachverständigenrates ist ja ge- Die Wahrheit ist, daß wir den Rentenversicherungs- fragt worden. Das Gutachten können wir Punkt für beitrag nicht so stark hätten erhöhen müssen, wenn Punkt durchgehen. Da werden Sie jedenfalls keine Sie nicht die notwendigen Vorschläge im Vermitt- Bestätigung für Ihre Blockadepolitik erfahren, lungsausschuß blockiert hätten. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU - Lachen bei der DIE GRÜNEN]: Da stehen noch ganz SPD - Eckart Kuhlwein [SPD]: Das ist eine andere Sachen drin, in diesem Gutachten!) Lüge!) sondern eine Bestätigung für die Richtigkeit unserer - Sie werden noch wissen, welche Gesetze Sie im Politik. Bundesrat blockiert haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Günter Verheugen [SPD]: Welche Vor ordneten der F.D.P.) schläge?) Übermorgen steht im Bundesrat das Arbeitsförde- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Dr. Schäuble, rungsgesetz an. Wenn Sie es blockieren, werden wir gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Iwer- wieder eine weniger starke Senkung des Arbeitslo- sen? senversicherungsbeitrags bekommen, als es möglich wäre. Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Bitte sehr. Bei der Reform der gesetzlichen Krankenversiche- rung haben Sie die notwendigen Kosteneinsparun- - gen blockiert, die gesetzliche Beitragsentlastung ha- Gabriele Iwersen (SPD): Herr Dr. Schäuble, geben ben Sie verweigert. Deswegen macht das alles doch Sie zu, daß der Einfluß von SPD-Ministern entschie- keinen Sinn. den größer ist als der von CDU-Ministern? Im übrigen, Herr Scharping, ist es nicht o riginell, (Michael Glos [CDU/CSU]: In den Landes wenn Sie die Demagogie von Heim Gysi - mit einem regierungen ja!) Lächeln in seinem Gesicht - übernehmen. So weit muß die Zusammenarbeit zwischen SPD und PDS ja Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Wenn Sie die wirklich nicht gehen. Zahl von SPD-geführten Landesregierungen meinen, haben Sie derzeit leider recht. (Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD) (Ministerpräsident Oskar Lafontaine: Zehn!) - Es tut mir furchtbar leid: Genau dieses Argument Deswegen macht es auch wenig Sinn, daß man in der hat Herr Gysi in den Debatten zur Krankenkassenre Bildungspolitik die Bundesregierung angreift, wenn Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12681

Dr. Wolfgang Schäuble die Länder nicht genügend ihre Pflicht tun. Aber an- Es ist wirklich nicht zu fassen, in welchem Maße sonsten kann ich den Sinn Ihrer Frage nicht ganz er- das parteipolitisch-taktische Interesse der SPD inzwi- kennen. schen über die eigenen Länderinteressen und die ge- samtstaatliche Verantwortung der Bundesratsmehr- (Beifall bei der CDU/CSU) heit gestellt wird. Ich würde gerne Herrn Hax, den Vorsitzenden des (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Sachverständigenrats, zitieren, der im Westdeut- Joseph Fischer [Frankfurt ] [BÜNDNIS 90/ schen Rundfunk vor zwei Tagen auf die Frage „Was DIE GRÜNEN]: Da klatscht sogar die muß denn nach Ihrer Meinung die Bundesregierung F.D.P.!) ganz konkret tun, um die Wettbewerbssituation der deutschen Unternehmen zu verbessern?" geantwor- Wir werden diese Auseinandersetzung führen, und tet hat: An sich ist die Bundesregierung durchaus auf wir werden es Ihnen überhaupt nicht ersparen, daß dem richtigen Weg. - Als er dann gefragt wurde: wir Ihren Anteil an der Verantwortung herausstellen. „Also weitermachen wie bisher?", hat er gesagt: „Weitermachen wie bisher" heißt, das, was bisher Sie werden uns nicht davon abhalten, das Notwen- geplant worden ist, oder das, was bisher als Pro- dige zu tun. Wir werden auch die Möglichkeiten nut- gramm angelegt worden ist, auch realisieren, was zen, die wir haben. nun allerdings nicht allein in der Macht der Bundes- (Lebhafte Zurufe von der SPD) regierung steht. Was heute zum Beispiel in der Steu- erpolitik geschieht, liegt ja nun in der Blockade, die - Ja nun, das muß man der Bevölkerung auch einmal im Bundesrat eingetreten ist. erklären. Die Bevölkerung versteht zum Teil nicht, warum das alles so lange dauert. Wir wären mit der (Dr. [CDU/CSU]: Er sagt die Krankenkassenreform längst fertig, wenn die SPD Wahrheit! - Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: nicht aus parteipolitischen Gründen eine Politik der Das hat er gesagt!) verbrannten Erde betrieben hätte. Wir wissen heute zum Beispiel noch nicht, ob in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - den neuen Bundesländern ab 1. Januar 1997 sogar Widerspruch bei der SPD) eine neue Steuer, nämlich die Gewerbekapital- steuer, eingeführt werden muß, was wirklich ein Deswegen müssen wir jetzt eine gesetzliche Neu- Schildbürgerstreich wäre, was aber zwangsläufig so regelung schaffen, die nicht der Zustimmung des sein wird, wenn es nicht bald zu einer Entscheidung Bundesrates bedarf, weil dies der einzige Weg ist, kommt. um sicherzustellen, daß unser im Hinblick auf seine Leistungsfähigkeit weltweit führendes Gesundheits- Das ist in dürren Worten die Folge Ihrer Blockade- system auch in der Zukunft bezahlbar bleibt. Ande- haltung, und diese müssen Sie aufgeben, wenn es renfalls wird es nämlich in der Zukunft nicht mehr um die Zukunft geht. führend sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Zuruf von der SPD: Behinderte belasten, das wollen Sie!) Wir brauchen auch im p rivaten Bereich mehr Lei- stungsaustausch. Das Beispiel vom Juwelier über - Nein, das tun wir ja nicht. den Installateur bis hin zum Maler hat viel mit priva- tem Bereich zu tun. Um Himmels willen, verehrte (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Kolleginnen und Kollegen, warum blockieren Sie DIE GRÜNEN]: Wer hat Sie denn gehin noch immer die steuerliche Absetzbarkeit der Be- dert? Es war doch der Finanzminister selbst, schäftigung regulärer Arbeitskräfte in privaten der das Gutachten weggeworfen hat!) Haushalten? Das ist bei der Beschäftigungssituation Dasselbe gilt für die Steuerpolitik. Wir werden in unserem Lande doch wirklich ein Skandal. Schritt für Schritt da, wo unsere Möglichkeiten sind, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Steuersenkungen durchsetzen. Ministerpräsident Oskar Lafontaine: Es ist (Zuruf von der SPD: Wo denn?) nicht zu fassen!) - - Ja, natürlich; - Herr SPD-Vorsitzender Lafontaine, es ist wirklich nicht zu fassen. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir mußten doch den (Ministerpräsident Oskar Lafontaine: Sie Finanzminister zum Jagen tragen, aber ja haben keine Ahnung, was im Bundesrat los doch!) ist!) das sollte man bei der Gelegenheit auch noch einmal - Ich lese Ihnen gelegentlich Protokolle Ihrer eigenen den Zuhörern sagen. Reden aus dem Bundesrat vor, wo Sie gegen Steuer- subventionen argumentieren und anschließend als (Zuruf von der SPD: Ihnen hört doch Vertreter des Saarlandes den Abbau von Subventio- sowieso niemand mehr zu! - Joseph Fischer nen ablehnen. Sie haben mir beim letzten Mal eine [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Antwort versprochen; Sie sind sie bis heute schuldig Ihr hättet schon längst handeln können, geblieben. wenn ihr gewollt hättet!) 12682 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Dr. Wolfgang Schäuble - Ich weiß schon, daß Sie, der Sie den Zwischenruf Angesichts der Herausforderung werden wir das machen, alles daransetzen, daß das Zuhören schwer- alles nicht schaffen, indem wir Ängste vor der euro- gemacht wird. Aber Sie werden es nicht schaffen; päischen Einigung schüren oder sagen: Wir steigen bleiben Sie ganz ruhig. aus dem weltweiten Wettbewerb aus. Das ist keine Antwort. Vielmehr müssen wir unser Land für die Im Jahre 1996 sind die Steuereinnahmen von Herausforderungen der Zukunft zurüsten. Bund und Ländern insgesamt um etwa 18 Milliarden DM gesenkt worden, zwei Drittel davon zu Lasten (Zuruf von der SPD: Zurüsten?) des Bundeshaushalts: im Saldo, alles gegengerech- net. Im Jahr 1997 werden die Steuereinnahmen von - Das heißt, daß man auf die größere Effizienz der Ei- Bund und Ländern in einer Größenordnung von 7 bis genverantwortung, der freiwilligen Solidarität, auf 8 Milliarden DM - das Vermittlungsverfahren steht das Subsidiaritätsprinzip, setzen muß. Der Weg in noch aus - gesenkt werden, gut die Hälfte zu Lasten kollektivistische Lösungen ist 1989 vor den Augen des Bundes, weil der Familienleistungsausgleich er- der ganzen Welt sichtbar an zu geringer Effizienz ge- höht wird. scheitert. Aber eines sage ich Ihnen auch: Die Vermögen- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) steuer wird ab 1. Januar nächsten Jahres nicht mehr erhoben werden. Sie können machen, was Sie wol- Wenn Sie die Menschen von der Verantwortung len, wir werden diese investitions- und damit auch für die Nächsten, für die Probleme in Europa und in arbeitsplatzfeindliche Steuer, die wir jetzt ohne Ihre dieser Welt immer mehr entbinden wollen, wenn Sie Zustimmung abschaffen können, abschaffen. Sie sie vor lauter Förderung unterfordern, dann werden wird wegfallen. Sie nicht die Wachstumskräfte stärken, die wir brau- chen, um auf dem Weg in das nächste Jahrhundert (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - erfolgreich zu sein. Lebhafte Zurufe von der SPD) Wir werden die gesetzlichen Krankenkassen so re- Wenn wir darin, auf die Zukunftsfragen angemes- formieren, daß unser leistungsfähiges Gesundheits- sene, nicht immer bequeme Antworten zu geben, system auch in der Zukunft bezahlbar bleibt, und Sie versagen, weil wir zu feige sind, der Wahrheit ins werden uns daran nicht hindern. Auge zu sehen, dann werden wir die Grundlagen un- serer demokratischen Ordnung gefährden; denn (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) auch die Grundlagen unserer Freiheitsordnung müs- sen immer wieder neu bewahrt werden. Nichts in Wir werden Ihnen für 1998 den nächsten Schritt zu diesem Leben ist auf Dauer gesichert. maßvollen Steuerentlastungen vorschlagen, (Dr. Peter Struck [SPD]: Da bin ich ja einmal Deswegen finde ich, daß Ihre Blockadepolitik zum gespannt!) Beispiel im Bereich der inneren Sicherheit unverant- wortlich ist. Geben Sie doch endlich den Widerstand und wir werden für 1999 eine grundlegende Reform gegen die Einführung der Hauptverhandlungshaft unseres Lohn- und Einkommensteuerrechts vor- auf, damit wir die Täter, die auf frischer Tat ertappt schlagen. Wenn Sie die blockieren wollen, dann wer- werden, gleich hinter Schloß und Riegel bringen den wir darüber Wahlkampfauseinandersetzungen können! führen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir werden bis zum Frühjahr Vorschläge vorlegen, wie wir das bewährte System unserer gesetzlichen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Dr. Schäuble, Alterssicherung auch für die Zukunft krisenfest, si- gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin cher und stabil machen. Aber auch das geht nicht mit Sonntag-Wolgast? Nichtstun und Blockade. Wenn die Menschen heute doppelt so lange im Ruhestand sind wie noch vor ei- ner Generation, wenn sich das Verhältnis von Jünge- Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Bitte sehr. ren und Älteren in kurzer Zeit so verändert, dann kann die Lebensarbeitszeit nicht immer weiter absin- Dr. Cornelie Sonntag - Wolgast (SPD): Herr Kollege ken, dann muß die Ausbildungszeit, wofür die Län- Schäuble, sind Sie sich eigentlich im klaren darüber, der zuständig sind, verkürzt werden, und das Ren- daß Ihre soeben entwickelte Philosophie der freiwilli- teneintrittsalter muß allmählich angehoben werden. gen Solidarität und das, was ich sonst noch alles hö- Es hat doch keinen Sinn, die Wirklichkeit zu be- ren mußte, eine Kampfansage an das Prinzip der Soli- streiten. Angesichts der Veränderungen, die ja eine dargemeinschaft ist und ihr Schaden bereitet? erfreuliche Ursache haben - die Menschen dürfen länger und in besserer Gesundheit leben -, müssen (Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der wir durch entsprechende Anpassungen dafür sorgen, CDU/CSU und der F.D.P.) daß auch in Zukunft die Rente sicher ist. Wir werden die Vorschläge dafür erarbeiten, vorlegen und auch (CDU/CSU): Frau Kollegin durchsetzen. Dr. Wolfgang Schäuble Sonntag-Wolgast, ich habe davon gesprochen, daß (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wir die Staatsquote wieder auf den Stand zurückfüh- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12683

Dr. Wolfgang Schäuble ren wollen, den wir vor der Wiedervereinigung er- Ich will Ihnen noch etwas sagen: Diese Miesma- reicht hatten. cherei, als wären wir am Ende aller Zeiten angelangt und als wäre alles nur noch Not und Elend - - (Zuruf der Abg. Dr. Cornelie Sonntag-Wol- gast [SPD]) (Zurufe von der SPD) - Nein, nein. Entschuldigung, wenn man die geistige Provinz nicht will, muß man wenigstens die Sätze, - Nein, Sie verweigern jede Antwort hinsichtlich der die vor fünf Minuten gesagt wurden, noch in Erinne- Zukunft. rung behalten. (Widerspruch bei der SPD) Ich habe gesagt, wir wollen auf das vor der Wie- dervereinigung erreichte Niveau zurück. Dies ist Sie blicken zurück auf die alten Lösungen. das gemeinsame Ziel von Wirtschaft, Gewerkschaft und Bundesregierung. Daß Sie dies zur Kampfan- Ich weiß, wo es anstrengend ist; ich bin im sage an die Institution unseres Sozialstaats machen Schwarzwald zu Hause. Zu der Zeit, als ich noch wollen, kann ich beim besten Willen nicht nachvoll- wandern konnte, wußte ich schon: Bergauf ist es an- ziehen. Entweder haben Sie nicht zugehört, oder Sie strengender als bergab. Deswegen bieten Sie den wollen mich bewußt mißverstehen; auch das wäre bequemen Weg und die bequemen Ausreden. Das schade. sind aber keine Lösungen, die uns voranbringen. Bergauf ist es anstrengend; aber es ist eine unge- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: So heuer faszierende Aufgabe. ist es!) Auch das sage ich Ihnen am Ende dieses Jahrhun- Ich habe gerade davon gesprochen, daß wir unsere derts: Warum reden Sie den Menschen, auch den bewährte Rentenversicherung für die Zukunft sicher jungen Menschen, eigentlich ein, alles sei nur Ar- machen wollen. Das geht aber nicht durch Nichtstun, mut, Not, Elend und ohne Chancen? Die Wahrheit ist auch nicht durch solche ahnungslosen Zwischenfra- etwas anders. Die Wahrheit ist daß wir am Ende die- gen. Das geht nur, indem man handelt. ses Jahrhunderts mit materiellen Voraussetzungen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) leben dürfen, die uns größere Chancen für die Zu- kunft geben, als sie je eine Generation vor uns ge- Ich habe davon gesprochen, daß wir das weltweit habt hat. beste System gesundheitlicher Fürsorge und Vor- sorge haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Widerspruch bei der SPD) Die Wahrheit ist, daß wir vor großen Herausforde- - Aber natürlich, wir haben in der medizinischen rungen stehen, weil der Wettbewerb härter wird. Versorgung mit den höchsten Leistungsstand. Das Aber es gibt nicht den geringsten Grund zur Resi- kann man doch nicht im Ernst bestreiten. gnation; sondern es gibt viel Grund zu Dankbarkeit, es gibt viel Grund zu Zuversicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dies wollen wir für die Zukunft erhalten. Ich finde, es ist eine faszinierende Aufgabe, uns am Ende dieses Jahrhunderts nach den großartigen Das aber geht eben nicht mit den Antworten, die Veränderungen, die Frieden und Freiheit in ganz Eu- Sie geben. Ihr Weg führt in die Ineffizienz. Ihr Weg ropa gebracht haben, den Problemen dieser einen führt dazu, wie das Beispiel von Lafontaine zeigt - er Welt zu stellen, wirklich dafür einzutreten, daß wir hat die 10 000 DM so schnell verspielt, daß nichts uns für diese eine Welt verantwortlich fühlen, in der mehr übrigbleibt -, daß die Grundlagen unseres So- Entfernungen geringer geworden sind und Grenzen zialstaats gefährdet werden. aufgehoben werden.

Damit dies nicht geschieht, brauchen wir ein Stück Da muß man aber auch Antworten geben; da muß weit mehr Engagement, ein Stück weit mehr Dyna- man um die Stabilität der Grundlagen für die Zu- mik, ein Stück weit mehr freiwillige Solidarität. Man kunft ringen. Das kann man nicht dadurch tun, daß kann doch nicht alles auf das Kollektiv abschieben. man nur sagt: immer noch mehr Steuern, immer noch Natürlich brauchen wir institutionelle Vorkehrungen mehr Abgaben, immer noch mehr Bürokratie und für die soziale Sicherheit; darüber besteht doch gar den einzelnen immer noch mehr unterfordern. Nein, kein Streit. Damit sie aber in der Zukunft bezahlbar wir müssen den Menschen sagen: Es ist eine großar- bleiben - wenn Sie das Geld verspielt haben, dann tige Zeit. Es ist viel erreicht worden, nicht zuletzt in ist alles aus -, müssen wir den Weg gehen, den ich der Regierungszeit von Bundeskanzler Helmut Kohl, Ihnen aufzeige. durch unsere gemeinsame Arbeit in der Koalition der Deswegen sage ich: Wir brauchen ein Stück weit Mitte aus CDU/CSU und F.D.P. das Gegenteil des Prinzips „Hannemann, geh du voran! ". Immer die anderen bezahlen zu lassen wird (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ unsere Probleme nicht bewältigen. Es geht nur, DIE GRÜNEN]: Ha lleluja!) wenn wir uns ein Stück weit mehr für die anderen verantwortlich fühlen. Wir haben viele Probleme. Ich bin keiner, der die Probleme verschweigt. Ich gehe ja nicht den beque- (Zuruf von der SPD: Das tun Sie aber nicht!) men Weg wie Herr Lafontaine auf dem Jugendpartei- 12684 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Dr. Wolfgang Schäuble tag der SPD, wo er nach Techno-Musik ein bißchen und Taxis und der anderen, wie sie auch alle heißen rumgehüpft hat. mögen, (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der (Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.) F.D.P.) So einfach geht es leider nicht. Ein bißchen ernsthaf- wollen Sie mehren, aber Geld für die Schaffung von ter muß es schon zugehen. Arbeitsplätzen wollen Sie der Wi rtschaft vorenthal- ten. Ich bin dankbar dafür, daß wir in dieser Zeit Zu- (Beifall bei der SPD) kunft gestalten können. Ich sage Ihnen, Herr Bun- deskanzler, wir gemeinsam, CDU/CSU und F.D.P., Zu allen diesen Vorschlägen haben Sie nein gesagt werden am Ende dieses Jahrhunderts und auf dem und polemisiert. Sie haben keine einzige konkrete Weg in das nächste mit dieser Regierung, unter Ihrer Ankündigung machen können, wie Sie das Land aus Führung dieser Krise herausb ringen wollen, in die Sie es ge- bracht haben. (Dr. Peter Struck [SPD]: Wer das glaubt! Bei diesen Streitigkeiten! Wer glaubt das denn Das einzige Konkrete, Herr Schäuble, was wir Ih- noch?) rer Rede entnehmen konnten, war, daß Sie beklagen, reiche Leute könnten die Kosten ihres Hauspersonals und Ihrer Verantwortung weiterhin um eine gute Zu- nicht von der Steuer absetzen. kunft ringen. Wir sind dazu entschlossen; wir sind dazu bereit. Wir stellen uns dieser Verantwortung. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der Wir stimmen dem Einzelplan des Kanzleramtes zu. F.D.P.) (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der Das ist Ihr Beitrag zur Zukunftsgestaltung eines CDU/CSU und der F.D.P.) modernen Industriestaates. Vielen Dank. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer (Beifall bei der SPD) Kurzintervention hat der Kollege Günter Verheugen. (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/ Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt CSU]: Der entschuldigt sich jetzt!) die Kollegin Kerstin Müller.

(Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (SPD): Frau Präsidentin! Meine Kerstin Müller Günter Verheugen NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! sehr verehrten Damen und Herren! Ich wi ll festhal- Es fällt schwer, eine Beziehung zwischen der A rt und ten, was hier in den letzten anderthalb Stunden ge- Weise, in der CDU und F.D.P. diese Debatte nun schehen ist: Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion schon seit Wochen führen, und dem, was wirklich hat eine große gemeinsame Chance für uns alle ver- passiert, herzustellen, Herr Schäuble. Was wir hier säumt, indem er auf die konkreten Vorschläge der im Bundestag erleben, kann ich mir nur noch mit Opposition dem Begriff politische Schizophrenie erklären. (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na, na!) nicht eingegangen ist. Da tritt der Fraktionsvorsitzende Schäuble hier auf und berichtet wieder einmal im Brustton der Über- (Beifall bei der SPD) zeugung von den unheimlichen Erfolgen dieser Ko- Sie reden seit Monaten davon, es gebe keine Alter- alition. Mit Sicherheit werden wir schon in den näch- nativen. Hier sind Ihnen die Alternativen Punkt für sten Wochen erleben, wie die Mitglieder eben dieser Punkt vorgetragen worden. Koalition wieder übereinander herfallen und sich ge- genseitig als Versager beschimpfen. (Zurufe von der CDU/CSU: Wo denn?) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das sind sie Ich nenne sie Ihnen noch einmal: Senkung der Lohn- ja auch!) nebenkosten, weg mit den 590-DM-Verträgen, Ver- Da brüstet sich die Regierung mit einer angeblich mögensbeteiligung für die Arbeitnehmer, etwas ge- soliden und langfristig angelegten Haushaltspolitik, gen Scheinselbständigkeit unternehmen, eine Ga- und nicht nur die Opposition oder die Gutachter, rantie für Ausbildungsplätze, mehr für die Hochschu- nein, viel besser noch, auch die Abgeordneten der len, für die Forschung und für die Entwicklung tun, Regierungsfraktionen wissen schon jetzt, daß die ein neues leistungsgerechtes Dienstrecht, Abbau von Bürokratie, weg mit der Gewerbekapitalsteuer und Zahlen von Herrn Waigel demnächst wieder im Pa- pierkorb landen werden. So etwas, meine Damen der betrieblichen Vermögensteuer. und Herren, nenne ich politische Schizophrenie. Das wäre ja ein Punkt gewesen, von dem Sie wenig- Im Lexikon können Sie die Übersetzung finden. Da stens hätten sagen müssen, daß Sie einsehen, die heißt es unter Schizophrenie: Dinge, die wirklich die Wirtschaft und unsere Zu- kunft belasten, abzuschaffen, nicht aber die p rivate Denkstörungen in Form von unzusammenhän- Vermögensteuer. Das Vermögen der Frau von Thurn gendem Denken und Kontaktverlust Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12685

Kerstin Müller (Köln) Einen treffenderen Befund hätte ich Ihnen, meine Was persönliche Herabsetzungen innerhalb einer Damen und Herren, nicht attestieren können. Koalition angeht, haben Sie neue Bonner Rekorde aufgestellt. Die Haushaltsberatungen der Koalition (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - sind eine einzige Zänkerei gewesen. Sie waren ge- Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ reizt wie Partner in einer uralten Ehe. Und weil es so DIE GRÜNEN]: Das betrifft vor allem den schön war, wird dieser Zank im Dezember fortge- Zukunftsminister!) setzt. Das Schlimme daran ist, daß man bei Ihnen von ei- Die F.D.P. verkündet nämlich schon wieder die nem chronischen Fall sprechen muß. Die Haushalts- Senkung des Solidaritätszuschlages, diesmal zur debatte hat das wieder bewiesen. Da hören wir die Abwechslung bis 1998. Das sei so gut wie beschlos- Klagen der Koalition über den bejammernswerten sen, sagt sie. Am nächsten Tag meldet sich die CDU Zustand der Wirtschaft, und am selben Tag lesen wir und teilt mit, gar nichts sei beschlossen, die Frage sei in der Zeitung, daß die Gewinne noch nie so hoch völlig offen und bis zum Dezember vertagt. waren und daß der Deutsche Aktienindex von Re- kord zu Rekord steigt. (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Wir werden im Dezember entscheiden!) (Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) Ja, was denn nun? Was wird denn nun passieren? Da klagen Sie immer wieder über die hohen Lohnne- Inzwischen melden sich die betroffenen CDU-Politi- benkosten - heute schon wieder, Herr Schäuble -, ker aus den neuen Ländern und fragen völlig zu und kurz darauf erleben wir doch wieder eine Erhö- recht, woher denn die F.D.P., bitte schön, diesmal das hung der Renten- und Krankenkassenbeiträge. Sie Geld nehmen will. Der Osten jedenfalls wird noch und nicht die Opposition haben doch die hohen lange Zeit auf unsere Unterstützung und Solidarität Lohnnebenkosten zu verantworten! angewiesen sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) sowie bei Abgeordneten der SPD) Jedesmal verspricht die Koalition beim Barte des Darauf antwortet die F.D.P. in bewährter Weise, näm- Kollegen Solms Steuersenkungen für das nächste lich gar nicht, Jahr - die Staatsquote müsse gesenkt werden, so Herr Schäuble. Aber jedesmal stellen doch die aller- (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ich stimme meisten Menschen auf ihrem Gehaltszettel fest: Die Ihnen zu!) Steuern und Abgaben sind nicht gesunken, sondern nur um dann wieder erklären zu lassen, die Koalition gestiegen. werde scheitern, wenn der Soli nicht gesenkt wird. Immer wieder von neuem versprechen Sie von der Diese Komödie, die Sie, meine Damen und Her- Koalition einen entschlossenen Kampf gegen die Ar- ren, seit Wochen aufführen, wird immer mehr zum beitslosigkeit. Sie wollten die Arbeitslosigkeit bis Trauerspiel für unser Land. zum Jahr 2000 halbieren. Und was passiert? Näch- In fast allen Bereichen haben wir schwere Steuer- stes Jahr wird die Arbeitslosigkeit noch weiter stei- ausfälle zu verkraften. Aber eine Steuer bringt uns in gen, und zwar auf über 4 Millionen. diesem Jahr wirklich steigende Erträge, nämlich 14 Meine Damen und Herren, wie würden Sie selbst Prozent mehr als im letzten Jahr. Das ist die Vermö- den Unterschied zwischen Ihren Ankündigungen gensteuer. Ausgerechnet diese Steuer wollen Sie ab- und der Wirklichkeit nennen? Wenn Ihnen „Schizo- schaffen. Da kürzen Sie unten an allen Ecken und phrenie" nicht gefällt, könnten wir von „absichtli- Enden, beim Kindergeld, beim Existenzminimum, cher Täuschung" sprechen. Das wäre - und es ist ei- bei den AB-Maßnahmen; da kürzen Sie bei der For- gentlich nichts anderes - Betrug. schung und bei der Bildung, und Sie erhöhen - erhö- hen, meine Damen und Herren von der F.D.P. - die Ich glaube, nicht nur hier im Bundestag haben Grunderwerbsteuer. Das alles nur, damit Sie die Ver- viele genug von den leeren Versprechungen und mögensteuer abschaffen können. Das heißt: Die dem hohlen Pathos dieser Regierung. Auch viele Reichsten der Reichen sollen weniger Steuern zah- Menschen draußen haben diese Art von Politik len, und alle anderen sollen dafür bluten.- Das nen- gründlich satt. nen Sie „Sparpolitik"; das nennen Sie „sozial ausge- wogen"? In den letzten Wochen wurde ja viel über Koaliti- onsbruch, Große Koalition oder gar Neuwahlen ge- Das Bundesverfassungsgericht hat im Juni 1995 schrieben. Für einen Machtwechsel braucht man eine gerechtere Gestaltung - so hat es formuliert - zwei Voraussetzungen, nämlich erstens, daß die da der Vermögensteuer gefordert. Diese Forderung des oben nicht mehr können, und zweitens, daß die da Verfassungsgerichts nach mehr Gerechtigkeit nutzen unten nicht mehr wollen. Daß die da oben nicht mehr Sie für eine Politik der Ungerechtigkeit; seine Forde- können, das teilt uns diese Koalition inzwischen fast rung nach gerechterer Verteilung der Lasten nutzen täglich mit. Sie zur Umverteilung der Lasten, zur Umverteilung von unten nach oben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Uwe (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Umge Küster [SPD]: Stündlich!) kehrt!) 12686 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Kerstin Müller (Köln) Wer in dieser schwierigen Situation Milliarden ein- kadehaltung der Opposition, das wissen wir doch fach so verschenkt, der hat aus meiner Sicht jedes alle. Ihr Problem ist Ihr Koalitionspartner, die F.D.P., moralische Recht verloren, von anderen Verzicht zu und die F.D.P. hat sich nun einmal einem einzigen fordern. Thema verschrieben, Steuersenkung um jeden Preis. Deshalb stolpern Sie doch von einem Haushaltsloch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum nächsten. sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS) Meine Damen und Herren, diese Koalition ist zur Klientelkoalition verkommen! Anders kann man das Solche Signale ermutigen doch nur die Klassen- nicht mehr nennen. kämpfer von oben; denn das schmeckt nach mehr. Herr Henkel vom BDI hat es ja offen gesagt: Die Zeit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Konsensrunden ist vorbei. Was er meint, ist: Jetzt bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. wird abgesahnt. Und wenn der Herr Bundeskanzler Dr. Gregor Gysi [PDS]) endlich einmal zu sagen wagt, daß die Unternehmer doch auch eine Verpflichtung hätten, daß sie eigent- Bei Werten wie Zukunftsfähigkeit, ökologischer lich Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze schaffen Nachhaltigkeit, Perspektive, Glaubwürdigkeit ist auf sollen, dann bekommt er vom Arbeitgeberverband der Regierungsbank Fehlanzeige. Nein, meine Da- öffentlich Watschen, dann heißt es bei den Arbeitge- men und Herren, die da oben können nicht mehr. bern nur noch: Kohl sucht Sündenböcke. Nur der reine Machterhalt - das ist es doch - hält sie noch zusammen. Sie bleiben doch nur deshalb auf Meine Damen und Herren, die Geister, die Sie ge- ihren Stühlen sitzen, weil sie keinen Fluchtweg se- rufen haben, werden Sie jetzt nicht mehr los; das ist hen. Die große Koalition kostet die CDU/CSU zu im Moment Ihr Problem. Selbst zu kleinen Reform- viele Ministersessel, und für die F.D.P. wäre sie das schritten sind Sie nicht mehr in der Lage, weil Sie Ih- völlige politische Aus. Also stolpert diese Koalition rer Klientel einfach nichts mehr zumuten wollen. Sie weiter von Krise zu Krise, zu ihrem eigenen Über- sind festgefahren und reformunfähig; Sie können nur druß und zum Schaden für uns alle. noch eines: umverteilen. Die spannende Frage ist: Was ist mit denen da un- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten? Wie lange lassen sich die Bürgerinnen und Bür- sowie bei Abgeordneten der SPD - Zuruf ger dieses Theater bieten? von der F.D.P.: Fischer ist begeiste rt !) Meine Damen und Herren, vor wenigen Wochen Aber, meine Damen und Herren von der Koalition hatten wir die Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart. - Herr Schäuble hat es ja noch einmal angespro- Dem Kollegen Rezzo Schlauch möchte ich hier noch chen -: Da haben Sie wohl die Rechnung ohne den einmal ganz herzlich zu seinem großartigen Ergebnis Wirt gemacht; denn glücklicherweise, Herr Schäu- gratulieren. ble, sind viele dieser sozialen Schweinereien von der Zustimmung des Bundesrates abhängig. Deshalb ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Veschiebung des Kindergeldes am Widerstand sowie bei Abgeordneten der SPD) der Opposition gescheitert. Bei dieser Wahl zeigte sich etwas - - (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P. - und bei der SPD) Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Ich versichere Ihnen, wir Bündnisgrüne werden wei- DIE GRÜNEN]: Da seid Ihr ja nur neidisch! terhin jeden Versuch unterstützen, die schlimmsten - Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: sozialen Ungerechtigkeiten zu verhindern. Knapp vorbei ist auch verloren!) Wir meinen, die Vermögensteuer muß beibehalten - Sie dürfen klatschen. werden, das Existenzminimum für die unteren Ein Bei dieser Wahl zeigte sich etwas sehr Interessan- kommen muß angehoben werden, und es darf kei- tes. In allen Altersgruppen bis zum Alter von 55 Jah- nen Kahlschlag bei den AB-Maßnahmen geben. Da- ren hatte Rezzo Schlauch im zweiten Wahlgang eine für werden wir uns einsetzen, auch jetzt in den anste- absolute Mehrheit der Stimmen. Es waren die Stim- henden Verhandlungen. men der über 55jährigen, die zum knappen- Sieg des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU-Bewerbers geführt haben. bei der SPD sowie des Abg. Rolf Kutzmutz (Zuruf von der CDU/CSU) [PDS]) Da können Sie hundertmal von Blockadehaltung re- - Doch. Das Ergebnis ist natürlich lokal und durch den, wenn diese Koalition kein soziales Gewissen die Person bedingt, aber es ist in dieser Hinsicht, mehr hat, dann ist es die zentrale Aufgabe der Oppo- glaube ich, schon typisch. Diese Koalition hat, denke sition, Ihnen zu zeigen, was soziales Gewissen be- ich, viel an sozialer Basis verloren. Sie ist eine Koali- deutet. tion der Besitzstandswahrer und Besitzenden. Was wir brauchen, das ist Veränderungswille und Reform- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bereitschaft und nicht Wahrung von Besitzständen. und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ und bei der SPD - Widerspruch bei der CSU, Ihr Problem ist doch nicht die angebliche Blok CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12687

Kerstin Müller (Köln) Viele ältere Menschen hoffen offensichtlich immer ankommen. Vor Ort, auf kurzen Wegen muß künftig noch, daß die Koalition ihren Lebensabend materiell entschieden werden. Das wird sehr rasch mehr Ar- sichert. beitsplätze bringen als all die Milliarden, die jetzt in den Kassen der Großunternehmen verschwinden. Man muß den Rentnern und Rentnerinnen heute sagen: Ihr vertraut auf die Falschen! Der Bundesar- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beitsminister hat es jahrelang beschworen: Die Ren- sowie bei Abgeordneten der SPD) ten sind sicher. Aber daß die Reserven der Renten- versicherung bereits aufgebraucht sind, daß alle Zu- Manchmal gehen Anliegen des Mittelstandes mit kunftsprognosen negativ aussehen, daß es immer ökologischen Anliegen Hand in Hand. Vor einem mehr Rentner und immer weniger Beitragszahler Jahr haben wir die Koalition aufgefordert, doch end- gibt, und daß das alles irgendwie nicht gutgehen lich ein Energiewirtschaftsgesetz vorzulegen. Nun kann, das alles hat der Bundesarbeitsminister jahre- ist der Herr Wirtschaftsminister tatsächlich tätig ge- lang verschwiegen. Nichts hat er unternommen, um worden und hat einen Entwurf vorgelegt. diese Probleme rechtzeitig anzugehen. Diesen Entwurf dieses „Helden der Marktwirt- Meine Damen und Herren, die berechtigten Sor- schaft" muß man sich einmal auf der Zunge zerge- gen der alten Menschen haben sehr viel mit den Sor- hen lassen: Da wird angeblich ein freier Markt für gen der jungen zu tun. Den jungen Menschen, mei- den Strom geschaffen. Man könne den Strom zu- ner Generation und der folgenden, bietet diese Koali- künftig beim billigsten Anbieter kaufen. Das klingt tion keine Perspektiven. Sie vernachlässigt den gan- ja noch richtig liberal. Aber das gilt dann und nur zen Ausbildungsbereich, und - ebenso schlimm - sie dann, wenn man ein Großunternehmen ist. Alle an- kürzt massiv im Bereich Forschung und Entwick- deren, die Privathaushalte, die Kleingewerbetreiben- lung. den, die Freiberufler, die kommunalen Stadtwerke und alle kleinen und mittleren Unternehmen, be- Langfristig kostet uns diese Politik den wichtigsten kommen keine Freiheit; sie bekommen nur eines: hö- Trumpf im Standortwettbewerb, unser wissenschaft- here Kosten. Höhere Preise für die Kleinen, niedri- liches und technisches Know-how. gere Preise für die Großunternehmen. Genau diesen Vorschlag legt ein F.D.P.-Wirtschaftsminister vor. Das Meine Damen und Herren, wer der jungen Gene- finde ich unglaublich. ration die Perspektive nimmt, der gefährdet auch den sicheren Lebensabend der älteren Generation. Des- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN halb ist Ihre Politik ein falscher Wechsel auf die Zu- sowie bei Abgeordneten der SPD und des kunft. Alt und jung dürfen nicht gegeneinander aus- Abg. Manfred Müller [Berlin] [PDS]) gespielt werden! Nennen Sie das etwa Marktwirtschaft? Nennen Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, das mittelstandsfreundlich? Ich finde, das ist ein bei der SPD sowie des Abg. Rolf Kutzmutz Witz. [PDS]) Wir haben einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, Deshalb brauchen wir einen neuen Generationen- der eine wirkliche Neugestaltung des Strommarktes vertrag - einen Generationenve rtrag, der die ganze vorsieht. Unser Vorschlag kann Einsparpotentiale Gesellschaft einbezieht: die Beamten, die Selbständi- mobilisieren und eröffnet ökologische Chancen. gen und die Abgeordneten. Sie alle müssen in die Darum sind Sie ja dagegen, meine Damen und Her- Rentenversicherung einbezogen werden. ren von der F.D.P. Denn immer wenn es um wirkliche Innovation geht, vor allem um ökologische Innova- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tion, schalten Sie einfach auf Durchzug. und bei der PDS) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen mehr Beitragzahlende. Dazu brau- chen wir endlich Taten gegen die Arbeitslosigkeit. Was wir brauchen, wenn wir die Zukunft sichern Wir müssen die Krise der Arbeit und der Ausbildung wollen, ist eine umfassende Modernisierung - eine endlich wirklich angehen. Neue Arbeitsplätze aber Modernisierung in allen Bereichen. Wir haben da sind in den letzten Jahren nicht mehr in der Großin- keine Tabus. dustrie entstanden. Die Großunternehmen haben im Gegenteil durchweg Stellen abgebaut, übrigens Sie verlangen doch immer Alternativvorschläge. auch dann, wenn sie ausgezeichnet verdient haben. Ich will Ihnen einige ganz konkrete Vorschläge ma- chen, zur Reform des Sozialstaates beispielsweise: Neue Arbeitsplätze dagegen hat die mittelständi- Wir müssen uns doch darauf einstellen, daß die Ar- sche Wirtschaft geschaffen. Da ist es schon bemer- beitslosigkeit lange Zeit ein Problem bleiben wird. kenswert, wie unzufrieden gerade der Mittelstand Viele Menschen fallen aus dem Erwerbsleben für mit dieser Regierung ist. Nehmen wir doch einmal viele Jahre oder ganz heraus. Heute heißt das: Sozial- die Förderprogramme: Für kleine und mittlere Unter- hilfe. nehmen gibt es etwa 400 verschiedene Förderpro- gramme. Dieses Angebot ist so unübersichtlich, daß Das heutige System der Sozialhilfe ist sehr büro- selbst professionelle Berater oft nicht mehr durchblik- kratisch, und es ist entwürdigend und schikanös für ken. Da herrscht wilder Bürokratismus. die Betroffenen. Wir müssen daher die Armutsbe- kämpfung auf eine neue Grundlage stellen. Wir müs- Wir müssen endlich dafür sorgen, daß staatliche sen auf Eigenverantwortung und Selbstbestimmung Hilfen bei den kleinen und mittleren Unternehmen setzen. Wir haben daher einen Vorschlag für eine so- 12688 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Kerstin Müller (Köln) ziale Grundsicherung vorgelegt. Wir wollen klare Gewiefte Firmen machen ihre Gewinne hier bei uns Ansprüche für die Betroffenen statt unkalkulierbare und versteuern sie im Ausland. BMW, Porsche, Com- Ermessensentscheidungen. Wir wollen Lebenshal- merzbank und Dresdner Bank zum Beispiel nutzen tungs- und Wohnkostenpauschale statt entwürdi- Dublin als legale Geldwaschanlage. Der Steuersatz gende Bedarfsprüfung in jedem Einzelfall. Das heißt: beträgt 10 Prozent, und zwar in Irland zu zahlen. Was weniger Bürokratie und mehr Menschlichkeit. unternehmen die Herrschaften von der Koalition da- gegen? Bisher nichts. Solche Schlupflöcher müssen (Dr. [F.D.P.]: Und mehr Geld!) wir durch eigene Gesetze und durch entsprechende Darauf kommt es uns an. internationale Vereinbarungen schließen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir brauchen eine Modernisierung der Arbeits- der PDS) welt. Es ist doch unsinnig, daß sich die einen kaputt- arbeiten, während die anderen auf der Straße stehen. Sie, meine Damen und Herren, reden ja nun auch ständig von Was da bei Ihnen heraus- Wir müssen alle Modelle zur besseren Verteilung der Steuerreform. kommen wird, zeichnet sich jetzt schon ab. Heraus- Arbeit unterstützen und alle Versuche zur Verlänge- rung der Arbeitszeit energisch bekämpfen. Längere kommen wird, daß Sie alle Steuervergünstigungen Arbeitszeiten, das bedeutet nämlich noch höhere Ar- für den Normalbeschäftigten streichen werden - beitslosigkeit. Steuerfreiheit für Überstunden zum Beispiel und für Sonntagszuschläge - und alle Tatbestände, durch die Wir brauchen dagegen Arbeitszeitverkürzung in Leute mit hohem Einkommen die Steuerzahlung urn- allen Betrieben und in der öffentlichen Verwaltung. gehen können - Spekulationsgewinne oder Dienst- Wir müssen Überstunden abbauen und Teilzeit för- mädchenprivileg -, also alles, was Ihre Klientel tref- dern. Mit einem modernen Arbeitszeitrecht können fen könnte, tunlichst aussparen werden. Für Wohlha- wir die Tarifpartner dabei sogar unterstützen. Wir bende wird sich nur eines ändern, nämlich der Spit- wollen Politik für mehr Arbeitsplätze und nicht ge- zensteuersatz. Sie werden statt 53 Prozent nur noch gen die Arbeitslosen. So sieht eine moderne Arbeits- 35 Prozent, das heißt, 18 Prozent weniger Steuern politik aus. zahlen müssen. Ich glaube, da werden sich einige Leute wirklich freuen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Um zirka 30 Milliarden DM wollen Sie die reich- sten Steuerzahler dabei entlasten. Eine einfache Die entscheidenden Impulse für die Wi rtschaft Frage: Woher wollen Sie die 30 Milliarden DM denn können nur von einem grundlegenden ökologisch nehmen? Wollen Sie dazu die Mehrwertsteuer erhö- sozialen Strukturwandel kommen. Deutschland ist hen, ja oder nein? Wird die Mehrwertsteuer 1999 er- aber leider gerade dabei, seine führende Rolle bei höht, um die Einkommensteuerverluste auszuglei- den Umwelttechnologien zu verlieren. Wir brauchen chen? Die CSU hat auf ihrem Parteitag die Tür dafür daher dringend ein ökologisches Investitionspro- weit aufgemacht. Sie sagen ihr hier immer nur: nicht gramm, das die Zukunftstechnologien entscheidend bis zur Bundestagswahl 1998. - Aber was ist dann? voranbringt. Wir müssen in moderne Verkehrssy- Was sagt denn die Steuersenkungspartei F.D.P. dazu? steme investieren, eine zweite Eisenbahnrevolution Sagen Sie doch einmal: Nein, das kommt für uns nicht schaffen und Spitzenreiter bei der Produktion von in Frage, auch nicht 1999. - Herr Gerhardt, wegen Solaranlagen werden. Zugleich müssen wir auf brei- 4 Milliarden DM beim Solidaritätszuschlag ist die Ko- ter Front die Lohnnebenkosten senken. Man kann es alition gerade fast geplatzt. Erklären Sie doch ein- nicht oft genug wiederholen: Die versicherungsfrem- mal, woher Sie die 30 Milliarden DM nehmen wollen. den Leistungen müssen aus den Sozialabgaben raus. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lesen Sie ruhig weiter!) und bei der SPD) Diese ganz einfache Klarstellung sind Sie der Öf- Diese Leistungen müssen endlich aus Steuern fi- fentlichkeit doch schuldig, und zwar vor 1998. nanziert werden. Wir haben hierzu einen konkreten Vorschlag gemacht: Mit der ökologischen Steuerre- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN form können die Lohnnebenkosten in beträchtlichem und bei der SPD) - Umfang gesenkt werden. Wir Bündnisgrüne wollen eine Einkommensteuer- reform, die wirklich alle Steuerprivilegien in Frage Zu einer umfassenden Modernisierung gehört stellt, auch, daß wir endlich den Steuerdschungel lichten. Es ist doch auffällig: Die am besten verdienenden Fir- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: men zahlen inzwischen fast keine Steuern mehr. Ob Mit der PDS zusammen!) Banken oder Großunternehmen - die Gewinne stei- gen, die Steuern tendieren gegen Null. Daimler-Benz die besonders die Schlupflöcher für die Reichen und Siemens zahlen inzwischen weniger Steuern, als schließt; dann können auch die Steuersätze niedriger sie an staatlichen Zuschüssen und Fördermitteln be- sein. Vor allem aber muß der Eingangsteuersatz kommen. herunter. Wer heute mit sehr hohem Einkommen Schlupflöcher nutzt, soll künftig mehr Steuern zahlen (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar müssen. Dagegen müssen die unteren und mittleren land]: So ist es!) Einkommen entlastet werden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12689

Kerstin Müller (Köln) Alle unsere politischen Einzelmaßnahmen sind von nen, wie wir ihrer Herr werden und wie wir die Zu- sehr geringem Wert, wenn wir gleichzeitig unsere kunft des Landes bewältigen können. Lebensgrundlagen zerstören. Ich weiß sehr wohl, Dazu gehört, daß wir offen sagen, wo sich unsere daß die Umweltpolitik zur Zeit im öffentlichen Be- wußtsein keine große Konjunktur hat. Ich sage Ihnen Schieflagen befinden. Diese gibt es nämlich, und von aber: Darum müssen wir erst recht über Ökologie re- ihnen behaupte ich, daß sie die meisten Menschen den, über den ökologischen Umbau, über die ökolo- kennen, manchmal aber nicht öffentlich benennen, gische Steuerreform. Wir müssen uns unserer Ver- jedoch ahnen, daß wir sie bewältigen müssen. Des- antwortung hier bewußt sein; halb sollte die Koalition - ich will das tun - das offen ansprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben in Deutschland einen Verlust an Wirk- denn was wir heute im Umweltschutz vernachlässi- lichkeitsorientierung, wir haben bei vielen die Nei- gen, was wir heute an ökologischer Umstellung ver- gung, auf Kosten anderer zu handeln, und wir haben säumen, wird uns bald alle belasten. Es wird unsere eine gewaltige Überbeanspruchung des Staates. Kinder belasten, und es wird noch unsere Enkel ver- Wenn wir das nicht beenden, werden wir in der Zu- folgen. Dennoch benimmt sich die Regierung inzwi- kunft keine wettbewerbsfähige Gesellschaft sein. schen so, als hätte es zum Beispiel die Vereinbarung (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) von Rio nie gegeben, als gäbe es das Problem gar nicht mehr. Sie will sich auf leisen Sohlen von den Das sagen wir als Koalition öffentlich und klar. Wir CO2-Zielen verabschieden. Was für eine Kurzsichtig- stehen in einem weltweiten Wettbewerb. Andere keit! Welche wirtschaftlichen und sozialen Lasten mögen diesen leugnen oder internationale Solidarität tragen wir wegen der Umweltsünden der Vergan- für uns fordern. Ich glaube jedoch nicht, daß die asia- genheit schon heute! tischen Staaten darauf warten. Statt dessen müssen wir früher reagieren. Wir brauchen eine andere, eine neue Politik, die sich bei jeder Einzelfrage an dem einen Maßstab Wir organisieren die Infrastruktur, wir erheben mißt, am Gebot der Verantwortlichkeit gegenüber Steuern, und wir entscheiden damit darüber, ob das den Menschen und der Natur, am Gebot des nach- mobile Kapital bei uns oder in Belgien, Frankreich, haltigen ökologischen Wi rtschaftens. Dafür kämpfen Großbritannien, Polen und in Tschechien investiert wir, damit wir spätestens 1998 auch in der Bundesre- wird. Da wir ein Interesse daran haben, daß deutsche gierung danach handeln können. Arbeitnehmer hier Arbeitsplätze finden, möchten wir die Steuern senken, damit sie hier Beschäftigung fin- Vielen Dank. den. Das ist das Ziel eines Wachstums- und Beschäf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tigungsprogramms. sowie bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) PDS) Wir spüren doch die Folgen, daß Arbeit heute welt- Das Wort hat der weit handelbar geworden ist. Die dramatische Dis- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: kussion um die Mindestlöhne zeigt doch, daß es die Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt, F.D.P. alten geographischen Schutzzölle für Arbeit nicht mehr gibt. Die deutsche Textilindustrie hat früher in Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Herr Präsident! Hongkong produzieren lassen, heute werden Pro- Meine Damen und Herren! Die Präsidentin hat heute dukte 100 Kilometer weiter, in unserer Nachbar- morgen unseren verstorbenen Kollegen gewürdigt. schaft, mit gleicher Qualität, aber mit deutlich ande- Dieser Verlust hält an. Wir haben über Stil gespro- ren Arbeits- und Lohnnebenkosten hergestellt. chen, und sein Tod beschäftigt uns. Hans Klein war eine Persönlichkeit und ein Kollege, der wußte, daß Dieses nicht zur Kenntnis zu nehmen und nicht zu zu geschriebenen Regeln ganz persönliche Verhal- versuchen, dies zu verändern, wird den Beschäfti- tensweisen gehören. gungsinteressen in Deutschland nicht gerecht. Es geht nicht um Lohndumping, es geht überhaupt um Er hat Höflichkeit nie als einen Verlust von Stand- die Chance, auch im Niedriglohnbereich Beschäfti- festigkeit in der Sache betrachtet, und er sah in sei- gung in Deutschland zu haben und die Menschen nem Charme nie die Eintrübung seiner festen politi- nicht in Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe- und So- schen Grundposition. Er hat sich immer um eine be- zialhilfe abdrängen zu lassen. sondere Atmosphäre bemüht, die uns jetzt, wo er nicht mehr da ist, fehlen wird. Er wußte, daß er durch (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne seine Ausstrahlung und seine Verhaltensweise auch ten der CDU/CSU) für die Reaktionen anderer verantwortlich war. Er hat In diesem Bereich gibt es auch die notwendige Dis- es uns allen vorgelebt. Hans Klein war ein feiner kussion, Herr Kollege Scharping, um Gerechtigkeit. Mann, den wir nicht vergessen werden. Was ist gerecht? Behandelt die Politik einen Men- (Beifall im ganzen Hause) schen gerecht, der einen Job sucht und einen Job an- nimmt, für den er 200 DM weniger bekommt, als er Wir streiten beim Haushalt über aktuelle Politik, vielleicht aus der Kombination öffentlicher Transfer- aber im Grunde streiten wir über mehr. Wir streiten leistungen bekommen könnte? Oder behandelt die darüber, wie wir die tiefgreifenden Veränderungen Politik diejenigen gerecht, die den Job nicht anneh- um uns herum und bei uns selbst überwinden kön men und sich auf staatliche Alimentation verlassen? 12690 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Dr. Wolfgang Gerhardt Ich würdige die Menschen - in den neuen wie in Nun zu brutto, netto: den alten Bundesländern -, die bereit sind, in den er- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Und Mexiko!) sten Arbeitsmarkt zu gehen, auch wenn sie do rt nicht das gleiche Einkommen erzielen können wie aus Be- Der Arbeitnehmer sieht auf sein skelettiertes Netto- schäftigungsmaßnahmen in Kombination mit ande- einkommen, ärgert sich darüber und prüft den Brut- ren Tätigkeiten. Das ist Gerechtigkeit und Solidarität. tobetrag nach, verfügt heute aber nicht über die ent- scheidenden Informationen darüber, was ihm vorher (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) pauschal auf Grund eigener Wünsche, die die ganze Herr Kollege Scharping, es geht doch nicht allein Gesellschaft an Staat und Solidargemeinschaften um die Frage, ob wir die Senkung der Lohnnebenko- heranträgt, abgebucht worden ist. sten durch Herausnahme der versicherungsfremden Die große sozialdemokratische Partei tut auch Leistungen aus den Systemen bewältigen. Sie wissen nichts, um Licht in dieses Dunkel zu bringen. doch genausogut wie ich, daß das nicht ausreichen wird. Sie wissen wie ich, daß es auf der Welt kein (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Rentensystem gibt, das ein immer späteres Eintreten Sehr wahr!) in das Berufsleben mit immer früherem Ausscheiden Sie bestärkt die Gesellschaft eher noch da rin, noch aus dem Erwerbsleben so finanzieren kann, wie wir mehr vom Staat zu fordern und die Solidargemein- 'es bisher haben. Es reicht nicht aus, aus den Lohnne- schaften auszuweiten. Sie trägt uns dann hier vor, benkosten versicherungsfremde Leistungen heraus- daß wir die Verantwortung für die Differenz zwi- zunehmen. Wenn wir den Generationenvertrag nicht schen dem Brutto- und dem Nettoeinkommen hät- auf neue Beine stellen, wird das Rentensystem nicht ten; dies gekoppelt mit Hinweisen auf Länder jen- sicher sein. seits des großen Teiches. Deshalb unterzieht sich die Koalition der schwieri- Lieber Kollege Scharping, es wäre gut, wenn Sie gen, unangenehmen und kritisierten Aufgabe, der sich mit uns zusammen etwas stärker aufklärerisch deutschen Öffentlichkeit nicht die . Augen zu verwi- betätigen würden, weil wir die Schere zwischen den schen. Wir müssen die Rentenformel neu konstituie- Brutto- und den Nettoeinkommen nur schließen kön- ren, um einen Generationenvertrag auf neue, sichere nen, wenn wir persönliche Wachstumskräfte und die Füße zu stellen. persönliche Verantwortung stärken und nicht die im- mer weiter wachsenden Ansprüche an öffentliche Sy- (Beifall bei der F.D.P.) steme in Deutschland konstituieren. Die Reparaturarbeit, die die sozialdemokratische (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Partei vorschlägt, das Herausnehmen versicherungs- Die Globalisierung der Märkte wird verdrängt, die fremder Leistungen aus den Lohnnebenkosten bela- Besitzstandswahrung wird gepflegt. Auch die Tarif- stet den Haushalt, treibt Steuern in die Höhe und löst vertragsparteien, die für die Grundlagen der Be- den Kern des Problems nicht. Das ist der Unterschied schäftigung durchaus eine Monopolstellung haben, zwischen Ihrer und unserer Politik. Dieser muß hier haben manchen Tarifabschluß gemacht, der mit de- ausgesprochen werden. nen solidarisch war, die Arbeit hatten, und unsolida- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) risch mit denen war, die Arbeit gesucht haben. Des- halb muß auch auf diese Verantwortung hingewie- Sie wissen genausogut wie ich, daß unser Gesund- sen werden. heitswesen deshalb an die Grenze der Kostenbewäl- Wir haben in Deutschland eine gewaltige Erstar- tigung gekommen ist, weil es in einer Solidargemein- rung der Arbeitsbeziehungen. Es gibt keinen inter- schaft nun einmal Menschen gibt, die die eigene In- nationalen Sachverständigen, der den Arbeitsmarkt anspruchnahme des Systems so ausnutzen, daß sie in Deutschland nicht als den stranguliertesten in aller andere damit belasten. Sie glauben möglicherweise Welt ansehen würde. Wir leben jetzt in einer Krise im ersten Jahr, daß dies zu keinen Beitragssteigerun- zwischen Erwartungen und politischer Problemlö- gen führe; sie hätten nun einmal eingezahlt, um auch sung. Wenn wir jetzt nichts ändern, werden wir in etwas in Anspruch zu nehmen. Aber im nächsten die Gefahr geraten, vieles zu verlieren, was für die und übernächsten Jahr werden sie eingeholt. demokratische Stabilität unseres Landes wichtig ist. Deshalb ist es unsere Korrekturvorstellung, die In- Deshalb ist die Koalition auf dem richtigen Weg. anspruchnahme von Kuren nicht in den alten zeitli- Für Ludwig Erhard war Marktwirtschaft im übri- chen Abständen zu ermöglichen, vielleicht ein wenig gen nicht nur eine Veranstaltung, die um so sozialer zuzuzahlen und die Bereitschaft zu haben, von war, je mehr umverteilt werden konnte. Nach seiner 42 Feier- bzw. Urlaubstagen einen Tag pro Jahr zur Auffassung war der Ordnungsrahmen einer Markt- Verfügung zu stellen. Dies ist doch keine Überforde- wirtschaft sozial, wenn er effektiv war, wenn er rung der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutsch- Wachstumskräfte stärken konnte und wir die Fähig- land. Dies ist eine bittere Notwendigkeit im gesell- keit hatten, Menschen vor dem Absturz ins Nichts zu schaftlichen Wandel. Dies ist die notwendige Reform. bewahren. Sie dürfen nicht die Besitzstandswahrung mit Ge- rechtigkeit verwechseln. Wenn Sie das tun, wird es Deshalb unternehmen wir mit unserem Spar- und mit der Zukunft nichts. Beschäftigungspaket wieder einen Anstoß in diesem Sinne. Es zielt auf die größte Verteilungsungerech- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) tigkeit, die es in Deutschland gibt, und das ist Ar- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12691

Dr. Wolfgang Gerhardt beitslosigkeit und nicht nur die Frage der Höhe der derung in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist Sozialhilfe und des Arbeitslosengeldes. nicht nur diese Seite, die hier gebraucht wird. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Da müssen Prioritäten gesetzt werden. Zu der Reform des öffentlichen Dienstrechtes muß Da Sie, Herr Kollege Scharping, angeboten haben, ich sagen: Das allein wird nicht der große Wurf sein was man machen sollte, frage ich jetzt einmal zurück: können, um öffentliche Haushalte zu sanieren. Dann Sie kennen unser Beschäftigungsprogramm, und Sie muß man eben privatisieren. Dann muß man sich von wissen, daß wir in der Wirtschaftspolitik auf Innova- Liebgewordenem trennen. Man muß ein Stück staat- tion gegenüber Strukturerhaltung sowie auf neue liche Dispositions- und Interventionsmöglichkeit auf- Elastizität und Reaktionsvermögen setzen. Was ha- geben. Dann müssen Sie das große Privatisierungs- ben Sie bei der Vereinfachung von Genehmigungs- potential auf Gemeinde- und Länderebene angehen. verfahren mitgeholfen? Wie lange haben Sie gezö- Da gibt es Entsorgung, Planung und Vermessung. Da gert, eineinhalb Stunden längere Ladenöffnungszei- gibt es ganze Staatsbauverwaltungen. Manche Auf- ten in Deutschland zustande zu bringen? träge könnten auch p rivate Ingenieurbüros wahrneh- men. Man muß nicht dieses große Aufgebot öffent- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne lich bestellter Architekten und Ingenieure in den ten der CDU/CSU) Ämtern haben. Wie lange haben Sie bei der Marktöffnung im Be- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) reich der Post, der Telekommunikation Bedenken ge- habt? Was sagen Sie noch heute zu einem Stück Fle- Auch die Katasterverwaltung könnte manche Lan- xibilität bei befristeten Arbeitsverträgen? Wie haben desregierung zurückschrauben. Es gibt vieles, das Sie aufgeschrieen, als wir im Bereich des Kündi- neue Kräfte mobilisieren würde. gungsschutzes die Zahl von fünf Beschäftigten auf zehn Beschäftigte erhöht haben, weil wir nicht an die Es gibt im übrigen die Bereitschaft dieser Bundes- fünf gedacht haben, die Arbeit haben, sondern an regierung - das wi ll ich auch klar für meine Fraktion, den sechsten, der eine bekommen konnte! Das ist für die F.D.P., sagen - der Weiterförderung in den unser Ziel im Beschäftigungsprogramm. neuen Ländern. Es ist zwar wichtig, daß Autobahnki- lometer gebaut werden und daß in den neuen Län- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dem Telefonanschlüsse gelegt werden. Aber die Sie haben mit Ihrem Vorschlag, versicherungs- größte Herausforderung ist wohl doch, welche Ein- fremde Leistungen herauszunehmen, bei der Rente stellung wir zur inneren Einheit haben und wie wir reklamiert. Wie haben Sie sich denn verhalten, als sie bewältigen. Der größte Erfolg der inneren Einheit wir gesagt haben, wir müßten das Renteneintrittsal- sind eben nicht die 81 Milliarden DM Transfer, die im ter stufenweise hochsetzen? Die jetzige Rentenbei- Haushaltsentwurf 1997 für die neuen Länder stehen, tragserhöhung holt uns doch wegen verschleppter sondern der größte Erfolg ist, daß niemand mehr in Reformen in Deutschland ein. Bautzen inhaftiert ist. Das möchte ich nicht in Ver- gessenheit geraten lassen. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Das hätten wir schon vor zwei Jahren machen kön- nen. Haben Sie, als die Frühverrentung, durchaus als Deshalb geht es um mehr als um Geld und Kredit. bequemes Instrument für Tarifvertragsparteien, an- Es geht im Grunde um Öffnung der Märkte. Es geht stand, andere Vorschläge gehabt, als der Öffentlich- um Privatisierung und Deregulierung. Es geht auch keit vorzugaukeln, man bringe dann mehr Arbeits- nicht nur um eine Bildungsstrukturreform mit der plätze zustande? - Nein. Frage, welche Etats die Hochschulen haben. Es geht um einen Konsens in unserer Gesellschaft und in den Noch immer bezahlt dieses Land 153 Soziallei- politischen Führungseliten, daß Leistung nicht dau- stungen über 37 Verteilungsstellen. Noch immer ist ernd diffamiert wird, sondern als Chance gefördert der Etat des Bundesarbeitsministers der größte Ein- wird, daß Talente nicht weiter so vergeudet werden, zelposten im Gesamtetat. Die Soziallastquote sinkt wie es in den deutschen Bildungssystemen der Fall nur um 0,4 Prozent. Sie ziehen ein öffentliches Plakat ist. Der Ernstfall wird für die junge Generation- in auf, als wäre dieses Land auf dem Abmarsch aus Deutschland zu spät geplant, und sie wird zu dem Sozialstaat. Diese absurde Wirklichkeitsverwei- schlecht beraten. gerung ist das, was heute sozialdemokratische Politik bestimmt. Sie ist für die Gesellschaft doch nicht mehr Wir brauchen eine Reform der Flächentarifver- erträglich! träge. Können Sie sich an die Diskussion erinnern, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) als mir der Kollege Dreßler die Zwischenfrage stellte, ob ich das gesetzlich regeln wollte? Nun sind die IG Wir warten jetzt gespannt auf Ihre Vorschläge zum Metall und der DGB gezwungen, dieses selbst ein Subventionsabbau. Ich warte auf die Vorschläge der Stück weiterzubringen, weil sie wissen, daß die beiden Revierländer; eines ist hier durch den Mini- Löhne, die Daimler-Benz im mittleren Neckarraum sterpräsidenten vertreten. Wer hier vorträgt, daß der bezahlen kann, von einem metallverarbeitenden Be- Forschungsetat erhöht werden solle, der soll einen trieb im Erzgebirge nicht bezahlt werden können Beitrag dazu leisten, daß die Subvention für Stein- und daß der Flächentarifvertrag in der alten Form der kohle nicht deutlich höher ist als die Forschungsför gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen 12692 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Dr. Wolfgang Gerhardt Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht die Kriterien von Maastricht erfüllen und die Be- mehr gerecht wird. schäftigung Zug um Zug zurückgewinnen. Es gibt wählerisch andere Möglichkeiten, aber es gibt sach- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne lich keine Alternative zu unserer Politik. ten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das galt für die Aufbausituation, aber nicht für die neue Herausforderung im Wettbewerb. Sie ist mühselig, sie ist dauerhaft, sie kann nicht schon am nächsten Tag einen Erfolg vorweisen. Im Es gibt, meine Damen und Herren, keine Lösung Grunde haben wir viel zu spät mit Veränderungen ohne Kosten; es gibt kein dauerhaftes Leben auf Ko- begonnen, aber wir wissen, daß nur dieser Weg über- sten Dritter. Wir haben die Reformen als Bundesre- haupt eine Chance bietet, von 4 Millionen Arbeitslo- gierung und Koalition gerade erst begonnen und sen wegzukommen. Dazu brauchen wir Stehvermö- glauben, daß wir sie fortsetzen müssen, weil nur die gen und gute Nerven. Wir müssen uns gegen Kritik Gesellschaften am Ende erfolgreich sein werden, die wehren - das ist ein normaler Vorgang in einer De- den Strukturwandel bewältigen. mokratie. Wir müssen aber davon überzeugt sein, daß dieser Weg für unsere Gesellschaft und für die- Joachim Fest hat neulich sinngemäß geschrieben: ses Land wichtig und richtig ist. Die private Abkehr von vielen von dem, was uns alle angeht, und die Regelung immer weiterer Bereiche (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne durch den Staat, das macht die moderne Bedrohung ten der CDU/CSU) von Freiheit aus. Er hat hinzugefügt: Der überstrapa- Deshalb stimmt die Freie Demokratische Partei zierte Sozialstaat, in dessen Namen alles tabuisiert dem Haushalt 1997 und der mit ihm verbundenen und die Intervention für alles begründet wird, der Politik, die sie in der Koalition mitgestalten und mit- führt geradewegs in die Erstarrung. bestimmen kann, zu. In dieser Situation befinden wir uns, und aus ihr Ich möchte keine Zweifel lassen - ich habe es eben müssen wir herauskommen. Ein Gemeinwesen, das nur mit einem Stichwort erwähnt -, daß diese Koali- verantwortlich regiert werden soll, kann nicht aus- tion - auch die F.D.P. - entschlossen ist, die Kriterien schließlich Risiken ausweichen. Wirklichkeitsflucht von Maastricht zu erfüllen. Wir sehen keine Alterna- ist für die Bundesrepublik Deutschland kein Ret- tive zu einer Außen- und Gesellschaftspolitik für die tungsweg. Bundesrepublik Deutschland, die die europäische (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Einbettung unseres Landes nach der Wiedervereini- gung nicht verdichtet und irreversibel macht. Uns geht es um diese Bereitschaft zum Wandel. Wir werden dabei Rückschläge erleiden, weil wir in Ich könnte jetzt aus den Reihen der SPD viele zitie- unserer Gesellschaft Tabus aufbrechen müssen. Wir ren; an die Sozialdemokratische Partei gewandt sage werden und dürfen aber nicht zögern, diesen Weg zu ich: Sie müssen in Ihren Reihen darauf achten, daß gehen. Denn freiheitliche Gesellschaften brauchen Sie sich nach dem Abschluß eines völkerrechtlichen wieder etwas mehr Kenntnis über die Voraussetzun- Vertrages mit Ihren länderpolitisch motivierten Ver- gen ihrer freiheitlichen Existenz. haltensweisen im Bundesrat nicht dem Erreichen der Kriterien entziehen, Deshalb werden wir in und mit dieser Koalition (Zuruf von der SPD: Ach nein!) den Haushalt 1997 konsolidieren. Wir haben ihn im übrigen ohne Steuererhöhungen konsolidiert - daran nur um eine Chance bei Wahlen zu haben, indem Sie darf ich hier noch einmal erinnern. Das war ein ge- Menschen mobilisieren, die eine gemeinsame Wäh- waltiger Kraftakt in der Koalition, der mit Turbulen- rung nicht wollen. zen verbunden war. Aber wir haben es geschafft. Es muß klar sein, daß unsere wirtschaftliche Ent- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. - Ker wicklung unabdingbar auf eine einheitliche euro- stin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ päische Währung angewiesen ist und daß das die NEN]: Das stimmt doch gar nicht!) Antwort auf die Herausforderung der Märkte in an- deren Regionen dieser Welt ist. Wir haben die große Wir haben Sparen Vorrang vor Steuererhöhungen Chance, für uns selbst ein Stück Arbeitsplatzsicher-- gegeben. Dabei werden wir auch bleiben. Wir haben heit zu gewinnen, weil andere daran gehindert wer- den Weg für Steuerreformen und Steuersenkungen den, unilateral zu handeln, und sie statt dessen im offengehalten. Wir werden uns im Dezember in der gesamteuropäischen Interesse handeln müssen. Koalition über die Absenkung des Solidarzuschla- ges, die Ziele der großen Steuerreform und die Ak- Es mag sein, daß eine Generation, die die national- zentsetzungen für den Beginn des Jahres 1998 ver- sozialistische und stalinistische Diktatur nicht erlebt ständigen. Wir haben die Turbulenzen überwunden; hat, vieles in Europa als Ärgernis empfindet. Es mag Sie sehen uns in guter Verfassung; wir blicken nach ferner sein, daß eine ältere Generation, die zwei Hy- vorn. perinflationen in diesem Jahrhundert erlebt hat, sehr skeptisch gegenüber der europäischen Währung ist. Wir werden mit dieser Koalition die Haushalte si- chern, die Steuern senken, Aber es kann für die politisch Verantwortlichen in der Bundesrepublik Deutschland nur die Möglich- (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar keit geben, unsere Gesellschaft durch politische Füh- land]: Und die Arbeitslosenzahlen erhöhen!) rungskraft davon zu überzeugen, daß der Weg rich- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12693

Dr. Wolfgang Gerhardt tig ist und im wohlverstandenen nationalen Interesse in Deutschland begründen, dann schüren Sie und der Bundesrepublik Deutschland gegangen werden nicht die Opposition die Ängste vor Europa. muß. Das wollen wir in der Koalition tun; das ist eine (Beifall bei der PDS) politische Führungsaufgabe ersten Ranges. Sie schüren nicht nur Ängste, sondern ganz reale Be- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) fürchtungen. Es wäre für den inneren Frieden in unserer Gesell- Der größte Mangel an diesem europäischen Eini- schaft wichtig, wenn sich in der deutschen Öffent- gungsprozeß besteht doch darin, daß der Herr Bun- lichkeit die Sozialdemokratische Partei geschlossen deskanzler die Idee einer Steuerharmonisierung ent- dieser Führungsaufgabe mit uns stellen würde. weder nicht vorgeschlagen hat oder sich damit nicht Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. durchsetzen konnte. Wenn die Steuern alle verschie- den bleiben, dann ist ganz klar, daß dies zur Folge (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) hat, daß sich die geringsten Steuern durchsetzen, daß damit die Staaten immer ärmer werden und das Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort für dann als Begründung benutzt wird, um den Sozialab- eine Kurzintervention hat der Kollege Otto Schily. bau zu forcieren. Das ist die eigentliche Katastrophe. Deshalb brauchen wir auf diesem Gebiet unbedingt Korrekturen. Otto Schily (SPD): Herr Kollege Gerhardt, Sie ha- ben hier die Behauptung aufgestellt, die Reform der (Beifall bei der PDS) Planungs - und Genehmigungsverfahren sei von der Ich denke, diese Bundesregierung ist eigentlich Opposition verzögert worden. Ich muß dem entge- am Ende. Es gehen von ihr wirklich keine Reformen genhalten, daß Sie offenbar keine Ahnung von dem mehr aus. Man muß sich die einfachen Tatsachen an- haben, was im Vermittlungsverfahren abgelaufen ist, sehen. Wir haben jetzt in der Bundesrepublik Herr Kollege Gerhardt. Deutschland die größte Massenarbeitslosigkeit, die (Beifall bei der SPD) es je in der Geschichte dieses Landes gab. Wir haben die größte Staatsverschuldung, die es je in der Ge- Auf unseren Antrag hin ist eine Anhörung durch- schichte dieses Landes gab. Wir haben die größte Ar- geführt worden, in der festgestellt wurde, daß Ihre mut, die es je in der Geschichte dieses Landes gab, Vorschläge nicht zu einer Vereinfachung und Be- und den größten Reichtum, den es je in der Ge- schleunigung von Planungs- und Genehmigungsver- schichte dieses Landes gab. Wir haben die größte fahren führen, sondern daß sie eher zu einer Verzö- Krise im Gesundheits- und im Bildungswesen. Sie gerung beitragen würden. Wir haben im Vermitt- sind außerdem unfähig, die Probleme der Einheit zu lungsverfahren dafür gesorgt - übrigens in einer sehr lösen. Im Gegenteil, Sie verschärfen sie täglich, wor- konstruktiven Zusammenarbeit mit der Regierung -, über die Stimmung in den neuen Bundesländern ge- daß diese Vorschläge eine Form angenommen ha- radezu ausschlaggebend Auskunft gibt. ben, in der sie tatsächlich zur Vereinfachung und Be- schleunigung von Planungs- und Genehmigungsver- Ich füge hinzu, daß die Katastrophen offensichtlich fahren führen. nicht enden. Der Parteifreund des Bundeskanzlers, Lothar Späth - ich möchte nicht behaupten, daß er Bleiben Sie bitte in Ihren Reden bei der Wahrheit! ein Freund ist, aber immerhin ein Parteifreund -, hat Reden Sie nicht über das, was Ihrem Kenntnisstand jetzt im „Focus" erklärt, daß er damit rechnet, daß in offenbar nicht entspricht! den neuen Bundesländern im nächsten Jahr noch einmal 500 000 bis 600 000 Arbeitsplätze wegfallen. (Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Ger Sie wissen, was das bedeutet und welche Katastro- hardt [F.D.P.]: Jetzt bin ich ganz erschüt phen da auf uns zukommen. tert!) In dieser Zeit schlagen Sie vor, Arbeitsmarktmaß- nahmen weiter zu reduzieren, obwohl Sie wissen, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Eine Erwiderung daß die zunimmt und welch große wird nicht gewünscht. Arbeitslosigkeit Probleme das nicht nur in den neuen Bundesländern, (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Herr Ger sondern zunehmend auch in den alten Bundeslän- - hardt, das ist auch besser so; es war näm dern zur Folge hat. In den neuen Bundesländern ist lich so!) es im letzten Jahr nicht bergauf gegangen, in den al- ten aber ist es regelrecht bergab gegangen. Das ist Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Gregor Gysi, nicht die Angleichung, die Sie 1990 versprochen hat- PDS. ten, sondern eine Entwicklung in die falsche Rich- tung. Dr. Gregor Gysi (PDS): Herr Präsident! Meine Da- (Beifall bei der PDS) men und Herren! Herr Gerhardt, Sie haben zum Schluß Ihrer Rede die Notwendigkeit der euro- Dann ist diese Koalition auch nicht mehr in der päischen Integration und der europäischen Einigung Lage, einen soliden Haushalt vorzulegen. Wir müs- politisch begründet. Da ist Ihnen nur zuzustimmen. sen uns das einmal überlegen: Wir beschließen in Das Problem ist nur: Wenn Sie die Sache mit der dieser Woche einen Haushalt, von dem alle wissen, Währungsunion so vorantreiben, wie Sie es tun, und daß er nicht stimmt. Ich räume ein, ich komme aus wenn Sie permanent mit Maastricht den Sozialabbau einem Land, in dem immer Pläne beschlossen wor- 12694 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Dr. Gregor Gysi den sind, von denen alle wußten, daß sie nicht stim- Sie sollten sich nicht auf unserer Schwäche ausru- men. Das ist wahr. Daß die Bundesregierung das hen. aber derart prächtig nachvollzieht, war eigentlich nicht das Versprechen des Jahres 1990. (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Der Klas senfeind schläft nie!) (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) - Herr Gerhardt, daß Sie sagen, der Klassenfeind schlafe nie, ist wahr, weil Sie, wenn es um den Klas- Ich sage Ihnen nur ein Beispiel: Sie wollen die senkampf von oben geht, wirklich hellwach sind. Kriterien von Maastricht einhalten und die Neuver- (Beifall bei der PDS) schuldung auf dem Stand halten, der jetzt hier festgelegt werden soll. Dann sagt der Bundesfinanz- Da gibt es auch nichts, was zu tun Ihnen nicht ein- minister stolz, er habe ja noch einen Spielraum von fällt, um Vermögende und Reiche zu bevorzugen und 0,5 Prozent. Dann halte er immer noch die Maas- den Lohnabhängigen und den Arbeitslosen in die tricht-Kriterien ein. Das würde bedeuten, daß er im Taschen zu greifen. nächsten Jahr noch einmal eine zusätzliche Neuver- schuldung in Höhe von 6,5 Milliarden DM vorneh- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Bettler men könnte. Steuer!) Fakt ist, daß Sie im letzten Jahr eine Neuverschul- Das Hauptproblem in unserer Gesellschaft ist zwei- dung von 60 Milliarden DM eingeplant hatten. Her- fellos die Arbeitslosigkeit. Jetzt lese ich Ihnen ein- ausgekommen ist eine in Höhe von 73 Milliarden mal etwas vor, und dann wird es sehr viel ernster. Ich DM, das heißt, eine um 13 Milliarden DM höhere habe Ihre Argumente, sowohl die von Herrn Schäu- Neuverschuldung, als es geplant war. Wenn das im ble als auch die von Herrn Gerhardt, sehr genau ge- nächsten Jahr passiert, sind alle Maastricht-Kriterien hört. Die finden sich alle schon in anderen Zeiten verletzt. Das steht fest. wieder. Sie planen einen Zuschuß an die Bundesanstalt für Ich lese Ihnen einmal aus einem B rief des Reichs- Arbeit in Höhe von 4,1 Milliarden DM ein. Am verbandes der Deutschen Industrie vom 4. Mai 1931 19. November 1996 machte die Bundesanstalt ihren an Reichskanzler Hein rich Brüning vor: Etat und wies aus, daß sie 9,4 Milliarden DM benö- Der Wirtschafts- und Finanzplan der Reichsregie- tigt, das heißt, mehr als das Doppelte von dem, was rung vom 30. September 1930 ging von der Fest- Sie im Haushalt eingestellt haben. Es ist noch immer stellung aus, daß die Höhe der von Gehalt und schöngerechnet, was die Bundesanstalt macht, weil Löhnen, von Steuern und Soziallasten bedingten sie nämlich davon ausgeht, es werde weniger Ar- Gestehungskosten eine Anpassung der deut- beitslose geben. Davon kann aber überhaupt keine schen Wirtschaftsverhältnisse an die Umwälzun- Rede sein. Das heißt mit anderen Worten: Das Ganze gen auf dem Weltmarkt und damit auch einer Ge- ist völlig unsolide. sundung der deutschen Wirtschaft hemmend im Sie planen Mehreinnahmen durch die Mehrwert- Weg steht und daß es entscheidend darauf an- steuer ein, obwohl Sie doch alles getan haben, um kommt, die Ursachen für das Darniederliegen der die Kaufkraft zu reduzieren, so daß natürlich weniger Wirtschaft zu bekämpfen und über den Tief- gekauft werden wird und weniger Dienstleistungen punkt, an dem wir stehen, hinwegzukommen. in Anspruch genommen werden. Sie werden also we- Die deutsche Industrie hat sich dieser Auffassung niger Einnahmen aus der Mehrwertsteuer haben. der Reichsregierung und insbesondere der Er- kenntnis, daß sich gerade im Interesse der zur Dieser ganze Haushalt stimmt vorne und hinten Zeit arbeitslosen, aber arbeitswilligen Elemente nicht. Er wird ständig korrigiert werden müssen. Das jede neue Belastung der Produktion verbietet, heißt, daß Sie als Koalition nicht einmal mehr in der daß vielmehr die Entlastung der produktiven Lage sind, einen soliden Haushalt vorzulegen. Das Stände mit allen Mitteln zu fördern ist, in vollem ist eigentlich das, was eine Regierung können müßte. Umfange angeschlossen. (Beifall bei der PDS) Es sind die gleichen Argumente, die damals be- nutzt wurden und die Sie heute benutzen. Ich kann Die einzige Stärke dieser Koalition - auch das wi ll nur hoffen, daß die Folgen nicht die gleichen sind, ich Ihnen sagen - ist die Schwäche der Opposition. - wenn Sie diese Brüningsche Politik fortsetzen, die (Lachen und Beifall bei Abgeordneten der Sie gegenwärtig betreiben. CDU/CSU und der F.D.P. - Dr. [F.D.P.]: Das kann man sagen!) (Beifall bei der PDS) Sie sprechen die ganze Zeit von Ausgabenkürzun- - Das ist wahr. Es ist so selten, daß ich aus Ihren Rei- hen Beifall bekomme, daß ich den Satz am liebsten gen und sprechen natürlich nicht über Einnahmen. noch einmal sagen würde. - Ich sage Ihnen aber ei- Aber ich finde, beides gehört zusammen. Da wird zum Beispiel immer so getan, als ob die Unterneh- nes: Täuschen Sie sich nicht. So etwas muß nicht an- halten. Wenn wir unsere Schwäche überwinden, men in Deutschland die höchsten Steuern im Rah- men der Europäischen Union bezahlen würden. dann ist spätestens der Zeitpunkt da, an dem Sie sich verabschieden müssen. Wahr ist, daß wir rein theoretisch den höchsten Steu- ersatz haben. Aber ebenso wahr ist, daß effektiv im (Beifall bei der PDS - Dr. Guido Wester Durchschnitt nach Luxemburg die niedrigsten Unter- welle [F.D.P.]: Eines Tages!) nehmensteuern innerhalb der Europäischen Union in Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12695

Dr. Gregor Gysi Deutschland gezahlt werden. Das ist die Realität. Sie befördern den Reichtum. Dann erklären Sie Wieviel mehr Standortvorteile wollen Sie denn noch hier, daß Sie Steuern nicht erhöhen wollen. Die Frage schaffen? ist doch: Für wen? Niemand hätte etwas dagegen, wenn die Belastungen der Arbeitnehmerinnen und Natürlich sind Durchschnittszahlen immer gefähr- Arbeitnehmer gesenkt würden. Aber Sie senken lich. Das Problem ist nämlich, daß die großen Kon- doch immer nur die Belastungen der Besserverdie- zerne, die Banken und die Versicherungen so gut nenden, der Reichen, der Vermögenden. Das können wie überhaupt keine Steuern zahlen, während die Sie drehen und wenden, wie Sie wollen: Die Ab- Kleinunternehmen und die mittelständischen Unter- schaffung der Vermögensteuer auch für das private nehmen ehrlich und deshalb sehr hohe Steuern zah- Vermögen bringt Ihre ganze Haltung zum Ausdruck. len. Diese Ungerechtigkeit muß aufgelöst werden, wenn Sie Arbeitsplätze schaffen wollen. In einer Zeit, in der jede Sozialhilfeempfängerin weniger bekommt, in einer Zeit, in der es immer (Beifall bei der PDS) mehr Arbeitslose gibt, in einer Zeit, in der Sie jede Man könnte sich übrigens auch einmal ansehen, Arbeitnehmerin und jeden Arbeitnehmer zur Kasse wie sich das entwickelt hat. Sie machen doch die bitten und das Krankengeld kürzen wollen, erlassen ganze Zeit diese Politik der Entlastung. Sie sagen Sie Frau Thurn und Taxis die Vermögensteuer. Das doch immer, Leistung muß sich wieder lohnen. Sie ist die Realität in dieser Gesellschaft, und um diese lohnt sich doch - was auch immer man darunter ver- Wahrheit kommen Sie nicht herum. stehen mag. Die entnommenen Gewinne und Ver- (Beifall bei der PDS) mögenseinkommen sind von 245,1 Milliarden DM im Jahr 1980 auf 735,4 Milliarden DM im Jahr 1995 ge- Deshalb sage ich Ihnen: Sie müssen die Einnah- stiegen. Das heißt, sie haben sich in Ihrer Regie- men erhöhen, um Beschäftigung finanzieren zu kön- rungszeit mehr als verdreifacht. Welche Erhöhung nen, und zwar durch eine gerechte Besteuerung der wollen Sie dieser Gruppe in der Gesellschaft denn Unternehmen. noch zukommen lassen? (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Wie in der Wieviel Arbeitsplätze, glauben Sie, sind denn dar- Planwirtschaft!) aus erwachsen? Kein einziger! Das war die Zeit, in der die meisten Arbeitslosen in Deutschland entstan- Erklären Sie doch einmal einer Arbeitnehmerin oder den sind, obwohl Sie ein Steuergeschenk nach dem einem Arbeitnehmer folgendes: Wenn ein Arbeitneh- anderen gemacht haben, obwohl Sie eine Erleichte- mer brutto 100 DM verdient, muß er davon etwa rung nach der anderen für diese Gruppe in der Be- 40 DM an Steuern und Abgaben abgeben. Wenn ein völkerung organisiert haben. Aktionär 100 DM verdient, muß er 12 DM abgeben. (Beifall bei der PDS) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Bevor er die Aktien gekauft hat, hat er sein Geld schon Die Zahl der Einkommensmillionäre ist von 1983 einmal versteuert!) bis 1989 von etwas über 33 000 auf etwas über 56 000 gestiegen. Seit 1989 verweigert das Statistische Bun- Das ist die Realität. Nehmen Sie da einmal eine Erhö- desamt die Statistik darüber. Inzwischen ist nämlich hung der Abgabenlast vor. Dann können Sie nämlich die Zahl der Einkommensmillionäre noch einmal um die anderen Abgaben senken. Nur so herum funktio- 40 Prozent angestiegen. So hatten sie nach der deut- niert Umverteilung. Wer Armut und Sozialdumping schen Einheit zugenommen. Wir sind jetzt nahe bei bekämpfen will, muß Reichtum begrenzen. Anders 100 000. Übrigens verdienen davon über 1 000 jähr- wird das nicht funktionieren. lich mehr als 10 Millionen DM. Können Sie mir ein- (Beifall bei der PDS) mal erklären, wer so viel leistet, daß er jährlich mehr als 10 Millionen DM verdienen muß? Dafür gibt es Sie hätten die Möglichkeit, Spekulationsgewinne, keine Rechtfertigung, selbst wenn er den ganzen Tag die an Börsen, bei Banken und auf dem Immobilien- arbeitet und nie schläft. markt entstehen, abzuschöpfen. Sie könnten eine Abgabe für Besserverdienende einführen. Sie könn- (Beifall bei der PDS - Dr. Guido Wester ten endlich eine Kapitaltransfersteuer einführen, da- welle [F.D.P.]: Das mit dem Verbieten habt mit nicht soviel Kapital abfließt. Sie könnten- eine ge- ihr doch ausprobiert! Das habt ihr doch rechtere und höhere Erbschaftsteuer einführen. Sie gemacht!) könnten auch eine Luxussteuer, das heißt eine er- - Die DDR ist an vielem gescheitert, aber nicht an höhte Mehrwertsteuer auf Luxusprodukte, einfüh- dem Mangel an Millionären. ren. All das wäre möglich, aber all das würde Ihre Klientel treffen, und deshalb machen Sie das nicht. (Heiterkeit und Beifall bei der PDS) Wenn Sie Ihre Einnahmenpolitik auf die von mir Da irren Sie sich. Das war nicht ihre Schwäche. Glau- beschriebene Art und Weise verändern würden, ben Sie, daß es die DDR, wenn wir tausend Leute ge- dann hätten Sie die Chance, eine soziale Grundsi- habt hätten, die über 10 Millionen DM im Jahr ver- cherung und einen öffentlichen Beschäftigungssek- dient hätten, noch geben würde? Sie haben vielleicht tor zu finanzieren und damit wirksam gegen Arbeits- naive Vorstellungen. losigkeit anzugehen. (Heiterkeit und Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS) 12696 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Dr. Gregor Gysi Natürlich können wir auch sparen, zum Beispiel von vor der großen Französischen Revolution haben, bei der Rüstung. Den Eurofighter braucht niemand. Arbeitsplätze schaffen. Verzichten Sie endlich auf dieses Produkt. Sie wissen ganz genau, der Zug ist abgefahren. (Beifall bei der PDS - Siegfried Hornung Wenn Sie für Unternehmen mit maximal zehn Be- [CDU/CSU]: Ich verzichte lieber auf die schäftigten - das sind immerhin 80 Prozent der Un- PDS!) ternehmen in Deutschland, und 30 Prozent der Be- schäftigten sind davon betroffen - den Kündigungs- Wir könnten durch Begrenzung der Bürokratie spa- schutz abschaffen, dann läßt sich der Kündigungs- ren. Wir könnten sparen, indem wir auf die Prunk- schutz auch für die anderen 70 Prozent der Beschäf- bauten in Berlin verzichten. tigten nicht halten. Herr Bundeskanzler, die Regierung der DDR mag Ich muß darauf hinweisen, daß Sie ja auch eine nicht viel getaugt haben, aber klein war sie nicht. schwere Niederlage erlitten haben - das zeigt, daß Das heißt, es gab ausreichend Räume. die Regierung wirklich am Ende ist -: Sie wollten (Beifall bei Abgeordneten der PDS) symbolisch die Gewerkschaften bei der Lohnfortzah- lung im Krankheitsfall brechen. Jetzt gibt es Hun- Warum wäre es denn so schlimm gewesen, wenn wir derttausende, die einfach nein sagen, die da nicht uns mit Provisorien hätten abfinden müssen? Wieso mitmachen und Ihnen diese Politik nicht mehr durch- muß alles in Glanz und Glimmer für Milliarden und gehen lassen, Abermilliarden entstehen? Das war überflüssig, und das war der Situation überhaupt nicht angemessen. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS) weil sie begriffen haben, daß diese Kürzung nicht zu mehr Arbeitsplätzen führt, sondern nur zu mehr Wir könnten auch auf den Transrapid verzichten. Reichtum. Sie akzeptieren diesen wachsenden Das wird eines der kostspieligsten Unternehmen, das Reichtum in unserer Gesellschaft nicht mehr, wenn sich diese Gesellschaft leistet. Hinterher werden Sie auf der anderen Seite immer mehr Kürzungen und wieder schreien und das Ganze privatisieren. Das immer mehr Armut stehen. heißt, alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ha- ben den Transrapid über ihre Steuern bezahlt, und Deshalb sage ich: Sie sind am Ende, und besser Sie sorgen dafür, daß die Gewinne privat bei einigen heute als morgen sollten Sie mit dieser Politik aufhö- wenigen Personen landen. ren. Wenn wir etwas stärker werden - das wird kom- men -, dann werden Sie auch diesen Wechsel erle- (Beifall bei der PDS - Wolfgang Zöller ben. Sie werden ihn natürlich nicht mit Freude erle- [CDU/CSU]: Wenn es Gewinne gibt, gibt es ben, Herr Bundeskanzler. auch kein Finanzierungsproblem!) (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das stimmt, Das ist Ihre Politik. Diese führt zur Verarmung des ja!) Staates, und das ist für Sie die Begründung dafür, den Sozialabbau fortzusetzen. Aber ich verspreche Ihnen: Sie werden es noch erle- ben. Es ist das erste Mal, daß ich Ihnen etwas ver- Was führen Sie an Maßnahmen gegen Massenar- spreche, und Sie werden sehen, daß ich im Unter- beitslosigkeit durch? Das erste ist: Sie kürzen perma- schied zu Ihnen Versprechen halte. nent Sozialleistungen und reduzieren damit Kauf- kraft. Wenn Sie Kaufkraft reduzieren, ist die Folge, (Beifall bei der PDS) daß immer mehr Arbeitsplätze abgebaut werden. Das zweite ist: Sie erhöhen das Rentenalter. Dadurch schaffen Sie nicht einen einzigen Arbeitsplatz. Ganz Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der im Gegenteil: Sie enthalten damit die Arbeitsplätze Herr Bundeskanzler. Jüngeren vor, indem Frauen länger arbeiten müssen. Außerdem ist das, was Sie da beschließen, auch noch Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Herr Präsident! frauenfeindlich. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin (Beifall bei Abgeordneten der PDS) schon schwer getroffen von den Schlägen, die ich eben noch einmal erfahren habe. Das dritte ist: Sie wollen im Rahmen der Kohlepolitik die Subventionen streichen und Zechen schließen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der Das ist Ihre Arbeitsmarktpolitik. Nennen Sie mir eine F.D.P.) einzige Maßnahme, die Sie getroffen haben und die Wenn man sich vor Augen führt, woher der ge- real zu mehr Arbeitsplätzen geführt hätte. Es gibt schätzte Kollege nicht nur geographisch, sondern keine. auch politisch kommt, muß man sich immer nur wun- Herr Gerhardt ist stolz darauf, daß er bereit ist, den dern, welch eine Keßheit dazu gehört, hier an diesem Kündigungsschutz abzuschaffen. Pult solche Reden zu führen. (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Nein!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Wenn ich immer mehr Rechte abschaffe, dann kann DIE GRÜNEN]: Gregor, er hat „geschätzter ich natürlich unter Bedingungen, die einen Stand Kollege" gesagt!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12697 Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Aber das ist trotzdem in Ordnung; denn es gehört hat das pur dargeboten. Herr Verheugen, wenn ich zur parlamentarischen Demokratie, daß in der Gene- Parteivorsitzender der SPD wäre, würde ich Ihre Rat- raldiskussion zum Etat des Bundeskanzlers alle nur schläge prinzipiell nicht annehmen. denkbaren Perspektiven der Politik angesprochen werden können. Als Bundeskanzler, als Regierung (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten und auch als Regierungskoalition kann man nicht da- der CDU/CSU und der F.D.P.) mit rechnen, daß die Opposition Lobpreis spendet. Das haben wir früher auch nie getan. Auch wir ha- Sie haben schon einmal einer Partei falsche Rat- ben seinerzeit gelegentlich die Farben kräftig aufge- schläge gegeben. tragen und gesagt, daß es nicht mehr weitergehe und daß die Regierung unmittelbar vor dem Zusam- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU menbruch stehe. sowie bei Abgeordneten der F.D.P.) Bis jetzt habe ich nur noch nicht gehört - meine Natürlich kann man sich irren. Daß Sie jetzt aber Freunde aus der CSU mögen es mir nachsehen -, daß so in den Klassenkampf verfallen, ist schon eine ganz das Wort Sonthofen hier gefallen ist. Das habe ich al- ungewöhnliche Mutation. Ich habe Sie doch noch les schon einmal gehört; bloß hat es zu nichts ge- von früher in Erinnerung! führt. Warum lernen Sie eigentlich nicht aus unseren Fehlern? Das wäre doch naheliegend; denn dies war (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der doch nun gar kein Rezept, das uns in die Regierung F.D.P.) gebracht hätte. Vielmehr kann man nur an die Regie- rung kommen, wenn die Bürger das Gefühl haben, Ich sage es noch einmal: Die Menschen im Land die Politiker machen zwar diesen oder jenen Fehler, wissen sehr genau, daß wir umdenken müssen, daß verdienen aber insgesamt Vertrauen. Deswegen sind es nicht möglich ist zu sagen: Wir machen so weiter!, wir auch immer gewählt worden. wie wir es früher auch gesagt haben. Die Menschen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wissen, daß jetzt weltweit, also auch in Deutschland und in Europa, eine Entwicklung eingetreten ist, aus Die Stimmbürgerin und der Stimmbürger verste- der wir Konsequenzen ziehen müssen. Ich glaube hen Politik auch - das ist ja im Sinne unserer demo- nicht, daß wir in Wahrheit in dieser Grundposition kratischen Überzeugung - als Kampf und Auseinan- weit voneinander entfernt sind. dersetzung um den besseren, den besten Weg in die Zukunft. Da werden Konzepte einander gegenüber- Deswegen: Lassen Sie uns streiten; die Wähler sol- gestellt, die wechselseitig nicht akzeptiert werden; len dann entscheiden. Ich finde es bloß nicht sehr auch das gehört dazu. Dann hat der Wähler das letzte überzeugend, daß Sie in diesen Tagen als Haupt- Wort . Das ist auch gut so. slogan den Ruf aus Köln erklingen ließen - hier ha- Wir haben uns immer wieder den Wählern zu stel- ben Sie ja geschwiegen; die Parlamentarischen Ge- len. Hier war die Rede von einer düsteren Perspek- schäftsführer haben für Ruhe gesorgt -: Der Kohl tive für die Koalitionsparteien und die Bundesregie- muß weg. Das können Sie ja rufen, aber er ist da. rung. Aber ich erkenne überhaupt keinen Grund, verzagt zu sein. Wenn ich im SPD-Präsidium geses- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sen hätte - Gott sei Dank war ich do rt nicht; aber stel- und der F.D.P.) len Sie sich das einmal vor -, Das ist so eine Art Beschwörung; sie hat aber keine (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der politischen Inhalte. F.D.P.) dann wäre do rt vielleicht eine einheitliche Meinung Ich habe Ihren geschätzten Partner auf dem Weg in herausgekommen. die Zukunft - so glauben Sie es ja - beobachtet, auch die ganze Führungselite der Grünen; sie war mehr (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU betroffen, wie man vorhin sehen konnte. und der F.D.P.) Was glauben Sie, Herr Kollege - Sie haben mich ge- (Joseph Fischer [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/ rade angesprochen -, was die Leute in Ihrem Unter- DIE GRÜNEN]: Großer Psychologe!) bezirk oder in Ihrem Ortsverein gesagt hätten? Viel- leicht hätten sie gesagt: Endlich wissen wir einmal, Lassen Sie uns also kräftig miteinander kämpfen was die in Bonn wollen! und auseinandersetzen! Die Wähler fällen dann die Entscheidung. Sie werden auch beurteilen, was wir, (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der Koalition und Regierung, geleistet bzw. nicht gelei- F.D.P.) stet haben und was Sie an Angeboten unterbreitet Ich kann mich Ihnen nicht andienen; so weit kann oder zu machen unterlassen haben. das nicht gehen. Ich will aber wenigstens gesagt ha- ben, daß das Bild von Deutschland, das Sie hier ent- (Zuruf des Abg. [SPD]) worfen haben, mit der Wirklichkeit gar nichts zu tun hat. Das wissen Sie so gut wie ich. Das können Sie nicht verändern; das ist so. Und fügen Sie nicht noch einen Schuß Klassen- Da Sie den Zwischenruf gemacht haben: Eigent- kampf hinzu! Herr Verheugen ist aufgestanden und lich hätte ich von Ihnen erwartet, daß Sie in Stuttga rt 12698 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl etwas klüger operiert hätten. - Damit meine ich jetzt - Hören Sie doch erst mal zu, bevor Sie wieder Zwi- konkret die SPD. schenrufe machen! Ende September gab es noch 43 000 freie Stellen gegenüber 38 000 Nicht-Vermit- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - telten. Im Oktober sind weitere 10 000 Vermittlungen Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ hinzugekommen, so daß die Zahl, die wir uns im DIE GRÜNEN]: Er läßt nichts aus! - Abg. Frühjahr als Ziel gesetzt hatten, erreicht wurde. Dies Freimut Duve [SPD] meldet sich zu einer ist die statistische Größe. Sie ist objektiv richtig - wie Zwischenfrage) früher übrigens auch. - Entschuldigung, ich nehme das zurück. Ich habe Das Problem, das wir haben, ist, daß diese Zahlen Sie verwechselt. Sie in haben den Fehler zunächst noch nichts über die regionale Situation noch vor sich. aussagen. Die regionalen Unterschiede waren im- mer gravierend. Sie sind in den letzten Jahren - na- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) türlich vor allem auch in den neuen Ländern - noch gravierender geworden. Das Problem, das wir haben, liegt nicht primär in der absoluten Zahl, sondern in

Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Herr Bundes- der Tatsache begründet, daß wir in bestimmten Re- kanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage? gionen Deutschlands bei dem Angebot von und der Nachfrage nach Lehrstellen ganz unterschiedliche Entwicklungen haben. Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Nein. Sie sehen das an einem Beispiel, das sehr bedrük- Bevor ich zu dem komme, was ich in die Debatte kend ist. Die Situation im Ruhrgebiet stellt sich in einzubringen mir vorgenommen habe, will ich kurz diesem Zusammenhang als besonders schwierig dar. etwas zu der Auseinandersetzung über Lehrstellen Das hat etwas mit den gewaltigen Veränderungen sagen. der industriellen Struktur in dieser Region zu tun, Meine Damen und Herren von der SPD, ich streite übrigens auch im Bereich des Steinkohlebergbaus, jetzt nicht darüber, wie Sie diese Ausarbeitung be- um ein Beispiel zu nennen. Klugerweise muß man zeichnen. Ich habe eben noch einmal nachgelesen ganz einfach sagen: Wir müssen in solchen Regionen und festgestellt, daß dieses eine Wo rt in der Ausar- - das gilt natürlich in besonderem Maße für die beitung nicht vorkommt. Das will ich ausdrücklich neuen Länder - mit neuen Überlegungen ansetzen, festhalten. Sie haben eine ganze Menge Vorschläge um das Ganze zu sichern. gemacht, die aber am Ende alle zum gleichen Ergeb- Es gibt auch andere Gründe, die hier zu nennen nis führen, nämlich dazu, daß es sich um eine Ab- sind, die es übrigens zum Teil schon immer gab. Es gabe handelt. gab immer, und zwar in jeder Ausbildungsgenera- Es muß doch wenigstens erlaubt sein, hier darauf tion, Trends zu bestimmten Berufen. Es gab immer hinzuweisen, daß zwei namhafte Mitglieder der So- Berufe, die sich als „Modeberufe" - und das meine zialdemokratischen Partei Deutschlands bei Ihrer De- ich nicht abwertend - verstanden haben, bei denen batte auftraten, die, wie immer in einer solchen Si- man gesagt hat: Diesen Beruf will ich ergreifen. Es tuation, nicht freundlich aufgenommen wurden, gab aber immer auch andere Berufe, die von denen, nämlich der zukünftige Ministerpräsident von Nord- die einen Ausbildungsplatz gesucht haben, als weni- rhein-Westfalen, Herr Clement, und Ihr wirtschafts- ger akzeptabel empfunden wurden. politischer Sprecher und Ministerpräsident von Nie- Das heißt also, wir müssen uns jetzt - und das wer- dersachsen, Herr Schröder. Sie haben davor gewarnt, den wir tun - gemeinsam mit allen Betroffenen - ich diesen Beschluß zu fassen. denke in diesem Zusammenhang an die Arbeitgeber, ich denke vor allem an die Kammern, ich denke nicht Sie haben im übrigen darauf hingewiesen - das ist zuletzt auch an die Gewerkschaften -, so haben wir doch in dieser Woche so gewesen -, daß dieser Be- es vereinbart, gleich im Januar - nicht abwartend - schluß nicht zu mehr Lehrstellen führt, sondern die eine Fülle von Maßnahmen überlegen, um die Ent- Bereitstellung von mehr Lehrstellen vereitelt. Das ist wicklung im nächsten Jahr und in den folgenden dort wörtlich gesagt worden. Jahren einigermaßen vernünftig gestalten zu kön- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nen. Nicht mehr und nicht weniger hat Wolfgang Schäu- Denn es ist wahr: Zwischen 1995 und 2005 werden ble zu diesem Thema gesagt. die starken Jahrgänge - wir werden uns mit Wehmut an diese Zeit erinnern, wenn sie vorbei ist - Ausbil- Wie ist die Bilanz, und wie ist die Situation? Das ist dungsplätze suchen. Das wichtige Ziel deutscher - jedenfalls für mich - eines der zentralen Themen Politik, ich sage lieber: deutscher Gesellschaft muß der deutschen Politik: Wie sehen die Zukunftschan- sein, daß junge Leute, die aus der Schule kommen cen junger Leute aus, in diesem Fall vor allem im Ar- und den ersten Schritt in die Welt des Erwachsenen beitnehmerbereich, im Bereich des dualen Ausbil- tun, einen Ausbildungsplatz finden. Das muß Vor- dungssystems? rang vor vielem anderen haben. Die Lehrstellenbilanz in Deutschland ist auch in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) diesem Jahr ausgeglichen. Wir sind davon überzeugt - ich habe mich sicher (Zuruf von der PDS) mehr bemüht als viele andere, gerade in diesem Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12699 Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Jahr -, daß wir das auf der Basis der Vereinbarung zu hören, daß die Zahl derjenigen Anwärter für eine schaffen können. Ausbildung in einem Lehrberuf gewachsen ist - sie macht ungefähr 10 Prozent aus -, die die Vorausset- Aber wir müssen fairerweise auch fragen, was zu- zungen für eine Ausbildung nicht mitbringen. Die sätzlich geschehen muß, um die Akzeptanz nicht nur Schule war nicht in der Lage, das notwendige Wissen bei den Lehrlingen, sondern auch bei denen, die als zu vermitteln. Arbeitgeber, als Lehrherren in Frage kommen, zu verbessern. Da haben wir eine Menge auf den Weg Herr Abgeordneter Scharping, Sie sprachen von gebracht. Das ist aber nicht ausreichend. den Lohnnebenkosten; Sie sprachen auch davon, welche Leistungen zwecks Entlastung nicht mehr Ich will nur noch ein paar Beispiele nennen. Wir durch die Bundesanstalt finanziert werden sollen, um müssen unbedingt - da sind wir auf einem guten die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu sen- Weg - die Ausbildereignung weiter flexibilisieren. ken. Unsere Auffassungen liegen da nicht so weit Wir müssen auch das Moment der langjährigen be- auseinander. Die Frage wird sein, woher wir das ruflichen Erfahrung vor der rein prüfungsmäßigen Geld bekommen; da gehen unsere Ansichten ausein- Voraussetzung wieder stärker in Betracht ziehen. Ich ander. bin ganz sicher, daß auf diesem Weg Gutes erreicht werden kann. Sie können in die Reihe Ihrer Beispiele, für das, was Sie ändern wollen, mit aufnehmen, daß die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Nürnberger Bundesanstalt Jahr für Jahr rund eine ordneten der F.D.P.) halbe Milliarde DM für Grundbildungs- und Förder- Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß das lehrgänge ausgeben muß, damit Jugendliche über- Tempo bei der Schaffung neuer Berufsbilder zuneh- haupt ausbildungsreif sind. Das hat etwas mit der men muß. Ich sage das ohne Vorwurf; es sind alle Schule zu tun. daran beteiligt: ob das die Landes- oder die Bundes- (Michael Glos [CDU/CSU]: Richtig!) ministerien sind, ob das die Gewerkschaften sind, ob das die Wirtschaft ist. Das Ganze ist in vielen Jahren Ich klage auch hier nicht an, ich sage nicht, das ma- viel zu schleppend gelaufen. Bei der Schaffung chen die Länder gut oder schlecht. Ich denke auch neuer Berufsbilder mit hoher Qualität muß schneller nicht daran, die Lehrer anzuklagen. Das alles wäre vorangegangen werden. ziemlich kurzsichtig und töricht. Wir haben es jetzt geschafft, die Zeitspanne für die Aber wahr ist, meine Damen und Herren, daß der Einführung neuer Berufsbilder von fünf Jahren auf Zustand der Schulen nicht in Ordnung sein kann, zwei Jahre zu verkürzen. Ich halte das nicht für ein wenn ein so hoher Prozentsatz der Jugendlichen im Ruhmesblatt, sondern für das Mindeste, was man tun Anschluß an die Schule in einem Ausbildungsberuf kann und tun muß. Ich könnte mir vorstellen, daß nicht ausbildungsfähig ist. Das ist doch ein Punkt, hier noch mehr geschehen kann. der uns beschäftigen muß. Meine Damen und Herren, wir müssen vor allen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dingen die veränderten Verhältnisse bedenken. Ich Wir werden sicherlich seitens der Bundesregierung finde es besonders seltsam, daß dieser Aspekt in der im Kreise der Ministerpräsidenten bald darüber spre- gesamten Diskussion nicht auftaucht. chen. Deswegen halte ich es für wichtig, daß wir Dabei wäre erstens die Tatsache zu nennen, daß nicht nur Programme aufstellen, sondern den Dingen heute rund 70 Prozent aller Auszubildenden, die auf den Grund gehen. noch nach der Berufsschule im Betrieb besser ausge- Für mich bleibt es eine der zentralen Aufgaben der bildet werden können, gar keine Jugendlichen im deutschen Gesellschaft, erstens für eine erstklassige Sinne des Jugendarbeitsschutzgesetzes sind, son- Ausbildung der jungen Generation zu sorgen - in dern Erwachsene, daß sie beispielsweise Wähler diesem Falle derjenigen, die im dualen System aus- sind. Damit besteht eine völlig andere Situation als gebildet werden - und zweitens alle Voraussetzun- noch vor 30 oder 40 Jahren, als unter dem Beg riff gen für die Ausbildung im dualen System zu verbes- „Lehrling" und später „Auszubildender" ein be- sern. Es gilt zu Recht immer noch weltweit als das be- stimmter Lebensabschnitt verstanden wurde. Das ist ste Ausbildungssystem. heute anders. Wir müssen überprüfen, was das für - Konsequenzen hat. Meine Damen und Herren, dazu gehört dann na- türlich auch, daß wir die einzelnen Voraussetzungen Zweitens scheint mir folgender Sachverhalt ent- schaffen. Ich bestreite nicht die gute Absicht hinter scheidend zu sein. Herr Scharping, bei dieser Frage Ihren Vorschlägen, die Sie in der konkreten Situation würde ich Sie bitten, im Kreise Ihrer Freunde dafür umzusetzen versuchen. Ich sage Ihnen aber wie Cle- zu werben, ebenso und vor allem auch Sie, Herr Mi- ment und Schröder auch voraus: Eine solche Vorlage, nisterpräsident Lafontaine; zum Gesetz erhoben, wird zu einer breiten Ausbil (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/ dungsverweigerung führen. CSU]: Da müßte Herr Scharping erst einmal (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zuhören!) Die Ausbildungsbetriebe werden sich freikaufen, ich tue das gleiche auch auf seiten der CDU: Bei mei wie wir das in anderen Bereichen auch erlebt haben. nen Gesprächen in diesem Jahr ist es für mich mit am alarmierendsten gewesen, von allen Seiten die Sorge (Widerspruch bei der SPD) 12700 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Bedenken Sie bitte bei Ihrem Vorschlag, daß er chen, wer beispielsweise sieht, wie in diesem Augen- eine weit über das Finanzielle hinausgehende Wir- blick eine Weltmacht wie die Vereinigten Staaten kung haben wird: Die Kontinuität in der Ausbildung, von Amerika Positionen etwa im Verhältnis zur die nicht zuletzt im Handwerk immer noch besteht Volksrepublik China teilweise revidieren muß, der und den Ruf des dualen Systems über Generationen weiß, daß hierbei auch wirtschaftliche Gegebenhei- hinweg geschaffen und gefestigt hat, geht mit Si- ten wirksam sind. cherheit verloren. Deswegen sage ich Ihnen klar: Wir werden solche Vorschläge nicht akzeptieren. Wir können doch nicht so tun, als ginge uns das alles nichts an. Der Anteil der ostasiatischen Schwel- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lenländer am Welthandel hat sich seit 1970 von 21/2 Prozent auf mehr als 10 Prozent vervierfacht. Die Aber ich will Sie gern einladen, an der Diskussion für uns viel wichtigere Zahl ist: Der deutsche Anteil in bezug auf das, was wir im neuen Jahr beginnen hat sich im gleichen Zeitraum von fast 12 Prozent auf wollen, teilzunehmen; denn je mehr Gemeinsamkeit 9 Prozent reduziert. Sie brauchen diese Zahlen ja wir herstellen können, desto besser ist es für die jun- nicht absolut zu nehmen. Aber in ihrer Tendenz zei- gen Leute. Das ist unser eigentlicher Auftrag. gen sie einen Abstieg an. Er muß gestoppt werden. Meine Damen und Herren, diese Debatte um den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Etat 1997 findet - das ist überall erkennbar - in ei- und der F.D.P. - Ministerpräsident Oskar nem Augenblick der dramatischen Veränderung in Lafontaine [Saarland]: Das liegt an der der Welt, in Europa und in Deutschland statt. Wenn Bevölkerungsentwicklung!) Sie sich die Situation allein in den Ländern der Euro- päischen Union anschauen, werden Sie überall den - Das ist nicht nur die Bevölkerungsentwicklung, gleichen Eindruck bekommen, nämlich daß überall verehrter Herr Ministerpräsident. Ich komme gleich um den richtigen Weg in die Zukunft gerungen wird, noch darauf zu sprechen; dann sind wir bei der So- daß heftige Auseinandersetzungen, auch schwere so- zialpolitik. Ich bin sehr gespannt, was Sie darauf an- ziale Auseinandersetzungen stattfinden und daß schließend replizieren werden. man überall begriffen hat: Es ist jetzt, gut drei Jahre vor dem Ende dieses Jahrhunderts, der Zeitpunkt ge- (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar kommen, um die Weichen für die Zukunft zu stellen. land]: 1 Milliarde Chinesen!) Wenn dies für alle richtig ist, dann ist es auch für Seit einigen Jahren kommt zu der klassischen Kon- Deutschland richtig. Deutschland ist nach den USA kurrenz aus dem Fernen Osten die Konkurrenz aus und noch vor Japan die zweitgrößte Exportnation unserer unmittelbaren Nachbarschaft hinzu. Lassen der Welt. Wir können noch soviel miteinander strei- Sie mich das Folgende auch einmal in der aktuellen ten und diskutieren: Wir werden den Wohlstand und deutschen Diskussion sagen: Ich finde es ziemlich die soziale Stabilität, die ganze Generationen in den schäbig, daß viele mit kurzsichtigen Neidgefühlen letzten 50 Jahren in Deutschland geschaffen haben, auf unsere Nachbarn, etwa in Tschechien, Ungarn nicht halten können, und wir werden auch die sozia- oder bis hin nach Rußland, schauen. Wir wollten len Probleme, die es ja gibt und die gelöst werden doch eigentlich immer, daß der Kommunismus ver- müssen - ich komme gleich darauf zu sprechen -, schwindet; wir wollten doch, daß diese Länder zu Re- nicht in den Griff bekommen können, wenn wir diese form, zu Freiheit, zu sozialer Stabilität und zum weltweite Entwicklung nicht auch unter der Perspek- Rechtsstaat, auch zu wirtschaftlicher Öffnung finden. tive betrachten, welche Hausaufgaben wir selbst da- Wenn sie jetzt diesen Weg beschreiten, werden sie bei zu machen haben. natürlich unsere Konkurrenten. Damit muß man nicht nur leben; ich finde, wir sollten begrüßen, daß Insofern ist das Denken in globalen Kategorien wir jetzt in Deutschland und in Europa normale Ver- keine Ausrede, die wir hier zu Hause gebrauchen hältnisse haben. würden; es ist die ganz einfache Voraussetzung da- für, die Zukunft zu begreifen. Denn die Märkte (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wachsen immer weiter zusammen; die Arbeitsplätze Wenn die Arbeitsstunde eines Entwicklungsinge- wandern zu den Standorten, die besonders attraktiv nieurs für Nachrichtentechnik - ich nehme bewußt sind. Wahr ist ebenfalls, daß manch einer diese das Beispiel aus einem Zukunftsberuf - bei einem Standortbetrachtung zu kurzsichtig betreibt und daß deutschen Großunternehmen gegenwärtig 135 DM er die Vorteile des Standortes Deutschland, von de- - kostet, in Ungarn nur 54 DM, dann ist das eine klare nen ich ebenfalls reden will, viel zu gering ein- Aussage. Sie kann für uns aber nicht bedeuten: Weil schätzt. die Konkurrenz vorhanden ist und niedrigere Löhne (Zuruf von der SPD: Nebulös!) zu bezahlen hat, müssen wir die Löhne senken. Das geht doch gar nicht. Die Konkurrenten werden ihre - Wenn das für Sie nebulös ist, verstehen Sie nichts niedrigeren Löhne nicht beibehalten können; auch von der Wirklichkeit. Aber das verwundert mich bei das ist wahr. Ihnen nicht. Aber es stellt sich doch die Frage, ob die deutsche (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Gesellschaft - das ist überhaupt keine parteipoliti- ordneten der F.D.P.) sche Frage - den Mut und die Kraft aufbringt zu sa- Wer aus dem Nebel heraustritt und die Entwick- gen, wir müssen trotzdem versuchen, die Arbeitsko- lung der ostasiatischen Märkte betrachtet, wer sieht, sten zu senken, zum Beispiel durch mehr Flexibilität wie sehr sich die Konkurrenten do rt bemerkbar ma in der Arbeitsorganisation. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12701

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Es ist hier vorhin - ich glaube, vom Kollegen von Ich finde, es kann Ihnen nur gut tun, wenn Sie so et- der F.D.P. - auf das Beispiel der IG Metall hingewie- was mal hören. sen worden. Ich beobachte in deutschen Betrieben (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU der Metallbranche - auch mit Zustimmung der IG und der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfurt] Metall, und das finde ich sehr gut - inzwischen Ein- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich hätte nur zelabmachungen, die vor fünf Jahren völlig undenk- gern gewußt, wie Sie die Arbeitslosenzah bar waren. Das heißt, es haben Veränderungen auch len halbieren und die Lohnnebenkosten in den Köpfen Platz gegriffen. Warum tun wir hier in senken wollen!) diesem Saale so, als sei das nicht so? In Wahrheit sind wir doch längst viel weiter. Meine Damen und Herren, denjenigen, die den Standort Deutschland schlechtmachen, muß man in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Erinnerung rufen, daß wir wichtige Aktivposten ha- Entwicklungen wie mehr Teilzeitarbeit oder Ar- ben, die sich sehr wohl mit allen anderen Ländern beitszeitkonten, ein ganz wichtiges Wort, waren vor der Welt messen können: fünf Jahren ein Schreckgespenst. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Das ist DIE GRÜNEN]: Ich hätte es gern konkre Unsinn, was er sagt!) ter!) - Hören Sie doch überhaupt mal zu! Es hat keinen eine ausgezeichnete Infrastruktur, die hohe Qualifi- Sinn, daß Sie als Abgeordnete des Deutschen Bun- kation bei der Ausbildung - ich habe davon gespro- destages hier im Saal sitzen und sich einfach nach chen - und eine ausgewogene Wirtschaftsstruktur dem Muster verhalten: Weil der das sagt, ist es zusammen mit einem leistungsfähigen Mittelstand. falsch. - Es ist doch richtig, was ich hier gesagt habe. Meine Damen und Herren, das sind Aktivposten, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mit denen wir bei dem, was wir an Problemen zu be- wältigen haben, ein gutes Stück vorankommen kön- Das heißt auch, daß die Tarifautonomie natürlich nen. erhalten bleiben muß. Ich halte die Tarifautonomie Es ist auch wahr, daß wir wieder in eine Entwick- für eine der wichtigsten Errungenschaften in der Ge- lung kommen - Gott sei Dank -, daß die Konjunktur schichte der Bundesrepublik. Ich kann nur alle war- anzieht. Ich streite nicht darüber, ob es 2 oder nen, die Tarifautonomie in Frage zu stellen, auch 2,5 Prozent sind; jedenfalls zieht die Konjunktur an. dann, wenn ich von Herrn Scharping gescholten Wir haben faktisch Preisstabilität, nämlich eine Infla- werde, ich würde die Unternehmer angreifen. Das ist tionsrate von nur 1,5 Prozent. Ich höre hier dauernd übrigens eine ganz neue Verteidigungsposition, die etwas von dem sozialen Abstieg in Deutschland. Kei- ich hier erlebt habe; ner von Ihnen hat es bisher für nötig befunden zu sa- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) gen, daß einer der größten Erfolge unserer Zeit die niedrige Inflationsrate von 1,5 Prozent ist. aber warum sollen Sie es nicht tun, denn wenn es der Herr Schröder macht, müssen Sie es auch machen, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Konkurrenz belebt auch bei euch das Geschäft. Das Die Zinsen befinden sich auf einem historischen Ganze in Frage zu stellen halte ich für eine gefährli- Tiefstand. Wir haben Tarifabschlüsse, jedenfalls in che Position, die für mich nicht akzeptabel ist. der allerjüngsten Zeit, die sehr viel besser als in frü- Natürlich sind wir keine Konsensgesellschaft. Na- herer Zeit wettbewerbs- und beschäftigungsorien- türlich müssen wir in bestimmten Bereichen Ent- tiert sind. scheidungen treffen. Aber es ist doch keine falsche Wir haben eine Weltkonjunktur, die dem Expo rt Politik, den Versuch zu unternehmen, dort, wo es hilft. Und ein Sachverhalt ist hier seltsamerweise nie möglich ist, Konsens zu finden. Eine pauschale Ab- angeklungen, aber von entscheidender Bedeutung: sage nach der einen oder anderen Seite ist mit Si- Die D-Mark-Aufwertung vom Frühjahr 1995 ist fast cherheit nicht demokratieverträglich. Deswegen vollständig zurückgebildet worden. sage ich das auch entsprechend klar und deutlich. Diese Tatsachen geben allen Grund zu einem reali- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) stischen Optimismus, nicht zu Pessimismus.- Meine Damen und Herren, wir haben auch in die- (Zuruf des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] ser schwierigen Zeit gute Chancen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ - Sie haben recht, wenn Sie meinen, daß wir auch DIE GRÜNEN]: Haben wir heute schon noch eine gute Regierung haben. Sonntag? Das hört sich an wie eine Predigt zum Sonntag!) (Beifall bei der CDU/CSU - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: - Ich muß Sie auch ertragen. Deswegen müssen Sie Eine handlungsunfähige!) mich auch ertragen. Aber - dieses Aber muß der Wahrheit halber sofort (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ hinzugefügt werden - das alleine genügt noch nicht. DIE GRÜNEN]: Ich ertrage Sie ja auch Wir müssen auch fähig sein, zu erkennen - das ist gem!) eine notwendige und bittere Erkenntnis -, daß 12702 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl unsere traditionelle Erfahrung, ein Anziehen der reich der Pädagogik - zurück. Deswegen müssen Konjunktur führe zu einem Abbau der Arbeitslosig- jetzt die Konsequenzen gezogen werden, das heißt: keit, so nicht mehr stimmt. Das heißt, daß wir die Tat- öffentliche Haushalte konsolidieren, Steuern und Ab- sache von rund 4 Millionen Arbeitslosen nicht akzep- gaben senken, Sozialstaat umbauen! tieren können. Dies ist und bleibt das zentrale Thema deutscher Politik. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wie machen wir das? Das (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ würde mich einmal interessieren!) DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie denn tun?) Genau das haben wir mit dem „Programm für Diese Erkenntnis hat dazu geführt - Wolfgang mehr Wachstum und Beschäftigung" auf den Weg Schäuble hat es zitiert -, daß wir - Wi rtschaft, Ge- gebracht. Sie wissen so gut wie ich, daß vieles bereits werkschaften und Bundesregierung - am 23. Januar durchgesetzt wurde. Sie wissen aber auch, daß Sie gemeinsam ganz klare Aussagen zu der Notwendig- über Ihre Position im Bundesrat alles tun, um hier zu keit eines Beschäftigungspaktes gemacht haben. Wir blockieren. Die Strategie ist doch ganz klar - lassen haben erklärt - das war nicht selbstverständlich -, Sie uns doch nicht darum herumreden -: Mit der daß wir die Zahl der Arbeitslosen halbieren wollen. Blockade im Bundesrat wird der Versuch unternom- men, die Regierung handlungsunfähig erscheinen zu Wir wußten, daß dies ein sehr ehrgeiziges Ziel ist. lassen, Ich sehe nicht den geringsten Grund, von diesem ehrgeizigen Ziel abzugehen. Ich bin dafür, alle Kraft (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ einzusetzen. Denn ich vermag nicht zu erkennen, DIE GRÜNEN]: Das ist sie von selber!) warum uns dies nicht möglich sein so ll, wie damals, als wir - übrigens entgegen Ihren Unkenrufen - zwi- den Leuten draußen zu sagen: Die haben zwar viel- schen 1983 und 1992 mehr als 3 Millionen zusätzli- leicht guten Willen, aber sie bringen es nicht fertig. che Arbeitsplätze geschaffen haben. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das kriegt ihr alleine hin!) Die Tatsache, daß die Arbeitslosigkeit heute so hoch ist, hat auch mit Faktoren zu tun, die Sie in der So wollen Sie das Ganze auf die Bundestagswahl Debatte regelmäßig unterschlagen. Dies ist nicht kor- 1998 zutreiben lassen. rekt. Der deutsche Arbeitsmarkt hat in den letzten acht Jahren mehr als 2,5 Millionen Zuwanderer auf- Ich kann Ihnen nur sagen: Das wird Ihnen nicht genommen, und zwar mit all den Konsequenzen, die gelingen. Sie werden sehen, daß sich - wie wir es vor diese Zuwanderung mit sich bringt. Ich sage über- 20 Jahren auch einmal erfahren haben - diese Form haupt nichts gegen diese Zuwanderung. Aber wenn der Blockade nicht auszahlt. Sie werden am Ende mit man Vergleiche anstellt, etwa mit anderen Ländern leeren Händen dastehen. Wir werden diese Ausein- in Europa, stellt man realistischerweise fest, daß es andersetzung mit Ihnen selbstverständlich kämpfe- hohe Zeit ist, diese Tatsache zur Kenntnis zu neh- risch führen. men. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Wir können natürlich noch über viele Details strei- ordneten der F.D.P.) ten. Wir können darüber streiten, ob es in der Frage Wir wissen, daß die Schaffung von Arbeitsplätzen der Lohnfortzahlung so oder anders gemacht wird. in einem größeren Umfang beim öffentlichen Dienst Wir haben Gewerkschafter und Unternehmer einge- - bei Bund, Ländern, Gemeinden - keine Zukunft laden, um es ihnen zu erleichtern, selber zu Regelun- hat. Es gibt viele Diskussionsbeiträge aus dem Kreis gen zu kommen. Ich hätte es sehr begrüßt, wenn von Ihrer Ministerpräsidenten, die das deutlich machen. Januar bis April dieses Jahres eine Regelung gefun- Und wir können auch nicht erwarten, daß der Durch- den worden wäre. Ausreichend Bereitschaft dafür bruch bei der Lösung dieses Problems in den deut- war zunächst vorhanden. schen Großunternehmen erfolgt. Die eigentliche Meine Damen und Herren, wenn man sieht, daß Chance für uns in Deutschland liegt darin - damit sich Arbeitgeber und Gewerkschaften in einem wiederholt sich die Situation der 50er Jahre -, daß wichtigen Bereich in den letzten 48 Stunden beinahe neue Arbeitsplätze in großem Umfang im Bereich des auf ein für sie akzeptables Modell geeinigt- hatten, Mittelstandes entstehen. was dann aber letztendlich doch fehlschlug, dann (Beifall bei der CDU/CSU) frage ich mich schon, ob alle Beteiligten wirklich wis- sen, daß es jetzt nicht darum geht, irgendwelche Von 1990 bis 1995 sind immerhin 1 Million Arbeits- Prestigefragen in den Vordergrund zu stellen, son- plätze in diesem Bereich geschaffen worden. Das dern darum, zu sagen, was getan werden kann, um heißt sehr konkret, daß wir alles tun müssen, um zu neue Arbeitsplätze zu schaffen. mehr Selbständigkeit beizutragen, den Mittelstand (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zu entlasten - Wolfgang Schäuble hat die Steuer- frage angesprochen; ich brauche das nicht zu wie- Wenn wir von Zukunft reden, dann heißt das auch, derholen -, die notwendigen Reformen voranzubrin- daß wir den Sozialstaat umbauen müssen. Es geht gen. Vor allem brauchen wir ein Umdenken in unse- nicht um Abschaffung des Sozialstaats. Es ist ziem- rem Land, eine höhere Bereitschaft, sich selbständig lich absurd, in einem Land, in dem Sozialleistungen zu machen. Im Vergleich zu anderen Ländern liegen in einer Größenordnung gewährt werden, wie es in wir in dieser Entwicklung überall - bis hin zum Be der Bundesrepublik der Fall ist, von einem Abbau Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12703

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl des Sozialstaats zu reden. Jede dritte erwirtschaftete lung gekommen sind. Auch hier kann ich nicht fra- D-Mark wird für Sozialleistungen ausgegeben. In gen: Wer trägt die Verantwortung? Es ist für mich keinem Land gibt es Arbeitnehmer mit vergleichba- nicht einsichtig, daß in anderen Ländern Europas die ren Arbeitszeiten und vergleichbaren Urlaubsrege- Hochschulreife nach acht Jahren Gymnasium er- lungen. In keinem Land gibt es vergleichbare Ren- langt werden kann und es bei uns einen Streit gibt, ten. Warum bringen Sie also dauernd diese Mär auf, ob man dazu neun Jahre Gymnasium braucht. Es die soziale Katastrophe stehe ins Haus? stellt sich doch die Frage nach den Inhalten, es stellt sich die Frage: Wie soll es weitergehen, wenn bei uns Wahr ist, daß wir eine Menge an Problemen auch in Deutschland der Student die Hochschule im Alter im sozialen Bereich haben. Wahr ist auch, daß ein be- von 29 Jahren verläßt? In allen anderen EU-Ländern achtlicher Teil der gewaltigen Summe, die die Bürger liegt das Hochschulabgangsalter bei 25 Jahren. der Bundesrepublik über Steuern für den Sozialbe- reich aufbringen, nicht denen zugute kommt, denen Wir reden dauernd von Chancengleichheit junger er zugute kommen soll: den Bedürftigen. Statt dessen Leute. - Laßt uns doch dafür etwas tun! Sie können wird er von Trittbrettfahrern in Anspruch genommen. doch nicht sagen: Daß es hier Nachholbedarf gibt, ist Das lehrt die Erfahrung. die Schuld der Bundesregierung. Wir werden bei der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Novellierung des Gesetzes darauf zurückkommen. Ich bin sehr darauf gespannt, was die Kollegen aus Herr Ministerpräsident, Sie haben vorhin auf die den SPD-geführten Bundesländern dazu zu sagen Bevölkerungsentwicklung hingewiesen. Ich bin Ih- haben. nen dankbar für diesen Hinweis; denn das deutet an, daß wir uns in dem Punkt vielleicht doch näherkom- Ich komme jetzt zum Thema Rente: Norbert Blüm men. Wenn wir die soziale Situation Deutschlands hat natürlich recht, wenn er von der Rente der jetzi- und die demographischen Daten betrachten - die EU gen Rentnergeneration spricht. Er hat aber immer ge- hat kürzlich die neuen Zahlen veröffentlicht -, dann sagt - und wir alle sagen es -, daß die Jungen einen stellen wir fest: Die Bundesrepublik Deutschland ist - Anspruch darauf haben, zu erfahren, wie wir uns in neben ein, zwei anderen Ländern - durch die freie etwa ihre Versorgung in den nächsten Jahrzehnten Entscheidung ihrer Bürger das Land mit der niedrig- des neuen Jahrhunderts vorstellen. Deswegen haben sten Geburtenrate in Europa. Es ist ganz offensicht- wir die Rentenkommission gegründet; die Bundesre- lich, daß sich das in absehbarer Zeit nicht ändern gierung wird im neuen Jahr ihre Vorschläge machen. wird. Ich lade Sie herzlich ein, an dieser Rentenreform mit- zuwirken. (Zuruf von der SPD) Das heißt aber auch: Wenn es so ist, daß die bishe- - Das werden Sie nicht bestreiten wollen. Wenn Sie rigen Lösungen angesichts der demographischen solche Laute von sich geben, bedenken Sie bitte, was Veränderungen nicht tragfähig sind, müssen wir dar- Ihr Fraktionsvorsitzender vorhin im Hinblick auf Kul- aus die Konsequenzen ziehen. tur gesagt hat. Also, die Zahl ist unbestreitbar. Unbestreitbar ist auch - das ist höchst erfreulich -, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) daß die Zahl der Älteren zunimmt. In Kürze werden Das ist eine entscheidende Voraussetzung, damit wir wir 3 Millionen Menschen haben, die älter als 80 das wichtige Ziel, das wir uns vorgenommen haben - Jahre sind; in absehbarer Zeit werden es mehr als so schwierig es auch sein mag -, erreichen. Wir ha- 4 Millionen sein. Diese Veränderungen haben dra- ben uns vorgenommen, bis zum Ende dieses Jahr- matische Folgen für das Renten- und Gesundheitssy- zehnts die Sozialversicherungsbeiträge wieder auf stem. Wenn wir uns einmal die Belegungszahlen in unter 40 Prozent zu drücken. chirurgischen Kliniken - etwa für Bypass-Operatio- nen, Hüftoperationen usw. - anschauen, dann wird Das alles ist möglich, wenn wir zum gemeinsamen daran der medizinische Fortschritt deutlich. Das alles Handeln fähig sind. Ich glaube schon, daß wir so- ist höchst erfreulich. Aber das hat natürlich auch wohl die Kraft als auch die notwendige Einsicht dazu Auswirkungen auf die Gesamtsituation. Es ist doch haben, wenn wir nicht das Parteipolitische in den billig, zu sagen, wie es vorhin wieder anklang: Der Vordergrund stellen, sondern darüber reden, was der Seehofer versagt. beste Weg ist, um die Zukunft zu sichern. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Mit Blick auf die Versorgung mit Lehrstellen habe DIE GRÜNEN]: Das ist immer richtig!) ich versucht, darzustellen, wie wir diesen Weg sehen. Wir, die Koalition, sind der Auffassung - dies sollten Wir werden bei der Rentenfrage über vieles zu reden haben. Ich könnte mir auch vorstellen, daß es Punkte alle, auch die Ärzteschaft und die Kassen, bedenken - , daß die freie Arztwahl eine Grundvoraussetzung für gibt, bei denen wir uns annähern und verständigen ein System der Freiheit ist. Dann müssen wir aber al- können. les tun, um dieses System unter Bedingungen, die Ich erwarte von Ihnen, der Opposition, nicht, daß sich total verändert haben, zu erhalten. Sie Regierungsvorlagen unbedingt zustimmen, selbst Ich möchte ein anderes Beispiel - vorhin wurden wenn Sie überzeugt sind, daß sie letztlich richtig die Länder angesprochen - anführen: Ich kann es sind. Es gibt auch noch eine andere Überlegung, die nicht akzeptieren, daß wir sechs Jahre nach der deut- ich ja auch höre: Wenn die das jetzt machen, ist es schen Einheit in Sachen Abitur - acht oder neun besser, als wenn wir es später machen müssen. Auch Jahre Gymnasium - immer noch nicht zu einer Rege- das ist eine in der Politik ganz legitime Betrachtungs- 12704 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl weise. Sie darf allerdings nicht dazu führen, daß lar- und Yen-Ländern stärkt, daß unsere Position da- nicht gehandelt wird. durch auf den internationalen Finanzmärkten ver- bessert wird. Deswegen wollen wir ihn jetzt. Ich will heute nicht viel zum Thema Europapolitik sagen, obwohl das Thema von größter Aktualität ist. Wir wollen auch - das muß klar sein, ich halte es Wir haben vereinbart, am 12. Dezember hierzu eine für sehr wichtig, daß es auch in diesem Augenblick Regierungserklärung abzugeben. Wir werden also wieder gesagt wird, während in Europa wichtige Be- über das Thema Europa am Vorabend der Dublin sprechungen stattfinden -, daß die Bundesrepublik Konferenz Mitte des kommenden Monats sprechen und vor allem die Bundesregierung ohne jede Ein- können. Ich habe jedoch aktuellen Anlaß, ein paar schränkung dafür eintritt, daß die Europäische Wäh- Bemerkungen zu machen, die mir wichtig erschei- rungsunion zum vorgesehenen Zeitpunkt verwirk- nen. licht wird und daß die in Maast richt vereinbarten Kri- terien eingehalten werden, und zwar nicht nur für Ich hoffe, es ist unter uns nicht streitig, daß neben eine kurze Zeit, sondern auf Dauer. der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und neben der Vollendung der inneren Einheit die dritte große Her- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ausforderung deutscher Politik die politische Eini- Das ist das Ziel des Stabilitätspakts, den der Kol- gung Europas ist. Wir wollen sie ohne Wenn und lege Waigel in die Diskussion gebracht hat und der Aber vorantreiben. Bei der Vorbereitung der Regie- sehr viel Zustimmung findet. Meine Damen und Her- rungskonferenz in Amsterdam im Juni werden wir ren, das heißt auch, daß wir als Deutsche, die wir uns über viele Details zu reden haben. Ich habe zuge- in der Europapolitik und hier besonders bei der Auf- sagt, daß die Bundesregierung den Bundestag über gabe der D-Mark auf Grund all dessen, was damit den Europaausschuß voll informiert. Wir kommen an geschichtlichen Erfahrungen zusammenhängt, jetzt in das Stadium der Entscheidung. Wir werden schwertun, eine harte Währung wollen und nicht in dabei vor Themen stehen, die viel Umdenken not- eine Weichwährungssituation geraten wollen. Dies wendig machen. ist keine Arroganz, sondern beruht auch auf der Le- Ich will ein Beispiel nennen: Ich persönlich bin zu- benserfahrung der Deutschen in den letzten tiefst überzeugt, daß wir mit dem alten nationalstaat- 50 Jahren. lichen Denken bei der Verbrechensbekämpfung, Alle Vorschläge, die Stabilitätskriterien aufzuwei- wenn es um die internationale Mafia geht, nicht zu- chen bzw. innerhalb des Europäischen Währungssy- rechtkommen werden. Wir werden uns auf grenz- stems eine bestimmte Währung abzuwerten, sind mit überschreitende Regelungen verständigen müssen. diesem Kurs nicht vereinbar, sondern sind sogar Je früher wir das tun, um so mehr haben wir eine schädlich für die Zukunft. Wir wollen, daß möglichst Chance, dieses Krebsgeschwür der neuen Zeit - viele Mitgliedstaaten, die die Stabilitätskriterien er- Geldwäsche, Drogenmafia - mit all der kriminellen füllen, von Anfang an teilnehmen. Energie, die ihm innewohnt, zu beseitigen oder zu- mindest zu stoppen. Aber wir sollten jetzt alle keine Spekulationen an- stellen. Die Entscheidung sollte vielmehr dann fallen, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wenn sie vertraglich zu fällen ist, nämlich im Früh- Ich bin auch sicher, daß wir in der Außen- und Si- jahr 1998. Dabei sind die dann vorliegenden Ist-Da- cherheitspolitik als Europäer bekennen müssen: Ein ten für 1997 ausschlaggebend. Natürlich muß das so Vorgang, wie wir ihn in den zurückliegenden Jahren gestaltet werden, daß die Länder, die am Anfang im früheren Jugoslawien erlebt haben, darf sich nicht nicht dabei sind, auch später noch beitreten können. wiederholen. Es darf sich nicht wiederholen, daß die Meine Damen und Herren, damit sind wir beim Europäer für sich allein letztlich nicht handlungsfä- Haushalt. Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen und hig sind, sondern die Amerikaner brauchen, damit es es für andere fordern, müssen wir als Deutsche unse- überhaupt zu einer Entscheidung kommt. ren eigenen Beitrag dazu leisten und uns anstren- Heute geht es mir vor allem damm, daß Sie wissen, gen. Die Regierungskoalition hat sich schwergetan - weil es schwer war und auch noch schwierig ist -, die daß wir bei der Wirtschafts - und Währungsunion in eine entscheidende Phase eingetreten sind. Meine notwendigen Beschlüsse zu fassen. Mit dem auf Damen und Herren, die Logik der Entwicklung heißt: 53 Milliarden DM begrenzten Defizit schafft der Wir müssen mit dieser Wirtschafts- und Währungs- Bund die notwendigen Voraussetzungen.- Auf Grund union zum Abschluß kommen. Wir brauchen den der Daten, die der Finanzplanungsrat von Bund, Län- Euro jetzt, nicht irgendwann. Wir wollen seine Ein- dern und Gemeinden in der letzten Woche genannt führung nicht verschieben, wir wollen ihn jetzt hat, bin ich hoffnungsvoll, daß wir die Nettoneuver- durchsetzen. schuldung auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes begrenzen werden. Wir lägen damit etwas unter der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU 3-Prozent-Grenze des Maastricht-Vertrages. Ich rate und der F.D.P.) uns, diese Marge unter allen Umständen auch in Zu- kunft beizubehalten. Wer immer noch seine Zweifel hat, der muß wissen - wenn wir über die weltweite Auseinandersetzung Meine Damen und Herren, wir bauen jetzt das im ökonomischen Bereich und über die Globalisie- Haus Europa. Ich zitiere hier einmal mehr Konrad rung der Wirtschaft sprechen -, daß der Euro unsere Adenauer, der uns damals, zu Beginn der 50er Jahre, Wettbewerbsposition als Europäer und damit auch zugerufen hat: „Deutsche Einheit und europäische als Deutsche gegenüber den Konkurrenten aus Dol Einigung sind zwei Seiten der gleichen Medaille." Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12705

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Die Deutschen haben am Ende dieses Jahrhun- Großeltern empfinden oder denken, wenn sie dieser derts viel Glück erfahren. Wir sollten bei allen Pro- Debatte folgen. Wir sollten uns auch immer verge- blemen des Tages nicht vergessen, daß wir Grund zu genwärtigen, wie die Fragen, die die europäische Ei- großer Dankbarkeit haben. Wir haben mit Zustim- nigung aufwirft, in den Nachbarstaaten gesehen und mung all unserer Nachbarn die deutsche Einheit er- beantwortet werden. reicht. Wir sind heute Hoffnungsträger für die mei- Wenn es um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sten Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas auf de- geht, dann gibt es zwei Positionen, die in solchen De- ren Weg nach Europa. batten immer auftauchen: Die Opposition ist manch- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mal geneigt, alles, was die Regierung vorschlägt, als falsch zu bezeichnen, und die Regierung ist geneigt - Dies war nach all dem Schrecklichen, was in diesem unabhängig von den Ergebnissen -, immer wieder zu Jahrhundert auch in deutschem Namen geschehen betonen, daß ihre Politik alternativlos sei, daß sie ist, so nicht zu erwarten. letztendlich ohne Fehl und Tadel sei und daß es et- Ich sagte, wir haben große Probleme. Aber wenn was Besseres überhaupt nicht geben könne. ich mir überlege, daß wir vor rund zehn Jahren im Solcher Stil der Debatte führt nicht weiter. Mir geht Deutschen Bundestag wichtige und heftige Debatten es bei meinem Beitrag darum, noch einmal deutlich über die Frage der Stationierung von Kurzstrecken- zu machen, wo die Unterschiede in der wirtschafts- raketen hatten - es ging um die Modernisierung der und finanzpolitischen Konzeption liegen. Da offen- Lance-Raketen -, kommt mir das manchmal vor, als sichtlich die Vorbehalte teilweise schon so stark sind, sei das in einer lange vergangenen Zeit gewesen. daß die Argumente der jeweils anderen Seite nicht Wenn wir diese Frage in einen Zusammenhang stel- mehr aufgenommen werden, will ich mich an einen len mit dem, was wir heute zu tun und zu entschei- Bericht des IAB, des Instituts für Arbeitsmarkt- und den haben, dann bin ich dankbar, daß wir jetzt nicht Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, hal- über Fragen von Krieg und Frieden zu entscheiden ten. Darin steht das Ziel der Halbierung der Arbeits- haben, sondern daß wir über Probleme der sozialen losigkeit bis zum Jahr 2000 durch mehr Beschäfti- Stabilität und des sozialen Fortschritts, daß wir als gung im Vordergrund - ein Ziel, das Sie, Herr Bun- Deutsche über Werke des Friedens entscheiden kön- deskanzler, auf Ihrem letzten Parteitag bereits aufge- nen. geben haben, ohne daß das näher begründet worden Ich kann nicht erkennen, daß wir angesichts der wäre. Ausgangsposition, die wir haben, wenn wir uns auf In dem Vorschlag der Wissenschaftler dieses Insti- die eigene Kraft besinnen, Grund zu Pessimismus ha- tutes wird im wesentlichen die Wi rtschaftspolitik be- ben. Wir wollen Zukunft sichern. Das ist die entschie schrieben, die wir für richtig halten, dene Meinung der Regierungskoalition aus CDU, CSU und F.D.P., und das ist auch die entschiedene (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das Meinung der Bundesregierung. So werden wir un- Gegenteil ist wahr!) sere Politik auch unseren Bürgerinnen und Bürgern der Sie aber nicht folgen wollen und der Sie immer immer wieder vortragen. wieder Ihre Konzepte entgegensetzen. Ich gehe die Wir werden uns zu gegebener Zeit der Entschei- Vorschläge der Wissenschaftler jetzt im einzelnen dung stellen. Ich bin sicher, auch diese Entscheidung durch. wird so sein wie Entscheidungen der vergangenen Der erste Vorschlag ist die Verringerung der Jahre. durchschnittlichen Jahresarbeitszeit, vor allem über (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und mehr Teilzeitarbeit und Verringerung der Überstun- der F.D.P.) den, also in flexibler, reversibler und kostengünstiger Form.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Es ist doch wahr, daß die Koalition, die Regierung Ministerpräsident des Saarlandes, Lafontaine. und Sie selbst, Herr Bundeskanzler, die Verkürzung der Arbeitszeit immer wieder als ein untaugliches Mittel angesehen haben und lange Zeit der Auffas- Oskar Lafontaine (Saarland): Ministerpräsident sung waren, wir könnten die Probleme des Arbeits- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und - marktes dadurch lösen, daß diejenigen, die Arbeit Herren! Im Mittelpunkt der Debatte des heutigen Ta- haben, länger arbeiteten. Das ist nach unserer Auf- ges stehen die Fragen: Wie kann die Arbeitslosigkeit fassung einer der Grundirrtümer Ihrer Politik. zurückgeführt werden? Wie können den jungen Menschen ausreichend Ausbildungsplätze angebo- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten werden? Wie kann die europäische Einigung vor- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) angebracht werden? Ich will mich an diese Gliede- rung halten und dabei auf die Argumente des Frakti- Das hat auch - betrachten wir die aktuelle Situation - onsvorsitzenden der CDU/CSU, auf die Argumente ganz praktische Folgen. So kommen wir einfach des Bundeskanzlers und an einer Stelle auch auf ein nicht weiter - obwohl wir es seitens des Bundesrates Argument des F.D.P.-Vorsitzenden eingehen. seit Jahren versuchen -, Teilzeitarbeit auch im Beam- tenbereich zu verankern. Aus irgendwelchen Grün- Eine Bemerkung vorweg: Bei der Debatte, die wir den, die mir nie nachvollziehbar dargelegt worden heute führen, sollten wir uns immer die Frage stellen, sind, blockieren Sie das jetzt seit Jahren. Wenn Sie was Arbeitslose, was Jugendliche, deren Eltern oder davon sprechen, daß Teilzeitarbeit ein geeignetes In- 12706 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) strument sein könne, um mehr Menschen den Zu- tivitätsfortschritt die Binnennachfrage in unzulässi- gang zur Arbeit zu ermöglichen, müssen Sie doch ger Weise schwächt und in bezug auf die Beschäfti- einmal begründen, warum Sie im Beamtenbereich al- gung zu unerwünschten Ergebnissen führt. les unternehmen, um eine solche Regelung zu ver- hindern. An zwei Stellen haben Sie eine solche sinnvolle Politik zumindest erschwert: Sie haben zwar vor den (Beifall bei der SPD) Wahlen dieses Jahres - Sie haben sie ja kurz ge- Der zweite Vorschlag ist eine längerfristig zurück- streift - das „Bündnis für Arbeit" gesucht, nach den Wahlen aber das Gegenteil von all dem getan, was haltende Tarifpolitik bei den Löhnen, deren Anstieg zunächst hinter dem Produktivitätsfortschritt zurück- notwendig gewesen wäre, um die Tarifvertragspar- bleibt und diesen auch später nicht überschreitet. teien zu einer beschäftigungsorientierten Lohnpolitik anzuhalten und sie dabei zu begleiten.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege La- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne fontaine, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN gen Hirsch? und der PDS) Den dritten Vorschlag, das Senken von Sozialver- Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland): sicherungsbeiträgen und Steuern, predigt man fast Eine gerne, aber dann bitte ich, mir wie meinen Vor- tauben Ohren, wie man heute wieder gesehen hat. rednern die Möglichkeit zu geben, zusammenhän- Die F.D.P. ist nun in der entscheidenden Verantwor- gend vorzutragen. - Bitte schön. tung. Sie haben anscheinend die fixe Idee, es gäbe nur Steuern. Sie wissen anscheinend nicht, daß für Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Ministerpräsi- die Arbeitnehmer Sozialabgaben genauso belastend dent, warum nehmen Sie nicht endlich zur Kenntnis, sind und sie negative Beschäftigungseffekte hervor- daß in dem Gesetzentwurf über die Dienstrechtsre- rufen können. form, die dem Bundesrat - nach der Verabschiedung (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ durch den Bundestag gegen die Stimmen der SPD - DIE GRÜNEN]: Das wissen sie nicht! Woher seit langem vorliegt, für den Bereich der Beamten sollen sie das denn wissen?) eine voraussetzungslose Möglichkeit unbeschränkter Teilzeitarbeit vorgesehen ist? Wann wird denn der Wie kann ich Ihnen diesen Sachverhalt erläutern? Gesetzentwurf im Bundesrat endlich verabschiedet? Sie haben einmal ein Plakat aufgehängt „Steuerland (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der ist abgebrannt". Sie würden einen Durchbruch in Ih- CDU/CSU) rem ökonomischen Denken erreichen, wenn Sie jetzt nach den Erhöhungen der Renten- und Krankenver- sicherungsbeiträge ein Plakat „Abgabenland ist ab- Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland): gebrannt" entwerfen würden. Hängen Sie dieses Herr Kollege Hirsch, schauen Sie sich die Vorlage Plakat auf! noch einmal an! Sie befinden sich hier wirklich in ei- nem Grundirrtum. Gerade das Gegenteil ist der Fall: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Sie wollen mit allen Mitteln verhindern, was der Bun- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - desrat seit Jahren will: Teilzeitarbeitsplätze auch Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ ohne die Voraussetzung anzubieten, daß ein Beamter DIE GRÜNEN]: Eine richtige Abgabewelle!) konkret eine solche Teilzeittätigkeit wünscht. Das ist das Entscheidende! Wir würden vielleicht sogar Anstrengungen unter- nehmen, um diesen Durchbruch in dem ökonomi- (Beifall bei der SPD) schen Denken der F.D.P. in der deutschen Öffentlich- keit gebührend populär zu machen und Ihnen ein Ich war bei dem zweiten Vorschlag: längerfristig Lob auszusprechen. Es wäre auf diesem Gebiet wirk- zurückhaltende Tarifpolitik bei den Löhnen, deren lich eine Veränderung der deutschen Politik. Anstieg zunächst hinter dem Produktivitätsfortschritt zurückbleibt und diesen auch später nicht über- Nennen Sie in der Zukunft die Abgaben Steuern schreitet. - Hier sind Sie nicht direkt in der Verant- auf die Arbeitsplätze, damit Sie den Zusammenhang wortung. Man kann nicht in erster Linie Ihnen die Er- begreifen! Wenn Sie immer nur über Abgaben- reden, gebnisse der Lohnpolitik anlasten. Es ist aber gar dann können Sie den Mechanismus nicht verstehen. keine Frage, daß der Staat dazu beitragen kann, eine Sie meinen, irgendeiner gebe irgendwo anonym et- Lohnpolitik mit dieser von den Wissenschaftlern vor- was ab und das habe mit Wirtschaft nichts zu tun. gegebenen Zielsetzung zu ermöglichen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD - Beifall Zunächst einmal ist festzuhalten, daß einige Tarif- des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] verträge der letzten Jahre diesem Erfordernis nicht [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Rechnung getragen haben, weil sie über die Produk- tivität hinausgeschossen sind. Die Frage, wie weit Sie haben die Steuern auf die Arbeitsplätze in ei- man deutlich unter dem Produktivitätsfortschritt zu- nem Ausmaße erhöht, wie es unvorstellbar war und rückbleiben kann, ist nicht eindeutig zu beantwor- wie Sie es vor einigen Jahren selbst nicht geglaubt ten. Auf jeden Fall gibt es viele Ausarbeitungen in haben. Sie sind mitverantwortlich dafür, daß der Ra- der Wissenschaft, die deutlich machen, daß ein allzu tionalisierungsdruck immer größer geworden ist. Sie starkes Zurückhinken der Löhne hinter dem Produk haben mit den Steuern auf die Arbeitsplätze Hun- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12707

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) derttausende von Arbeitsplätzen in Deutschland Wir sagen: Laßt uns doch die p rivate Vermögen- wegrationalisiert. Wann begreifen Sie das endlich? steuer erhalten! Es ist nicht mehr nachvollziehbar, daß Sie in bezug auf Steuern, die Sie verharmlosend (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Abgaben nennen, kontraproduktive Entscheidungen ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN in einem solchen Ausmaße treffen und daß Sie auf und des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS]) der anderen Seite den Vermögenden einfach das In der Empfehlung der Wissenschaftler steht nicht Geld hinterherschmeißen. Das versteht unter ökono- nur Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen, son- mischen Gesichtspunkten kein Mensch mehr. dern auch Senkung von Steuern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Dazu ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN muß man erst sparen; anders geht es nicht!) und der PDS) Als wir im letzten Jahr Beschlüsse gefaßt haben, im Richtig ist ein Einwand des Kollegen Repnik, daß Jahre 1997 die Steuern zu senken bzw. die Familien man natürlich hinsichtlich der Personengesellschaf besserzustellen, kamen Sie auf die Idee, das sollten ten überlegen muß, ob es nicht zu Vereinbarungen wir nicht tun. Sie haben unseren ökonomischen An- über das hinaus kommen sollte, was angeboten wor- satz nicht verstanden. Sie wollten die Kindergelder- den ist. Ich greife hier die Sachargumente der De- höhung und die Verbesserung beim Grundfreibetrag batte auf, um deutlich zu machen, daß wir eben nicht vermeiden. So steht es in Ihrem Gesetz. nach dem Schema, alles über einen Leisten zu schla- gen, verfahren. Selbst wenn man dies einbezieht, ist Weder bei den Sozialabgaben, also den Steuern das Ganze einfach nicht mehr nachvollziehbar. Ich auf die Arbeitsplätze, noch bei den allgemeinen habe Berichte vom CSU-Parteitag gelesen. Mehrere Steuern folgen Sie der Empfehlung der Wissen- Korrespondenten schrieben, daß die Delegierten sag- schaftler. Sie tun das Gegenteil von dem und wun- ten: Wir können unseren Leuten nicht mehr erklären, dern sich dann, daß die Arbeitslosigkeit immer wei- daß die Lohnsteuer und die Sozialausgaben immer ter ansteigt. Ihre Wi rtschaftspolitik ist total falsch. weiter steigen, aber diese Koalition hat nichts ande- Grundfalsch! res zu tun, als den Vermögenden die Vermögen- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne steuer zu erlassen. Es ist nicht mehr zu fassen. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Nachdem Sie die Erhöhung des Kindergeldes und ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN des Grundfreibetrages nicht durchführen wollen, sa- und der PDS) gen Sie: Unser Hit ist die Gewerbekapitalsteuer. Die Hier sind also vier Vorschläge vom Institut für Ar- wollen wir abschaffen; das ist ja eine Steuersenkung. beitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt - Nur, auch dies ist eine Mogelpackung. Selbst der für Arbeit, die von Ihnen nicht aufgegriffen werden, Bundesverband der Deutschen Indust rie hat Ihnen von denen die Wissenschaftler meinen, sie führten zu vorgerechnet, daß dies in Wirklichkeit eine Steuerer- einem spürbaren Abbau der Arbeitslosigkeit. Stellen höhung ist, weil die Abschreibungsverschlechterung, Sie sich also bitte nicht hierhin und sagen, es gebe die Sie mit der Abschaffung verbinden, unter dem keine alternativen Vorschläge, sondern bekennen Strich zu einer Mehrbelastung der investierenden Sie sich zu Ihren politischen Überlegungen, von de- Wirtschaft führen wird. nen wir sagen: Die haben Sie jetzt 14 Jahre lang mit (Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Voll dem Ergebnis ausprobiert, daß die Arbeitslosigkeit mer) immer weiter angestiegen ist. Wann lernen Sie end- lich aus Ihren Fehlern? Daher ist auch dieser Vorschlag falsch, und er wäre gerade in der jetzigen Situation kontraproduktiv. Sie (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rolf müssen sich schon etwas anderes einfallen lassen, Kutzmutz [PDS]) wenn Sie nicht weiterhin zum Schaden der Wi rt Herr Bundeskanzler, ich möchte Ihre ironischen -schaft undurchdachte Vorschläge machen wollen. Eingangsbemerkungen aufgreifen. Sie haben an die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Adresse der SPD bzw. der Opposition gesagt: Warum ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN lernen Sie nicht aus unseren Fehlern? - sowie der Abg. Dr. (Heiterkeit bei der SPD) [PDS]) Wir meinen, daß Sie an dieser Stelle erhebliche Feh- Als letzter Hit zur Sanierung der Ökonomie bleibt ler gemacht haben. Wir haben daraus gelernt. Sie dann die Abschaffung der Vermögensteuer. Mit der sollten auf die Wissenschaftler hören. Ich frage Sie: Abschaffung dieser Steuer - es handelt sich um eine Wann lernen Sie endlich aus Ihren eigenen Fehlern, Ländersteuer; daher sind Sie besonders mutig - wol- damit Sie am Ende eines Jahres einmal etwas ande- len Sie Ihren Mut zur Steuersenkung erproben. In res erzählen können als das, daß die Arbeitslosigkeit diesem Zusammenhang weisen Sie zu Recht darauf bedrückend und die Jugendarbeitslosigkeit beson- hin, daß die betriebliche Vermögensteuer natürlich ders hoch ist? eine Substanzsteuer ist und daß es sinnvoll ist, sie un- ter gewissen Gesichtspunkten abzuschaffen. Es gibt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Argumente pro und kontra; ich will dies aus Zeit- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN gründen nicht weiter vertiefen. und der PDS) 12708 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) Besonders dankbar war ich natürlich für Ihr Ange- lahmt. So früh wie möglich muß diese Reform kom- bot, in das SPD-Präsidium zu kommen - das hat mich men. wirklich angerührt -, um sicherzustellen, daß do rt eine einheitliche Meinungsbildung stattfinde. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) (Heiterkeit bei der SPD) Deshalb ist es nicht nur irgendeine Reform, die Sie Ich räume durchaus ein, daß es do rt ab und zu kon- uns anbieten können, bei der Sie sich jetzt langsam troverse Meinungen und auch Zoff gibt. Aber ange- auch auf das Jahr 1998 zurobben, was auch vernünf- sichts des Theaters, das Sie in den letzten Wochen tig ist. - Herr Schäuble schüttelt den Kopf; dann ist es veranstaltet haben, dieses Angebot zu machen, war eben unvernünftig. Ihr Kopfschütteln ist kein positi- wirklich kühn, Herr Bundeskanzler. Sorgen Sie ein- ves Signal für Wachstum und Beschäftigung, Herr mal für Ordnung im eigenen Lager, ehe Sie an an- Kollege Schäuble. dere Parteien solche Angebote machen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Es wäre vernünftig - das sage ich an die Adresse ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN der F.D.P. -, die Reform vorzuziehen: aus zwingen- und der PDS) den ökonomischen Gründen. Wenn Sie heute im Die Ausführungen des Vorsitzenden der CDU/ Wirtschaftsteil der „Frankfu rter Allgemeinen" den CSU-Fraktion waren wiederum ein Beleg dafür, daß Konjunkturbericht lesen, sehen Sie, daß die Umsätze wir in der Wirtschaftspolitik völlig andere Auffassun- im Einzelhandel sogar zurückgegangen sind. Wann gen haben, und zwar nicht nur bei diesen vier Punk- werden Sie denn endlich wach und erkennen, daß ten. Ich bezeichne das einmal als „völlig andere Auf- man nicht immer nur auf den Expo rt starren kann, fassung". Es geht doch darum, daß wir den Wählerin- sondern daß man bei 80 Prozent Binnennachfrage nen und Wählern nicht immer erzählen, alles sei auch die Binnennachfrage stabilisieren muß, um gleich und jeder wolle dasselbe. Nein, wir wollen Wachstum und Beschäftigung zu erreichen? wirklich einen ganz anderen Kurs in der Wirtschafts- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne und Finanzpolitik, weil wir sagen: Ihre ist geschei- ten der PDS) tert. - Darum kämpfen wir. Deshalb werden wir bei diesem fünften Punkt da- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rolf für Sorge tragen, daß die unteren Einkommens- Kutzmutz [PDS]) schichten über die Anhebung des Grundfreibetrages und über den Verlauf des Steuertarifs gestärkt wer- Einer der gravierenden Irrtümer, die Sie, Herr Kol- den. Wir sind der Auffassung, daß diejenigen, die lege Schäuble, hier vorgetragen haben, ist aus unse- bisher als Abschreibungskünstler dieses Steuerrecht rer Sicht - ich zitiere -: Wir müssen die Wachstums- ausgenutzt haben, einen stärkeren Beitrag leisten kräfte stärken, und deshalb ist die Verteilungsde- müssen. Wir wollen jetzt eine Stärkung der unteren batte falsch. - So haben Sie sich ausgedrückt. Sie Einkommensschichten im Interesse von Wachstum meinen das auch so. Dies ist einer Ihrer schweren Irr- und Beschäftigung. Wir sind bereit, morgen darüber tümer, und zwar deshalb, weil Sie angesichts der zu verhandeln, eine solche Reformmaßnahme durch- Entwicklung der Einkommen in der Bundesrepublik zuführen. Deutschland nicht zwischen konsumintensiven und nicht konsumintensiven Einkommen zu unterschei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne den gelernt haben und weil Sie die Verteilung immer ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN weiter in Richtung auf die nicht konsumintensiven und der PDS) Einkommen verändert haben. Nun kann man nicht nur durch solche Entschei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne dungen, wie wir sie jetzt angesprochen haben - Steu- ten der PDS) errecht, Sozialrecht, Arbeitsrecht usw. -, Wachstum und Beschäftigung stärken. Natürlich stellt sich auch Deshalb haben Sie ein solches Durchhängen der Bin- die Frage: Wie fährt man den Haushalt? Ich halte den nennachfrage. Deshalb sagen wir: Wir müssen über gegenwärtigen Haushalt nicht der gegenwärtigen die Verteilung diskutieren, wenn wir in Deutschland konjunkturellen Situation für angemessen.- Wenn weiterkommen und Wachstum und Beschäftigung man in einer solchen Situation immer noch hoher Ar- stärken wollen. beitslosigkeit einen Rückgang der Ausgaben im Ver- gleich zum Vorjahr, und zwar auf der Basis nominaler (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Zahlen, für notwendig hält - wo die Ausgaben ten der PDS) landen werden, ist ein ganz anderes Thema -, dann Dann gibt es noch einen fünften konkreten Vor- handelt man ökonomisch und wirtschaftspolitisch schlag, auf den Sie einfach nicht eingehen, dessen falsch. Das ist Parallelpolitik, klassische Brüningsche Umsetzung Sie vertagen und verschieben. Das ist der Parallelpolitik. Vorschlag, das völlig zerdepperte Einkommensteuer- (Beifall bei der SPD) recht endlich hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit und hin zu einer Stärkung der konsumintensiven Ein- Wenn Sie so weitermachen, werden Sie bei noch kommen, zur Stärkung der Kaufkraft zu reformieren, mehr Brüningschen Landschaften landen; denn hohe gerade jetzt, wo die Binnenkonjunktur noch immer Arbeitslosigkeit bedeutet Brüningsche Landschaften. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12709

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) Die haben die Republik schon einmal in Gefahr ge- Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland): bracht. Entschuldigen Sie. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe tre- ten. (Beifall bei der SPD und der PDS)

Ich weiß, Herr Kollege Schäuble, daß Sie das an- Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Ich finde, es ders sehen. Das ist Ihr gutes Recht. Wir sehen das zu- geht ein bißchen zu weit. sammen mit vielen Wirtschaftswissenschaftlern ganz anders als Sie. Die Annahme, daß in der jetzigen Si- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - tuation Ausgabenkürzungen zu mehr Wachstum und Widerspruch bei der SPD) Beschäftigung führen würden, ist geradezu abenteu- Ich wollte Sie fragen, nachdem Sie hier den Ein- erlich. Es war ganz nett, daß Sie eben das Kreislauf- druck erweckt haben, ich hätte Sie zu Unrecht zitiert, beispiel gebracht haben, das ich im Redemanuskript ob das Konrad-Adenauer-Haus das Manuskript Ihrer auf dem Kölner Parteitag hatte, aber nicht vorgetra- Rede vom Bundesparteitag am vergangenen Montag gen habe. in Köln verteilt hat oder ob es Ihre Geschäftsstelle ge- wesen ist. Ich habe es da. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Warum?)

Herr Kollege Schäuble, es ist nämlich so, daß ich in Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland): Sie der Lage bin, frei zu reden. Deshalb habe ich manch- sollten doch das Argument annehmen, daß im freien mal nur Stichworte und trage auf Grund dieser Stich- Vortrag nicht alles von den Stichworten erfaßt wird. worte vor. Insofern lagen Sie schon falsch, als Sie sagten: „Er hat gesagt" . In meiner freien Rede war es (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wer natürlich vorgesehen, zu sagen, daß ich aus diesem hat denn das Manuskript verteilt?) kreislauftheoretischen Beispiel die Steuer- und Ab- Wir halten fest: Dieses Beispiel hat einen schweren gabenfrage ausklammern würde. Wenn ausgerech- Fehler. Es wurde nicht durchgerechnet, was alles am net Sie mir jetzt entgegenhalten, wir wollten bei Ende nicht mehr vorhanden wäre, allem, was ausgegeben wird, um 50 Prozent kürzen, ist das natürlich eine dankbare Einsicht. Aber Sie (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sollten dann auch entsprechende Schlüsse daraus weil die Steuer- und Abgabenlast in Ihrer Regie- ziehen. Insofern möchte ich Ihnen doch raten, bei sol- rungszeit so hoch geworden ist, daß am Ende nichts chen Beispielen die gebotene Sorgfalt an den Tag zu mehr übrigbleibt. Das ist richtig. legen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Ich kann Ihnen das sogar noch weiter erläutern: Um bei diesem Beispiel am Ende bei demselben Be- Vizepräsidentin Dr. : Herr Minister- trag zu landen, den Sie genannt haben, hätte ich bei präsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage? dem Juwelier bei 400 000 DM einsteigen müssen. Rechnen Sie das einmal herunter. Das setzen wir in Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland): Verbindung mit dem Herrn Bundeskanzler, den ich Nein, ich halte mich zwar sonst an die Gepflogenhei- später als Beispiel dafür genommen habe, daß das ten, aber ich muß auf Grund der knappen Zeit mei- Geld zurückfließt. Um nicht zu polemisch zu sein, nen Vortrag leider im Zusammenhang halten. habe ich das unterlassen. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Aber immerhin, Herr Schäuble hat erkannt: Die Steuer- und Abgabenlast ist so hoch, daß man von - Herr Kollege Schäuble, wenn Sie meinen, etwas jeder Mark, die man einnimmt bzw. umsetzt, zu- ganz besonders Gescheites vortragen zu können: nächst einmal 50 Prozent vom Staat weggenommen Bitte schön. Ich bin wirklich gespannt. Oder sind Sie bekommt. Genau das habe ich Ihnen bei Punkt drei beleidigt? Dann fahre ich fo rt? - Sie sind beleidigt, meiner Ausführungen deutlich zu machen versucht. gut. Sie haben recht: Versuchen Sie, Steuern zu senken. Das würde nämlich Wachstum und Beschäftigung - (Beifall bei Abgeordneten der SPD stärken. Aber senken Sie die Steuern nicht bei den Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ich Dr. Vermögenden, sondern bei denen, die das- Geld auch warte aufs Mikrophon!) ausgeben. Sie haben es fast kapiert, Herr Schäuble. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Herr Minister- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: ten der PDS - Zurufe von der CDU/CSU) präsident, es dauert eine Weile, bis das Mikrophon angeht. Nur darum ging es. Auch Ihre weiteren Ausführungen waren an Dürf- tigkeit und an mangelnden ökonomischen Kenntnis- (Andreas Krautscheid [CDU/CSU]: Er muß sen nicht zu überbieten, Herr Kollege Schäuble, öfters kommen, dann lernt er das!) (Beifall bei der SPD) Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Herr Minister- als Sie sich zum Dienstmädchenprivileg geäußert präsident Lafontaine, ich kann erst sprechen, wenn haben. Man würde auch da unterstellen, daß Sie die die Lampe am Mikrophon leuchtet. Das liegt nicht in Ergebnisse einmal beachten. Das Dienstmädchenpri- meiner Verfügung. vileg wurde eingeführt, und dann wurde die Frage 12710 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) aufgeworfen: Wieviel neue Beschäftigungsverhält- sonders schäbig; ich nehme das Wo rt jetzt einmal in nisse sind entstanden? Jemand, der sich seriös um den Mund -, die Beantwortung dieser Frage bemüht, würde das Ergebnis zur Kenntnis nehmen und sagen: Das, was (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das Wo rt wir erwartet haben, ist bei weitem nicht erreicht wor- paßt ja auch zu Ihnen!) den. - Woran könnte das denn liegen, Herr Kollege wir hätten den Gewerkschaftern geraten, dieses Dr. Schäuble? Das ist doch die Frage, die hier einmal Bündnis nicht zu suchen. Das war besonders schä- zu stellen ist. big, Herr Kollege Schäuble. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Fatzke! - (Beifall bei der SPD - Wolfgang Zöller Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist [CDU/CSU]: Die Wahrheit tut weh!) doch noch gar nicht verabschiedet!) Denn im Gegensatz zu Ihnen geht es uns darum, daß - Ach Gott, schauen Sie einmal ins Steuergesetz, ehe wir bei dem Abbau der Arbeitslosigkeit vorankom- Sie dazwischenrufen. Es ist wirklich erstaunlich, was men. Wir sind bereit, jeden Schritt mitzugehen, auch Sie alles nicht wissen. Das ist ein wirklich tolles Er- Schritte, die Sie vorschlagen, wenn sie unsere Zu- gebnis dieser Debatte. stimmung finden, Herr Kohl. (Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne CSU) ten der PDS - Zurufe von der CDU/CSU) Deshalb sage ich Ihnen: Es war ein wirklich histori- Meine Damen und Herren, die bisherige Regelung scher Fehler, daß auch unter Ihrer Mitwirkung eine hat zu einem schlechten Ergebnis geführt. Wir haben konservative Regierung die ausgestreckte Hand der gefragt: Warum ist das so? - Weil viele Haushalte die- Gewerkschaften zu einer beschäftigungsorientierten ses Angebot nicht aufgreifen, da sie keine längerfri- Tarifpolitik mit dem Abbau der Lohnfortzahlung be- stigen Arbeitsverhältnisse eingehen wollen - das antwortet hat. Wie kann man politisch so falsch han- muß man als Argument einfach sehen - und da teil- deln und so instinktlos sein? weise auch die Betroffenen zögerlich sind. Aber ent- scheidend ist, daß sich ein Privathaushalt nicht gerne (Lehafter Beifall bei der SPD - Beifall beim für lange Frist bindet, wenn er jemanden einstellt, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) weil sich ein solches Beschäftigungsverhältnis aus Ich sage Ihnen deshalb ein Weiteres: Wenn denn der jeweiligen Situation ergibt. - Das ist der eine Streiks kommen werden, dann können Sie sie sich Punkt. alle auf Ihr Konto schreiben. Sie haben nämlich eines übersehen, verehrter Herr Bundeskanzler: Grund- Der andere Punkt ist, daß natürlich die Sozialversi- lage der Wohlfahrt und des Wohlstandes unseres cherungspflicht ganz entscheidend ist. Deswegen Landes war in den letzten Jahrzehnten auch der so- haben wir vorgeschlagen, wie beispielsweise in ziale Konsens zwischen Arbeitnehmern und Arbeit- Frankreich Agenturen einzuschalten, die die Men- gebern, den man nicht leichtfertig beschädigen darf, schen beschäftigen und sie sozialversichern. Der Pri- wenn man die Wirtschaft nach vorne bringen will. vathaushalt bekommt sein Personal von do rt und kann die Kosten von der Steuer absetzen. Das Inter- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE essante ist: Sogar die armen Leute können die Auf- GRÜNEN und der PDS) wendungen für ein solches Beschäftigungsverhältnis Nun haben Sie, Herr Bundeskanzler, sich zu dem von der Steuer absetzen. Vielleicht begreifen Sie das Leistungsausgleich für die Jugendlichen geäußert. nicht; für uns aber ist das äußerst wichtig, Herr Kol- Sie haben dies in sehr sachlicher Form getan; ich will lege Schäuble. Polemisieren Sie nicht bei Dingen, in sachlicher Form erwidern. von denen Sie keine Ahnung haben. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das geht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne doch bei Ihnen gar nicht!) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zunächst einmal haben Sie auf den formalen, zahlen- Sie haben, Herr Kollege Schäuble, den Kollegen mäßigen Ausgleich abgestellt. An dieser Stelle ist eine unterschiedliche Herangehensweise an die Pro- Scharping mit einer merkwürdigen Überheblichkeit - angesprochen. Deshalb bin ich an dieser Stelle Ihnen blematik festzustellen. Wir Sozialdemokraten sind gegenüber, verehrter Herr, etwas heftig. Sie haben nämlich der Auffassung - sicherlich zusammen mit oft in solch einem Ausmaß geglaubt, in einer zyni- anderen in diesem Hause -, daß ein solcher formaler schen Weise Menschen herunterputzen zu können, Ausgleich in einem Industriestaat mit dem Standard, daß man Ihnen einmal Bescheid stoßen muß. den wir haben, nicht ausreichend ist und daß es bes- ser wäre, ein Überangebot an Ausbildungsstellen zu (Lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall bei haben, damit nicht mehr als 50 Prozent der Jugendli- der PDS sowie bei Abgeordneten des chen gezwungen sind, am Anfang eine Ausbildung BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zu ergreifen, die gar nicht ihrer Wunschvorstellung entspricht. Wir werden zwar nie eine Gesellschaft er- Wenn Sie deshalb glauben, noch einmal das Argu- reichen, in der eine vollkommen freie Wahl des Aus- ment des Kollegen Scharping, was das Bündnis für bildungsplatzes möglich ist. Aber man sollte ein Arbeit angeht, wegtun zu können, dann liegen Sie Überangebot an Ausbildungsstellen anstreben, da- falsch. Sie haben sogar argumentiert - das war be mit die jungen Menschen sich in ihren Begabungen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12711

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) besser entwickeln können. Das bleibt unsere Auffas- hen, wenn es darum geht, mehr Angebot zu bewir- sung; ich wollte das hier noch einmal klarstellen. ken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Das Ganze hat ja etwas mit der Philosophie zu tun, ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN die in den letzten Jahren groß geworden ist. Es und der PDS) kommt ja nicht von ungefähr, daß die Leute plötzlich daherreden: Die Steigerung des Aktienwerts ist das Dann haben wir uns natürlich danach umgesehen, oberste Unternehmensziel. Es sind ja nicht nur die was es so gibt. Da gibt es Branchentarifvereinbarun- Manager, die so reden. Das ist eine Konsequenz des gen, die funktionieren. Teilweise beinhalten sie auch sozialen und ökonomischen Klimas, der Entwicklung eine Umlage oder wie Sie es nennen wollen - das ist der letzten Jahre; da ist einiges falsch gelaufen. ja heute auch wieder in den Zeitungen dargestellt -, etwa vom Gewinn in der Baubranche. In diesem Fall Wir sind der Meinung, daß solche Diskussionen haben es die Gewerkschaften, also die Arbeitneh- zeigen, daß in unserer Gesellschaft zuviel Ellenbo- mer, und die Arbeitgeber in den Branchen verein- genmentalität, zuviel Gedankenlosigkeit um sich bart. Sie haben das zu dem Zweck gemacht, um die- greift. Ziel eines Unternehmens ist nicht nur die Stei- jenigen zu entlasten, die ausbilden, und diejenigen gerung des Aktienwertes. Die Verpflichtungen der mit heranzuziehen, die nicht ausbilden. Das ist eine Unternehmen sind gesamtgesellschaftlicher A rt. Sie ganz vernünftige Vereinbarung. Dieses Prinzip hal- tragen soziale Verantwortung - in erster Linie für die ten wir für richtig, und wir wollen es umsetzen. Arbeitnehmerschaft - und sind daher zur Ausbildung in unserem Land, das einen so hohen Wohlstand hat, (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE verpflichtet. GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Nun haben wir aber gesehen, daß Branchenverein- GRÜNEN und der PDS) barungen oder Kammervereinbarungen in wirt- schaftlich starken Regionen oder in einzelnen Bran- Das steht im Widerspruch zu Ihrer rückwärtsgewand- chen vielleicht sehr gut funktionieren, daß es aber ei- ten Auffassung, die wir nicht für richtig halten. nen überregionalen Ausgleich kaum gibt - ich rede jetzt nicht nur von den neuen Ländern - und daß es So wenig, wie eine Umlage aller Unternehmen in auch in einzelnen Branchen Schwierigkeiten gibt. der Baubranche die Chance für Ausbildungsplätze Wir haben uns einfach die Frage gestellt, was wir vereitelt - das meinen Sie -, so wenig wird eine aus- denn tun können, um diese Disparitäten, was die gedehnte Regelung, die genauso funktioniert, die einzelnen Gebiete in der Bundesrepublik Deutsch- Chance für Ausbildungsplätze vereiteln. Sie wird land und die einzelnen Branchen angeht, zu über- vielmehr zu mehr Ausbildung, zumindest zu einer winden. Das war unsere Fragestellung. gerechteren Verteilung der Lasten führen. Das ist ein Wert an sich, an dem wir ebenfalls festhalten wollen. Daraufhin haben wir gesagt: Dann laßt uns eben einen branchenübergreifenden Ansatz wählen. Es ist (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne genau der gleiche Ansatz, und auch die Verwaltung ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) liegt in denselben Händen, nämlich bei Arbeitge- Herr Bundeskanzler, Sie haben sich hier zur Infla- bern, Arbeitnehmern und Bundesanstalt für Arbeit. tionsrate von 1,5 Prozent geäußert. Diese Inflations- Es sollen diejenigen zu einer Umlage herangezogen rate ist auf den ersten Blick durchaus beachtlich. werden - das ist wie bei den Tarifverträgen und den Wenn man aber über Wi rtschaftspolitik diskutiert - Kammervereinbarungen -, die nicht ausbilden, um hier liegen die Unterschiede zwischen Ihrer und un- diejenigen zu entlasten, die ausbilden. serer Auffassung -, kann nicht allein die Inflations- Das ist doch ein Konzept, über das man diskutieren rate betrachtet werden; das weiß jeder. sollte Im Stabilitätsgesetz stehen nicht nur die Ziele der (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nein!) Preisstabilität und der Exportförderung, wie es heute die Philosophie Ihrer Regierung ist. In diesem Gesetz und von dem wir glauben, daß es sehr wohl geeignet steht, daß wir Preisstabilität - natürlich, wollen auch ist, mehr Ausbildungsplätze in Deutschland zu schaf- wir dies anstreben -, ein stetiges Wachstum, einen fen. hohen Beschäftigungsstand und ein außenwirtschaft- liches Gleichgewicht anstreben wollen. - (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Was ist eigentlich aus diesen Zielen der Wirt- schaftspolitik, die vor Jahren einmal selbstverständ- Im übrigen stört es uns gar nicht, daß Sie das an- lich waren und von jedem akzeptiert worden sind, ders sehen. Das wird uns in Zukunft vielleicht von während Ihrer Regierungszeit geworden? Haben wir dem leicht dämlichen Vorwurf verschonen, es gebe wirklich ein stetiges Wachstum? Haben wir wirklich keine Unterschiede und Alternativen. Dann diskutie- einen hohen Beschäftigungsstand? Haben wir ein au- ren Sie also darüber, daß Sie es für falsch halten. Das ßenwirtschaftliches Gleichgewicht? ist in unserem Interesse; denn wir glauben, daß sich die große Mehrheit der Jugendlichen und der Eltern Ist nicht richtig, was in der Begründung des Stabili- und Großeltern, die uns jetzt zuhören, nicht damit tätsgesetzes steht, das Sie noch mitberaten haben, abfinden will, daß die Jugendlichen, wenn sie ins Ar- daß diese Ziele oft im Widerspruch zueinander ste- beitsleben wollen, eine so knappe und beengte Si- hen und daß man versuchen muß, ein ausgewogenes tuation vorfinden. Vielmehr sind sie bereit, mitzuge Ergebnis zu erreichen, indem man zu Lasten eines 12712 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) Zieles Kompromisse im Blick auf ein anderes Ziel er- sung hat, unterstelle ich nicht, daß er die Arbeitslo- zielt? sigkeit nicht abbauen möchte. Ich unterstelle Ihnen nicht im geringsten, Sie wollten die europäische Eini- Deshalb sagen wir Ihnen: Ihr Haushaltsentwurf ist gung nicht voranbringen. Ich bin der Überzeugung, grundfalsch. Dem Gesichtspunkt der Preisstabilität daß es Ziel Ihrer Politik ist, die europäische Einigung würde er sicherlich Rechnung tragen. Wer wollte das voranzubringen. Da stimmen wir überein. Alle bei einem Haushalt in Abrede stellen, der Nachfrage Schritte, die dazu geeignet sind, dies zu tun, sollten aus dem Markt nimmt? Dem Gesichtspunkt der Er- unterstützt werden. zielung eines hohen Beschäftigungsstandes aber schlägt er genau ins Gesicht. Wir lehnen diesen Die Frage ist aber: Was machen wir mit der ökono- Haushalt ab, weil er in sich unschlüssig und ökono- mischen Diskussion auf europäischer Ebene? Warum misch völlig verfehlt ist. sprechen Sie dieses Thema nicht einmal an? In der letzten Zeit hat sich Jacques Delors ganz besorgt (Beifall bei der SPD und der PDS) dazu geäußert und hat auf zwei Punkte hingewiesen. Sie haben auch den Finanzminister angesprochen (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Was - ich schließe mich hinsichtlich seiner Gesundheit hat er denn zu Ihrem Wahlkampf in Baden in gutem Stil den Wünschen des Kollegen Scharping Württemberg gesagt?) an - und seinen Vorschlag bezüglich des Stabilitäts- paktes genannt. In einer Situation, bei der die Preis- - Lesen Sie das doch nach, Herr Kollege Schäuble, steigerungsrate bei 1,5 Prozent liegt, auf Grund de- ehe Sie solch unqualifizierte Zwischenrufe machen. ren viele Ökonomen wegen ihres darin liegenden Qualitätsaspektes - das bedeutet eine qualitative (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Zuruf Verbesserung der einzelnen Produkte - sagen, es von der CDU/CSU: Machen Sie es sich handele sich um eine Stagnation, stellen Sie einen nicht so einfach mit solchen Bemerkungen! Stabilitätspakt in den Mittelpunkt der Europapolitik. Wenn's weh tut, reagie rt man so!) Das ist falsch, Herr Bundeskanzler. Jacques Delors hat gesagt: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Regierungen der Europäischen Gemein- Jetzt braucht Europa eine Politik für 18 Millionen Ar- schaft sind nach Art. 103 des Maastricht-Vertra- beitslose, die darauf warten, daß endlich einmal et- ges verpflichtet, was für sie getan wird. - man darf ja nicht nur eine Passage zitieren - (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik zu koordinie- ten der PDS) ren. Warum geschieht das nicht? 18 Millionen Arbeitslose brauchen keinen Stabilitäts- Das fragt Jacques Delors, der zehn Jahre lang Präsi- pakt, sondern einen Pakt für Wachstum und Beschäf- dent der Kommission war und dem auch wir auf tigung, für mehr Beschäftigung in der Europäischen Grund seiner Arbeit, die er zehn Jahre lang für die Gemeinschaft. Kommission geleistet hat, Respekt schulden. Herr Schäuble guckt ganz interessie rt. Vielleicht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne kann ich es ihm so erklären: Nehmen wir einmal ei- ten der PDS) nen Arbeitnehmer, der 20 000 DM auf dem Spar- konto hat. Natürlich wäre es gut für ihn, wenn diese Jacques Delors sagt: „Stabilität ja, aber im Vertrag 20 000 DM überhaupt nicht an Wert verlieren wür- steht auch Wachstum." Das ist auf europäischer den. Was Sie aber lernen müssen, ist, daß es viel Ebene das Argument, das ich Ihnen gerade zu ver- schlimmer für ihn ist, wenn zwar die 20 000 DM nicht deutlichen versucht habe. Das ist auch mein Argu- an Wert verlieren, ihm aber eine verfehlte Wirtschafts- ment; Sie mögen das nicht für richtig halten. und Finanzpolitik den Verlust seines Arbeitsplatzes bringt. Dann hat er einen viel, viel größeren Verlust. Ich zitiere hier auch eine Studie des Internationa- len Währungsfonds, der über Jahrzehnte bei allen In- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dustriestaaten untersucht hat, wann Sanierung, wann Haushaltskonsolidierung möglich ist. Dieser Deswegen geht es nicht nur um Stabilität, sondern Internationale Währungsfonds kommt zu- dem Ergeb- auch um Wachstum, um einen hohen Beschäfti- nis: nur bei Wachstum und bei relativ niedrigen Real- gungsstand und um ein außenwirtschaftliches zinsen. Alle Versuche, in der Rezession zu konsoli- Gleichgewicht. Es führt kein Weg daran vorbei, daß dieren, sind gescheitert. Sie Ihre Wirtschaftspolitik von Grund auf überden- ken und sich völlig neu orientieren. Betrachten Sie Ihren „Konsolidierungserfolg" in diesem Jahr: Er ist nicht deshalb fehlgeschlagen, (Beifall bei der SPD und der PDS) weil Sie nicht konsolidieren wollten; er ist deshalb Herr Bundeskanzler, Sie haben die europäische fehlgeschlagen, weil Sie die simpelsten ökonomi- Einigung angesprochen. Ich wiederhole hier, daß es schen Gesetze in diesem Land nicht mehr beachten. keinen Dissens darüber gibt, daß die europäische Ei- nigung oberstes Ziel der deutschen Politik sein muß. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Auch ich sage hier - genauso wie Sie es vorhin ge- und der PDS - Widerspruch bei der CDU/ sagt haben -: Demjenigen, der eine andere Auffas CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12713

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) Ich möchte als langjähriger Beauftragter für die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zu einer Kurzin- kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und tervention erteile ich dem Herrn Fraktionsvorsitzen- Frankreich und als jemand, der an der Grenze aufge- den Sohns das Wort. wachsen ist und europäisch fühlt, hier meiner Be- sorgnis über die Diskussionen in Frankreich und (Zuruf von der SPD: Multimillionär Sohns!) über die Entwicklung des deutsch-französischen Verhältnisses Ausdruck verleihen. Ich hoffe, Herr - Ich bitte um Ruhe. Bundeskanzler, daß Sie spätestens am 12. Dezember auf diese entscheidende Frage der europäischen Ei- Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.): Herr Ministerprä- nigung eingehen werden. sident Lafontaine, ich will nur auf eine Ihrer Fehldar- stellungen eingehen, auf eine bewußte Fehldarstel- Was in Frankreich der Präsident offiziell sagt und lung, weil Kollege Wolfgang Gerhardt wenige Minu- was auch der Ministerpräsident offiziell sagt, das ist ten zuvor die Position dargelegt hat, die die F.D.P. das eine. Aber was fast die gesamte Führung der vertritt. französischen Politik zur Zeit öffentlich sagt, das muß uns in Deutschland doch nachdenklich machen. Uns geht es um Abgabensenkung und Steuersen- Wenn der ehemalige Präsident Giscard d'Estaing, ein kung zugleich, denn nur wenn beides gelingt, kön- Mitschöpfer der Währungsschlange nen mehr Investitionen und damit mehr Arbeits- plätze nach Deutschland gelenkt werden. (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Sie ken nen doch die Gründe!) Was glauben Sie eigentlich, warum wir die Reform des Rentensystems durchführen, die Reform des Ge- - ich will sachlich bleiben -, sagt, der Franc solle sich sundheitssystems, die Reform der Arbeitsverwaltung, von der D-Mark abkoppeln, wenn gleichzeitig füh- die Reform des Arbeitsförderungsgesetzes? - Wir ma- rende Politiker der Regierungskoalition ähnlich argu- chen diese Reformen, damit durch Ausgaben- und mentieren und wenn das nicht nur bei der Regie- Belastungssenkungen wieder mehr Dynamik in die rungskoalition in Frankreich bleibt, sondern dies Wirtschaft kommt. Ihr Weg ist doch der falsche Weg. auch im Oppositionslager aufgegriffen wird, dann, Sie wollen die Abgaben senken und die Lasten auf meine ich, hätten wir Veranlassung, über solch mah- den Haushalt umverlagern. Durch Umverteilung er- nende Worte, wie Jacques Delors sie uns aufge- reichen Sie keine Entlastung und keine zusätzlichen schrieben hat, nachzudenken und nicht selbstherr- Arbeitsplätze. Das geht nur durch Ausgabensen- lich an einer Politik festzuhalten, die hier zu immer kung, und deswegen müssen Abgaben und Steuern höherer Arbeitslosigkeit führt und auch in Gesamt- gleichzeitig gesenkt werden. Das ist der Weg, der zu europa zu immer höherer Arbeitslosigkeit führt. mehr Arbeitsplätzen führt. Wenn Sie sich an diesem schwierigen Weg vorbeidrücken wollen, werden Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne mehr Arbeitsplätze in Deutschland verhindern, nicht ten der PDS) aber erreichen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Ich bin besorgt um das deutsch-französische Verhält- ten der CDU/CSU) nis!

Nun zu Ihrer Bemerkung, Herr Kollege Gerhardt: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ebenfalls zu ei- Selbstverständlich nehme ich Ihr Anliegen ernst. ner Kurzintervention erhält Herr Kollege Hirsch das Aber es ist eben das Entscheidende, daß wir uns jetzt Wort. darüber verständigen müssen: Wie kann dieses An- liegen, die Radikalen aus den Parlamenten herauszu- halten, erreicht werden? Wir Sozialdemokraten sa- Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Ministerpräsi- gen Ihnen auch angesichts unserer Geschichte und dent, ich bitte wirklich um Nachsicht, daß ich noch unserer Erfahrungen: Wenn man das Phänomen der einmal auf ein Detail zurückkomme, das Sie zu mei- Arbeitslosigkeit unterschätzt, wenn man eine solche ner Überraschung ganz an den Anfang Ihrer Rede Entwicklung nicht richtig einordnet, dann trägt man, gestellt haben und dem Sie doch offenbar eine große ob man es will oder nicht, zur Radikalisierung bei. Bedeutung beimessen, denn Sie haben mir- empfoh- len, in dem Gesetzentwurf noch einmal nachzuse- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) hen. - Ich habe das getan. Die voraussetzungslose Teilzeitarbeit im öffent- Deshalb mein Appell: Bitte verändern Sie Ihre lichen Dienst, die Sie fordern, ist in dem Gesetzent- Wirtschafts- und Finanzpolitik. Suchen Sie eine Ab- wurf, und zwar in § 44 a des Beamtenrechtsrahmen- stimmung mit den europäischen Nachbarn, insbe- gesetzes und dementsprechend auch im Bundesbe- sondere mit Frankreich, weil Demokratien, sollen sie amtengesetz, natürlich vorgesehen, voraussetzungs- stabil bleiben, auf Dauer hohe Arbeitslosenzahlen los bis zur Hälfte der normalen Arbeitszeit. nicht verkraften. Um es bei dieser Gelegenheit auch noch zu sagen: (Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall Herr Kollege Scharping hat heute früh die Überwin- beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN' und bei dung der Dienstaltersstufen durch das Leistungsprin- der PDS) zip gefordert. Auch das ist in diesem Gesetzentwurf, 12714 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Dr. Burkhard Hirsch und zwar in § 27 Abs. 3 des Bundesbesoldungsgeset- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Minister- zes, vorgesehen. präsident, wollen Sie auf die Kurzinterventionen ant- worten? - Das ist nicht der Fall. Dann rufe ich als (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: A lles nächsten den Herrn Kollegen Glos auf. blockiert!) (Zurufe von der SPD: Oh! - Wolfg ang Zöller Ich komme nur deshalb darauf zurück, weil ich es [CDU/CSU]: Da kommt Freude auf! - Sieg nicht für richtig halte, fried Hornung [CDU/CSU]: Paßt auf, jetzt könnt ihr was lernen!) (Zuruf von der CDU/CSU: Ein Schwindler!) daß Sie hier berechtigte Forderungen erheben, dann Michael Glos (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine aber ihre Verwirklichung dadurch verhindern, daß sehr verehrten Damen und Herren! Der saarländi- Sie im Bundesrat den Vermittlungsausschuß anrufen. sche Ministerpräsident hat uns wieder eine Menge Das geht nicht. guter Ratschläge gegeben. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne (Zuruf von der SPD: Richtig!) ten der CDU/CSU) Wenn er als wirtschaftspolitischer Ratgeber auftritt, Wir sind ja in diesen beiden Forderungen mit Ih- dann wirkt das mindestens ebenso peinlich, wie nen völlig einig; deswegen sind sie - übrigens gegen wenn er bei einer Techno-Party der Jusos als Tänzer die Stimmen der SPD hier im Bundestag - verwirk- auftritt. licht worden. Man kann nur das eine tun, wenn man das andere auch macht. Entweder müssen Sie hier (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge zustimmen, oder Sie können nicht den Vermittlungs- ordneten der F.D.P. - Widerspruch bei ausschuß anrufen, aber Sie können das nicht tun und Abgeordneten der SPD) hier beklagen, daß wir die berechtigten Forderungen Ich kann jedem nur empfehlen, die Auswirkungen zu diesen Punkten nicht umsetzen. der Lafontaineschen Politik im Saarland zu besichti- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne gen. Er hat ja dort sein Übungsfeld. ten der CDU/CSU - Zuruf von der F.D.P.: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Das ist verlogen!) ordneten der F.D.P.) Die Arbeitslosenquote im Saarland beträgt Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege 12,6 Prozent. Nirgends sonst ist der Anteil an Lang- Schily erhält auch zur Kurzintervention das Wo rt, zeitarbeitslosen so hoch wie do rt. In den letzten fünf wenn es auf die Rede von Oskar Lafontaine. bezogen Jahren nahm das Saarland beim Zuwachs des Brutto- ist. inlandsprodukts den letzten Platz aller Flächenlän- ( [CDU/CSU]: Wir werden der ein. Seit 1987 ist die Beschäftigung in den alten genau darauf achten!) Bundesländern durchschnittlich fast doppelt so hoch angestiegen wie im Saarland. Bei einem Vergleich der Standortqualitäten belegte das Saarland von 150 Otto Schily (SPD): Der Ministerpräsident des Saar- europäischen Regionen den Platz 130. Vor dem landes, Oskar Lafontaine, hat mit vollem Recht ge- Bankrott wird Oskar Lafontaine allein durch die Mil- rügt, daß die Koalition sich einer vernünftigen Rege- liardenüberweisungen des Bundes bewah rt. lung der Teilzeitarbeit im Beamtenverhältnis gerade bei der Einstiegsteilzeit entgegenstellt. Darüber, daß (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU hier im Hause etwas anderes behauptet wird, bin ich und der F.D.P. - Dietrich Austermann [CDU/ sehr verwundert, weil wir doch gerade in einer Ar- CSU]: Pleitemacher! - Weiterer Zuruf von beitsgruppe des Vermittlungsausschusses beisam- der CDU/CSU: Das ist die Wahrheit!) mensitzen. Herr Ministerpräsident, ich frage Sie daher: Woher Herr Kanther ist leider nicht zugegen; andernfalls nehmen Sie den Mut, würde er hier seinen Standpunkt darstellen können, (Zuruf von der CDU/CSU: Die Frechheit!) daß er sich genau gegen eine Teilzeitmöglichkeit im - Beamtenverhältnis, die von staatlicher Seite so ange- die Wirtschafts- und Finanzpolitik unseres Landes boten wird, wehrt. Dies bezieht sich also nicht auf bestimmen zu wollen? Teilzeitarbeit entsprechend einer freiwilligen Rege- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lung, sondern auf vom Staat selbst angebotene Teil- zeitstellen. Die Meinungsführerschaft, die Sie im Bundesrat übernommen haben, ist verhängnisvoll. Sie haben Das ist offenbar in der Koalition leider noch nicht die SPD-Ministerpräsidenten zu Marionetten degra- begriffen worden. Vielleicht sollten Sie sich einmal diert. zu einem Tête-à-tête mit dem Bundesinnenminister zurückziehen, damit Sie sich über die Verhandlungs- (Jörg Tauss [SPD]: Unverschämt!) position einig werden. Offenbar sind sich die Koali- tionäre über ihre Verhandlungsposition nicht einig. Jemand, der zustimmen will, wird von, Ihnen daran gehindert. Die Ministerpräsidenten sind zu Marionet (Beifall bei der SPD) ten geworden: Jemand - das sind Sie - zieht an der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12715 Michael Glos Schnur, und sie reißen bei Abstimmungen die Arme ben, ich lese sie nicht ganz vor, ich will nur ein paar hoch. Hauptpunkte vortragen, was do rt gefordert wird, um den Arbeitsmarkt zu verbessern. Da heißt es erstens: Ich möchte auf das, was ich ursprünglich vortragen Lohnzurückhaltung, Erhöhung der Lohnsätze nur im wollte, verzichten und statt dessen auf eine Reihe Ausmaß der Preissteigerung - das ist kein weiterer von Argumenten eingehen, die heute in der Diskus- Anstieg der Reallöhne - sion noch einmal eine Rolle gespielt haben. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Hört! Erstens: Ausbildung. Für mich ist immer noch un- Hört!) klar, wie man, wenn man eine Zwangsabgabe ein- führt, beispielsweise die Bet riebe behandeln will, die und damit vollständige Reservierung des Produktivi- gern Lehrlinge einstellen würden, die aber keine be- tätsfortschritts für die Zunahme der Beschäftigung. kommen. Zweitens - das ist sicher richtig -: Verringerung der (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ja!) zuschlagpflichtigen Überstunden um 40 Prozent. Es steht drittens auch d rin, und das gebe ich gern zu, Die gibt es nämlich auch. daß man die Sozialversicherungsbeiträge um drei Prozentpunkte senken muß. Allerdings ist hier auch (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) ein Gegenfinanzierungsvorschlag gemacht worden, Das wird immer vergessen. nämlich eine Erhöhung der Mineralölsteuer um 20 Pfennig in drei Schritten bis 2000. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) Das ist noch ein Stück Ehrlichkeit, während Sie einseitig die Senkung von Steuern und Abgaben for- Es wird ebenfalls vergessen, wieviel Goodwill vor- dern und nie die Gegenfinanzierung dazu sagen. handen ist, gerade im Handwerk - der Herr Bundes- kanzler hat es gesagt -, und was man durch die Erhe- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - bung von Zwangsabgaben zerstören würde. Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar land]: Es liegt doch alles schriftlich vor! Das Des weiteren würde mich interessieren - es wer- ist doch nicht zu fassen! - Zuruf von der den heute auch Abgeordnete reden, die Mitglied ei- SPD: Der liest doch nichts!) ner Gewerkschaft sind -: Warum bilden denn der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Einzelge- - Der Bundesrat hat angekündigt, ein eigenes Ge- werkschaften keine Lehrlinge aus? genfinanzierungsprogramm zu machen. Dieses Ge- genfinanzierungsprogramm war auf Finanzminister- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU ebene ziemlich fertig und ist dann letztlich auch von und der F.D.P.) Ihnen mit gestoppt worden. Es gibt keinen einzigen Ausbildungsplatz bei den Immer dort, wo es konkret wird und wo unange- DGB-Gewerkschaften. Ich finde, das ist in der heuti- nehme Wahrheiten zu verkünden sind, drückt sich gen Zeit eine Schande. die SPD. Vor mir liegt ein Artikel der „Süddeutschen Zei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) tung" vom 24. Oktober. Do rt steht, gegen ein rein hausinternes Angebot spreche laut Leisinger - sie ist Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie ha- von der ÖTV - die Befürchtung, daß die Auszubil- ben vom CSU - Parteitag gesprochen und wollten wis- denden später auf dem freien Arbeitsmarkt keine sen, daß da Nebentöne vorhanden gewesen sein sol- Chance hätten. Das spricht schon für die Qualität der len. Ich kann nur sagen, wenn Sie jemals einen CSU- Ausbildung, die dort geleistet wird. Dann kommt das Parteitag erleben würden, zweite Argument; es ist noch schlimmer für die Da- men und Herren des DGB. Es heißt dann in dem Arti- (Zurufe von der SPD: Oh Schreck, oh kel, sie könnten vom „politischen Gegner" übernom- Schreck!) men werden. Genauso würde es sich verhalten, dann würden Sie uns ab sofort um unseren Parteitag wenn Daimler-Benz niemanden mehr ausbilden beneiden. Es gab keine Mißtöne auf dem CSU-Par- würde, weil man Angst hätte, daß die Ausgebildeten teitag. später einmal zu BMW gehen könnten, oder wenn - der eine Bäckermeister Angst hätte, daß ein von ihm (Widerspruch bei der SPD) Ausgebildeter zu dem anderen an der Ecke gehen könnte. Das ist doch lächerlich. Die Partei steht geschlossen hinter ihrer Führung, und das müßte die SPD mal von sich behaupten kön- Das ist die Wirklichkeit. Deswegen finde ich, es ist nen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ein freches Stück von der SPD, die so stark mit dem DGB verbandelt ist, daß sie immer versucht, die Wi rt (Beifall bei der CDU/CSU und des Abg. -schaft einseitig zu kritisieren. Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Da möchte ich doch noch einmal aus dem unveröf- ordneten der F.D.P.) fentlichten Redemanuskript, das versandt worden ist und sich auf den letzten Montag in Köln bezieht, zi- Ein zweites Argument. Herr Ministerpräsident, Sie tieren. Da hat Herr Lafontaine geschrieben oder haben von der IAB - Studie gesprochen. Diese IAB schreiben lassen, die Wähler sagten zu Recht, daß Studie ist umfangreich. Sie müssen keine Angst ha man einer Partei nur dann die Staatsgeschäfte über- 12716 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Michael Glos tragen könne, wenn ihre Führung zur Zusammenar- Form, wie sie besteht, für verfassungswidrig erklärt beit bereit ist. hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.] - Zuruf von land]: Ja!) der SPD: Ist doch gar nicht wahr!) Das sollte eine Mahnung an die eigenen Genossin- Dabei hat die Erhebungsform eine große Rolle ge- nen und Genossen sein. Das heißt doch im Umkehr- spielt und vor allen Dingen die Tatsache, daß man schluß, daß der Ist-Zustand nicht so ist, und Sie ha- den Leuten nicht mehr als 50 Prozent wegsteuern ben sich nicht mal getraut, diese Mahnung auszu- darf, also das sogenannte Prinzip der hälftigen Tei- sprechen. lung. Wir haben uns natürlich Gedanken darüber ge- macht, wie man das Ganze reparieren kann und wie (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das reicht man es einbinden kann in das Bestreben, unser Land nicht, wenn die sich hier zusammensetzen! wieder Wachstums- und investitionsfreundlicher zu Das reicht nicht!) machen.

Ein Weiteres vom CSU-Parteitag. Wir hatten eine Deshalb muß - das steht auch in der Nürnberger unverkrampfte Diskussion mit der Jugend. IAB-Studie - die Vermögensteuer total wegfallen, weil sie eine wachstumsfeindliche Steuer ist. Es läßt (Zustimmung bei der CDU/CSU - Wider sich nun einmal nicht sauber unterscheiden zwi- spruch bei der SPD) schen Privatvermögen und Betriebsvermögen. 90 Prozent der Unternehmen in der Bundesrepublik Wir haben die Jugend eingeladen, ihre Probleme zu Deutschland sind Familienunternehmungen, Perso- diskutieren, ohne daß wir so eine A rt Watschen- nengesellschaften, bei denen die Kapitaleigner auch mannveranstaltung machen mußten. Bei Ihnen war die persönlich haftenden Gesellschafter sind. In die- es so, daß man gesagt hat: Jusos, kommt, die Füh- sen Fällen läßt sich das nun einmal nicht unterschei- rung setzt sich mal rauf. Dieser Nachmittag geht rum den. wie ein Zahnarztbesuch. Da könnt ihr uns mal alle Deswegen lassen wir die Vermögensteuer entfal- ordentlich abwatschen, und dann freuen wir uns, len. Einen erheblichen Betrag, 1,6 Milliarden DM, und dann bekommen wir am Schluß - - haben wir allerdings auf die Erbschaftsteuer aufge- schlagen; denn diese Steuer muß nur im Bedarfsfall (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: So ein Blöd ermittelt werden, also dann, wenn der Erb- oder sinn! Wo waren Sie denn?) Schenkungsfall eintritt. Es entfällt also eine äußerst kompliziert zu erhebende Steuer, die zudem wachs- - Ich beziehe mich auf die Presseberichte, und was tumsfeindlich ist - nicht mehr und nicht weniger. da alles gesagt worden ist, war eine einzige massive Kritik der Jusos an der Führung. Das brauchen die Einig sind wir uns sicher, daß wir den Arbeitsplatz- offensichtlich zur Motivation. standort Deutschland stärken wollen. Allein aus die- sem Grund haben wir ein umfangreiches Maßnah- (Beifall bei der CDU/CSU) menbündel auf den Weg gebracht. Wir wären ein ganzes Stück weiter, wenn der Bundesrat nicht blok- Ein weiteres Thema: Steuern, von Ihnen in die Dis- kieren würde. kussion gebracht. Die Bundesregierung hat eine (Widerspruch bei der SPD - Eduard Oswald Steuerkommission eingesetzt, und diese Steuerkom- [CDU/CSU]: So ist es!) mission wird pünktlich noch in diesem Dezember ein Ergebnis vorlegen. Wir werden die Steuern senken, - Das ist nun einmal eine Tatsache. wir werden insbesondere das Einkommensteuerrecht vereinfachen. Wir werden dafür sorgen, daß man Ich bringe nur ein Beispiel; nehmen wir das Asyl- auch als Nichtausgebildeter und nicht für Steuern bewerberleistungsgesetz. Jeden Monat gehen Spezialisierter seine eigene Steuererklärung ausfül- 70 Millionen DM dadurch verloren, daß es nicht mög- len kann. Und wir werden dafür sorgen, daß die lei- lich ist, in diesem Bereich vernünftige Einschränkun- gen umzusetzen, weil der Bundesrat blockiert. Das stungsabhängigen Steuern geringer werden, aber - trotzdem die Einnahmen der öffentlichen Haushalte ist nur eines von vielen Beispielen. noch stimmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir werden in dem Zug auch darüber entscheiden, Ihr Argument, die Binnennachfrage jetzt künstlich wann die einzelnen Schritte in Kraft treten. Wir wer- - auf Pump - zu stärken, würde der deutsch-französi- den dafür sorgen, daß dies alles rechtzeitig im Deut- schen Freundschaft sicher nicht nutzen. Denn zum schen Bundestag verabschiedet wird. Es liegt dann einen würde es das Erreichen unseres Ziels gefähr- auch an Ihnen im Bundesrat, ob diese große Steuer- den, die Vertragsbedingungen von Maast richt zu er- reform dann zum 1. Januar 1999 in Kraft treten kann. füllen. Zum anderen stimmen die alten Märchen nicht mehr, daß eine starke Konsumnachfrage die Ich möchte noch etwas zur Vermögensteuer sagen. Zahl der Arbeitsplätze in Deutschland erhöht. Viel- Sie müssen zugeben, Herr Lafontaine - hören Sie mehr würde die Importnachfrage angekurbelt, weil doch bitte mal einen Moment zu -, daß das Bundes- ein großer Teil der Konsumartikel heute nicht mehr verfassungsgericht die Vermögensteuer in dieser in der Bundesrepublik Deutschland produziert wird. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12717

Michael Glos Gerade im Bereich der Konsumgüter befinden wir - Der Papst wird sich um die Seelen kümmern. Das uns in einem starken Wettbewerb mit Ländern aus ist wohl nicht die Aufgabe des Herrn Schröder. Der der ganzen Welt. bringt im Moment die Seele der SPD heftig durchein- ander; denn man ärgert sich nicht nur darüber, daß Sie haben am Anfang zu Recht gefragt: Wie wirkt er in Kuba herumreist, sondern man ärgert sich vor die Diskussion nach außen? Ich glaube, wir würden allem über sein eitles und selbstgefälliges Auftreten. nach außen alle besser dastehen, wenn die Men- schen das Gefühl hätten, wir zögen alle am gleichen Jedenfalls ist sicher, daß es der SPD nicht darum Strang, und zwar in der gleichen Richtung. Die Poli- geht, den Sozialstaat zu sichern. Sonst würde sie tik der SPD, zuerst den Karren an die Wand zu fah- nämlich überfällige Reformen nicht blockieren. Es ren geht ihr allein um die Machtfrage, und zwar ohne (Lachen bei der SPD) Rücksicht auf Verluste. In diesem Zusammenhang möchte ich den stellvertretenden SPD-Vorsitzenden und dann die Schäden des Aufpralls zu beklagen, ist Thierse zitieren: schäbig. Da hat eine Generation die Führung, für die Se- (Beifall bei der CDU/CSU) kundärtugenden wie Disziplin, Loyalität, Kolle- Unter Lafontaine, dem Putschisten von , gialität, Solidarität auch im Umgang miteinander steuert die SPD einen Crashkurs gegen Deutschland. keine Bedeutung mehr haben. (Widerspruch bei der SPD) (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Hört! Hört! Wen hat er da wohl gemeint? - Mini Sie schadet im Ergebnis den Arbeitsplätzen in sterpräsident Oskar Lafontaine [Saarland]: Deutschland. Über Stoiber und Waigel hat er das Verehrter Herr Lafontaine, ich wäre an Ihrer Stelle geschrieben!) ganz vorsichtig: Wer weiß, was der Schröder beim hat nicht immer recht. Er hat vor Herrn Castro in Kuba alles hat lernen wollen! Viel- allem sehr unrecht gehabt, als er aus Trotz und Al- leicht hat er neue Putschtechniken studiert. Viel- tersstarrsinn heraus den Herrn Tietmeyer und damit leicht ist er der nächste, der einen Putsch wagt. Denn die Deutsche Bundesbank kritisiert hat und versucht es ist ja bekannt, daß sich solche Verhaltensweisen hat, unser Land international zu diskreditieren. Da sehr leicht fortpflanzen. Jedenfalls kann er nicht in hat er unrecht gehabt. Aber recht hat er gehabt, Herr Kuba gewesen sein, um einen interessanten Expo rt Lafontaine, daß er stante pede auf dem Weg nach -markt zu erschließen. Mannheim auf der Autobahn umgekehrt ist, als er gehört hat, daß Sie gewählt worden sind. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege Glos, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen (Beifall bei der CDU/CSU - Ingrid Mat Kuhlwein? thäus-Maier [SPD]: Klingt schön, stimmt aber nicht!) Michael Glos (CDU/CSU): Ja, eine. - Herr Kuhl- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir von wein. der Koalition werden unseren Weg in Ruhe und Ge- lassenheit weitergehen. Wir werden die Politik zum Eckart Kuhlwein (SPD): Herr Kollege Glos, hat Ih- Erfolg führen. Wir werden vor allem alles tun, um es nen als dem zuständigen Mann der CSU-Landes- dem deutschen Volk zu ersparen, von einer rot-grii- gruppe Ihr Kollege E rich Riedl berichtet, was er in nen - möglicherweise dann von der Sympathie oder Kuba gemacht und was er gelernt hat? der Unterstützung der PDS abhängigen - Koalition regiert zu werden.

Michael Glos (CDU/CSU): Ich habe seine Presse- Herzlichen Dank. verlautbarung dazu gelesen. Er hat gefordert, sich um die paar hundert Frauen aus der ehemaligen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) DDR zu kümmern, die mit Kubanern verheiratet sind und jetzt im Elend leben, weil der Sozialismus do rt Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das- Wort hat soviel Not erzeugt hat. jetzt der Abgeordnete Ecka rt Kuhlwein. Erich Riedl aber war wahrscheinlich mit Ihnen, verehrter Herr Kuhlwein, do rt, um sich als Berichter- (SPD): Frau Präsidentin! Meine statter für das Auswärtige Amt um die dortigen Le- Eckart Kuhlwein sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nach der bensbedingungen der Diplomaten zu kümmern, um notwendigen und für meine Partei und Fraktion er- zu schauen, ob die Gelder des Auswärtigen Amtes folgreichen Generaldebatte über die Politik der Bun- sinnvoll eingesetzt worden sind. Aber er war ganz desregierung wollen wir jetzt auch den Bundesau- bestimmt nicht do rt, um sich - wie der Herr Schröder - ßenminister nicht unerkannt entkommen lassen. Ich in Sachen Sozialismus fortzubilden. Das kann ich ausschließen. möchte deshalb einige Bemerkungen zum Einzel- plan 05 machen, den die Koalition nachher verab- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - schieden will und der nach unserer Einschätzung an Zuruf von der SPD: Was macht der Papst in die Substanz der Handlungsmöglichkeiten der deut- Kuba?) schen Außenpolitik geht. 12718 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Eckart Kuhlwein Ein ohnehin schon durch den Bundesfinanzmini- Der Zeitpunkt ist nicht mehr weit, bei dem bei ster kräftig gerupfter Außenminister hat in der Berei- Staatsbesuchen weder kleine Geschenke verteilt nigungssitzung weitere Federn lassen müssen. Vom noch notwendige Hilfen in Aussicht gestellt werden Widerstand eines mannhaften Liberalen gegen die fi- können. So hat der Bundeskanzler im Sommer in nanziellen Unzumutbarkeiten aus dem Hause des Kiew zusätzliche Maßnahmen aus dem Transform- ungeliebten christsozialen Kabinettskollegen war programm der Bundesregierung für die Ukraine an- wenig zu spüren. gekündigt. Er konnte nicht ahnen, daß die Koalition im Haushaltsausschuß gerade dieses Beratungspro- Nun ist es ja kein Geheimnis, daß Herr Waigel gramm für Osteuropa durch eine weitere Kürzung gerne in die Kutsche ins Auswärtige Amt steigen um 20 Prozent auf nur noch 177,5 Millionen DM zu- würde und daß er sich für den größten potentiellen sammenstreichen würde. Außenminister dieser Republik hält. Das läßt er den Amtsinhaber auch spüren, wenn es um Haushalts- Damit wird ein wichtiger Beitrag der Bundesrepu- verhandlungen geht. blik zur Förderung der politischen und wirtschaftli- chen Stabilität in Osteuropa erheblich beschnitten (Zuruf von der F.D.P.: Reine Polemik!) und gekappt. Offenbar hat sich Herr Kinkel bereits damit abgefun- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) den, daß die Außenpolitik ohnehin im Kanzleramt bestimmt wird. Wer an dieser empfindlichen Stelle Kahlschlag be- treibt, darf nicht mehr behaupten, er wolle den (Uwe Lühr [F.D.P.]: Kommen Sie doch mal Standort Deutschland und seine Exportfähigkeit si- zur Sache!) chern und politische Stabilität in Osteuropa schaffen. Die operativen Möglichkeiten werden in diesem (Beifall bei der SPD) Haushalt kräftig beschnitten. Das Engagement in in- ternationalen Organisationen wird zurückgefahren. Mit diesem Haushalt zieht sich die Bundesregie- Die Auslandsvertretungen werden reduziert. Das al- rung immer weiter aus ihrem Engagement in den Be- les paßt nicht zu den - richtigen - Analysen, daß die reichen humanitäre Hilfe und Menschenrechte zu- Länder der Welt immer stärker voneinander abhän- rück. Dies entspricht dem nachlässigen Umgang mit gig werden, daß Deutschland inte rnationale Prozesse der Menschenrechtsfrage, den manche Regierungs- mitgestalten können muß und daß man dafür qualifi- mitglieder in China und anderswo in den letzten Mo- zierte Menschen in den Auslandsvertretungen naten gepflegt haben. Manche Mitglieder dieser braucht. Bundesregierung sollten sich ein Beispiel am Bun- despräsidenten nehmen, wie man auch in schwieri- Bei einem Haushaltsvolumen von rund 3,6 Mil- gen Ländern offensiv für die Menschenrechte eintre- liarden DM muß das Auswärtige Amt jetzt weitere ten kann. 77 Millionen DM, also zusätzlich 2 Prozent einsparen. Dabei ist es den fleißigen Beamten des Auswärtigen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Amtes nicht einmal gelungen, die einzelnen Haus- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) haltstitel zu nennen, die noch gekürzt werden könn- Die freiwilligen Beiträge zu internationalen Orga- ten oder sollten. nisationen wie Rotes Kreuz und UNICEF stagnieren, neue Organisationen werden nicht mehr in die För- Wir sollen heute über einen Haushalt befinden, dessen einzelne Zahlen gar nicht so gemeint sind. derung aufgenommen. Es gibt auch kein Geld für die im Rahmenabkommen von Dayton beschlossene Wie fast alle anderen Einzelpläne verstößt deshalb Menschenrechtskommission, und die Ombudsfrau auch der Etat des Auswärtigen Amtes gegen die der OSZE in Bosnien-Herzegowina wird auch in Zu- Grundsätze von Haushaltswahrheit und Haushalts- klarheit. Ich wundere mich, daß sich die Kolleginnen kunft auf Spenden aus Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz angewiesen sein. Dabei beklagen wir und Kollegen aus den Regierungsfraktionen diese Mißachtung der Rechte des Parlaments heute erneut doch gemeinsam, daß der zivile Prozeß in Bosnien- Herzegowina dringend mehr Unterstützung braucht, gefallen lassen wollen. damit IFOR nicht eines Tages umsonst gewesen sein (Beifall bei Abgeordneten der SPD) soll. - Die Koalition schlägt im Haushaltsgesetz eine glo- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne bale Stelleneinsparung von 2 Prozent vor, von der ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auch der auswärtige Dienst betroffen sein wird. Alle Was dazu zu sagen ist, gilt im übrigen auch für die Bemühungen der Berichterstatter, des Personalrats, Hinhaltetaktik gegenüber dem zivilen Friedens- der ÖTV und des Hauses selbst, wenigstens be- dienst. Da gibt es ein großes Engagement aus den stimmte Bereiche bei den Auslandsvertretungen von beiden Kirchen und vielen anderen Nicht-Regie- diesen Stellenkürzungen auszunehmen, sind ge- rungsorganisationen, Fachkräfte für zivile Konflikt- scheitert. Wie will die Koalition eigentlich künftig die bearbeitung auszubilden und im ehemaligen Jugo- Globalisierungsdebatte bestreiten, wenn sie die Stel- slawien einzusetzen. len derjenigen streicht, die für die zahlreichen Wi rt --schaftsdelegationen - mit oder ohne Bundeskanzler Es gibt seit gut einem Jahr eine interfraktionelle die Vor- und Nacharbeit zu leisten haben, damit es Arbeitsgruppe, die an einem gemeinsamen Antrag nicht bei folgenlosen Versprechungen und Absichts- arbeitet. Es gibt eine Zusage des CDU/CSU-Frak- erklärungen bleibt? tionsvorsitzenden an die Bischöfe von Trier und Ber- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12719

Eckart Kuhlwein lin-, die Gespräche über das Projekt Angesichts der knappen Zeit kann ich in diesem und seine Umsetzung würden nach der Sommer- Beitrag die Bedeutung der auswärtigen Kulturpolitik pause 1996 fortgeführt. Aber am Ende wird unser nicht ausreichend würdigen. Wir haben uns große Antrag im Haushaltsausschuß abgelehnt, die Absicht Sorgen um den Ruf und die Funktionsfähigkeit des des Parlaments wenigstens durch die Einrichtung Stuttgarter Instituts für Auslandsbeziehungen ge- eines Leertitels beim Auswärtigen Amt und beim macht. Wir wissen, daß das Kultusministerium in Ba- BMZ zu dokumentieren. Diese Schizophrenie, sich den-Württemberg jetzt Vorschläge dafür gemacht auf der einen Seite zu bemühen und Zusagen zu hat. Wir haben einen Teil der Mittel so lange ge- machen, sich mindestens aktiv beteiligen zu wollen, sperrt, bis wir im Haushaltsausschuß erfahren, ob und dann auf der anderen Seite alles mit Ihrer Mehr- und wie der Bereinigungsprozeß do rt zum Abschluß heit niederzustimmen, müssen Sie dem staunenden gekommen ist. deutschen Volk erklären. Zur auswärtigen Kulturpolitik insgesamt und da- Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, daß wir in mit abschließend: Der Schwerpunkt, den Außenmi- diesem Haus noch zu einem Konsens über den zivi- nister Kinkel mit zusätzlichen 20 Millionen DM in len Friedendienst kommen. Meine Fraktion hat in 1996 auf diesem Feld setzen wollte, hat sich für 1997 der vergangenen Woche einen Antrag beschlossen, wieder in nichts aufgelöst. Auch dieser Bereich der den wir im Deutschen Bundestag einbringen wer- zivilen Außenpolitik in einer immer komplizierter den. Ich glaube, wir sind dem großen bisherigen Ein- werdenden Welt wird mehr und mehr notleidend. satz des Forums „Ziviler Friedensdienst" eine Parla- Wir werden das später teuer zu bezahlen haben. mentsdebatte schuldig. Im übrigen geben wir Ihnen Meine Damen und- Herren, der Haushalt des Aus- heute im Plenum noch einmal Gelegenheit, mit uns wärtigen Amtes ist eine unzureichende finanzielle gemeinsam wenigstens einen Leertitel zu beschlie- Grundlage für eine wirksame deutsche Außenpolitik. ßen. Wir lehnen ihn deshalb ab. Wir empfehlen unsere Anträge - auch den zur Streichung von Subventio- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne nen für türkische Kriegsschiffe - Ihrer geschätzten ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aufmerksamkeit. Bundesaußenminister Kinkel hat im Juli eine Sie- Herzlichen Dank. ben-Punkte-Initiative gegen Landminen vorgestellt. Er hat sich auf der Vollversammlung der Vereinten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Nationen in dieser Frage engagiert Er lädt für Mitte ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dezember zu einem internationalen Expertentreffen über Minenräumtechnologie nach Bonn ein. Er kann Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat bei diesen Aktivitäten nur dann glaubwürdig blei- jetzt der Herr Kollege Riedl. ben, wenn die Bundesrepublik Deutschland selbst ausreichend Mittel für humanitäres Minenräumen (Karsten D. Voigt [Frankfu rt] [SPD]: Der zur Verfügung stellt. Kuba-Reisende! - Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Erzählen Sie doch mal!) Im vergangenen Jahr gelang es dem Haushaltsaus- schuß, den Ansatz dafür von 3 Millionen DM auf 13 Millionen DM zu erhöhen. Für 1997 soll er wieder Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Frau Präsi- auf 3 Millionen DM gekürzt werden, obwohl der Be- dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! darf für dieses Programm von Afghanistan über Mo- Reisen bildet. Das wissen Sie, Herr , sambik bis Kambodscha und Laos eher noch zuge- sonst würden Sie auf mich gar keinen so intelligen- nommen hat. ten Eindruck machen können, wie Sie ihn im Augen- blick machen. Meine Damen und Herren, es hat selten zu einem Der Kollege Kuhlwein hat die Dinge etwas drama- einzelnen Haushaltstitel quer durch die gesamte tisch dargestellt. Sie sind dramatisch, aber so feind- Bundesrepublik so viele Bitten, Ermunterungen und lich saßen wir uns als Berichterstatter gar nicht ge- Aufforderungen gegeben wie zu diesen 10 Millionen genüber, weil Sie, lieber Herr Kuhlwein, auch ganz DM, so von der Pfarrei Heilige Familie in Leipzig bis genau wissen, daß der Haushalt des Außenministe- zu Terre des hommes. Die Koalition hat sich davon riums in die Sparpolitik der Bundesregierung- einge- nicht beeindrucken lassen. Als ob die Kriterien von bunden ist. Maastricht an dieser bescheidenen Summe hingen! Herr Minister, ich muß als einer, der an der Außen- Ich appelliere deshalb noch einmal an Sie auf der politik zunehmend mehr Freude hat - nicht nur weil rechten Seite des Hauses: Helfen Sie den Menschen er einmal in Kuba war, sondern weil das Thema in den minenverseuchten Gebieten dieser Welt, hel- hochinteressant ist -, sagen: Sie leisten für den ge- fen Sie vor allem den Kindern, und helfen Sie damit samten Bundeshaushalt einen Sparbeitrag, der pro- nicht zuletzt auch der deutschen Außenpolitik, ein zentual überproportional höher ist als der der mei- Stück glaubwürdiger zu werden! Stimmen Sie unse- sten anderen Haushalte des Bundes. Ich möchte dies rem Antrag zu, den Titel für humanitäres Minenräu- ganz kurz an drei Fakten darstellen: men wieder zu erhöhen! Erstens ist dieser Haushalt mit 3,549 Milliarden (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne DM für 1997 gegenüber 3,78 Milliarden DM für 1996 ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schon allein vom Einsparvolumen her spürbar abge- 12720 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Dr. Erich Riedl (München) senkt. Er erreicht damit den niedrigsten Haushaltsvo- sen. Auch mir wäre es lieber, wenn wir, gemessen an lumenstand seit 1992. Zweitens beansprucht dieser der Bedeutung Deutschlands nach der Wiederverei- Haushalt lediglich einen Anteil von 0,81 Prozent des nigung in der Welt, andere Haushaltszahlen für die gesamten Bundeshaushalts, nachdem dieser Anteil gleich folgende Abstimmung zur Verfügung stellen 1996 noch 0,84 Prozent betrug. Drittens verzeichnet könnten. Aber die Fakten sind nun einmal so. Des- der Haushalt des Auswärtigen Amtes 1997 mit einem halb, Herr Kollege Voigt, möchte ich in allem Ernst Minus von 6,2 Prozent einen erheblich stärkeren sagen, daß es dem Deutschen Bundestag gut an- Rückgang als der Bundeshaushalt mit einem Minus stünde, wenn er einmal an die bis zur äußersten Lei- von 2,5 Prozent. stungsfähigkeit beanspruchten deutschen Beamten im auswärtigen Dienst, im Ausland und in der Zen- Die Auswirkungen - Herr Kollege Kuhlwein, hier trale, ein herzliches Dankeschön ausspräche. muß ich Ihnen recht geben - sind dementsprechend schmerzlich. Ich möchte dies an zwei Beispielen kurz (Beifall bei der CDU/CSU - Karsten D. darstellen. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Dem stimme ich zu! Bei einer so schlechten Haushaltspolitik ist Man muß zunächst die 2prozentige Stellenkür- so eine Leistung wirklich eine Leistung!) zung berücksichtigen. Diese kegelgerechte Einspa- rung von 2 Prozent der Stellen statt bisher 1,5 Prozent Ich will noch an eine Bemerkung des Bundeskanz- führt dazu - ich möchte das deutlich sagen, damit lers hinsichtlich der Bekämpfung der internationa- auch draußen gespürt wird, was das im einzelnen be- len Kriminalität, der Geldwäsche, der Rauschgiftkri- deutet -, daß das Auswärtige Amt 1997 insgesamt minalität usw. anschließen. Innere Sicherheit beginnt 134 Stellen verliert, davon 39 Stellen im Inland und bei unseren Auslandsvertretungen. Wir müssen uns 95 Stellen im Ausland. auch darüber im klaren sein: Wenn wir den Konsu- lats- und Rechtsbereich unserer Auslandsvertretun- Wenn der Herr Bundeskanzler vor weniger als ei- gen vernachlässigen, dann haben es die Gewaltver- ner Stunde hier gesagt hat, daß der deutsche Expo rt brecher natürlich sehr leicht, nach Deutschland zu -anteil in Asien rückläufige Tendenz habe, und wir kommen. gleichzeitig bei unseren Auslandsvertretungen die Wirtschaftsfachleute abziehen müssen, weil die Stel- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - lenkürzungen wirksam werden, dann paßt hier et- Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist ein was nicht zusammen. Argument!) (Beifall bei der SPD) Ich würde mich sehr freuen, Herr Minister, wenn Sie sich bei den Haushaltsberatungen 1998 - Sie spüren Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege ja, daß Ihnen weder der Haushaltsausschuß noch das Riedl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Parlament da große Schwierigkeiten machen wür- Karsten Voigt? den - (Eckart Kuhlwein [SPD]: Aber der Waigel!) (München) (CDU/CSU): Von ihm Dr. Erich Riedl innerhalb der Bundesregierung mit solchen Argu- immer. Ich habe ja gerade gesagt, daß ich ihn wegen menten durchsetzen könnten. seines intelligenten Aussehens unwahrscheinlich schätze. Mir fällt es immer schwer, der Opposition nicht wi- dersprechen zu können. Aber in dem Punkt hat der Karsten D. Voigt (Frankfurt) (SPD): Ich bemühe Kollege Kuhlwein im Prinzip leider Gottes einigerma- mich, jetzt auch eine intelligente Zwischenfrage zu ßen recht gehabt. stellen. (Heiterkeit bei der SPD) (Heiterkeit) - Jetzt habe ich Sie aber anständig behandelt, Herr Kuhlwein. (München) (CDU/CSU): Hoffentlich Dr. Erich Riedl (Eckart Kuhlwein [SPD]: War richtig lieb!) schaffen Sie das. Ich hätte das zu meinem Nachteil auch deutlicher sa- Karsten D. Voigt (Frankfurt) (SPD): Da die Bundes- gen können. - regierung immer so stolz darauf ist und betont, daß Entsprechend schmerzlich sind auch die Kür- die Bundesrepublik Deutschland nach der Vereini- zungen im Sachhaushalt. Es wird überall gespart, bis gung eine wachsende Internationale Rolle spielt, hin zur auswärtigen Kulturpolitik, und es muß ge- möchte ich wissen: Wird nicht an den von Ihnen so spart werden. emphatisch gelobten größeren Kürzungen im Aus- wärtigen Amt sichtbar, daß in der Regierung ein rhe- Das humanitäre Minenräumen ist eine ganz be- torischer Internationalismus mit einem faktischen sondere Geschichte. Ich habe die in einer unvorstell- Provinzialismus gepaart wird? baren Weise verstümmelten Kinder, Männer und Frauen in Kambodscha und in Vietnam gesehen. Es ist unglaublich. Es ist ein Riesenverbrechen, daß Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Bei Ihnen auch westliche Industrienationen Minen geliefert ha- habe ich schon immer gewußt, daß Sie nicht wissen, ben. Da beginnt das Verbrechen überhaupt. was Sparpolitik ist. Sparpolitik bedeutet für die Bun- desregierung natürlich, daß alle Häuser sparen müs (Beifall im ganzen Hause) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12721

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege Aber das ist auch ein Problem des Bundestages. Nur, Riedl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen was soll ich machen? Ich kann es hier nur zum Aus- Pflüger? druck bringen.

Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Jawohl, Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Herr Kollege bitte schön. Riedl, darf ich Ihre Äußerungen dahin gehend inter- pretieren - mir ist das für das Protokoll, vor allem für das nächste Jahr sehr wichtig -, daß die Berichter- Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Herr Kollege statter im Haushaltsausschuß den Herrn Bundesmini- Riedl, Sie haben eben die Notwendigkeit von huma- ster und das Auswärtige Amt quasi auffordern, die nitärem Minenräumen unterstrichen. Ich bin Ihnen, Mittel im Titel „Ausstattungshilfe" so zu verwenden, aber auch den anderen Berichterstattern - ich daß ein ähnlicher Betrag wie im letzten Jahr für hu- schließe den Kollegen Kuhlwein durchaus ein - sehr manitäres Minenräumen herauskommt? dankbar für das Engagement, das Sie bei den Haus- haltsberatungen im vergangenen Jahr gezeigt ha- Stimmen Sie mir zweitens zu, daß es für das näch- ben, um von 3 Millionen DM im Ansatz auf schließ- ste Haushaltsjahr, also das Haushaltsjahr 1998, gut lich 13 Millionen DM für das Minenräumen zu kom- wäre, wenn wir gleich von vornherein zu einem kla- men. In diesem Jahr ist das, jedenfalls im ersten An- ren Titel in etwa dieser Größenordnung kämen? lauf, nicht gelungen. Welche Möglichkeiten sehen (Karsten D. Voigt [Frankfu rt] [SPD]: Genau Sie angesichts des klaren Plädoyers, das Sie eben ab- das ist der Punkt!) gegeben haben, und auch des klaren Plädoyers, das der Herr Bundesaußenminister wiederholt für die Bundesregierung abgegeben hat, in diesem Haus- Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Ich stimme halt für humanitäres Minenräumen dennoch ausrei- Ihnen beim zweiten Punkt zu. Letztes Jahr haben wir chend Gelder zur Verfügung zu stellen? im Parlament 10 Millionen DM draufgesattelt, die die Regierung jetzt wieder weggelassen hat. Sie können (Günter Verheugen [SPD]: Ein anderer durch Umschichtung nicht nur bei der Ausstattungs- Finanzminister!) hilfe, sondern auch bei den friedenserhaltenden Maßnahmen annähernd wieder zu dem gleichen Be- trag wie im letzten Jahr kommen. Wenn ich meine (München) (CDU/CSU): Da fällt uns Dr. Erich Riedl Berichterstatter richtig einschätze und sie sich nicht Haushältern schon noch etwas Klügeres ein. wieder etwas anderes überlegen - das schließe ich (Lachen bei der SPD) aus -, dann könnten wir den Bundesminister des Auswärtigen dazu bringen, das zu akzeptieren, und Der Einzelplan 05 eröffnet dem Bundesaußenmini- ihm gleichzeitig dazu verhelfen, seine Zusagen, die ster Umschichtungsmöglichkeiten innerhalb des Ti- er guten Gewissens auch im Hinblick auf das Parla- tels der Ausstattungshilfe. Das geht natürlich zu La- ment gemacht hat, einzuhalten. sten anderer Programme; ich könnte mir Einsparun- gen bei der Demokratisierungshilfe vorstellen. Das (Karsten D. Voigt [Frankfu rt] [SPD]: Der Ziel der Berichterstatter, die ja wissen, daß das Hohe Ausschuß ist insgesamt dieser Meinung! - Haus einstimmig hinter der Mindestetatisierung vom Günter Verheugen [SPD]: Dann macht es letzten Jahr steht, würde dem Außenminister Rük- doch!) kendeckung geben. Es wäre zu wünschen, daß er - Wir machen es. auch mit Mitteln aus dem bei den Vereinten Natio- nen angesiedelten Titel „Friedenserhaltende Maß- nahmen" zu einem Betrag von bis zu 14 Millionen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt kommt der DM kommt, so daß 1997, Herr Kollege Pflüger, über Kollege Kuhlwein. Nach der Antwort lasse ich die den Weg der Umschichtung die Möglichkeit besteht, Zeit wieder laufen. wieder auf diesen Betrag zu kommen. Eckart Kuhlwein (SPD): Herr Kollege Riedl, wür- den Sie mir folgen, daß die beste Lösung des Pro- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege Riedl, jetzt möchte Herr Kollege Pflüger und auch blems darin bestünde, heute unserem vorliegenden der Kollege Kuhlwein noch einmal nachfragen. Antrag zur Aufstockung um 10 Millionen DM zuzu- Wenn Sie das alles gestatten, möchte ich doch bitten, stimmen? es bei diesen Zwischenfragen zu belassen. Zweitens nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß wir uns gerne an der Suche nach den verlorenen 10 Millionen DM beteiligen werden. Aber ist Ihnen Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Gerade das ist ja unser Problem, Frau Präsidentin: Wir haben ein nicht auch bekannt, daß der Titel „Ausstattungs- lebenswichtiges Thema und können darüber im Bun- hilfe" - nach eigenem Bekunden des Auswärtigen destag kaum reden. Wieviel Blödsinn ist heute vor- Amtes - vertraglich festgelegt ist, so daß do rt keine mittag schon zu anderen Themen geredet worden. Luft mehr für die Aufstockung des Titels „Humani- Ich will das nicht ausführen. Das ist wirklich täres Minenräumen" enthalten ist, und daß das Aus- schlimm. wärtige Amt insgesamt über die bisherigen Einspar- runden hinaus nach dem Beschluß in der Bereini- (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.]) gungssitzung noch 77 weitere Millionen DM 12722 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Eckart Kuhlwein irgendwo in den operativen Titeln einsammeln muß, Wir müssen alle ehrlich sein: Angesichts der gro- so daß die an den Stellen eingesparten Gelder, durch ßen Haushaltsprobleme, die wir heute haben, muß die möglicherweise ein bißchen Luft zwischen veran- ich feststellen, daß die Bundesregierung, der Deut- schlagten Titeln und Ausgaben entsteht, in die glo- sche Bundestag, der Haushaltsausschuß und alle, die bale Minderausgabe gehen werden? wir hier sitzen, die Brisanz dieses Eigenmittelbe- schlusses merklich unterschätzt haben. Es ist drin- gend an der Zeit, zu reagieren. Ich möchte an die Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Erstens Bundesregierung und auch an die Europäische zum Anteil des AA von 77 Millionen DM an der glo- Union appellieren, die Finanzierung der Europäi- balen Minderausgabe von 3 Milliarden DM: Diese schen Union so rasch wie möglich neu zu ordnen. In Aufteilung ist erfolgt. Ich habe meinen Vorschlag Zeiten, in denen die Mitgliedstaaten eisern sparen schon unter Berücksichtigung der Aufteilung dieser müssen - schauen Sie sich den Streik in Frankreich 77 Millionen DM gemacht. an; dieser Streik hat durchaus etwas mit Maast richt Zweitens. Herr Kollege Kuhlwein, Sie wissen doch zu tun -, läßt sich der Haushalt der Europäischen als alter Parlamentarier selber, daß ich als Berichter- Union nicht mehr wie bisher von Jahr zu Jahr über- statter nicht in der zweiten Lesung einem Antrag von proportional steigern. Ihnen zustimmen kann, nachdem der Haushalt von Ich möchte dem Bundesfinanzminister für seinen uns im Haushaltsausschuß abgeschlossen wurde. persönlichen Einsatz ganz besonders danken; Das wäre unsolide, und das verlangen Sie auch nicht von mir. Aber Sie müssen es ja sagen, weil Sie in der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Opposition sind. Das haben wir früher auch gemacht. denn es ist sein Verdienst, daß der Haushaltsentwurf Zum dritten Punkt: Wenn der Außenminister auch der Europäischen Union für 1997 eine sogenannte in anderen Titeln seines Hauses adäquate Deckungs- rote Null mit einem Minus von 0,07 Prozent schreibt. vorschläge hat, bin ich einverstanden. Die muß er Das ist ein Riesenerfolg. Auf diesem Weg sollten wir machen. Ich habe ihm ja die Mindestgrenze darge- weitergehen, damit bei uns die Akzeptanz der Bevöl- legt, bis zu der er nach unserer Meinung im Bereich kerung bezüglich internationaler Organisationen der friedenserhaltenden Maßnahmen und der Aus- nicht eines Tages sehr getrübt wird, nur weil dort das stattungshilfe gehen kann. Danach schauen wir mal Geld zum Fenster hinausgeworfen wird und wir in weiter. Deutschland überproportional sparen müssen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestat- In diesem Sinne bittet meine Fraktion, die CDU/ ten Sie mir zum Schluß noch eine Bemerkung zu den CSU-Fraktion, dem Einzelplan 05 - Auswärtiges deutschen Finanzbeiträgen zu internationalen Or- Amt - in der vorgelegten Fassung zuzustimmen. ganisationen. Der Haushaltsausschuß kümmert sich zunehmend um dieses Thema, weil nicht zu bestrei- Danke. ten ist, daß es angesichts der enormen Sparzwänge im eigenen Land und der aus allen Bevölkerungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gruppen kommenden Kritik, die auch den Deutschen Bundestag erreicht hat, zu spürbaren Einsparungen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich erteile der deutscher Beiträge zu internationalen und suprana- Kollegin Antje Hermenau das Wo rt zu einer Kurzin- tionalen Organisationen kommen muß. So geht es tervention. nicht weiter! Es kann nicht nur in Deutschland ge- spart werden; es muß bei der UNO, den Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der WTO - Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich wie immer diese Organisationen heißen - genauso möchte mich auf die Ausführungen des Kollegen gespart werden. Riedl beziehen. Herr Kollege Riedl hat in seiner Rede einen Eindruck erweckt, den ich korrigieren möchte. Deutschland hat im Jahre 1995 an Beiträgen zu in- Er führte aus, daß sich die Opposition bei dem The- ternationalen Organisationen inklusive der Zuwei- menbereich Minenräumung vor der zweiten Lesung sungen an den Haushalt der Europäischen Union im- nicht deutlich genug artikuliert habe. Das ist nicht merhin 47,4 Milliarden DM aufgebracht. 1996, also in korrekt. Vielmehr haben die Opposition und auch die diesem Jahr, werden es schon 51,8 Milliarden DM beiden Haushälter der Koalition bereits in vorberei- sein. In diesen 51,8 Milliarden DM ist ein Beitrag von tenden Berichterstattergesprächen - das war Mitte 45 Milliarden DM zum Haushalt der Europäischen September - darüber Einigkeit erzielt, daß es not- Union enthalten. Wir leisten in diesem Jahr an 369 wendig sein wird, Maßnahmen zu vereinbaren. internationale Organisationen freiwillige und Pflicht- beiträge von 6,57 Milliarden DM. Es ist sicherlich Daraufhin hat die Opposition darauf verzichtet, nicht vermessen, wenn ich sage: Das kann so nicht Änderungsanträge einzubringen, damit die Koalition bleiben. genügend Spielraum hat, um diese Maßnahmen in ihren Reihen zu diskutieren, und sie sich von der Op- Leider läßt sich im Augenblick seitens des Deut- position nicht unter Druck gesetzt fühlt. Ich fühle schen Bundestages in bezug auf den Haushalt der mich durch die Ausführungen des Kollegen Riedl Europäischen Union nur wenig tun, weil nach dem leicht diffamiert und wollte daher diesen Punkt rich- Eigenmittelbeschluß der Mitgliedstaaten, der am tigstellen. 1. Januar 1995 in Kraft getreten ist, die Abführungen aller Mitgliedstaaten an den EU-Haushalt bis 1999 Der Kollege Riedl hatte über zwei Monate Zeit, um verbindlich festgelegt worden sind. in dieser Frage ein Management an den Tag zu Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12723

Antje Hermenau legen, das über die Bitte an den Herrn Minister hin- Herr Kollege Riedl, die richtige Antwort wäre ge- ausgeht, eventuell nachzuprüfen, ob er vielleicht wesen: Das liegt daran, daß ein großer und wichtiger eine vertragliche Verpflichtung im Rahmen der Aus- Teil unserer Außenpolitik nicht mehr vom Außenmi- stattungshilfe nicht einhält, um diesem Anliegen nister, sondern im Bundeskanzleramt gemacht wird: nachzukommen. Ich glaube, dieses Vorgehen ist eine mal vom Bundeskanzler und mal von Staatsminister nicht sachgerechte Bearbeitung dieses Themas. Schmidbauer. Dieser wird in einer eigenartigen Dop- pelfunktion aktiv: mal als Koordinator für die Nach- Danke. richtendienste - ein rechtlich und politisch sehr um- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN strittenes Thema - und daneben als persönlicher Be- sowie bei Abgeordneten der SPD - Abg. Dr. auftragter der Bundesregierung in humanitären und Friedbert Pflüger [CDU/CSU] meldet sich manchmal auch in außenpolitischen Fragen. zu einer Kurzintervention) Mit Erstaunen haben wir in diesen Tagen zur Kenntnis genommen, daß Herr Schmidbauer ausge- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege rechnet in Kolumbien etwas initiiert, was der jetzige Pflüger, Sie dürfen nicht auf das antworten, was die Außenminister, als er noch Justizminister war, in Frau Hermenau gesagt hat. Sie dürfen in der Kurzin- Deutschland nicht - obwohl er es wollte - zustande tervention nur Bezug auf die Rede des Kollegen Riedl gebracht hat, nämlich ein Gespräch zwischen Terro- nehmen. risten und Regierungsmitgliedern über die Einstel- (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Das lung des Terrors. Daß so etwas am Außenministerium werde ich selbstverständlich tun!) vorbei läuft, ist ein Kontrolldefizit unserer Politik. - Wenn Sie das tun, dürfen Sie jetzt sprechen. Deshalb sage ich, auch als Mitglied der Parlamen- tarischen Kontrollkommission: Um so wichtiger ist es, bei dieser Entwicklung, daß wir eine lückenlose Kon- Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Ich möchte gerne zu dem, was Kollege Riedl ausgeführt hat, sa- trolle durch den Auswärtigen Ausschuß und die Par- gen, daß ich es als ein sehr deutliches Votum für lamentarische Kontrollkommission gegen die Geahr meine Fraktion empfunden habe, unseren Vertretern einer Geheim-Neben-Außenpolitik schaffen. Um so im Haushaltsausschuß und der Bundesregierung wichtiger wird es auch, daß wir in der Parlamentari- grünes Licht dafür zu geben, daß wir für das humani- schen Kontrollkommission unsere Kontrollaufgaben täre Minenräumen auch im kommenden Haushalt ei- gegenüber den Nachrichtendiensten und dem damit nen Betrag etwa in der Größenordnung von betrauten Staatsminister wirksamer als bisher vor- 13 Millionen DM zur Verfügung haben. Ich glaube, nehmen können. es gibt im ganzen Haus überhaupt keinen Streit dar- Anläßlich des Berichts dieser Kommission habe ich über, daß die Minenplage auf unserer Welt ganz im Plenum darauf hingewiesen, daß es insbesondere fürchterlich ist und dazu beiträgt, daß es in wesentli- bei der Haushaltskontrolle ein erhebliches Defizit chen Gebieten dieser Erde keine Entwicklung mehr gibt, das beim Etatansatz des BND in die Verfas- gibt, weil Menschen zum Beispiel ihre Felder nicht sungswidrigkeit hineinreicht. Ich habe zur Kenntnis bestellen können. Diese Plage führt zu furchtbaren genommen, daß es mit den Fraktionsvorsitzenden humanitären Leiden. Sie hinde rt andere Völker der Regierungsparteien eine Absprache gibt, daß daran, eine normale Entwicklung zu nehmen. dies im nächsten Haushaltsansatz in Ordnung ge- Deshalb muß - das ist der ausdrückliche Wunsch bracht wird. Im Vertrauen darauf habe ich heute ver- der CDU/CSU-Fraktion - das Minenräumen auch im zichtet, im Plenum Anträge zu stellen, weil ich weiß, kommenden Haushalt eine klare Priorität genießen. daß sie bezüglich der Geheimhaltungsbedürftigkeit Die Aussagen von Herrn Riedl sind eindeutig gewe- und ihrer strafrechtlichen Sanktion zu Problemen sen. Ich würde mich freuen - Herr Kollege Riedl, ich führen können. darf das hinzufügen -, wenn von seiten der Bundes- regierung auch ein Wo rt zu diesem wichtigen Thema Ich gebe aber ausdrücklich zu Protokoll: Ich habe gesagt wird. darauf verzichtet, bei etwaigen Anträgen zum Haus- halt die Indemnität in Anspruch zu nehmen, weil ich (Günter Verheugen [SPD]: Wer regiert auf diese Absprache vertraue. Ich vertraue dabei eigentlich in diesem Land? - Sie brauchen auch auf Sie, Herr Außenminister, daß Sie- auf Grund nur die Hand zu heben!) Ihrer früheren Funktionen als Präsident des Bundes- nachrichtendienstes, Staatssekretär im Justizministe- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wir haben noch rium und als Justizminister sowie in Ihrer jetzigen eine Kurzintervention des Kollegen Norbe rt Gansel. Funktion als Außenminister dafür Sorge tragen wer- den und daß Sie dies auch Ihren Koalitionspartnern, Ihrem Regierungschef klarmachen. Es geht hier nicht Norbert Gansel (SPD): Herr Kollege Riedl, Sie ha- um eine Petitesse, sondern um die Kontrolle unserer ben nicht ganz korrekt auf die Zwischenfrage meines Außenpolitik und um das verfassungsmäßige Prinzip Kollegen Voigt geantwortet, wieso es erklärbar ist, der Wahrheit und Klarheit des Bundeshaushalts. daß sich das Gewicht der Bundesrepublik in der in- ternationalen Politik verstärkt hat - ob es uns paßt Danke sehr. oder nicht; es bedeutet Verantwortung - und der Etat des Außenministers überproportional sinkt. Wie paßt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne das zusammen? ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 12724 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort für die ches Sonderverhältnis gekommen sind. Ich möchte Bundesregierung hat der Herr Bundesaußenminister noch einmal sagen, worin sich das ausdrückt. Wir Kinkel. wissen beide, Frankreich und Deutschland, und zwar rational und emotional, daß wir füreinander in die- sem Europa die wichtigsten Partner sind. Aus der Er- Bundesminister des Auswärtigen: Dr. Klaus Kinkel, kenntnis, daß wir mit weitem Abstand füreinander Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die wichtigsten Pa rtner sind, fließt auch die Berechti- Ich habe seit genau 9 Uhr heute morgen sehr auf- gung und die praktische Politik, die wir in der euro- merksam zugehört, das heißt seit fünfeinhalb Stun- päischen Integration in Motorfunktion übernommen den. Ich habe eigentlich darauf gewartet, daß zu den haben, übrigens mit Zustimmung und dem Willen al- nicht ganz unwichtigen Fragen der Außen- und Si- ler anderen Europäer, und dabei bleibt es. cherheitspolitik Äußerungen kommen - vergeblich. Weder Herr Scharping hat irgend etwas zur Außen- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne politik gesagt, noch habe ich mit Ausnahme des Bun- ten der CDU/CSU) deskanzlers sonst von irgend jemand etwas gehört, was jetzt jedenfalls irgendeiner Erwiderung in der Ein zweiter Punkt muß angesprochen werden. Ich Haushaltsdebatte wirklich bedürfte. Ich muß Ihnen glaube, daß wir uns über unser Verhältnis zum Iran sagen, daß ich dies auf der einen Seite als ein biß- ein klein wenig hätten unterhalten sollen. Wir haben chen traurig, auf der anderen Seite aber natürlich das gestern im Auswärtigen Ausschuß ausführlich auch als erfreulich empfinde, erfreulich deshalb, weil getan. Unsere Beziehungen zum Iran, zu dem wir tra- es so zu sein scheint, daß an der Außen- und Sicher- ditionell seit Jahrzehnten gute Beziehungen haben, heitspolitik dieser Regierung, dieser Koalition nichts sind in schwierigem Fahrwasser. Emotionen sind auszusetzen ist. aber in einer Situation, die wir nicht verschuldet ha- ben, ein schlechter Ratgeber. Dem Urteil im Myko- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nos-ProzeB jetzt vorzugreifen wäre falsch, und zwar Das ist eine positive Bemerkung. in der einen wie in der anderen Richtung. Dies ist kein politischer Prozeß. Natürlich muß die iranische Dazu zitiere ich Herrn Scharping aus der „Süd- Seite wissen - wir haben das unmißverständlich klar- deutschen Zeitung" der letzten Woche, wo wörtlich gemacht -: Wir sind ein Rechtsstaat, wir haben Ge- steht: waltenteilung. Was von dort in bezug auf diesen Pro- zeß herübertönte, ist absolut unerträglich, und ich Zugleich betont er die Übereinstimmung in den weise es auch vom Pult des Deutschen Bundestages wesentlichen Zielen der Außen- und Sicherheits- noch einmal ausdrücklich und nachdrücklich zurück. politik. Das reicht vom grundsätzlichen Verständ- nis der NATO und der europäischen Integration (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und bis zu Einzelfragen beim Einsatz deutscher Bo der SPD) dentruppen in Bosnien .. . Aber diplomatische Beziehungen und Beziehun- So weit, so gut. gen zu einem anderen Land dreht man nicht wie ei- nen Wasserhahn auf und ab. Emotionen nützen in ei- Das bedeutet, daß ich meine Rede beiseite legen ner solchen Situation nichts. Für unsere Außenpolitik kann und auf ein paar Einzelpunkte eingehe, und kann es nur einen Richtungsweiser geben, nämlich zwar einfach deshalb, weil es unangemessen wäre, Interessen und Werte. Deshalb sollten wir die Politik wenn ich hier den großen außenpolitischen Wurf ver- des kühlen Kopfes fortsetzen. Wir spüren eine De- suche, während hier in klein-klein gemacht worden eskalation auch auf der iranischen Seite. Gestern ist. habe ich im Auswärtigen Ausschuß Gott sei Dank (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE nichts gehört, was in eine Richtung ginge, die kon- GRÜNEN]: Herr Außenminister, Sie hätten trär zur Grundlinie der Bundesregierung wäre. auf unseren außenpolitischen Sprecher war Ich möchte hinzufügen, daß wir am Montag in ten können!) Brüssel eine Zusammenkunft der 15 Außenminister - Die Äußerungen, die Sie zur Außenpolitik und hatten. Diese 15 Außenminister haben uns in unserer auch zu ein paar anderen Fragen gemacht haben, Linie absolut unterstützt, haben Solidarität gezeigt waren so, daß ich mir - seien Sie mir nicht böse - ein und deutlich und klar gesagt, daß niemand- daran klein wenig ersparen möchte, darauf einzugehen. denkt, Beziehungen abzubrechen, sondern daß man die Politik des kritischen Gesprächs, des kritischen Ich möchte auf die zentralen Fragen kommen, die Dialogs, des Einwirkens auf die iranische Regierung eigentlich hätten angesprochen werden müssen, und gerade bei den Themen, bei denen wir anderer Mei- will zunächst auf das eingehen, was Herr Lafontaine nung sind, fortsetzen will: beim aggressiven Funda- zum deutsch-französischen Verhältnis gesagt hat, mentalismus, beim Terrorismus und selbstverständ- weil das zentral ist. Herr Lafontaine sollte sich um lich auch bei allen Menschenrechtsverletzungen. das deutsch-französische Verhältnis und um den Mo- tor, den das deutsch-französische Verhältnis in der Ich erlaube mir, noch anzufügen: Wenn es um weiteren europäischen Integration darstellt, keine diese Themen geht, sind wir und die Amerikaner Sorgen machen. Wir sind nach wie vor in allerengster oder die anderen Partner und Freunde nicht einen Abstimmung mit unserem französischen Pa rtner und Millimeter auseinander. Es geht einzig und allein um Freund, mit dem wir nach schwierigsten Jahrzehnten die Fragen, ob man in einer solchen Situation Sank- in ein erfreuliches partnerschaftlich-freundschaftli tionen will, ob man das Gespräch abb richt oder ob Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12725

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel man glaubt, daß man im Gespräch mehr erreicht. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang dem Was wir erreicht haben - wenig genug, aber immer- Bundestag deutlich und klar sagen: Jawohl, das Aus- hin -, habe ich gestern im Auswärtigen Ausschuß wärtige Amt hat bis jetzt alle bisherigen Einsparun- deutlich und klar vorgetragen. gen solidarisch mitgetragen und wird das auch wei- terhin tun. Aber langsam stehen wir schon etwas mit Wir hätten über Zaire, über die schreckliche Situa- dem Rücken zur Wand. Ich werde mich bemühen, in tion, die dort nach wie vor herrscht, sprechen sollen. den drei Bereichen, wo das ganz besonders zum Aus- Trotz Rückkehr von mehreren hunderttausend druck kommen wird, nämlich in der Außenwirt- Flüchtlingen haben wir im ruandisch-zairischen schaftsförderung, in der Visaerteilung und in der aus- Grenzgebiet eine sehr gespannte Situation. Ich habe wärtigen Kulturpolitik, umzuschichten und die Mittel mich letzte Woche mit den humanitären Hilfsorgani- so einzusetzen, daß do rt jedenfalls keine massiven sationen in der Bundesrepublik getroffen. Die Ein- Einbrüche kommen. Aber es wird, Kolleginnen und sätze laufen. Ich möchte an dieser Stelle dem Deut- Kollegen, manche Serviceleistung deutscher Bot- schen Bundestag einmal sagen, daß Bundesbürger schaften in Zukunft nicht mehr geben. Ich werde private Spenden in Höhe von 3 bis 4 Milliarden DM Botschaften schließen müssen. Wir müssen wieder im Jahr für die Nicht-Regierungsorganisationen auf- Goethe-Institute zumachen. bringen. Sie sollten klipp und klar wissen, daß ich mich hier (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU bei Ihnen, beim Deutschen Bundestag melde, auch sowie bei Abgeordneten der SPD) dann melden werde, wenn bei mir die Schlangen vor Ich möchte an dieser Stelle den Hunderten, zum den RK-Abteilungen meiner Botschaften so sein wer- Teil Tausenden von Einsatzhelfern, die ehrenamtlich den, daß es für meine Botschaftsangehörigen nicht tätig sind, danken, übrigens auch den Arbeitgebern, mehr durchhaltbar ist. Wir haben RK-Referate in der die vielfach den Arbeitnehmern, die ehrenamtlich tä- Ukraine, in Rußland, in den anderen GUS-Staaten, tig sind, ohne daß das in irgendeiner Form aufge- bei denen ich tagtäglich Löcher flicken muß. rechnet wird, erlauben, dies zu tun, für unser Land, Wenn es dabei bleibt - das betrifft insbesondere für eine wertorientierte Außenpolitik. die Personalkürzungen, die jetzt wieder gekommen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sind -, dann wird es so nicht weitergehen, weil es sowie bei Abgeordneten der SPD - Abg. dann nämlich massiv zu Lasten unserer Arbeit geht. Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD] meldet sich Ich habe einen Haushalt von etwas über 3 Milliarden zu einer Zwischenfrage) DM, mit dem Sie nicht die größten Sprünge machen können, zumal er sehr personalintensiv ist. Mit die- sem Haushalt kann ich ganz bestimmte Dinge ein- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Minister, fach nicht auffangen. gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bütt- ner? (Abg. Eckart Kuhlwein [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: Nein, ich möchte gern weitermachen. Ich bitte um Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Bundesmi- Verständnis. nister, gestatten Sie keine Zwischenfragen? Wir hätten über die Situation in der Türkei - übri- Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: gens im Kontext mit dem Iran - und über die großen Nein, ich möchte keine Zwischenfrage zulassen. Sorgen reden müssen, die wir uns machen. (Eckart Kuhlwein [SPD]: Das hätten Sie im Die zentralasiatischen Länder, der Transkaukasus Kabinett sagen müssen! Sie haben doch und andere Länder in der Region einschließlich der dem Haushaltsentwurf dort zugestimmt!) wesentlichen Länder in Afrika konzentrieren sich ganz stark auf diese neue Region, die nach dem - Ach, Herr Kuhlwein, ich habe das doch im Kabinett Wegfall der Ost-West-Auseinandersetzung eine zen- gesagt. Das wissen Sie doch ganz genau. tral wichtige, neue Bedeutung als Brücke zur islami- (Eckart Kuhlwein [SPD]: Was hat der Kanz schen Welt, als Brücke zum asiatischen Raum und in ler dazu gesagt?) vielen anderen Beziehungen bekommen hat. Es wäre - notwendig, sich etwas intensiver auch mit dieser Re- - Es ist doch jetzt billig, auf diese Masche zu kom- gion zu befassen, nicht nur oberflächlich. men. Sie wissen genau, wie es im Haushaltsausschuß abgelaufen ist. Sie wissen, wie es im Kabinett abge- Wir müssen uns natürlich auch über die Landmi- laufen ist. nenproblematik unterhalten. Ich habe mich nicht umsonst derart hineingekniet. Ich habe mir in Kam- (Günter Verheugen [SPD]: Da haben wir bodscha und in Mosambik angesehen, worum es doch nicht die Mehrheit!) geht. Ich habe die Sieben-Punkte-Initiative ergriffen. Ich habe mich gegen die beabsichtigten Maßnahmen Auch ich bin natürlich traurig darüber, daß ich mit allen Kräften, die mir zur Verfügung stehen, bis massive Eingriffe in unseren Haushalt hinnehmen zum Schluß gewehrt. Alle, die hier im Bundestag sit- mußte. Aber ich werde versuchen, auf dem Weg, der zen, wissen, wo ich war und wo ich um die Gelder jetzt vorgeschlagen ist, die Dinge so hinzubekom- und die Personalausstattungen fast gebettelt habe. men, daß wir damit leben können. Es ist mir nicht gewährt worden. Ich habe bis zum 12726 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Schluß um jede einzelne Stelle gekämpft. Ich lasse Volker Kröning (SPD): Frau Präsidentin! Meine mir da auch keine Vorwürfe machen. sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundes- außenminister, ich bedaure wie Sie, daß Sie vom (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Haushaltsausschuß in der Frage der Beibehaltung ten der CDU/CSU) der 1996 eingestellten Mittel für humanitäres Ich habe aber auch solidarisch die notwendigen Minenräumen auch 1997 im Stich gelassen worden Sparmaßnahmen mitgetragen. sind, und zwar von der Mehrheit des Haushaltsaus- schusses, um das der guten Ordnung halber zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge sagen, gegen den Antrag, den die SPD und die ande- ordneten der F.D.P.) ren Oppositionsfraktionen gestellt haben. Es ist nicht immer so, daß diejenigen am wirkungs- vollsten wären, die am lautesten schreien. Ich küm- Ich füge aber hinzu, daß sich dieses Bedauern in mere mich um den Haushalt meines Amtes sehr, und Grenzen hält, nachdem ich erlebt habe, daß Sie uns - ich trage nicht so leicht daran, daß er herunterge- die Berichterstatter im Unterausschuß für Abrüstung kürzt worden ist. und Rüstungskontrolle - nach der Kabinettsentschei- dung, in der Ihnen diese Mittel abhanden gekom- (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE men sind - ob mit Ihrer Stimme oder gegen Ihre GRÜNEN): Machen Sie uns doch nicht zur Stimme, läßt sich nicht nachprüfen -, angeschrieben Klagemauer für den Finanzminister!) und um Unterstützung gebeten haben. Dies haben - Ach, Herr Lippelt, Sie sind auch bloß ein Schreier. wir, wiederum nach der guten Ordnung des Hauses, Beigetragen haben Sie bisher recht wenig, wenn es an den Haushaltsausschuß weitergereicht. Ich habe um praktische Dinge ging. Freundliche Grüße! mich darüber mit verschiedenen, auch mit Herrn Dr. Riedl, unterhalten. (Beifall bei der F.D.P.) Vor der Abstimmung über unseren Antrag ist be- Lassen Sie mich abschließend etwas sagen, was für reits deutlich geworden, welche sachliche und proze- meine Begriffe viel wichtiger ist. Wir tragen aus un- durale Berechtigung er hat und daß er nicht einfach serer Vergangenheit und im Hinblick darauf, daß wir weggeschoben werden kann, als wäre diese Runde im Gegensatz zu anderen heute nicht vor der Tür der der Haushaltsberatung nur noch Show. Europäischen Union und der NATO stehen müssen, eine ganz große Verantwortung als Anwalt bei den Nachdem Sie erneut Ihr Bemühen in Aussicht ge- zentral wichtigen Fragen, die jetzt in Europa und in stellt haben, frage ich Sie kurz und klar, ob Sie die der NATO anstehen. Wir müssen diese Verantwor- Erwartung der Berichterstatter auch der Koalitions- tung wahrnehmen. fraktionen erfüllen können, durch Umschichtungen Wir müssen eine Regierungskonferenz bis zur in Ihrem Haushalt 1997 - bedauerlicherweise nur Mitte des nächsten Jahres erreichen, die es ermög- noch in Ihrem Haushalt - die zusätzlichen 10 Mil- licht, daß die Erweiterungsverhandlungen ein halbes lionen DM bereitzustellen. Ich frage Sie das, weil Jahr danach beginnen können. Wir müssen die Er- viele Beteiligte nicht nur Planungssicherheit, son- weiterung hinbekommen. Wir müssen die zweite we- dern auch Vertrauenssicherheit brauchen. sentliche Frage, nämlich die Schaffung der gemein- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) samen Währung, 1999 hinbekommen. Wir brauchen in Europa ein neues Finanzsystem. Wir brauchen eine neue Agrarstruktur. Die Kommission wird dazu Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte. im neuen Jahr einen Vorschlag vorlegen. Das sind die zentralen Aufgaben in Europa. Ferner brauchen wir eine neue Sicherheitsarchitektur. Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: Über diese Themen hätten wir heute reden sollen. Ich möchte gern noch einmal erklären, daß ich es au- Da kommt auf uns, die wir das größte Glück der letz- ßerordentlich bedauere, daß ich diese zusätzlichen ten Jahrzehnte durch die Wiedervereinigung hatten, 10 Millionen DM im ordentlichen Haushalt nicht be- eine besondere Aufgabe zu, weil wir in das Herz Eu- kommen habe. ropas zurückgerückt sind und ein ganz wichtiger Partner bei der europäischen politisch-wirtschaftli- Die Fragen, angefangen bei der Personenminen-- chen und Sicherheitsarchitektur sind. Ich bitte den räumung bis hin zu der Entwicklung dieses Geräts, Deutschen Bundestag bei dem jetzt beginnenden an dem ich mächtig arbeite, um endlich von dem Ab- Konferenzkarussell in den beiden auf uns zukom- räumen von Sanddünen mit dem Fingerhut wegzu- menden wichtigen Jahren um Unterstützung in den kommen, sind so wichtig, daß ich diese 10 Millionen Fragen, in denen viele zu Recht auf die Bundesrepu- DM aus meinem übrigen Haushalt erwirtschaften blik Deutschland warten und in denen wir eine zen- werde. trale Verantwortung tragen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Vielen Dank. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zu einer Kurzin- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Möchten Sie tervention erhält Herr Kollege Kröning das Wort. eine Kurzintervention machen? - Bitte. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12727

Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) (BÜNDNIS 90/ Ich bitte um Entschuldigung und akzeptiere DIE GRÜNEN): Ich fand den Ton der Reden sehr gleichzeitig Ihren Ordnungsruf. merkwürdig. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der Herr Riedl, Sie haben die Einsparungen als Erfolg F.D.P.) gefeiert. Herr Kinkel, der Außenminister, hat jedoch bedauert, daß es diese Einsparungen im Bereich des Auswärtigen gibt. Logisch wäre es doch dann, Herr Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Einen solchen Kinkel, daß Sie und Ihre Fraktion dem Haushalt nicht erteile ich nicht. Ich kläre Sie vielmehr über den or- zustimmen. dentlichen Weg auf: Ich kann Ihre Bitte von diesem Platz aus nicht erfüllen. Sie müssen einen B rief an Herr Kinkel, ein Drittel des Haushaltes des Aus- die Präsidentin schreiben. wärtiges Amts macht der Bereich der auswärtigen (Beifall des Abg. Detlev von Larcher [SPD]) Kulturpolitik aus. Sie sprachen eben ganz kurz von den Auswirkungen. Eine dieser Auswirkungen ist, Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Gerd daß Goethe-Institute schließen müssen. Die Goethe- Poppe. Institute sind die renommiertesten Vermittler unserer Sprache und Kultur im Ausland. Wenn, wie es jetzt gemäß der kegelgerechten Einsparung von Stellen Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau vorgesehen ist, jedes Jahr fünf Institute schließen Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege müssen, wird dies wie im letzten Jahr massive Prote- Riedl hat vorhin gesagt, daß notwendige Einsparun- ste weltweit erzeugen. gen natürlich alle Einzelhaushalte betreffen müssen. Diese Meinung ist sicherlich akzeptabel. Aber es ist Ich frage Sie, Herr Kinkel: Fürchten Sie nicht, daß nicht nur so, daß die Bundesregierung zuviel Geld unser Ruf im Ausland durch eine derartige Politik be- ausgegeben und daß sie es falsch verwendet hat; schädigt wird? sondern es ist auch so, daß an den falschen Stellen gespart wird. Das Problem ist nicht in erster Linie das (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [PDS]) Sparen selbst, sondern die Unausgewogenheit, mit der es geschieht. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es liegt noch ein Herr Riedl hat dauernd von Umschichtung gespro- Wunsch nach einer Kurzintervention vor. chen. Ich glaube, das Problem ist auch nicht die Um- schichtung; sondern grundsätzlich sollte man sich Ich möchte vorweg doch noch einmal sagen, daß über die Sie diese in der Regel vorab ankündigen mögen - Orientierung der deutschen Außenpolitik das ist für die Techniker wichtig - und alle streng verständigen. Da gebe ich Ihnen recht, Herr Außen- darauf achten mögen, daß wir nicht Debatten inner- minister. Sie hätten ein wenig abwarten können, ob halb der Kurzinterventionen führen. Dieses Instru- dazu noch einige Beiträge kommen. Ich glaube, das ment dient nur dazu, auf vorherige Redebeiträge ein- Problem ist nicht die Umschichtung; sondern das Pro- zugehen. blem sind die Fehler in der deutschen Außenpolitik. Ich will einige Punkte herausgreifen, die auch haus- Jetzt ist der Kollege Riedl dran. haltsrelevant sind oder sein könnten. Zum hundertsten Male haben wir festgestellt - Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Frau Präsi- deshalb wird es nicht weniger richtig -, daß für die dentin, ich bin immer wieder betrübt und auch er- Rüstung und für die Förderung von Rüstungsexpor- schüttert darüber, wie wenig Detailkenntnisse Mit- ten nach wie vor Milliarden ausgegeben werden, für glieder des Deutschen Bundestages über den Ablauf die Konfliktvorbeugung und für die zivile Schlich- von Haushaltsberatungen haben. tung von Konflikten aber nur wenige Millionen. Ich möchte Sie bitten, Frau Präsidentin, den Wis- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS senschaftlichen Dienst zu ersuchen, SES 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P. Hierhin gehört auch das leidige Thema der MEKO- - Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fregatten - ein nicht unerheblicher Bestandteil- des Einzelplans 05. Seit Jahren wehren wir uns gegen in einer leicht verständlichen Weise eine Expe rtise zu die Mitfinanzierung von Kriegsschiffen für die Tür- erstellen und diese beim Neueintritt von Mitgliedern kei durch deutsche Steuerzahler. Inzwischen haben des Deutschen Bundestages mit der Fahrkarte für die wir auch erlebt, daß sich Spannungen zwischen Grie- Deutsche Bahn und mit den Hinweisen, wo die Re- chenland und der Türkei sowie hinsichtlich Zyperns staurants und die Toiletten sind, zu übergeben. verschärft haben, von den Kurden gar nicht erst zu reden. Was sollen diese Kriegsschiffe tun? Wer kann (Detlev von Larcher [SPD]: Wie lange sind ausschließen, daß die Sicherung von langfristig oh- Sie schon im Parlament?) nehin aussichtslosen Arbeitsplätzen in Deutschland nicht eines Tages zu Toten in der Ägäis oder auf Zy- Ich bitte um Entschuldigung, daß ich das so sarka- pern führt? Wäre das nicht ein zu hoher Preis für ei- stisch sage. Es ist aber angesichts dieses wichtigen nige deutsche Arbeitsplätze? Themas fast wirklich nicht mehr zu ertragen, daß hier solche blöden Ausführungen gemacht werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12728 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Gerd Poppe Herr Kinkel, die Klagen, die Sie geführt haben, wo- Es ist oft gesagt worden, daß die Garantie der Men- bei sich das Klagelied, das Sie angestimmt haben, an schenrechte eine große Bedeutung für die Stabilität die falsche Adresse richtete - Sie haben es nämlich von Staaten und ganzen Regionen hat und ihre vor dem ganzen Haus gesungen -, könnten abge- Nichtbeachtung häufig eine der Ursachen für ge- stellt und die Probleme, die Sie genannt haben, ge- waltsam ausgetragene Konflikte ist. Deshalb ist na- löst werden, wenn sich die Koalition auf unseren An- türlich der Einsatz für die Menschenrechte keines- trag hinsichtlich der MEKO-Fregatten einlassen wegs nur eine moralische Verpflichtung, sondern würde. auch eine politische Notwendigkeit. Der Bundesprä- sident hat hierzu ein bemerkenswe rtes Signal ge- Zum humanitären Minenräumen ist alles gesagt setzt, als er - anders als die prominenten Reisenden worden. Wir schließen uns nachdrücklich dem an, der Bundesregierung - seine unmittelbare Solidarität was Herr Kuhlwein gesagt hat. Diese Mittel müssen mit Verfolgten durch seinen Besuch in Xian bei einer wieder in den entsprechenden Titel eingestellt wer- häufig Repressionen ausgesetzten christlichen Ge- den. Es ist unerträglich, jedes Jahr Tausende von To- meinschaft gezeigt hat. Das könnte ein nachahmens- ten und Verstümmelten auf dem Bildschirm zu sehen wertes Beispiel für Herrn Kinkel und auch für den oder auch - wie einige Kollegen es von ihren Reisen Herrn Bundeskanzler sein; denn es reicht nicht, die berichtet haben - Augenzeuge dieser schrecklichen Menschenrechte gegenüber den Herrschenden nur Dinge zu werden, das Geld für humanitäres Minen- anzusprechen. räumen aber nicht bereitzustellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vergleichbares gilt auch für die humanitäre Hilfe. Seit Jahren wird sie unzureichend ausgestattet und In China, in Indonesien, in Iran, wo auch immer - Stück für Stück reduziert. Natürlich ist es so, daß Na- der sogenannte kritische Dialog hat nicht zu den ge- turkatastrophen nicht planbar sind und daß ein Land wünschten Resultaten geführt. Wir empfehlen Ihnen wie die Bundesrepublik gewisse Rese rven vorhalten unseren diesbezüglichen Antrag, über den Sie in die- muß, um Hilfeersuchen, die sich aus solchen Kata- ser Woche abstimmen können. strophen ergeben, gerecht werden zu können. Aber Es reicht nicht, wenn vorzugsweise mit der Regie- Zaire, Ruanda, Burundi und auch immer noch Bos- rung oder allenfalls mit Wirtschaftsvertretern gespro- nien sind keine Naturkatastrophen. Es ist angesichts chen wird. Sie können nicht allein Gesprächspartner dieser Beispiele geradezu zynisch, Mittel für die hu- der Bundesregierung sein. Die Geschichte hat oft ge- manitäre Hilfe zu kürzen. zeigt, daß die Veränderungen nicht von den jeweili- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen Machthabern in autoritären Staaten ausgehen, sondern von den demokratischen Kräften in diesen Ich bestreite nicht die Erfolge der deutschen huma- Ländern. Deshalb müssen die demokratischen Kräfte nitären Hilfe. Ich halte sie für sehr beeindruckend unterstützt werden. Aber auch der Teil „Demokra- und einen der Aktivposten im Auswärtigen Amt. tisierungshilfe" eines Haushaltstitels ist im Einzel- Dennoch: Viele kleinere Krisenherde, die nicht oder plan 05 vollständig unterbelichtet. noch nicht die Dimension dieser genannten Katastro- phen erreicht haben, können durch die Verknap- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) pung der Mittel nun überhaupt nicht mehr oder je- Gestatten Sie mir eine Schlußbemerkung, meine denfalls nicht angemessen berücksichtigt werden. Damen und Herren. Wenn oft von der deutschen Ich komme zum Thema der Konfliktprävention. Im Verantwortung in einer neuen Rolle Deutschlands Unterschied zu den Naturkatastrophen sind die Kon- seit der deutschen Einheit die Rede ist, so kann diese flikte sehr wohl voraussehbar. Bei rechtzeitiger Ein- eben nicht auf wirtschaftliche, politische oder gar mi- wirkung lassen sich Kriege verhindern, und die mit- litärische Stärke Deutschlands reduziert werden, unter einzig verbleibende Möglichkeit des militäri- sondern diese neue Rolle sollte gerade einen erhebli- schen Eingreifens wird dann weniger oft notwendig. chen Beitrag zur Bekämpfung der Ursachen von Kon- Damit wird auch die teuerste Va riante der Konflikt- flikten und zu deren vorbeugender Einhegung lei- einwirkung seltener benötigt, und es wird Geld ein- sten, einen Beitrag zum Schutz der Menschenrechte gespart. Aber das Engagement der Bundesregierung und zur Demokratisierung. Eine solche Außenpolitik hinsichtlich der Konfliktprävention ist völlig unzurei- wäre effektiver, stabilitätsfördernder, sie wäre auch chend. im Interesse der deutschen Wi rtschaft, und sie wäre schließlich auch sparsamer. - (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Gerade auf diesem Gebiet darf nicht gespart wer- den. Wir haben den Vorschlag gemacht, die OSZE aufzuwerten. Sie wird nach wie vor sträflich unterbe- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt hat der wertet. Wo bleibt eine Initiative der Bundesregierung Kollege Steffen Tippach das Wort. - auch mit einem entsprechenden politischen und fi- nanziellen Engagement -, die OSZE zu stärken? Steffen Tippach (PDS): Frau Präsidentin! Sehr ge- ehrte Kolleginnen und Kollegen! „Im Westen nichts Ähnliches gilt für die Förderung des zivilen Frie- Neues" - leider. Die Außenpolitik der Bundesrepu- densdienstes, von der Herr Kuhlwein vorhin ausrei- blik Deutschland präsentiert sich als Dreifaltigkeit: chend gesprochen hat. Helmut Kohl ist zuständig für die Außenwirtschaft, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) , der sich in letzter Zeit mächtig Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12729 Steffen Tippach ge„mauss"ert hat, für den Rest, und Klaus Kinkel be- ten vor der Weltgemeinschaft den Landminentermi- kommt dann die Prügel dafür. nator gemacht hat. Zitat: Die inte rnationale Gemein- schaft müsse signifikant mehr Mittel für Minenräu- Genauso sieht auch der Haushalt aus. Ein Teil mung und Opferhilfe aufwenden. - Das hat die Bun- wirkt wie die Wundertüte von Volker Rühe: Mehr- desregierung vor zwei Monaten in Ottawa unter- komponentenfregatten, NATO-Beitrag, militärische schrieben. Da steht, Herr Außenminister: mehr Mittel Ausstattungshilfe, WEU-Satellitenzentrum usw. Da- und nicht weniger. für soll ein dreistelliger Millionenbetrag bereitge- stellt werden, der allerdings auch zeigt, wie stark die Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich halte deutsche Außenpolitik mittlerweile militarisiert ist. es für den falschen Weg, Friedensbewahrung und Gewaltvorbeugung das Wort zu reden, sich aber Es gibt durchaus auch begrüßenswerte Titel, zum gleichzeitig immer mehr auf militärische Gewaltan- Beispiel die Finanzierung für die UNRWA. Eines wendung - wo auch immer auf der Welt - vorzuberei- zieht sich jedoch wie ein Faden durch den gesamten ten und militärischen Kategorien in der Außenpolitik Haushaltsansatz, und dies ist die Unfähigkeit der den Vorzug zu geben. Der vorliegende Einzelhaus- Bundesregierung zu einer nachhaltigen zivilen Au- halt wird dem leider nicht gerecht. Deshalb fordern ßenpolitik. Während 1996 über 800 Millionen DM für wir eine sichtbare Erhöhung der Mittel für die Frie- Auslandseinsätze des Militärs ausgegeben werden, dens- und Konfliktforschung. Wir forde rn eine Stär- wird die Summe für humanitäre Hilfsmaßnahmen kung - auch finanziell - der OSZE und von deren auf 77,5 Millionen gekürzt. Und das, obwohl das In- Mechanismen für friedensbildende Maßnahmen. Die ternationale Komitee vom Roten Kreuz bereits PDS hat aus diesen Gründen Änderungsanträge vor- 45 Millionen Flüchtlinge weltweit gezählt hat und für bereitet, zu denen ich Ihre Zustimmung erbitte. das Jahr 2005 von einer doppelt so hohen Zahl, näm- lich 90 Millionen Flüchtlingen, spricht. Dasselbe In- Vielen Dank. ternationale Komitee vom Roten Kreuz wird über den (Beifall bei der PDS) Haushalt des Auswärtigen Amtes mit 1,5 Millionen DM bedacht. Das ist ein Fünfzigstel dessen, was die Bundesregierung dem Folterstaat Türkei für die Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Mehrkomponentenfregatten in den Rachen wirft, ei- Wort dem Abgeordneten Eberhard Brecht. nem Staat, der auch dafür verantwortlich ist, daß es Flüchtlinge auf dieser Welt gibt. Dr. Eberhard Brecht (SPD): Sehr geehrter Herr Prä- Die Rechtfertigung ist wahrscheinlich die gleiche sident! Meine Damen und Herren! Der Bundesau- wie dafür, daß Helmut Kohl mit Indonesiens Gewalt- ßenminister hat sich vorhin beschwert, daß wir von herrscher Suha rto ein Angelwochenende verbringt, der Opposition klein-klein diskutieren und keine während gleichzeitig Menschen in Objekte des mili- großen Entwürfe bringen. Herr Kinkel, ich frage Sie, tärischen Geheimdienstes verschleppt und gefoltert ob man mit einem solchen Etat überhaupt große Ent- werden, Menschen, Herr Bundeskanzler, deren würfe hinbekommen kann. Namen auf einer Liste von Gefangenen steht, die ich (Beifall bei der SPD - Karsten D. Voigt Ihnen vor der Abreise zugesandt habe. [Frankfurt] [SPD]: Wir würden es schaffen!) Mit der gleichen Begründung dürfte auch Klaus Sie haben beklagt, daß Sie sich im Kabinett nicht ha- Kinkel die „satanischen Elemente" zu vertreiben su- ben durchsetzen können. Ich kann also feststellen: chen, die Irans Präsident an der Wurzel des deutsch- Der Riß geht nicht hier quer durch das Haus, sondern iranischen Verhältnisses geo rtet hat. offensichtlich durch das Kabinett. Ich mache Ihnen (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard den Vorschlag: Stimmen Sie dem Änderungsantrag Hirsch) der SPD zum Einzelplan 05 zu, der die Streichung der Mittel für die MEKO-Fregatten und gleichzeitig Die Gründe sind: Macht, Einfluß und vor allem die Verwendung der Mittel für die humanitäre Mi- Geld, viel Geld. Business as usual also, und dabei nensuche vorsieht. sind die Hungernden, Gefolterten und Flüchtlinge dieser Welt auf der Prioritätenliste allemal weiter hin- (Beifall bei der SPD) ten angesiedelt. Herr Minister, Sie haben während Ihrer gesamten Rede immer wieder die Worte „Wir hätten- reden Ein weiteres Glanzstück deutscher Außenpolitik ist müssen" verwendet und wollten damit zum Aus- der von Minister Spranger angekündigte UNIDO druck bringen, daß die Opposition es versäumt habe, Austritt. Wenn die Bundesregierung unter internatio- auf besondere Probleme der deutschen Außenpolitik naler Verantwortung versteht, sich einerseits mit al- hinzuweisen. ler Macht in den UN-Sicherheitsrat hineinzudrücken, andererseits aber UN-Entwicklungsstrukturen zu sa- (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Richtig!) botieren, kann ich nur sagen: Mit uns nicht! Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, der sehr An Peinlichkeit kaum noch zu überbieten ist das viele Mitglieder dieses Hohen Hauses beschäftigt Gezerre um ein paar Millionen für die Räumung von und auch sehr besorgt macht; ich meine das sich ab- Landminen. Konkrete Anträge liegen vor mit dem kühlende transatlantische Verhältnis. Ich würdige Ziel, die Zuweisungen an den UN-Minenräumfonds durchaus die Bemühungen der Europäischen Union kräftig aufzustocken. Ich denke, dies ist das Mini- und der Bundesregierung um die brüchig gewordene mum, nachdem Klaus Kinkel erst vor wenigen Mona transatlantische Brücke. Aber was ist denn passiert? 12730 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Dr. Eberhard Brecht Außer der Einsetzung einer Vielzahl von Konsultati- gen, Herr Kinkel, war da deutlicher und auch ehrli- ons- und Arbeitsgruppen sind praktische Erfolge bis- cher. her rar geblieben, die sich eigentlich aus der transat- lantischen Agenda hätten ergeben müssen. Etliche Unsicherheiten über die eigene außenpolitische In- transatlantische Mißverständnisse sind geblieben. teressenlage sowie eine nicht intensiv geführte Aus- Bei den Themen Somalia, Iran, Irak, UNO, Welthan- einandersetzung mit unseren amerikanischen Freun- del oder auch nur bei Randthemen wie Scientology den können nicht durch ein besonderes Wohlverhal- scheiden sich die Geister offensichtlich am Atlantik. ten kompensiert werden. So hat die gewagte Be- hauptung des Auswärtigen Amtes, der völkerrechts- (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Aber nicht widrige und politisch unkluge Raketenbeschuß des nur da, sie scheiden sich hier auch!) Nordiraks durch die USA sei gerechtfertigt, nicht nur in Paris Irritationen hervorgerufen. Es scheint, als würde sich nach dem Zusammen- bruch des kommunistischen Systems der Vorrat Ich fordere hier, Herr Bundesaußenminister, die transatlantischer Gemeinsamkeiten allmählich ver- Bundesregierung auf, die unter wirklichen Freunden brauchen. Und ich sage, dies bekümmert mich. Was übliche kritische Auseinandersetzung mit unseren ist aus dem Vermächtnis von James Byrns geworden? amerikanischen Kollegen zu suchen. Setzen Sie da- Was geht heute in den Köpfen von jenen Amerika- bei sowohl auf die bilateralen Beziehungen als auch nern und Deutschen vor, die Initiatoren, Nutznießer auf die transatlantischen Gespräche! Nutzen Sie den oder lediglich Zeitzeugen besonders enger deutsch- Mechanismus der transatlantischen Agenda, um Dis- amerikanischer Kooperation waren - der Care-Pa- sonanzen zwischen den europäischen Hauptstädten kete, des Marshallplans, der Luftbrücke nach Berlin, und Washington schon im Ansatz auszuräumen. des German-Marshall-Fund, oder, lassen Sie mich als Auch der Kanzler ist gefordert, mehr als nur die sym- Ostdeutschen dies sagen, des vehementen Eintretens bolische transatlantische Freundschaft abzufeiern. Washingtons für die deutsche Einheit, sogar gegen das Votum der Franzosen und der Briten. Lassen Sie mich noch ein paar Worte zu einem ak- tuellen Sündenfall deutscher Außenpolitik verlieren, Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist die vor wenigen Tagen nun auch in Deutschland keine Frage, in den USA gibt es eine neue Genera- selbst eingeläutete Abkehr von einer multilateral tion stark innenpolitisch orientierter Kongreßabge- orientierten Außen- und Entwicklungshilfepolitik. ordneter, die das State Depa rtment zu einer unilate- Während Sie, Herr Außenminister, immer wieder von ralen Außenpolitik drängt. Besonders bedrückend ist einer notwendigen Stärkung der UNO sprechen, hat das mangelnde amerikanische Engagement in der Ihr Amtskollege Spranger - dem amerikanischen UNO, das sich auch quantifizieren läßt, nämlich auf Vorbild folgend - den Austritt unseres Landes aus 1,2 Milliarden Dollar Schulden gegenüber dem East- der UNIDO für - ich denke mal - 1998 angekündigt. River. (Karsten D. Voigt [Frankfu rt] [SPD]: Pfui!) Aber auch diesseits, meine Damen und Herren, gibt es Grund zur Klage. Wer sich, wie die Europäer Ich leite aus Ihrem Schweigen sowohl im Ausschuß in Bosnien, über Jahre hinweg als handlungsunfähig als auch hier ab, daß Sie selbst nicht gerade begei- erweist, darf sich nicht über eine autistisch anmu- stert über diese brisante Entscheidung sind. tende Führungsmacht beschweren. Die Dominanz Nun ist gerade der Rühe-Kinkel-Riß bezüglich des der USA ist oftmals nur Ausdruck europäischer Beitritts zum Stand-by-arrangement gekittet worden, Schwäche. da tut sich ein neuer Riß in der UNO-Politik auf, näm- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des lich zwischen Ihnen und Herrn Spranger. Damit wird BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nicht nur die Existenz der UNIDO gefährdet; dies steht auch den deutschen Interessen diametral ent- Etliche völkerrechtlich fragwürdige amerikanische gegen. Angesichts des deutschen Wunsches nach ei- Alleingänge sind auch Ausdruck europäischer Hilf- nem ständigen Sitz im Sicherheitsrat ist der UNIDO losigkeit. Ohne eine mehr und mehr vergemein- Austritt kontraproduktiv. Die Bundesregierung ver- schaftete europäische Außenpolitik bleibt die zweite hält sich wie eine arbeitsuchende Fernsehansagerin, Säule deutscher Außenpolitik, nämlich die selbstbe- der beim Bewerbungsgespräch die Zahnprothese aus wußte transatlantische Pa rtnerschaft, ohne Halt. Die dem Munde fällt. - europäische Stimme wird nur dann hörbar sein, wenn sie gleichzeitig möglichst einstimmig und (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten selbstbewußt von allen europäischen Staaten vorge- der SPD) tragen wird. Möglicherweise hätte sogar der Eklat Auch der Ausbau der Stadt Bonn als Nord-Süd-Zen- zum Helms-Burton-Gesetz vermieden werden kön- trum wird durch das unüberlegte Vorgehen des nen, wenn nämlich Europäer und Amerikaner ge- Herrn Spranger in Frage gestellt. meinsam frühzeitig nach Möglichkeiten zur Begren- zung des internationalen Terrorismus im Rahmen des Nur zur Information: Die in Wien beheimatete Völkerrechts gesucht hätten. Dies ist zumindest die UNIDO unterstützt vor allem in Afrika den Ausbau Auffassung des State Depa rtment. Ich denke, daß da industrieller und gewerblicher Strukturen, die diesen solche deutschen Abwiegelungsmanöver, die Herr ärmsten Kontinent zu mehr Selbsthilfe befähigen sol- Kinkel formuliert hat - „ich würde das Ganze nicht len. Dabei wird insbesondere die Transformation zu so hoch hängen" -, zwar diplomatisch sein mögen, umweltschonenden Technologien einschließlich der sie sind aber nicht ehrlich. Einer Ihrer Fraktionskolle- Ablösung ozonzerstörender Substanzen gefördert. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12731 Dr. Eberhard Brecht Nun hört man aus dem Hause Spranger - so hat er internationalen Verpflichtung und deren Wahrneh- sich zumindest in einer Presseerklärung geäußert -, mung durch die Bundesregierung. es handele sich bei der UNIDO um eine Organisation mit besonders „aufgeblähter Verwaltung und wenig Ich glaube, es ist unbestreitbar, daß kein Land der effizienter Arbeit". Diese Aussage ist bar jeder Sach- Welt in den letzten Jahren so große humanitäre, un- kenntnis. Es gibt in der Tat einige internationale Or- terstützende Hilfe für viele Länder der Welt geleistet ganisationen, auf die eine solche Charakterisierung hat wie die Bundesrepublik Deutschland. zutrifft. Aber doch nicht auf die UNIDO! Diese gilt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge nach einer Reorganisation durch eine inte rnational ordneten der F.D.P.) renommierte Unternehmensberatung geradezu als Musterbeispiel für UN-Reformen. Sehr viele Unteror- Das waren dreistellige Milliardenbeträge. Wenn wir ganisationen der UNO orientieren sich am Beispiel heute über finanzielle Zwänge des Haushaltes reden, der UNIDO. hängt das auch damit zusammen, daß wir finanzielle Hilfen im gewaltigen Umfang übernommen haben, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne humanitäre Hilfen, die auch durch die Bundeswehr ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) erbracht worden sind. Auch sie haben den Haushalt, Das bringt nicht nur die Stellungnahme der Europäi- zum Beispiel den Verteidigungsetat, belastet. schen Union zur UNIDO, sondern auch die Stellung- (Beifall des Abg. [CDU/ nahme von Herrn Paschke, dem Untergeneralsekre- CSU]) tär aus Deutschland, zum Ausdruck.

Zum Thema MEKO - Fregatten: Vielleicht sollte Ein paar Zahlen: Seit 1993 wurde das Personal do rt sich der eine oder andere, der zu diesem Thema re- um 36 Prozent abgebaut, davon 80 Prozent im Ver- det, die tatsächliche Situation vor Augen halten. Die waltungsbereich. Das heißt, das Verhältnis des Pro- Entscheidung, die dem zugrunde liegt, war, beide jektanteils zu den Personalkosten ist in der UNIDO NATO-Länder, Türkei und Griechenland, zu unter- extrem günstig. stützen. Die Unterstützung in Griechenland ist inzwi- Überraschend ist für mich das Urteil des Entwick- schen abgeschlossen. Das Vorhaben in der Türkei ist lungshilfeministers insbesondere deshalb, noch nicht ganz abgeschlossen. Aber die Schiffe, die gebaut werden sollen, sind im wesentlichen bereits (Karsten D. Voigt [Frankfu rt] [SPD]: Keine fertiggestellt. Wenn dazu jetzt Entscheidungen ge- Ahnung! - Gegenruf des Abg. Jürgen troffen werden sollen, hilft das, so glaube ich, in der W. Möllemann [F.D.P.]: Das geht jetzt ein Sache überhaupt nicht. bißchen weit!) Lassen Sie mich zum Verteidigungsetat kommen. weil das BMZ bisher alle Reformschritte dieser Orga- Es ist in letzter Zeit interessant, festzustellen, wer nisation positiv begleitet hat. Die Anstrengungen zur sich alles zum Garanten der Einsatzbereitschaft der Reform der UNO - so bisher zumindest die bisherige Bundeswehr aufspielt und Wege aus der mutmaßli- Philosophie der Bundesregierung - können nicht chen Krise aufzeigen will. Diese Hilfestellung muß durch eine finanzielle Strangulierung der Weltorga- um so mehr erstaunen, als die Oppositionsfraktion nisation nach amerikanischem Vorbild beschleunigt vor nicht einmal eineinhalb Jahren zeitgleich mit der werden, sondern nur durch eigene Bemühungen in- Mehrheit des Bundesrates massive Kürzungen für nerhalb des Systems. den Verteidigungsetat vorgeschlagen hat. Im Früh- jahr 1995 ist im Bundesrat vorgeschlagen worden, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die Mittel für die Bundeswehr um 1,4 Milliarden DM Ich fordere daher die Bundesregierung auf: Revi- zu kürzen, wovon über 400 Millionen DM allein auf dieren Sie Ihre Entscheidung. Arbeiten Sie weiterhin den Personalbereich und Mittel in einer ähnlichen aktiv in der UNIDO mit. Bekennen Sie sich zur Multi- Größenordnung auf den Bereich Ausrüstung, Erhal- lateralität! tung und Neubeschaffung entfielen. Heute wird be- klagt und beweint, welche Situation sich möglicher- Ich bedanke mich. weise hinsichtlich der Einsatzbereitschaft ergibt. Ich sage ganz klar: Unter dieser Bundesregierung, unter (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ . dem dienstältesten Verteidigungsminister der NATO DIE GRÜNEN) - und unter dieser Koalition bleibt die Bundeswehr un- bedingt einsatzbereit. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Wir wenden (Beifall bei der CDU/CSU) uns damit dem Einzelplan 14 zu. - Ich gebe das Wo rt rich Austermann. dem Abgeordneten Diet Wir sagen - auch bei knappen Mitteln - ein klares Ja zu einer modernisierten Bundeswehr als Wehr- Dietrich Austermann (CDU/CSU): Herr Präsident! pflichtarmee, zu ihrer internationalen Verantwortung Meine Damen und Herren! Wir wenden uns in der und zur Wehrtechnik. Tat dem Einzelplan 14 zu. Ich möchte dennoch ganz (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Daß ein so kurz zwei, drei Anmerkungen machen zu der De- junger Mann schon so dienstalt sein kann!) batte zum Außenetat, die vorher geführt worden ist. Im wesentlichen geht es natürlich um das Thema - Das zeigt, wie beständig er ist - für manch einen MEKO-Fregatten, aber auch um die Frage nach der wäre das eine Empfehlung, Themen nicht ständig zu 12732 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Dietrich Austermann wechseln -, daß er Ausdauer in der praktischen poli- zum Zusammenwachsen und zur Armee der Einheit tischen Arbeit hat. geleistet,. Mit dem Verteidigungsetat 1997 wird ein Beitrag Wir setzen ein deutliches Signal für unseren Wil- geleistet, unsere Armee zukunftsfähig zu machen. len, an der allgemeinen Wehrpflicht festzuhalten, in Nebenbei wird das Ziel erreicht - was Teil der Vertei- einer Armee mit 340 000 Soldaten und 140 000 zivi- digungspolitik ist -, eine eigene nationale Wehrtech- len Mitarbeitern. Damit entscheiden wir uns für die nik systemfähig zu halten. jüngere, bürgernahe, intelligente Armee. Nur mit ihr läßt sich der Hauptauftrag unserer Streitkräfte, näm- (Lachen bei Abgeordneten der SPD) lich die Landesverteidigung, erfüllen. Nur die allge- - Herr Kollege Kolbow, Sie lachen. Ich könnte Ihnen meine Wehrpflicht verbindet die Streitkräfte und ih- eine Fülle von Zitaten vorlegen, aus denen hervor- ren Auftrag mit der Gesellschaft in der notwendigen geht, was Sie vorgeschlagen haben, wie die Bundes- Intensität, nämlich durch persönliche Pflichterfül- wehr reduziert werden soll, wie die Standorte venin lung. Diese Armee ist mit Sicherheit billiger als die gert werden müßten Ihnen vorschwebende Berufsarmee. Im Zuge der parlamentarischen Beratung haben (Walter Kolbow [SPD]: Laut!) wir Umschichtungen beschlossen, die den unzurei- und auf welche wehrtechnischen Produkte verzichtet chenden Klarstand von Heeres- und Luftwaffenmate- werden soll. Ich glaube, Sie sind der letzte, der uns rialien verbessern sollten. Da Umfang und Struktur hier vorwerfen kann, daß wir zuwenig Geld für die der Streitkräfte erhalten bleiben, die Mittel für In- Bundeswehr ausgeben. standsetzung also aufgestockt wurden, müssen viele Rüstungsvorhaben erneut auf den Prüfstand. Lau- (Walter Kolbow [SPD]: Das sehen Sie fende Vorhaben bleiben unberührt. Es bleibt bei den falsch!) großen Beschaffungen für Heer und Ma rine. Der Etat des Einzelplans 14 ist der niedrigste seit Was das Heer betrifft, so möchte ich das Thema 15 Jahren, seit Übernahme der Regierung im Jahre Keiler, ein Minenräumgerät, deshalb erwähnen, weil 1982. Das bestätigen die geänderte Größe, die geän- hierdurch weltweit ein Beitrag zur Beseitigung von derten Aufgaben der Bundeswehr, die erreichte Si- Minen geleistet werden kann. Es bedarf jedoch einer cherheit, zugleich aber auch die finanziellen eindeutigen Klarstellung, was sicherheits- und bünd- Zwänge, die die Angehörigen der Armee sicher oft nispolitisch für eine moderne Bundeswehr notwen- spüren und mittragen, wofür wir ihnen, allen Solda- dig ist. In den nächsten Wochen kommen viele Fra- ten, Offizieren und zivilen Mitarbeitern, ausdrücklich gen auf die Bundeswehr zu: Wie geht es in Bosnien danken. weiter? Wie entwickelt sich die Rüstungskooperation in Europa? Welche Konsequenzen ergeben sich aus (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den Planungen der Verbündeten, insbesondere Immerhin beträgt der Anteil des Verteidigungshaus- Frankreichs, für deutsche wehrtechnische Produkte halts am Gesamtetat über 10 Prozent. Er liegt damit und damit viele tausend Arbeitsplätze? über dem für dieses Jahr. Lassen Sie mich das Stichwort Bosnien im Zusam- Ein niedriges Haushaltsdefizit, eine niedrige menhang mit dem Außenetat noch einmal kurz auf- Staatsquote und stabiles Geld sind kein Selbstzweck, nehmen. Der Kollege Dr. Brecht hat vorhin beklagt, sondern Voraussetzungen für ein dauerhaftes daß sich Europa in Sachen Bosnien zu spät als hand- Wachstum, für mehr Arbeitsplätze und Wohlstand. lungsfähig erwiesen hat. Sie sind damit Ausdruck ökonomischer Vernunft und Erinnern wir uns daran: Wir haben vor etwa einem dienen letzten Endes auch dem Verteidigungsetat. Jahr eine Debatte darüber geführt und die SPD mit Die notwendige Modernisierung der Bundeswehr Mühe und Not davon überzeugt, daß die Entschei- muß wegen der veränderten Finanzsituation ge- dung aus dem Sommer letzten Jahres, als der we- streckt werden. Aber die Mittel lassen immer noch sentliche Teil der SPD noch gegen Einsätze in Bos- genügend Luft, um ohne Eingriffe in Umfang, Zahl nien gewesen ist, bekräftigt werden mußte. Dann ha- der Standorte und Struktur auszukommen. Es wird ben Sie sich allmählich - wie immer mit erheblicher auf absehbare Zeit keine Standortdiskussion geben. Verspätung - dem angeschlossen, was do rt geleistet worden ist. - (Zuruf des Abg. Karl Diller [SPD]) Ich glaube, daß man heute sagen muß: Wir können Eingriffe in den Personalumfang der Bundeswehr, wirklich darauf stolz sein, daß die Bundeswehr ihren den Ausbildungs- und Übungsbetrieb der Streit- Beitrag mit einem solchen Erfolg in Bosnien geleistet kräfte und in den Beitrag zum Aufbau Ost sind - Kol- hat. Ich sage mit einem gewissen Bedauern: Am An- lege Diller, mindestens für die nächsten fünf bis zehn fang sind Sie nicht dabei gewesen, und Sie haben Jahre - nicht vorgesehen. Es wird keine neue Stand- die Entwicklung wieder einmal verschlafen. ortdiskussion geben. Lassen Sie mich etwas zu der Frage sagen, die in Die wichtigsten Bauvorhaben in den neuen Bun- nächster Zeit zu klären ist. Es geht um die Finanzie- desländern - Offiziersschule des Heeres in Dresden, rung der Serienvorbereitung des neuen Jagdflug- Bundeswehrkrankenhäuser in Leipzig und Berlin, zeugs. Ich gehe davon aus, daß der Bundesverteidi- Marinetechnikschule in Parow, Flugplatz Laage - gungsminister in den nächsten drei Monaten eine bleiben unberührt . Auch hierdurch wird ein Beitrag Beschaffungsvorlage vorlegen wird. Es wird interes- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12733

Dietrich Austermann sant sein, wie Sie darauf antworten. Den Antrag, den Es gab eine Diskussion von Mitgliedern des Fi- Sie vorgelegt haben, kann ich nur als Schiebeverfü- nanzausschusses im Bundesrat und nicht mehr. Dann gung deuten: zur Zeit nicht finanzierbar. war das Thema erledigt. Ich bitte, das einmal zur Kenntnis zu nehmen. Ich rede ja auch nicht darüber, Sie stimmen im Grunde den Verteidigungspoliti- Herr Nolting, was Sie sich in Ihrer guten Stube in kern zu, die gesagt haben: Wir brauchen ein neues Minden überlegen. Das interessie rt mich nicht. Mich Gerät für die Luftverteidigung. So richtig aber konn- interessiert, was Sie hier sagen. ten, wollten oder durften Sie nicht. Dies liegt jedoch in absehbarer Zeit zur Entscheidung auf dem Tisch. Das zweite ist: Erinnern Sie sich an die Sparvor- schläge der SPD in der Vergangenheit. Herr Auster- Ich sage Ihnen eines: Wir sind der Auffassung, daß mann, es ist eine eigenartige Dialektik, die Sie der notwendige Beiträge für das neue Jagdflugzeug, von Öffentlichkeit klarmachen wollen: Moderate Einspa- denen die Zeitungen voll sind, erbracht werden müs- rungen durch die SPD sind das Ende der Bundes- sen. Herr Verheugen, man kann davon ausgehen, wehr, Milliardenkahlschlag ist ein Beitrag zur künfti- daß die Rohkosten bei etwa 90 Millionen DM pro gen Entwicklung der Bundeswehr, wenn er von der Stück liegen. Wir werden dann die Entscheidung Koalition kommt. Das ist wirklich interessant. treffen. (Beifall bei der SPD) Ein wichtiger Beitrag Ihrerseits wird sein, dafür zu sorgen, daß auch Ihre Fraktion bei dieser Maßnahme Herr Minister, vor einem Jahr haben Sie gesagt: mitmacht, und zwar nicht nur deshalb, weil sie, was „Das Wort gegenüber den Soldaten, daß wir eine sta- ganz wichtig ist, die strukturelle Verteidigung unse- bile Haushaltsperpektive in den nächsten Jahren ha- res Landes ermöglicht, sondern auch deshalb, weil ben, ist gehalten worden." Der Bundeskanzler stellte damit ein erheblicher Teil von Maßnahmen zur Si- fest, die Bundeswehr werde bekommen, was sie cherung von hochtechnologischen Arbeitsplätzen ge- brauche. Braucht sie plötzlich fast nichts mehr? Von stützt werden kann. Plafondsgarantie, Steigerung des investiven Anteils auf 30 Prozent und Planungssicherheit war vor einem Es ist bekannt, daß ich einen Vorschlag dazu ge- Jahr die Rede. Heute muß man feststellen: wider bes- macht habe, wie wir die Finanzierungslücke, die bis seres Wissen. zum Jahre 2001 vorhanden ist, überbrücken können. Ich glaube, daß wir mit großer Freude zur Kenntnis Ich habe im letzten Jahr nach intensiver Durchfor- nehmen, daß die Entscheidung, die in früheren Jah- stung einzelner Titel im Haushalt ein Einsparvolu- ren getroffen wurde, nämlich die Entwicklung des men von etwa 500 Millionen DM errechnet. Airbus zu unterstützen, sich nun positiv auswirken (Zuruf von der CDU/CSU: 625!) wird und daß Rückflüsse aus entsprechenden Ent- wicklungskosten dazu beitragen können, auch die- Vor zwei Jahren sah die Welt anders aus. Herr Au- ses Flugzeug auf die Startrampe zu schieben. stermann, da haben Sie selbst noch bis zu 6 Milliar- den DM im Laufe der Jahre gespart. Letztes Jahr wa- Der Verteidigungsetat 1997 sichert die Zukunftsfä- ren es 537 Millionen DM. Etwas mehr Aktenstudium higkeit der Bundeswehr mit ihren gewachsenen Auf- würde Ihnen gut tun. gaben. Sie ist unbedingt einsatzbereit. Der Verteidi- gungsetat sichert die Systemfähigkeit der Indust rie (Beifall bei der SPD) und viele tausend Arbeitsplätze, er sichert die tech- Der Vorwurf des „Kaputtsparens" tönte uns entge- nologischen Impulse aus wehrtechnischen Produk- gen. Der Verteidigungshaushalt werde als „Stein- ten. bruch" betrachtet. Herr Minister, was wir heute vor- Damit bleibt unsere Armee modern, unser Land si- finden, kann ich nur als einen angehäuften Berg von cher und bündnisfähig und fähig, einen wichtigen Bruchstein und Schutt - um im Bild zu bleiben - be- Beitrag für den Frieden zu leisten. Wir stimmen des- zeichnen. Herr Minister, die gegenwärtige Situation halb dem Einzelplan 14 zu. müßte Ihnen die Schamröte ins Gesicht treiben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: eine Haushaltssperre von über 1 Milliarde DM- in diesem Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Jahr mit der Folge einer geradezu katastrophalen Wort dem Abgeordneten Ernst Kastning. Materialerhaltungslage beim Heer, eine Kürzung des Etatentwurfs für 1997 um 1,7 Milliarden DM und da- Ernst Kastning (SPD): Herr Präsident! Meine Da- nach um weitere 200 Millionen DM, von denen Sie men und Herren! Zwei Sätze möchte ich vorab zum immer noch nicht sagen, wo Sie sie streichen wollen, Kollegen Austermann sagen. Es ist schon ein starkes und zusätzliche Belastungen von 1,5 bis 1,8 Mil- Stück, sich hier hinzustellen und zu behaupten, die liarden DM im nächsten Jahr, für die zur Stunde - SPD habe im Bundesrat 1,4 Milliarden DM Kür- man höre und staune - keinerlei Deckung im Haus- zungen beim letztenmal vorgesehen. Das ist schlicht halt vorgesehen sind. Alle Achtung, Herr Minister! die Unwahrheit, das weiß auch Herr Minister Rühe, Das sind fast 5 Milliarden DM auf einen Streich. der diese Unwahrheit vor einem Jahr ebenfa lls ver- Meine Damen und Herren, hier liegt ein haushalts- breitet hat. politisches Husarenstück vor, das nicht nur Rück- (Beifall bei der SPD) schlüsse auf eine völlige Kopflosigkeit der politi- 12734 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Ernst Kastning schen Führung des Verteidigungsministeriums zu- griffe in Umfang, Ausbildung und Wehrpflicht wird läßt. Es beschreibt zugleich den katastrophalen inne- es mit mir nicht geben", wenn Sie dem Parlament ren Zustand der Koalition. und nicht zuletzt den Soldaten der Bundeswehr nicht sagen können oder wollen, wie es konkret weiterge- (Beifall bei der SPD - Jürgen W. Möllemann hen soll? Oder darf ich aus dieser Aussage schließen, [F.D.P.]: Das geht jetzt aber ein bißchen daß Sie insgeheim bereits mit dem vorzeitigen Ende weit!) Ihrer Amtszeit rechnen? Was Sie oder unser Unterhaltungskünstler Jürgen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Koppelin hier in den letzten Wochen zum Bundes- wehretat haben verlauten lassen, war schon interes- Ich will nur kurz erwähnen, daß die Hardthöhe sant. trotz der erheblichen Finanznot offenbar noch immer in der Lage ist, Millionenbeträge schlichtweg zu ver- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Es schleudern, zum Beispiel durch den Abbruch von ist immer interessant, was Koppelin verlau- Entwicklungsvorhaben, durch Bezahlung noch gar ten läßt! - Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: nicht erbrachter Leistungen oder bis vor kurzem Jetzt werden Sie aber ein bißchen flapsig!) noch im Bereich der Informationstechnik. - Nicht flapsiger als Herr Koppelin. Egal, ob man für oder gegen das Waffensystem Eu- Inzwischen werden bisher als zwingend notwen- rofighter ist: Die Sache ist inzwischen zu einer vom dig erachtete Beschaffungsvorhaben gestreckt oder Verteidigungsminister inszenierten und öffentlich gestrichen wie zum Beispiel der Hubschrauber UHU/ finanzierten Posse verkommen: Hunderte von Mil- Tiger, das gepanzerte Transport-Kraftfahrzeug, der lionen DM Mehrkosten für die Entwicklung durch Hubschrauber NH 90 oder das deutsch-französische Reorientierung; 110 Millionen DM in diesem Jahr Transportflugzeug. wegen Verzögerung der Beschaffungsentscheidung; die Beschaffungsentscheidung wird für 1997 ange- 600 Millionen DM werden bei der Infrastruktur ge- kündigt, aber in Sachen Finanzierung herrscht völ- strichen. Im Westen wird im nächsten Jahr kein lige Konfusion. Deshalb ist der Leertitel überflüssig. neues Bauvorhaben begonnen. 150 Millionen DM im (Beifall bei der SPD - Diet rich Austermann Osten: Herr Austermann, ich habe eben gehört, do rt ginge fast alles wie bisher weiter. Das kann doch [CDU/CSU]: Seid ihr dafür oder dagegen?) wohl nicht wahr sein. Was Sie, Herr Austermann, auf 90 Millionen DM her- unterrechnen, wird sich - da bin ich ganz sicher - lei- Ich gestehe zu, daß sich angesichts dieser Finanz- der als nicht zutreffend erweisen, wenn der Minister, und Haushaltsmisere vieles nicht wie einmal vorge- hoffentlich bald, mit der Beschaffungsvorlage ins sehen finanzieren läßt. Aber - das macht die Lage Parlament kommt. zusätzlich schlimm - es läßt sich momentan nicht ein- mal ein Mindestmaß an konzeptionellen Vorstellun- Ich habe den Eindruck, daß dieses Flugzeug inzwi- gen erkennen außer dem sträflichen Prinzip, unge- schen längst zu einem Objekt des Finanzpokers zwi- heure finanzielle Belastungen auf künftige Haus- schen den Herren Rühe und Waigel verkommen ist. halte zu verlagern. (Zuruf des Abg. Roland Sauer [Stuttga rt] (Beifall bei Abgeordneten der SPD) [CDU/CSU]) Meine Damen und Herren, es ist der Punkt er- - Ja, so ist das, Herr Sauer. reicht, an dem Kürzungen, politische Führungslosig- Ein kurzes Wort zum Zusammenhang von Bundes- keit und auch organisationspolitische Unfähigkeit im wehr und Industrie. Es steht außer Frage, daß die In- investiven Bereich ein Ausmaß angenommen haben, dustrie nur Aufträge bekommen kann, die dem tat- das negative Auswirkungen auf die innere Situation sächlichen Bedarf der Bundeswehr und ihrem Auf- der Bundeswehr hat. trag entsprechen. Aber dieser Bedarf muß einigerma- (Beifall bei der SPD) ßen verläßlich definie rt und auf der Zeitschiene zu- geordnet werden. Es ist inzwischen leider notwendig geworden, daß Zweifellos werden sich Beschaffung und Instand- sich Haushaltsberichterstatter durch eigene zeitrau- - bende Recherchen ein Bild über die tatsächliche haltung in den nächsten Jahren auf niedrigem Lage machen müssen, um - manchmal gemeinsam; Niveau halten. Aber gerade wenn man im Interesse dazu stehe ich, Herr Austermann - zu retten, was der Arbeitsplätze und der Erhaltung von - ich zitiere noch zu retten ist, so zum Beispiel bei der Materialer- Sie, Herr Minister - „deutscher wehrtechnischer For- haltung. schungs- und Industriekapazität als unabdingbarer Komponente deutscher Sicherheits- und Verteidi- Ich hätte mir vor unseren bescheidenen Umschich- gungspolitik" handeln will, dann muß alles getan tungsbemühungen allerdings eine Situationsbe- werden, um mehr Kontinuität und Planbarkeit zu er- schreibung der Führung der Bundeswehr als Arbeits- reichen. Ich glaube, daß hier noch ein Nachholbedarf grundlage gewünscht. Vielleicht wäre hier etwas vorhanden ist, um den Sie sich kümmern müssen. mehr Zivilcourage der Generalität von Nutzen, wenn wir künftig weiter beraten sollen. Ich anerkenne, Herr Minister, Ihren politisch be- hutsamen Umgang mit dem Einsatz der Bundeswehr Herr Minister, was sollen denn noch Ihre Aussagen in Bosnien. Ich erlaube mir aber, daran zu erinnern, wie diese vor wenigen Tagen getätigte: „Weitere Ein daß, insbesondere beim Heer, das die Hauptlast des Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12735

Ernst Kastning Einsatzes trägt, die Ausrüstung dem Auftrag unein- auch das Bild der Bundeswehr nicht unseren frie- geschränkt entsprechen muß. Ich erinnere aber auch denspolitischen Vorstellungen entspricht. daran, daß Sie die Hauptverteidigungskräfte nicht vernachlässigen dürfen. Denn die Soldaten dieser (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Wie kommen Truppenteile dürfen nicht den Eindruck gewinnen, Sie darauf? - Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Soldaten zweiter Klasse zu sein, nur weil sich der zu- Das geht aber ein bißchen weit!) ständige Bundesminister zwar international recht Von Zurückhaltung ist in der realen deutschen Au- umsichtig, aber im eigenen Land recht kurzsichtig ßenpolitik keine Rede mehr. Der Grundsatz, daß die zeigt. Bundeswehr heute das machen soll, was sie heute (Beifall bei der SPD) kann, heißt für die Zukunft im Klartext: immer weni- ger humanitär, immer mehr Kampfeinsatz. Diese Abschließend möchte ich mein Bedauern darüber Zielrichtung zeigt sich gerade auch an der deutschen zum Ausdruck bringen, daß sich die Haushaltspoliti- Politik im ehemaligen Jugoslawien. ker von CDU/CSU und F.D.P. kurzerhand über drin- gend notwendige begrenzte Besoldungsänderungen (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Ist das etwa im Bereich der Feldwebel und Bootsmänner die Parteitagsrede?) hinweggesetzt haben, die vom Verteidigungsaus- Sie haben heute schon viel Lob eingesteckt, jetzt schuß empfohlen worden sind. kommt die Kritik dazu: Denn Ihr Vorhaben, die Bun- (Walter Kolbow [SPD]: Sehr bedauerlich!) deswehr mit einem ganz normalen Kampfauftrag so wie bei allen anderen Bündnispartnern, insbeson- Bedauerlich ist auch, daß Sie bislang nicht die Kraft dere bei Franzosen und Amerikanern, auszustatten, fanden, eine von Verteidigungspolitikern im Grund- stößt auf unsere Ablehnung und wird von uns nicht satz für richtig gehaltene Feldwebellaufbahn einzu- unterstützt. führen. Strikt abgelehnt worden ist in der Ausschuß- sitzung auch eine längst überfällige Wehrsolderhö- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - hung, obwohl seit der letzten Anpassung mittler- Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Wer ist „uns"? - weile vier Jahre ins Land gegangen sind. Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Wo ist Joschka?) Geben Sie, meine Damen und Herren von der Ko- alition, diese Verweigerungshaltung auf, und stim- Wenn Sie von Gleichberechtigung im Bündnis oder men Sie heute unserem entsprechenden Antrag auf auch woanders reden, dann definieren Sie dies auf eine angemessene Erhöhung des Wehrsoldes in der eine einzige Art, nämlich militärisch. zweiten Lesung zu. Der Entwurf für den Verteidigungshaushalt 1997 (Beifall bei der SPD) zielt genau auf diese Militarisierung der Außenpoli- tik ab. Darüber können auch die nume rischen Kür- zungen in Ihrem Haushaltsressort nicht hinwegtäu- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe der schen. Sie haben ihren Grund. Das ist leider nur die Abgeordneten das Wo rt. Finanzhoheit von und nicht der abrü- stungspolitische Wille dieser Bundesregierung. Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr In einem Punkt herrscht allerdings Einigkeit zwi- Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich schen Rühe und Waigel: Den Eurofighter wollen sie befürchte, daß die Bundeswehr unter SPD-Regierung beide. teurer wird als die unter Volker Rühe. (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Wo ist (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ eigentlich Oberst Fischer?) NEN - Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So sieht das aus! - Jürgen Im Haushaltsplan ist wieder einmal eine Luftnum- Koppelin [F.D.P.]: Leider gut!) mer, ein Leertitel eingestellt, in dem keine Summe festgelegt ist. Aber ich will mich heute mit dem Haushaltsansatz 1997 und der Politik der Bundesregierung auseinan- Herr Rühe, Sie gehören genauso wie Theo Waigel dersetzen. Denn der Haushaltsentwurf 1997 im Ein- einem Kabinett an, das dafür verantwortlich- ist, daß zelplan 14 zeigt aus unserer Sicht erneut, daß sich der Sozialstaat an die Wand gefahren wird. Für den diese Bundesregierung zur, wie das ihr Apologet Eurofighter aber wurden bis 1996 mehr als Hans-Peter Schwarz formuliert hat, „Zentralmacht 6,5 Milliarden DM ausgegeben. Für diesen Vogel Europas" mausern wird. wollen Sie weitere 25 Milliarden' DM bereitstellen, ohne sagen zu können, woher dieses Geld kommen Der Aufbau der Krisenreaktionskräfte zur Erlan- soll. Wir wissen aus der Debatte um die Sozialkür- gung der Fähigkeit für weltweite Intervention geht zungen, daß zu Lasten der Ärmsten und der sozial weiter. Die Bundesregierung will mittels einer militä- Schwachen in Deutschland ein Vogel produziert risch gestützten Außenpolitik die Durchsetzung ver- wird, der sicherheitspolitisch keinen Sinn macht und meintlicher nationaler Interessen zumindest sicher- aus meiner Sicht nie fliegen wird und auch nie flie- stellen können. Für die sogenannte neue NATO gen darf. braucht die Regierung die neue Bundeswehr. Ich er- laube mir, darauf hinzuweisen, daß die neue NATO (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus meiner Sicht gefährlicher ist als die alte und daß und bei der PDS) 12736 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Angelika Beer Der Verteidigungsminister hat am 9. Oktober im Umschichtung hin zu den Vereinten Nationen und Ausschuß vier Eckpunkte aufgestellt. Ich zitiere: Um- zur OSZE. Das ist immer noch das Gebot meiner Par- fang, Struktur, Ausbildung und Übergangs - - tei und auch meiner Fraktion. Übungsbetrieb - „Übergangsbetrieb" wäre vielleicht gar nicht so falsch - seien für weitere Einsparungen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin tabu. Diese Aussagen sind bereits heute obsolet, Beer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- Herr Minister; Sie wissen das. Der Umfang der Bun- neten Koppelin? deswehr ist nicht zu halten. Ihre Wunschzahlen sind nicht durch die Haushaltszahlen zu decken. Sie ha- ben gemerkt, daß eine Interventionsarmee teurer ist, Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die als Sie eigentlich dachten. sen Wunsch kann ich dem Kollegen doch nicht ab- schlagen. Dem quantitativen Abbau der Bundeswehr steht eine qualitative Umstrukturierung gegenüber. Die (Lachen bei der F.D.P.) Krisenreaktionskräfte werden gehätschelt, die Hauptverteidigungskräfte verkommen. Mate rial- Jürgen Koppelin (F.D.P.): Vielen Dank, wir kom- und Ausbildungsmangel wird in allen Medien, aber men ja auch aus dem gleichen Wahlkreis. auch aus der Truppe selber beklagt. Diese Zwei- Klassen-Armee, Herr Volker Rühe, wird mit uns nicht Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aus zu finanzieren sein. dem gleichen Wahlkreis kommen wir Gott sei Dank Die Wehrpflicht steht zur Disposition. Je mehr nicht. Denkverbote Sie per Schwur zu deckeln versuchen, desto mehr wird in der Truppe diskutiert. Wir wollen Jürgen Koppelin (F.D.P.): Ja doch, es ist der gleiche die Abschaffung der Wehrpflicht nicht nur, Wahlkreis. (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Ich dachte, die Abschaffung der Bundeswehr!) Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh, schrecklich! weil wir gegen alle Arten von Zwangsdienst sind, sondern weil wir es auch als abrüstungspolitischen Schritt verstehen. Jürgen Koppelin (F.D.P.): Sie sollten Ihren Wahl- kreis kennen; es ist Neumünster-Plön. Aber das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN macht ja nichts. Ich zeige Ihnen gerne einmal diesen und bei der PDS) Wahlkreis. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Herr Will- (Heiterkeit bei der F.D.P.) mann als Generalinspekteur predigt einen neuen Kampfgeist; er will den neuen deutschen Kämpfer, (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann insbesondere auch das Kommando Spezialkräfte. Angelika Beer haben Sie keinen intensiven Wahlkampf gemacht; Die Finanzierung genau dieses Titels wollen wir mit sonst hätte ich das mitbekommen. unserem Antrag am Ende dieser Beratungen rück- gängig machen. Jürgen Koppelin (F.D.P.): Frau Kollegin Beer, da Ich möchte zum Schluß einen wichtigen Punkt an- Sie von Ihrem Antrag gesprochen haben, der am sprechen: die Landminen. Herr Kinkel hat hier ein Freitag zur Abstimmung steht, möchte ich Sie fragen: ehrenwertes Versprechen gegeben, das mich - zuge- Können Sie mir erklären, warum in Ihrem Ände- standen - erfreut. Wir haben interfraktionell dafür rungsantrag folgendes steht: Der Minenräumpanzer gekämpft, daß der Titel zur humanitären Minenräu- Keiler soll gestrichen werden? mung über 10 Millionen DM wieder eingestellt wird. Ich sage Ihnen, wir wollen auch die 200 Millionen DM, die immer noch für die Weiterentwicklung von Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das High-Tech-Minen vorgesehen sind, streichen. ist die alljährliche Frage. Herr Kollege Koppelin, der Grund, daß wir die Mittel für dieses Projekt streichen Einen Punkt möchte ich hier aber festhalten: Die wollen, liegt darin, daß dieses Projekt rein- militärisch Umsetzung des Versprechens von Außenminister definiert ist. Der Keiler soll nur militärisch zum Ein- Kinkel - er könnte unserem Antrag am Freitag zu- satz kommen, um den zukünftigen Truppeneinsätzen stimmen - wird für uns die Voraussetzung zur Über- unter Kommando von Volker Rühe eine Schneise zu prüfung sein, ob wir den kritischen Dialog mit die- schlagen. sem Außenminister weiterführen oder ob wir ihn ab- brechen müssen. (Widerspruch bei CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie können noch stehen bleiben, Herr Kollege Kop- sowie bei Abgeordneten der PDS) pelin, ich will zu Ihrer Frage nämlich noch folgendes sagen, worüber wir auch die nächsten Monate disku- Wir haben Alternativen zur Militarisierung und zu tieren werden: Ich war vor drei Wochen bei der Kie- dieser unvernünftigen Haushaltsplanung. Wir wollen ler Firma MAK. Sie wissen, daß der Keiler dort pro- eine Zivilisierung der Außenpolitik, eine Umschich- duziert wird. Der Prototyp, der im ehemaligen Jugo- tung von Mitteln hin in eine humane, umweltfreund- slawien im Einsatz ist, wird ebenfalls bei MAK pro- liche, soziale und friedensverträgliche Politik, eine duziert. Sie wissen wahrscheinlich ebenso wie ich, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12737

Angelika Beer daß MAK ein neues Gerät entwickelt. Es handelt sich mokraten wollen auf die Ausstattung unserer Streit- um eine Fräse, die für verschiedene landwirtschaftli- kräfte mit modernem Mate rial nicht verzichten. che Arbeiten zur Verfügung steht und ferngesteuert, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne also unbemannt, ist. ten der CDU/CSU) (Ulrich Irmer [F.D.P.]: „Unbemannt" ist anti Zwar können die laufenden Vorhaben planmäßig feministisch!) fortgesetzt werden. Für den Beginn neuer Projekte An dieses Gerät kann ein Modul vorne angebaut bleibt jedoch praktisch überhaupt kein Raum mehr. werden, das zu dem in der Lage ist, was wir alle wol- Der Aufbau und die Ausrüstung der Krisenreaktions- len: humanitäre Minenräumung. kräfte und die Modernerhaltung der Hauptverteidi- gungskräfte erfordern Finanzierungssicherheit. Mit (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das ist dem vorliegenden Haushalt sind Zweifel und auch doch doppelzüngig, was Sie hier sagen!) Fragen angebracht, ob wir dieses Ziel 1997 errei- chen. Lieber Herr Kollege Austermann, sosehr ich Wir werden morgen die Möglichkeit haben, hier Sie schätze, nach meiner Auffassung - das sage ich mit MAK-Vertretern zu sprechen. Wir werden dann hier ganz offen - war in Ihrem Beitrag das Bild zu überprüfen müssen, ob es nicht sinnvoller ist, solche schön gefärbt; das sage ich für die F.D.P. Die Realität Geräte zu finanzieren, die die Menschenleben retten, ist nicht ganz so. statt Militäreinsätze, bei denen High-Tech-Minen eingesetzt werden, möglich zu machen. (Walter Kolbow [SPD]: Die feiern Niederla gen als Siege!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS - Günther F riedrich Nolting Der Haushalt für den Verteidigungsminister hat [F.D.P.]: Das erzählen Sie einmal den betrof mit seinen Reduzierungen nicht nur Auswirkungen fenen Leuten!) auf die Bundeswehr selbst. Dieser Haushalt hat auch Auswirkungen außerhalb der Bundeswehr, nämlich Wir sind für die humanen Alternativen, weil wir auf die wehrtechnische Industrie unseres Landes. die Menschen und die Sicherheit der Menschen vor Augen haben und nicht die Politik der Bundesregie- Wir wissen sehr wohl, daß sich die deutsche wehr- rung. Wir wollen dieses friedenspolitische Gebot technische Industrie in ihren Kapazitäten und Struk- durch unsere Haushaltsanträge durchsetzen. Wir turen dem verminderten Bedarf anpassen muß. Aber versuchen aber auch, die unsoziale Politik dieser zugleich muß uns auch aus nationalem, sicherheits- Bundesregierung zu stoppen, indem wir ganz klar sa- politischem Interesse daran gelegen sein, daß die gen: Das wenige Geld, was noch vorhanden ist, darf Leistungsfähigkeit der wehrtechnischen Indust rie in nicht für militärische High-Tech-Produkte und Waf- Deutschland erhalten bleibt. fen ausgegeben werden, sondern nur für die Sicher- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ heit unseres Landes, das heißt für die Sicherheit des NEN]: Dafür gründen Sie eine Rüstungs Sozialstaates und nicht für die Aufkaderung einer agentur!) friedensgefährdenden Armee. Ich möchte auch etwas Positives hier anmerken: Im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zuge der parlamentarischen Beratungen ist es uns sowie bei Abgeordneten der SPD - Diet rich durch Umschichtungen gelungen, den unzureichen- Austermann [CDU/CSU]: Das sieht der Herr den Klarstand von Heer und Luftwaffe infolge man- Fischer ganz anders! - Günther F riedrich gelnder Ersatzteilausstattung und Instandsetzung Nolting [F.D.P.]: Was sagt der Fischer zu und sich abzeichnender Ausrüstungslücken bei Hee- dieser Rede?) resfahrzeugen und moderner Munition zu verbes- sern. Das heißt, wir haben diese Position im Haushalt finanziell erheblich anheben können. Das ist aller- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Jürgen Koppelin. dings ein Erfolg der Haushaltsberatungen gewesen. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muß auch Kolleginnen und Kollegen! Es ist kein Geheimnis: darauf verweisen, daß der Etat des Verteidigungsmi- Um die Bundeswehr modern und einsatzfähig zu hal- nisters noch Haushaltsrisiken beinhaltet.- Ich nenne ten, brauchen wir ein gesundes Verhältnis von Be- hier die zukünftige Finanzierung der Kosten der in- triebskosten und Investitionen. Es gibt kein Drumhe- ternationalen Einsätze, wie zum Beispiel derzeit im rumgerede, daß der vorliegende Haushalt des Vertei- ehemaligen Jugoslawien. Die notwendigen Mittel digungsministers uns nicht an das Ziel eines müssen allein aus dem Einzelplan 14 erbracht wer- 30prozentigen Investitionsanteils bringt. Wir sind so- den. gar ein ganzes Stück davon entfernt. Das bedauern wir als F.D.P. Wir haben zur Zeit nur etwa 22 Prozent Der IFOR-Nachfolgeeinsatz wird daher, so meinen für verteidigungsinvestive Ausgaben vorgesehen. wir, eine zeitliche Begrenzung erfahren müssen. In Dieser Anteil ist nach unserer Auffassung zu gering. diesen Tagen hat der Bundesverteidigungsminister in Interviews zu Recht darauf hingewiesen. Es hat Wenn wir wollen, daß die Krisenreaktionskräfte auch den Antrag der Koalition im Haushaltsausschuß der Bundeswehr fähig sein müssen, mobil, weiträu- gegeben - der dann angenommen wurde -, für die- mig und flexibel einsetzbar zu sein, dann müssen wir sen Einsatz eine finanzielle Obergrenze von auch für moderne Ausrüstung sorgen. Wir Freien De 350 Millionen DM zu beschließen. 12738 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Jürgen Koppelin Das ändert nichts an der Tatsache, daß die große Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Kollege Verheugen, Mehrheit dieses Hauses für den IFOR-Nachfolgeein- Sie können davon ausgehen, daß ich gerade diese satz eintritt. Ich will ausdrücklich die Erklärung be- Reden, wenn ich schon daraus zitiere, noch einmal grüßen, die es dazu von seiten der Sozialdemokraten nachgelesen habe. Ich gebe Ihnen gerne recht, daß gegeben hat. Die „Süddeutsche Zeitung" hat in ei- es bei dieser Debatte darum ging. Die Geisteshal- ner Überschrift am 25. November 1996, wie ich finde, tung aber, daß Sie dem Verteidigungsminister und sehr deutlich und treffend formuliert, was sich nun dem Außenminister „Kanonendiplomatie" vorgewor- bei der SPD abspielt: „Sozialdemokraten sind wieder fen haben, ist weiterhin lange ein Vorwurf Ihrerseits auf den Hauptpfad internationaler Sicherheitspolitik geblieben - nicht nur bei dieser Diskussion, sondern zurückgekehrt." Wir begrüßen das ausdrücklich. auch bei anderen Beiträgen -, während sich andere Mitglieder Ihrer Fraktion da etwas schneller bewegt Es ist gut, daß die SPD zur Einsicht gekommen ist. haben. Man darf aber daran erinnern - denn, Kollege Kol- bow, Sie schüttelten gerade ein wenig den Kopf, und Ich will aber ausdrücklich begrüßen, daß sich bei Kollege Verheugen ist in Privatdiskussionen verwik- den Sozialdemokraten ein Wandel vollzogen hat. Sie kelt -, was 1991 der Kollege Günter Verheugen für müssen doch zugeben, daß dieser Wandel bei den die SPD über diese Einsätze im ehemaligen Jugosla- vorhergehenden Diskussionen nicht zu erkennen ge- wien gesagt hat. Er hat sie damals kategorisch abge- wesen ist. Gerade zu dem Zeitpunkt, als wir über lehnt. den Einsatz im ehemaligen Jugoslawien diskutiert haben, wäre es besser gewesen, wenn wir dies hier 1993 wurde es noch viel schlimmer. Da hat der Kol- im Hause in großer Übereinstimmung debattiert hät- lege Verheugen der Bundesregierung, insbesondere ten, anstatt, so wie Sie das damals gemacht haben, dem Außenminister und dem Verteidigungsminister, einen solchen Streit vom Zaune zu brechen. den Vorwurf gemacht - so auch im Protokoll nachzu- lesen -, sie hätten die „Denkweise der Kanonendi- (Beifall bei der F.D.P. - Günter Verheugen plomatie". So sprach Verheugen in Richtung Außen- [SPD]: Wie die F.D.P., die damals nach minister und Verteidigungsminister. Ich finde es gut, Karlsruhe gegangen ist!) daß wir nicht dem Kollegen Verheugen gefolgt sind, sondern dem Bundesaußenminister und dem Bun- Jetzt würde ich gerne noch ein anderes Thema an- desverteidigungsminister. sprechen, nämlich den Eurofighter. Sollte eine Ent- scheidung zugunsten des Eurofighters getroffen wer- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) den, so muß gefragt werden, woher die Mittel hierfür zur Verfügung gestellt werden. Für uns Freie Demokraten bleibt festzuhalten: Wir danken den deutschen Soldaten der Bundeswehr für (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: ihren Einsatz im ehemaligen Jugoslawien. Sie haben Gute Frage!) einen wichtigen Beitrag für den Frieden und für die Menschen in dieser Region geleistet. Ich meine, das ist eine Frage, die der Verteidigungs- minister nicht allein beantworten kann. Hier sind (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne vielmehr der Finanzminister und die Bundesregie ten der CDU/CSU) rung insgesamt gefragt. Ein weiteres Risiko im Haushalt ist hier bereits an- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ gesprochen worden, und zwar die Beschaffung des NEN]: Vielleicht sollten Sie nicht auf 40 000 Eurofighters. Wehrpflichtige verzichten, sondern auf 80 000!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Wenn also der Verteidigungsminister und die Bun- Koppelin, ehe Sie zu einem neuen Thema kommen: desregierung zu der Entscheidung kommen, dem Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Parlament eine Vorlage zur Beschaffung des Euro- Verheugen? fighters zuzuleiten, dann gehört dazu natürlich auch eine solide Finanzierungsperspektive. Sollte eine Jürgen Koppelin (F.D.P.): Ja, gerne. Entscheidung zugunsten des Eurofighters fallen, dann kann die Finanzierung nach Auffassung der - F.D.P. allerdings nicht durch Streichung anderer In- Günter Verheugen (SPD): Herr Kollege, könnten vestitionen aus dem Verteidigungshaushalt erfolgen. Sie so freundlich sein, dem Hause zu bestätigen, daß das Zitat von mir, das Sie gerade angeführt haben Wir als F.D.P. erwarten daher eine umfassende Vor- und dessen Richtigkeit ich gerne zugebe, sich auf lage zum Eurofighter. Wir werden bei uns in der eine ganz andere Debatte bezog, nämlich auf eine Fraktion darüber intensiv diskutieren. Dies geschieht von Ihren Fraktionen vorgeschlagene Grundgesetz- sicher in den anderen Fraktionen auch. Ich weise änderung, in der der Einsatz der Bundeswehr ohne ausdrücklich darauf hin, daß wir eine Entscheidung Mandat eines kollektiven Sicherheitssystems vorge- des Deutschen Bundestages zum Thema Eurofighter sehen war? wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gestatten Sie Ernst Kastning [SPD]: Das weiß er nicht noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kast- mehr!) ning? Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12739

Jürgen Koppelin (F.D.P.): Ich bin selbstverständlich in der Frage einer möglichen Finanzierung über damit einverstanden, weil es ja meine Redezeit ver- haupt keine Festlegung gibt? längert. (Zurufe von der SPD: Aha!)

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Koppelin, Sie wissen, daß Zwischenfragen auf die Redezeit Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Kollege Weng, nicht angerechnet werden und die Antworten dazu wenn ich Ihnen widersprechen würde, würde ich auch nicht. wahrscheinlich Arger in der Bundestagsfraktion der F.D.P. bekommen. Herr Kastning, bitte. (Dr. Peter Struck [SPD]: Na und? Mal ein bißchen Mut, Herr Kollege Koppelin! Was Ernst Kastning (SPD): Herr Kollege Koppelin, da meinen Sie, was bei uns alles los ist!) Herr Austermann vorhin wieder einmal dabei war, das Flugzeug billigzurechnen, frage ich Sie: Teilen Sie meine Auffassung, daß mindestens für all diejeni- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gestatten Sie gen, die ernsthafte Finanzierungsprobleme sehen, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Uta Zapf? für eine solche Behandlung und Prüfung einer Ent- scheidung unbedingte Preisklarheit und Preiswahr- heit im Zusammenhang mit der Parlamentsvorlage Jürgen Koppelin (F.D.P.): Ja, selbstverständlich. bestehen muß, sprich: daß von der Bundesregierung klar gesagt werden muß - neben der Antwort, wo (SPD): Herr Kollege Koppelin, würden Sie das Geld herkommen soll -, was dieses Flugzeug Uta Zapf mir bitte helfen beim Wiederfinden meines Gedächt- nicht nur in der Hülle plus Triebwerk usw. kostet, nisses - sondern was das ganze System einschließlich Be- waffnung und Logistik kostet? - Ich diskutiere jetzt (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht über das Für oder Gegen. Es geht um eine Mei- nungsbildung. Jeder muß sich prüfen in diesem oder beim Wiederfinden Ihres Gedächtnisses? Denn Hause, unabhängig von Parteizugehörigkeit. - Teilen einer von uns beiden muß das Gedächtnis verloren Sie meine Auffassung, und würden Sie sich gegebe- haben. nenfalls mit mir zusammen für diese Preisklarheit und -wahrheit einsetzen? (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ich weiß, wer!)

Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Kollege Kastning, es Erinnere ich mich richtig, daß Sie als Abgeordneter wird Sie nicht überraschen, wenn ich sage: Wir als Koppelin der F.D.P. weiland eine ziemlich auffällige F.D.P. waren immer für den Eurofighter, aber nicht PR-Aktion aus Ihrer persönlichen Ablehnung des Eu- um jeden Preis. Dazu gehört auch das, was Sie hier rofighters gemacht haben? Oder irre ich mich da wo- zu Recht angesprochen haben - ich glaube, ich habe möglich? das auch deutlich gemacht -: Wir brauchen eine ver- nünftige Vorlage zur Finanzierung des Flugzeugs, das ist ganz klar. Dazu gehört allerdings nicht nur Jürgen Koppelin (F.D.P.): Es wäre vielleicht doch der Preis pro Stück, es gehört auch die Infrastruktur gut, wenn der Kollege Opel, der neben Ihnen sitzt, und alles, was damit zusammenhängt, dazu. Ihnen etwas dabei hilft, Ihr Gedächtnis wiederzufin- den. In der Form, wie Sie es geschildert haben, habe Wir als F.D.P. gehen im übrigen davon aus, daß das ich den Eurofighter nie abgelehnt. Konzept, das wir vom Verteidigungsminister erwar- ten, durch das Kabinett geht und dem Deutschen (Karl Diller [SPD]: In welcher denn? - Wei Bundestag vorgelegt wird. Dann, so habe ich gesagt, tere Zurufe von der SPD) werden wir in der Fraktion darüber diskutieren. Wir - Nein, das ist nicht korrekt. als F.D.P. wollen eine Entscheidung über den Euro- fighter hier im Deutschen Bundestag, nicht allein in Vielmehr habe ich, Frau Kollegin, immer- gesagt: irgendwelchen Ausschüssen. Es ist eine Frage des Preises. Mir ist doch völlig klar, daß die Bundeswehr ein neues Flugzeug braucht. Wenn ich mir ansehe, was die alten Flugzeuge bei Herr Kollege, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: der Bundeswehr heute pro Stunde an Bet riebskosten gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeord- verursachen, dann muß ich irgendwann zu der Ent- neten Dr. Weng? scheidung für neue Flugzeuge kommen. Die Frage ist nur - ich denke, das hat der Kollege Kastning in Jürgen Koppelin (F.D.P.): Beim Kollegen Weng im- seiner Frage deutlich gemacht; mit dem sollten Sie mer mit dem größten Vergnügen. sich vielleicht auch noch einmal unterhalten -: Was wird ein Flugzeug eines Tages kosten? Da hört man von der Industrie dies, vom Verteidigungsminister Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Herr Kol- das - anscheinend sind sie noch am Verhandeln. lege Koppelin, würden Sie mir widersprechen, wenn Aber wenn wir einen Preis von beiden hören, dann ich feststelle, daß es in der Fraktion der F.D.P. bisher werden wir darüber entscheiden. Deswegen habe 12740 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Jürgen Koppelin ich noch einmal gesagt: Eurofighter ja, aber nicht um Ich will die Militärpolitik, den Verteidigungshaus- eden Preis; der Preis muß stimmen. halt insgesamt hinterfragen, und zwar wi ll ich alle hier fragen: Wissen wir eigentlich, wohin die Reise (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: gehen soll, Umfaller! ) (Zuruf von der CDU/CSU: Ja!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege zu der die zukunftsfähige, die modernisierte Bundes- Koppelin, Herr Kollege Kuhlwein möchte noch eine wehr aufbricht? Aus der Vielzahl der Symptome, die Frage stellen. Es ist die letzte, die ich zulasse. mich zu dieser Frage veranlassen, kann ich der Kürze der Zeit wegen nur ein einziges hervorheben. Jürgen Koppelin (F.D.P.): Wenn es nicht um das Ein hochrangiger Generalstabsoffizier der Bundes- Gedächtnis der Kollegin geht, bin ich damit einver- wehr hat mögliche Reiseziele der Zukunftsstrategie standen. in einer Bundeswehrzeitschrift anvisiert. Er stellte die Frage, ob unsere Bundeswehr überhaupt auf das We- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte, Herr sen zukünftiger Konflikte genügend vorbereitet sei, Kuhlwein. ob sie nicht durch Einbindung in das Kriegsvölker- recht westlich-humanitärer Prägung verweichlicht sei. Der Bundeswehr werde leider der rohe barbari- Eckart Kuhlwein (SPD): Herr Kollege Koppelin, es sche Krieger, der aus dem Proletariat stammt, gegen- geht eher um Ihr Gedächtnis. Können Sie denn heute überstehen. Es wäre unklug, den deutschen Soldaten schon mit Sicherheit sagen, daß Sie am Ende des Er- nicht für die brutalen kleinen Kriege gegen die klei- örterungsprozesses um die Beschaffung des Euro- nen bösen Männer auszubilden, an denen teilzuneh- fighters nicht wieder wider besseres Wissen umfallen men Deutschland irgendwann einmal gebeten werden? werde. (Beifall der Abg. Ingrid Matthäus-Maier Die Schlußfolgerung, die der Herr aus diesen Über- [SPD]) legungen zieht, lautet wie folgt. Er fragt: Sind die Menschen wirklich die Geschöpfe, die Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Kollege Kuhlwein, nur auf den Zusammenbruch böser Staaten war- bei Ihnen - Sie sind ja so ein alter 68er, der das nie ten, um ihre Friedensliebe und Güte zeigen zu abgelegt hat - kann ich verstehen, daß Sie diese können? Oder sind sie blutrünstige Bestien, die Frage so stellen. Aber ich kann die Frage gar nicht sich nur widerwi llig in eine Zivilisation einord- beantworten, weil sie völlig an der Realität vorbei- nen, weil die Alte rnative gegenseitige Vernich- geht. tung und Anarchie ist? Sind Deutschland und die (Lachen bei der SPD) Bundeswehr wirklich mit aller Konsequenz be- reit, sich auf Gegner einzulassen, die nichts zu Herr Präsident, meine Damen und Herren, lassen verlieren haben? Ist die Bundeswehr bereit und Sie mich zum Abschluß folgendes zum Haushalt des legitimiert, dieser Bedrohung notfalls auch mit Verteidigungsministers sagen: Unsere Soldaten sind brutaler Gewalt zu begegnen? Nicht immer wird dazu da, unsere Gesellschaft in ihrer freiheitlichen man die Schmutzarbeit den Partnerländern über- Verfassung in den Grenzen unseres Landes zu vertei- lassen können. digen. Sie werden auch bei der Erfüllung ihrer inter- nationalen Aufgaben das bleiben, was sie über Also auf „Schmutzarbeit" sollte nach Meinung die- 40 Jahre lang waren: Soldaten in der Bundeswehr, ses Herrn und der Kreise, die er repräsentiert, deren einer Armee der Freiheit und der Demokratie. Diesen Umfang uns natürlich nicht bekannt ist, unsere Bun- Soldaten und allen Angehörigen der Bundeswehr deswehr vorbereitet werden. Die „blutrünstigen Be- fühlen wir Freien Demokraten uns verpflichtet. stien" sind selbstverständlich immer nur die ande- ren, der imaginäre Feind, den man offenbar neu kon- Vielen Dank für Ihre Geduld. struieren muß, nachdem er uns durch den Zusam- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne menbruch des Warschauer Paktes zunächst einmal ten der CDU/CSU) abhanden gekommen ist. - Meine Damen und Herren, ich weiß, nicht wenige Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Nun gebe ich unter Ihnen halten mich für einen vergreisten Jüng- dem Abgeordneten Hein rich Graf von Einsiedel das ling, Wort. (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Nein! Sie doch nicht!) der nie über seine spätpubertären Prägungen, die er Heinrich Graf von Einsiedel (PDS): Herr Präsident! im Zweiten Weltkrieg erfahren hat, hinausgekom- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich men ist. Daran mag ja etwas Wahres sein. Vielleicht will Sie nicht mit der Wiederholung all der schon zig- ist es darauf zurückzuführen, daß ich etwas sensibler mal vorgebrachten Argumente langweilen, die ange- auf die Gespenster reagiere, die der Bundeswehrre- sichts des dramatischen Sparzwanges, in den die präsentant uns da vorführt, als Jüngere. Bundesregierung sich selbst gebracht hat, auch für eine drastische Reduzierung gerade des Verteidi- Denn diese Gespenster sind genau die gleichen, gungshaushaltes sprechen. die dem ganzen deutschen Volk in den zwei Jahr- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12741

Heinrich Graf von Einsiedel zehnten nach dem Ersten Weltkrieg vorgeführt wur- Ernst Kastning (SPD): Herr Kollege Breuer, ich ver- den, um es fit zu machen für den neuen Krieg, den es mute, Sie werden mir bestätigen müssen, daß bei dann zu führen galt gegen jene kleinen bösen Män- diesem Finanzchaos und der Auflage - ich wi ll nicht ner, die damals Juden und Slawen oder schlicht Un- sagen: dem Diktat - von seiten der Koalition, den termenschen hießen. Haushalt um keine müde Mark zu erhöhen, wohl keine Chance vorhanden war, überhaupt etwas zu Also noch einmal die Frage: Wohin soll die Reise verändern. Sind Sie aber wenigstens bereit, zur eigentlich gehen? Welches sind die Fernziele, die Sie Kenntnis zu nehmen, daß wir zum Wehrsoldantrag mit Ihrer Militärpolitik anvisieren, die zwangsläufig sehr wohl eine Deckung vorgesehen haben und daß auf viele Jahre riesige Haushaltsmittel bindet, von es sich um einen Deckungsvorschlag handelt, der denen jedermann heute weiß, daß wir sie uns eigent- teilweise aus dem Titel „Nachversicherung für Solda- lich gar nicht leisten können - es sei denn, nur durch ten" stammt, der im Haushaltsentwurf des Kabinetts einen weiteren, drastischen Abbau des Sozialstaates? mit 1,1 Milliarden DM veranschlagt worden war und Obendrein leben wir in einer merkwürdigen Ver- nachträglich um 400 Millionen DM erhöht worden ist fassungsrealität. Deutsche Krisenreaktionskräfte und von dem man annehmen muß, daß aus ihm mög- dürfen nunmehr mit einfachem Mehrheitsbeschluß licherweise noch Deckungsvorschläge für die Dinge dieses Hauses überall in die Welt geschickt werden, kommen, die Sie bisher überhaupt nicht gedeckt ha- um möglicherweise kleine brutale Kriege mit zu füh- ben? ren. Aber für die Feststellung des tatsächlichen Ver- teidigungsfalles, für den die Bundeswehr ursprüng- Paul Breuer (CDU/CSU): Herr Kollege Kastning, lich doch geschaffen worden ist, bedarf es der Zwei- ich halte das, was Sie hier machen, für ein Ablen- drittelmehrheit dieses Hauses. Ich habe wirklich kungsmanöver. Ihre Ausführungen machen mir er- meine Zweifel, ob Sie selbst eigentlich wissen, wohin neut deutlich, daß Sie keinen konstruktiven Vor- die Reise gehen soll. schlag im Hinblick auf den Gesamthaushalt haben, Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. hier über den Verteidigungshaushalt Krokodilsträ- nen weinen, was mit den Forderungen von Frau Mat- (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ thäus-Maier nicht übereinstimmt, und schließlich mit DIE GRÜNEN) dem Wehrsold ablenken wollen.

Ich halte die Erhöhung des Wehrsoldes, so wie Sie Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das sie vorschlagen, auch für inhaltlich nicht in Ordnung. Wort dem Abgeordneten Paul Breuer. (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Paul Breuer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich - Hören Sie einen Moment zu! - Das, was wir mit zunächst kurz auf die Rede des Kollegen Kastning dem Mobilitätszuschlag gemacht haben, ist wesent- von der SPD beziehen. Herr Kollege Kastning, Ihnen lich wirksamer als das, was Sie mit dem Wehrsold persönlich möchte ich nicht absprechen, daß Sie sich vorhaben. Ich möchte Ihnen die Rechnung kurz auf- für die Bundeswehr und ihre Finanzen einsetzen. machen. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ In der Vergangenheit bekam ein Wehrpflichtiger DIE GRÜNEN]: Aber?) 452 DM pro Monat inklusive der Verpflegungsgeld- auszahlung. Durch die Erhöhung des Verpflegungs- Aber bezogen auf Ihre Gesamtfraktion und im Hin- geldes an den Wochenenden und die Einführung des blick auf die Vergangenheit sind die Krokodilsträ- Mobilitätszuschlages bekommt er im Fall einer Ent- nen, die Sie, Herr Kollege Kastning, hier geweint ha- fernung von unter 100 Kilometern heute einen um ben, nicht glaubwürdig, vor allem heute nicht glaub- 183 DM höheren Betrag, also 635 DM, und im Falle würdig. einer Entfernung von über 100 Kilometern einen um Beispielsweise fehlt, daß Sie hier einen Ände- 273 DM höheren Betrag, also 725 DM. Das, was Sie fordern, bleibt hinter dem zurück, was wir längst ge- rungsantrag zur Erhöhung des Etats des Verteidi- macht haben. Sie sollten die Realität zur Kenntnis gungsministers einbringen. Ein solcher Antrag steht nach wie vor aus. Selbst do rt , wo Sie Erhöhungen for- nehmen. dern - das gilt etwa für den Bereich des Wehrsoldes, (Beifall bei der CDU/CSU - Joseph Fischer auf den ich später noch eingehen werde -, machen [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie noch nicht einmal einen Deckungsvorschlag. Sie Wie hoch ist die Helmzulage?) haben im Zuge der Haushaltsberatungen auch in an- deren Bereichen keinen Beitrag geleistet, um Frei- Nun zu dem Gesamthaushalt, meine Damen und räume dafür zu schaffen, daß der Verteidigungsetat Herren: Bei allen Schwierigkeiten, die es im Verteidi- eine bessere Position bekommen könnte. gungshaushalt gibt, muß eines gesehen werden, (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege DIE GRÜNEN]: Nämlich?) Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- nämlich die Gesamtverantwortung, die nicht nur wir ordneten Kastning? Verteidigungspolitiker für den Gesamthaushalt so- wie dafür zu tragen haben, daß unsere Wi rtschaft Paul Breuer (CDU/CSU): Bitte sehr. und unser gesamtes Sozialsystem wieder die Grund- 12742 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Paul Breuer lagen bekommen, die zur Erlangung der Zukunfts- Diesen Vorwurf kann man ihm nun wirklich nicht fähigkeit notwendig sind. Es wäre völlig illusorisch machen. zu glauben, man könne einen Aufwuchs im Verteidi- gungsetat mittelfristig überhaupt möglich machen, (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ wenn es nicht gelingt, unsere Wi rtschaft wieder in DIE GRÜNEN]: Er hat doch eine Ersatz Ordnung zu bringen. Ich fordere Sie dazu auf, diese teilearmee geschaffen!) Grundlagen mit zu schaffen. Die Verweigerungshal- tung Ihrer Fraktion führt ja dazu, daß Sie nicht in der Daß der Finanzminister die Finanzmasse insgesamt Lage sind, zusammen mit uns diese Grundlagen zu in Ordnung halten muß, das ist seine Pflicht und schaffen, ohne die der Verteidigungsetat nicht das Schuldigkeit. bekommen kann, was er eigentlich benötigt. Das, was wir machen, ist randgenäht. Was die mittelfristige Wirkung angeht, so meine ich, meine Damen und Herren, daß wir beachten Weil ich glaube, daß wir den Wirtschaftsauf- müssen, daß die Erreichung der Stabilitätskriterien schwung schaffen können - Herr Kollege Fischer, Sie im Sinne des Maastrichter Vertrages, um die gemein- sind kein Garant für die Zukunft; im. Gegenteil, das same europäische Währung einführen zu können, Unternehmen, das Sie vertreten, ist ein Abbruchun- ein Stabilitätsgewinn und auch ein Sicherheitsge- ternehmen -, winn für Europa ist. Dieser Sicherheitsgewinn sollte von uns allen zur Kenntnis genommen werden. Man (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ sollte also nicht gemäß einer Logik, die der Vergan- DIE GRÜNEN]: Seien Sie vorsichtig! Ich genheit angehört, glauben, man müsse in der beson- komme mit der Abrißbirne!) deren Verantwortung lediglich für den Verteidi- gungshaushalt reden. bin ich davon überzeugt, daß wir in einem mittelfri- stigen Planungszeitraum wieder Möglichkeiten ha- Lassen Sie mich im Hinblick auf die Anträge, die ben, einen Aufwuchs des Verteidigungsetats zu er- heute gestellt werden, speziell etwas zu den Anträ- zielen. gen der Grünen sagen. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege DIE GRÜNEN]: Oh ja!) Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- ordneten Opel? Sie stellen heute im Zusammenhang mit den Kür- zungsvorschlägen, die zum Teil von Ihnen, Frau Kol- legin Beer, ange rissen worden sind, wiederum den Paul Breuer (CDU/CSU): Aber bitte. Antrag, auf die Wehrpflicht zu verzichten bzw. zu- mindest einen ersten Schritt in diese Richtung zu ma- chen. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gleichzeitig möchte ich die Kollegen, die hier in Privatrunden ste- Ich will Ihnen zunächst einmal, sicher mit Zustim- hen, bitten, ihre Gespräche draußen zu führen. Grö- mung des gesamten Hauses - Sie ausgenommen -, ßere Versammlungen sollten nur im Zusammenhang deutlich sagen, daß diese Anträge, sowohl die von Ih- mit der Plenarsitzung stehen. rer Fraktion als auch die von der Gruppe der PDS, vor nicht allzulanger Zeit versenkt wurden. Wir ha- Bitte schön, Herr Kollege Opel. ben sie gemeinsam abgelehnt. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Manfred Opel (SPD): Herr Kollege Breuer, wären DIE GRÜNEN]: Und die F.D.P.?) Sie bereit einzuräumen, daß alle Reduzierungen des - Die F.D.P. hat sie ebenfalls gemeinsam mit uns ab- Verteidigungshaushaltes in den letzten drei Jahren - gelehnt. ohne jede Ausnahme - vom Finanzministerium ge- steuert und veranlaßt wurden und daß, entgegen den Lassen Sie mich an dieser Stelle eines sehr deutlich Darstellungen aus Ihrer Fraktion, alle Einschnitte mit sagen, Herr Kollege Fischer: Finanzmangel begründet wurden, der dann vom Fi- - nanzminister, zum Teil gegen die Zusagen des Ver- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ teidigungsministers und des Bundeskanzlers, auf die DIE GRÜNEN]: Sie haben die Ersatzteile Bundeswehr abgeladen worden ist? armee Bundeswehr zu verantworten, nicht wir!)

Paul Breuer (CDU/CSU): Natürlich, Herr Kollege Ich bin davon überzeugt, daß das, was Sie in der Ver- Opel, hat der Finanzminister seinen Bedarf für den teidigungspolitik machen, noch nicht ausgegoren ist. Gesamthaushalt angemeldet. Es ist ja seine Pflicht, Sie stellen sich in die Ruinen von Sarajevo das zu tun. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Sie können allerdings Verteidigungsminister Vol- DIE GRÜNEN]: Sie!) ker Rühe nicht den Vorwurf machen, er habe sich nicht in eindrucksvoller und notwendiger A rt und und bedauern, daß Europa nicht früher eingreifen Weise für den Verteidigungsetat ins Zeug gelegt. konnte. Gleichzeitig kommen Sie hierher und stellen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12743

Paul Breuer Anträge, die der Bundeswehr die Möglichkeit der als die Realitäten in Bosnien und in Europa insge- Hilfe für die Zukunft nehmen sollen. samt zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Beifall bei der CDU/CSU - Joseph Fischer Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: DIE GRÜNEN]: Sie nehmen der Bundes Das war das, was man im militärischen wehr die Zukunft!) Bereich einen Rohrkrepierer nennt!)

Das ist nicht glaubwürdig; das ist Eierei. Meine Damen und Herren, zur Frage der allgemei- nen Wehrpflicht lassen Sie mich noch folgende Fest- Um zu verdeutlichen, wie dieses Thema in Ihrer stellung treffen. Herr Kollege Fischer, ich bin davon Fraktion diskutiert wird, brauche ich nur Ihren au- überzeugt - ich weiß das von einzelnen Mitgliedern ßenpolitischen Sprecher, Ludger Volmer, zu zitieren. Ihrer Fraktion -, daß die Frage der Beibehaltung der Ludger Volmer hat im Kölner „Express" - er wird in allgemeinen Wehrpflicht auch bei Ihnen zunehmend der „Welt" vom 1. November zitiert - gesagt, den diskutiert werden wird, weil vielen Ihrer Fraktions- Grünen drohten nicht nur Flügelkämpfe, mitglieder klar wird, daß die allgemeine Wehrpflicht eine neue militärische Tradition in Deutschland be- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ gründet hat, und zwar im Hinblick auf eine Bürgerar- DIE GRÜNEN]: Sondern?) mee, der dieses Volk und der jeder in Europa ver- trauen kann. sondern die völlige Orientierungslosigkeit im außen- politischen Bereich Ich weiß aus Gesprächen mit Mitgliedern Ihrer Fraktion, daß sie sich nicht ganz wohl dabei fühlen, (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ eine Berufsarmee zu fordern. DIE GRÜNEN]: Ist das etwas Neues aus Ihrer Sicht?) (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Das tun wir auch nicht!) und damit eine Zerrüttung der Partei. Ich weiß, daß sich einzelne Mitglieder Ihrer Arbeits- Sie sind der allerletzte, der sich zur Frage deut- gruppe, Frau Kollegin Beer, damit auseinanderset- scher Außen- und Sicherheitspolitik glaubwürdig äu- zen, daß die Länder in Europa, die die Wehrpflicht ßern kann. ausgesetzt haben, erhebliche Schwierigkeiten damit haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich darf hier aus einem Be richt zitieren, den der belgische Verteidigungsminister Poncelet vor der Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege französischen Nationalversammlung im Zusammen- Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- hang mit der französischen Militärreform erstattet gen Koppelin? hat. Dabei hat er darauf hingewiesen: Ich bedauere, daß es seinerzeit in Belgien keine Paul Breuer (CDU/CSU): Aber bitte. umfassende Diskussion über dieses Thema gege- ben hat.

Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Kollege Breuer, tei- Er hat ein Zweites gesagt, was ich für sehr wichtig len Sie meine Auffassung, daß es gut gewesen wäre, halte: wenn der Kollege Fischer die Kollegin Beer, die vor- Der Wehrdienst hatte dazu beigetragen, ein Bin- hin für die Grünen zum Verteidigungshaushalt ge- deglied zwischen Armee und Nation zu schaffen, sprochen hat, mit ins ehemalige Jugoslawien genom- eine Art von Transparenz sicherzustellen. Seine men hätte, damit sie sich das do rt einmal hätte an- Aussetzung birgt die Gefahr, daß die Kritik an der schauen können? Armee und das Mißtrauen gegenüber ihr stärker werden. Paul Breuer (CDU/CSU): Herr Kollege Koppelin, Wir sollten das in der Hand behalten, was- wir an Ver- ich weiß, daß Frau Kollegin Beer do rt gewesen ist. trauen für die Bundeswehr gewonnen haben, und zwar im Sinne einer Bürgerarmee. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir verstehen uns blen Wenn Sie Glaubwürdigkeit in der Außen- und Si- dend!) cherheitspolitik sowie in der Verteidigungspolitik ge- winnen und nicht den in diesem Zusammenhang zer- Ich bin davon überzeugt, daß Frau Kollegin Beer rütteten Haufen führen wollen, sollten Sie einmal diese Situation kennt. darauf achten, daß es in Ihrer Fraktion auch Argu- mente gibt, die sich diesem öffnen. Mir scheint es allerdings so zu sein, daß Frau Kolle- gin Beer mehr Wert darauf legt, bei der nächsten Ich bedanke mich. Versammlung der Grünen, auf der die Kandidaten- liste für den Deutschen Bundestag bestimmt wird, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge auch die Fundamentalistenstimmen zu bekommen, ordneten der F.D.P.) 12744 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Zu einer Kurz- Ich sage an dieser Stelle, lieber Herr Kollege Rühe, intervention gebe ich das Wort der Abgeordneten daß Sie mit dem gegenwärtigen Verteidigungsbud- Angelika Beer. get, mit diesen Finanzmitteln die derzeitige Personal- struktur der Streitkräfte unterfinanziert haben und daß Sie sie so nicht werden aufrechterhalten können. Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Breuer, Sie haben zum Ende Ihrer Rede be- (Beifall bei der SPD) hauptet, daß Grüne den einstimmigen Antrag der Alles andere ist getürkt, alles andere sind Durchhal- Fraktion nicht unterstützen würden, weil sie sich ge- teparolen, und deswegen machen wir Ihnen auch gen eine Berufsarmee aussprechen, weil sie nicht für entsprechende Vorschläge, auf die ich in meiner eine Berufsarmee sind. Ihre Darstellung impliziert, Rede noch zurückkommen werde. unsere Fraktion hätte beantragt, die Wehrpflicht ab- zuschaffen und statt dessen eine Berufsarmee einzu- Ihre Fehler jedenfalls, Herr Kollege Rühe, gehen setzen. zu Lasten unserer Streitkräfte, demotivieren die Sol- daten und zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ich möchte hier klarstellen, daß meine Fraktion und treiben sie zur inneren Kündigung. Ich sage, das Bündnis 90/Die Grünen mit diesem Antrag die Wehr- aufnehmend, was hier im Hause zwischengerufen pflicht abschaffen will, erstens weil die Wehrpflicht und zwischengesprochen wird, etwas überspitzt, ein Zwangsdienst ist, zweitens weil wir gegen aber mit ernstem Unterton: Sie haben die Bundes- Zwangsdienste sind, drittens weil wir sparen und die wehr so zugerichtet, wie es eine linke Regierung nie Armee reduzieren wollen - also ein abrüstungspoliti- hätte tun können und auch nie getan hätte, scher Schritt - und viertens weil wir als Übergangs- form dezidiert keine Berufsarmee wollen, sondern (Beifall bei der SPD - Lachen bei der F.D.P.) eine Freiwilligenarmee, also Soldaten, die in kurzer denn wir hätten eines gemacht, liebe Kolleginnen Frist die Armee durchlaufen, um sicherzustellen, daß und Kollegen: Wir hätten auf die Menschen in dieser wir nicht nur noch Krisenreaktionskräfte, „Kämpfer Staatseinrichtung Rücksicht genommen, und das tun der neuen Art ", wie Generalinspekteur Willmann Sie leider nicht mehr. Das war einmal der Fall, das ist und Herr Rühe sie wollen, produzieren, die als Be- vorbei, und deswegen laufen Ihnen auch die Solda- rufskämpfer durch die Welt schwirren. Genau das ten, die Familien, die Reservisten in Scharen davon wollen wir verhindern. und orientieren sich bei uns.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Sie wol stimmt doch überhaupt nicht! Ihr habt doch len doch gar keine Armee!) gestern abend gerade etwas anderes gehört!)

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege - Natürlich! Wir hatten eine Bundeswehrkonferenz, Breuer, Sie können darauf antworten. - Das wird Herr Kollege Nolting, bei der die Klagen auf den nicht gewünscht. Tisch gelegt worden sind, und ich zähle sie Ihnen einmal auf. Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Kolbow. Bei zahlreichen Truppenbesuchen und durch viele Eingaben haben wir festgestellt, daß fehlendes Geld Walter Kolbow (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolle- für Ersatzteile und für zivile Instandsetzungsleistun- ginnen und Kollegen! Ich habe ja Verständnis für die gen den Betrieb der Bundeswehr, insbesondere den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, insbeson- Betrieb des Heeres, erheblich beeinträchtigt. Wir dere angesichts der Situation, in der Sie den Verteidi- haben Äußerungen von Kommandeuren im Gene- gungshaushalt in diesem Jahr wiede rum antreffen. ralsrang gehört, in unserer Bundeswehr sähe es fin- Sie müssen Niederlagen als Siege feiern. Am deut- ster aus. Die jüngsten Bemühungen des Heeresin- lichsten hat das Kollege Breuer bei der Bundesdele- spekteurs, das Heer trotzdem modern erscheinen zu giertenversammlung des Reservistenverbandes ge- lassen, müssen so zwangsläufig mißlingen. tan, als er die 200-Millionen-Kürzung nach der 1,25- Das Wort des Verteidigungsministers, wir müßten Milliarden-Sperre in 1996 und nach der 1,7-Milliar- Sparen gestalten, ist zur Farce geworden. Seine Hil- den-Kürzung durch Waigel kommentierte: Endlich ferufe, die Bundeswehr eben nicht kaputtzusparen,- sind wir bei den Verlierern die Gewinner. hat der Finanzminister unter Duldung des Bundes- (Heiterkeit bei der SPD) kanzlers brutal erstickt. Entsprechend lautet das Fa- zit: Wir haben einen besorgniserregenden Zustand Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube der Bundeswehr. Sie ist nur bedingt einsatzbereit. auch, daß bei dieser wichtigen Tagung der Verteidi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD - gungsminister aufrichtig war, als er positiv von den Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS]: Gott sei Dank!) Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten aus dem Verteidigungsbereich - ich füge hinzu, da gibt Wir haben Ihnen am 26. Juni eine Kleine Anfrage es wesentlich mehr in der Fraktion; nicht alle, denn zu den Auswirkungen der Entwicklung des Verteidi- das zu behaupten wäre intellektuell unredlich -, die gungsetats auf den Betrieb der Bundeswehr vorge- für die Bundeswehr ein offenes Ohr haben und ver- legt. Sie haben auf 14 sehr differenziert gestellte Fra- suchen, diesem konstitutiven Element unseres Staa- gen, die insbesondere auch Aufschluß über die Mate- tes auch sein Recht zu geben, sprach. rialerhaltung bei den Streitkräften geben sollten, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12745 Walter Kolbow schlicht und einfach geantwortet, es gebe keine Pro- Ich gestehe Schwierigkeiten bei der Materialerhal- bleme. Wenn es keine Probleme gibt - wir wissen ja, tung ein, die die Truppe belasten. So sind jedenfalls daß das Gegenteil der Fall ist -, dann frage ich Sie, von der „Welt" und der „FAZ" Ihre Äußerungen auf auch Sie, Herr Kollege Austermann, warum der der Tagung des Bundeswehr-Verbandes zitiert wor- Haushaltsausschuß - nicht der Verteidigungsmi- den. nister - entschieden hat, 75 Millionen umzuschich- ten, 60 Millionen für die Materialerhaltung im Heer, Wir erkennen Ihre Leistungen im Zusammenhang 10 Millionen für die Materialerhaltung beim Flug- mit IFOR an. Das haben Sie und die Soldaten in der gerät und 25 Millionen zusätzlich für den Munitions- Tat ordentlich gemacht. Aber Sie schauen nur auf titel. Das Parlament mußte den Streitkräften helfen. das eine Prozent und nicht auf die 99 Prozent andere Der Bundesminister der Verteidigung, der fürsorge- Soldatinnen und Soldaten, die ebenfalls ihre Pflicht pflichtig für diese Streitkräfte ist, hat dies nicht ge- erfüllen tan. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) und die wegen der von mir aufgezeigten Mängel Ein Truppenführer, der mit den Problemen tagtäg- Ihre Zuwendung brauchen. lich konfrontiert wird, bewe rtete die Antwort der Im übrigen pfeifen es ja die CDU/CSU- und die Hardthöhe wie folgt: Entweder weiß die militärische F.D.P.-Spatzen von den Bonner Dächern - einer von und politische Führung überhaupt nicht mehr, was in ihnen heißt Koppelin - , daß die „Rühe-Struktur" der der Truppe vor sich geht, oder aber sie nimmt es mit Bundeswehr eben nicht zu bezahlen ist. Der verehrte der Wahrheit nicht so genau. Beides wäre schlimm; Kollege Rauber hat sich ja schon im Sommer wie ersteres ist wahrscheinlich. Das ist freilich außeror- folgt geäußert: Mit weniger als 47 Milliarden DM dentlich bedenklich. wird es die Bundeswehr in der jetzigen Form nicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mehr geben können. Ich weise auf die Ausschlachtung oder den „Kan- Deswegen haben wir Ihnen - das darf ich zum nibalismus" hin, der bei den Transporthubschrau- Schluß sagen - eine Wehrstruktur- und Personal- bern und in anderen Bereichen stattfindet. Ich weise kommission vorgeschlagen. Sie sagen, die Bundes- darauf hin, daß die Wehrbeauftragte am 1. August wehr habe eine Struktur, nämlich die jetzige. Ich dem Verteidigungsminister einen Brief geschrieben sage Ihnen: Die Struktur, die von 340 000 Soldaten hat, in dem sie ihre zunehmende Sorge über die Ent- ausgeht, hat keine Bestandskraft. Denn der Kanzler wicklung, über eine unzureichende materielle Aus- und der Finanzminister haben Ihnen diese Struktur stattung sowie über zunehmende Engpässe zum bereits zerstört. Die Koalitionsfraktionen haben dies Ausdruck gebracht hat. Wir wissen aus dem Vermerk zugelassen. Ihrer Haushaltsabteilung, auf den hin das Parlament Struktur und Umfang der Bundeswehr müssen rea- die Mittel entsprechend erweitert und umgeschichtet listisch nach sicherheitspolitischen Erfordernissen hat, daß es erhebliche Probleme bei 5000 Ersatzteil- und an Hand der verfügbaren Finanzmittel in Ab- artikeln gibt, die nicht mehr im Bestand sind. Das be- stimmung mit Verbündeten und Partnern unter Zu- einträchtigt mittlerweile die Instandsetzung aller grundelegung neuer Abrüstungsmöglichkeiten ge- Waffensysteme. plant und gestaltet werden. Wir sind ferner darüber informiert, daß bei den (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Transall-Maschinen und bei Hubschraubern aller Typen die Piloten viel zuwenig Flugpraxis haben, Eine solide Bundeswehrplanung sowie ein zu- weil es zuwenig Flugstunden gibt. Diese fehlende kunftsweisender und verläßlicher Verteidigungs- Flugerfahrung beeinträchtigt die Flugsicherheit haushalt mit 30 Prozent investivem Anteil sind Vor- stark. aussetzungen dafür, das verlorene Vertrauen der An- gehörigen der Bundeswehr in die Politik wiederzu- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Die SPD gewinnen. will die wenigen Flugstunden nicht akzep tieren!) Meine Damen und Herren, weil die Bundeswehr Ihr Haushaltsopfer nicht nur in diesem Jahr gewor- Wenn Sie, Herr Verteidigungsminister, einmal die den ist, werden wir - den Streitkräften zuliebe- - die- 13. Panzergrenadierdivision aufsuchen, dann werden sen Verteidigungsetat mit überzeugter roter Karte Sie feststellen, daß do rt nur mehr 15 Schützenpanzer ablehnen. vom Typ „Marder" einsatzbereit sind. (Beifall bei der SPD - Zuruf von der F.D.P.: Als der „Spiegel" in dieser Woche schrieb, daß es Stellen Sie den Antrag auf Erhöhung?) beim Heer darüber hinaus auch erhebliche Ausbil- dungsdefizite gibt - dies ergibt sich aus einem höchst interessanten Bericht aus dem CMTC in Ho- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Meine verehr- henfels -, haben Sie endlich zugegeben, daß das mi- ten Kolleginnen und Kollegen! Ich würde es ja nicht litärische Können der Führung in den vergangenen für völlig übertrieben halten, wenn Sie einen ange- Jahren gelitten hat. Das erfordert natürlich auch Kon- messenen Teil Ihrer Aufmerksamkeit dem jeweiligen sequenzen. Sie ziehen sie in diesen Tagen nur ver- Redner zuwenden würden. Es könnte ja sein, daß ir- bal. Wegen der öffentlichen Berichterstattung sagen gend etwas gesagt wird, was Sie vor der Abstim- Sie jetzt: Ich räume Defizite bei der Truppe ein. Oder: mung, die ja kommen wird, noch wissen wollen. 12746 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Dies vorausgeschickt, gebe ich nun das Wo rt dem so möchte ich sagen, natürlich machen wir nicht Bundesminister der Verteidigung, Volker Rühe. mehr die Großübungen in Deutschland, natürlich üben wir nicht mehr so viel wie zur Zeit des Kalten Krieges. Und natürlich sind die Energien in den ver- Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gangenen Jahren drauf gerichtet gewesen, die Ar- mee der Einheit zu schaffen, überall neue Verbände (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ aufzustellen, neu zu gruppieren. Hätten wir denn DIE GRÜNEN[: Minister für das Ersatzteil üben sollen, statt die Armee der Einheit zu schaffen? wesen!) Es ist doch totaler Blödsinn, was hier gesagt wird. Der Abgeordnete Karsten Voigt war in den letzten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zwei Jahren Präsident der Nordatlantikversamm- lung, und ich finde, wenn ein deutscher Abgeordne- Es ist eine völlig vernünftige Entwicklung, daß wir ter ein inte rnationales Amt bekleidet und das gut uns darauf konzentriert haben. macht oder sogar sehr gut, wie in diesem Fall, dann Deswegen bleibe ich dabei: Struktur und Umfang sollten wir dies auch würdigen. Das wäre in England der Streitkräfte stehen nicht zur Diskussion. Es wäre und Frankreich so. Deswegen Glückwunsch zu der eine Todsünde, wenn man hier eingreifen würde. Arbeit, Karsten Voigt. Wenn eingegriffen werden muß, dann muß das jetzt (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD bei den Baumaßnahmen und bei den Investitionen sowie bei Abgeordneten der F.D.P.) geschehen. Was nun die Debatte angeht und insbesondere die In manchen Köpfen gerade auf der linken Seite Einlassung der Sozialdemokraten in Richtung von des Hauses - mich erstaunt das - findet der Rü- mehr Mitteln für den Verteidigungshaushalt, so muß stungswettlauf immer noch statt. In den 70er und ich zugeben, daß ich natürlich völlig hin- und herge- 80er Jahren wäre es mit Sicherheit ein großes Pro- rissen bin in meinen Gefühlen; denn ich könnte sa- blem gewesen, wenn die Beschaffung bestimmter gen, ich könnte sie in den nächsten Etatgesprächen Waffensysteme um fünf oder zehn Jahre geschoben ganz gut verwenden. Manchmal habe ich auch Ärger worden wäre. Dann wäre eine Sicherheitslücke ent- in der Koalition gehabt, weil ich nicht genügend an- standen, weil es ein Gegenüber - den Warschauer gegriffen worden bin von der Opposition, jedenfalls Pakt, die Sowjetunion - gab, der ein Hochrüstungs- nur selten, wobei es mir immer darum ging, gerade programm verfolgte. für unsere Soldaten soviel Konsens wie möglich zu Es ist schon merkwürdig, daß Ihnen ausgerechnet haben. der Verteidigungsminister sagen muß, daß das nicht Wenn heute morgen Herr Scharping und Herr La- mehr der Fall ist und daß man es deswegen sehr fontaine auch eine Passage in ihrer Rede gehabt hät- wohl verantworten kann, wenn Beschaffungspro- ten, daß sie eine Erhöhung der Ausgaben für die gramme geschoben werden. Dadurch entsteht keine Bundeswehr fordern, dann hätte ich viel ernster ge- Sicherheitslücke. Wir müssen auf die Sicherheit der nommen, was hier gesagt worden ist. Soldaten achten, gerade der Soldaten im Einsatz. Wir müssen darauf achten, daß unsere Hubschrauber, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) unsere Flugzeuge modernisiert werden. Aber ich Das hat es nicht gegeben. verwahre mich dagegen, hier alles schwarz in schwarz zu zeichnen. Sie haben ja schon den Spott der Grünen gehört. Ich verstehe die Strategie der Sozialdemokraten (Abg. Ernst Kastning [SPD] meldet sich zu nicht. Niemand wird Ihnen glauben, daß Sie mehr für einer Zwischenfrage) die Bundeswehr tun können oder tun wollen. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Mi- DIE GRÜNEN]: Leider doch, leider doch!) nister - - Sie tun gut daran, die Regierung zu unterstützen, Bundesminister der Verteidigung: Ich nachdem Sie das in den vergangenen Jahren nicht Volker Rühe, möchte gerne im Zusammenhang vortragen. immer gemacht haben. Das ist auch für Sie selbst der einzig glaubwürdige Weg. Also weg von dieser Stra- - tegie, die Sie hier eingeschlagen haben. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Keine Zwi- schenfragen. - Tut mir leid, Herr Kastning. Im übrigen braucht mir niemand zu sagen, wie schwierig die Lage des Verteidigungshaushalts ist. Da wird auch nichts geschönt. Es läßt sich überhaupt Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: nicht bestreiten, daß wir in einer sehr schwierigen Si- Maßstab für die Einsatzbereitschaft ist im übrigen tuation sind. Der Verteidigungshaushalt ist heute ge- der Auftrag, sind die Bedingungen, unter denen die- ringer als der von 1991. Wir haben eine enorme Frie- ser Auftrag gilt. Ich finde, auch diesbezüglich haben densdividende erbracht. Ich verwahre mich dage- Sie noch zu viel altes Denken in Ihren Köpfen, wenn gen, daß hier völlig falsch dramatisiert wird. Es gibt Sie von fehlender Einsatzbereitschaft sprechen. Licht und Schatten; das ist überhaupt keine Frage. Es ist eben nicht mehr so, daß die deutschen Streit- Nehmen wir folgendes Beispiel: Wenn Herr Kol- kräfte insgesamt innerhalb von 24 Stunden aufmar- bow beklagt, das militärische Können habe gelitten, schieren müßten, wie das zur Zeit des Kalten Krieges Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12747 Bundesminister Volker Rühe der Fall war. Bis zum Jahre 1989 mußte die ganze kann nur sagen: Wer selbst nicht weiß, was er will, Bundeswehr innerhalb von wenigen Tagen einsatz- der fordert eine Kommission. bereit sein. Sie müssen begreifen, daß das heute nicht mehr der Fall ist. Die Vorwarnzeit eines großen (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Konfliktes beträgt heute zwischen ein und zwei Jah- DIE GRÜNEN]: Ja, Renten!) ren. Deswegen kann der Verteidigungsminister es Das bringt das Fehlen von Politik auf Ihrer Seite zum verantworten, daß nicht mehr die ganze Bundeswehr Ausdruck. mit derselben Geschwindigkeit einsatzbereit ist, wie das früher der Fall war. Es ist von Ihrer Seite eine völ- (Erneuter Zuruf des Abg. Joseph Fischer lig falsche Strategie, nun so zu tun, als sei es eine [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ganz schlimme Sache, daß wir nicht mehr so einsatz- - Herr Fischer, hören Sie doch einmal zu! - Im Unter- bereit sind, wie das 1989 notwendig war. Das ist eine schied zu den anderen Bereichen haben wir über falsche Einschätzung der Lage, die unseren Interes- diese konzeptionellen Entscheidungen - vielleicht sen und den Notwendigkeiten nicht gerecht wird. haben Sie es nicht mitbekommen - vor drei Jahren Zu den Schwierigkeiten des deutschen Heeres: Es diskutiert. Wir haben ein Weißbuch vorgelegt. Wir gibt hier Licht und Schatten. In vielen Bereichen sind haben die konzeptionellen Entscheidungen getrof- wir Spitze; ich denke an die Heeresflugabwehr, den fen. Jetzt muß man die Ruhe, die Kontinuität aufbrin- Verbund von Gepard, Roland und Stinger, die Pan- gen, um eine stabile Entwicklung auf der Grundlage zerhaubitzen, den Minenräumpanzer Keiler. Als ich dieser konzeptionellen Entscheidungen gewährlei- neulich die Brücke besichtigt habe, die deutsche und sten zu können. Das letzte, was die Soldaten brau- polnische Pioniere über die Oder gebaut haben, chen, ist eine Kommission. Das letzte, was sie brau- habe ich bestätigt gefunden: Das ist das modernste chen, sind neue Eingriffe in die Struktur. Brückenbaugerät, das es in Europa gibt. (Beifall des Abg. Bartholomäus Kalb [CDU/ (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Das war schön, CSU]) jawohl! ) Das letzte, was sie brauchen, sind Eingriffe in ihre Wer da von „Schrott" spricht, ist schlecht beraten. Ausbildung. Deswegen machen wir das nicht. Des- Herr Kastning, wenn ich höre, wie Sie im Interview wegen bleibt die Lage in diesem Bereich stabil. die Auffassung mancher „Welt"-Journalisten nach- Richtig ist, daß wir angesichts unserer Finanzlage beten, muß ich wirklich sagen: Die Russen sind nicht manche Projekte nicht mehr durchführen können, mehr an der Elbe. Schaut genau hin, wenn ihr es die militärisch vielleicht durchaus wünschenswert nicht glauben wollt! Es ist schon eine merkwürdige sind, und daß wir andere Projekte strecken und wei- Koalition, die sich dort auftut. Wenn der Verteidi- ter in die Zukunft schieben müssen. gungsminister Ihnen sagen muß, daß die Russen nicht mehr an der Elbe sind, und er es verantworten Wir werden, so denke ich, am 13. Dezember über kann, daß unsere Soldaten nicht mehr innerhalb von den Jugoslawien - Einsatz entscheiden. Ich will das wenigen Tagen alle einsatzbereit sind, dann zeigt jetzt nicht vorwegnehmen. Aber ich möchte sagen, das, daß Sie immer noch nicht den richtigen Zugang ich bin sehr froh - das ist eigentlich das Wichtigste, zur Situation gefunden haben. Wenn das, was das was erreicht worden ist, übrigens wichtiger noch als deutsche Heer zur Verfügung hat, „Schrott" ist, dann Geld, so wünschenswert dies für die Zukunft auch ist das Schrott auf verdammt hohem Niveau. ist -, daß wir den Soldaten den Konsens im Einsatz geben und sie das auch spüren. Ich habe noch in Er- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge innerung, wie unsere Soldaten in Somalia im Radio ordneten der F.D.P.) den Streit im Bundestag gehört haben und ihre Fami- Natürlich gibt es Defizite; das läßt sich gar nicht lien verunsichert gewesen sind. Deswegen ist das für bestreiten. Die müssen abgebaut werden. Es geht um mich das entscheidende Ergebnis in diesem Jahr. Ich moderne Informationstechnologien, die Transportka- bin dankbar dafür. Ich werde auch alles dafür tun, pazität, Einsatzlogistik und die persönliche Ausrü- daß dieser Konsens hält; denn wir können es viel- stung der Soldaten. Darüber hinaus gibt es Probleme leicht verantworten, Soldaten manchmal nicht zu be- mit der Materialerhaltung. Das Notwendige dazu ist fördern - Oberbootsmänner, Stabsfeldwebel und an- gesagt worden. dere -, wie Sie es völlig zu Recht beklagen. Wir kön- nen es manchmal auch verantworten, Waffensysteme- Es darf keine Kürzungen der Mittel für die Ausbil- zu strecken. Aber wir können es nicht verantworten, dung der Wehrpflichtigen geben. Das hat für uns unsere Soldaten in einen Einsatz zu schicken, ohne Vorrang. Deswegen konzentrieren sich die Kür- ihnen die volle Unterstützung durch den Bundestag zungen auf die Baumaßnahmen und die Investitio- und die volle Unterstützung durch unser Volk zu ge- nen. ben. Dafür, daß diese Unterstützung vorhanden ist, Auch die Mittel für die Ausrüstung unserer Solda- bin ich sehr dankbar. ten im Einsatz dürfen nicht gekürzt werden. Alle, die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) etwas davon verstehen, werden Ihnen bestätigen, daß die Soldaten in Jugoslawien hervorragend aus- gerüstet und hervorragend ausgebildet sind. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Meine Kolle- ginnen und Kollegen, ich habe es vorhin etwas Es wurde jetzt die Einrichtung einer Strukturkom- schlichter versucht. Ich möchte Sie wirklich bitten, mission gefordert, um die Probleme zu lösen. Ich Ihre privaten Gespräche nach draußen zu verlegen. 12748 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Es ist ja nicht irgend etwas, über das wir hier verhan- Wer hat denn den Bundeswehrplan in diesem Jahr deln. Sie verlängern einfach die Prozedur. aufgestellt? Das waren doch nicht die Sozialdemo- kraten, das waren Sie. Wer hat ihn weitgehend zu Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeord- Makulatur gemacht? Das waren doch nicht wir, son- neten Kastning das Wo rt. dern die Bundesregierung. Jetzt haben Sie die ver- dammte Pflicht und Schuldigkeit, schnellstens aufzu- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ zeigen, wie es weitergehen soll. DIE GRÜNEN]: Nicht schon wieder! Wir wollen doch abstimmen!) Ich sage Ihnen: Ich bin bereit, seriös mit Ihnen dar- über zu beraten, was noch zu tun ist. Dazu muß aber ein Papier von Ihnen und nicht von der Opposition Ernst Kastning (SPD): Herr Kollege Joschka Fi- oder irgend jemand anderem auf den Tisch. scher, heute morgen haben Sie das nicht gerufen. Ich denke, daß nicht nur die Großkopferten das Recht (Beifall bei der SPD) haben, hier zu reden, sondern auch die „Kleinen", die die praktische Arbeit machen. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Minister, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der F.D.P.) (Bundesminister Volker Rühe: Nein, danke!) Herr Minister, ich habe mich nur gemeldet, weil - Dann schließe ich die Aussprache. ich fand, daß es ein starkes Stück war, was Sie eben Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zu- in zwei, drei Sätzen mir gegenüber gesagt haben. nächst zum Einzelplan 04, Bundeskanzler und Bun- Wenn ein Journalist der „Welt" - und das, was er deskanzleramt. schreibt - in der letzten Zeit nicht mehr oder nicht mehr ganz auf Ihrer Linie liegt, dann ist das Ihre An- Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion gelegenheit. Aber wenn Sie hier kritisieren, daß ich Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6239 vor, mit diesem Journalisten spreche und ihm Zahlen über den wir zuerst abstimmen. Wer für den Ände- gebe, dann muß ich das zurückweisen. rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegen- (Beifall bei der SPD) probe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß Die Zahlen, die vor etwa einer Woche in der der Antrag gegen die Stimmen der Fraktion Bünd- „Welt" standen, hat Ihre Parlamentarische Staatsse- nis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS mit den kretärin, Frau Geiger, in der Fragestunde des Deut- Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden schen Bundestages aufgelistet. Es sind gewisserma- ist. ßen amtliche Zahlen. Diese Zahlen haben Sie selbst Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- im Haushaltsausschuß bestätigt, bzw. Sie haben ih- plan 04 in der Ausschußfassung. Die Fraktion der nen nicht widersprochen, als sie ausdrücklich ge- CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich nannt worden sind. Ich denke, es gehört dazu, daß bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die diese Zahlen nicht hinter verschlossenen Türen ver- vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Urnen handelt und beraten werden und daß geprüft wird, besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstim- was man in dieser Situation tun sollte. mung. - Es ist genau das Gegenteil von dem passiert, was Gibt es noch Mitglieder des Hauses, die ihre Sie oder die Hardthöhe insgesamt - ich weiß nicht, Stimme nicht abgegeben haben? - wer die Verantwortung trägt; ich vermute, auch Sie, Herr Minister - den ganzen Sommer über praktiziert (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Herr Präsi haben. Sie haben abgewiegelt und die Situation ver- dent, die Schlange ist noch lang!) schleiert, obwohl Sie genau wissen mußten, daß Kol- Ich frage noch einmal, ob jemand seine Stimme noch leginnen und Kollegen dieses Hauses, und zwar nicht abgegeben hat. - Das ist offenkundig nicht der auch aus den Koalitionsfraktionen, durch Besuche bei der Truppe, durch Kontakte zu Industriebetrie- Fall. ben in den Regionen handfeste Informationen über Damit schließe ich nunmehr die Abstimmung.- Ich die Situation beim Heer, bei den Heeresfliegern, teil- bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der weise bei der Luftwaffe und auch in der wehrtechni- Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstim- schen Industrie hatten. mung wird Ihnen später bekanntgegeben.*) Ich finde es wirklich schlimm, daß Sie auch heute Wir setzen die Beratungen fo rt . Wir wollen mit den noch verschleiern, statt zu sagen: So ist die Lage; wir Abstimmungen fortfahren. setzen uns hin und entscheiden schnell, wie es wei- tergehen soll. Was mich umtreibt - Herr Minister, Sie Wir kommen zum Einzelplan 05, Auswärtiges Amt. müssen wissen, daß ich mich auf diesem Gebiet in Dazu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der den letzten zwei Jahren, seit ich das Amt des Bericht- SPD, vier Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/ erstatters innehabe, einigermaßen seriös bewegt Die Grünen und ein Änderungsantrag der Gruppe habe -, ist, daß keine Richtungsweisung kommt und der PDS vor, über die wir zuerst abstimmen. dadurch Unruhe und Unzufriedenheit in der Truppe weiter zunehmen werden. *) Seite 12750 A Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12749

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Wir stimmen über den Änderungsantrag der SPD Ich rufe den Änderungsantrag der SPD auf Druck- auf Drucksache 13/6217 ab. Wer dem Änderungsan- sache 13/6218 auf. Wer diesem Änderungsantrag zu- trag der SPD zustimmt, den bitte ich um das Hand- stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Ge- zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - genprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich Dann stelle ich fest, daß der Antrag mit den Stimmen fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übri- bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die gen abgelehnt worden ist. Grünen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Wir stimmen über den Änderungsantrag der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6240 Dann rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion ab. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion Bünd- der SPD auf Drucksache 13/6298 auf. Wer dem Ände- nis 90/Die Grünen zustimmt, den bitte ich um das rungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzei- Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? chen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - - Dann stelle ich fest, daß auch dieser Änderungsan- Dann stelle ich fest, daß der Änderungsantrag mit trag mit demselben Stimmenverhältnis abgelehnt den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des worden ist. Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Dann rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion Dann rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6244 auf. Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6241 auf. Wer dem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich Wer dem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimm- um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimm- enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Ände- enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch dieser rungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Änderungsantrag mit demselben Stimmenverhältnis Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die abgelehnt worden ist. Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden Dann stimmen wir über den Änderungsantrag der ist. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ Dann rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion 6242 ab. Wer dem Änderungsantrag zustimmt, den Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6255 auf. bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimm- dieser Antrag mit dem gleichen Stimmenverhältnis enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß dieser An- abgelehnt worden ist. trag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen Ich rufe nun den Änderungsantrag der Fraktion abgelehnt worden ist. Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6243 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich Dann rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthal- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6256 auf. tungen? - Dann stelle ich fest, daß dieser Antrag mit Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimm- Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß dieser Än- übrigen abgelehnt worden ist. derungsantrag mit demselben Stimmenverhältnis wie eben abgelehnt worden ist. Dann rufe ich den Änderungsantrag der Gruppe Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion Bünd- der PDS auf Drucksache 13/6253 auf. Wer dem Ände- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6257 auf. Wer rungsantrag der PDS zustimmt, den bitte ich um das diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Hand- Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? zeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - - Dann stelle ich fest, daß der Antrag mit den Stim- Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den men der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im nen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abge- übrigen abgelehnt worden ist. lehnt worden ist. Dann rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion Dann kommen wir zur Abstimmung über den Ein- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6258 auf. zelplan 05 in der Ausschußfassung. Wer dem Einzel- Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 13/6258 plan in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Ge- um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimm- genprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Einzel- daß auch dieser Änderungsantrag mit den Stimmen plan mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim- der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die men des Hauses im übrigen angenommen worden Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. ist. Dann rufe ich den Einzelplan 14, Bundesministe- Dann rufe ich den Änderungsantrag der Gruppe rium der Verteidigung, auf. Dazu lagen zu Beginn der PDS auf Drucksache 13/6251 auf. Wer diesem der Debatte sieben Änderungsanträge vor. Inzwi- Änderungsantrag der PDS zustimmt, bitte ich um das schen gibt es noch einen weiteren Änderungsantrag Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltun- der Fraktion der SPD, so daß wir also zunächst über gen? - Ich stelle fest, daß der Antrag mit den Stim- acht Änderungsanträge abzustimmen haben. men der Koalition und der Fraktion der SPD bei 12750 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Hansgeorg Hauser Erich Maaß (Wilhelmshaven) nen und gegen die Stimmen der Gruppe der PDS ab- (Rednitzhembach) Dr. Dietrich Mahlo gelehnt worden ist. Klaus-Jürgen Hedrich Günter Marten Damit kommen wir schließlich zur Abstimmung Manfred Heise Dr. Martin Mayer über den Einzelplan 14 in der Ausschußfassung. Wer Dr. Renate Hellwig (Siegertsbrunn) diesem Einzelplan in der Ausschußfassung zustimmt, Ernst Hinsken Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegen- Josef Hollerith Dr. probe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß Dr. Karl-Heinz Hornhues Dr. der Einzelplan 14 in der Ausschußfassung mit den Siegfried Hornung Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hau- Joachim Hörster Rudolf Meyer (Winsen) ses im übrigen angenommen worden ist. Hubert Hüppe Peter Jacoby Meinolf Michels Nun gebe ich das von den Schriftführerinnen und Susanne Jaffke Dr. Gerd Müller Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Georg Janovsky Elmar Müller (Kirchheim) Abstimmung zum Einzelplan 04, Geschäftsbereich Helmut Jawurek Engelbert Nelle Dr. Dionys Jobst () des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes, Johannes Nitsch bekannt. - Das sind die Drucksachen 13/52 Anlage, Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung (Limburg) 13/6004 und 13/6025. - Abgegebene Stimmen: 642. Dr. Rolf Olderog Mit Ja haben gestimmt: 335. Mit Nein: 307. Keine Dr. Egon Jüttner Friedhelm Ost Enthaltungen. Damit ist der Einzelplan 04 angenom- Dr. Harald Kahl Eduard Oswald men. Bartholomäus Kalb Norbert Otto (Erfurt) Steffen Kampeter Dr. Gerhard Päselt Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dr. Peter Paziorek Manfred Kanther Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Endgültiges Ergebnis Irmgard Karwatzki Angelika Pfeiffer Abgegebene Stimmen: 642; Peter Keller Dr. Gero Pfennig davon Albert Deß Dr. Bernd Klaußner Dr. Friedbert Pflüger ja: 335 Ulrich Klinkert nein: 307 Dr. Helmut Kohl Dr. Winfried Pinger Werner Dörflinger Hans-Ulrich Köhler Hansjürgen Doss Dr. Hermann Pohler (Hainspitz) Dr. Alfred Dregger Ja Manfred Kolbe Maria Eichhorn Marlies Pretzlaff Norbert Königshofen Dr. Eva-Maria Kors CDU/CSU Dr. Bernd Protzner Hartmut Koschyk Heinz Dieter Eßmann Dieter Pützhofen Manfred Koslowski Horst Eylmann Thomas Kossendey Hans Raidel Rudolf Kraus Dr. Jürgen Augustinowitz Wolfgang Krause (Dessau) Rolf Rau Andreas Krautscheid Dietrich Austermann Dr. Karl H. Fell Peter Rauen Arnulf Kriedner Heinz-Günter Bargfrede Otto Regenspurger Heinz-Jürgen Kronberg Dirk Fischer (Hamburg) Christa Reichard (Dresden) Dr.-Ing. Paul Krüger Dr. (Unna) Klaus Dieter Reichardt Reiner Krziskewitz (Hamburg) (Mannheim) Dr. Hermann Kues Dr. Bertold Reinartz Dr. Sabine Bergmann-Pohl Dr. Gerhard Friedrich Erika Reinhardt Hans-Dirk Bierling Dr. Karl A. Lamers Hans-Peter Repnik Erich G. Fritz (Heidelberg) Dr. Joseph-Theodor Blank Hans-Joachim Fuchtel Roland Richter Roland Richwien Michaela Geiger Dr. Dr. Norbert Geis Dr. Norbert Rieder Dr. Heiner Geißler Dr. Erich Riedl (München) Dr. Norbert Blüm Michael Glos Klaus Riegert Herbert Lattmann Dr. Wilma Glücklich Dr. Maria Böhmer Dr. Paul Laufs Franz Romer Dr. Reinhard Göhner Karl-Josef Laumann Hannelore Rönsch Peter Götz Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Werner Lensing (Wiesbaden) Dr. Wolfgang Götzer Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Wolfgang Bötsch Joachim Gres Peter Letzgus Dr. Klaus Rose Klaus Brähmig Kurt-Dieter Grill Editha Limbach Kurt J. Rossmanith Rudolf Braun (Auerbach) Wolfgang Gröbl Walter Link (Diepholz) Adolf Roth (Gießen) Paul Breuer Hermann Gröhe Norbert Röttgen Claus-Peter Grotz Dr. Klaus W. Lippold Dr. Christian Ruck (Offenbach) Volker Rühe Klaus Bühler (Bruchsal) Horst Günther (Duisburg) Dr. Manfred Lischewski Dr. Jürgen Rüttgers Hartmut Büttner Carl-Detlev Freiherr von Wolfgang Lohmann Roland Sauer (Stuttgart) (Schönebeck) Hammerstein (Lüdenscheid) Ortrun Schätzle Julius Louven Dr. Wolfgang Schäuble (Emstek) (Großhennersdorf) Sigrun Löwisch Hartmut Schauerte Heinrich Lummer Heinz Schemken (Nordstrand) Otto Hauser (Esslingen) Dr. Michael Luther Gerhard Scheu Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12751

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Norbert Schindler F.D.P. Dr. Eberhard Brecht Marianne Klappert Dietmar Schlee Siegrun Klemmer Ulrich Schmalz Ina Albowitz Ursula Burchardt Hans-Ulrich Klose Bernd Schmidbauer Dr. Gisela Babel Hans Martin Bury Dr. Hans-Hinrich Knaape Christian Schmidt (Fürth) Hildebrecht Braun Hans Büttner (Ingolstadt) Walter Kolbow Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Augsburg) Marion Caspers-Merk Fritz Rudolf Körper (Halsbrücke) Günther Bredehorn Wolf-Michael Catenhusen Nicolette Kressl Andreas Schmidt (Mülheim) Jörg van Essen Peter Conradi Volker Kröning Hans-Otto Schmiedeberg Dr. Dr. Herta Däubler-Gmelin Horst Kubatschka Hans Peter Schmitz Paul K. Friedhoff Christel Deichmann Eckart Kuhlwein (Baesweiler) Karl Diller Konrad Kunick Michael von Schmude Dr. Marliese Dobberthien Christine Kurzhals Birgit Schnieber-Jastram Hans-Dietrich Genscher Peter Dreßen Dr. Uwe Küster Dr. Dr. Wolfgang Gerhardt Rudolf Dreßler Werner Labsch Dr. Joachim Günther (Plauen) Freimut Duve Brigitte Lange Reinhard Freiherr von Dr. Ludwig Eich Detlev von Larcher Schorlemer Dr. Peter Enders Robert Leidinger Dr. Erika Schuchardt Ulrich Heinrich Klaus Lennartz Petra Ernstberger Walter Hirche Dr. Elke Leonhard Annette Faße Klaus Lohmann (Witten) Dr. Dieter Schulte Dr. Burkhard Hirsch Elke Ferner Christa Lörcher (Schwäbisch Gmünd) Birgit Homburger Lothar Fischer (Homburg) Erika Lotz Gerhard Schulz (Leipzig) Dr. Dr. Frederick Schulze Ulrich Irmer Iris Follak Dieter Maaß (Herne) Diethard Schütze (Berlin) Dr. Klaus Kinkel Norbert Formanski Winfried Mante Clemens Schwalbe Detlef Kleinert (Hannover) Roland Kohn Dorle Marx Dr. Christian Schwarz- (Köln) Ulrike Mascher Schilling Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Katrin Fuchs (Verl) Wilhelm Josef Sebastian Arne Fuhrmann Ingrid Matthäus-Maier Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Monika Ganseforth Heide Mattischeck Wilfried Seibel Norbert Gansel Heinz-Georg Seiffert Sabine Leutheusser Schnarrenberger Konrad Gilges Ulrike Mehl Iris Gleicke Uwe Lühr Herbert Meißner Johannes Se lle Günter Gloser Jürgen W. Möllemann Bernd Siebert Uwe Göllner Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Günther Friedrich Nolting Jürgen Sikora Günter Graf (Friesoythe) Ursula Mogg Dr. Angelika Graf (Rosenheim) Siegmar Mosdorf Lisa Peters Bärbel Sothmann Dieter Grasedieck Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Günter Rexrodt Margarete Späte Achim Großmann Jutta Müller (Völklingen) Dr. Klaus Röhl Carl-Dieter Spranger Karl Hermann Haack Christian Müller (Zittau) Helmut Schäfer (Mainz) Wolfgang Steiger (Extertal) Volker Neumann (Bramsche) Cornelia Schmalz-Jacobsen Hans-Joachim Hacker Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Wolfgang Freiherr von Klaus Hagemann Dr. Edith Niehuis Dr. Stetten Manfred Hampel Dr. Rolf Niese Dr. Hermann Otto Solms Dr. Christel Hanewinckel Doris Odendahl Dr. Andreas Storm Alfred Hartenbach Günter Oesinghaus Carl-Ludwig Thiele Dr. Liesel Hartenstein Leyla Onur Dr. Dieter Thomae Matthäus Strebl Klaus Hasenfratz Manfred Opel Jürgen Türk Michael Stübgen Dr. Ingomar Hauchler Adolf Ostertag Dr. Wolfgang Weng Egon Susset Dieter Heistermann Kurt Palis (Gerlingen) Dr. Rita Süssmuth Reinhold Hemker Albrecht Papenroth Dr. Guido Westerwelle Michael Teiser Rolf Hempelmann Dr. Willfried Penner Dr. Susanne Tiemann Dr. Barbara Hendricks Dr. Monika Heubaum Georg Pfannenstein Dr. Klaus Töpfer Nein Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Uwe Hiksch Dr. Eckhart Pick Reinhold Hiller (Lübeck) Joachim Poß Stephan Hilsberg Rudolf Purps Wolfgang Vogt (Düren) SPD Gerd Höfer Hermann Rappe Dr. Horst Waffenschmidt Jelena Hoffmann (Chemnitz) (Hildesheim) Alois Graf von Waldburg-Zeil Frank Hofmann (Volkach) Karin Rehbock-Zureich- Dr. Jürgen Warnke Ingrid Holzhüter Margot von Renesse Kersten Wetzel Robert Antretter Erwin Horn Renate Rennebach Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Hermann Bachmaier Eike Hovermann Otto Reschke Lothar Ibrügger Bernd Reuter Bernd Wilz Barbara Imhof Dr. Edelbert Richter Willy Wimmer (Neuss) Brunhilde Irber Günter Rixe Ingrid Becker-Inglau Gabriele Iwersen Reinhold Robbe Dr. Wolfgang Behrendt Renate Jäger Gerhard Rübenkönig Dagmar Wöhrl Hans Berger Jann-Peter Janssen Dr. Hansjörg Schäfer Michael Wonneberger Hans-Werner Bertl Ilse Janz Gudrun Schaich-Walch Elke Wülfing Friedhelm Julius Beucher Dr. Uwe Jens Dieter Schanz Peter Kurt Würzbach Sabine Kaspereit Rudolf Scharping Lilo Blunck Susanne Kastner Bernd Scheelen Wolfgang Zeitlmann Arne Börnsen (Ritterhude) Ernst Kastning Dr. Benno Zierer Anni Brandt-Elsweier Hans-Peter Kemper Siegfried Scheffler Wolfgang Zöller Tilo Braune Klaus Kirschner Horst Schild 12752 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Otto Schily BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Ich rufe nun auf: Dieter Schloten Günter Schluckebier Gila Altmann (Aurich) Einzelplan 23 Horst Schmidbauer Elisabeth Altmann (Nürnberg) (Pommelsbrunn) Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- (Aachen) (Bremen) sammenarbeit und Entwicklung Volker Beck (Köln) (Meschede) - Drucksachen 13/6019, 13/6025 - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Angelika Beer Regina Schmidt-Zadel Annelie Buntenbach Berichterstattung: Heinz Schmitt (Berg) Amke Dietert-Scheuer Abgeordnete Dr. Emil Schnell Dr. Emil Schnell Franziska Eichstädt-Bohlig Michael von Schmude Walter Schöler (Berlin) Jürgen Koppelin Joseph Fischer (Frankfurt) Gisela Schröter Antje Hermenau Rita Grießhaber Dr. Mathias Schube rt Gerald Häfner Es liegen je zwei Änderungsanträge der Fraktion Schuhmann Richard Antje Hermenau Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS vor. (Delitzsch) Kristin Heyne Brigitte Schulte (Hameln) Michaele Hustedt Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für Reinhard Schultz Dr. Manuel Kiper die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe (Everswinkel) Monika Knoche und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so be- Volkmar Schultz (Köln) Dr. Angelika Köster-Loßack schlossen. Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz (Oldenburg) Dr. Helmut Lippelt Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Dr. Angelica Schwall-Düren Oswald Metzger Abgeordneten Dr. Emil Schnell. Ernst Schwanhold Kerstin Müller (Köln) Bodo Seidenthal Christa Nickels Dr. Emil Schnell (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Lisa Seuster Egbert Nitsch (Rendsburg) verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mir ist aufge- Horst Sielaff Cern Özdemir fallen, daß in den letzten zwei Tagen das Wo rt Ent- Erika Simm Gerd Poppe wicklungshilfe nicht ein einziges Mal vorgekommen Johannes Singer Simone Probst ist. Das zeigt eigentlich schon den Stellenwert der Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Jürgen Rochlitz Entwicklungspolitik innerhalb dieser Regierung und Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Halo Saibold Wieland Sorge Irmingard Schewe-Gerigk auch speziell innerhalb der Koalition an. Wolfgang Spanier Rezzo Schlauch Der Außenminister ist vorhin nicht auf die Proble- Albert Schmidt (Hitzhofen) Dr. Dietrich Sperling matik des Jörg-Otto Spiller Wolfgang Schmitt Ausstiegs aus internationalen Organisa- Antje-Marie Steen (Langenfeld) tionen eingegangen, obwohl der Kollege Brecht hier Ursula Schönberger recht klar die Rolle der UNIDO dargestellt hat; dem Dr. Peter Struck Waltraud Schoppe Vernehmen nach hört man, daß auch IFC und andere Joachim Tappe Christian Sterzing Einrichtungen betroffen sein sollen. Herr Minister, Jörg Tauss Manfred Such ich bitte Sie, nachher in Ihrer Rede noch einmal klare Dr. Bodo Teichmann Dr. Antje Vollmer Worte dazu zu sagen, was hier eigentlich los ist. Margitta Terborg Ludger Volmer Jella Teuchner Helmut Wilhelm (Amberg) Dr. Gerald Thalheim Margareta Wolf (Frankfurt) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, würden Sie einen Augenblick abwarten, bis auf der Franz Thönnes PDS Regierungsbank wieder Ruhe eingetreten ist, damit Uta Titze-Stecher Wolfgang Bierstedt wir fortfahren können? - Bitte schön, Sie haben das Adelheid Tröscher Wort. Hans-Eberhard Urbaniak Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Siegfried Vergin Heinrich Graf von Einsiedel Günter Verheugen Dr. Emil Schnell (SPD): Herr Präsident, ich kann Dr. Ludwig Elm (Pforzheim) Dr. Dagmar Enkelmann die Unruhe auf der Regierungsbank gut nachvollzie- Karsten D. Voigt (Frankfurt) Dr. hen, da es eine Menge offene Probleme gibt, die zu Hans Georg Wagner Dr. Gregor Gysi lösen sind. Dr. Konstanze Wegner Hanns-Peter Ha rtmann Wolfgang Weiermann Dr. Uwe-Jens Heuer Herr Minister, gehen Sie auf diesen Punkt ein; der Matthias Weisheit Dr. Barbara Höll Außenminister ist nicht darauf eingegangen. Ich Gunter Weißgerber Dr. Willibald Jacob kann verstehen, daß bei Ihnen auf Grund der Ent- (Wiesloch) Ulla Jelpke wicklung Ihres Etats eine gewisse Verärgerung ge- Jochen Welt Gerhard Jüttemann genüber den Kollegen im Kabinett vorhanden ist. Ich Hildegard Wester Dr. Heidi Knake-Werner Lydia Westrich glaube aber nicht, daß es der richtige Weg ist, sich Rolf Köhne von den wichtigen internationalen Institutionen zu Inge Wettig-Danielmeier Dr. Helmut Wieczorek (Duisburg) Heidemarie Lüth verabschieden. Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Günther Maleuda (Beifall bei der SPD) Dieter Wiefelspütz Manfred Müller (Berlin) Dr. Rosel Neuhäuser Die öffentliche internationale Entwicklungshilfe Hanna Wolf (München) Dr. Uwe-Jens Rössel stagniert nicht nur, sie ist vielmehr rückläufig, auch Heidi Wright Christina Schenk deshalb, weil unser eigener Beitrag rückläufig ist. Uta Zapf Steffen Tippach Dr. Christoph Zöpel Klaus-Jürgen Warnick Während sich das in die Entwicklungsländer flie- Peter Zumkley Dr. Winfried Wolf ßende private Kapital seit 1990 auf 250 Milliarden Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12753

Dr. Emil Schnell DM erhöht und damit fast vervierfacht hat, ist die of- Zur Zeit liegen wir mit unserer Entwicklungshilfe fizielle Entwicklungshilfe mit 90 Milliarden DM auf bei zirka 0,3 Prozent unseres Bruttosozialproduktes. dem real niedrigsten Stand seit 23 Jahren. Das bedeutet eine weitere rasante Entfernung von dem 0,7-Prozent-Ziel, zu dem sich die Bundesregie- (Beifall bei der SPD - Rudolf Bindig [SPD]: rung angeblich noch immer bekennt. Ich fordere den Hört! Hört!) Bundesminister auf, klarzustellen, ob er sich von die- Drei Viertel der Privatinvestitionen konzentrieren sem Ziel verabschiedet hat. Es ist nicht ehrlich, die- sich auf zwölf Länder, vor allem in Ost- und Südost- ses Ziel immer vor sich herzutragen und jährlich Kür- asien. Die ärmsten Länder haben dagegen kaum zungen vorzunehmen. Diese Art des Vorgehens be- eine Chance, von der Zunahme des Welthandels und trifft die Politik insgesamt. Wir kommen damit in Ver- vom Wachstum der Weltwirtschaft zu profitieren. ruf. Das kann so nicht weitergehen. Weltweit leben noch immer mehr als 1,2 Milliarden Menschen unterhalb der Grenze zur absoluten Ar- (Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Voll mut. In Afrika wird die Zahl der Armen vermutlich mer) noch steigen. Rund ein Viertel der Menschen in den Entwicklungsländern hat kein sauberes Trinkwasser, Die Art und Weise, wie diese Bundesregierung in und fast die Hälfte hat keinen Elektrizitätsanschluß. den letzten Jahren mit der Wechselkursproblematik umgegangen ist, hat im Bereich der Entwicklungszu- Die Selbstversorgung der Bevölkerung mit Grund- sammenarbeit ebenfalls erheblich zu Verwerfungen nahrungsmitteln ist vielfach nicht gewährleistet. Da- geführt, aber auch in anderen Politikbereichen. mit verbinden sich die Fragen, ob wir im Landwirt- Wenn Wechselkurse zu Minderausgaben führten, schaftsbereich, do rt auch in der Forschung, genug kassierte das BMF und kürzte in gleichem Maße den tun und ob es nicht mehr Sinn macht, die kleinbäuer- Plafond für das folgende Jahr. Wenn Wechselkurse liche Entwicklung und den Absatz stärker zu för- im Folgejahr zu Mehrausgaben führten, mußten aus dern, als mit subventionierten EU-Nahrungsmitteln dem Einzelplan 23 überplanmäßige Ausgaben gelei- die Existenz der Bauern in Frage zu stellen. stet werden. Diese Prozedur führte zu einer bedrohli- Viele der weltweit ärmsten Länder sind zudem so chen Abwärtsspirale im Haushalt des BMZ und muß hoch verschuldet, daß sie nicht in der Lage sind, le- für die Zukunft begrenzt oder abgeschafft werden. benswichtige Wirtschaftsreformen durchzuführen. Sie entspricht zudem nicht der notwendigen Konti- Strukturanpassungsprogramme, besonders im Be- nuität und Verläßlichkeit der Entwicklungszusam- reich der Weltbank, führen oft nicht dazu, daß die menarbeit. ärmsten Bevölkerungsschichten davon profitieren. Im Gegenteil: Die vorgesehenen Hilfen kommen auf Wir haben in den Haushaltsberatungen vorge- Grund von Bürokratie und Filz in diesen Ländern schlagen, den Plafond des BMZ trotz schwieriger meistens dort nicht an. Haushaltslage durch Mehreinnahmen aus dem For- Das sind insgesamt gesehen keine optimistisch derungsverkauf für 1997 zu stabilisieren, um erstens stimmenden Aussagen, obwohl es auch Erfolge gibt, die FZ-Verpflichtungen zu erfüllen und zweitens die die man für die öffentliche Akzeptanz der Entwick- Kürzungsaktion von weiteren 97 Millionen DM abzu- lungshilfe in Deutschland immer wieder seriös ver- fangen. Das wurde von der Koalition abgelehnt. mitteln sollte. Wir wissen aber auch: Erfolge sind Auch die Idee, Einnahmen aus den Rückflüssen der keine Skandale, also medial nur schwer zu transpor- Entwicklungszusammenarbeit prinzipiell wieder für tieren. die Entwicklungshilfe einzusetzen - eine A rt kreisen- der Fonds -, wurde ebenfalls abgelehnt, was, denke Zirka zwei Drittel der deutschen bilateralen Pro- ich, bedauerlich ist, da das auch eine Forderung der jekte wurden als mehr oder weniger erfolgreich ein- Fachpolitiker des AWZ war. geschätzt. Um so wichtiger ist die Frage nach unserer eigenen Verantwortung und einer entsprechenden Verläßlichkeit Deutschlands gegenüber unseren Wir haben uns im Haushaltsausschuß im Rahmen Partnern in der Dritten Welt für die kommende Zeit. des Einzelplans 23 erstens besonders mit der Proble- Hier werden auf uns, nicht zuletzt wegen der kopflo- matik der finanziellen Zusammenarbeit beschäftigt - sen Kürzungsorgien der Bundesregierung, noch er- bilateral und multilateral. Besonders zu- schaffen ge- hebliche Probleme zukommen. An dem Plafond des macht hat uns die Ankündigung, daß 550 Millionen Ministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und DM fehlen. Das heißt, verbindlich zugesagte Mittel Entwicklung läßt sich der Stellenwert dieses Politik- sind im Haushalt nicht eingestellt worden, weil der feldes innerhalb der Regierung gut ablesen. Finanzminister den Überblick verloren hatte. Die Fragen, warum eine derart hohe Unterdeckung des Die Finanzpläne der letzten Jahre waren immer FZ-Titels überhaupt zustande kommen konnte und von deutlich höheren Ansätzen ausgegangen. Wenn wie das in Zukunft geregelt werden soll, bleiben wei- wir auf das Jahr 1992 zurückblicken, waren für 1997 terhin offen. Wir hatten die ganzen Fragen, was die über 2 Milliarden DM mehr eingeplant. Die Wirklich- FZ-Mittel und was multilaterale Dinge angeht, offen- keit des Regierungshandelns hat nach mehreren gelassen. Im Prinzip sollte eine Einigung zwischen Kürzungsrunden schließlich für 1997 im Einzelplan BMF und BMZ zustande kommen, was letztendlich 23 zu einer Summe von 7,65 Milliarden DM geführt. nicht gelungen ist. Es sind im Laufe der Haushaltsbe- Das ist ein dramatischer Absturz, den besonders die ratungen vielmehr mehrere Vorlagen vom BMZ, Armsten der Armen zu spüren bekommen werden. BMF und der Koalition am gleichen Tage auf den 12754 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Dr. Emil Schnell Tisch gekommen - ziemlich chaotische Zustände, so Ich danke schließlich meinen Kolleginnen und Kol- muß man sagen -, legen Mitberichterstattern und dem BMZ, dort spe- ziell der Haushaltsabteilung, für die gute, koopera- (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Das ist Stan tive Zusammenarbeit. Dem Einzelplan 23 können wir dard!) nach Inhalt und Volumen nicht zustimmen. so daß die Lösung lediglich so aussieht, daß 1997 für Danke schön. diese FZ-Verpflichtungen einmalig Mehreinnahmen in Höhe von 250 Millionen DM genutzt werden kön- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne nen. Das heißt automatisch für das nächste Jahr, daß ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ärger vorprogrammiert ist, da diese Mittel und diese Regelung mit Sicherheit nicht ausreichen werden. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zu einer Kurzin- Zweitens haben wir uns - ich muß sagen, wie nie tervention erhält der Abgeordnete Otto Graf Lambs- zuvor; vielleicht auch zur Freude der „AWZler" - mit dorff das Wort. den Empfehlungen des Fachausschusses beschäftigt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Vielen Dank, und der F.D.P. - Dr. R. Werner Schuster Frau Präsidentin! Kollege Dr. Schnell hat eben er- [SPD]: Sonderlob!) wähnt, daß die nongovernmental organizations, die NGOs, in diesem Bundeshaushalt schonend behan- Es konnte erreicht werden, daß die Mittel für die delt worden sind. Ich möchte mich ausdrücklich, NGOs nicht gekürzt wurden. Denn diese leisten eine auch im Namen der politischen Stiftungen, für diese unverzichtbare und hervorragende Arbeit. schonende Behandlung bedanken. Es war wichtig für uns, daß die. Bundesregierung, der Haushaltsaus- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem schuß und der Bundesminister selber auf deren Ar- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) beit Rücksicht genommen haben. Wir werden uns Wir haben die Bundesregierung für das Problem der weiter einschränken müssen; das ist klar. Aber wir zur Zeit schlechten Möglichkeiten für NGOs, an EU werden unser Bestes tun - das sage ich für alle Stif- Mittel heranzukommen, sensibilisiert. Ich hoffe noch tungen -, um trotzdem unseren Auftrag zu erfüllen. immer, daß dort etwas passiert, und bitte den Mi- Dabei war es für uns sehr wichtig - es mag sehr nister, nachher darauf einzugehen, was in diesem Be- technisch klingen, aber es ist wichtig -, daß die Titel 03 reich tatsächlich passieren kann. und 04 im Einzelplan 23 zusammengelegt worden Wir haben gemeinsam die Entschuldungsmöglich- sind. Das führt zu höherer Flexibilität, zu weniger Bü- keiten für Vorhaben zum Schutz und zur Erhaltung rokratie. Die Mittel können effizienter eingesetzt der Umwelt sowie zur Armutsbekämpfung von 170 werden. Wir glauben, daß wir damit unsere Arbeit auf 210 Millionen DM verbessert. Die beabsichtigte vor allem in den Entwicklungsländern besser fortset- Privatisierung der DEG, die wir ablehnen, und die zen können. Diese Arbeit soll auch nicht durch neue Kapitalaufstockungen der Banken waren Themen. Aufgabengebiete in den mittel- und osteuropäischen Die Unterstützung des „Zivilen Friedensdienstes", Staaten gefährdet werden. Die politischen Stiftungen den wir gerne gehabt hätten, wurde abgelehnt. Auch sehen hier ein wesentliches Arbeitsgebiet. Wir haben die Situation der Stiftungen, die Beratungshilfe Ost Verpflichtungen; ich denke, das ganze Haus wird und nicht zuletzt die extrem schwierige Personalsi- dem zustimmen. Wir sehen in den mittel- und osteu- tuation im Hause selber wurden beraten. Dies ropäischen Ländern Wahlergebnisse, die uns neue möchte ich hier nicht weiter ausführen. Chancen eröffnen - nicht in allen, aber doch in man- chen. Auf Grund unseres langjährigen Kampfes - auch mit starker Unterstützung der NGOs - haben IWF Deswegen sind wir dankbar dafür, daß wir im und Weltbank nun endlich eine multilaterale Ent- Haushalt in Einzelplan 23 die Voraussetzungen dafür schuldungsinitiative gestartet. Die 20 ärmsten Län- finden, neben der wirtschaftlichen Förderung auch der sollen entschuldet werden. Man beginnt, daran den Demokratisierungsprozeß weiter voranzubrin- zu arbeiten. Das ist positiv. Der Haken daran ist aller- gen. Ich hoffe, daß wir die Arbeit dazu fortsetzen und dings, daß die 20 ärmsten, zumeist afrikanischen noch etwas verstärken können. Länder Auslandsschulden in Höhe von 122 Milliarden Herzlichen Dank. - US-Dollar haben und der Fonds mit 500 Millionen US-Dollar natürlich an dieser Stelle absolut nicht zu- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU reichend ist. Hier muß noch einiges mehr getan wer- sowie bei Abgeordneten der SPD und des den, wozu wir die Bundesregierung nachdrücklich BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auffordern. Tun Sie an dieser Stelle etwas. Werden Sie aktiv. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt hat Kol- Ich möchte noch darauf hinweisen, daß wir im lege Michael von Schmude das Wort. Haushaltsausschuß wiederum einen Antrag gestellt haben, der eine weitere Entschuldungsmöglichkeit Michael von Schmude (CDU/CSU): Frau Präsiden- vorsieht. Dieser wurde von der Koalition abgelehnt. tin! Meine Damen und Herren! Kollege Dr. Schnell Ich fordere Sie noch einmal auf, die Möglichkeit im hat beklagt, daß die Entwicklungspolitik in der heuti- Plenum zu nutzen, das wiederaufzunehmen und gen Debatte ein bißchen zu kurz gekommen ist. Da- durchzusetzen. für gibt es auch eine Erklärung: Unsere Entwick- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12755 Michael von Schmude lungspolitik findet so viel Anerkennung, daß selbst der Akzeptanz der Entwicklungspolitik in Deutsch- die Opposition bisher wenig daran kritisieren land selber fatal. konnte. Der Haushalt 1997 für diesen Einzelplan liegt nun- (Lachen bei der SPD - Wilhelm Schmidt mehr bei 7,651 Milliarden DM. Es kommt jetzt darauf [Salzgitter] [SPD]: Haben Sie eben nicht an, diese Mittel wirklich optimal einzusetzen. Wir ha- zugehört?) ben, Herr Kollege Dr. Schnell, in der Vergangenheit immer wieder erlebt, daß bei bestimmten Vorhaben Wenn hier im Rahmen der Gesamtdebatte über Verzögerungen in der Abwicklung auftraten und wir den Haushalt auch unter Spargesichtspunkten disku- am Ende eines Jahres Haushaltsreste hatten. Es tiert werden mußte, dann spiegelt sich diese Diskus- bleibt deshalb abzuwarten, wie sich der Haushalts- sion sehr wohl auch im Einzelplan 23 wider. Schon vollzug 1996 entwickelt. vor dem Berichterstattergespräch im September, das mit großer Sachlichkeit und auch in großer Überein- Es ist für mich schon ein Ärgernis, daß vor einem stimmung geführt wurde und für das ich mich bei Jahr auf uns großer Druck seitens der Europäischen den Kollegen ausdrücklich bedanken möchte, haben Union ausgeübt wurde, um den deutschen Beitrag die Gespräche mit den Vertretern der Nichtregie- für den Europäischen Entwicklungsfonds nachhaltig rungsorganisationen und auch mit einzelnen Bot- zu erhöhen. Jetzt stellen wir erneut fest, daß von den schaftern gezeigt, daß diesmal manche Wünsche of- angeblich so dringend benötigten 892,5 Millionen fenbleiben müssen, weil die dafür notwendigen Fi- DM 1996 wohl nur 430 Millionen DM abfließen wer- nanzmittel nicht verfügbar sind. den. Der Finanzminister kann sich darüber zwar freuen, aber das Geld hätten wir im Entwicklungshil- Man kann aber auch feststellen, daß die Einsicht feetat für andere Dinge dringend gebraucht. bei den Betroffenen größer ist als bei manchem Ver- treter der Opposition. Manch einer sollte sich schon (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. fragen, ob es Sinn macht, jetzt noch Erwartungen zu sowie bei Abgeordneten der SPD) wecken, die nicht erfüllbar sind und die zugleich Der im Vorjahr eingeführte Deckungsvermerk durch ihre Überzogenheit das bisher Erreichte noch beim Europäischen Entwicklungsfonds kann in 1996 entwerten. und auch in den Folgejahren für die finanzielle Zu- Der Maßstab bei der Beurteilung unserer Entwick- sammenarbeit genutzt werden. Wir haben hier eine lungshilfe kann eben nicht nur beim Haushaltsvolu- Abarbeitung von rund 38 Milliarden DM Verpflich- men selbst oder etwa bei der umstrittenen ODA- tungsermächtigungen, die sich möglicherweise auch Quote angelegt werden. Mehr denn je muß Qualität, in Zukunft schneller abwickeln werden. Aber wieviel Barmittel bei der finanziellen Zusammenarbeit 1997 das heißt für mich: Effektivität und Effizienz, und vor allem auch die Nachhaltigkeit unserer Hilfe im Vor- tatsächlich fließen müssen, kann niemand vorhersa- gen. dergrund stehen. Mit 2,262 Milliarden DM für diesen Bereich haben (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: China!) wir sicher eine vorsichtige Veranschlagung vorge- Wir können nicht darauf verzichten, daß unsere Hilfe nommen. Der Mittelabfluß kann aber gesteuert wer- wirklich um die Selbsthilfe ergänzt und letztendlich den. Deshalb ist eine Abrufplanung noch exakt zu er- durch sie ersetzt wird. arbeiten. Sollte zusätzlicher Finanzbedarf auftreten, so wäre eine Deckung über nicht benötigte Mittel Als eine der führenden Industrienationen tragen aus dem Europäischen Entwicklungsfonds möglich wir eine besondere Mitverantwortung für die Stär- oder aber durch den Verkauf von Forderungen an kung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die wir zunächst Entwicklungsländer und ihre Einbindung in die einmal bis zu 250 Millionen DM freigegeben haben. Weltwirtschaft. Dies ist der wirksamste Weg zur Ar- mutsbekämpfung sowie zur Krisen- und Konfliktvor- Jährlich fließen uns turnusmäßig allein 1,2 Mil- liarden DM Tilgungszahlungen aus der beugung in der Dritten Welt. Eine erfolgreiche Stabi- bilateralen litätspolitik bei uns kommt mittel- und langfristig finanziellen Zusammenarbeit mit den Entwicklungs- auch den Entwicklungsländern zugute, weil wir nur ländern wieder zu. Sie fließen, Herr Kollege Dr. Schnell, in den Einzelplan 23 und damit direkt in so zusätzlichen Freiraum für größere finanzielle Lei- stungen bei uns erreichen. die Entwicklungshilfe. Sie versetzen uns in die Lage, revolvierend wieder tätig zu werden. Das heißt, hier Starke Geberländer sind der beste Garant für eine gehen keine Gelder in den großen Sack des Bundes- dauerhafte, erfolgreiche wi rtschaftliche Zusammen- finanzministers, sondern direkt in dieses Haus und arbeit. Dies gilt auch vor dem Hintergrund einer star- kommen anderen Entwicklungsländern wieder zu- ken D-Mark. Ohne allerdings eine Politik der Schul- gute. denbegrenzung bei uns lösen wir nicht die Schulden- Wären wir dem SPD-Antrag gefolgt und hätten wir problematik der Dritten Welt. Dies wollen und müs- für die finanzielle Zusammenarbeit 624 Millionen sen wir auch vor dem Hintergrund der gemeinsamen DM mehr im Haushalt ausgewiesen, wäre damit der Währungsunion mit ihren Sparzwängen und mit ih- Entwicklungshilfeetat weit über den Ansatz für 1996 ren Stabilitätskriterien sehen. Dies wird ebenfalls ein hinausgewachsen. Gewinn für die Länder der Dritten Welt sein. Eine Gefälligkeitspolitik ohne Rücksicht auf unsere ei- (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Das war gene Leistungsfähigkeit wäre aber auch bezüglich gewollt!) 12756 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Michael von Schmude Wir hätten dies ohne Deckungsschwierigkeiten tun Ein genereller Schuldenerlaß, wie er jetzt wieder können. Wir hätten nur den Forderungsverkauf zu gefordert wird, gegenüber den ärmsten Ländern, wo- erhöhen brauchen und damit eine bessere Optik her- möglich noch ohne Rücksicht auf die jeweiligen Ver- gestellt. Wir haben das nicht getan, weil es erhebli- hältnisse, kann nicht ernsthaft in Betracht kommen. che Zweifel an der tatsächlichen Höhe der erforderli- Die Einzelfallprüfung ist schon deshalb notwendig, chen FZ-Mittel und ihre Verteilung auf die Haus- weil sich die Hälfte der 30 ärmsten Länder der Welt haltsjahre 1996 und 1997 gibt. Deshalb ist der von in der Hitliste derer, die den höchsten Prozentanteil uns vorgesehene Weg solider. Tatsächlich - das ist ihres Bruttosozialproduktes für Rüstungsausgaben meine Einschätzung - dürfte der Haushaltsvollzug aufwenden, unter Platz 1 bis 60 wiederfinden. Un- 1997 wohl dem von 1996 entsprechen. sere Entwicklungshilfe war und ist immer ein Stück Friedenssicherung. Das soll auch so bleiben. Die Zeiten knapper Haushaltsmittel erfordern in- telligente Lösungen. Die für die Kapitalerhöhung bei Das, was im Haushalt abgesenkt wurde, geht nicht der DEG vorgesehenen 40 Millionen DM haben wir an die Kernsubstanz unserer Entwicklungshilfe. Am einvernehmlich im Einzelplan 23 umgeschichtet. stärksten sind die Kürzungen mit 200 Millionen DM Gleichzeitig haben wir durch eine Genehmigung, zu Lasten der multilateralen Titel vorgenommen wor- den Kapitalmarkt stärker zu nutzen, die DEG in die den. Im Haushaltsausschuß besteht seit langem Ein- Lage versetzt, ihr Geschäftsvolumen statt um diese vernehmen darüber, daß die multilaterale Hilfe im 40 Millionen DM um 600 Millionen DM auszuweiten. Verhältnis zur bilateralen zu stark angewachsen ist. Ich glaube, das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man Niemand kann von uns erwarten, daß wir ange- auch bei knappem Geld etwas tun kann, um die An- sichts der gegebenen Rahmenbedingungen, nämlich strengungen in der Entwicklungshilfe auszuweiten. unseres großen Engagements in Osteuropa ein- Die vorgesehene Teilprivatisierung der DEG eröffnet schließlich der vorübergehenden Aufnahme von fast im übrigen zusätzliche Möglichkeiten. 500 000 Bürgerkriegsflüchtlingen - von den abge- lehnten und nicht zurückgeführten Asylbewerbern Ein großer Kreis deutscher Firmen hat in den letz- ich hier gar nicht reden -, nicht auch unsere ei- ten Tagen und Wochen zum Ausdruck gebracht, wel- will gene Leistungsfähigkeit realistisch einschätzen und che Bedeutung die deutsche Wi rtschaft der Entwick- daraus angemessene Konsequenzen ziehen. Alles lungshilfe beimißt. Wir wissen, daß etwa 85 Prozent andere wäre verantwortungslos und keine Grund- unserer Entwicklungshilfeleistungen deutsche Ar- lage für eine auch in Zukunft erfolgreiche Entwick- beitsplätze sichern. lungspolitik. Nun haben wir in den vergangenen Jahren - Herr Ich danke zum Abschluß Herrn Minister Spranger Kollege Dr. Schnell hat darauf schon verwiesen - ge- und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür, meinsam mit allen Kolleginnen und Kollegen im daß auch in schwierigen Haushaltsjahren stets eine Fachbereich nach Wegen gesucht, wie die Schulden- erfolgreiche Politik der wirtschaftlichen Zusammen- problematik der Dritten Welt gelöst werden kann. arbeit mit der Dritten Welt geleistet werden konnte. Die Bundesregierung hat erfolgreich die Position die- Ich bin sicher, daß das auch in Zukunft so bleiben ses Parlaments vertreten. Jetzt ist die Schuldenerlaß wird. quote bei den extrem hoch verschuldeten ärmsten Ländern vom Pariser Club auf nunmehr 80 Prozent Die Koalitionsfraktionen stimmen dem Einzelplan 23 angehoben worden. Auf diesem Weg müssen wir zu. weitergehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vorrangig allerdings müssen wir bilateral eine endgültige Bereinigung der übernommenen DDR Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt Forderungen gegenüber den Entwicklungsländern die Kollegin Antje Hermenau. vornehmen. Hier kommt den Verhandlungen mit Kuba schon wegen des Volumens von 820 Millionen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Transferrubeln eine besondere Bedeutung zu. Ich er- Antje Hermenau warte von der Bundesregierung, daß diese Verhand- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch lungen, die inzwischen aufgenommen worden sind, ich möchte Herrn Minister Spranger danken, und beschleunigt geführt werden. zwar dafür, daß er im Kabinett ein hohes Maß- an Dul- dungsfähigkeit bewiesen hat. Trotzdem aber konnte Wir haben als Berichterstatter einvernehmlich er nicht mehr herausholen. auch in diesem Jahr eine Aufstockung des Limits für Ich weiß nicht, ob es nicht vielleicht besser gewe- den Erlaß von Schulden bei gleichzeitiger Durchfüh- sen wäre, Sie hätten versucht, mit Unterstützung der rung von nationalen Projekten der Armutsbekämp- Opposition im Kabinett mehr Widerstand zu leisten. fung und des Umweltschutzes vorgenommen. Statt Ich denke, das hätte der Entwicklungshilfe gut ge- 200 Millionen DM können nunmehr 210 Millionen tan, die ich in Zukunft nur noch „wirtschaftliche Zu- DM dafür eingesetzt werden, und der Empfänger- sammenarbeit" nennen möchte, da ich glaube, daß kreis wurde um die Länder mit einem Pro-Kopf -Ein- das angemessener ist. kommen bis 2 895 Dollar im Jahr erweitert. Dieses In- strument hat großes Interesse bei den Entwicklungs- Für mich tut sich, was den Einzelplan 23 betrifft, ländern gefunden. Wir spielen als Nation auch hier als nüchterne Einschätzung nach der Kenntnis- eine Vorreiterrolle in der internationalen Gläubiger- nahme von Zahlen - und Zahlen ernüchtern unge- gemeinschaft. mein - folgendes, wirklich freudloses und verheeren- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12357

Antje Hermenau des Fazit auf: Es gibt kein Managementkonzept für Das Ergebnis ist: Die wirtschaftliche Zusammenar- den Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit beit funktioniert so, daß der Steuerzahler den Erhalt nach dem Ende des Kalten Krieges. seines eigenen Arbeitsplatzes in Deutschland finan- ziert, weil die Produkte dorthin geliefert werden. Die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Chinesen hingegen denken finanzpolitisch mittelfri- Es gibt keine Konzeption zur Europa- und Entwick- stig: Sie bauen die U-Bahn in Teheran - sie haben lungspolitik. Das BMZ und sogar der Minister wer- das Projekt an Land gezogen - und sparen in Shang- den nach und nach durch Tatsachen und Zahlen de- hai unheimlich viel Geld, weil die Deutschen so tolle montiert. Und es gibt ein ziemliches Tohuwabohu in Kreditbedingungen gewährt haben. dieser Koalition, sieht man sich nur einmal Fragen Ich finde, das ist ein bemerkenswe rter Vorgang. Es des Exports und der Arbeitsplätze sowie andere hat meines Erachtens etwas damit zu tun, daß die grundsätzliche Fragen der Wi rtschaft an. Ich denke, Politik des weiteren Ministers, der im Kabinett eben- daß hier die Globalisierungspanik grüßen läßt. falls nicht ernst genommen wird, des Kollegen Rex- Ich erinnere mich noch an die Zeit, als wir versucht rodt, haben, auf unser magisches Ziel, die 8 Milliarden (Widerspruch und Lachen bei der F.D.P.) DM nicht zu unterschreiten, hinzuarbeiten, und die Lage immer verzweifelter wurde. Jetzt reden wir nur nicht mit dem zusammenpaßt, was entwicklungspoli- von der Hälfte dessen, was wir - das heißt Regie- tisch in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit not- rungskoalition bzw. Bundesregierung - eigentlich er- wendig wäre. Sie können Ihre Politik nicht mehr ko- reichen wollten, nämlich 0,7 Prozent des Bruttosozial- ordinieren; Sie schweben zwischen verschiedenen produktes. Davon sind wir weit entfernt. Wir entfer- Grundprinzipien. Diese Konzeptionslosigkeit erken- nen uns immer weiter von unserem Ziel; die Schere nen wir immer daran, daß die Streichungsanträge wird immer größer. nicht mehr nachvollziehbar sind. Sie müssen einmal Es ist eigentlich selten, daß sich hier eine Haushäl- Ordnung in Ihre konservative Politik bringen, damit terin so klar und deutlich, fast wie ein Mitglied des sie berechenbar wird. Es kann doch nicht sein, daß AWZ, artikuliert. Aber was diesem Einzelplan ange- Sie der Opposition Chaos vorwerfen, obwohl Sie sel- tan worden ist, ist einfach nicht mehr zumutbar. Wir ber welches verursachen. haben hier ein Ministe rium, das auf hohem Niveau Ich finde, wir hätten uns diese Einigelung sparen dahinsiecht und handlungsunfähig ist. Seine Aufga- sollen, die stattgefunden hat, indem das Transform- ben werden ad absurdum geführt, und der Minister Programm, ein Programm, das der Erweiterung des sieht - leider! - ziemlich blaß aus, weil er Verpflich- europäischen Kulturkreises und seiner Selbstdefini- tungen für das nächste Jahr nicht mehr einhalten tion dienen sollte, gekürzt wurde. Wir hätten eigent- kann. lich auch nicht im Bereich der Entwicklungshilfe kür- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zen dürfen. Statt dessen aber wird in beiden Berei- sowie bei Abgeordneten der SPD) chen gekürzt: Sie fahren die Mittel für die Einigung Europas und die Mittel für das Engagement in der Ich gehe einmal auf einige Prinzipien dieser wirt- Welt zurück. schaftlichen Zusammenarbeit ein, um auch den Leu- ten, die sich nicht täglich damit beschäftigen, klarzu- Sie denken, daß die Einigelung des westeuropäi- machen, worum es geht. schen Kulturkreises Sie davor retten wird, daß die Europäer nach fünf Jahrhunderten der Kolonisation Die Chinesen zum Beispiel haben für den U-Bahn- in der Pflicht sind, sich friedlich in den Weltprozeß Bau in Shanghai prima Finanzierungsbedingungen einzuordnen. Dem entziehen Sie sich, und das nen- bekommen: Sie zahlen 0,75 Prozent Zinsen, haben nen Sie auch noch Politik. Ich verstehe überhaupt für die Rückzahlung 40 Jahre Zeit und müssen erst in nicht, wie Sie allein mit Ihrem christlichen Gewissen 15 Jahren mit der Tilgung beginnen. Eine solche Kre- arbeiten können und glauben können, daß das eine ditvergabe ist, glaube ich, für ein Land wie China Handlungsmotivation ist, die Sie für diesen Bereich nicht mehr angemessen. verantwortlich machen können. Witzig dabei finde ich, daß man hier ein kommuni- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, stisches System unterstützt. Die U-Bahn kann auf der SPD und der PDS) Grund der niedrigen Fahrpreise - dies ist eine soziali- stische Maßnahme, die in China durchgehalten Da empfiehlt der Bundeskanzler bei einem Kon- wird - nicht gewinnbringend sein. Die Chinesen wer- flikt in Afrika: Das sollten die Franzosen regeln; die den also wirtschaftlich unterstützt. Warum kann hätten da noch alte Rechnungen offen. Mein Gott, dann nicht auch mit Kuba eine wirtschaftliche Zu- die Afrikaner sind gerade dabei, die Grenzen, die sammenarbeit aufgenommen werden? So weit liegen durch die Kolonisation entstanden sind, neu zu zie- diese beiden Systeme nicht auseinander. Jetzt fährt hen. Das verläuft so unblutig oder so blutig, wie die sogar der Papst nach Kuba. anderen Kulturkreise sich in diese Angelegenheit einmischen werden. Ich finde, die Europäer sind hier Mit sehr geringen Mitteln hätte man in Kuba viel in der Pflicht, und zwar alle. Die Deutschen hätten zur Verbesserung der Menschenrechtslage beitragen sich hier auf Grund ihrer Geschichte, in der es wenig können. In China werden sehr viele Mittel einge- Kolonisation gab, eigentlich sogar besser engagieren setzt, und dort erreichen wir nur ganz kleine Schritte können. hinsichtlich der Verbesserung der Menschenrechts- lage. Ich finde schon, daß man darauf eingehen muß. (Zurufe von der CDU/CSU: Wie denn?) 12758 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Antje Hermenau Ich bin darüber sehr enttäuscht. - Herr Kollege, Sie wissen genau, was gegenwärtig verhandelt wird. Ich komme noch zu einem anderen Punkt. Die Kri- tik, die ich hier angebracht habe, klingt wenig nach (Günter Verheugen [SPD]: Nein!) Haushälterkritik. Sie ist aber leicht nachvollziehbar; denn in dem Papier, das wir so lange - ein Vierteljahr - Für einen Haushälter sind Sie aber sehr schlecht in- lang - und mühsam erarbeitet haben, ist verklausu- formiert. liert die Zahlungsunfähigkeit und auch die Zah- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ange- lungsunwilligkeit in diesen Bereichen der wirtschaft- sichts der knappen Kassen fragen uns die Bürger im- lichen Zusammenarbeit durch die Bundesregierung mer eindringlicher: Warum gebt ihr 7,7 Milliarden dokumentiert. Sie können Verträge nicht mehr frist- DM für Entwicklungspolitik aus? gerecht bedienen. Fragen Sie die Wirtschaftsvertre- ter in der Welt doch mal, was sie davon halten, wenn (Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ das Signal kommt: Die Deutschen sind nicht in der NEN]: Das ist viel zuwenig!) Lage, ihre Zahlungen für Projekte, die abgeschlossen sind, zuverlässig zu leisten. Es gibt dafür erstens eine moralische Begründung. Man muß sie nicht darstellen; man muß nur die Zei- Vor diesem Hintergrund frage ich mich natürlich, tungen lesen: Kontinente, die in Unordnung geraten, wie Sie alle hier auftreten und so tun können, als sei Menschen auf der Flucht, Armut, Menschen, die das eine ganz normale Sparmaßnahme in einem keine Lebenschancen haben - allein dies wäre ganz normalen Einzelplan. Sie haben kulturell und Rechtfertigung für Entwicklungspolitik. weltpolitisch einfach versagt. Es gibt aber noch einen zweiten Grund. Entwick- Danke schön. lungspolitik liegt auch in unserem eigenen Interesse. Wir in Deutschland und Europa können nicht auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Dauer in Freiheit und Wohlstand leben, wenn in an- bei der SPD und der PDS) deren Teilen der Welt eine soziale und ökologische Zeitbombe tickt.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Wenn Menschen aus ihrer Heimat fliehen, weil die jetzt der Abgeordnete Kohn. sozialen Systeme in ihren Ländern zusammenbre- chen, hat dies Konsequenzen für uns. Wenn Men- schen im nackten Kampf ums Überleben Tropenwäl- Roland Kohn (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine sehr der abholzen, hat das Konsequenzen für das Klima verehrten Damen und Herren! Ich denke, auch in ei- auf der Erde. Wenn Hunderttausende durch Kriege ner so schnellebigen und geschäftsmäßigen Zeit, in oder Bürgerkriege aus ihrem Land vertrieben wer- der wir heute leben, ist es angemessen, in einer ent- den, haben diese Wanderungsbewegungen Konse- wicklungspolitischen Debatte, wie sie heute stattfin- quenzen bei uns. Vor diesem Hintergrund halten wir det, daran zu erinnern, daß sich unser verstorbener fest daran: Entwicklungspolitik ist ein wichtiges Ziel Vizepräsident Hans Klein in der Vergangenheit in unserer Arbeit. ganz besonderer Weise für die Entwicklungspolitik engagiert und auch do rt bleibende Zeichen gesetzt (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) hat. Wir denken gern an seine Arbeit zurück. Welches sind die Ziele liberaler Entwicklungspo- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und litik? Dort, wo Menschen ums nackte Überleben der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS) kämpfen, leisten wir Nothilfe und direkte Armutsbe- kämpfung. Das wird auch in Zukunft so sein. Mittel- Ich möchte mit einem dreifachen Dank beginnen fristig müssen wir aber immer stärker umsteuern in und erstens dem Bundesminister Spranger für die Richtung Hilfe zur Selbsthilfe. Entwicklungsländer faire und konstruktive Zusammenarbeit auch im zu- sollen nämlich nicht ewig am Tropf der Industrielän- rückliegenden Jahr danken. Ich möchte zweitens der hängen. Wir wollen helfen, die Lebensbedingun- dem Vorsitzenden unseres Ausschusses, Herrn Kolle- gen der Menschen zu verbessern, und wir wollen da- gen Dr. Lischewski, für die sachliche und objektive durch zugleich die Entwicklungsländer in die Lage Art und Weise danken, in der er unsere Arbeit leitet. versetzen, sich selbst zu helfen. Vornehmstes- Ziel der Entwicklungspolitik muß es nämlich sein, sich lang- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU fristig überflüssig zu machen. und der SPD) Wie wollen wir dies erreichen? Wir setzen auf Ich möchte drittens meinem Fraktionskollegen Jür- marktwirtschaftliche Instrumente. Das heißt: Länder- gen Koppelin für das freundschaftliche Zusammen- strategien statt Einzelprojektitis, Aufbau marktwirt- wirken in dieser wirklich schwierigen Frage und Zeit schaftlicher Strukturen, Rechtssicherheit, Ausbau ein herzliches Dankeschön sagen. des Dienstleistungs- und Finanzsektors, Kleinkredit programme, privatwirtschaftliche Infrastrukturpro- (Zuruf von der SPD: Wo ist der denn?) jekte, Ausbildung zum Unternehmer und - beson- - Sie wissen genau, daß der Haushaltsausschuß ge- ders wichtig - Frauenförderung, weil alle Erfahrung, genwärtig berät. die wir gemacht haben, lehrt, daß Programme mit Frauen sehr viel wirksamer sind, als das mit Män- (Zuruf von der SPD: Wir sind auch hier!) nern der Fall ist. Das müssen wir unseren Ge- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12759

Roland Kohn schlechtsgenossen selbstkritisch ins Stammbuch Aber auch bei uns selbst, meine sehr verehrten Da- schreiben. men und Herren, müssen wir noch effizienter mit den Steuergeldern umgehen. Deswegen fordern wir we- Mitentscheidend aber für die Zukunft der Entwick- niger Einzelprojekte, weniger bürokratischen Auf- lungsländer ist ihre uneingeschränkte Teilnahme am wand, eine vernünftige Aufgabenteilung zwischen freien Welthandel. Sie müssen die Möglichkeit be- nationalen, europäischen und internationalen Orga- kommen, ihre Produkte auf unseren Märkten abzu- nisationen. Wir brauchen auch mehr Wettbewerb um setzen. Dies gilt auch und gerade für die Europäische die Durchführung von Projekten zwischen allen Pro- Union. jektträgern staatlicher, halbstaatlicher und privater Natur. Deswegen bin ich für ein konsequentes, wett- Es ist schon darauf hingewiesen worden, welch bewerblich organisiertes Ausschreibungsverfahren. wichtige Rolle privates Kapital spielt. Allein aus Nichtregierungsorganisationen und politische Stif- Deutschland waren dies im letzten Jahr, wenn ich tungen - darauf hat Graf Lambsdorff hingewiesen - recht orientiert bin, über 20 Milliarden DM. werden in Zukunft deshalb eine immer wichtigere Welche Rolle, meine Damen und Herren, spielen Rolle spielen. die Menschenrechte bei dieser Frage? Schließlich: Wieviel Entwicklungspolitik wollen (Zuruf von der CDU/CSU: Gute Frage!) wir uns leisten? Wir stellen im nächsten Jahr über den Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaft- Liberale Entwicklungspolitik steht für die Unteilbar- liche Zusammenarbeit und Entwicklung rund keit von Menschenrechten. Eine kulturelle Relativie- 7,7 Milliarden DM zur Verfügung. Dies ist weniger rung von Menschenrechten gibt es mit uns jedenfalls als in den vergangenen Jahren. Aber wir Liberalen nicht. lehnen eine Beurteilung der Entwicklungspolitik ausschließlich nach quantitativen Maßstäben ab. Es (Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ kommt vielmehr auf die Qualität der Politik an, und NEN]: Da sagen Sie mal in China die stimmt, meine sehr verehrten Damen und Her- Bescheid!) ren. Wir setzen uns für mehr Demokratie in den Entwick- (Beifall bei der CDU/CSU) lungsländern ein, aber das bedeutet nicht einfach die simple Übertragung westlicher Modelle, sondern das Auch in finanziell schwierigen Zeiten engagieren heißt schrittweise Erreichung und Durchsetzung der sich die Liberalen aus Überzeugung für die Entwick- Teilnahme von Menschen am politischen Prozeß un- lungspolitik, denn wir müssen verantwortungsbe- ter Berücksichtigung örtlicher Traditionen. wußt die Zukunft der einen Welt gestalten, in der wir leben. Deshalb bleibt für uns das Bundesministerium (Wolfgang Schmitt [Langenfeld] [BÜND für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Geschickt formu lung das wahre Zukunftsministerium. liert!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Vor diesem Hintergrund müssen wir feststellen, Wolfgang Schmitt [Langenfeld] [BÜND daß sich die Menschenrechtslage in Nige ria, um ein NIS 90/DIE GRÜNEN]: Halleluja!) Beispiel zu nennen, nicht verbessert hat. Ich fordere deshalb die Bundesregierung dazu auf, am strikten Kurs der Sanktionen gegenüber einem verbrecheri- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat schen Militärregime festzuhalten. jetzt der Abgeordnete Willibald Jacob. (Beifall bei der F.D.P. und dem BÜNDNIS (Zuruf von der CDU/CSU: Uns bleibt auch 90/DIE GRÜNEN) nichts erspart!) Wie kann man Korruption und Verschwendung in der Entwicklungspolitik verhindern? Wir haben erste Dr. Willibald Jacob (PDS): Frau Präsidentin! Meine Schritte im nationalen Bereich in unserer Verantwor- Damen und Herren! Ich bin der Regierung in Gestalt tung getan, aber das Problem kann nur international von Herrn Bundesminister Spranger noch eine Ant- wort schuldig. Im September fragte er mich: Was le- gelöst werden. Deswegen müssen wir gemeinsam - mit der Bundesregierung dafür sorgen, daß es euro- gitimiert Sie, die Regierung in Sachen Entwicklungs- päische und internationale Regelungen gibt, um die- politik in dieser Art und Weise zu kritisieren? sem Krebsgeschwür Korruption wirksam entgegen- Meine Antwort zielt auf den Gegenstand der heuti- zutreten. gen Debatte, Wir fordern die st rikte Bindung der entwicklungs- (Zuruf von der CDU/CSU: Dazu haben Sie politischen Zusammenarbeit an den Gesichtspunkt lange gebraucht!) der guten Regierungsführung. Die Eliten in den Pa rt -nerländern sind in erster Linie für die Entwicklung in den Einzelplan 23, und die Art und Weise, wie die ihren Ländern verantwortlich. Wenn manche Poten- Regierung mit Menschen und Informationen um- taten glauben, sie könnten Millionen auf Schweizer springt. Ich bin dabei durchaus in der Lage, zwi- Bankkonten bunkern, während die Bevölkerung ih- schen Person und Sache zu unterscheiden, aber ich rer Länder hunge rt, dann muß dies Konsequenzen bin nicht dazu in der Lage, zwischen einem Bundes- für die Art unserer Zusammenarbeit haben. minister und der Regierung zu unterscheiden. 12760 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Dr. Willibald Jacob Die Regierung schafft eine Tabuzone - das ist der Frauen, zeigt sich auch in den Zahlen des Einzel- meine erste Antwort auf diese ernste Frage, die mir planes 23. gestellt worden ist -, in der mit Halbwahrheiten han- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Muß man sich tiert wird. Weder die Abgeordneten noch die Bevöl- hier jeden Quatsch anhören?) kerung bekommen ordentliche Informationen über Konflikte und deren Hintergründe in den Entwick- Die Mittel für die UN-Frauenorganisation sind auf lungsländern. 1,6 Millionen DM eingefroren. Generell soll der Haus- halt des Entwicklungshilfeministeriums noch einmal Sie erzählten mir etwas von den gewaltigen Aus- um 97 Millionen DM gekürzt werden. Dazu gehört die gaben für deutsche Entwicklungsprojekte in aller Kürzung der Mittel für die multilaterale Finanzierung, Welt. Wo aber bleibt die Einnahmenseite? Dabei geht in der noch wirkliche Hilfe möglich wäre. Das gleiche es nicht nur um den Staatshaushalt. Die deutsche gilt für die technische Hilfe der UNIDO. Hier verwei- Wirtschaft hat Einnahmen aus der Produktion und gert die Bundesregierung ihre Beiträge. dem Handel in Entwicklungsländern, die sich unse- (Armin Laschet [CDU/CSU]: Stimmt doch rer Kenntnis entziehen. Falls die Trennung von Staat gar nicht!) und Wirtschaft Ihre und unsere Unkenntnis verur- Aber deutsche Firmen werden auf bilateralem Wege sacht, dann ist etwas faul am System, dann wird wirt- unterstützt. Die PDS lehnt dies ab und bleibt bei ih- schaftliche Freiheit zur Willkür. rer radikalen Kritik der Entwicklungspolitik der Bun- desregierung. Aber auch der Staatshaushalt, der uns in Gestalt des Einzelplans 23 vorliegt, wirft in den Titeln 686 11 (Andreas Krautscheid [CDU/CSU]: Es ist ja und 866 05 durchaus viele Fragen auf. Wenn die auch schon Karnevalszeit!) deutsche Privatwirtschaft Subventionen aus Entwick- Diese Politik dient eher den Interessen der deutschen lungshilfegeldern bekommt: Warum legt sie nicht Re- Privatwirtschaft. chenschaft über ihre Gewinne ab? Beispiel: Im Blick Was bei dieser Art Wirtschaftspolitik für die Men- auf Uganda, Ruanda, Burundi und Ostzaire ist von schen herauskommt, habe ich jeden Tag in Mecklen- Hilfe der sogenannten Weltgemeinschaft die Rede. burg-Vorpommern vor mir. Wenn ich das Schicksal Warum wird nicht offengelegt, welche Interessen von Frauen und Mädchen in meinem Wahlkreis auf Deutschland, Frankreich, Belgien und die USA in das übertrage, was heute in den Entwicklungslän- dieser Region haben? Welche Bodenschätze spielen dern mit Frauen geschieht, und wenn ich sehe, wel- eine Rolle? Welche Menschen stehen im Wege? Etwa che Lasten ihnen auferlegt werden, dann weiß ich, wo die Hutu-Bevölkerung, deren Eliten schon von den die Ursachen für Armut und Arbeitslosigkeit zu su- deutschen Kolonialherren umgebracht wurden, weil chen sind - bei denen, die schreien: Haltet den Dieb! die Tutsis die besseren Führer waren? Aus der Globalisierungsdebatte können wir wahr- (Armin Laschet [CDU/CSU]: Was ist denn haftig eine Menge lernen: die Gleichförmigkeit der das für ein Unsinn!) wirtschaftlichen Interessen, die Armut erzeugen, und die Gleichförmigkeit der Schutzbehauptungen, mit Die christlichen Kirchen bringen mit ihrer Bil- denen von dieser Ursache abgelenkt wird. Die Bun- dungsarbeit für alle diese Rechnung durcheinander. desregierung und wir alle sollten das Zusammentref- Es ist doch eigentümlich, daß in einer pluralistischen fen von Fidel Castro und Papst Johannes Paul II. als Gesellschaft nur noch eine Meinung veröffentlicht ein Signal verstehen, daß es jenseits der heute gängi- und lanciert wird: Die Tutsis werden es schon rich- gen Vorstellungen von Entwicklung Wege gibt, die ten, und wir werden den Profit haben. beschritten werden können.

(Armin Laschet [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen Herr Kollege, den Quatsch aufgeschrieben?) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ihre angemeldete Redezeit ist abgelaufen. Was soll ein Ostdeutscher davon halten? Wenn mit Ostafrika das gleiche geschieht wie mit Ostdeutsch- Dr. Willibald Jacob (PDS): Ich schließe und sage: land, Der zweite Grund meiner radikalen Kritik ist das große C in Ihren Parteinamen. Das hat schon Männer (Lachen bei der CDU/CSU) wie Gustav Heinemann, Martin Niemöller- und Karl Barth zu dem Rat veranlaßt, es zu streichen. dann tobt hier ein Kampf um Land, Bodenschätze und Immobilien. Die Hilfe für Menschen ist nur eine Nebenbedingung. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, bitte. Sie müssen jetzt aufhören. (Zuruf von der CDU/CSU: Und die Erde ist eine Scheibe!) Dr. Willibald Jacob (PDS): Denn dieses Kriterium wird in der politischen und sozialökonomischen Pra- Ein weiteres Beispiel sind die Frauen und Mütter xis, die Sie zeigen, nicht angewandt. in den Entwicklungsländern. Sie sind zwar die letzte Stütze in Not und Bürgerkrieg. Aber werden sie als Danke sehr. ernsthafte Verhandlungspartner in Konflikten ange- (Beifall bei der PDS - Dr.-Ing. Dietmar sehen? Sie sind Verhandlungsmasse. Beides, die Kansy [CDU/CSU]: Den Sozialismus in sei mangelhafte Transparenz und die Vernachlässigung nem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12761

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat ten-Staudammprojekt in China. Noch bevor das Par- I jetzt die Kollegin Adelheid Tröscher. lament darüber beraten hat, gewährt die Bundesre- gierung Hermes-Bürgschaften für dieses ökologisch, ökonomisch und sozial zutiefst riskante Großprojekt. Adelheid Tröscher (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute abschlie- Hier gehen Sie von eigenen Grundsätzen ab, näm- ßend über den Einzelplan 23 beraten, dann heißt lich der Achtung der Menschenrechte, der Rechts- staatlichkeit und Rechtssicherheit, der Teilhabe der dies, wir haben es mit drastischen Kürzungen im Be- reich des Entwicklungsetats zu tun, die einmal mehr Bevölkerung an politischen Entscheidungen, des verdeutlichen, daß diese Bundesregierung nicht da- marktwirtschaftlichen Wi rtschaftssystems, der Ent- vor zurückschreckt, die immensen Haushaltslöcher wicklungsorientierung des staatlichen Handelns. Das national wie international zu Lasten der Schwachen sind Ihre eigenen Wo rte. zu stopfen. Einverstanden mit diesen Grundsätzen, aber für (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den Bau des Drei-Schluchten-Staudamms werden DIE GRÜNEN) über eine Million Menschen umgesiedelt. 140 Städte und 1 600 Fabriken werden überflutet. Fruchtbares Der Etat ist Ausdruck eines entwicklungspolitischen Flußland des Jangtse verschwindet usw., usf. Die ein- Rückschritts, ja eines Desasters und fördert die Zwei- malige Naturformation der Drei Schluchten wird zer- fel an der Glaubwürdigkeit der deutschen Entwick- stört. Historische Zeugnisse verschwinden unwieder- lungszusammenarbeit. bringlich. Von Alternativen zu dieser Gigantomanie Der Entwicklungsetat mit seinen nun noch ist nichts zu hören. 7,61 Milliarden DM entspricht heute wieder dem An- (Beifall bei der SPD - Armin Laschet [CDU/ satz von 1991. Dabei ist besonders bedauerlich, daß CSU]: Was hat das mit Entwicklungshilfe zu die Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit tun?) höher liegen als der generelle Rückgang der Bundes- ausgaben. Die wiederholten Ankündigungen von - Ich weiß wohl, daß das nicht in unserem Etat steht, Minister Spranger, zum Beispiel die Nicht-Regie- aber das hat natürlich auch etwas mit Entwicklungs- rungsorganisationen auf Grund ihrer gestiegenen hilfe zu tun. Wir wissen, daß Entwicklungshilfe auch Bedeutung für die bundesdeutsche Entwicklungszu- aus anderen Etats bezahlt wird. sammenarbeit verstärkt zu fördern, erweisen sich so- mit als reine Makulatur. Dieser Etat kommt einer Darüber hinaus isoliert sich die Bundesregierung schallenden Ohrfeige für den Minister gleich. Nichts auch noch inte rnational. Amerikaner, Japaner und war zu hören von Meinungsverschiedenheiten im auch die Weltbank verweigern Kredite. Nur die Bun- Kabinett oder gar von Ressortstreitigkeiten wie im desregierung unterstützt als einzige Regierung mit Fall des Kollegen Rühe. Dabei hätten Sie, Herr Mi- diesem Projekt ein Regime, das ständig die Men nister Spranger, eine gute Gelegenheit gehabt, sich scheurechte verletzt. als Anwalt der Nicht-Regierungsorganisationen zu Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Industrielän- profilieren. Genau diese Organisationen waren es der müssen ihrer besonderen Verantwortung für die nämlich, die Ihnen vor zwei Jahren öffentlich den Schaffung entwicklungsfördernder weltwirtschaftli- Rücken gestärkt, sich auf Ihre Seite geschlagen und cher Rahmenbedingungen und den Aufbau einer lei- gemeinsam mit Ihnen für eine Aufstockung des Ent- stungsfähigen, gerechten und solidarischen inte rna- wicklungsetats protestiert haben. Auf diese breite tionalen Wirtschaftsordnung nachkommen. Es liegt Unterstützung können Sie nun nicht mehr setzen. in unserem eigenen Interesse, daß wir globaler Wirt- Hier hätte es von Ihrer Seite eines eindeutigen Si- schaftsfairneß und weitreichenden Kooperationsfor- gnals bedurft. men in der Weltwirtschaft zum Durchbruch verhel- Damit wird auch zukünftig ein Mangel an notwen- fen. Deutschland und Europa werden ihre Anstren- digen Maßnahmen im Bereich der Förderung der Zi- gungen im Sinne von mehr Nachhaltigkeit verstär- vilgesellschaft - Hilfe-zur-Selbsthilfe-Projekte zum ken müssen. Beispiel - in den Entwicklungsländern sowie der ent- Entwicklungspolitische Maßnahmen auf deutscher wicklungspolitischen Bildungs- und Öffentlichkeits- und europäischer Ebene dürfen nicht länger von Res- arbeit in der Bundesrepublik herrschen, von einer sortinteressen der Agrar-, Außen-, Handels-, Um- Offensive in dieser Richtung ganz zu schweigen. - welt- oder Rüstungsexportpolitik behindert werden. Die Widersprüche in Ihrem Etat, Herr Minister, er- Entwicklungspolitik im umfassenden Verständnis lauben zudem Rückschlüsse auf die Bedeutung ge- muß also künftig und endlich als Querschnittsauf- zielter Lobbyarbeit. Wie ist es ansonsten zu erklären, gabe, die alle Politikfelder berührt, kohärent betrie- daß einerseits im Bereich der Kleinstprojekte ge- ben werden. Ich denke, mit dieser Auffassung bin kürzt, andererseits aber entwicklungspolitisch frag- ich noch nicht einmal so weit von Herrn Kohl ent- würdige Großprojekte wie der Bau des zweiten Ab- fernt. schnitts der U-Bahn in Schanghai mit 780 Millionen DM gefördert werden? Hier wurden sinnvolle und Dazu ist die Erhöhung des Stellenwerts der Ent- notwendige Entwicklungsprojekte deutschen Ex- wicklungspolitik in Gesellschaft, Parlament und Re- portinteressen geopfe rt. gierung vonnöten. Eine Renationalisierung bzw. Bila- teralisierung der Entwicklungszusammenarbeit muß Dies zeigt sich auch bei der Gewährung von Her- verhindert werden. Mehr Effizienz in internationalen mes-Bürgschafen für das umstrittene Drei-Schluch Organisationen ist auch durch eine größere Koopera- 12762 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Adelheid Tröscher tion mit den NROs und durch eine bessere parlamen- chen nicht einlöst, die Europäische Union nicht nach- tarische Kontrolle und Begleitung zu erreichen. haltig Hilfe leistet, kann dieses großartige Expe ri -ment der Demokratisierung nicht gelingen. Denn (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Schön wär's!) was nützt es, wenn wir durch verstärkte Entwick- lungshilfe die schwierige Situation versuchen zu sta- - Wir dürfen den Glauben nicht verlieren, Herr Schu- bilisieren und andererseits das wesentlich effektivere ster. Mittel der besseren wirtschaftlichen Kooperation mit Die Entwicklungsländer müssen damit fortfahren, Südafrika nicht nutzen, um die Gesamtsituation - ge- geeignete Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche rade für die schwarzen Bevölkerungsschichten - zu Entwicklung zu schaffen und Entwicklungshemm- verbessern. Entwicklungshilfe darf nicht fehlgelei- nisse abzubauen, und die Bereitschaft zeigen, vor al- tete Politik in anderen Bereichen bemänteln oder gar lem auf die eigenen Kräfte zu vertrauen. Die ent- gutheißen. wicklungspolitische Zusammenarbeit Deutschlands und der Europäischen Union, das heißt Volumen, In- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen den tensität, die Formen und Partner der Entwicklungs- Abwärtstrend des Volumens der deutschen Entwick- zusammenarbeit, sollte sich stärker und konsistenter lungszusammenarbeit stoppen und die Mittel im als bisher an Prüfsteinen bzw. Kriterien wie Reform- Sinne einer Investition in die Zukunft und Überle- fähigkeit - „good governance" auch genannt - und bensfähigkeit von Gesellschaften und als Beitrag der Achtung der Menschenrechte orientieren. Zivilisierung der einen Welt erhöhen. Hierzu ist es ebenfalls unabdingbar, die Entwicklungspolitik in Vor diesem Hintergrund gewinnt auch Entwick- Deutschland auf eine gesetzliche Grundlage zu stel- lungspolitik im engeren Sinne eine völlig neue Be- len. Der Gesetzentwurf meiner Fraktion hierzu liegt deutung, nämlich als Beitrag zu globaler Zukunftssi- Ihnen vor. cherung und Krisenprävention. (Roland Kohn [F.D.P.]: Wir brauchen Ideen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ keine Gesetze!) DIE GRÜNEN) Reformen tun not. Nur wenn wir unsere Politik Wir müssen in diesem Prozeß die Armuts-, Bevölke- heute grundlegend hinterfragen, sind wir in der rungs-, Öko- und Verschuldungskrisen entschärfen Lage, die Probleme der Zukunft zu bewältigen. helfen, umweltfreundliche Energiequellen fördern und mit den Entwicklungsländern bei der Umset- Ich danke Ihnen. zung der 1992 in Rio angenommenen Agenda 21 partnerschaftlich zusammenarbeiten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir müssen dauerhafte Entwicklungserfolge an- streben und deshalb auch verstärkt auf Nicht-Regie- rungsorganisationen bzw. nichtstaatliche Selbsthilfe- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat gruppen und -organisationen setzen. Insbesondere jetzt der Herr Bundesminister Carl-Dieter Spranger. müssen wir natürlich die Frauen bei der Stärkung ih- res Einflusses und ihrer Machtbefugnisse - „em- powerment" genannt - unterstützen. Carl-Dieter Spranger, Bundesminister für wirt- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau (Beifall bei der SPD) Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Einzel- Wir dürfen nicht immer nur sagen, daß sie der plan 23 für das Haushaltsjahr 1997 hat - wie die an- Schlüssel zur Entwicklungspolitik sind. Sie sind es deren Einzelpläne auch - drastische Einschnitte hin- wirklich. Deshalb muß dies auch in den Entwick- nehmen müssen. Die gesamten Haushaltsverhand- lungsprojekten entsprechend zum Ausdruck kom- lungen waren von den Erfordernissen der Haushalts- men. konsolidierung geprägt. Dies hat auch unsere fach- politischen Belange in den Hintergrund gedrängt. Ich denke hier besonders an Kleinstkreditpro- Wenn man die Mittelkürzungen beklagt, wie das gramme à la Grameenbank, die Frauen in die Lage Herr Dr. Schnell, Frau Hermenau und Frau Tröscher versetzen, ein menschenwürdiges Leben für sich und getan haben, dann muß man auch nach- den Ursa- ihre Familien aufzubauen. Die Gründung und Förde- chen fragen. Eine der entscheidenden Ursachen ist rung von Genossenschaftsbanken und Volksbanken natürlich die Blockadehaltung der rot-grünen Mehr- wären eine sinnvolle Entwicklungszusammenarbeit, heit im Bundesrat. finanzielle Zusammenarbeit und technische Zusam- menarbeit. (Beifall bei der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da lachen ja die Wir müssen in Entwicklungsländern mit entwick- Hühner! - Gegenruf von der F.D.P.: Das lungsförderlichen Rahmenbedingungen die „ver- zieht sich wie ein roter Faden durch die inselten" Projekte zugunsten der Erhöhung projekt- Debatte!) gebundener Maßnahmem für die Unterstützung poli- tischer und sozioökonomischer Reformen reduzieren. Ein Einsparvolumen von 5 Milliarden DM liegt blok Hier möchte ich ein Land erwähnen, das Hoffnung kiert im Vermittlungsausschuß. 7,2 Milliarden DM für einen ganzen Kontinent gibt: Südafrika. Wenn kostet dieses Jahr die uns aufgezwungene Erhöhung die Bundesregierung die hier gegebenen Verspre des Kindergeldes, für 1997 macht dies weitere Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12763 Bundesminister Carl-Dieter Spranger 3,8 Milliarden DM aus. Für dieses Geld hätte man im wir auch zukünftig tun -, daß wir international ein Einzelplan 23 viel zusätzlich investieren können. verläßlicher Partner sind. (Rudolf Bindig [SPD]: Sie waren zu lange Ich möchte einige Aspekte des Entwicklungshaus- auf dem CSU-Parteitag! - Antje Hermenau halts 1997 näher beleuchten. Bei der bilateralen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon hät staatlichen Zusammenarbeit bleibt die finanzielle ten Sie keine Mark gesehen!) Zusammenarbeit ein Instrument von zentraler Be- deutung. Um das Sonderproblem der 1997 zu erwar- - Da müssen Sie dann schon irgendwann die Wahl tenden hohen Abflüsse aus früheren Verpflichtungen treffen, Frau Hermenau, zwischen kurzfristigen ego- auffangen zu können, haben wir erreicht, daß die istischen Zielen und einer Politik der globalen Zu- Ausgaben bei der FZ um bis zu 250 Millionen DM kunftssicherung, wie es Frau Tröscher zu Recht be- verstärkt werden können. Diese Mittel werden durch schworen hat, und der Unterstützung der Menschen eine beschleunigte Rückzahlung der MW auf früher in den Entwicklungsländern. gewährte FZ-Darlehen verfügbar. Deutschland steht (Günter Verheugen [SPD]: Ist Kindergeld somit trotz gravierender Haushaltsprobleme zu sei- kurzfristig egoistisch?) nen Zusagen. Ich kann angesichts der Haltung im Bundesrat nur feststellen, daß sich die dortige Mehrheit gegen eine Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Minister, Entwicklungspolitik als Politik der globalen Zu- der Kollege Schuster möchte eine Zwischenfrage kunftssicherung entschieden hat. stellen. Gestatten Sie das? Im übrigen danke ich dem Kollegen Kohn für die richtige Beschreibung unserer Arbeit als Zukunftssi- Carl-Dieter Spranger, Bundesminister für wirt- cherung und des Ministeriums als Ministe rium der schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Ja, Zukunft. bitte sehr. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dr. R. Werner Schuster (SPD): Herr Minister, Sie Unter den erschwerten Rahmenbedingungen für haben gerade wieder ausgeführt, daß Sie die FZ ver- den Haushalt 1997 war es um so wichtiger, Planungs- stärken wollen. Vorhin haben der Kollege Schmude sicherheit für uns selbst und für unsere bilateralen und Herr Kohn - eigentlich unter unserer Zustim- und internationalen Pa rtner zu schaffen. Wir haben mung - gesagt: Wir brauchen mehr Qualität als deshalb die zusätzlichen Kürzungen nicht pauschal, Quantität. sondern gezielt und vor allem im multilateralen Be- reich umgesetzt, so, wie seit Jahren die Forderungen Ich bin nachdenklich geworden, als ich in dieser Woche zwei Art des Parlaments gelautet haben. Dies kommt nicht zu- ikel im „Handelsblatt" - sicherlich letzt der Unterstützung der Arbeit von Kirchen, poli- keine SPD-Postille - gefunden habe. Da schreibt das „Handelsblatt" aus Anlaß des Besuchs von Herrn tischen Stiftungen und privaten Trägern sowie der technischen Zusammenarbeit zugute, die mit nur Herzog in China, daß 4 Milliarden DM zu hinterfra- gen sind. Es heißt dann: 2,5 Prozent unterdurchschnittlich gekürzt wurde. Nicht nur Graf Lambsdorff hat diese Gemeinschafts- Bonn will sich nun von Projekten im Staatsindu- leistung zu Recht gewürdigt, Frau Tröscher, sondern striesektor verabschieden, da sie sich zum Faß auch die Kirchen und die Nicht-Regierungsorganisa- ohne Boden entwickeln. tionen haben dies ausdrücklich anerkannt. Meine erste Frage ist: Gilt das auch für die zuge- So gravierend die Einschnitte wirken, so schmerz- sagten Kanzlerprojekte? Heißt das auch Erhöhung lich sie sind, es gilt aber auch eines: Die Leistungsfä- der FZ-Mittel? higkeit der deutschen Entwicklungszusammenarbeit hängt von der Leistungsfähigkeit der deutschen Der zweite Artikel ist überschrieben mit: „Expor- Wirtschaft und von einer soliden Finanzlage ab. teure machen sich für Sprangers Projekte stark". Wollen Sie in Zukunft das Image eines Industriemini- (Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ sters haben, oder wollen Sie nach wie vor, wie Sie es NEN]: Die spricht von Expo rt !) immer darlegen, Entwicklungszusammenarbeit- orga- nisieren? Nur wenn die Wirtschaft wächst, das Steueraufkom- men steigt und unser Wohlstand erhalten bleibt, wer- (Roland Kohn [F.D.P.]: Was haben Sie gegen den ausreichende Spielräume für den Einsatz öffent- Arbeitsplätze in Deutschland?) licher Mittel im Ausland vorhanden sein. - Wenn Sie dokumentiert bekommen, Herr Kohn, (Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ daß sie offensichtlich wasted money sind, und das NEN]: Zeitlose Grundsatzrede!) auch noch im „Handelsblatt" steht, dann habe ich schon etwas dagegen. Im Haushalt 1997 war unser Beitrag zur Sicherung der deutschen Leistungsfähigkeit mit unseren globa- len Aufgaben der Zukunftssicherung in Einklang zu Carl-Dieter Spranger, Bundesminister für wirt- bringen. Wie schwierig dies war, haben die Diskus- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr sionen der letzten Wochen gezeigt. Aber wir haben Dr. Schuster, ich habe nicht erklärt, daß ich die Mittel bei allen Einsparmaßnahmen bewiesen - das müssen der FZ erhöhen will, sondern ich habe gesagt, daß 12764 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Bundesminister Carl-Dieter Spranger die FZ ein Instrument von zentraler Bedeutung ist Europäischen Entwicklungsfonds werden wir weiter- und das auch bleibt. hin auf eine effizientere Mittelverwendung drängen.

Zweitens. Für den Artikel im „Handelsblatt" bin Andererseits - Herr Dr. Schnell, ich hätte das so- ich nicht verantwortlich. wieso angesprochen - habe ich innerhalb der Bun- desregierung eine Überprüfung unserer Mitglied- Drittens haben wir immer zum Ausdruck gebracht, schaft in der UNIDO vorgeschlagen. Wir können daß unser Ziel die Entwicklung besserer Perspekti- nicht in unserem nationalen Verantwortungsbereich ven in den Entwicklungsländern ist. Wenn dabei als kürzen und verschlanken und das inte rnationale In- positiver Nebeneffekt Aufträge nach Deutschland stitutionensystem ungebremst wachsen lassen. gehen und damit Arbeitsplätze in Deutschland gesi- chert werden, dann ist das uns und dem Steuerzahler (Beifall bei der CDU/CSU) lieber, als wenn dieselben Aufträge mit deutschen Steuerzahlergeldern nach Frankreich, Amerika oder Wenn neue Institutionen wie die Sekretariate der nach Italien gehen. Wenn Sie eine andere Meinung Klimarahmenkonvention und der Konvention zur Be- vertreten, gehen Sie hinaus zu den Leuten und ver- kämpfung der Wüstenbildung, die wichtige Zu- suchen Sie, denen das zu erklären. kunftsaufgaben erfüllen, gegründet werden, dann müssen auch alle bestehenden Bürokratien auf den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Prüfstand. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war nicht die Frage!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Minister, Die finanzielle Zusammenarbeit hilft, wichtige gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen strukturelle Veränderungen in unseren Pa rtnerlän- Schmitt? dern umzusetzen und Voraussetzungen zu schaffen, auf denen andere Entwicklungsvorhaben aufbauen. In die FZ sind auch Teile unseres Anfang des Jahres Carl-Dieter Spranger, Bundesminister für wirt- vorgestellten Zukunftsprogramms zum Klimaschutz schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Ja, integriert. Das ist auch von Ihnen begrüßt worden. bitte. Dieses Programm dient wichtigen globalen umwelt- und entwicklungspolitischen Zielen und ist zugleich von großem Interesse für die deutsche Wirtschaft, die Wolfgang Schmitt (Langenfeld) (BÜNDNIS 90/DIE in diesem Sektor besonders wettbewerbsfähig ist GRÜNEN): Herr Bundesminister, ich frage Sie, ob Ih- und die sich das auch im internationalen Wettbewerb nen bei Ihrer Entscheidung, aus der UNIDO auszu- bestätigen lassen muß. Ausschließlich für sich zu pro- treten, bekannt war, daß diese Organisation gerade duzieren hat relativ wenig Sinn. Aus all diesen Grün- wegen der international laut gewordenen Kritik - zu- den muß die FZ ihren hohen Stellenwert in der deut- mindest wird das durch die verantwortliche Person schen Entwicklungszusammenarbeit behalten. bei den Vereinten Nationen, Herrn Paschke, bestä- tigt - im Laufe der vergangenen Jahre erhebliche Ein Wort zur Osteuropahilfe: Insgesamt werden im Anstrengungen unternommen hat, Ihrer Forde rung Federführungsbereich des BMZ 1997 genauso viel gerecht zu werden, ihre Effizienz zu steigern, Perso- Mittel für staatliche und nichtstaatliche technische nal abzubauen und zu einer besseren Bewirtschaf- Zusammenarbeit zur Verfügung stehen wie 1996. Ab tung ihrer Mittel zu kommen? Sind Sie nicht auch der dem kommenden Jahr wird die Arbeit der politi- Meinung, daß eine Totalsperrung der Mittel mögli- schen Stiftungen, Kirchen und anderen nichtstaatli- cherweise etwas über das Ziel hinaus schießt? chen Trägern auch in den weiter fortgeschrittenen MOE/NUS-Staaten aus dem Koordinierungsbereich des Wirtschaftsministeriums herausgenommen und Carl-Dieter Spranger, Bundesminister für wirt- im Haushalt des BMZ gebündelt. Das entspricht den schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Ich von vielen Fachleuten und auch aus dem Parlament hätte doch bis zum Schluß vortragen sollen; dann erhobenen Rufen, die Osteuropahilfe stärker zu kon- wäre die Frage möglicherweise überflüssig gewesen. zentrieren. Lesen Sie sich einmal die Satzung der UNIDO aus (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Eine dem Jahr 1966 durch! Dann werden Sie wissen, was sinnvolle Initiative!) da alles überholt ist. Sie ist wirklich eine Struktur aus der entwicklungspolitischen Anfangszeit. Diese Art Die Ausgaben im multilateralen Bereich gehen um von Politik kann jedenfalls ich nicht vertreten. 200 Millionen DM oder 7,7 Prozent deutlich zurück. Wir werden uns noch stärker auf die zentralen und Seit Jahren wird die Überprüfung der multilatera- leistungsfähigsten multilateralen Institutionen kon- len EZ von allen hier im Parlament immer wieder ge- zentrieren. fordert. Man solle die Effizienz und die Sinnhaftig- keit der verschiedenen Institutionen überprüfen, ins- Bei den Verhandlungen zu den konzessionären besondere auch die der UN-Institutionen. Ich habe Fonds der Weltbankgruppe und der regionalen Ent- eine Fülle entsprechender Debatten erlebt. Trotz un- wicklungsbanken wie IDA, Afrikanischer und Asiati- abweisbar notwendiger Einsparungen ist man scher Entwicklungsfonds wurde erreicht, daß das bis- gleichzeitig stur: Es muß so bleiben, wie es seit herige Ausleihevolumen trotz zurückgehender Ge- 30 Jahren auf allen Ebenen gewesen ist - zusätzlich berbeiträge im wesentlichen erhalten bleibt. Beim zu dem, was sich seit 30 Jahren entwickelt hat. Das Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12765

Bundesminister Carl-Dieter Spranger läßt sich - auf gut deutsch - auf Dauer nicht finanzie- Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion ren. Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6245? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsan- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) trag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge- gen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Minister, PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden. gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schnell? Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6246? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungs- Carl-Dieter Spranger, Bundesminister für wirt- antrag ist mit demselben Stimmenverhältnis abge- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Nein, lehnt worden. jetzt nicht mehr. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe Ich darf die Hinweise zu der überkommenen der PDS auf Drucksache 13/6262? - Gegenprobe! - Struktur noch ergänzen: Die Industrialisierung der Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Entwicklungsländer - in der Regel noch über staatli- Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei che und planwirtschaftliche Interventionen, wie da- Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen gegen die mals vorgesehen - ist schon in den 60er Jahren ge- Stimmen der PDS abgelehnt worden. scheitert. Wenn die UNIDO heute zusätzlich andere Aufgaben wahrnimmt, dann tut sie dies in Konkur- Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe renz zu anderen Institutionen, die sich zwischenzeit- der PDS auf Drucksache 13/6263? - Gegenprobe! - lich gebildet haben - die wir auch mitfinanzieren - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist und die besser gerüstet sind, weil sie von Anfang an mit dem eben festgestellten Stimmenergebnis abge- einen anderen Auftrag hatten. Wir müssen uns fra- lehnt worden. gen, ob wir diese Doppelarbeit weiterhin mit Wer stimmt für den Einzelplan 23 in der Ausschuß- 17 Millionen DM jährlich mitfinanzieren wollen. Des- fassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ein- halb habe ich ein Signal für die Prioritäten in der Ent- zelplan 23 ist damit mit den Stimmen der Koaliti- wicklungspolitik gesetzt. onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition an- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) genommen worden.

Zusammenfassend möchte ich festhalten, daß wir Ich rufe auf: trotz des Sparhaushaltes 1997 wichtige entwick- lungspolitische Akzente gesetzt haben. Unser Instru- Einzelplan 07 mentarium wurde effizienter gestaltet und besser an Bundesministerium der Justiz die aktuellen Herausforderungen angepaßt. - Drucksachen 13/6007, 13/6025 - Die Mittelausstattung entscheidet nicht allein über Erfolg oder Mißerfolg. Es geht um Strukturverände- Berichterstattung: rungen, die nur durch Eigenanstrengungen der Pa rt Abgeordnete Gunter Weißgerber -ner selbst und durch international abgestimmtes Vor- Manfred Kolbe gehen zu erreichen sind. Wir sind gezwungen, noch Oswald Metzger stärker Schwerpunkte zu setzen und den Mittelein- Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) satz dort zu konzentrieren, wo Verbesserungen wirk- lich Chancen haben. Einzelplan 19 Der Haushalt 1997 ist Anlaß, auch in der Entwick- Bundesverfassungsgericht lungspolitik die eigenen Möglichkeiten realistisch einzuschätzen. Mit einem verbesserten Instrumenta- - Drucksache 13/6025 - rium werden wir unseren Einfluß nachhaltig gestal- Zum Einzelplan 07 liegt ein Änderungsantrag der ten können. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Ich möchte zum Schluß allen Kolleginnen und Kol- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind legen, inbesondere den Mitgliedern des AwZ und für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. des Haushaltsausschusses für die gute Zusammenar- - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlos- beit in einer sehr schwierigen Situation Dank sagen. sen. Die Weichen dafür, daß wir bald wieder mit besseren Rahmenbedingungen rechnen können, sind gestellt. Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat der Ab- Wir werden an unserer gemeinsamen Aufgabe der geordnete Gunter Weißgerber das Wort. Zukunftssicherung weiterhin beharrlich arbeiten. Dabei bitte ich um Ihre Unterstützung. Gunter Weißgerber (SPD): Frau Präsidentin! Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan 07 - Bundesministerium der Justiz - ist zahlenmäßig einer der kleinsten, die wir haben. Aber das soll uns nicht Ich schließe da- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: dazu verleiten, zu glauben, er sei unbedeutend. Ich mit die Aussprache. denke, er gehört zu den bedeutenderen Einzelhaus- Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zu- halten. Werte wie Akzeptanz des Rechtsstaates sind nächst zu den Änderungsanträgen. hier unbedingt mit einzuordnen. So, wie wir mit dem 12766 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Gunter Weißgerber Haushalt und mit dem Justizbereich umgehen, so Wir bleiben natürlich bei unserer Forderung, daß wird letztendlich auch dieser Rechtsstaat akzeptiert dieses Kapitel schon jetzt gestrichen werden müßte. oder weniger akzeptiert. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Cem Zu den Zahlen selbst. Für 1997 sind im Haushalt Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) rund 706 Millionen DM an Ausgaben enthalten. Das Für uns sind Soldaten Staatsbürger in Uniform; sie entspricht einer Steigerung um 7,7 Millionen DM. benötigen keine eigene Gerichtsbarkeit. Diese Steigerung ist aber nicht auf Verbesserungen irgendwelcher Art zurückzuführen, sondern hat vor Ein weiterer Lichtschimmer: Der 5. Strafsenat des allen Dingen mit der zögerlichen Umsetzung der EU Bundesgerichtshofes und die Dienststelle des Gene- Reiserichtlinie durch die Bundesregierung zu tun. ralbundesanwaltes werden zum 1. Juli nächsten Jah- Dazu komme ich nachher noch. res ihre Arbeit in Leipzig aufnehmen. Dafür danke ich allen Beteiligten. Das ist eine wunderbare Sache. Zu den Investitionen im Haushalt selbst. Der Anteil Die Ostdeutschen merken an der Stelle, daß sie doch an Investitionen liegt bei rund 17 Prozent. Schwer- im Staatenverbund beheimatet sind. Das war ja da- punkte im Investitionshaushalt des Einzelplanes sind mals auch Sinn der Föderalismuskommission. Natür- der Bundesgerichtshof und die Außenstelle, der lich ist aus Leipziger Sicht das wesentlich wichtigere 5. Strafsenat in Leipzig, der Generalbundesanwalt in Gericht das Bundesverwaltungsgericht. Karlsruhe und die Außenstelle in Leipzig, das Deut- Zu Leipzig als Standort höchster Gerichte noch ein sche Patentamt und das Patentgericht in München Problem - ich möchte Sie als Leipziger nicht langwei- und der Seegerichtshof in Hamburg. len, aber das Problem muß angesprochen werden; Erfreulich ist für mich als Leipziger, daß erstmals ich hoffe, es ist das letzte Mal, daß ich es ansprechen der Beschluß der Föderalismuskommission bezüglich muß - : Es geht um die Bibliothek des Reichsgerich- des Bundesverwaltungsgerichtes im Haushalt auf- tes. Herr Minister, warum setzen Sie sich nicht ein- taucht. Für 1998 sind 10 Millionen DM Verpflich- fach mit Vertretern der Stadt Leipzig zusammen, ho- tungsermächtigung enthalten. len Rechtshistoriker und andere Fachleute dazu und ziehen eine konsensuale Linie, welcher Bestand der In diesem Zusammenhang bitte ich die Kollegen ehemaligen Reichsgerichtsbibliothek denn unbe- im Rechtsausschuß eindringlich, dafür zu werben, dingt nach Leipzig gehört und was für die Einrich- daß die beiden Wehrdienstsenate, die zur Zeit noch tung einer ordentlichen Bibliothek in Karlsruhe not- in München sind, letztendlich mit dem Bundesver- wendig ist. Ich bin überhaupt nicht gegen eine kon- waltungsgericht in Leipzig zusammengeführt wer- sensuale Lösung. Natürlich kann Leipzig nicht gänz- den, wenn das Bundesverwaltungsgericht ab 2003 in lich auf den Anspruch des historischen Buchbestan- Leipzig arbeiten wird. Da geht meine Bitte ganz ein- des verzichten. Immerhin wollte der Bundesgerichts- deutig an die Mitglieder im Rechtsausschuß, im Bun- hof ja überhaupt nicht nach Leipzig, weil er mit Leip- destag darauf hinzuwirken. zig angeblich nichts zu tun hat. Zum Haushaltsauschuß selbst. Wir sollten uns (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE schon überlegen, ob wir die Länge der Beratungen GRÜNEN und der PDS) besser gestalten können. In einer Bereinigungssit- zung über 20 Stunden sind die Ermüdungserschei- Ein kurzes Fazit der Beratungen im Haushaltsaus- nungen recht stark. Dabei kann es der Koalition und schuß bzw. der Berichterstattergespräche. Endlich anderen gelingen, Anträge einzubringen, die der gelang es uns, die Berichterstattergruppe komplett einzelne gar nicht mehr überblickt; sprich: Gemein- zu versammeln. Die letzten beiden Haushalte konn- schaftsaufgabe, die ja diese Woche noch einmal ten nur Herr Kolbe und ich im Berichterstatterge- Thema sein soll. spräch bearbeiten. Man sieht also: Wenn man will, gelingt es auch, die ganze Gruppe zusammenzubrin- Neben den jetzt lobend erwähnten Dingen gibt es gen. natürlich auch Schatten. Der Täter - Opfer - Ausgleich ist hochgradig gefährdet. Zwar sind 150 000 DM ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sperrt eingestellt. Die kommen aber letztendlich nur zur Auszahlung, wenn die Bundesländer ihrerseits Für das Klima und die Kollegialität in der Bericht- bereit sind, ebenfalls 150 000 DM bereitzustellen.- Es erstattergruppe sowie im Haushaltsausschuß danke ist im Gegensatz zu der Darstellung meines verehr- ich allen Beteiligten. Mein Dank geht auch an den ten Kollegen Kolbe nicht der Fall, daß nur das Saar- Bundesminister für sein Engagement, an seine Be- land nicht mitspielt. amten und natürlich an unsere Mitarbeiter im Aus- schußsekretariat. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bayern!) Es gab auch Hoffnungszeichen, Stichwort Wehr- Die ersten, die abgelehnt haben, waren die Bayern. strafgerichtsbarkeit. Noch ist dieses Kapitel zwar im Leider sind auch SPD-regierte Bundesländer dabei. Haushalt enthalten. Aber der Kollege Weng hat er- reicht, daß die Koalitionsfraktionen im Haushaltsaus- Die Begründung „abgelehnt wegen der Haushalts- schuß nun angestrengt darüber nachdenken, ob die- lage" ist nicht zu akzeptieren, wenn wir uns überle- ses Kapitel nicht im nächsten Haushalt verschwindet. gen, daß 150 000 DM als Gegenfinanzierung von 16 Langes Bohren hat also auch einmal Erfolg gebracht. Bundesländern nötig sind. Den größten Posten hat Dazu mein Dank an Kollegen Weng. NRW mit 37 000 DM; NRW ist aber bereit zu zahlen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12767

Gunter Weißgerber Auch Sachsen-Anhalt mit rund 2 000 DM ist bereit zu Es liegt noch ein Änderungsantrag des Bündnis- zahlen. So verteilen sich die Größenordnungen. Daß ses 90/Die Grünen vor. Darin wird gefordert: das Haushalte nicht leisten können, halte ich für ei- nen schlechten Witz. Im Kapitel 0704 - Bundesministerium - wird ein neuer Titel - Errichtung einer Stiftung zur Aufar- Insgesamt dient das natürlich nicht dieser Sache. beitung des DDR-Unrechts - mit einem Mittelan- Wir können an der Stelle nur noch einmal an die satz von 5 000 TDM eingestellt. Bundesländer appellieren, sich einen Ruck zu geben. Dieses Anliegen ist selbstverständlich in Ordnung. Das muß unbedingt finanziert werden. Es ist ja vor Nur, es ist kompliziert, und es gibt im gesamten Haus allen Dingen auch in deren Sinne. Es liegt nicht an zu viele unterschiedliche Interessen. Daher muß die- den Fraktionen hier im Haus. ses Anliegen viel solider diskutiert werden. Wir wer- Vorhin habe ich die Steigerung im Haushalt ange- den uns sicherlich nicht gegen eine solche Stiftung deutet, die der zögerlichen Umsetzung der EU - Reise- stellen. Aber es bedarf der Diskussion des gesamten richtlinie geschuldet wird. Es sind für nächstes Jahr Hauses. Nicht nur das Bündnis 90/Die Grünen ver- Mehrausgaben von 16 Millionen DM einzuplanen tritt die Opferverbände. gewesen; insgesamt macht es 20 Millionen aus. Das Eine andere Frage, die aber kein abschließendes hätte verhindert werden können, wenn die Bundes- Urteil beinhalten soll, stellt sich mir noch: Ist eine regierung nicht säumig gewesen wäre. Stiftung tatsächlich notwendig - dazu müßte vom (Beifall bei der SPD - Karl Diller [SPD]: Sie Gesamtkuchen etwas abgeschnitten werden -, oder sollten das aus ihrer eigenen Kasse bezah sollten wir die Opferverbände, die sich ja beispiels- len!) weise nicht einmal eigene Zeitungen leisten können, finanziell viel stärker unterstützen? Es gibt also viele Damit dies auch deutlich wird, nehme ich mir die Dinge, die noch zu diskutieren und zu regeln sind. Freiheit, einige Passagen aus dem Gerichtsurteil vor- Dieses Mal wird die SPD den Antrag ablehnen. Ich zulesen: hoffe, Sie verstehen das. Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof auf die (Karl Diller [SPD]: Du warst so überzeu ihm vom Landgericht Bonn mit Beschlüssen vom gend, die ziehen ihren Antrag jetzt zurück!) 6. Juni 1994 vorgelegten Fragen für Recht er- kannt: - Das wäre in Ordnung. Obwohl ich kein Jurist bin, möchte ich noch fol- 1. Sind keine Maßnahmen zur Umsetzung einer gende Gedanken äußern. Vielleicht begebe ich mich Richtlinie innerhalb der dafür festgesetzten Frist damit auf vermintes Gelände; aber darüber muß dis- getroffen worden, um das durch diese Richtlinie kutiert werden. vorgeschriebene Ziel zu erreichen, so stellt dieser Umstand als solcher einen qualifizierten Verstoß (Ina Albowitz [F.D.P.]: Es gibt auch sonst gegen das Gemeinschaftsrecht dar und begrün- noch anständige Menschen! - Dr. Wolfgang det daher einen Entschädigungsanspruch für die Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber nicht Geschädigten, soweit das durch die Richtlinie sehr viele! - Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: vorgeschriebene Ziel die Verleihung von Rechten Wer weiß!) an den einzelnen umfaßt, deren Inhalt bestimm- bar ist, und ein Kausalzusammenhang zwischen - Das sollte keine Unterstellung gewesen sein. dem Verstoß gegen die dem Staat auferlegte Ver- Wir werden mit bestimmten Diskussionen inner- pflichtung und dem entstandenen Schaden be- halb der Bevölkerung konfrontiert. Der Problematik steht. 2. Das durch Artikel 7 der Richtlinie 90/314/ der ungleichen Behandlung der Straftaten gegen EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschal- Personen im Verhältnis zu den Straftaten mit einem reisen vorgeschriebene Ziel umfaßt die Verlei- materiellen Hintergrund können wir nicht auswei- hung eines Rechts an den Pauschalreisenden, mit chen. Für dieses Problem habe ich keine Patentlö- dem die Erstattung der von diesem gezahlten Be- sung. Aber dafür gibt es ja die Fachjuristen hier im träge und seine Rückreise im Fall der Zahlungs- Haus. Wir müssen jedenfalls viel dafür tun, daß der unfähigkeit oder des Konkurses des Veranstalters Eindruck in der Bevölkerung verschwindet, das Mit- und/oder Vermittlers der Pauschalreise, der Ver- leid mit materiell geschädigten Opfergruppen- sei tragspartei ist, sichergestellt werden; der Inhalt größer als unsere Anstrengungen, potentielle Ge- dieses Rechts ist hinreichend bestimmt. waltopfer zu schützen. Diesen Eindruck müssen wir unbedingt ändern; dazu sind alle gefordert. Das Ver- 3. Nach Artikel 9 der Richtlinie 90/314 hätte der Mitgliedsstaat innerhalb der vorgeschriebenen trauen in den Rechtsstaat hängt von dem Erfolg die- Frist alle erforderlichen Maßnahmen treffen müs- ser Bemühungen ab. sen, um für den einzelnen ab 1. Januar 1993 ei- Abschließend möchte ich feststellen: Ich bin ge- nen wirksamen Schutz gegen die Risiken der spannt, wie es gelingen wird, die 10 Millionen DM Zahlungsunfähigkeit und des Konkurses der Ver- globale Minderausgabe im Haushalt zusammenzu- anstalter und/oder Vermittler von Pauschalrei- werkeln. Ich hoffe nicht, daß dadurch die Beschlüsse sen, die Vertragspartei sind, zu gewährleisten. der Föderalismuskommission beeinträchtigt werden. Ein weiterer Kommentar ist hierzu nicht notwendig. Insgesamt lehnt die SPD den Haushalt ab. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) 12768 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Die Versorgungsempfänger europäischer Organisa- jetzt der Abgeordnete Manfred Kolbe. tionen werden also bessergestellt als andere. Diese Beträge summieren sich. Waren 1993 noch Manfred Kolbe (CDU/CSU): Frau Präsidentin! lediglich 160 000 DM für die hälftige Steuererstat- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gemessen am Ge- tung an deutsche Versorgungsempfänger des Euro- samtvolumen des Bundeshaushalts mit 440 Mil- päischen Patentamts auszugeben, so ist für 1997 be- liarden DM sind der Einzelplan 07 des Geschäftsbe- reits der vierfache Betrag, also 690 000 DM, veran- reichs des Bundesministeriums der Justiz mit einem schlagt. Diese Problematik müssen wir einmal in ei- Haushaltsvolumen von rund 0,7 Milliarden DM und nem größeren Rahmen angehen. Sie kann nicht iso- der Einzelplan 19 des Bundesverfassungsgerichts mit liert im Einzelplan des Justizministeriums gelöst wer- einem Ausgabevolumen von 0,03 Milliarden DM den. relativ bescheidene Einzelhaushalte. In diesen Berei- Wir machen uns ja Gedanken über eine große chen können wir also nicht die Milliardeneinsparun- Steuerreform. Kerngedanke dabei ist die niedrigere gen erzielen, die wir zur Haushaltskonsolidierung Belastung bei gleichzeitiger Verbreiterung der Be- brauchen. messungsgrundlage. Es ist natürlich zu fragen, ob Dennoch trägt auch der Justizhaushalt zur Haus- diese Steuerfreiheiten dann noch ihren Sinn haben. haltskonsolidierung bei. Zwar steigen die Ausgaben Sie sind meines Erachtens nicht mehr zeitgemäß. des Einzelplans 07 1997 um 1,1 Prozent, während be- Hier können wir als Deutsche nicht allein handeln. kanntermaßen die Ausgaben im Gesamtbundeshaus- Wir müssen international koordiniert vorgehen. Ich halt um 2,5 Prozent zurückgehen. Diese Diskrepanz glaube aber, daß der amerikanische Kongreßabge- läßt sich jedoch leicht erklären: Gegenüber den An- ordnete das ähnlich wie wir sehen dürfte. Wir alle sätzen der Finanzplanung bleiben wir in diesem würden dadurch bei den Beiträgen entlastet. Diese Haushalt um 11,1 Prozent zurück. Außerdem beruht Initiative sollten wir aufgreifen. Das ist auch im Be- die Ausgabensteigerung allein auf den gestiegenen richterstattergespräch so vereinbart worden. Investitionen von rund 10 Millionen DM, während Erfreulich, was den internationalen Bereich be- die Personalausgaben um 1,7 Prozent zurückgehen. trifft, ist, daß im Oktober die erste große UN-Institu- Die Ausgabensteigerung bei den Zuweisungen ist tion in Deutschland ihren Sitz genommen hat. Nach allein darauf zurückzuführen, daß 16 Millionen DM, fast einem Vierteljahrhundert Vorbereitung sind am wie es Kollege Weißgerber schon erwähnt hat, für die 17. Oktober 1996 die 21 Richter am Internationalen Schadenersatzforderungen wegen der verspäteten Seegerichtshof in Hamburg in Ihrer Anwesenheit, Umsetzung der EG-Pauschalreiserichtlinie in natio- Herr Minister, und Ihrer, Herr Staatssekretär Funke - nales Recht auf Grund des Urteils des Europäischen Sie kommen ja aus Hamburg -, sowie in Anwesen- Gerichtshofs zu veranschlagen sind, eine Summe, für heit des UN-Generalsekretärs vereidigt und der die nicht der Einzelplan 07 verantwortlich ist, son- Grundstein des Gerichtsgebäudes gelegt worden. dern die dort nur technisch veranschlagt wird. Das Gerichtsgebäude wird den Bundeshaushalt 123 Millionen DM kosten. 80 Prozent davon trägt der Auch im Einzelplan 07 sparen wir beim Personal Bund, 20 Prozent das Land Hamburg. Das alles geht und steigern die Investitionen. Die Struktur stimmt auf die 1973 einberufene 3. Seerechtskonferenz zu- also. rück, die Hamburg in den 80er Jahren als Sitz auser- Schließlich ist noch hervorzuheben, daß sich der kor. Auch von hier aus möchte ich dem Internationa- Justizhaushalt zu 53 Prozent selber deckt. Frau Kar- len Seegerichtshof, also der ersten größeren UN-Or- watzki, wäre das überall so, wäre es das reinste Ver- ganisation, die in Deutschland ihren Sitz hat, eine gnügen, Finanzminister zu werden. Das ist aber lei- gute Arbeit wünschen. der nicht überall so wie im Einzelplan 07. (Beifall des Abg. Detlef Kleine rt [Hannover] (Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki: [F.D.P.]) Schade!) Ein zweites finanzpolitisches Thema schlägt sich in diesem Bundeshaushalt nieder. Das ist das härter Einige allgemeine finanzpolitische Probleme schla- werdende Bund-Länder-Verhältnis, das, wenn auch gen sich auch in diesem relativ kleinen Einzelhaus- in kleinen Beträgen, seinen Niederschlag auch im halt nieder. Da haben wir als erstes die Problematik Justizhaushalt findet. Ich spreche hier das Service- der steigenden internationalen Beitragslasten der büro der Deutschen Bewährungshilfe e.V. für den Bundesrepublik Deutschland. Diese Beitragslasten Täter-Opfer-Ausgleich in Bonn an. Kollege Weißger- werden auch durch die vielfach kritisierten hohen ber hat auch schon darüber gesprochen. und steuerfreien Gehälter bei internationalen Orga- nisationen mitverursacht. Diese Gehälter will ich Alle Fraktionen dieses Hauses unterstützen die Ar- hier nicht weiter ansprechen. Mir geht es um die Ver- beit dieses Servicebüros. Nur muß man sich einmal sorgungsbezüge, weil sich diese im Einzelplan nie- dessen Geschichte vergegenwärtigen: Das Se rvice- derschlagen. Denn die Steuerfreiheit gilt zwar nicht büro hat 1992 seine Arbeit aufgenommen. Der Bund für Versorgungsbezüge, aber Art. 42 der Versor- hat die Anschubfinanzierung vier Jahre lang alleine gungsordnung des Europäischen Patentamtes, um erbracht. Ab 1996 haben wir dann im Haushaltsaus- das es hier geht, bestimmt, daß die Versorgungsemp- schuß gesagt: Bund und Länder finanzieren das Ser- fänger von ihrem Sitzstaat 50 Prozent der Steuer er- vicebüro jeweils zur Hälfte, da die Justiz nach der stattet bekommen, die sie zunächst zu zahlen haben. Kompetenzverteilung unseres Grundgesetzes nun Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12769

Manfred Kolbe einmal überwiegend Ländersache ist. Wir haben des- kaum ein Ressort hat diese Aufgabe so ernst genom- halb den hälftigen Betrag in den Bundeshaushalt ein- men wie das Justizministerium. Dafür auch meiner- gestellt, ihn aber gesperrt. Mühsam konnten im seits herzlichen Dank. Die Mühlen der Justiz mahlen Laufe des Jahres 1996 zweimal 50 000 DM bei den angeblich immer langsam, aber hier ist die Justiz Ländern eingesammelt werden. Der Bund hat die Vorreiter. entsprechenden Beträge entsperrt. (Beifall des Abg. Detlef Kleine rt [Hannover] 1997 geht das Gezerre weiter. Der Bund hat seinen [F.D.P.]) Anteil in Höhe von 150 000 DM aufgestellt, aber wie- Das Bundesverwaltungsgericht wird seinen Sitz in derum mit einer Sperre versehen. Wir warten auf Leipzig nehmen, das Bundesarbeitsgericht in Erfu rt. eine Verwaltungsvereinbarung mit den Ländern Am schnellsten kommt jedoch die Verlagerung des über die Mitfinanzierung in gleicher Höhe. Der Vor- 5. Strafsenats von Ber lin nach Leipzig voran. Dieser sitzende des Rechtsausschusses, Kollege Horst Eyl- wird bereits 1997 seine Arbeit in Leipzig aufnehmen. mann, hat alle Landesregierungen angeschrieben. Das wird ein historischer Augenblick sein. Es ist die Ich hoffe, daß es von do rt eine positive Reaktion gibt. erste oberste Bundeseinrichtung, die ihre Arbeit in Bisher sind die Zeichen nicht so ermutigend, die den östlichen Bundesländern außerhalb auf- überwiegende Anzahl der Länder hat bisher ihre nimmt. Mitwirkung verweigert. Das Grundkonzept der Föderalismuskommission Herr Kollege Weißgerber, ich erwähne das Saar- war, daß Karlsruhe und Leipzig die beiden wichti- land nicht immer, weil es das Saarland ist, sondern gen Residenzen des Rechts im wiede rvereinigten weil es dort, ich sage es als Beispiel, um ganze 1 935 Deutschland sein sollen: Karlsruhe mit dem Bundes- DM geht. Das ist für jeden Privatbürger viel Geld, verfassungsgericht und dem weitaus größeren Teil aber haushaltspolitisch gesehen ein doch relativ be- des Bundesgerichtshofs, Leipzig mit dem Bundesver- scheidener Betrag, eine Geste, die man meines Er- waltungsgericht und zunächst einem Strafsenat des achtens zugunsten des Täter-Opfer-Ausgleichs er- Bundesgerichtshofs. Sofern die größer gewordene bringen könnte. Einwohnerzahl im wiede rvereinigten Deutschland - es sind knapp 20 Millionen Einwohner mehr; auch (Zuruf von der SPD: Wieviel ist das denn diese begehen leider hin und wieder Straftaten - bei Bayern?) neue Senate erforderlich macht, werden neue Senate in Leipzig eingerichtet. - In Bayern ist es dasselbe. Aber die Einflußmöglich- keiten eines sächsischen CDU-Bundestagsabgeord- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: neten auf die bayerische Staatsregierung sind relativ Erfurt haben Sie vergessen!) begrenzt. Diese Zuwachsklausel der Föderalismuskommis- sion ist damals, 1992, lange diskutiert - Herr Mi- (Lachen bei der SPD) nister, ich war selber Mitglied der Föderalismuskom- Herr Beck, was Hessen betrifft, so hatten Sie letz- mission - und in vollem Bewußtsein der Tragweite tes Jahr zugesagt, Ihren Kollegen Ruppe rt von Plott- dieser Entscheidung beschlossen worden. Man war nitz anzurufen. Der Anruf hat offenbar bisher noch sich also ganz genau im klaren, was man da be- nicht geklappt; denn Hessen steht auch noch in der schließt. Deshalb kann man meines Erachtens jetzt konditionierten Verweigererliste; das heißt, Hessen nicht mehr, wie ich das gelegentlich höre, aus Prak- zahlt erst, wenn alle zahlen. Auch do rt versteckt man tikabilitätsgründen diese Zuwachsklausel in Frage sich also erst einmal. Ich hoffe, daß wir hierbei voran- stellen, ohne auch die gesamte Grundentscheidung kommen. in Frage zu stellen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch die Zum Anteil des Bundes - das sage ich deshalb, ehemalige Reichsgerichtsbibliothek ansprechen. weil der Bund keine Länderaufgaben übernehmen 320 000 Bände umfaßte diese Bibliothek. Es war die kann; denn es haben sich auch die Einnahmeverhält- bedeutendste juristische Bibliothek der Welt; weltbe- nisse geändert - nenne ich einmal ein paar Zahlen. rühmt vor allen Dingen die Handschriften und 1966, also vor 30 Jahren, standen 55 Prozent der Druckwerke von vor 1800. Dort war der Erstdruck Steuereinnahmen dem Bund zu, 31 Prozent den Län- der „Summa Saxonis" von 1210, des „Sachsenspie- dern. Heute, 30 Jahre später, haben wir fast einen gel", des „Schwabenspiegel". Die ältesten deut- Gleichstand: 42 Prozent Bund, 41 Prozent Länder. schen Strafgesetzbücher sind do rt vorhanden, die Die Einnahmeposition des Bundes hat sich also ge- Bambergische Halsgerichtsordnung, die Branden- genüber den Ländern verschlechtert. Dann muß der burgische Halsgerichtsordnung oder die Peinliche Bund auch darauf dringen, daß die Länder im Justiz- Halsgerichtsordnung, die „Constitutio Criminalis bereich, bei dem es sich um eine primäre Landesauf- Carolina" von 1532. gabe handelt, ihren Beitrag erbringen. Wenn man sich diese Handschriften und den von Mit diesem Justizhaushalt gehen wir weitere dort ausgehenden Horror betrachtet, der nur noch Schritte in Richtung Vollendung der deutschen Ein- vom „Hexenhammer" übertroffen wird, der do rt heit. Einer der wichtigsten Schritte zur Vollendung ebenfalls ist und die Verfolgung der Hexen be- der deutschen Einheit ist die Verlegung des Sitzes schreibt, dann kann man kaum glauben, daß diese von Bundesgerichten und - behörden in die öst- Teile der Bibliothek noch heute, Herr Minister, für lichen Bundesländer. Herr Bundesjustizminister, die praktische Arbeit der Richter benötigt werden. 12770 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Manfred Kolbe Mit meinem Verständnis von liberaler Rechtspolitik Abschließend möchte ich Sie bitten, dem Einzel- deckt sich der „Hexenhammer" nicht. Das erlaube plan 07 und dem Einzelplan 19 in der Ausschußfas- ich mir auch als Christdemokrat zu sagen. sung zuzustimmen.

(Zurufe von der SPD) Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Es handelt sich vielmehr um kunsthistorische Gegen- stände, die nicht für die tägliche Arbeit benötigt wer- den. Diese kunsthistorischen Gegenstände gehören Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat wieder an den O rt, wo sie zusammengetragen wor- jetzt der Abgeordnete Volker Beck. den sind: nach Leipzig.

(Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS]: Sehr gut!) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ge- Lassen Sie mich zum Schluß noch auf die Rechts- rechtigkeit ist nicht zum Nulltarif zu haben. Dies angleichung eingehen, die wir in den letzten sieben zeigt sich gerade beim Umgang mit den Verbrechen Jahren zurückgelegt haben. Große Werke sind da der NS-Zeit. Ich möchte Ihnen das an zwei Beispie- getan worden. Ich denke nur an die Problematik der len verdeutlichen. Eigenheime, Sachenrechtsbereinigungsgesetz, ein Die Auseinandersetzung mit unserer Vergangen- Kapitel von ganz grundlegender Bedeutung für Hun- heit sowie die Entschädigung und Rehabilitierung derttausende von Menschen, die do rt in ihrer Exi- der Opfer des Nationalsozialismus sind wir nicht nur stenz betroffen sind. Wir haben mit dem Sachen- den Betroffenen schuldig; es ist auch ein wichtiger rechtsbereinigungsgesetz eine sehr pragmatische Beitrag zur Stärkung des Rechtsbewußtseins und der Lösung geschaffen, die die Menschen bef riedigt. Das demokratischen Substanz unserer Gesellschaft. ist das Schönste am Sachenrechtsbereinigungsge- setz: Dieses Gesetz kommt im praktischen Verfahren Bündnis 90/Die Grünen forde rt daher, die Rehabili- kaum zur Anwendung, weil es als Modell dient und tierung der Wehrmachtsdeserteure noch vor dem aus sich heraus selber wirkt. nächsten Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 1997 endlich zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen. Genau diesen Weg, praktikable Regelungen zu finden, Herr Minister, müssen wir auch in anderen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bereichen gehen. Ich denke nur an die Konkurrenz und bei der SPD) Vermögensrecht, Zivilrecht, Restitutionsanspruch, Der Bundesrat und jetzt auch noch einmal das Bun- Grundbuchberichtigungsanspruch. Auch dort kann desland Sachsen-Anhalt haben hier Vorlagen für die man die Sache nicht bis in die feinsten Ziselierungen Diskussion geliefert, die Grundlagen für einen mögli- des Zivilrechts betreiben, ohne vielleicht nicht doch chen Kompromiß bieten könnten. Der Deutsche Bun- Schaden anzurichten. destag muß endlich deutlich machen: Wer sich Hit- lers Krieg durch Fahnenflucht entzog und wer so Hit- Ich darf nur ein kleines Beispiel nennen. Der Resti- lers verbrecherischen Angriffsk rieg und den Holo- tutionsanspruch des Ersterben ging in einem Fall, caust nicht unterstützte, hat den Respekt und die An- den ich selber erlebt habe, deshalb ins Leere, weil an erkennung des Deutschen Bundestag. 27. Stelle - an 27. Stelle! - ein Nacherbe gefunden worden ist, der damals noch minderjährig war und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zufällig woanders lebte, weshalb das Vormund- bei der SPD und der PDS) schaftsgericht nicht beteiligt wurde. Ich glaube, das sind Ergebnisse, die wir schwer vertreten können. Meine Damen und Herren, die Entschädigung der vergessenen Opfer des Nationalsozialismus duldet Zum Abschluß noch zwei Sätze zum Bundesverfas- kein Zaudern und Zuwarten mehr. Wer hier verzö- sungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht hat vor gert, setzt auf eine biologische Lösung des Problems. zwei Woçhen ein sehr gutes Urteil gefällt. Die Todes- Wir haben einen Gesetzentwurf für eine Stiftung zur schüsse an der Mauer sind strafbar. Der Schießbe- Entschädigung aller in Deutschland lebenden ver- fehl verstößt gegen Menschenrechte und konnte gessenen Opfer des Nationalsozialismus und ent- sprechende Haushaltsanträge vorgelegt. auch durch DDR-Recht nicht gerechtfertigt werden. - Ich habe im Wahlkreis in den letzten Monaten selten Wir werden in diesem Jahr auch noch einen An- so viel Zustimmung gehabt wie in diesem Fall. Es hat trag zur Entschädigung der osteuropäischen Juden sich glücklicherweise nicht der Spruch bewahrheitet: vorlegen. Es ist wirklich ein Skandal und ein schlech- Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen. tes Erbe der DDR, daß schwerstverfolgte Juden auf Nein, das Bundesverfassungsgericht hat hier umfas- der ganzen Welt Entschädigungsansprüche haben, send für Gerechtigkeit gesorgt. aber ausgerechnet in Osteuropa, wo die Vernich- tungslager standen und wo das massenhafte Morden Dies sollten wir als Gesetzgeber auch bei der SED der SS an den Juden begann, die Überlebenden Unrechtsbereinigung tun. Wir müssen hier nachbes- keine Leistungen aus dem Artikel-2-Fonds erhalten. sern. Insbesondere beim Zweiten SED-Unrechtsbe- reinigungsgesetz fließt nur ein Bruchteil der Mittel Was bieten Sie uns hier an? Ab 1998 - 1998, wohl- ab. Bis Ende Oktober waren es 177 000 DM von ver- gemerkt - 80 Millionen DM , aufgeteilt in drei Jahres- anschlagten 50 Millionen DM. Auch das müssen wir raten, für entsprechende Entschädigungsstiftungen als Gesetzgeber ändern. im Rahmen von Globalabkommen, mit denen wir in Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12771

Volker Beck (Köln) Rußland und Polen schon so schlechte Erfahrungen halt der Tat nicht ganz entspricht, sondern deutlich gemacht haben. Das ist ein Skandal. Die Jahreszahl überhöht ist. 1998 zeigt, daß Sie hier die biologische Lösung zum Prinzip machen. Der Entwurf setzt damit also nur das um, was ohne- hin schon Praxis ist. Was bleibt also noch von einer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Absenkung übrig? Nichts. Wahrscheinlich würden und der PDS sowie bei Abgeordneten der sich die nach diesem Paragraphen tatsächlich ver- SPD) hängten Freiheitsstrafen künftig eher erhöhen als Meine Damen und Herren, in der Haushaltsde- senken, da die Ge richte seltener auf den minder batte steht die Rechtspolitik nicht im Zentrum des In- schweren Fall ausweichen müssen. teresses. Schließlich sind die Eckwerte des Haushalts Unsere Kritik an dem Entwurf des BMJ ist seine des Bundesministeriums der Justiz zumeist weitge- Schlagseite in Richtung Strafverschärfung. In diesem hend unumstritten. Die soziale Krise, die unsolidari- Sinne ist er völlig phantasielos. Er stellt sich nicht der sche Sparpolitik und die unsolide Finanzpolitik der Diskussion, was Strafen und Strafrecht leisten kön- Bundesregierung haben aber immer gravierendere nen und welchen Stellenwert das Strafrecht in einer Auswirkungen auf die Innen - und Rechtspolitik. rationalen Kriminalpolitik haben kann. Wo sich der Staat seiner sozialpolitischen Verant- wortung entledigt, wo die Politik zu gestalten auf- Bündnis 90/Die Grünen hat in den letzten Jahren hört, da wird aus dem Strafrecht, das eigentlich letz- auf das grobe Mißverhältnis bei den Strafrahmen tes Mittel der Politik sein muß, schnell das einzige zwischen Eigentums- und Vermögensdelikten und Mittel, das den Regierenden noch einfällt. Der Ruf Gewalt- und Sexualverbrechen hingewiesen. Wenn nach dem starken Staat, nach neuen Ermittlungsme- der Bundesjustizminister dafür sorgen will, daß die thoden wie Großer Lauschangriff und Spähangriff, gewaltsame Wegnahme eines Zeltes nicht höher be- nach Gen-Datenbanken und nach immer höheren straft wird als die anschließende Vergewaltigung der Strafen soll die Hilflosigkeit der Politik bei der Bewäl- Frau, die in dem Zelt kampiert hatte, dann ist dies tigung zentraler Probleme unserer Gesellschaft ver- richtig und begrüßenswert, dann unterstützen wir schleiern. dies. Es bringt den Stellenwert der zu schützenden Rechtsgüter angemessener zum Ausdruck. Steigender Arbeitslosigkeit und um sich greifender Verarmung wachsender Teile der Bevölkerung wird (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Na nicht mehr mit einer integ rierenden Sozialpolitik und also!) aktiven Arbeitsmarktpolitik begegnet. Mit dem Ab- Sie haben aber fast alle Harmonisierungen der bau von Sozialleistungen treibt die Bundesregierung Strafrahmen durch Erhöhungen erreicht. Dies ist we- die soziale Desintegration selbst sogar voran. Rechts- der unter Werte- noch unter Präventionsgesichts- politik soll dort reparieren, wo die Sozialpolitik ver- punkten sachlich geboten. Wir sollten die Reform des sagt hat. Strafgesetzbuches vielmehr zur Zurückdrängung der Der Grundgedanke von Strafverschärfungen als Freiheitsstrafen insgesamt nutzen. Allheilmittel kennzeichnet auch das Jahrhundert- werk Strafrahmenreform. Die Koalitionskontroverse Wir fordern die Abschaffung der lebenslangen hierbei ist nur ein Sturm im Wasserglas. Obwohl der Freiheitsstrafe durch eine hohe Zeitstrafe und eine Entwurf aus dem Hause Schmidt-Jortzig im wesentli- Reform des Sanktionensystems. Mögliche Instru- chen Erhöhungen von Mindest- und Höchststrafen mente zur Zurückdrängung der Freiheitsstrafen wä- beinhaltet und deshalb in weiten Zügen ja auch den ren etwa die stärkere Berücksichtigung des Täter- Beifall der Hardliner in der CSU findet, schafft es die Opfer- Ausgleichs, die erweiterten Möglichkeiten der Koalition, zum 199. Male das Stück „Räuber und Aussetzung der Strafe zur Bewährung oder die Ein- Gendarm" wieder aufzuführen, worin sich die F.D.P. führung einer Vollstreckungsklausel - das haben wir liberal und die CSU als Scharfmacher aufspielen vorgeschlagen -, das Fahrverbot als eigenständige kann. Strafe, die Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen und die Ermöglichung der Aussetzung von Geldstra- Stein des vorgeblichen Anstoßes ist der Strafrah- fen zur Bewährung. men beim schweren Raub. Es ist eine Scheindebatte, eine von Liberalen und CSU inszenierte Irreführung (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- der Öffentlichkeit. Angeblich schlägt der Entwurf SES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Jürgen Meyer eine Absenkung des Strafrahmens vor. Das ist mit- [Ulm] [SPD]: Jetzt haben Sie Ihren Gesetz nichten so. Die Kritik an der Absenkung der Min- entwurf aber vollständig zitiert, Herr Kol deststrafe für den Grundtatbestand von fünf auf zwei lege Beck!) Jahre übersieht geflissentlich, daß dem die Erhöhung der Höchststrafe für den minder schweren Fall von Eine Zurückdrängung von Freiheitsstrafen nutzt derzeit fünf auf zehn Jahre gegenübersteht. den Interessen der Kriminalitätsopfer. Der, dem der Arbeitsplatz erhalten bleibt, hat die Möglichkeit, den Das hat folgenden Hintergrund: Heute werden na- Schaden wiedergutzumachen. Die entsozialisierende hezu 80 Prozent aller Fälle des schweren Raubs als Wirkung des Strafvollzuges entfällt. Die Kosten für minder schwerer Fall behandelt. Die Ge richte gehen den Strafvollzug werden gesenkt. Dadurch werden nämlich - völlig zu Recht - davon aus, daß eine Ein- Ressourcen frei, um Arbeits- und Therapiemöglich- gangsstrafe von fünf Jahren etwa beim Raub unter keiten im Strafvollzug sogar kostenneutral zu finan- Vorhaltung einer Spielzeugpistole dem Unrechtsge zieren und damit die resozialisierende Qualität des 12772 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Volker Beck (Köln) Strafvollzuges zu erhöhen. In der Rechtspolitik aber Der Umgang mit den NS-Verfolgten und die verweigern Sie sich ja jeder Innovation. Schieflage bei der Strafrechtsreform sind nur zwei Beispiele Ihrer verfehlten Innen- und Rechtspolitik. Meine Damen und Herren, seit Wochen führen wir Weil die so verfehlt ist, lehnen wir den Justizhaushalt eine Diskussion über den Umgang mit Sexualstraftä- ab. tern. Tragen Sie durch Ihr Festhalten an der Wider- spruchsklausel nicht weiter zu einer Bagatellisierung Zum Schluß möchte ich gern noch einen Punkt an- des Verbrechens der Vergewaltigung in der Ehe bei! sprechen, der dieses Haus in den letzten anderthalb Gefährden Sie nicht die längst überfällige Reform! Wochen beschäftigt hat: die Frage des Umgangs mit Sekten, des Umgangs mit Scientology. In Zeiten (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS wachsender sozialer Unsicherheit kann Feindbild- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie projektion die Gesellschaft einigen und den Blick der Abg. Ulla Jelpke [PDS]) von den wahren Problemen ablenken. Wir müssen auch gemeinsam überlegen, wie wir Seit es in Deutschland Religionsfreiheit gibt, haben mehr Sicherheit für Kinder vor Sexualstraftätern auch bei uns zahlreiche religiöse Gemeinschaften ne- schaffen können: durch den Ausbau und die Verbes- ben den beiden großen Kirchen, dem Judentum und serung der Therapiemöglichkeiten im Straf- und dem Islam die Bühne betreten. Nach dem Zusam- Maßregelvollzug, durch eine qualifizierte Ausbil- menbruch des Kommunismus und des damit verbun- dung von forensischen Psychiatern und durch eine denen Feindbildes wird die Diskussion hierüber aber Überprüfung des Verfahrensrechtes bei Strafrestaus- immer hyste rischer geführt. setzungsentscheidungen. Außerdem wollen wir die schweren Begehensformen des sexuellen Miß- Wir brauchen einen Verbraucherschutz auf dem brauchs, die heute in § 176 Abs. 3 geregelt sind, in Markt der psychologischen und religiösen Angebote. einem neuen Paragraphen, in § 176a, zu einem ei- Wir als Gesetzgeber müssen definieren, wo die Gren- genständigen Verbrechenstatbestand machen, um zen von Ausbeutung und Wucher liegen. Wir müssen das besondere Unrecht der Tat zu kennzeichnen. Kinder vor religiösem Mißbrauch und entwürdigen- den Erziehungsmaßnahmen schützen. (Jörg van Essen [F.D.P.]: Sie machen doch auch Strafverschärfung!) Ein Teil der rechtlichen Probleme mit Sekten ent- steht auch aus der juristischen Sonderstellung der - Das ist keine Strafverschärfung, weil die Mindest- religiösen Gemeinschaften in unserer Verfassung, strafe nach § 176 Abs. 3 heute schon bei einem Jahr die sie mit außerordentlichen Privilegien und einem liegt; das bliebe auch so. Trotzdem hätten wir eine staatsgleichen Status ausstattet. Die Zurückdrän- Kennzeichnung der Verletzung des Rechtsgutes als gung des allgemeinen Arbeitsrechtes lädt zur miß- Verbrechen erreicht. bräuchlichen Ausbeutung durch Sekten geradezu ein. Die Diskussion wird jedoch von Teilen der Union unter völlig falschen Vorzeichen geführt: mehr Re- Über diese Fragen müssen wir mit kühlem Kopf pression, höhere Strafen und weg mit Resozialisie- diskutieren, wenn es sein muß, auch streiten und rungs- und Therapieversuchen. Das ist eine bewußte nach Lösungen suchen. Irreführung der Öffentlichkeit; denn ein gebesserter Täter ist der beste Schutz für die Öffentlichkeit. Die Gefahren, die von Organisationen wie von Scientology oder der Vereinigungskirche ausgehen, In der Union laufen derzeit einige Sturm gegen dürfen nicht verniedlicht werden. Die Öffentlichkeit den vermeintlich so liberalen Strafvollzug. Therapie- hat einen Anspruch darauf, zu erfahren, wie die Or- bemühungen und Resozialisierung werden kurzer- ganisationen Einfluß auf ihre Anhänger und die Ge- hand für gescheitert erklärt - so Herr Scholz am Wo- sellschaft gewinnen. chenende in der WamS. Rechtsstaatlichkeit und Respekt der Religionsfrei- Resozialisierung und Therapie sind nicht geschei- heit dürfen hierbei aber nicht einer Hexenjagd zum tert. Das Problem ist: Sie finden nur unzureichend Opfer fallen. oder oft überhaupt nicht statt. Das wird gern ver- schwiegen. Therapien kosten nämlich Geld; und das (Beifall der Abg. Sabine Leutheusser setzt man in den Ländern immer noch lieber für den Schnarrenberger [F.D.P.]) - Ausbau von Haftanstalten ein als für die Hilfelei- Es kann nicht angehen, daß allein die Bekanntschaft stung für den Täter. mit einem der Scientology-Mitgliedschaft Verdächti- In den Strafvollzugsanstalten wird gegenwärtig im gen ausreicht, um jemanden in den Geruch der Sek- wesentlichen verwahrt. Daß Resozialisierung unter tennähe und der politischen Unzuverlässigkeit zu diesen Umständen ein fernes Ziel bleibt, ist kaum bringen. verwunderlich. Damit wird nicht nur dem Täter, son- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dern letztendlich der Gesellschaft insgesamt gescha- und bei der F.D.P.) det. Das ist Hysterie. Wer so arbeitet, bedient sich der Die Verlängerung von Haftzeiten löst demgegen- Methoden des Inquisitionsprozesses. Torquemada über das Problem der Rückfallgefahr nicht, sondern und McCarthy lassen grüßen. verschiebt es lediglich auf einen späteren Zeitpunkt der Haftentlassung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12773

Volker Beck (Köln) So vergiften Denunziation und üble Nachrede das legen. Dann kommen Sie in schwierige Situationen, gesellschaftliche Klima. Eine wirkliche Aufklärung wenn Sie in diesem Bereich so wie in anderen Berei- über die von Sekten ausgehenden Gefahren kann chen immer nein sagen wollen. man so nicht betreiben. (Zuruf des Abg. Dr. Jürgen Meyer [Ulm] Ich hoffe, wir kommen hier im Hause zu einer sach- [SPD]) lichen Diskussion zurück. - Herr Meyer, wir wissen, daß wir dankbar zu sein Vielen Dank. haben für den guten Ton, in dem das Recht in diesem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hause immer behandelt worden ist, und wir schlie- sowie bei Abgeordneten der SPD) ßen die Opposition und die Art unseres Umgangs ausdrücklich ein. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - jetzt der Kollege Kleine rt. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Amen!) Detlef Kleinert (Hannover) (F.D.P.): Frau Präsiden- tin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das hindert dann aber doch nicht, auf die einzel- Herr Beck, das mit der sachlichen Diskussion und nen Fälle hinzuweisen, bei denen ganz grundsätzli- dem kühlen Kopf, mit dem man diskutieren soll, ist che Fragen des Rechts, die damit auch grundsätzli- durchaus richtig. Das wird von uns sehr begrüßt. Al- che Fragen unserer Gesellschaft sind, auf einmal an lerdings war Ihre Rede davon nicht so ganz durch- Nebendingen festgemacht werden. Herr Beck hat gängig geprägt; das eben schon versucht und angesprochen. Ich kann wirklich nicht verstehen, daß eine Minderheit - (Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/ auch einige bei uns; ich verkenne das a lles ja nicht -, CSU) vor einem Rinnsal zurückscheut, wenn man keines- wegs als Macho oder wegen völlig veralteter und ab- sondern Sie haben hier eine Reihe von Herzensanlie- artiger Vorstellungen über das Wesen der Ehe und gen verhältnismäßig unsystematisch vorgetragen, die Gemeinschaft von Ehepartnern, sondern aus tie- (Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] fer Sorge um die Durchführbarkeit eines fairen und [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) zu einem richtigen Ergebnis führenden Strafprozes- ses Bedenken gegen den besonderen Straftatbestand während wir uns dieser Dinge lieber von Fall zu Fall der Vergewaltigung in der Ehe hatte, dann aber die einzeln annehmen sollten, damit wir zu einem eini- große Mehrheit einen Strom überquert hat, einen germaßen geordneten Austausch der Argumente Strom hinter sich gelassen hat. Dies ist eine Unver- kommen können. hältnismäßigkeit in der Aufgabe der Weiterentwick- Heute geht es mehr um die Frage: Wie ist der lung unserer Gesellschaft, die nun einmal nicht in Haushalt des Bundesjustizministeriums, wie ist die das Bild des notwendigen Einverständnisses in Leistung des Bundesjustizministeriums und damit Grundsatzfragen paßt. natürlich des verantwortlichen Ministers nach der verhältnismäßig kurzen Zeit, in der Herr Schmidt- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Jortzig dieses Amt bekleidet, zu bewe rten? Damit wende ich mich in der absurd kurzen Zeit, Da sage ich als erstes: Wir danken ihm sehr herz- die hier anscheinend noch verbleibt, dem Haushalt lich. Wir danken allen seinen Mitarbeitern für die in engerem Sinn zu. Art, wie wir mit dem Hause, wie wir mit ihnen umge- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Verlängerung!) hen und offen und kühl diskutieren konnten - so, wie das eben verlangt worden ist. Es ist nicht möglich, und es paßt noch viel weniger, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) daß die Länder dieser Republik den Föderalismus so auffassen, daß gerade bei den wichtigen rechtspoliti- Das haben wir die ganze Zeit getan. Dafür danken schen Fragen von ihnen immer wieder auf den Bun- wir Ihnen. desgesetzgeber verwiesen wird, um Entlastung - be- sonders in finanzieller Hinsicht - zu suchen, statt daß Wir danken Ihnen auch für das, was Sie genauso - wie Ihre Vorgängerin und auch frühere Vorgänger man sich einmal fragt, was man in eigener Organisa- geleistet haben. Die Mühlen auch der Gesetzgebung tionshoheit - diese liegt nun einmal bei den Ländern - mahlen tatsächlich etwas langsam; das ist manchmal dazu beitragen kann, um die Dinge von do rt aus et- nicht ganz so schön, manchmal aber auch überhaupt was besser, wirtschaftlicher, effizienter zu gestalten. kein Fehler. Das wird nun schon so lange angemahnt. Es handelt sich nicht um ein Spiel um den Schwarzen Peter, son- Deshalb sind wir der Meinung, die verehrte Oppo- dern es handelt sich um die ganz vernünftige Forde- sition wird sich ohnehin noch wundern. Wir waren rung, daß die Dinge in den Ländern so organisiert bereits vor der Sommerpause in Koalitionskreisen werden, wie anständige Unternehmen ihre Betriebs- über eine Menge von Dingen einig - das haben wir und Geschäftsabläufe organisieren. Dann wird sich sehr sorgfältig und auch in einem guten gemeinsa- herausstellen, daß Rese rven vorhanden sind, die ge- men Geist erarbeitet -, von denen Sie heute noch nutzt werden können, um nicht Rechte der Bürger vermuten, daß wir uns darüber streiten. Das werden weiter einzuschränken und Rechtsgarantien zu be- wir Ihnen alles richtig schön geregelt auf den Tisch einträchtigen. 12774 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Detlef Kleinert (Hannover) Ich weiß ja, daß Sie in vielen Fällen hier mit uns die nützt uns die beste intellektuelle Bereitschaft nichts, gleiche Meinung vertreten haben, so ist es ja gar weil die materiellen Möglichkeiten fehlen. Das gilt es nicht, aber von den Ländern wird dieses finanzielle zu ändern, und zwar flexibel, ohne Mehrausgaben, Argument - wir reden ja heute über den Haushalt - sondern einfach durch Anwendung vernünftiger immer wieder mißbraucht, Prinzipien. (Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!) Ich danke Ihnen. um in Rechtsfragen etwas zu tun, was in Feiertagsre- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) den der Justizminister natürlich zurückgewiesen, aber in Alltagsbeschlüssen und Alltagsäußerungen am Kabinettstisch von den Finanzministern konter- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat kariert wird. Da bitten wir doch die Kollegen Justiz- jetzt der Kollege Uwe-Jens Heuer. minister in den Ländern und alle ihre Mitarbeiter, sich auf die notwendige Gemeinsamkeit zu besin- nen, auch wenn es um die Finanzen geht. Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Frau Präsidentin! Ich möchte zum Schluß noch auf die Notwendig- Meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungs- keit von etwas mehr Vernunft in der Haushaltspolitik gericht, dessen Haushalt heute zusammen mit dem überhaupt hinweisen. Ich finde es unerträglich, daß des Bundesministeriums der Justiz zur Debatte steht, derjenige, der seinen Laden in Ordnung hat, dafür ist in kurzer Zeit vom Objekt harscher Kritik wieder bestraft wird, indem sein Haushalt im nächsten Jahr zum mit viel Beifall bedachten Verkünder konservati- ein wenig eingeschrumpft wird und sein Haushalt ven deutschen Zeitgeistes aufgestiegen. Ich spreche um die im Vorjahr eingesparten Mittel gekürzt wird. vom Beschluß des Zweiten Senats, der die Verfas- Ich rede nachdrücklich dem Gedanken einer gewis- sungsbeschwerden dreier Mitglieder des Nationa- len Verteidigungsrats der DDR und eines Grenzsol- sen Budgetierung das Wort, daten gegen strafgerichtliche Verurteilungen ein- (Beifall des Abg. Dr. Guido Westerwelle stimmig zurückgewiesen hat. Der Jubel in den Me- [F.D.P.]) dien war enorm. Herr Kolbe hat hier eben gesagt, da- mit sei das Sprichwort widerlegt worden „Die Klei- bei der es in der Verantwortung des einzelnen nen hängt man; die Großen läßt man laufen". Er Ministers, des einzelnen Ministe riums steht, mit ei- übersieht dabei das, was Herr Schaefgen sehr deut- nem vorgegebenen Betrag auch so umzugehen, daß lich gesagt hat, nämlich, daß man erst die Urteile ge- Einsparungen an der einen Stelle genutzt werden gen die Grenzsoldaten braucht, um dann die ande- können, um notwendige Aufgaben an der anderen ren als Anstifter bzw. mittelbare Täter bestrafen zu Stelle besser - und zwar sofort und ohne langwierige können. Stimmen der Vernunft gingen völlig unter, vorherige Debatten - erfüllen zu können. Ich denke so die des Rechtsphilosophen E rnst Tugendhat, der dabei insbesondere an die - - von „Rachebedürfnis" sprach. Das steht in der „taz" vom 13. November 1996. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, denken Sie dabei auch an die Zeit, bitte. Politiker der anderen Bundestagsparteien äußerten sich zufrieden und sahen die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen. Die Aussicht darauf, den letzten Gene- Detlef Kleinert (Hannover) (F.D.P.): Frau Präsiden- ralsekretär der SED und Staatsratsvorsitzenden der tin, ich bin fast am Ende; das, was jetzt noch kommt, DDR, Egon Krenz, seinen Verteidigungsminister, den ist kaum der Rede we rt . von den Nazis zum Tode verurteilten Antifaschisten (Heiterkeit) Heinz Keßler, und andere Politiker und Militärs der DDR hinter Gitter zu bringen, muß bei manchen Leu- ten eine wahre innere Genugtuung auslösen. Sie Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die Zeit ist aber sollten allerdings konsequent sein und auch fordern, auch schon überreif. daß in Spanien Franco-Leute eingesperrt werden, daß man Herrn De Klerk den Prozeß macht und daß Detlef Kleinert (Hannover) (F.D.P.): Es ist eine die Bundesregierung aufhört, mit so belasteten Alt- Aufgabe sowohl des Parlaments als auch des Justiz- kadern wie Jelzin und anderen „gewendeten" ministeriums, den Anfragen, die uns aus vielen Län- Staatschefs östlicher Länder zu verkehren. dern der Welt erfreulicherweise und schmeichelhaf- terweise erreichen, zu entsprechen und diesen Län- Es fällt allerdings ebenfalls auf, daß sich manche dern zu helfen, sei es bei der Neuformulierung ihrer Politiker nicht äußern. Vielleicht gibt es doch etwas Verfassungen, sei es bei der Gestaltung ihres Justiz- Unbehagen darüber, ob Krenz, Keßler, die Politbüro- wesens oder ihrer Gesetzgebung. mitglieder, die Generale und Grenzkommandeure in den gefährlichen Stunden vom 9. auf den 10. No- vember 1989 ebenso besonnen gehandelt hätten, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege wenn man ihnen gesagt hätte: Nach Herstellung der Kleinert ! Einheit Deutschlands werdet ihr als Mörder und Tot- schläger verfolgt. Vielleicht denkt dieser oder jener Detlef Kleinert (Hannover) (F.D.P.): Wenn für solche über den inhaltsschweren Satz nach, den die Frau Aufgaben nur noch lächerliche Restbeträge im Haus- Präsidentin anläßlich des Besuches Nelson Mandelas halt des Bundesjustizministers vorhanden sind, dann in diesem Hohen Hause ausgesprochen hat: Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12775

Dr. Uwe-Jens Heuer Was in Südafrika unter widrigsten Bedingungen Abs. 2 dieses Artikels. Dieser Absatz stellte sicher, auf den Weg des Ausgleichs und der Versöhnung daß der Aburteilung von Naziverbrechern nicht das gebracht wurde, zeigt uns, daß dies auch an- Rückwirkungsverbot entgegengehalten werden derswo möglich werden kann. kann. Die Bundesrepublik wollte damals die Absolut- heit des Rückwirkungsverbots. Damals waren Nazis Wieviel weniger staatsmännisch ist da die Äußerung betroffen. des Bundespräsidenten, der laut „Spiegel" vom 18. November eine Amnestie kategorisch ablehnt. Am 10. Juli 1952 sagte das Mitglied der NSDAP seit 1933, der spätere Bundeskanzler Kiesinger vor Das ist der Punkt, der mich am meisten beunruhigt dem Hohen Hause: und empört. Wege zu Ausgleich und Versöhnung werden zugebaut. Herr Schaefgen hat ja schon ange- Es ist eine ernste Frage, um die es sich da handelt; kündigt, daß er in seiner Verfolgungswut nun meh- aber wir haben in der Geschichte des Dritten Rei- rere hundert Mauer-Fälle vor Gericht bringen wird. ches in der Tat erleben müssen, daß, nachdem einmal der Grundsatz, daß kein Verbrechen als Um auch das klar zu sagen: Die Toten an der solches bestraft werden durfte, ohne daß dafür Grenze sind ein schlimmes Kapitel ost-westlicher eine klare gesetzliche Norm vorhanden war, ver- Feindschaft. Jeder einzelne Fall ist zu bedauern. lassen war, Aber waren - und darauf kommt es an - diese Fälle Verbrechen nach DDR-Strafrecht, worauf es laut Ei- - im Dritten Reich - nigungsvertrag allein ankommt? der Willkür und dem Unrecht Tür und Tor geöff- Um dem Dilemma zu entgehen, daß es für das net waren. Grenzregime und für die Todesfälle im DDR-Recht Rechtfertigungsgründe gibt, Verbrechen somit nicht Heute sind Amtsträger der DDR betroffen. Da muß begangen wurden, hat - und das halte ich für das der Vertrauensschutz des Art. 103 Abs. 2 zurücktre- entscheidende Problem - das Bundesverfassungsge- ten. richt die grundrechtsgleiche Gewährleistung im Ich glaube nicht, daß eine solche Verfahrensweise Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 Grundge- vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof für setz für DDR-Bürger unter bestimmten Bedingungen konventionskonform gehalten werden wird. abgelehnt. Das halte ich für verfassungsrechtlich un- zulässig. Das Bundesverfassungsgericht sieht das kriminelle Unrecht darin, daß Menschenrechte verletzt wurden. Das Ge richt hat erklärt: Ich muß dazu sagen: Erstens steht nicht fest, daß die Der Bürger erhält (durch das Rückwirkungsver- Todesfälle an der Grenze als Verletzungen der in die- bot) die Grundlage dafür, sein Verhalten eigen- sem Zusammenhang angeführten A rt. 6 und 12 des verantwortlich so einzurichten, daß er eine Straf- internationalen Paktes über bürgerliche und politi- barkeit vermeidet. sche Rechte eingestuft werden müssen. Zweitens war dieser Pakt für die DDR zwar seit 1976 völker- Das gilt absolut für jede neue Strafvorschrift, muß rechtlich verbindlich, aber er wurde nicht in das in- aber erst recht in meinen Augen für den Umsturz ei- nerstaatliche Recht der DDR transformiert. Das war ner ganzen Rechtsordnung gelten. Jede Ausnahme eine Verletzung der völkerrechtlichen Verpflichtung, hebt die Absolutheit auf. Gerade bei den Grundrech- das ist wahr, aber es war eben nicht in DDR-Recht ten muß man strikter Positivist sein. eingegangen. Zunächst bekräftigt der Zweite Senat auch diese Auch die Brücke über das Naturrecht scheint mir Absolutheit völlig ungeeignet, innerstaatliche Strafbarkeit zu be- gründen. (Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie das in der Vorlesung vor zehn Jahren auch so Das Bundesverfassungsgericht - - gesagt?) und betont die Notwendigkeit st rikter Formalisie- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege rung. Er bezieht das ausdrücklich auch auf die Recht- Heuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin fertigungsgründe. Aber ein paar Sätze weiter wird Christa Nickels? die Absolutheit relativiert, was in meinen Augen lo- gisch unzulässig ist. Die Absolutheit sei nur der Re- Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Aber ja. gelfall. Dieser Regelfall gelte für Ostdeutsche nach Vollzug der deutschen Einheit nicht mehr ohne wei- teres. Im Falle „schwersten kriminellen Unrechts" - Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): was immer dieser Beg riff bedeuten mag, er steht in Herr Kollege Heuer, Sie vertreten hier eine Partei, keinem Gesetz - müsse die besondere Vertrauens- die in den neuen Bundesländern weite Verbreitung grundlage des Art . 103 Abs. 2 entfallen. hat. Ich gehe davon aus, daß Sie wissen, wieviel Menschen in entsetzlicher Weise auch unter dem Das Rückwirkungsverbot ist auch im Völkerrecht, DDR-Regime gelitten haben. darunter im Art. 7 der Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten, verankert. Zum ersten: Glauben Sie, daß Ihr trocken-juristi- scher Exkurs, der wirklich mit vielen Finten und Win- Als die Bundesrepublik Deutschland 1952 dieser kelzügen gespickt ist, um hier schreiendes Unrecht Konvention beitrat, erklärte sie einen Vorbehalt zu juristisch zu relativieren, geeignet ist, nach Versöh- 12776 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Christa Nickels nung zu suchen, die darauf beruht, daß geschehenes Ich weiß, daß es in der DDR Leute gab, die so argu- Unrecht ungeschminkt auch wirklich zur Sprache ge- mentiert haben. Ich halte eine solche Argumentation bracht und anerkannt wird und man dann versucht, nicht für richtig. Lösungswege zu finden, wie man damit in einer nach vorn gerichteten Weise umgehen kann? Glauben Sie, (Ina Albowitz [F.D.P.]: Wir diskutieren hier daß Ihr Exkurs, der im Grunde genommen die ganze miteinander! Wir sind im Parlament und Sache zu relativeren versucht, geeignet ist, in dem nicht vor dem Verfassungsgericht! Wir beu Sinne Versöhnung zu betreiben? gen uns Ihnen auch nicht! - Gegenruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Zum zweiten möchte ich Sie fragen, ob nicht auch - Ich diskutiere ja auch mit dem Bundesverfassungs- Sie glauben, daß dem Verdacht, den man immer wie- gericht. Das ist ja vielleicht auch mein Recht, wie das der hat, wenn man auf die breite Basis Ihrer Partei Ihre auch. schaut - man hat den Eindruck, daß Sie das wirklich verharmlosen wollen -, Vorschub geleistet wird mit Ich habe gesagt: Die Brücke über das Naturrecht der Rede, die Sie hier halten. ist nach meiner Ansicht ebenfalls ungeeignet, inner- staatliche Strafbarkeit zu begründen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.) Das Bundesverfassungsgericht und andere Ge- richte setzen sich in meinen Augen über die Konse- quenzen hinweg, die sich aus der Völkerrechtssub- ergeben, ob- (PDS): Ich möchte dazu zwei jektivität und Souveränität der DDR Dr. Uwe-Jens Heuer wohl gerade hier entscheidende Rechtfertigungs- Bemerkungen machen. Erstens. Ich bin der Mei- gründe liegen. nung, daß Aufarbeitung der Geschichte notwendig ist, aber justizielle Verfolgung dem nicht dient. (Vorsitz : Präsidentin Dr. Rita Süssmuth) (Ina Albowitz [F.D.P.]: Dazu sind Sie gerade Es kommt hinzu, daß die Souveränität der DDR ge- geeignet! - Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: rade in dem für den Warschauer Vertrag und vor al- So grundsätzlich?) lem für die Sowjetunion so bedeutsamen Bereich der Grenzsicherung beschränkt war. Das bestätigen so- Wenn man mit Menschen diskutieren will über wjetische Quellen, und das wußte und weiß man im Dinge, die sie gemacht haben, ist es nicht günstig, Westen sehr genau. Diese Grenze war nicht willkür- das unter Hinzuziehung des Staatsanwalts zu tun. lich gezogen, wie der Herr Bundespräsident meint; Ich glaube, daß wir in der Aufarbeitung der Ge- sie war eine Folge des Zweiten Weltkrieges und des schichte und auch in bezug darauf, daß Leute sich darauf folgenden Kalten Krieges. mit dem auseinandersetzen, was sie falsch gemacht haben, weiter wären, wenn der Staatsanwalt nicht Ich meine: Was diese Grenze an Negativem und dabei wäre. Positivem bewirkte, sollte Gegenstand wissenschaft- licher Untersuchung und Diskussion auf allen Ebe- (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Auch nicht nen und - dem stimme ich völlig zu - Gegenstand von Nazis?) des öffentlichen Meinungsstreits sein. Die Strafjustiz ist da fehl am Platze. Die verfassungsrechtliche Son- Zweitens. Ich bin nicht bereit, anzuerkennen, daß derbehandlung der Ostdeutschen vergibt eine Gele- die juristische Argumentation nicht zulässig ist. Ich genheit, habe mich in der DDR für das Recht eingesetzt, (Gunter Weißgerber [SPD]: Welche „Ost deutschen"? Eine Minderheit nennen Sie (Lachen bei der CDU/CSU) hier!) juristisch argumentieren zu können und auf politi- die These von der Annexion und Kolonisation der sche Argumente nicht nur politisch antworten zu DDR, von der Siegerjustiz zu widerlegen. müssen. (Gunter Weißgerber [SPD]: Für uns reden (Franz Peter Basten [CDU/CSU]: Das hat Sie wohl auch? Ich bin auch Ostdeutscher!- - man gemerkt! Die Folge war unüberseh Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Von wel bar!) chen Ostdeutschen reden Sie?) Ich fürchte, daß mit solchen Entscheidungen Ost- Ich habe mich immer dafür eingesetzt, daß man über deutsche wegen ihrer Vergangenheit im sogenann- st argumentieren darf. juristische Fragen als Ju ri ten Unrechtsstaat eingeschüchtert werden sollen. Das letzte Wo rt in dieser Sache ist hoffentlich noch Und was heißt „trocken", liebe Frau Nickels? Es nicht gesprochen. geht hier um Verurteilung oder Nichtverurteilung von Menschen. Dazu ist die juristische Argumenta- Danke schön. tion notwendig. Strafrecht ist eine sehr harte Sache. Man muß bereit sein, sich der juristischen Argumen- (Beifall des Abg. Dr. Willibald Jacob [PDS] - tation zu beugen, und kann nicht einfach sagen, man Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ wolle das politisch so oder so. CSU]: Unerträgliche Rede, Herr Heuer!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12777

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Häfner, ist von Dingen, die damals strafbar waren, nicht zuläs- das die Meldung zu einer Frage oder zu einer Kurzin- sig ist. Ich bin damit völlig einverstanden. Das ist so. tervention? Das haben wir auch in unserem Entwurf für be- stimmte Sachen gesagt, für Exzeßtaten und eine (Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ ganze Reihe anderer Taten. Es ist für mich unstreitig, NEN]: Ich wollte eine Frage stellen, aber daß man das, was damals wirklich strafbar war, auch will mich jetzt, nachdem der Redebeitrag heute bestrafen können muß. beendet ist, zu einer Kurzintervention mel den!) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Mord an der Mauer, war das kein Exzeß? Die Mauer war - Bitte, Herr Häfner. ein Exzeß!) Ich habe mich nur dagegen gewandt, anzuneh- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vie- Gerald Häfner men, daß das die Diskussion, die Versöhnung er- len Dank, Frau Präsidentin. leichtert. Das bestreite ich. Ich bestreite, daß es leich- Herr Kollege Heuer, da keine Gelegenheit mehr ter ist, mit Menschen über das, was sie Falsches und war, Sie direkt zu fragen, möchte ich in einer Kurzin- Schlimmes gemacht haben, zu reden, wenn sie unter tervention doch mein Befremden zum Ausdruck brin- diesem Fallbeil stehen. gen darüber, daß Sie in offensichtlich völlig pauscha- Ich möchte noch einmal sagen - das widersp richt ler Weise sagen, die Strafjustiz sei ungeeignet, um ir- dem ersten nicht -: Eine gute Atmosphäre für eine gend etwas von dem, was da geschehen ist, aufzuar- Diskussion über schlimme Dinge, eine Diskussion beiten. mit vielen Menschen wird natürlich nicht erreicht, Ich habe mich im Grunde die ganze Zeit gefragt, wenn sie Zehntausende von Ermittlungsverfahren ob das, was Sie hier in den Raum stellen, worüber haben. Sie wissen ganz genau, wie viele Ermittlungs- man ja diskutieren kann, irgendwo eine Grenze hat - verfahren laufen. Ein Ermittlungsverfahren ist etwas, eine Grenze etwa bei Mord, eine Grenze etwa da, wo was einen Menschen belastet. Es wäre leichtfertig, Menschen gewaltsam aus ihrem Land vertrieben, ih- das zu leugnen. Ich weiß, daß Ermittlungsverfahren res Eigentums beraubt worden sind, eine Grenze zum Teil jahrelang laufen und daß den Menschen etwa dort , wo Menschen ohne rechtstaatlich vertret- nicht mitgeteilt wird, wenn sie abgeschlossen wer- bares Urteil über Jahre, zum Teil über Jahrzehnte, in den. Das ist der Einsicht in bezug auf Dinge in der Lagern, in Gefängnissen waren, eine Grenze etwa Vergangenheit nicht dienlich. dort, wo Menschen an der Grenze von hinten er- Ich sage noch einmal: Das schließt das erste nicht schossen worden sind oder wo Menschen die Befehle aus. Daß man den Menschen bei der Auseinander- dazu gegeben oder zugelassen haben, daß dies ge- setzung mit der eigenen Vergangenheit durch die schieht. Strafjustiz hilft, glaube ich allerdings nicht. Da, wo es Wenn Sie sagen, daß das ganz generell mit dem notwendig ist, darf und muß bestraft werden. Das Strafrecht nicht zu behandeln ist, dann frage ich habe ich nicht bestritten. Aber ich glaube, es ist nicht mich, wie Sie - denn ich erinnere mich an viele Ihrer aufrichtig zu sagen, daß man damit bessere Möglich- Äußerungen hierzu und an viele Debatten, die wir im keiten für die Diskussion über Geschichte schafft. Ausschuß geführt haben - über die rechtliche Aufar- (Zuruf des Abg. Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/ beitung von NS-Unrecht denken. Sind Sie nicht auch DIE GRÜNEN]) der Meinung, daß es, damit eine Demokratie gelin- gen möge, nötig ist, den Menschen, die kalten Her- zens Unrechtsbefehle gegen andere Menschen gege- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Keine weitere ben haben, die Befehle gegeben haben, die bis hin Kurzintervention. Dann hat jetzt der Bundesminister zum Mord an anderen Menschen geführt haben, we- der Justiz, Professor Dr. Edzard Schmidt-Jortzig das nigstens nachträglich deutlich zu zeigen, daß eine zi- Wort . vilisierte Gesellschaft, die auf dem Boden des Rechts steht, dieses nicht zulassen kann, daß sie es sühnt, Dr. Edzard Schmidt - Jortzig, Bundesminister der und daß es nicht angehen kann, daß diejenigen die Justiz: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! vorher die Diktatoren waren, auch nachher wieder Bevor ich auf den eigentlichen Gegenstand, nämlich absahnen und an der Spitze stehen? Sind Sie nicht den Haushaltsplanentwurf des BMJ, zu- sprechen mit mir der Meinung, daß hier ein anderer Tonfall komme, möchte ich noch eine Feststellung treffen, und eine andere Sprache und Denkweise angebracht die ich, wenn ich nicht ohnehin drangewesen wäre, wäre? Ich würde mich freuen, wenn Sie, da Sie Gele- in einer Kurzintervention untergebracht hätte. genheit haben, auf diese Kurzintervention einzuge- Ich finde es schon einigermaßen erschütternd, hier hen, hierzu noch etwas sagen würden. im Deutschen Bundestag ein Rechtsverständnis zu (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - erleben, welches völlig ignoriert, was wir an Lehren Norbert Geis [CDU/CSU]: Sehr gut!) aus unserer gemeinsamen deutschen Vergangenheit gezogen haben, nämlich daß Recht nicht voll disponi- bel ist und nicht voll von unterschiedlichen, histo- Herr Heuer. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: risch ja auch sehr zufälligen Identitäten von Staaten abhängig ist, sondern daß es einen Kern von Recht Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Ich habe nicht gesagt, gibt. Dazu gehören die Verbrechen gegen die jedenfalls nicht sagen wollen, daß die Verfolgung Menschlichkeit, die absolut vorstaatlich sind, also 12778 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. 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Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig auch für eine Rechtsordnung der DDR, des NS- Strafrechts, Strafverfahrensrechts und Strafvollstrek- Reichs oder irgendeines anderen totalitären Regimes kungsrechts nachzudenken. gelten. Ich möchte doch eindeutig sagen, daß das, Herr Heuer, die Grundlage unseres Rechtsverständ- Ich muß leider auch hier deutlich sagen, daß es nie- nisses hier in der Bundesrepublik Deutschland ist. mals einen vollständigen Schutz vor Sexualstraftaten geben wird. Wir können nur - und das müssen wir (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der auch - die Risiken noch entscheidend senken. SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf des Abg. Dr. Uwe-Jens Heuer In erster Linie gilt es, schon die Therapie während [PDS]) des Vollzugs zu stärken, damit die Täter nach Verbü- ßung der Haftstrafe nicht ohne Behandlung ihrer ge- Zurück zum Haushalt. Ich habe über meine Haus- fährlichen Neigungen entlassen werden müssen. haltsrede im Rahmen der ersten Lesung das Motto Eine 1969 - also vor fast 30 Jahren - im Gesetzblatt gestellt: Modernisierung der Rechtsordnung. Ich bin verkündete Verpflichtung der Länder zur Bereitstel- zutiefst davon überzeugt, daß Deutschland nur dann, lung sozialtherapeutischer Anstalten wurde noch wenn der rechtliche Rahmen für Gesellschaft, Wi rt vor Inkrafttreten auf Wunsch der Länder, insbeson- -schaft und Staatsapparat mit der Entwicklung Schritt dere aus Kostengründen, wieder aufgehoben. Seit- hält, über die Jahrtausendwende hinaus ein attrakti- dem stehen die Länder in der Verantwortung, Thera- ver Standort bleibt. pieplätze anzubieten, tun dies aber - das muß man deutlich sagen - nur unzureichend. Ich möchte an wenigen Beispielen verdeutlichen, daß wir seit der ersten Lesung ein gutes Stück, so Ein positiver Schritt in die richtige Richtung, an glaube ich, vorangekommen sind, und zunächst aus dem sich die Länder künftig messen lassen müssen, dem Bereich der Kriminalitätsbekämpfung zwei Pro- ist der letzte Woche gefaßte Beschluß der Justizmi- jekte nennen: Das Strafgesetzbuch von 1871 - es ist nisterkonferenz - ganz offensichtlich unter dem Ein- in diesem Jahr stolze 125 Jahre alt - ist durch eine druck des schrecklichen Verbrechens an der kleinen Strafrahmenharmonisierung an die gewandelten ge- Natalie -, daß die diagnostischen und therapeuti- sellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse an- schen Anstrengungen im Justizvollzug verstärkt wer- zupassen. Der entsprechende Entwurf liegt jetzt zur den müssen. Diskussion vor. Wir werden sicherlich noch Gelegen- heit haben, in diesem Hause darüber ausführlich zu Ich möchte besonders hervorheben, daß beispiels- debattieren. weise Baden-Württemberg eine sozialtherapeutische Anstalt mit 120 Plätzen errichtet. Ebenso wird do rt Der Entwurf jedenfalls verleiht höchstpersönlichen das Therapieangebot im Regelvollzug durch zusätzli- Rechtsgütern wie Leben, körperlicher Unversehrtheit che Psychologen verbessert. und Freiheit gegenüber materiellen Rechtsgütern wie Eigentum, Vermögen und Sicherheit des Rechts- (Beifall des Abg. Jörg van Essen [F.D.P.]) verkehrs höheres, größeres Gewicht. Das bedeutet Ich hoffe, dieses Beispiel macht Schule. zum Beispiel, daß wir bei schwerem Raub nur die Pragmatik der Strafdrohung verbessern wollen, wäh- Morgen werden wir in der Koalition über weitere rend auf der anderen Seite, zum Beispiel bei Verge- Maßnahmen beraten, die den Schutz der Kinder waltigung mit Todesfolge, bei schwerwiegender Kör- deutlich verbessern sollen. Ich will schon sagen, was perverletzung oder besonders schweren Fällen men- mir da im einzelnen vorschwebt; denn eine Haus- schengefährdender Umweltstraftaten, die Strafrah- haltsrede ist eine Gelegenheit, über einige rechts- men erhöht werden. politische Pläne zu sprechen - wenn auch mit der notwendigen Vorsicht, um die Gespräche nicht vor- Herr Beck, hier ist das Strafrecht und die Höhe der wegzunehmen. Strafrahmen in der Tat ein ganz entscheidender Indi- kator für die Wertschätzung, für die Schutzbedürftig- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ist keit, die wir bestimmten Schutzgütern zuerkennen. in Baden-Württemberg ein F.D.P.-Justizmi nister?) Natürlich gibt es da noch Kritik und Verände- rungswünsche, aber auch viel Zustimmung. Wir wer- - Sehr richtig, lieber Herr Kollege Weng. Ich kann den das Projekt wie gewohnt in Ruhe, Beharrlichkeit das nur bestätigen. und steter Überzeugungsarbeit weiter verfolgen. - (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Die brau Sehr gut! - Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang chen Sie auch!) Freiherr von Stetten [CDU/CSU]) - Die werden wir auch haben, liebe Frau Däubler - Damit es nun auch die ganze staunende Öffentlich- Gmelin. keit mitbekommt: Es wurde eben ausdrücklich dar- Zweitens. Im Rahmen dieser Strafrahmenharmoni- auf hingewiesen, daß der Justizminister in Baden- sierung war von vornherein geplant, die Höchststrafe Württemberg ein F.D.P.-Mann ist. für besonders schwere Fälle sexuellen Mißbrauchs (Beifall bei der F.D.P.) von Kindern von zehn auf 15 Jahre anzuheben. Der grausame Tod der kleinen Natalie in Bayern war der Ich will auf drei Punkte eingehen, auf die wir uns, Anlaß dafür, über weitere Maßnahmen zum Schutz glaube ich, in unseren Gesprächen auf jeden Fall ei- unserer Kinder auch mit den Mitteln, Herr Beck, des nigen werden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12379

Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Erstens. Eine Aussetzung des Strafrestes zur Be- In Zusammenhang hiermit steht die Vereinheitli- währung kommt nicht mehr schon dann in Betracht, chung des in Frachtrecht, Speditionsrecht und Lager- „wenn verantwortet werden kann zu erproben, ob recht zersplitterten und je nach Verkehrsträger un- der Verurteilte außerhalb des Strafvollzugs keine terschiedlichen Transportrechts im Vierten Buch des Straftaten mehr begehen wird"; das ist der Text der Handelsgesetzbuchs. derzeitigen Gesetzesfassung. Eine vorzeitige Entlas- sung ist jedenfalls bei Sexualstraftätern - nur zu die- Auch darauf will ich noch hinweisen: Gestern ha- sem Sonderbereich will ich sprechen - nur zu verant- ben wir die von der Koalition geplante und in einer worten, wenn anzunehmen ist, daß der Verurteilte Arbeitsgruppe ausgearbeitete Reform des Aktien- solche Straftaten nicht mehr begehen wird. rechts der Presse vorgestellt. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Richtig!) All solche Reformen können sicher nur ein kleiner, aber doch ein wichtiger Beitrag zur Sicherung des Zweitens. Ergänzend müssen wir und wollen wir Wirtschaftsstandorts Deutschland sein. die Einschaltung von Gutachtern verstärken - und zwar auch und gerade von externen Gutachtern, die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) also nicht aus dem Sozialzusammenhang einer Straf- Meine Damen und Herren, eine Modernisierung vollzugsanstalt kommen, in der der Proband sich auf- der materiellen Rechtsordnung ohne eine Moderni- hält - und deren mündliche Anhörung durch die sierung der Justiz, des Vollzugs-, Umsetzungs-, An- Strafvollstreckungskammer vor der Aussetzung des wendungsapparates, ist nur die halbe Miete. Hierzu Strafrestes zur Bewährung festlegen. ist schon viel gesagt. Da meine Redezeit sich dem (Norbert Geis [CDU/CSU]: Richtig!) Ende zuneigt, will ich dazu nicht mehr sagen als das: Wer vom Bund beständig die Verschlankung der Pro- Drittens. Auch bei Aussetzung des Strafrestes zur zeßordnungen verlangt, muß wenigstens gleichzeitig Bewährung könnte an eine verstärkte ambulante durch Strukturreformen und Modernisierung die Lei- Therapie als Bewährungsauflage gedacht werden. stungsfähigkeit seiner Justiz sicherzustellen bereit (Norbert Geis [CDU/CSU]: Richtig! - Dr. sein. Diese Mahnung richtet sich natürlich an die Wilfried Penner [SPD]: Die werden aber nie Länder; denn dort ist nun einmal nach der föderati- in eine Ambulanz gehen!) ven Zuständigkeitsordnung des Grundgesetzes die Verantwortung für die Justiz angesiedelt. Aus dieser - Das ist sehr die Frage. Lieber Herr Penner, ich habe Verantwortung werden wir keinen einzigen Landes- andere Signale insbesondere auch aus Nordrhein- justizminister entlassen, auch dann nicht, wenn er Westfalen, nämlich aus Essen, bekommen. der F.D.P. angehört; da sind die Mahnungen aber (Dr. Willfried Penner [SPD]: Der Glaube ist gottlob nicht so wichtig, wie wir uns vergewissert ha- es! - Norbert Geis [CDU/CSU]: Das sind ben. gute Vorschläge, Herr Minister! Denen kön nen wir zustimmen!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister, ge- Meine Damen und Herren, im Bereich des Wi rt statten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen van -schaftsrechts will ich den Spielraum für Eigenverant- Essen? wortung, Kreativität und Initialität vergrößern.

Ein Beitrag hierzu ist die Deregulierung des Han- Dr. Edzard Schmidt - Jortzig, Bundesminister der delsrechts. Justiz: Gern. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sehr gut!) Jörg van Essen (F.D.P.): Herr Minister, wie beurtei- len Sie in diesem Zusammenhang den Stand des Zunächst soll Kaufmann in Zukunft jeder sein, der ei- Zentralen Staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregi- nen in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewer- sters, für das wir vom Bund die Grundlage gelegt ha- bebetrieb führt. Der in vielen Juristengenerationen ben, das aber von den Ländern umgesetzt werden feinsinnig gestrickte Unterschied zwischen Istkauf- muß, und zwar möglichst schnell, damit die vielen mann bzw. Mußkaufmann und Sollkaufmann wird Vorteile, die damit verbunden sind, insbesondere ebenso wie die Figur des Minderkaufmanns aufge- zum Beispiel beim Kampf gegen reisende- politisch geben. motivierte Gewalttäter, greifen können? (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Gott sei Dank!) Dr. Edzard Schmidt -Jortzig, Bundesminister der Das Firmennamensrecht wird so gelockert werden, Justiz: Das gehört leider in das gleiche Kapitel, in daß auch Phantasiefirmen zulässig sind, solange sie dem die praktische Umsetzung von Gesetzen, die der nicht irreführen. Die offene Handelsgesellschaft soll Bund in die Wege geleitet und beschlossen hat, auf auch für Kleingewerbetreibende geöffnet und ihr sich warten läßt. Dadurch wird die praktische Arbeit Fortbestand auch bei Ausscheiden eines Gesellschaf- für mehr Sicherheit und für eine wirksame Kriminali- ters gesichert werden. tätsbekämpfung behindert. Es ist richtig, daß wir in solchen Fällen immer wieder darauf hinweisen, daß (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: die Länder es nicht dabei bewenden lassen können, Das ist für die SPD interessant! Kleinge beständig nach dem Bonner Gesetzgeber zu rufen, werbe!) sondern vor ihrer eigenen Tür kehren müssen und 12780 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig die Dinge, die auf Länderebene machbar sind, wirk- Jetzt aber, meine Damen und Herren, komme ich lich umsetzen müssen. auf den zweiten Teil zu sprechen. Sie dürfen uns in Zukunft nicht mehr enttäuschen, indem Sie in der Ein Letztes. Bei allem Streben um eine Effektiv- Rechtspolitik so weitermachen wie bisher, sonst wäre erhaltung der deutschen Rechtsordnung und eine ein pädagogischer Lehrsatz aus den Angeln geho- Reform der deutschen Justiz ist es meines Erachtens ben. Wenn Sie schon eine schlechte Rechtspolitik zugleich ein Gebot der Stunde, noch stärker den machen, können Sie es so weit eigentlich nicht ver- Schulterschluß, eine Harmonisierung und Zusam- antworten. menarbeit auf europäischer Ebene herbeizuführen. Ich mache mich für einen Beitritt der Europäischen (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention CSU]: Ich wußte doch, da kommt noch stark, damit die dortigen Grundrechte für die Unions- etwas nach!) einrichtungen und für die Unionsbürger unmittelbar - Aber natürlich kommt das nach, und zwar einfach gelten. deshalb, weil Sie doch selber, lieber Herr von Stet- Ich befürworte die Vergemeinschaftung gewisser ten, ganz genau wissen, daß eigentlich der Kollege Strafverfolgungsbereiche, und zwar sowohl in - Kleinert - ich hatte schon gehofft, daß er wieder her- wenn auch ganz wenigen - Bereichen des materiel- einkommt - recht hat. Jawohl, der Ton unter den len Strafrechts als auch im Bereich des Verfahrens- Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitikern ist außer- rechts und hier insbesondere der strafrechtlichen ordentlich gut. Daß Sie uns aber unglaublich viel zu- Rechtshilfe, aber im übrigen auch der zivilrechtli- muten chen Rechtshilfe. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ich strebe eine Verbesserung der Arbeit in der drit- Sie uns auch!) ten Säule des Maastrichter Vertrages an; denn nur und gelegentlich eigentlich eine Erschwerniszulage dort können wir Europa für die einzelnen Menschen zahlen müßten, will ich an dieser Stelle auch noch auf diesem Kontinent deutlicher spürbar werden las- einmal erwähnen. sen. Ich möchte auch etwa Europol viel unmittelba- rer in die staatsübergreifende Verbrechensbekämp- (Beifall bei der SPD) fung einschalten. Ich wundere mich jedenfalls manchmal, daß wir trotz Ein intakter deutscher Ordnungsraum unter einem alledem so fröhlich sind, leistungsfähigen, einheitlicheren europäischen Dach, (Detlef Kleine rt [Hannover] [F.D.P.]: Da das ist auch und gerade in der Rechtspolitik die De- müßten Sie noch Vergnügungssteuer zah vise. Ich bitte Sie deshalb, dem Justizhaushalt, der len!) einer solchen Politik gewidmet ist, zuzustimmen. obwohl sehr häufig kein Anlaß für diese Fröhlichkeit Vielen Dank. besteht. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Man muß sich nur einmal überlegen, daß das von Ihnen Vorgetragene nicht nur zäh und frustig ist. Es kommt dann auch noch der geschätzte Kollege Klei- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht die Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin. nert herein und sagt, wir würden uns alle noch wun- dern, worauf Sie sich einigten. Lieber Herr Kollege Kleinert, wir werden uns nicht wundern, sondern wir

Dr. Herta Däubler - Gmelin (SPD): Verehrte Frau Prä- wundern uns heute schon, worauf Sie sich manchmal sidentin! Meine Damen und Herren! Als Mutter bin einigen. ich gewöhnt, daß in schwierigen Situationen manch- Gesetze, die Sie mit Mehrheit durchdrücken wol- mal das Betonen guter Beispiele und gelegentliches len, werden heute - wenn Sie einen Funken Ehrlich- Lob hilft. Das letzte Mal, als ich in der Haushaltsde- keit besitzen, werden Sie mir jetzt zustimmen müs- batte zum Justizhaushalt gesprochen habe, habe ich sen - in den Ausschüssen und speziell auch im gesagt: Es ist manchmal schon ein bißchen schreck- Rechtsausschuß zum Teil in einer Verantwortungslo- lich, was man hier unter Rechtspolitik versteht. Statt sigkeit beraten, die gen Himmel schreit. Lust hauptsächlich Last und Frust, weil sich über- - haupt nichts geändert hat, verehrter lieber Herr Bun- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des desjustizminister und meine Damen und Herren, die BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie mir alle so sympathisch sind. Das bietet jedenfalls keinen Anlaß zum Vergnügen Deswegen will ich es jetzt einmal mit einem Lob oder auch nur zum guten Ton. probieren, mit einem Lob, das ich übrigens guten Ge- wissens aussprechen kann; denn es bezieht sich auf Es ist die schiere Wahrheit, daß von Sitzung zu Sit- die Einrichtung des Seegerichtshofs in Hamburg zung die Grundlagen unserer Beratungen häufig so und auf die Ernennung und die erfolgreiche Wahl ei- verändert werden, daß nicht einmal die Koalitions- nes deutschen Mitglieds. Ich glaube, das ist eine mehrheit weiß, worüber sie jetzt gerade abstimmt. gute Sache. Man sollte das auch sagen. Hauptsache, es ist positiv. Wir haben zum Beispiel beim Gesetz über die Einbeziehung von Einmalzah- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE lungen in die Sozialversicherung eine Auskunft des GRÜNEN und der PDS) Justizministeriums erhalten, daß es mit Sicherheit Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12781

Dr. Herta Däubler-Gmelin einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsge- Ich habe aber nicht den Eindruck, daß Ihre Koalition richt nicht standhalten könne. Dennoch wird von der bisher mit dem nötigen Ernst, der tatsächlich ange- Mehrheit zugestimmt, als sei nichts gewesen. bracht wäre, über diese Fragen redet, geschweige denn sich einigt. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das Verfas sungsgericht kann seine Rechtsprechung Zum ersten geht es darum, daß sich die Rechtsgü- ändern!) terordnung des Grundgesetzes auch im Strafgesetz- buch niederschlagen muß. Das ist wahr. Lieber Herr Geis, das neueste Beispiel hierfür gab es heute morgen - Sie wissen das ganz genau - bei (Beifall bei der SPD) der Beratung des Altschuldenhilfe - Gesetzes, bei der Zum zweiten geht es darum, daß man den Grund- der Rechtsausschuß seine Beratungsaufgabe einfach satz „Die Kleinen fängt man, und die Großen läßt nicht wahrnehmen konnte, weil noch nicht einmal man laufen" aufgibt und den Schwerpunkt richtig die Zeit blieb, die Verfassungsmäßigkeit und die Be- setzt. denken, die uns von seiten der Landesjustizverwal- tungen vorgetragen worden waren, zu prüfen. Aber Zum dritten geht es darum, daß wir den Charakter es wird mit dem Hinweis zugestimmt: Der Herr des Strafrechts und seine Funktion endlich wieder wird's schon richten; irgendwo wird sich schon alles deutlich herausarbeiten. Damit hätte das Strafrecht zurechtmäandern. Das halte ich nicht für befriedi- eine Ultima-ratio-Funktion. gend. Wir dürfen nicht alles, was wünschenswert wäre (Beifall bei der SPD) oder was sich gegen Mißstände richtet, die Ihnen oder uns - möglicherweise aus guten Gründen - Deswegen sollten Sie, verehrter Herr Kleine rt , ge- nicht gefallen, in das Strafrecht hineinnehmen, weil legentlich daran denken, daß Sie sich nicht nur bei wir ganz genau wissen, daß damit die Effizienz, die uns für den guten Ton - das ist ja auch wahr - bedan- Wirksamkeit und auch der Respekt für das Recht - all ken, sondern auch etwas stärker an die Aufgabe der das sind wesentliche Bestandteile unserer Rechts- Rechtspolitik in diesem Haus erinnern und daran an- staatlichkeit - vor die Hunde gehen. Deswegen bin knüpfen. Es täte der Arbeit und vor allen Dingen ich der Meinung, die Bezeichnung Strafrechtsreform dem deutschen Recht wirklich gut. im Zuge dieser Strafrahmenharmonisierung ist ein Ich will jetzt meine Aufforderung vom letztenmal bißchen hoch gegriffen, wenn man diese Reform mit nicht wiederholen. Ich will Ihnen nur sagen, daß ich den großen Reformen der siebziger Jahre vergleicht. es für sehr gut hielte, wenn Sie unsere Anregungen Ich habe Ihnen vorhin zugelacht und gesagt: Sie zur Lösung der Probleme unseres Landes, sei es nun werden die Entschlossenheit und den kühlen Kopf die Sicherheit oder die Rechtsstaatlichkeit, wirklich brauchen. Aber ich denke, der Weg und die Rich- etwas zeitgerechter, vernünftiger und auch vertiefter tung sind richtig. berücksichtigten. Das wäre sehr gut. Zu einem weiteren Punkt. Ich freue mich, daß wir Schauen Sie auf das Sanktionensystem: Wir alle in einigen Bereichen durchaus Übereinstimmung in wissen es - die Fachleute sagen es uns jeden Tag -, diesem Haus erreichen können. Darunter fällt der daß wir außer Geldstrafe und Strafhaft weitere For- Bereich dieser schrecklichen Sexualmorde, die Sor- men von Strafe brauchen, sei das nun soziale Arbeit gen - auch verursacht durch Rückfalltäter - in der Öf- oder anderes. fentlichkeit ausgelöst haben. Diese Sorgen sind ver- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ ständlicherweise wieder aufgekommen. CSU]: Prügelstrafe!) Jeder, der sieht, daß ein Kind einem Sexualmord zum Opfer gefallen ist, ist dazu verpflichtet, zu prü- - Das ist nun wieder typisch, daß Ihnen das einfällt; fen, ob das Verfahren der Verurteilung, das Verfah- aber dieses Wort sollte Ihnen im Hals steckenbleiben, ren der vorzeitigen Entlassung, das Verfahren der verehrter Herr Kollege. - Neben der Zeitstrafe gibt es Begutachtung oder das Verfahren der Therapierung natürlich auch andere Dinge, zum Beispiel Fahrver- der Verbesserung bedarf. Jeder, egal ob er im bote. Bereich der Gerichtsbarkeit, des Strafvollzuges, der Diese Unernsthaftigkeit, mit der Sie sich diesen Polizei, der Landesjustizverwaltungen oder des Bun- wirklichen Problemen widmen, zeigt im Grunde ge- destages tätig ist, ist dazu aufgefordert. - nommen - das liegt nicht nur an der späten Stunde in (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker diesem Haus, das kann man ja noch nachsehen -, Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) daß im Bereich der Rechtspolitik eine Einigung der Koalitionsfraktionen über wesentliche Punkte noch Deswegen finde ich es gut, daß wir gemeinsam das aussteht. Mit diesen Fragen werden Sie sich genauso Anhörungsverfahren durchführen konnten. Ich finde befassen müssen wie mit der Frage der Erneuerung es auch richtig, daß die Punkte, die Sie gerade ge- der Strafrahmenharmonisierung. schildert haben und die im wesentlichen, wie wir wissen, auf einem Beschluß der Justizministerkonfe- Ihre Vorgängerin, Herr Bundesjustizminister, hat renz des Bundes und der Länder beruhen, jetzt in die unseren Antrag - er hat bereits einen sehr langen Gesetzgebung oder auch in die Verbesserung der Bart: schon 1993 haben wir gemahnt, daß wir ihn um- Praxis eingebracht werden. setzen; do rt sind auch die Gründe, die Sie aufgezählt haben, enthalten - Gott sei Dank aufgegriffen und Aber, Herr Bundesjustizminister, das ist natürlich ans Laufen gebracht. Sie haben darüber berichtet. noch nicht alles, was wir zu tun haben. Ich darf Sie 12782 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Dr. Herta Däubler-Gmelin daran erinnern: Es gibt nicht allem die Opfer der mißbrauchten Kinder bei der Polizei und vor den Ge- schrecklichen Sexualmorde, die hier oder in Belgien richten. die Öffentlichkeit beunruhigen. Es gibt daneben auch Kinder, die Opfer der sexuellen Ausbeutung Wir haben in diesem Zusammenhang einen Ge- und Mißhandlung werden und dadurch zerstört wer- setzentwurf vorgelegt, der die ständige Qual wieder- den, die nicht Natalie heißen. Sie haben vielmehr ei- holter Vernehmungen durch Videoaufnahmen we- nen thailändischen oder einen philippinischen Na- nigstens auf ein erträgliches Maß reduzieren soll. Zu men. diesem Gesamtkonzept gehört aber erheblich mehr. Deswegen sind wir der Meinung, hier gemeinsam (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist richtig!) noch eine ganze Menge zulegen zu müssen. Es gibt in jedem Jahr eine höhere Anzahl deut- Lieber Herr Kleine rt , ich versuche es noch einmal: scher Männer - dies muß ich sagen -, die als Sextou- Niemand wird Sie als einen Macho beschimpfen. Um risten in diese Länder fahren, um Kinder zu zerstö- aber zu glauben, daß es Ihnen mit der Bekämpfung ren. Es gibt in jedem Jahr mehr Schwierigkeiten im von sexueller Gewalt gerade im Nahbereich auch ge- Bereich der Kinderpornographie. Daß unsere genüber Frauen Ernst ist, gehört nun einmal, daß Schutzmechanismen, die wir eingebaut haben, nicht man keine Privilegierungen schafft. Dazu gehört, daß funktionieren, zeigt Ihnen ein Blick auf die Kioske man Frauen, die sich dazu durchgerungen haben, oder in das Inte rnet. Ich habe den Eindruck, wir wer- Anzeige zu erstatten, nicht weiter der Drucksituation den in diesem Bereich noch erheblich mehr tun müs- oder dem Einflußbereich von Tätern aussetzt. Deswe- sen. gen sage ich Ihnen: Es ist nicht ein kleines Rinnsal. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Rosel Ihre Überlegung hat vielmehr einen falschen Ansatz- Neuhäuser [PDS] - Norbe rt Geis [CDU/ punkt. CSU]: Das ist richtig!) Wir haben die Bitte, noch einmal im Bundestag, Mich ärgert, daß wir die Vermittlung von Kindern, nachdem der Bundesrat im Vermittlungsausschuß die Vernichtung von Kindern in Deutschland nicht zwischen Bundesrat und Bundestag - Gott sei Dank - bestrafen können, weil wir zum Teil in unseren dies- eine veränderte Fassung durchgesetzt hat, über bezüglichen Gesetzen - ich spreche jetzt den § 5 des diese Fragen abzustimmen. Ich sage Ihnen sehr deut- Strafgesetzbuches an - Schlupflöcher haben und lich: Wir werden in dieser Frage einen neuen Gesetz- weil zum Teil die Zusammenarbeit zwischen den Be- entwurf einbringen, und zwar sehr bald, weil wir Sie hörden des Bundes und der Länder einfach schänd- hier aus der Verantwortung nicht entlassen können. lich schlecht ist. Sie ist so schlecht, daß jemand 10 Monate sein Unwesen in der Zerstörung von (Beifall bei der SPD) Kindern betreiben konnte, nur weil ein zuständiges Gericht nicht gefunden werden konnte. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch weitere Punkte aufgreifen, die mir einfach deswegen (Otto Schily [SPD]: Das ist unerhört!) wichtig sind, weil sie in dieser Debatte eine große Rolle gespielt haben. Herr Heuer, was ich an Ihrem Das ist unglaublich. Wäre der Mann jetzt nicht wie- Vortrag außer dem, was schon dazu gesagt wurde, so der mit kleinen Mädchen in der Tschechei auf gegrif- schwierig fand, ist die Tatsache, daß Sie zwar den fen worden, dann säße er noch immer nicht in Haft. Positivismus bemühen, der an sich eine interessante, Die deutschen Behörden hätten ihn nicht daran ge- auch rechtstheoretische Denkweise bietet, daß es hindert. aber bei Ihnen so klingt, als wollten Sie relativieren. Wenn wir den Schutz der Kinder in den Mittel- Das geht nicht. punkt rücken wollen, dann sind diese Dinge genauso zu berücksichtigen wie die Frage: Wie gehen wir ei- Das zweite, was mich an Ihrem Vortrag sehr ge- gentlich mit Sexualmördern und Rückfalltätern um? stört hat, war, daß Sie zwar, wie ich finde, durchaus begreiflich und zu Recht Anstoß nehmen, wenn zum Das gleiche gilt für die sexuelle Gewalt und den Beispiel der Deutsche Bundestag polemisch vergli- sexuellen Mißbrauch im familiären Nahbereich. Ich chen wird mit dem Goldhagen-Zitat „Willige Voll- weiß, das ist ein Tabuthema, weil jeder von uns auf strecker" - wenn auch mit einem Fragezeichen ver- seine Familie als Ort der Zuneigung und Liebe gro- sehen -, daß Sie dann aber, wenn es um die Recht- ßen Wert legt. Es ist natürlich auch nicht leicht, zu sprechung des Bundesverfassungsgerichtes bei Men- sehen, daß es immer häufiger Gewalt in übelster schenrechtsverletzungen geht, von einer Sonderbe- Form, auch sexuelle Gewalt und Mißbrauch, gibt. handlung der Deutschen sprechen. Das geht nicht. Das mag auch mit dem Zerfallen von Familien zu tun Das müssen Sie relativ bald überdenken und in Ord- haben. Dazu gibt es die interessantesten Überlegun- nung bringen. gen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, wir können nicht war- ten, bis die Erklärungen so eindeutig sind, daß dann Ein weiterer Punkt ist der, den Sie, Herr Beck, auf- jeder zustimmt, etwas tun zu müssen. Ich sage Ihnen gegriffen haben, nämlich das Problem der Scientolo- vielmehr: Zu einem Gesamtkonzept zum Schutz der gen. Ich verstehe, daß Sie in ganz besonderer Weise Kinder vor sexuellem Mißbrauch und Gewalt - das sensibel sind, wenn es um Minderheiten geht. Ich fordern wir ein; das werden wir auch einbringen, denke, Sie hätten Ihren Überlegungen und der Tat- wenn Sie uns etwas vorlegen - gehören auch Hilfe- sache einer bestehenden Enquete-Kommission noch stellung, Früherkennung, bessere Behandlung dieser zwei Dinge hinzusetzen müssen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12783

Dr. Herta Däubler-Gm elin Erstens. Die Scientologen sind keine Kirche, son- len" gar nicht mehr machen. Ich würde noch lieber dern sie benutzen diesen Beg riff, um möglichst we- in einigen Dingen mit Ihnen übereinstimmen. Aber nig Kontrolle und möglichst viele Privilegien zu be- ich glaube, Sie sind jetzt - um einen juristischen Be- kommen. Sie sind eine internationale Geldmaschine griff zu bringen - wirklich in der Bringschuld. mit außerordentlich fragwürdigen Methoden ihren Anhängern oder Mitgliedern gegenüber. Das macht Danke schön. das Problem aus. (Beifall bei der SPD) Zweitens. Wenn Sie von Hexenjagd sprechen, dann muß ich Ihnen sagen: Wenn jemand in Amerika Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das immer wieder in ganzseitigen Anzeigen die deutsche Wort dem Abgeordneten Norbe rt Geis. Bundesregierung, mit der ich inhaltlich, wie Sie wis- sen, keineswegs immer einverstanden bin, mit dem Norbert Geis (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Hitlerregime oder deutsche Politikerinnen und Politi- sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesmi- ker mit Goebbels oder anderen vergleicht, dann ist nister, ich stimme mit Ihnen in Ihren Ausführungen das nicht nur eine Unverschämtheit, sondern völlig zu den Sexualdelikten voll überein. Ich bin aber der unerträglich und darf nicht geduldet werden. Das Meinung, daß wir uns auch Gedanken darüber ma- kommt dem Begriff der Hexenjagd viel näher als al- chen müssen, was ist, wenn der Täter seine Strafe - les andere. auch beispielsweise nach einer Bewährungszeit - (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem voll abgebüßt hat, die Sachverständigen aber sagen, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) daß er nach wie vor eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt. Lassen Sie mich zum Schluß noch einen Punkt an- sprechen, der mir ebenfalls sehr wichtig ist. Verehr- Hier meinen wir, daß wir das Instrument der Füh- ter Herr Bundesjustizminister, ich habe Sie schon rungsaufsicht und auch der Sicherungsverwahrung mehrfach gepiesackt und darum gebeten, das Pro- prüfen und unter Umständen auch stärker anwenden blem der engeren Zusammenarbeit in Europa wirk- müssen. Denn es geht um die Sicherheit unserer Kin- lich ernst zu nehmen. Ich habe mich insofern über der, es geht um die Sicherheit vor Gewaltverbre- Ihre Ansätze sehr gefreut, weil ich in der Tat, wie chern überhaupt, um die Sicherheit der Bevölkerung. wohl viele hier im Saal, der Auffassung bin, daß Frau Kollegin Däubler-Gmelin, ich stimme auch nichts Vernünftiges dabei herauskommen kann, mit dem überein, was Sie zu der Sicherheit und dem wenn die Grenzen nicht mehr für die Verbrechen Schutz der Kinder gesagt haben, die nicht in und für die Verbrecherorganisationen bestehen, son- Deutschland leben. Da, meine ich, sollten wir zu ei- dern nur noch für nationale Gesetze, für Justiz und ner gemeinsamen Lösung kommen. Wir bieten je- Polizei. Dann wird sich der Bürger fragen: „Wo ist denfalls insoweit unsere Zusammenarbeit an. denn eigentlich mein Rechtsstaat geblieben? Ich kann hier nicht mehr geschützt werden." Das heißt, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Zusammenarbeit ist nötig. F.D.P.) Die Bitte, die ich habe, ist nur: Wenn Sie einen Es kann nicht sein, daß wir in Deutschland die Kin- neuen Anlauf nehmen, um die Zusammenarbeit zu der schützen - das wollen wir -, daß wir aber Deut- verbessern, dann lassen Sie doch bitte nicht die schen dann, wenn sie ins Ausland gehen, einen Frei- ganze geballte Kraft ausschließlich in den Bereich brief erteilen, dort Straftaten in unserem Sinne zu be- fließen, von dem Sie gesprochen haben. Insbeson- gehen. Man muß darüber nachdenken, wie man in dere der Beitritt der EU zur Menschenrechtskonven- Deutschland diesen Straftaten begegnen kann. tion, so wünschenswert er wäre, kann möglicher- In der heutigen Debatte ist noch nicht zur Sprache weise ein Irrweg sein. Der Grundrechtskatalog in Eu- gekommen, was uns der Bundesrat inzwischen auf ropa wäre sehr viel besser. Er würde auch dazu füh- den Tisch gelegt hat. Die Zahl der Eingänge bei den ren, daß man den Europäischen Gerichtshof, der Zivilangelegenheiten und die Eingänge bei den sehr viele Vorarbeiten geleistet hat, in seiner - auch Strafrechtsangelegenheiten steigt an. Deswegen hat Grundrecht schützenden - Funktion gegenüber Ak- der Bundesrat uns ein Justizentlastungsgesetz so- tionen und auch Gesetzen der Europäischen Union wohl im zivilen als auch im strafrechtlichen Bereich erheblich kräftigt. Ich glaube, daran muß uns allen vorgelegt. Wir werden uns damit natürlich in der gelegen sein. nächsten Zeit zu beschäftigen haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber wir kennen die Diskussion jetzt schon jahre- Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, lang. Immer wieder, in jeder Legislaturpe riode, tau- ich sollte noch einmal auf den Anfang zurückkom- chen Entlastungsgesetze auf. Es ist ein ständiges Pro- men. Ich denke, es liegt an Ihnen, uns hier im Haus blem, mit dem die Länderjustizverwaltungen ganz vorzuführen, daß Rechtspolitik auch die wirklichen offensichtlich zu kämpfen haben, und zwar völlig un- Probleme unseres Landes aufgreifen kann. abhängig davon, welche Partei do rt den Justizmini- ster stellt. Deswegen müssen wir die Argumente (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch) ernst nehmen. Wenn Sie sich darauf einigen würden, verehrter Ich meine aber, wir sollten auch von unserer Seite Kollege Kleine rt, dann würde ich die Aussage „Ich her darauf hinweisen, welche Bedeutung die Justiz wundere mich, warum wir alle so fröhlich sein sol- für den Rechtsstaat hat. Man kann solche Diskussio- 12784 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Norbert Geis nen nicht nur unter dem Diktat leerer Kassen führen. Norbert Geis (CDU/CSU): Sie meinen im zivilrecht- Wenn Justizentlastung, dann um die Justiz effektiver lichen Bereich? zu machen, nicht nur aus der Rücksicht, man könne, müsse und dürfe den Haushalt nicht zu sehr bela- (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Ja!) sten, zumal sich die Länder do rt eh nicht schwertun. Dazu sind wir bereit. Die Schlichtungsstelle, die jetzt Nur knapp über 3 Prozent der Mittel aus den Länder- diskutiert wird und für die der Bundesratsentwurf haushalten werden brutto für die Justiz aufgewen- eine Öffnungsklausel für die Länder vorsieht, wäre det. Das ist für eine Kernaufgabe des Staates wenig. ein solches Instrument. Aber wir können gemeinsam über eine solche gesetzliche Möglichkeit ohne weite- Die Justiz ist eine ganz entscheidende Kernauf- res nachdenken. gabe. Ohne funktionierende Justiz gibt es keinen Rechtsstaat. Wenn der Gläubiger nicht in der Lage Ich möchte nur vor einem warnen. Ich glaube ist, vor Gericht zu gehen, seine Forderungen geltend nicht, daß wir mit einer allzu weitgehenden Privati- zu machen und sie dann auch zu vollstrecken, funk- sierung im Justizbereich weiterkommen. Wir werden tioniert die freie Marktwirtschaft nicht. Der Verbre- sehr schnell an die Grenze kommen, weil die Justiz cher schert sich nicht um das gedruckte Wo rt, wenn eine Staatsgewalt, die dritte Gewalt im Staat, ist. Sie nicht ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet, ist ein Teil des Staates, und den Staat kann man nicht ein Strafurteil gegen ihn ergeht und dieses Urteil privatisieren. auch vollstreckt wird. Der Rechtsfrieden kann nur in einem Land, das eine freiheitliche Grundordnung Deswegen sind zwar die Schlichtungsstellen ein hat, durch die Justiz gewährleistet werden - nicht guter Ansatz. Auch über die Schiedsgerichtsbarkeit nur, aber vor allem. kann man weiterkommen. Aber irgendwo sind Gren- zen geboten, einfach deswegen, weil es hier um Diesen Grundsatz müssen wir mehr bedenken, Staatsgewalt geht und die Staatsgewalt an sich nicht wenn wir an das Werk gehen, das uns der Bundesrat privatisiert werden darf. abverlangt, nämlich über eine weitere Entlastung der Justiz nachzudenken. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Dabei stimmen wir in manchen Punkten sicher Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen überein, im zivilen Bereich zum Beispiel bei dem Eylmann? Vorschlag, Schlichtungsstellen einzurichten. Ich halte dies für einen sehr guten Vorschlag, weil er sich Norbert Geis (CDU/CSU): Ja. im strafrechtlichen Bereich nämlich im Privatklage recht bewährt hat. Do rt ist der Sühneversuch durch- aus ein Instrument, das oft genug zum Erfolg führt. Horst Eylmann (CDU/CSU): Lieber Herr Kollege Schlichtungsstellen sind deshalb zu begrüßen. Wir Geis, Sie haben zu Recht, ebenso wie der Herr Bun- wollen die Öffnung für die Länder, um eine solche desjustizminister betont, daß im Bereich der Justiz- Regelung einzuführen. entlastung natürlich auch eigene Anstrengungen der Länder verlangt werden müssen. Wie beurteilen Sie Auch das Vorhaben des Justizministers, das in diesem Zusammenhang die Handlungsweise des Schiedsverfahren zu modernisieren, unterstützen wir. Frankfurter OLG-Präsidenten und des dortigen Ju- Ich glaube in der Tat, daß auch in einem solchen Be- stizministers vor dem Hintergrund, daß man wohl reich Konflikte international und national bereinigt schlecht von uns Entlastungsmaßnahmen mit der Be- werden können. Wir sollten alles tun, damit ein sol- gründung verlangen kann, die Richter seien hoff- ches Instrument attraktiv gemacht wird. Deswegen nungslos überlastet, wir dann aber erleben müssen, begrüßen wir das Vorhaben des Justizministeriums. daß führende Richter, die sich in erster Linie wohl um das Funktionieren ihrer Ge richte kümmern müßten, lukrativen Nebengeschäften nachgehen - wobei ich Herr Kollege Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: noch erwähnen will, daß dies kein Einzelfall ist? Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeord- neten Däubler-Gmelin? Norbert Geis (CDU/CSU): Ich bin mit Ihnen einer Meinung. Ich glaube, daß dies eine schlechte Unter- Norbert Geis (CDU/CSU): Bitte sehr. stützung für das Ländervorhaben ist, die Richter zu entlasten. Uns sagt man immer, die Richter- seien sehr Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Herr Kollege Geis, stark belastet, und ich kann es ja auch fast glauben wären Sie auch bereit, über weitergehende Schritte angesichts der Tatsache, daß von 1991 bis 1995 die nachzudenken, die in der Tat auf die Möglichkeit Belastung um 30 Prozent gestiegen ist und durch ei- von Schlichtungsstellen oder vorgerichtlichen Aus- nen höheren Einsatz der Richter, der Staatsanwälte gleichsstellen ausgeweitet werden könnten, für die und der Justizbeamten wettgemacht worden ist. wir, wie Sie wissen, schon seit Jahren immer Argu- Denjenigen, die diese Belastung auf sich genommen mente dafür oder dagegen hören? Der Streit kann und bewältigt haben, möchte ich auch einmal dan- nicht überwunden werden. Wären Sie bereit, mit uns ken. darüber nachzudenken, richtige gesetzliche Experi- (Beifall des Abg. Detlef Kleinert [Hannover] mentierklauseln auf eine bestimmte Zeit hin be- [F.D.P.]) grenzt vorzusehen, damit wir dann in der Tat inner- halb einer bestimmten Zeit von Jahren in diesen Fra- Wenn ich dann aber das Beispiel aus Frankfu rt gen weiterkommen? Nebentätigkeiten sehe, dann meine ich schon: Wenn Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12785

Norbert Geis in einem solchen Umfange - das Honorar für diese Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Nebentätigkeit in Höhe von über 1,3 Millionen DM Geis, Sie provozieren geradezu eine Fülle von Fra- weist ja auf eine sehr umfangreiche Nebentätigkeit gen von Kollegen, die noch nicht genug haben. Zu- hin - möglich sind, dann müssen uns Zweifel an der nächst einmal möchte der Kollege Professor Meyer Behauptung kommen, die Richter seien hoffnungslos eine Frage stellen. Sind Sie einverstanden? überlastet. Ich verurteile dies genauso wie Sie. Ich verurteile aber auch den Vertragspartner. Ich meine Norbert Geis (CDU/CSU): Ja, bitte. nicht, daß die Gewerkschaft hier sorgsam mit den Geldern ihrer Mitglieder umgegangen ist. Ich kann einen solchen Vertrag einfach nicht verstehen und Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte schön. nicht akzeptieren. (Ulm) (SPD): Herr Kollege Geis, (Beifall des Abg. Peter Altmaier [CDU/ Dr. Jürgen Meyer sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es Mo- CSU]) dellversuche mit Hauptverhandlungshaft in Bochum Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen schon deshalb nicht geben kann, weil die Hauptver- Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf ein handlungshaft bisher nicht Bestandteil des gelten- Weiteres hinweisen. Wir haben 1994 im strafrechtli- den Rechts ist, und stimmen Sie mir zu, daß eine chen Bereich eine Justizentlastung vorgenommen, Hauptverhandlungshaft, also ein sehr schneidiges In- indem wir nämlich das beschleunigte Verfahren mo- strument staatlicher Machtanwendung, dann unver- dernisiert haben. Nur: Das beschleunigte Verfahren hältnismäßig erscheinen muß, wenn man sich im Be- wird von den Ländern mit Ausnahme von Branden- reich der schwersten, nämlich der organisierten Kri- burg nicht aufgegriffen. Do rt werden bereits minalität bisher nicht auf neue Instrumente einigen 10 Prozent der eingehenden Fälle im beschleunigten konnte? Meinen Sie nicht, daß dies dem allgemeinen Verfahren abgewickelt. Eindruck Vorschub leistet, daß die Rechtspolitik der Koalition darauf aus ist, die Kleinen zu fangen und Eine Voraussetzung für das beschleunigte Verfah- die Großen zu schonen? ren ist natürlich die Hauptverhandlungshaft. Wie soll das beschleunigte Verfahren überhaupt eingesetzt werden, wenn in München die Chaoten auftauchen Norbert Geis (CDU/CSU): Sie können von mir und, nachdem ihre Personalien festgestellt sind, quer nicht ein Ja erwarten; das wissen Sie auch. Ich bin durch die Republik nach Hamburg zurückreisen, wo nicht Ihrer Auffassung, sondern vielmehr der Mei- sie ihren Wohnsitz haben? Do rt ist eine Ladung in- nung, daß die Hauptverhandlungshaft ein notwendi- nerhalb von acht Tagen ausgeschlossen, so daß ein ges Instrument ist, um das beschleunigte Verfahren beschleunigtes Verfahren gar nicht durchgeführt durchführen zu können. Ich habe das Beispiel ge- werden kann. Deshalb meine ich, daß das beschleu- nannt: Es geht um Chaoten, die irgendwo in Mün- nigte Verfahren im Zusammenhang mit der Haupt- chen auftauchen, aber in Hamburg wohnen. Wie soll verhandlungshaft von allergrößter Bedeutung ist. man ein beschleunigtes Verfahren durchführen, wenn die Straftaten an einem Samstag erfolgen? Ich bin natürlich mit Ihnen der Meinung, daß die Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hauptverhandlungshaft nicht ewig dauern kann; sie van Essen? muß in einem vernünftigen Zeitrahmen bleiben. Wir sehen sie auch nur für eine Woche vor. Meiner Vor- stellung nach müßte, wenn am Samstag die Tat be- Norbert Geis (CDU/CSU): Ja. gangen worden ist, am Montag darauf das Verfahren beginnen, damit die Haft nicht zu lange dauert und unverhältnismäßig wird. Jörg van Essen (F.D.P.): Herr Kollege Geis, wie be- urteilen Sie eigentlich in diesem Zusammenhang die Wir haben die Frage der Verhältnismäßigkeit im Haltung der SPD, die hier im Bundestag die Haupt- übrigen sehr genau geprüft und sind zu dem Ergeb- verhandlungshaft bekämpft und in den Ländern, die nis gekommen, daß die Hauptverhandlungshaft zur einen SPD-Justizminister haben, Modellversuche Durchführung des beschleunigten Verfahrens durch- wie zum Beispiel in Bochum veranstaltet, die do rt so- aus verfassungskonform ist. wohl von der Justiz und der Anwaltschaft als auch von der Geschäftswelt außerordentlich positiv gese- (Abg. Margot von Renesse [SPD] und Abg. hen werden und damit genau das umsetzen, was Sie Otto Schily [SPD] melden sich zu weiteren gerade skizziert haben? Zwischenfragen) - Ich möchte keine weiteren Fragen zulassen. (Otto Schily [SPD]: Herr van Essen, Sie haben keine Ahnung!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir ha- ben im zivilen Bereich wichtige Fragen zu klären; sie sind vorhin schon vom Justizminister genannt wor- (CDU/CSU): Ich kann der SPD-Frak- Norbert Geis den. Ich möchte auf einige Punkte zu sprechen kom- tion hier im Bundestag nur raten, engen Kontakt mit men. dem Landesjustizminister von Nordrhein-Westfalen zu halten, sich das Bochumer Modell genau anzu- Zum Kindschaftsrecht: Hier ist eigentlich nur noch schauen und eine Änderung ihrer Meinung herbei- die Frage offen - ansonsten sind wir uns einig -, wie zuführen. wir mit dem Sorgerecht nach der Scheidung umge- 12786 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Norbert Geis hen. Wir sind hier auf dem besten Weg. Wir meinen, Ich habe kein Verständnis dafür, wenn wir trotz- daß diese für die Kinder entscheidende Schicksals- dem von der SPD kritisiert werden, wir würden nicht frage nicht völlig aus dem Scheidungsprozeß ausge- alles gegen die organisierte Kriminalität tun. blendet werden darf, wiewohl wir natürlich den Grundsatz unterstützen, Herr Minister, daß die Sorge (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Freiherr von nach der Scheidung grundsätzlich von beiden Eltern- Stetten [CDU/CSU]) teilen wahrzunehmen ist. Auf der einen Seite nehmen Sie das Angebot zum Gespräch nicht an, auf der anderen Seite werfen Sie Ein Wort zum Mietrecht. Wir werden es moderni- uns vor, wir würden nicht alles tun, um den Gewinn sieren. Wir treten nach wie vor für ein soziales Miet- abzuschöpfen. recht ein. Wir sind der Meinung, daß das soziale Mietrecht einen wesentlichen Anteil am sozialen Wir werden eine Novellierung der Gewinnab- Frieden hat und auch haben muß. Wir meinen aber, schöpfungsregelung vorlegen und alles tun, damit daß das Mietrecht nicht zum Investitionshemmnis wir an das herankommen, um was es den Verbre- werden darf. Die beste Versorgung der Mieter ist ein chern geht, nämlich an ihr durch Verbrechen erwor- großes Angebot an Wohnungen. benes Geld. Ich hoffe, daß wir diesen Gesetzentwurf in Kürze im Parlament und im Ausschuß beraten kön- (Beifall des Abg. Detlef Kleine rt [Hannover] nen, um ihn dann auch zu Ende zu bringen. [F.D.P.]) Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ein Die allerbeste Versorgung ist ein großes Angebot an Wort zum Drogenhandel. Die Mafiabosse verdienen Eigenheimen und Eigentumswohnungen. den Hauptteil ihres Geldes mit Drogen. Von daher ist es geradezu absurd, daß in Schleswig-Holstein die Ein Wort zum Nutzerschutzgesetz, das uns in den weichen Drogen nun freigegeben und auch noch in letzten Tagen und Wochen in Diskussionen sehr be- den Apotheken verkauft werden sollen. In den Apo- schäftigt hat. Wir sind der Auffassung, daß ein ver- theken sollen Heilmittel verkauft werden, aber nicht nünftiger Weg zwischen der Meinung des Bundes- Mittel, mit denen sich die Jugend ihre Gesundheit, verwaltungsgerichtes und der Meinung des Bundes- ihre Psyche, ihre Physis kaputtmachen kann. Die gerichtshofes gefunden werden muß. Apotheker sollten sich gegen eine solche Pe rversion ihres Berufsstandes wehren. Die Diskussion in dieser Frage war manchmal von (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wenig Sachkenntnis gezeichnet. Ich glaube, daß man im Rückblick auf diese ganze Problematik jetzt nicht Wir werden mit solchen Legalisierungen nicht weit davon ausgehen kann, die DDR sei ein Rechtsstaat kommen. gewesen. Enteignungen hatten do rt Bestand, wenn es die Machthaber wollten, gleichgültig, ob die Ent- In Schweden ist diese Diskussion längst geführt. eignung entsprechend den Verfahren des Rechts der Vor 15 Jahren ist in Schweden diese Diskussion zu vormaligen DDR erfolgt ist oder nicht. Ende gebracht worden. Do rt hat man null Toleranz auch gegenüber weichen Drogen. Ich hoffe, daß Wir sollten zumindest darauf achten, daß die auch wir uns dazu durchringen und wir dieses ab- Grundsätze, die jetzt durch das Bundesverfassungs- surde Vorhaben von Schleswig-Holstein zurückwei- gericht bestätigt worden sind, nämlich der Grundsatz sen können. von Treu und Glauben, also die Möglichkeit des red- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge lichen Erwerbs, und der Grundgedanke des Investiti- ordneten der F.D.P.) onsvorranggesetzes, des Sachenrechtsbereinigungs- gesetzes und des Schuldrechtsbereinigungsgesetzes, Die Bundeswehr hat sich auch in der Bevölkerung auch für diese Möglichkeiten der Rückabwicklung großes Ansehen erworben. Unsere Soldaten haben Geltung haben. sich insbesondere durch den internationalen Einsatz hohen Respekt verdient. Wir sind stolz auf unsere (Beifall des Abg. Manfred Kolbe [CDU/ Soldaten; es sind unsere Söhne. Wir lassen unsere CSU]) Söhne nicht als Mörder beleidigen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Wort (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Freiherr- von zum Strafrecht. Wir müssen alles tun, um Gewalt Stetten [CDU/CSU]) und Verbrechen zu widerstehen. Das verlangen die Unsere derzeitigen Gesetze reichen dazu - das Bürger von uns, und dazu ist der Staat da. Eine De- zeigt die Praxis - nicht aus. Deswegen haben wir ei- mokratie, die das nicht leisten kann, gefährdet ihren nen neuen § 109 b StGB vorgelegt. In der Anhörung Bestand. wurde von allen anzuhörenden Personen bestätigt, daß es sich nicht um ein verfassungswidriges Vorha- Deshalb können wir über den sogenannten ben handelt. Ich hoffe sehr, daß wir hierbei zu einer Lauschangriff nicht nur reden; wir müssen auch zu vernünftigen Lösung kommen und daß sich die Stuhle kommen. Ich bitte daher die SPD, das Ge- Mehrheit des Hauses zu einer solchen Regelung ent- sprächsangebot der Koalition zu einer wahrschein- schließt. lich notwendigen Änderung des Art. 13 Grundgesetz anzunehmen. Wir müssen miteinander ins Gespräch (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Freiherr von kommen, um diese Frage zu lösen. Stetten [CDU/CSU]) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12787

Norbert Geis Ein Wort noch zu der internationalen Kriminalität. dergleichen beschlossen oder gefordert oder in die- Wir können die internationale Kriminalität - das sind ses Parlament eingebracht. eben weite Bereiche der organisierten Kriminalität - nicht ohne internationale Zusammenarbeit bekämp- (Zuruf des Abg. Erwin Marschewski [CDU/ fen. Das gilt für das Internet, CSU]) (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr - Lassen Sie mich doch mal ausreden! Es gab Diskus- wahr! - Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE sionen im Bundestag - da gab es noch gar keine GRÜNEN): Wissen Sie überhaupt, was das grüne Partei -, nämlich im Strafrechtsonderausschuß Internet ist?) - genauso in der Sexualwissenschaft und in der Kri- minologie -, in denen danach gefragt wurde, ob es in dem schon heute Pornographie, Kinderpornogra- unter § 176 StGB Tatkonstellationen geben könne, phie, Anleitungen zu faschistischem Handeln bis hin die nicht strafwürdig seien. Solche Diskussionen - zu Unterrichtungen, wie man eine Bombe baut, an- das will ich nicht verhehlen - gab es vor über zehn geboten werden. Wir müssen durch internationale Jahren auch in unserer Partei. Das ist richtig, aber sie Absprachen versuchen, diesem Wahnwitz ein Ende waren erstens nicht Beschlußlage, und zweitens zu bereiten. haben uns gerade die Diskussion im Rahmen der Wir können auch die organisierte Kriminalität Frauenbewegung und die neuere Viktimologie, die nicht ohne internationale Zusammenarbeit bekämp- nämlich die Opfer befragt hat, dazu geführt, daß wir sagen: Für eine solche Position, für eine solche Dis- fen. Deshalb brauchen wir Europol. Wir unterstützen dieses Vorhaben. Wir unterstützen, daß Europol end- kussion gibt es keinerlei Anlaß. Wir haben bereits lich zu Ermittlungsergebnissen kommt. 1988 auf einer Bundeshauptausschußsitzung unserer Partei sogar solche Positionen für mit der Pro- Die Europäische Union wird das Vertrauen der Be- grammatik unserer Partei unvereinbar erklärt. völkerung nicht gewinnen, sie wird keine Akzeptanz haben, wenn es in der EU möglich ist, Verbrechen zu Lassen Sie uns jetzt, zehn Jahre nach einem begehen, ohne daß sie hart genug bekämpft werden. solchen Beschluß, diesen Aktendeckel endlich Dazu ist eine internationale Zusammenarbeit not- schließen und uns gemeinsam an das Werk machen, wendig. Dazu rufen wir alle auf. das Problem der wirkungsvollen Bekämpfung des sexuellen Mißbrauchs von Kindern im Inland und im Herr Justizminister, wir bedanken uns für die gute Ausland zu lösen. Zusammenarbeit mit Ihrem Haus. Sie unterstützen uns und auch den Ausschuß. Wenn es notwendig Wir haben in der Vergangenheit die Verjährungs- war, kamen Sie während Ihrer bisherigen Amtszeit hemmung unterstützt und sogar die Diskussion um sehr oft zu den Anhörungen in den Ausschuß. Wir diese Verjährungshemmung beim sexuellen Miß- bedanken uns dafür. brauch von Kindern initiiert. Da gab es auf der Seite der Koalition starke Widerstände; Sie erinnern sich Ich möchte mich auch für die gute Zusammenar- wahrscheinlich, was für ein Heckmeck hier im Hause beit im Rechtsausschuß bedanken und hoffe, daß sie war. Wir haben die Ausdehnung der Strafverfolgung fortgesetzt werden kann. auf sexuellen Mißbrauch von ausländischen Kin dern durch Deutsche im Ausland unterstützt - bis vor Ich bitte Sie um Zustimmung zum Justizhaushalt. zwei oder drei Jahren war dieser Mißbrauch noch Danke schön. straflos -, und wir haben jetzt als einzige Fraktion eine Initiative zu dieser Thematik, um dieses Gesetz- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gebungswerk in die Praxis umzusetzen, eingebracht.

Zu einer Kurz- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege intervention gebe ich zunächst dem Abgeordneten Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Beck, Ihre Zeit ist abgelaufen. Volker Beck das Wo rt .

(Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Volker Beck Herr Geis, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede das Pro- Ich bitte Sie, dieses Thema angesichts der Ernsthaf- tigkeit und der Tragödien, um die es geht, aus dem blem des sexuellen Mißbrauchs von Kindern ange- - sprochen. In Ihrer schriftlich verteilten Rede führen parteipolitischen Streit herauszunehmen. Sie allerdings Weiteres aus, und zwar fordern Sie die Grünen auf, sie sollten sich von ihren früheren Be- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege strebungen, die gewaltfreie Sexualität zwischen Kin Beck, Ihre Redezeit ist abgelaufen. dern und Erwachsenen aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, klar distanzieren. Bitte, Herr Geis. Ich will diese Frage hier, weil das in der letzten Zeit in der Presse schon öfter seinen Niederschlag Norbert Geis (CDU/CSU): Herr Präsident! Herr gefunden hat, ein für allemal klären. Ich bitte Sie, da- Beck, ich nehme Ihre Distanzierung von früheren Ent- nach diese Kampagne zu beenden. schließungen und auch von Anträgen hier im Bundes- tag zur Kenntnis. Es ist in der Tat so, daß Sie vor gerau- Die Bundespartei Die Grünen, die Bundestagsfrak- mer Zeit die Abschaffung des Schutzes minderjähri- tion und die Bundestagsgruppe, die unsere Partei ger Buben vor homosexuellen Handlungen gemäß hier vertreten haben, haben zu keinem Zeitpunkt der Bundestagsdrucksache vom 4. Februar 1985 ge- 12788 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Norbert Geis fordert haben, wo es heißt: „Die Strafandrohung bela- tiert: von denen, die sagen, das Bochumer Modell, stet das konfliktfreie sexuelle Leben. " dessen Erfolg ja auf der Hand liegt, beweise die Not- wendigkeit der Hauptverhandlungshaft, und von de- Sie haben in Ihr Bundesprogramm geschrieben, nen, die sagen - und das in Übereinstimmung mit gewaltfreie Sexualität zwischen Kindern und Er- dem Direktor des Amtsgerichts Bochum -, um das wachsenen dürfe niemals Gegenstand strafrechtli- Bochumer Modell erfolgreich durchführen zu kön- cher Verfolgung werden, und Sie haben sich in Ba- nen, bedürfe es keiner Rechtsänderung. Herr Kol- den-Württemberg zu der Forderung verstiegen - ich lege Geis, das dürfen Sie mir glauben: Das Amtsge- zitiere - : „Einvernehmliche sexuelle Beziehungen richt Bochum hält sich beim Bochumer Modell an zwischen Erwachsenen und Kindern müssen straffrei geltendes Recht. sein. " (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Ich akzeptiere - ich wiederhole es noch einmal, Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: In NRW gel Herr Beck - Ihre Distanzierung von dieser damaligen ten Bundesgesetze! - Gegenruf des Abg. Beschlußlage. Ich habe das heute hier auch nicht er- Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Man wähnt - Sie haben das richtig festgestellt - , weil Sie kommt aus dem Staunen nicht mehr her dies mir gegenüber so erklärt haben. Aber ich aus!) möchte auf Ihre Wortmeldung hin noch einmal beto- nen, daß ich dies als Distanzierung verstehe und dies auch so akzeptiere. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Geis, Sie haben das Wort . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Norbert Geis (CDU/CSU): Herr Präsident! Herr Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich lasse noch Schily, Sie können meine schriftlichen Äußerungen zwei Kurzinterventionen zu und schlage Ihnen vor, nachlesen. Ich habe das Bundesverfassungsgericht Herr Kollege Geis, daß Sie dann auf beide gemein- kritisiert, aber ich habe keinen Richter beleidigt und sam antworten, wenn Sie einverstanden sind. habe auch keine despektierliche Äußerung über das Zur ersten Kurzintervention gebe ich dem Kolle- Gericht selbst getan. Das kann man nachlesen. Ich gen Schily das Wort . habe das auch nicht in einer mündlichen Äußerung getan. Ich habe dies schon des öfteren betont, und (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: deshalb meine ich, daß ich hier nichts zurückzuneh- Der war ja in der Zeit bei den Grünen!) men und mich auch nicht zu distanzieren habe. Aber wenn wir mit dem Aufrechnen anfangen Otto Schily (SPD): Herr Kollege Geis, Sie haben zu wollten, dann könnten wir das jetzt tun. Es gab auch Beginn Ihrer Ausführungen mit Recht darauf hinge- aus Ihren Reihen zu anderen Entscheidungen Äuße- wiesen, daß der Rechtsstaat nur mit einer funktions- rungen, die man jetzt zitieren könnte. Denken Sie fähigen Justiz arbeiten kann und daß der Bestand nur einmal daran, wie sich Frau Hildebrandt zu der des Rechtsstaates an eine solche funktionsfähige Ju- Entscheidung vom 28. Mai 1993 geäußert hat. Wir stiz gebunden ist. Ich nehme an, Ihre Ausführungen sollten in dieser Beziehung vorsichtig sein. Ich jeden- gelten auch für das höchste Ge richt in unserem falls habe keine Veranlassung, mich zu distanzieren. Lande, das Bundesverfassungsgericht. Ich habe es sehr bedauert, daß Sie die Gelegenheit dieser De- Nun gebe ich batte nicht wahrgenommen haben, um sich von Be- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: gemäß § 29 der Geschäftsordnung das Wo rt dem Ab- schimpfungen, Beleidigungen und ehrenrührigen geordneten Gerald Häfner. Kommentaren zur Rechtsprechung des Bundesver- fassungsgerichts zu distanzieren, die zum Inhalt hat- ten, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vie- nicht zu befolgen und ähnliches. len Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte namens meiner Fraktion den Ich denke, Sie sollten das jetzt in der Antwort auf von uns heute zunächst gestellten Änderungsantrag meine Kurzintervention nachholen, weil Sie sich zur Errichtung einer Stiftung zur Aufarbeitung des auch selber durch einige Äußerungen so verhalten DDR-Unrechts zurückziehen. Dies geschieht nicht - haben, daß man den Verdacht haben konnte, auch deshalb, weil wir von dem Anliegen abgehen oder Sie haben nicht den notwendigen Respekt vor dem nicht in aller Intensität an ihm festhalten wollten, Bundesverfassungsgericht. sondern schlicht deshalb, weil in dieser Sache in jüngster Zeit Gespräche zwischen den Fraktionen Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort zur begonnen haben, die mich hoffen lassen, daß so et- zweiten Kurzintervention gebe ich der Kollegin Frau was gemeinsam zustande gebracht werden könnte. von Renesse. Deshalb hielte ich es für wenig gescheit, wenn wir in der jetzigen Situation diesen Antrag stellen würden und darüber abstimmen ließen. Deshalb ziehen wir Margot von Renesse (SPD): Der Direktor des Amts- gerichts Bochum, von dem ich ja selber komme - er ihn zurück. ist ein Mann, den ich sehr schätze, weil er in seinem Ein zweiter Grund ist, daß wir die Hoffnung haben, Beruf nicht nur kreativ, sondern auch hochengagiert daß eine Finanzierung aus anderen Mitteln, nämlich ist -, wird merkwürdigerweise von beiden Seiten im aus dem widerrechtlich angeeigneten SED-Parteiver- Zusammenhang mit der Hauptverhandlungshaft zi mögen, möglich ist. Das prüfen wir gerade intensiv. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12789 Gerald Häfner Das würde eine Finanzierung aus dem Bundeshaus- für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. halt erübrigen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so Aus diesen Gründen bitte ich, den Antrag jetzt beschlossen. Ich möchte nur darauf aufmerksam ma- nicht zu behandeln. Wir wollen ihn zurückziehen. chen, daß diese anderthalb Stunden nicht ausge- schöpft werden müssen. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Vielen Dank. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wo rt Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich der Abgeordneten Uta Titze-Stecher. schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- Uta Titze-Stecher (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- plan 07, Bundesministerium der Justiz. Wer dem Ein- legen und Kolleginnen! „Der Bundeshaushalt 1997 zelplan 07 in der Ausschußfassung zustimmen will, sendet die richtigen Signale" - so gestern von dieser den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stelle aus Frau Karwatzki, die Parlamentarische Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Einzel- Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen. plan 07 in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Dieser schlechte Scherz sei ihr, der ehemaligen Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses Haushaltsausschußkollegin, verziehen, denn ich im übrigen angenommen worden ist. gehe davon aus, daß sie nur vorgetragen hat, was ihr Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- der erkrankte Finanzminister aufgeschrieben hat; plan 19, Bundesverfassungsgericht, in der Ausschuß- (Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin fassung. Wer für den Einzelplan 19 stimmt, den bitte beim Bundesminister der Finanzen: Nein, ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimment- das stimmt nicht!) haltungen? - Ich stelle fest, daß der Einzelplan 19 mit denn an den Einzelplan 06, den Geschäftsbereich des den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Bundesministeriums des Innern, können beide mit Gruppe der PDS angenommen worden ist. der Bewe rtung „richtige Signale" schwerlich gedacht haben. Denn da werden die unterschiedlichsten Si- Ich rufe die Tagesordnungspunkte I.19 bis I.21 auf: gnale ausgesandt, teils falsche, teils widersprüchli- Einzelplan 06 che, teils zögerliche und zum Teil gar keine Signale, wie ich an einigen Beispielen konkretisieren will. Bundesministerium des Innern Erstes Beispiel: Zivilschutz. Da hat das Parlament - Drucksachen 13/6006, 13/6025 - vor knapp zwei Wochen einen Gesetzentwurf verab- Berichterstattung: schiedet, der den Zivilschutz in Deutschland neu ord- Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff nen soll. Dazu sind die haushaltsmäßigen Vorausset- Ina Albowitz zungen geschaffen worden, nämlich die Absenkung Carl-Detlev Frhr. von Hammerstein und Budgetierung der sächlichen und personellen Oswald Metzger Mittel beim Technischen Hilfswerk sowie die kom- Uta Titze-Stecher plette Auflösung des Bundesverbandes für Selbst- schutz, übrigens in der Hälfte der dafür ursprünglich Beratung der Beschlußempfehlung und des vorgesehenen Zeit und relativ rücksichtslos gegen- Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- über den betroffenen Arbeitnehmern. Dies alles hat schuß) zu dem Antrag des Abgeordneten sich bereits seit mehreren Jahren vollzogen, bevor Dr. Gregor Gysi und der weiteren Abgeordne- das Parlament die gesetzliche Grundlage dazu be- ten der PDS schlossen hatte. Vergütung der Mitglieder der Unabhängigen (Anhaltende starke Unruhe) Kommission zur Überprüfung des Vermögens - Herr Präsident, mir ist das zu laut. der Parteien und Massenorganisationen der DDR beim Bundesministerium des Innern Sie haben das - Drucksachen 13/79, 13/459 - Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Wort . Es gilt im allgemeinen die Bemerkung von Kurt Berichterstattung: Tucholsky: Ein guter Redner findet sein Publikum. Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Ina Albowitz (Heiterkeit - Beifall bei der CDU/CSU) Uta Titze-Stecher - Antje Hermenau Uta Titze-Stecher (SPD): Ein guter Redner findet Einzelplan 33 dann nicht sein Publikum, wenn Teile des Publikums vorher versucht haben, die Rede zu verhindern bzw. Versorgung den Redner zu veranlassen, die Rede zu Protokoll zu - Drucksache 13/6023 - geben. Berichterstattung: (Zuruf des Abg. Rezzo Schlauch [BÜND Abgeordnete Dr. Hermann Kues NIS 90/DIE GRÜNEN]) Ina Albowitz Herr Schlauch, ich würde nicht so lachen, denn von Uta Titze-Stecher Ihnen ging die Initiative aus. Oswald Metzger Ich fahre fo rt . Ich meine, dieses Verhalten am Par- Zum Einzelplan 06 liegen elf Änderungsanträge lament vorbei, Herr Innenminister, ist ein eindeutig vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind falsches Signal, und zwar in Richtung Umgang mit 12790 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Uta Titze-Stecher dem Parlament, wie ich von dieser Stelle bereits gungen der F.D.P. haben werden. Da will der kleine mehrfach im Rahmen von Haushaltsberatungen kriti- Koalitionspartner plötzlich Ausbau und Renovierung siert habe. von Marienthal stoppen - na, da bin ich einmal ge- spannt auf die Ergebnisse der angekündigten Ge- Um beim Zivilschutz fortzufahren: Die Neuord- spräche zwischen „K und K", Koalition und Kohl -, nung des Zivilschutzes - vom Bundesrechnungshof anstatt die Möglichkeit - die bestanden hätte - in übrigens Mitte der 80er Jahre verlangt und jetzt erst den zuständigen Gremien, Vertrauensgremium und umgesetzt - wird wie folgt begründet: PKK, zu ergreifen. Durch die Verbesserung der Sicherheitslage in Europa ist eine Verringerung der bisherigen Vor- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, kehrungen für Verteidigung möglich. gestatten Sie eine Zwischenfrage - Das kann ich voll unterstreichen. So weit, so gut. Das gilt natürlich entsprechend auch für den Zivilschutz, Uta Titze-Stecher (SPD): Nein! das heißt für die nichtmilitärischen Maßnahmen zum Schutz von Bevölkerung, Wohnungen und Arbeits- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: - der Abgeord- stätten. Unter Verweis auf die geänderte, verbesserte neten Holzhüter? Sicherheitslage werden daher völlig zu Recht, Herr Kanther, die staatliche Förderung des Schutzraum- baus sowie Bau und Verwaltung von Hilfskranken- Uta Titze - Stecher (SPD): Ja. - Entschuldigung, ich häusern in Zukunft entfallen. Dies entspricht einer dachte, der Herr Marschewski wollte mich stören. langjährigen Forderung der SPD. (Heiterkeit - Erwin Marschewski [CDU/ Nun, was für die Zivilbevölkerung gilt, sollte auch CSU]: Ganz im Gegenteil, Frau Kollegin!) für die Verfassungsorgane gelten. Aber weit gefehlt! Wie zu Zeiten des tiefsten Kalten Krieges wird weiter Ingrid Holzhüter (SPD): Frau Titze-Stecher, ich am sogenannten Regierungsbunker festgehalten. wollte Ihnen eigentlich gerade zu Hilfe eilen: Ich Sechs Jahre nach Beendigung der Ost-West-Kon- wollte Sie fragen, ob Sie wie ich den Eindruck haben, frontation wird unter strenger Geheimhaltung weiter daß hier stundenlang Profilneurosen männlicher Dis- in die Dienststelle Marienthal investiert, weil Innen- kussionsteilnehmer abgearbeitet wurden, jetzt aber, minister Kanther am Unterschlupf für das Notparla- wo eine Frau am Pult steht, niemand mehr meint zu- ment festhält, koste es, was es wolle. hören zu müssen. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Warten (Dr. Klaus-Dieter Uelhoff [CDU/CSU]: Mit Sie doch mal ab, Frau Kollegin! Das ent der Frau hängt es nicht zusammen!) spricht doch gar nicht den Tatsachen!) Gehen auch Sie davon aus, daß dies ein äußerst Da fragt sich die Öffentlichkeit natürlich zu Recht, ob wichtiger Teil des Haushaltes ist, der unsere ganze hier nicht falsche Signale gesendet werden, denn auf Aufmerksamkeit erfordert, sowohl der Opposition der einen Seite - Herr Marschewski, das Mikrofon ist wie auch der Regierungsparteien? auf meiner Seite, nicht auf Ihrer -,

(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Aber nicht Uta Titze - Stecher (SPD): Frau Kollegin, ich stimme die Wahrheit!) Ihnen voll zu. Dem ist nichts hinzuzufügen. wird der Zivilschutz für die Bevölkerung neu geord- Der Innenminister ist politisch verantwortlich für net, das bedeutet auch: abgespeckt, auf der anderen die innere Sicherheit in diesem Land. Für das Bun- Seite betragen die Renovierungskosten für den ex- desamt für Verfassungsschutz, das Bundeskriminal- klusiven Schutz für Handelverlesene in der Flucht- amt, das Bundesamt für Sicherheit in der IT-Technik, burg rund 200 Millionen DM. die Bereitschaftspolizeien der Länder und den Bun- desgrenzschutz wurden 1992 rund 2,67 Milliarden Das ist eine glatte Fehlinvestition, und zwar aus DM ausgegeben; 1997 sollen für die genannten Be- zwei Gründen: Erstens ziehen, wie jeder hier im reiche knapp 4 Milliarden DM zur Verfügung stehen. Raume weiß, Regierung und Parlament in absehba- Das bedeutet in fünf Jahren einen Aufwuchs um rer Zeit nach Berlin, also weit weg von Ahr- und rund 50 Prozent. Nun sollte man meinen:- Wenn man Rheintal. Zweitens, denke ich, ist die Geschäfts- so viel Geld in den Bereich innerer Sicherheit steckt, grundlage und die Existenzberechtigung für diesen müßte das unter dem Strich eigentlich zu mehr Si- monströsen Maulwurfsbau schlicht entfallen. Oder cherheit führen. Aber, wie Sie gleich hören werden, glauben Sie, liebe Kollegen von der Koalition und vor weit gefehlt! allem lieber Herr Minister, im Ernst an einen atoma- ren Angriff in Zeiten von Abrüstung auch der atoma- Verfassungsschutz und Gewerkschaft der Polizei ren Raketenbestände? Verzichten Sie auf Marien- schlagen Alarm. Die Gewaltbereitschaft unter Ju- thal! Es ist unnötig wie ein Kropf. gendlichen nehme immer bedrohlichere Ausmaße an, so der GdP-Chef, Lutz, Anfang September. Die (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Warten Straftäter würden immer jünger und brutaler. Dazu Sie einmal ab! Wir sind ja gar nicht so ver kann ich nur äußern: Wenn Jugendliche glauben, ihr schiedener Meinung!) Selbstbewußtsein durch Attacken auf Fremde, An- Im übrigen sind wir gespannt, welches Ergebnis dersartige, Schwächere stärken zu müssen, so ist dies die gestern über die Ticker gegangenen Ankündi- eindeutig ein direktes und unverfälschtes Signal für Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12791

Uta Titze-Stecher die existentiellen und seelischen Nöte, in die sie un- heute. Wo bleibt in diesem Zusammenhang eigent- ter anderem durch die Politik dieser Regierung ge- lich die Verzahnung von Innen- und Außenpolitik bracht worden sind. zur Bekämpfung der internationalen Kriminalität? (Widerspruch bei der CDU/CSU) Wenn ich im übrigen lese, daß sich bei der Konfe- renz der Ostsee-Anrainerstaaten Herr Schmidbauer Jugend-, Familien- und Bildungspolitik, die Ju- um polizeiliche Belange kümmert, dann muß ich sa- gendlichen Perspektiven eröffnen würden, wären, gen: Herr Kanther, da sind eigentlich Sie gefragt. das ist heute im Rahmen der Elefantendebatte ausge- führt worden - Stichworte sind: integrative Aussied- Seit Jahren fordern Polizeipraktiker und die SPD ler- und Ausländerpolitik, ein ausreichendes Ausbil- Maßnahmen gegen die Geldwäsche und zur Aufdek- dungsplatzangebot -, ein angemessener Beitrag zu kung von Drahtziehern und Hintermännern. Da sozialem Frieden und zu größerer innerer Sicherheit bleibt schon ein wenig unverständlich, warum die jedenfalls eher als die derzeit von Ihnen praktizierte Ausbildung und der Einsatz von Ausländern in der Rotstiftpolitik in diesen Bereichen. deutschen Polizei noch in den Kinderschuhen stek- ken. (Beifall bei der SPD und der PDS) (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Dafür Zum Thema innere Sicherheit noch eine weitere sind wirklich die Länder zuständig! Das ist Anmerkung: Am 19. Juni dieses Jahres hat das Bun- wirklich Ländersache, wie fast alles Länder deskabinett Maßnahmen zur Bekämpfung der orga- sache ist!) nisierten Kriminalität - in Folge „OK" genannt - so- wie zur Eindämmung von Korruption und Geldwä- Des weiteren bleibt unverständlich, warum nicht ein- sche beschlossen. Jahrelang hat diese Bundesregie- mal 1 Prozent der deutschen Polizeibeamten mit OK rung bei der Korruptionsbekämpfung keinen Finger Ermittlungsverfahren beschäftigt sind. Wahrschein- gekrümmt; sie hat dem erkennbaren Aufbau von lich will man hier gar nicht mehr ermitteln. Korruptionsstrukturen schlicht zugeschaut. Nur auf massives Drängen der SPD-Bundestagsfraktion (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Fragen Sie mal Herrn Eichel!) (Jörg van Essen [F.D.P.]: Na, na!) Hilfe ist auch im sogenannten lautlosen Krieg, dem und unter dem Eindruck schwerster Fälle von Kor- Bereich der Industriespionage, erforderlich. Ich zi- ruption in diesem Land hat sich der Innenminister tiere einen Sicherheitsexperten: endlich durchringen können, die steuerliche Abzugs- fähigkeit von Schmiergeldern zu unterbinden - lei- Alle machen es; der liebe Kanzler weiß es, doch nichts geschieht. der nur im Inland. Deutschen Firmen bleibt es weiter unbenommen, ausländische Firmen, ausländische Der jährliche Schaden für die deutsche Wi rtschaft Beamte und Potentaten zu bestechen. Denn die im liegt immerhin bei 20 bis 30 Milliarden DM. Da wäre Ausland verteilten Schmiergelder bleiben weiterhin schon die Frage zu beantworten, warum die Politik in Deutschland steuerlich absetzbar - sehr zum Är- davon weiß, aber nichts unternimmt. - Soviel zum ger nicht nur der SPD, sondern auch der meisten Thema „unterlassenes Signal". europäischen Staaten, die dies nicht kennen, und der USA, wo dieser Tatbestand bereits seit 1977 bestraft Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen zum Ver- wird. Herr Kanther, ich denke, hier ist ein deutliches sorgungsbericht machen. Endlich liegt er, der heiß Signal gefragt. und lang erwartete, immer wieder angemahnte und wie ein Staatsgeheimnis gehütete, auf dem Tisch. Er (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Frau Kol enthält für diejenigen, die sich mit der Problematik legin, wo leben Sie eigentlich?) befaßt haben, natürlich keine Überraschungen; denn schon lange war klar, daß die wachsenden Pensions- Wir wissen zwar, daß Korruption das zweitälteste Gewerbe der Welt ist. Aber wir wissen auch, daß da, ansprüche die prekäre Lage der öffentlichen Haus- halte verschärfen würden. In Zukunft, so die Schluß- wo steuerliche Anreize entfallen, logischerweise we- folgerungen aus dem Bericht, müssen alle dafür be- niger geschmiert wird. Das beweist die jüngste Um- zahlen, daß in den 60er und 70er Jahren bei allen Ge- frage der OECD, in einer Fragebogenaktion unter bietskörperschaften Personalaufstockungen vorge- den eigenen Mitgliedstaaten. nommen worden sind, genauer gesagt: beim Bund - Obwohl, wie gesagt, die Gesamtausgaben für den mit 22 Prozent am wenigsten, bei den Ländern mit Bereich innere Sicherheit seit Jahren kontinuierlich 44 Prozent am meisten; bei den Gemeinden liegt das ansteigen, werfen wir als Opposition der Bundesre- mit 33 Prozent in der Mitte. Man muß immer dazusa- gierung und dem verantwortlichen Innenminister gen, Herr Marschewski, daß dieses Personal in Schu- vor, Kriminalitätsfurcht zu schüren, insbesondere bei len, Hochschulen sowie für Jugend- und Kulturarbeit der Vorlage des OK-Lageberichts, und die organi- eingesetzt wird, also zur Verbesserung der Lebens- sierte Kriminalität nicht wirksam zu bekämpfen. Die qualität. Liste der Versäumnisse ist lang: Bei der Schaffung (Zuruf von der CDU/CSU: Da hat der Mi des EG-Binnenmarktes beispielsweise wurde das nister doch die Schularbeiten der Länder Problem der OK schlicht ausgeklammert, und Vor- gemacht!) kehrungen - Schengen und Europol - wurden viel zu spät getroffen. Dringend notwendige Kooperations- Ich will damit deutlich machen, daß die Betroffe- abkommen mit wichtigen mittel- und osteuropäi- nen heute nicht für ein System verantwortlich ge- schen Staaten zur Bekämpfung der OK fehlen bis macht werden können, das an die Grenzen seiner 12792 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Uta Titze-Stecher finanziellen Belastbarkeit geraten ist. In diesem Zu- immer lauter wurden, raufte sich die Koalition zwar sammenhang sei nur eine Zahl genannt: Bereits zusammen, aber zu Lasten des originären Budget- heute betragen die aufgelaufenen Pensionsverbind- rechts des Parlaments. Anstatt dieses wichtige Ele- lichkeiten des Staates satte 1 000 Milliarden DM. An- ment der Gewaltenteilung - die Kontrolle der Regie- gesichts dieser Summe, Herr Minister, ist Ihre Idee rung durch das Parlament - einzuklagen und zu der Versorgungsrücklage aus Eigenbeiträgen der Be- praktizieren, haben sich - Herr Uelhoff, so böse kann amten und Pensionäre für einen befristeten Zeitraum ich gar nicht sprechen, ich zitiere jetzt; Sie schauen einfach zu bescheiden, um für eine stabile Lösung mich so höchst ungläubig an - „die Haushälter der auszureichen. Koalition wieder zum Stimmvieh machen lassen - wie beim letzten Etat". Das Zitat stammt von Ralf Be- (Dr. Klaus-Dieter Uelhoff [CDU/CSU]: ste aus der „Berliner Zeitung" vom 14. November Machen Sie doch einmal einen besseren 1996. Vorschlag!) Bis dahin hat der Haushaltsausschuß nicht nur für - Die Verbesserungsvorschläge werden im Vermitt- mich, sondern auch in der Öffentlichkeit als lebendi- lungsausschuß vorgelegt. ger Beweis für die funktionierende Kontrolle der Re- gierung gegolten, und zwar weitestgehend unabhän- (Dr. Klaus-Dieter Uelhoff [CDU/CSU]: Im gig vom Parteibuch. Sie, liebe Kollegen, wissen sehr Vermittlungsausschuß liegen sehr viele Vor wohl, was Sie hier für ein Linsengericht aufgegeben schläge!) haben. Nicht ohne Grund - ich nenne keinen Na- men - fegte ein sonst eher bedächtiger Kollege mit Viele der Daten, auf denen die Prognosen des Ver- rt „reine Schau" meine Bitte an Staatssekre- sorgungsberichts beruhen, sind rein fiktive Annah- dem Wo men, zum Beispiel die Entwicklung des Bruttoin- tär und Minister um klare Aussagen zur Erwirtschaf- tung der geplanten globalen Minderausgabe in Höhe landsprodukts, die Auswirkung der Einführung der von immerhin 150 Millionen DM im Innenetat Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und natürlich auch die fortschreitende Globalisierung. schlicht vom Tisch. (Abg. Dr. Klaus-Dieter Uelhoff [CDU/CSU] Angesichts dieser Situation sind auch die von Ih- meldet sich zu einer Zwischenfrage) nen, Herr Kanther, vorgelegten Pläne zur Reform des Beamtentums zu schwache Signale. Entscheidende - Ich bin beim letzten Satz, Herr Kollege Uelhoff, Sie Fragen werden dadurch nicht beantwortet, so zum dürfen dann sowieso reden. Beispiel die Frage: Wie kann Arbeit solidarisch um- Solch eine Reaktion in Verbindung mit der Willfäh- verteilt werden? Stichworte: Teilzeitarbeit, Einstiegs rigkeit, mit der Sie sich von der Regierung entmach- teilzeit, Altersteilzeit, aber nicht nur auf freiwilliger ten ließen, nenne ich geistige Selbstkastration. Das Basis. Zweite Frage: Wie können Beschäftigte diffe- macht traurig und ist ein Grund mehr, diesen Haus- renziert bezahlt werden? Stichwort: Einführung von halt abzulehnen. verstärkten Leistungselementen bei der Bezahlung im öffentlichen Dienst. Letzte Frage: Wie können be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne gründbare öffentliche Dienstleistungen mit neuen ten der PDS) Arbeitsplätzen gekoppelt werden? Verehrte Kolle- Herr Kanther, der öffentliche Dienst hätte die Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: l der Ordnung halber sa- Chance zum Perspektivwechsel, wenn Sie es ernst- ginnen und Kollegen, ich wil gen: Es ist selbstverständlich das gute Recht eines je- haft wollten. Die SPD wird jede echte Reform selbst- den Abgeordneten, hier zu sprechen, wenn er das verständlich unterstützen. will; dazu sind wir hier. Das sollte auch nicht bemän- Abschließend möchte ich ein paar betrübliche Be- gelt werden. Auf der anderen Seite darf man nicht merkungen an die Kollegen der Koalition richten. Sie überrascht sein, wenn es einige Unruhe gibt, weil an- alle kennen den Spruch vom Fluch der bösen Tat. dere Kollegen, die ihre Rede zu Protokoll geben woll- Letztere hat Sie, nein, eigentlich müßte ich sagen: ten, untereinander abstimmen müssen, wie sie dar- uns alle, vor allem uns Haushälter, durch Ihr Han- auf reagieren. deln und Verhalten eingeholt. Als der Haushaltsaus- Dieses vorausgeschickt teile ich mit, daß die Abge- schuß mit den Stimmen der Koalition Waigels aben- ordneten Dr. Uelhoff, Dr. Kues,- Schlauch, teuerliche Planungen für den Etat 1996 passieren ließ Dr. Westerwelle, Jelpke, Körper und Bundesminister - ich erinnere nur an den berühmten Waigelwisch Kanther ihre Reden zu Protokoll geben.*) Ich nehme und an die Differenz zwischen der geplanten Netto- an, daß darüber allseitiges Einverständnis besteht. - kreditaufnahme und den bereits heute feststehenden Das ist der Fall. Dann ist damit die Aussprache ge- neuen Schulden in Höhe von knapp 80 Milliarden schlossen. DM -, legte er den Grundstein für die eigene Ent- mündigung. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zu- nächst zum Einzelplan 06, Bundesministerium des Auch die Zahlen für den Bundeshaushalt 1997 sind Innern. Es liegen elf Änderungsanträge vor, über die unüberschaubar und widersprüchlich. Nachdem sich wir zuerst abstimmen müssen. die jeweiligen Berichterstatter wochenlang mühselig durch die Einzelpläne des Haushalts gequält haben, die Klagen nicht nur der Opposition, sondern zuneh- *Anlage ) 2; der Redetext des Abgeordneten Dr. Guido Wester- mend auch der Haushälter von CDU/CSU und F.D.P. welle wird im Plenarprotokoll 13/142 als Anlage abgedruckt. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12793

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Ich rufe zunächst den Änderungsantrag der Frak- stelle ich fest, daß auch dieser Antrag mit dem glei- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6248 chen Stimmenverhältnis abgelehnt worden ist. auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Ich rufe den Änderungsantrag der Gruppe der PDS Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag auf Drucksache 13/6261 auf. Wer diesem Antrag zu- mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Ge- SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen ab- genprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich gelehnt worden ist. fest, daß auch dieser Antrag mit dem gleichen Stim- menverhältnis abgelehnt worden ist. Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6249 auf. Wer Ich rufe den Änderungsantrag der Gruppe der PDS diesem Antrag zustimmt, bitte ich um das Handzei- auf Drucksache 13/6299 auf. Wer dem Antrag zu- chen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Ge- stelle fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Ko- genprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich alition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD ge- fest, daß auch dieser Antrag mit dem gleichen Stim- gen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt menverhältnis abgelehnt worden ist. worden ist. Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion Bünd- Nun kommen wir zur Abstimmung über den Ein- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6250 auf. Wer zelplan 06 in der Ausschußfassung. Wer dem Einzel- dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzei- plan zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - chen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Herr Ku- stelle fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Ko- batschka, wie darf ich Ihre Handbewegung deuten? alition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD ge- gen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt (Horst Kubatschka [SPD]: Als ein Nein! - worden ist. Dr. Konstanze Wegner [SPD]: Ein guter Prä sident erkennt das Abstimmungsverhalten!) Ich rufe den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6236 auf. Wer diesem Änderungs- - Dann stelle ich fest, daß der Einzelplan 06 mit den antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hau- - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle ses im übrigen angenommen worden ist. fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthal- tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Dann kommen wir zur Abstimmung über die Be- Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist. schlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Vergütung der Mit- Dann rufe ich den Änderungsantrag der Gruppe glieder der Unabhängigen Kommission zur Überprü- der PDS auf Drucksache 13/6237 auf. Wer dem An- fung des Vermögens der Parteien und Massenorgani- trag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - sationen der DDR beim Bundesministerium des In- Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann nern, Drucksache 13/459. Der Ausschuß empfiehlt, stelle ich fest, daß der Antrag der Gruppe der PDS den Antrag auf Drucksache 13/79 abzulehnen. Wer mit demselben Stimmenverhältnis wie eben abge- für die Beschlußempfehlung des Ausschusses lehnt worden ist. stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Ge- genprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich Dann rufe ich den Änderungsantrag der Gruppe fest, daß der Antrag gegen die Stimmen der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6238 auf. Wer dem An- der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen ab- trag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - gelehnt worden ist. Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch dieser Antrag mit demselben Dann kommen wir zur Abstimmung über den Ein- Stimmenverhältnis wie eben abgelehnt worden ist. zelplan 33, Versorgung, in der Ausschußfassung. Wer Dann rufe ich den Änderungsantrag der Gruppe dem Einzelplan 33 zustimmt, den bitte ich um das der PDS auf Drucksache 13/6254 auf. Wer diesem Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltun- Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das gen? - Dann stelle ich fest, daß der Einzelplan 33 mit - Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD - Dann ist auch dieser Antrag mit dem gleichen Stim- gegen die Stimmen des Hauses im übrigen ange- menverhältnis abgelehnt. nommen worden ist.

Wir kommen zum Änderungsantrag der Gruppe Weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sit- der PDS auf Drucksache 13/6259. Wer diesem Antrag zung nicht vor. Wir sind am Ende der Tagesordnung. zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann ist auch Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- dieser Antrag mit dem gleichen Stimmenverhältnis destages auf morgen, Donnerstag, den 28. November, abgelehnt. 9 Uhr ein. Dann rufe ich den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6260 auf. Wer diesem Die Sitzung ist geschlossen. Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann (Schluß der Sitzung: 20.49 Uhr) 12794* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 spielen zur Modernisierung und Flexibilisierung des Haushalts machen. Es gibt do rt vier budgetierte Liste der entschuldigten Abgeordneten Komplexe: erstens Bundeszentrale für politische Bil- dung, zweitens Bundesanstalt für die Sicherheit in entschuldigt bis der Informationstechnik, drittens Beschaffungsamt Abgeordnete(r) einschließlich des Bundesinnenministeriums und viertens Bundes- anstalt THW. Bei der Bundeszentrale und bei der

Behrendt, Wolfgang SPD 27. 11. 96* Bundesanstalt für die Sicherheit in der Informations- Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 27. 11. 96* technik sind jeweils globale Minderausgaben mit 2,6 bzw. 2,37 Millionen DM ausgebracht. Dies ist in Ord- Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 27. 11. 96 nung, weil bei einer Budgetierung und der damit ver- 90/DIE bundenen selbstverantwortlichen Haushaltsführung GRÜNEN eine Einsparrendite erwartet werden kann. Gysi, Andrea PDS 27. 11. 96 Dagegen greifen zwei weitere erheblich größere Dr. Hauchler, Ingomar SPD 27. 11. 96 globale Minderausgaben in das Budgetrecht des Par- Krüger, Thomas SPD 27. 11. 96 laments ein und bedürfen deshalb einer besonders Lehn, Waltraud SPD 27. 11. 96 kritischen Begleitung. Lemke, Steffi BÜNDNIS 27. 11. 96 Erstens. Im Regierungsentwurf waren bereits 90/DIE 55,5 Millionen DM als globale Minderausgabe vorge- GRÜNEN sehen. Zwar muß das Parlament diese Minderaus-

Rupprecht, Marlene SPD 27. 11. 96 gabe global beschließen, aber dann entscheidet beim Haushaltsvollzug im Prinzip die Exekutive allein Scheel, Christine BÜNDNIS 27. 11. 96 90/DIE ohne parlamentarische Letztentscheidung, wie und GRÜNEN wo diese 55,5 Millionen DM weniger ausgegeben werden. Globale Minderausgabe ist immer auch ein Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 27. 11. 96 Verstoß gegen den Grundsatz der Haushaltsklarheit. Schumann, Ilse SPD 27. 11. 96 Dies darf das Parlament nicht wollen. Ich bin dem Thieser, Dietmar SPD 27. 11. 96 Bundesinnenminister sehr dankbar, daß er bereit war, gemeinsam mit den Berichterstattern und damit Tröger, Gottfried CDU/CSU 27. 11. 96 gemeinsam mit dem Haushaltsausschuß und ge- Vosen, Josef SPD 27. 11. 96 meinsam mit dem Parlament diese 55,5 Millionen Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 27. 11. 96 DM zu belegen und damit vor der abschließenden Beschlußfassung des Haushalts im Parlament wegzu- Wallow, Hans SPD 27. 11. 96 schaffen. Weis (Stendal), SPD 27. 11. 96 Reinhard Zweitens. Die jüngste Steuerschätzung hat dieses Bemühen überrollt, und wir standen vor dem neuen Wieczorek (Duisburg), SPD 27. 11. 96 Problem einer noch größeren globalen Minderaus- Helmut gabe. 150 Millionen DM kamen zu den 55,5 Millionen Wittich, Berthold SPD 27. 11. 96 DM im Einzelplan 06 hinzu. Damit die Opposition nicht übermütig wird: Diese jüngste Steuerschätzung Wohlleben, Verena SPD 27. 11. 96 von unabhängigen Fachleuten hat nicht nur den Bund, sondern auch die 16 Länder in ihren Haus- * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates haltsberatungen unmittelbar getroffen. Wenn man also dem Bundesfinanzminister mangelnde Voraus- sicht vorwirft, gilt dies genauso für 16 Landesminister. Aber das eine ist so unse riös wie das andere.

Interessant ist nur, wie die Länder mit- ihrem Fi- Anlage 2 nanzloch fertig werden: Da gibt es interessante Un- terschiede. Für das Saarland etwa hat die dortige Fi- Zu Protokoll gegebene Reden nanzministerin kürzlich in der „Wirtschaftswoche", zum Haushaltsgesetz 1997, genau am 21. November 1996, kurz und bündig er- hier: Einzelplan 06 -Bundesministerium des Innern - , klärt, die nach der neuesten Steuerschätzung fehlen- zu dem Antrag: Vergütung der Mitglieder den 50 Millionen DM würden nicht durch weitere der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Sparmaßnahmen gedeckt, das heißt ja wohl durch Vermögens der Parteien und Massenorganisationen höhere Neuverschuldung, also durch Abwälzen auf der DDR beim Bundesministerium des Innern die nächste Generation. In der Hansestadt Hamburg sowie zu Einzelplan 33 - Versorgung - wird das Finanzloch nach den jüngsten Steuerschät- zungen sehr seriös durch Einsparungen geschlossen Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (CDU/CSU): Einleitend - 200 Millionen DM weniger durch zusätzliche Ein- möchte ich einige grundsätzliche Anmerkungen zu sparbemühungen, siehe „FAZ" vom 27. November gerade im Einzelplan 06 vorhandenen wichtigen Bei 1996. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12795*

Wir haben uns im Bund auch für Einsparungen gehen. Wir müssen deshalb sehr darauf achten, daß entschieden: zwar durch ungeliebte globale Minder- die vielfältigen bisher nicht genutzten Möglichkei- ausgaben, aber in enger Abstimmung mit dem Parla- ten, über den Haushaltsvollzug zu mehr Wirtschaft- ment, konkret mit den zuständigen Berichterstattern lichkeit und Sparsamkeit zu kommen, vornehmlich im Haushaltsausschuß aus allen Fraktionen, so wie das Zusammenspiel der Exekutive betreffen, wesent- wir das mit dem Innenminister bereits für die im Re- lich also die Eingriffsmöglichkeit des Finanzressorts gierungsentwurf vorgesehene globale Minderaus- in das Fachressort einschränken. Das Budgetrecht gabe verabredet hatten. Im übrigen hat der Bundes- des Parlaments muß dabei unangetastet bleiben. innenminister bereits im Haushaltsausschuß - auch Nun noch zu einigen wichtigen Einzelpunkten, die zur Zufriedenheit der Opposition - die Schwerpunkte genannt, die er bei der Belegung der globalen Min- sich nach der ersten Lesung am 11. September 1996 ergeben haben. derausgabe setzen will. Trotz aller notwendigen Einsparungen bleibt ein Aber es gibt wahrlich bessere Vorschläge für Ein- Schwerpunkt bei der inneren Sicherheit, zum Bei- sparungen und kostenbewußtes Haushalten als glo- spiel der technischen Ausstattung von BKA und bale Minderausgaben. Der Sachverständigenrat BGS. So werden die Mittel für den Bundesgrenz- „Schlanker Staat" forde rt eine möglichst flächendek- schutz auch in diesem Sparhaushalt nochmals ver- kende Anwendung der Budgetierung. Doch Zauber- stärkt. Es ist wichtig, daß auch die notwendigen ak- worte wie „Budgetierung", „Flexibilisierung" und tuellen Gesetzesvorhaben nicht an der Hürde des „Globalisierung" müssen immer am Budgetrecht des Bundesrates hängenbleiben, zum Beispiel BKA-Ge- Parlaments gemessen werden. Dieses bleibt allem an- setz, Gesetz zur Änderung straf-, ausländer- und deren übergeordnet. Wir werden deshalb als Bericht- asylverfahrensrechtlicher Vorschriften. erstattergruppe für den Einzelplan 06 im Haushalts- jahr 1997 mehrmals und regelmäßig mit dem Bundes- Für den auftragsgemäßen Einsatz des BGS, zum innenminister zusammenkommen und die Entwick- Beispiel im Kampf gegen die organisierte Kriminali- lung der vier budgetierten Haushaltsteile kontrollie- tät, ist die Verlegung innerdeutscher Standorte wich- rend begleiten. Vermehrte Budgetierung verlangt tig. Der Grenzschutz gehört an die Grenze und die nach neuen Kontrollinstrumenten des Parlaments. Bahnpolizei auf die Bahn. Ich begrüße ausdrücklich, daß der Einzeldienst nicht nur an der östlichen Im Haushalt des Bundesinnenministers gibt es Staatsgrenze verstärkt wird, sondern mit 750 Be- mehrere Beispiele, wie im Rahmen des geltenden amten auch an der Westgrenze, die noch immer von Haushaltsrechts durch größere Eigenverantwortung Schleppern und Dealern besonders frequentie rt der Verwalter Flexibilisierung und Einsparungen er- wird. reicht werden: Stellenhebungen im mittleren Dienst des BGS sind Erstens. So konnten seit 1994 durch Titelzusam- auch über die jetzt vorgesehenen 350 Stellen not- menlegungen und durch Bildung von gemeinsamen wendig, aber angesichts der derzeitigen Haushalts- Töpfen 522 Einzeltitel wegfallen. lage leider nicht machbar. Ich würde es aber aus- Zweitens. Andere Möglichkeiten ergeben sich drücklich begrüßen, wenn der Regierung hier bei der durch erweiterte Deckungsmöglichkeit oder durch Vorbereitung des nächsten Haushalts ein Durch- Freigabe zur Selbstbewirtschaftung, so in 33 Fällen bruch gelingen würde. im Einzelplan 06 zum Beispiel beim BGS, beim Bun- Auch der neue Haushalt sieht für die deutschstäm- desamt für Zivilschutz oder bei der Kulturförderung. mige Bevölkerung in Osteuropa weiterhin wichtige Drittens. Die überjährliche Nutzung von zurück- Hilfen vor, zum Beispiel über 40 000 außerschulische fließenden Haushaltsmitteln ist zu nennen, was ne- Sprachkurse. Die Verringerung der Aussiedleran- benbei auch ein gutes Medikament gegen das soge- träge im laufenden Jahr um 60 000 zeigt deutlich, nannte Dezemberfieber ist. daß auch die Investitionen in den Siedlungsgebieten Früchte tragen. Viertens. Ein letztes Beispiel ist die Koppelung der Ausgabenentwicklung an die Einnahmemöglichkei- Ausgesprochen kontraproduktiv ist der Antrag der ten. Landesregierung von Rheinland-Pfalz im Bundesrat, nach dem den Rußlanddeutschen kein kollektives Ich weiß, daß solche haushaltsimmanenten Spar- Kriegsfolgenschicksal mehr zuerkannt werden soll. möglichkeiten insbesondere die Verantwortung der Wer den Menschen dort die gesetzliche Vermutung Fachressorts stärken, wenn zum Beispiel bestimmte zur Feststellung ihrer Identität entzieht, zerstört we- Einnahmen für Ausgaben bei verwandten Titeln ge- sentliche Perspektiven ihrer Zukunft. So wird nicht braucht werden dürfen und nicht in den großen Topf der Zuzug von Aussiedlern gebremst, sondern alle des Gesamthaushalts fließen. die, die seit langem ein Visum haben, werden zur so- fortigen Reise nach Deutschland geradezu animiert. Ich will keinen Zweifel daran lassen, daß ich die Der Umgang mit diesem Thema erfordert mehr Sen- Möglichkeiten der Budgetierung und Flexibilisie- sibilität, als sie bei dieser Bundesratsinitiative zum rung und damit der größeren Wirtschaftlichkeit und Ausdruck kommt. der Chance von Einsparungen zunächst und vor al- lem innerhalb der Exekutive sehe. Dies halte ich Die Ansätze für Kultur konnten wieder durchweg auch für angemessen und richtig. Flexibilisierung im großen Einvernehmen veranschlagt werden. Ich des Haushalts darf grundsätzlich nicht zu Lasten des halte diesen Bereich besonders wichtig beim Zu- Entscheidungs- und Kontrollrechts des Parlaments sammenwachsen und Wiederfinden beider Teile 12796* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Deutschlands. So wird es nicht wundern, daß das so Dr. Hermann Kues (CDU/CSU): Erstens. Die Haus erfolgreiche Dach- und Fachprogramm zur Siche- halts- und Finanzdebatten drohen dann langweilig rung kleinerer Baudenkmäler in den neuen Bundes- zu werden, wenn sie nicht immer wieder in einen Ge- ländern um 2 Millionen DM erhöht wird und daß zu- samtzusammenhang eingebettet werden. Sie werden sätzlich in die Kulturförderung Projektmittelzu- dann langweilig, wenn man sich in Zahlen verliert schüsse für Tübkes Bauernkriegsrotunde in Franken- und nicht immer wieder deutlich macht, um was es hausen und für die Barlach-Gedenkstätte in Güstrow eigentlich geht. eingestellt werden konnten. Darum geht es eigentlich: Wie bewältigen wir als Im Rahmen der Förderung des Hochleistungs- Wohlstandsgesellschaft die unglaublichen volkswirt- sports hatte ich in der ersten Lesung endlich die ver- schaftlichen und sozialen Herausforderungen für un- bindliche Vorlage einer Trainerkonzeption verlangt. ser Wirtschafts- und Sozialsystem? Sind wir in der Mit großer Anerkennung für die zügige Arbeit des Lage, Ansprüche an den Staat zurückzunehmen, die- Deutschen Sportbundes und der Fachabteilung des ses als Politik auch ehrlich zu vertreten? Sind wir in Bundesinnenministeriums können wir nach wenigen der Lage, durch sinnvolles Sparen die Voraussetzung Monaten erfreut feststellen, daß jetzt ein schlüssiges zu schaffen, daß wieder mehr investiert wird in Ar- Konzept vorliegt, das einen zeitgerechten Gleich- beitsplätze? klang von Trainern und Sportlern sichert. Aufgaben- bezogene Trainerverträge werden künftig auf maxi- Daran besteht kein Zweifel: Es muß uns gelingen, mal 4 Jahre befristet ohne Anspruch auf einen An- eine - am besten über die Prognosen der Sachver- schlußvertrag. Die Anstellung der Trainer erfolgt bei ständigen hinausgehende - wirtschaftliche Dynamik den Fachverbänden, denen Mittel als Pauschale zur für die nächsten Jahre zu entfachen, weil nur so Ar- Verfügung gestellt werden. Mit einer Verpflichtungs- beitsplätze gesichert und geschaffen werden kön- ermächtigung in Höhe von 15 Millionen DM für 1998 nen, weil nur so die Voraussetzungen gegeben sind, soll den Fachverbänden auch formal Planungssicher- das soziale Netz nicht nur neu zu knüpfen, sondern heit gegeben werden. Wir werden die Durchführung für die wirklich Bedürftigen zu gestalten. Sünden- und Beachtung des Trainerkonzepts in den nächsten bocktheorien helfen uns nicht weiter. Notwendig ist Jahren weiter verfolgen. eine gewaltige Kraftanstrengung, um einen größeren Teil unserer Ressourcen umzuschichten in Richtung Die Sportförderung ist jedoch keine originäre Auf- Zukunftsinvestitionen, in Richtung zukunftsfähiger gabe des Bundes, sondern eine gesellschaftspoliti- Arbeitsplätze. sche Frage, und damit aber auch nicht die lästige Pflicht einiger weniger, wie die Rückläufigkeit der Sparen erfüllt hier auch keinen Selbstzweck, son- Spendenbereitschaft der deutschen Wi rtschaft in den dern hat geradezu eine moralische Begründung und vergangenen Jahren vermuten läßt. Dies führte sogar eine Rechtfertigung da rin, daß um der Zukunftsiche- dazu, daß die Sporthilfe in der Vergangenheit auf rung und Weichenstellung willen schmerzliche Ent- ihre Rücklagen zurückgreifen mußte. Wenn wir diese scheidungen gegenüber den heute Lebenden getrof- Tendenz fortschreiten lassen, dann wird die Sportför- fen werden müssen. Eine Begrenzung der Umvertei- derung in naher Zukunft in ihrem Bestand gefährdet lung oder eine Kürzung trifft immer heute lebende, sein, und immer mehr internationale Wettkämpfe konkret betroffene Menschen, Zukunftsinvestitionen werden ohne deutsche Beteiligung auskommen müs- spielen sich demgegenüber in einer abstrakten Welt sen. Diese Entwicklung darf aber auch nicht dazu ab, siehe die Diskussion um neue Verkehrstechnolo- führen, daß wir hier das französische System der gien wie Transrapid. Sportförderung kopieren und nur noch einige we- Sie sind strukturkonservativ und blockieren die nige, prestigereiche Sportarten fördern. Zukunft, wir stehen für Zukunft und zwar nicht nur Wir müssen daher neue Wege zur Förderung des im Sinne der Förderung moderner Technik, sondern deutschen Hochleistungssports finden. Zum einen vor allem auch im Sinne der Langzeitverantwortung. gilt es den Gedanken der Sportförderung breiter in Zweitens. Ein kluger Mann, das ist der Vorsitzende die Bevölkerung zu tragen und zum anderen Mög- der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, Alois lichkeiten der Eigenfinanzierung aufzutun. Mein Glück, hat kürzlich formuliert: Politische Führung be- Vorschlag an dieser Stelle ist die Einrichtung eines steht darin, das Notwendige verständlich zu machen Solidaritätsfonds. Durch Bundesmittel geförderte und danach zu handeln. - Das Problem- der Opposi- Sportler sollten bei Abschluß von Sponsorenverträ- tion ist: Sie versuchen Nebelkerzen zu werfen, damit gen in Millionenhöhe zum Beispiel entsprechende Sachverhalte nicht mehr sichtbar werden, sie arbei- Fondszuschläge in die Abmachungen aufnehmen. ten statt dessen mit Parolen. Dies stärkt zum einen die Solidarität im deutschen Sport und bietet zum anderen den Verbänden die Alle versuchen darüber zu reden, wer vielleicht et- Möglichkeit der Eigenfinanzierung. was weniger bekommt als in den vergangenen Jah- ren, kaum einer redet über denjenigen, der über Ein positives Signal in diese Richtung hat jetzt der Steuern und Abgaben als Leistungserbringer das DFB gegeben. Bei zukünftigen Vertragswechseln ganze finanzieren muß. von Spielern aus dem Amateur- in den Profibereich wird eine Ausbildungs- und Förderungsentschädi- Leistungserbringer und Finanzieren: Ich denke gung von bis zu 100 000 DM fällig. Dieser wichtige jetzt auch nicht an irgendwelche anonymen Reichen, Schritt zur Eigenfinanzierung der Sportförderung und ich werde auch nicht polemisch und erinnere an sollte seine Signalwirkung auch in den anderen Ver- das Geflecht zwischen einem gewissen hessischen bänden nicht verfehlen. Richter, der SPD und der IG Metall. Die Zeche wird Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12393' vielmehr von der großen Masse der Arbeitnehmerin- bar, sondern wird in weiten Teilen von der wirtschaft- nen und Arbeitnehmer bezahlt, und von diesen ha- lichen, gesellschaftlichen und sozialen Rea lität ge- ben Sie sich längst entfernt. prägt. Dementsprechend sind seine Freiheitsgrade. Wer die Staatsquote senken wi ll - siehe Bündnis für „Es gibt keinen Zweifel, daß wir ein Zurückstek- Arbeit -, muß entweder die Ausgaben zurückneh- ken von vielerlei Ansprüchen ... verlangen, von vie- men oder er muß Wachstum erzeugen bei gleichzeiti- lerlei Ansprüchen, die sich in einer Zeit anhaltenden gem Konstanthalten des öffentlichen Sektors. Diese Wachstums entwickelt hatten und die auf eine stän- dynamische Sicht liegt mir als Volkswirt mehr. dige Zunahme des verteilbaren Sozialprodukts abge- stellt waren." Dieses Zitat stammt aus dem Jahre Zitat: „Die Zeit", 15. November 1996: „Es ist auch 1975, aus der Haushaltsrede des damaligen Bundes- ein Irrglaube, daß ein genereller Verzicht auf Sparen kanzlers Helmut Schmidt. die Politik sozialer macht. Denn die Schulden von heute sind die Steuererhöhung von morgen - und Es gibt nur einen kleinen, aber gewichtigen Unter- Steuern werden, weil sie nur dann genügend Masse schied. Helmut Schmidt hat dieses vor gut 20 Jahren bringen, vor allem bei den kleinen Leuten kassiert." in einer völlig anderen weltwirtschaftlichen Situation gesagt. Es gibt ernstzunehmende Beobachter, die da- Die Wahrheit ist - und der müssen wir uns stellen -: von ausgehen, daß sich die Bedingungen für die Wir haben ein Gebirge an Ansprüchen aufgebaut, deutsche Volkswirtschaft in den letzten 6 Jahren das zum Hochgebirge zu wachsen droht, in dessen mehr verändert haben als in den vergangenen tiefen Schluchten die wirklich Bedürftigen Gefahr 60 Jahren. Und es gilt, diese Bedingungen zur Kennt- laufen zu verschwinden. nis zu nehmen. Ich könnte noch einiges aus der Rede Viertens. Das Anspruchsdenken ist auch eine ent- von Schmidt zitieren, wenn er etwa sagt, es werde scheidende Ursache für die Ausweitung des Öffentli- heute den Bürgern etwas abverlangt, aber er wisse chen Dienstes. Jemand hat kürzlich davon gespro- von vielen Diskussionen und aus Meinungsumfra- chen, daß wir die Kehrseiten unserer Wohlstandsge- gen, daß „unsere Bürger dies besser verstehen" als sellschaft präsentiert bekommen. Man könnte auch offenkundig bestimmte selbsternannte Eliten. sagen: Wir erhalten jetzt die Vollkostenrechnung un- Ich glaube in der Tat, daß dies eines Ihrer Haupt- serer Art und Weise zu leben, zu wirtschaften und zu probleme ist: Sie bekommen nicht mehr so recht mit, arbeiten. Alles, womit der einzelne nicht fertig wird, was die Menschen tatsächlich denken. Die Men- wurde ihm früher von Familien, Familienverbänden schen in unserem Land sind viel vernünftiger, als es und Nachbarschaften abgenommen. Jetzt hat sich die Politiker häufig wahrhaben wollen. ein Betreuungsstaat entwickelt, von der Wiege bis zur Bahre. Wieviel er kostet, merken wir erst jetzt, wo Es gibt weitere schöne Zitate von Helmut Schmidt, die exorbitanten Wohlstandssteigerungen ausbleiben die aus seinem Vortrag bei einem gesellschaftspoliti- und andere Länder konkurrenzfähig zu uns gewor- schen Forum unter dem Titel „Deutschland im Um- den sind. bruch - Die politische Klasse und die Wirk lichkeit" stammen. Er stellt auch einige interessante Überle- Unsere Ansprüche, über die wir ungern reden, gungen an, wie denn wirklich neue Arbeitsplätze sind das eigentliche Problem, nicht die Beamten so- entstehen können, und macht sich seine Gedanken wie Angestellten und Arbeiter im öffentlichen zur Feindschaft gegenüber technischen Neuerun- Dienst. Unsere Ansprüche drücken sich auch darin gen, die fast unser ganzes Volk erfaßt habe. Er macht aus, daß wir in Deutschland Spitzenreiter sind bei deutlich, daß es darauf ankommt, daß wir uns in die der Zahl der Staatsdiener pro 1 000 Einwohner, näm- Lage versetzen, solche Produkte auf unsere eigenen lich 40; Großbritannien 28, Dänemark 33, Belgien 36. Märkte zu bringen, die andere einstweilen noch Die Zahlen des Versorgungsberichtes und des Ein- nicht erzeugen können. Als Beispiel nennt er die Ma- zelplans 33 machen dies sehr deutlich: Von 1970 bis gnetschwebebahn, die seit 20 Jahren in Ostfriesland 1993 sind die Beschäftigtenzahlen beim Bund um im Kreise herumfahre - hier irrt Helmut Schmidt: 9,5 Prozent gestiegen, bei den Ländern um nicht Ostfriesland, sondern Emsland -, aber er sagt 52,5 Prozent, bei den Gemeinden um 49,1 Prozent, auch, daß hier Bedenkenträger - und dazu gehört im Schnitt um 45,4 Prozent. auch die große Mehrheit Ihrer Fraktion - jede neue Der Personalzuwachs der 70er Jahre, insbesondere Entwicklung blockierten. Genauso blockieren Sie bei den Ländern und Gemeinden, wird- sich versor- notwendige Maßnahmen mit Ihrer Mehrheit im Bun- gungsmäßig vor allem in den Jahren 2020 bis 2025 desrat. auswirken. Nach den Berechnungen des Versor- Wenn ich Fußballschiedsrichter wäre, müßte ich gungsberichts, den Bundesinnenminister Kanther Ihnen als Mannschaft die Rote Karte zeigen, weil Sie jetzt vorgelegt hat und mit dem er auch die Schular- das Spiel nach vorn blockieren und weil Sie nur noch beiten von Ländern und Gemeinden erledigt hat, daran interessie rt sind, das Ergebnis zu halten, und wird es im Jahre 2010 bei Bund, Ländern und Ge- damit alle Kreativität ersticken. Sie blockieren die meinden voraussichtlich gut 1 Mil lion Versorgungs- Zukunft, Sie lehnen die Langzeitverantwortung ab. empfänger geben; die Zahl steigt bis 2020 auf Kein Wunder, daß Sie bei den Jugendlichen und ge- 1,27 Millionen, etwa 2023 erreicht sie mit rade auch bei den Jungwählern die Rote Karte ge- 1,29 Millionen ihren Höchststand; danach sind die zeigt bekommen. Zahlen rückläufig. Hier müssen die richtigen Maß- nahmen ergriffen werden, um die Versorgungsquote, Drittens. Der 97er Haushalt steht nicht im luftlee- das heißt die Entwicklung der Versorgungsausgaben ren Raum und ist deshalb auch nicht beliebig gestalt im prozentualen Verhältnis zur gesamtwirtschaftli- 12798* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. November 1996 chen Leistung, dem Bruttoinlandsprodukt, stabil zu Wir packen Strukturveränderungen an, wir stehen halten. Für den Bund ergibt sich tendenziell sogar für Modernisierung und gegen Besitzstandsdenken. eine Verringerung der Versorgungsausgaben, weil die Ausgaben für die sogenannten 131er sich von Wirkliche Wertkonservative tun 1996 das, was die circa 500 Millionen im Jahre 1996 auf etwa 48 Mil- Besten ihrer Vorfahren heute getan hätten: Sie sind lionen im Jahre 2008 verringern. Die 131er sind, ver- die Strukturkonservativen. Ich schlage vor, daß Sie einfacht gesagt, die Angehörigen des öffentlichen Ihre Partei umbenennen. Die Kürzel SPD können Sie Dienstes von vor 1945. beibehalten. Sie sollten das aber übersetzen als: Strukturkonservative Partei Deutschlands. Der sogenannte Versorgungsberg, etwa mit sei- nem Höhepunkt im Jahre 2022, ist in erster Linie ein Länderproblem. Trotzdem sind wir der Auffassung, Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die daß jetzt darangegangen werden muß, die Ausgaben Haushaltsberatungen - so habe ich mir zumindest im Jahre nach 2008 durch gesetzgeberische Maßnah- von meinen Kolleginnen und Kollegen im Innen- und men im Bereich des öffentlichen Dienstes zu begren- Haushaltsausschuß berichten lassen - waren auch in zen. Es liegt vornehmlich auch im Interesse der Län- diesem Jahr für die Opposition so unerfreulich wie in der, hierbei zügig voranzukommen. Ebenso wie beim den Vorjahren. Alterssicherungssystem Rente werden wir auch aus Gründen der gerechten Lastenverteilung zwischen Gute Argumente zählen nicht. Zu Mehrheiten den Generationen zusätzlich nicht umhinkommen, auch einmal quer zu den Fraktionszugehörigkeiten auch die heutigen Renten und Bezüge der Pensio- fehlen Mut und Souveränität. Für Großzügigkeiten näre flacher wachsen zu lassen, als das die gegen- ist nicht die Zeit. „Business as usual" also! Auch wärtigen Regeln vorgeben. wenn sich ringsum vieles verändert, die Bonner Ko- alition verweigert sich allen Änderungen. Eine Neiddiskussion gegenüber dem öffentlichen Dienst halte ich für völlig unangemessen. Sie halten genauso fest an der überdimensionier- ten Ausstattung des Nachrichtendienstes für die Aus- Allerdings: Die Beamten sowie die Angestellten landsaufklärung wie am Regierungsbunker in der Ei- und Arbeiter des öffentlichen Dienstes sollen weder fel, als ob der Russe noch immer vor der Türe stünde. besser noch schlechter behandelt werden als die Umgekehrt verweigern Sie die Finanzierung wirklich übrigen Beschäftigten. Deswegen bin ich auch sehr notwendiger Leistungen und Reformen. dafür, daß wir kurzfristig bestimmte Regelungen des Beamtenversorgungsrechts überprüfen, was auch Es stellt sich hier wie auch in den anderen Ressorts kurzfristig zur Entlastung der öffentlichen Haushalte die Frage: Wird eigentlich diese Regierung, wird der führen kann: Dazu gehören die Zulagen, deren Ru- Innenminister, wird die Koalition wenigstens den hegehaltsfähigkeit, die Anrechnung von Erwerbsein- selbst gestellten Ansprüchen gerecht? kommen auf Versorgungsbezüge, die Anrechnung von Ausbildungszeiten beim Ruhegehalt, die Warte- Wir haben Halbzeit in Bonn. In der Mitte der Legis- zeit für Versorgung aus Beförderungsämtern und die laturperiode sollten die wesentlichen Vorhaben, die Versorgung der politischen Beamten, insbesondere eine Regierung anpacken will, auf den Weg gebracht der Staatssekretäre, bei Versetzung in den einstweili- sein. gen Ruhestand. Dieses muß überprüft und gegebe- Die Reform des öffentlichen Dienstes geriet dem nenfalls neu geregelt werden. Innenminister zum Reförmchen. Zu Teilzeitarbeit Das, was für die Beamtenversorgung notwendig oder Besetzung von Führungspositionen auf Zeit im ist, muß auch in geeigneter Form auf die Zusatzver- öffentlichen Dienst kann er sich nicht durchringen. sorgung der Arbeiter und Angestellten des öffentli- chen Dienstes übertragen werden. Ein wesentliches Vorhaben der Regierung war, die Integrationsleistungen für die hier lebenden Men- Die Ausgaben des Einzelplans 33 beruhen aus- schen ohne deutschen Paß deutlich zu verbessern schließlich auf gesetzlichen Verpflichtungen. Er bie- und denen, die es wollten, die Chance einzuräumen, tet damit im Grunde genommen kaum Gestaltungs- die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben. Die spielraum. Durch die Änderungen beim Anspruchs- umstrittene Frage, ob das Gemeinwesen es denn und Anwartschaftsüberführungsgesetz - Wegfall von wohl verkraften könne, wenn ein Bürger oder eine Entgeltbegrenzung - tritt gegenüber dem 96er Haus- Bürgerin zwei Pässe und damit zwei Staatsangehö- halt ein Mehrbedarf auf, da der Bund für bestimmte rigkeiten habe, wollten Sie wenigstens für die Kinder Berechtigte aufkommen muß. Außerdem haben wir unter Hintanstellen Ihrer schweren Bedenken ob der ein Zeichen gesetzt bei der Absenkung des Ansatzes Reinheit der Lehre vom Blutsrecht der deutschen zum Beispiel für Beihilfen, da das, was wir den nor- Staatsangehörigkeit umschiffen. malen Krankenversicherten zumuten, auch für den Beihilfeberechtigten gelten muß. Was haben Sie nun erreicht auf diesem Feld? Fehl- anzeige, nichts! Ein ganzes Maßnahmenpaket zum Es bleibt dabei: Wirtschaftliche Entwicklung, Ausländerrecht haben Sie zwar verabschiedet. Aber Schaffung von Arbeitsplätzen und Sicherung der so- was findet sich darin? Integrationsverbessernde Maß- zialen Leistungssysteme hängen eng zusammen. nahmen in Spuren, repressive Vorschläge kiloweise. Eine gute Wirtschafts-, Haushalts- und Finanzpolitik Die Staatsangehörigkeitsfrage ist ausgeklammert. So sowie eine gute Sozial- und Gesellschaftspolitik be- behandelt diese Regierung die Schwerpunkte ihrer dingen sich wechselseitig. Politik. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12799*

Ziemlich genau vor zwei Jahren hat der Bundesin- tik. Tabu ist es für den Innenminister und den Dro- nenminister in der Debatte zur Regierungserklärung genmissionar Sauer, neue Wege in der Drogenpolitik hier am 23. November 1994 verkündet, die Innenpoli- zu betreten. Es braucht nur einer Ankündigung aus tik werde ein wesentliches Feld der kommenden Le- Schleswig-Holstein, da heulen sie auf - wie Alkoholi- gislaturperiode. Als sein Ziel beschrieb er in seiner ker, denen man den Schnaps wegnimmt -, da wer- Rede die „Gewährleistung eines verträglichen Zu- den sie hibbelig, wie der Raucher, der am Samstag- sammenlebens der Gruppen und der einzelnen" und abend keine Zigaretten und kein Fünfmarkstück fügte dann hinzu: „Ganz besonders trifft dies für die mehr hat. Im Bereich harter Drogen diskreditieren Frage des verträglichen Zusammenlebens von deut- Sie jeden Versuch einer humanen Drogenpolitik, die schen und ausländischen Mitbürgern in Deutschland an der Hilfe für die Abhängigen ausgerichtet ist. zu." Eigentlich ist das merkwürdig, denn ginge es nach Jetzt wollen Sie im Verein mit den Franzosen, die dem Innenminister, könnten gar keine ausländischen die schlechteste Bilanz in der Drogenpolitik zu ver- Mitbürger hier leben. Mit einer Beharrlichkeit son- zeichnen haben, den Holländern zu Leibe rücken, dergleichen behauptet der Herr Kanther ja, kürzlich damit sie ihre erfolgreiche Drogenpolitik aufgeben erst wieder in der „Frankfu rter Allgemeinen Zei- und die Coffeeshops schließen. Die „Süddeutsche tung", Deutschland sei kein Einwanderungsland. Ich Zeitung" kommentierte in der letzten Woche: „Dro- glaube ihnen ja, daß sie Zuzug für die Zukunft ver- genpolitiker aber, die neue Erkenntnisse ablehnen, hindern wollen. Aber was hat denn seit den 50er Jah- haben kapituliert - vor der Mafia und vor der Sucht." ren hier stattgefunden? Einwanderung in ganz er- In der Tat. Im ersten halben Jahr 1996 starben heblichem Maße, ohne die das Wirtschaftswunder- 753 Menschen durch Drogenkonsum, 71 mehr als in land Deutschland nicht so groß geworden wäre, wie der ersten Jahreshälfte 1995. In Frankfu rt sinken die es ist. Daß jemand, der Realitäten so dreist leugnet, Zahlen, in Städten, die auf repressiven Kurs in der Minister sein kann, ist schon absurd. Drogenpolitik setzen, steigen sie. Sie weigern sich, das zur Kenntnis zu nehmen. Statt dessen nehmen Was der Innenminister unter Integration wirklich Sie lieber in Kauf, daß Ihre repressive Linie weiter versteht, haben wir dieser Tage erfahren. Da führt die Mortalität unter den Drogenabhängigen steigert. das Bundesverwaltungsamt, eine dem Innenminister Sie weigern sich, durch staatlich kontrollierte Ab- nachgeordnete Bundesoberbehörde, auf dessen Wei- gabe die Süchtigen vor den Fängen der Drogenmafia sung, aber ohne Rechtsgrundlage, eine Datei, in der und vor dem Schritt in die Beschaffungskriminalität die Daten von 900 000 eingebürgerten, ehemaligen zu bewahren. Ihre Drogenpolitik begünstigt letztend- Ausländern gespeichert werden. Das ist das organi- lich die Drogenmafia, Herr Minister! sierte Mißtrauen in Person des Verfassungsministers unter Duldung eines Koalitionspartners, der sich da- In Schleswig-Holstein wollen Sie den Versuch ver- mit zufriedengibt, daß die von ihm gestellte Auslän- hindern, mit der Trennung der Märkte für harte und derbeauftragte genauso regelmäßig wie folgenlos weiche Drogen den Einstieg für Jugendliche in den empört ist. Markt der harten Drogen zu erschweren. Was für Das hätte sich mancher hier im Hause vor einigen eine Befriedigung verschafft es Ihnen eigentlich, Jahren noch nicht vorstellen können. Es ist ein Desin- jährlich lieber 30 000 Jugendliche wegen Besitzes tegrationsminister, dem der innere Frieden und die von ein paar Gramm Dope zu belangen und 8 000 innere Sicherheit angeblich so viel gilt, der in seinem von ihnen zu verurteilen? Wer sich dagegen in der abgrundtiefen Mißtrauen gegen alles Nichtdeutsche Apotheke all die legalen Aufputschmittel besorgt, illegale Dateien anlegt und der von dem vermeintlich wer sich die Lunge mit Nikotin vollpumpt oder mit liberalen Koalitionspartner, der sich früher der Frei- Alkohol die Leber ruiniert, wer angepaßt seiner Dro- heit des einzelnen Bürgers verschrieben hatte, nicht gensucht nachgeht, der kann es hierzulande weit gebremst wird. Es hat ja eine lange Tradition, daß der bringen. In Ihrer Drogenpolitik ist alles faul, was nur Verfassungsminister nicht täglich mit dem Grundge- faul sein kann. setz unter dem Arm herumlaufen wi ll, und es wun- dert auch niemanden, daß dieser Innenminister sol- Statt effektiv Sucht und Verbrechen einzudäm- che Dinge tut. Der eigentliche Skandal ist, daß es men, pflegen Sie lieber Vorurteile. Sie beschimpfen keinen Aufschrei der Liberalen gibt. Aber wie auch gar die Justiz, die nach Ansicht des Innenministers- immer, die sind mit der eigenen Existenzsicherung zu lasch gegen das organisierte Verbrechen - natür- über alle Maßen beschäftigt. lich in seinen Augen nur das von Ausländern ver- übte - vorgehe. Die F.D.P. ist als Bürgerrechtspartei und Freiheits- partei eine Nullnummer. Sie hat sich, wie ihr ent- täuschter Abgeordneter Lüder schon vor Jahren re- Solche Fundis wie die Herren Kanther, Marschew sümierte, von der Rechtsstaatspartei zur rechten ski und Westerwelle gibt es in meiner Partei schon Staatspartei entwickelt. lange nicht mehr. In der Koalition geben sie immer mehr den Ton an. Je schlechter es der Koalition geht, In einem Punkt muß ich dem Bundesinnenminister desto tiefer stecken die Reformkräfte in Ihren Reihen allerdings recht geben. In einem Interview mit der den Kopf in den Sand. Mit den Bürgern im Lande, „Welt" sagte er: „Eine offene Gesellschaft erträgt mit den Gruppen und einzelnen, deren gedeihliches keine Tabus!" Da hat er recht. Aber seine Politik lebt Zusammenleben der Innenminister zu fördern uns ja geradezu davon, daß er Tabus, wo immer er kann, vor zwei Jahren versprochen hatte, gehen Sie pflegt. Am besten sichtbar ist das in der Drogenpoli schlecht um. Es wird Zeit, daß Sie abgelöst werden. 12800 * Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Ulla Jelpke (PDS): Bis heute hat sich die Bundesre- Mittelvergabe an die Vertriebenenverbände zu über- gierung nicht dazu entschließen können, zahlreichen prüfen. NS-Opfern Entschädigung zu zahlen. Demgegen- über sieht der vorliegende Haushaltsentwurf Skandalös ist auch der Umgang der Bundesregie- 31,5 Millionen DM finanzielle Unterstützung für die rung mit den Verhandlungen über das deutsch- Vertriebenenverbände vor. Das sind Mittel zur Unter- tschechische Regierungsabkommen. Die Bundesre- stützung revanchistischer und geschichtsrevisionisti- gierung mußte auf unsere Anfrage hin zugeben, daß scher Politik. sie den Sprecher der Sudetendeutschen Landsmann- schaft, Franz Neubauer, „wiederholt über den jewei- Auf dem letzten „Tag der Heimat" in Berlin wurde ligen Stand" der Verhandlungen informiert hat, ob- Bundespräsident Herzog als „Vaterlandsverräter" wohl die Bundesregierung auf unsere Nachfrage hin beschimpft, weil er die Oder-Neiße-Grenze als polni- einräumen mußte, daß dieser in rechtsextremen Ver- sche Westgrenze anerkannt und verteidigt hatte. Der lagen publiziert und damit über enge Beziehungen Vizepräsident des BdV, Dr. Paul Latussek, verkün- ins rechtsextreme Lager verfügt. Der rechtsextreme dete hingegen auf derselben Veranstaltung: Flügel der Sudetendeutschen sitzt demnach als un- sichtbare dritte Kraft mit am deutsch-tschechischen Die Oder-Neiße-Linie bleibt im Bewußtsein der Verhandlungstisch, während der Bundestag bis Vertriebenen ein Unrecht, bis die vertriebenen heute noch nicht über den Stand der Verhandlungen Deutschen ihr Ansiedlungsrecht in der ostdeut- unterrichtet worden ist. Dies ist einfach unglaublich. schen Heimat und ihr Eigentum in Besitz neh- men können. Die Kumpanei zwischen der Regierung und dem nach rechts hin offenen Spektrum ist kein Einzelfall. Sie haben sich nicht verhört. Herr Latussek spricht Ich frage Sie: Ist es vorstellbar, daß in einem anderen nicht etwa über Mecklenburg-Vorpommern, Bran- westeuropäischen Land einem Historiker ein hoher denburg oder Sachsen, sondern über polnische und Staatsorden verliehen wird, der den Holocaust leug- russische Territorien! Solche völkerrechtswidrigen net und die Kriegsschuldlüge verbreitet? In der Bun- Äußerungen sind keine Minderheitspositionen inner- desrepublik ist dies offensichtlich möglich. Alfred halb der Vertriebenenverbände, sondern werden von Schickel, Leiter der Zeitgeschichtlichen Forschungs- Funktionären vertreten. Fünf Präsidialmitglieder des stelle Ingolstadt, ist seit 1989 Träger des Bundesver- BdV und der Vorsitzende des BdV-Berlin unterstütz- dienstkreuzes, obwohl selbst Staatssekretär Lintner ten Latusseks Positionen. jüngst zugeben mußte, daß Schickels Äußerungen Wir haben in unseren Anträgen an den Innen- und teilweise den Aussagen von Rechtsextremisten ent- Haushaltsausschuß gefordert, die Vertriebenenver- sprechen. bände nicht mehr aus Bundesmitteln zu finanzieren. Die Vertreter der extremen Rechten werden aus Diese Anträge fanden keine Mehrheit. Auch die Kol- dem Bundesetat finanziert, ihnen wird das Bundes- leginnen und Kollegen von der SPD haben gegen un- verdienstkreuz verliehen und sie sitzen als unsicht- sere Anträge gestimmt, obwohl der Kollege Körper bare Partner mit an den Verhandlungstischen. Sie eine gründliche Überprüfung der Mittelvergabe ge- werden finanziert und hofiert - und dies ohne Auf- fordert hatte. Wenn es darauf ankommt, Stellung zu schrei im Parlament. beziehen, weichen sie aus. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Sie predigen Wein und rei- Ich komme zu einem weiteren Punkt. Beim Ausbau chen Wasser! des Polizei-Apparates kennt diese Bundesregierung Die Mehrheit dieses Hauses ist offensichtlich nicht keinerlei Grenzen: Auf der morgigen Sitzung der willens, die Finanzierung von Verbänden einzustel- EU-Innen- und Justizminister soll beispielsweise das len, die rassistische, antisemitische, verfassungs- Mandat der „Europäischen Drogenbekämpfungsbe- feindliche und völkerrechtswidrige Positionen vertre- hörde" für den Bereich des Menschenhandels be- ten. Selbst der Bundesfinanzhof und das Bundesmi- schlossen werden. Die Betroffenheit in der Bevölke- nisterium der Finanzen haben einräumen müssen, rung über die letzten Sexualverbrechen versucht die daß Forderungen nach Gebietsansprüchen in osteu- Bundesregierung schamlos dafür auszunutzen, eine ropäischen Staaten mit der Gemeinnützigkeit eines gesellschaftliche Akzeptanz für ein unsinniges und Verbandes nicht zu vereinbaren sind. Ich zitiere aus überflüssigeis Projekt, genannt EUROPOL, künstlich dem 1991er Urteil des Bundesfinanzministeriums: zu erzeugen. Ich sage Ihnen - das Bitterste ist hier- bei, daß sich die Bundesregierung nicht zu schade Satzungszwecke wie „Wiedervereinigung mit war, ausgerechnet geplante Schutzmaßnahmen für den Vertreibungsgebieten" oder „Eingliederung Opfer und Zeugen und Zeuginnen des Menschen- der Vertreibungsgebiete" sind (...) schädlich für handels, wo es nur ging, zu behindern, und dies mit die Gemeinnützigkeit eines Vertriebenenver- der infamen Begründung, einen „Mißbrauch" dieser bandes. Die Verfolgung dieser Ziele ist keine Schutzmaßnahmen „auszuschließen" . Hier macht Förderung der Allgemeinheit, weil solche Bestre- die Bundesregierung Frauen als Opfer sexueller Ge- bungen im Widerspruch zu den völkerrechtlich walt wieder einmal zu Täterinnen. verbindlichen Verträgen der Bundesrepublik Deutschland mit ihren östlichen Nachbarn und In den kommenden Wochen soll die Novelle des zum Grundgesetz stehen. BKA-Gesetzes in aller Heimlichkeit über die parla- mentarischen Hürden gehievt werden. Dieses Gesetz Unsere Bedenken sind dera rt schwerwiegend, daß droht, das föderale System im Polizeibereich vollends wir den Bundesrechnungshof gebeten haben, die zu unterlaufen. Ich frage mich: Was möchten Sie vor Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12801 * der Bevölkerung eigentlich so Wichtiges geheim hal- der einen Verbrecher vermutet, nützen aber nur ten? rechtsradikalen Schreihälsen, sonst niemandem. Dafür interessieren Sie sich offenkundig brennend Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß Deutsch- für das Privatleben der Bürgerinnen und Bürger. Die land bei der Furcht vor Kriminalität weltweit mit Ja- Polizei wird für den Großen Lauschangriff weiter auf- pan an der Spitze liegt, was allerdings nicht unbe- gerüstet. Von der CSU bis zur SPD wird die Einfüh- dingt der realen Situation im Vergleich mit anderen rung des Großen Spähangriffes geplant. Bis in den Ländern entspricht. Ich will damit die Situation in un- letzten Winkel, bis in den vom Bundesverfassungsge- serem Land nicht beschönigen, aber der verantwor- richt absolut geschützten Privatbereich möchten Sie tungsvolle Umgang mit dem Thema Kriminalität ist die Bevölkerung aushorchen und ausspähen. Von dringend vonnöten. Bürgerrechtsvereinen wie der Humanistischen Es gehört auch dazu, die Dinge beim Namen zu Union, dem Republikanischen Anwaltsverein, den nennen. Die derzeitige Kriminalstatistik ist eine poli- Strafverteidiger-Initiativen sowie von namhaften Ju- zeiliche Anzeigenstatistik. Besser könnten wir viel- ristinnen und Ju risten - wie zum Beispiel dem Han- leicht die Dinge beurteilen, wenn diese polizeiliche noveraner Professor Jürgen Seife rt - wurde Ihnen be- Kriminalstatistik ergänzt würde durch Aussagen un- scheinigt, daß Sie auch mit einer Änderung von abhängiger Sachverständiger, die bei einer Bewer- Art. 13 GG lediglich „verfassungswidriges Verfas- tung auch Schwachstellen der Statistik beleuchten. sungsrecht" schaffen (Kritische Justiz 3/92). Eine besondere Herausforderung stellt die soge- Auch sogenannte „Schleuser" von Flüchtlingen nannte organisierte Kriminalität dar. Das Bundeskri- wollen Sie künftig belauschen. Verehrte Kolleginnen minalamt schätzt, daß zwischen 1991 und 1995 in und Kollegen von der Koalition und der SPD, Ihre Deutschland ein Schaden von zirka 10,5 Milliarden harte Asylpolitik, die Flüchtlingen kaum mehr einen DM durch die sogenannte organisierte Kriminalität Weg nach Deutschland offen läßt, hat die Schlepper entstanden ist. Die SPD hat schon vor drei Jahren erst an die Fleischtöpfe geführt. Ändern Sie Ihre Stra- Vorschläge zu einer effektiven Bekämpfung der or- tegie der europaweiten Abschottung und Ausgren- ganisierten Kriminalität gemacht. Wir wollen ein Be- zung gegenüber Flüchtlingen, und Sie brauchen schlagnahmeverfahren einführen, das die Einzie- keine Schlepper mehr zu belauschen. Sie haben hung von solchen Vermögensgegenständen unab- dann deren Märkte ausgetrocknet. hängig von einem Ermittlungsverfahren oder von ei- ner Verurteilung ermöglicht, die vermutlich durch Ähnliches gilt für Verstöße gegen das Betätigungs- eine schwere Straftat der organisierten Kriminalität verbot der PKK. Auch hier soll die Polizei im großen erlangt wurden oder die zu solchen Straftaten ver- Stil abhören dürfen. Aber auch hier ist Entkriminali- wendet werden sollen. Die überwiegende Wahr- sierung der richtige Weg. Das PKK-Verbot muß auf- scheinlichkeit reicht zur Beschlagnahme oder Einzie- gehoben werden; denn es ist undemokratisch und hung aus, es sei denn, der Eigentümer bzw. Verfü- selbst nach Ansicht des Verfassungsschutzes wir- gungsberechtigte widerlegt die Vermutung und kungslos. Dieses Verbot beraubt hier lebende Kur- weist nach, daß das Geld weder durch eine Straftat dinnen und Kurden ihrer Grundrechte. Sie werden in der organisierten Kriminalität erlangt wurde noch zu eine Gewaltfalle hineingetrieben. einer derartigen Straftat verwendet werden sollte. Wenn - wie jüngst in Hamburg und Köln - kurdi- Auch haben wir Vorschläge gemacht zum Einsatz sche Fahnen toleriert werden, dann wird der Bundes- technischer Mittel zu Zwecken der Überwachung im innenminister besonders nervös. Ich habe den Ein- präventiven und repressiven Bereich. Lange hat es druck, Herr Kanther, daß Sie die sozialdemokrati- allerdings bei Ihnen in der Koalition gedauert, bis Sie schen Innenminister auf der IMK-Sitzung letzte Wo- sich aufraffen konnten, die Wohnraumüberwachung che nur deswegen so unter Druck gesetzt haben, überhaupt anzugehen. Nach wie vor scheint keine weil auf den eben genannten Veranstaltungen die Übereinstimmung zwischen den Koalitionspartnern ansonsten von Ihrer Politik provozierte Gewalt kurdi- zu bestehen. scher Demonstrantinnen und Demonstranten ausge- blieben ist. Die Erfahrungen in anderen Ländern haben ge- zeigt, daß die organisierte Kriminalität insbesondere Es wird Sie nicht verwundern, daß wir diesem an den Wurzeln des Geldes gepackt werden muß. Haushalt nicht zustimmen werden. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich- offensicht- lich zu einem lukrativen Geldwäscheplatz entwik- (SPD): Offensichtlich hat die kelt. Beispiele haben gezeigt, daß wegen der ein- Fritz Rudolf Körper schränkenden Bestimmungen im Geldwäschegesetz Union - so ist Pressemeldungen zu entnehmen - ein neues Wahlkampfthema entdeckt: Die innere Sicher- von 1993 wesentliche eingeschleuste Summen nicht heit soll das Thema für die politische Auseinander- sichergestellt werden konnten. setzung im Jahre 1998 werden. Das Geldwäschegesetz greift nicht. Beispielsweise wurden im Bundesland Hessen 1 300 Anzeigen regi- Sie, Herr Innenminister Kanther, sparen nicht mit striert, aber kein Fall wurde zur Anklage gebracht. markigen Sprüchen, wenn es um das Thema Krimi- nalität geht. Manchmal läßt die Wortwahl den Schluß Das Geldwäschegesetz funktioniert trotz eines auf- zu, daß Sie allzu leichtfertig mit dem Thema Krimina- wendigen Meldesystems der Banken nicht. So führt lität umgehen. Kampagnen, an deren Ende jeder um der hessische Generalstaatsanwalt Schäfer auf der Eigentum und Leben fürchtet und in jedem Auslän Jahrestagung des Bundeskriminalamtes 1996 in 12802* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Wiesbaden aus, daß insbesondere die Beweispro- Ein markantes Symptom unserer gesellschaftspoli- bleme die Ursachen für die Erfolglosigkeit des Geld- tischen Lage ist das Aufkommen und Anwachsen der wäschegesetzes sind. Die Fassung des § 261 StGB privaten Sicherheitsdienste. Sicherheit wird damit legt den Verfolgungsbehörden heute die volle Be- zunehmend privatisiert und den Kriterien des Kom- weislast dafür auf, daß das Geld aus einer bestimm- merz unterworfen. 1970 waren rund 330 Unter- ten delikten Herkunft, wie zum Beispiel dem Rausch- nehmen mit rund 314 Millionen DM Umsatz als pri- gifthandel, stammt. Dieser Nachweis der sogenann- vate Sicherheitsdienste tätig. Im Jahre 1990 waren es ten Vortat ist in der Praxis aber kaum zu erbringen. bereits 900 Unternehmen mit 2,3 Milliarden DM. 1993 waren es zirka 1 200 Unternehmen mit deutlich Dem Einwand, mit einer Beweislastumkehr würde über 4 Milliarden DM Umsatz. 1992 erfaßten die Ver- die Unschuldsvermutung auf den Kopf gestellt, hielt waltungsberufsgenossenschaften 194 000 Beschäf- Schäfer entgegen, daß zwischen einer Beweislastum- tigte. kehr zum Nachteil einer Person oder zum Nachteil ihres Vermögens unterschieden werden müsse. Auf Wir haben zu dem Bereich der p rivaten Sicher- der von mir erwähnten Tagung des BKA in Wiesba- heitsdienste einen Antrag vorgelegt; denn die Rege- den befanden fast sämtliche Experten aus Italien und lungen der Gewerbeordnung und die Bewachungs- den USA, daß ohne eine solche Möglichkeit des Staa- verordnung reichen keinesfalls aus. Abgestufte Be- tes die organisierte Kriminalität nicht zu bezwingen rufsqualifikationen sind nötig. Strengere Anforde- sei. Auch deutsche Polizeiexperten aus den Ländern rungen an die Betreiber und an die Mitarbeiter sind schlossen sich dieser Argumentation, die auf ein- zu stellen. Die waffenrechtlichen Befugnisse müssen schlägigen Erfahrungen in Europa und den USA eingeschränkt und datenschutzrechtliche Regelun- fußt, an. gen getroffen werden. Wer berufsmäßig Rechtsgüter- Zur Bekämpfung der Kriminalität gehört es auch, schutz für Dritte betreibt, muß sich bei der Wahrneh- der Korruption entgegenzuwirken. Den präventiven mung von Notrechten an den Maßstäben messen las- Maßnahmen in der Verwaltung und auf dem Gebiet sen, die für Polizeibeamte ganz selbstverständlich des Dienstrechtes muß hohe Priorität eingeräumt sind. werden. Aber auch die Erweiterung der Straftatbe- Dringlich ist auch die Änderung des Waffenrech- stände und die vollständige Beseitigung der steuerli- tes. Hier zögert die Bundesregierung mit einem Ge- chen Abzugsfähigkeit von Schmiergeldern sind drin- setzentwurf. Aber insbesondere bei erlaubnisfreien gend notwendig. Kurzwaffen besteht Handlungsbedarf. Diese haben Wir wollten mit unserem Antrag zu diesem Thema bei den Sicherstellungen nach Straftaten immerhin die Diskussion anstoßen. Mittlerweile liegen Gesetz- einen konstanten Anteil von 60 Prozent. Eine Melde- entwürfe des Bundesrates und der Bundesregierung pflicht für erlaubnisfreie Waffen ist wohl das minde- vor, über die zügig beraten und entschieden werden ste, was an Auflagen gemacht werden muß. Hier gibt muß. es ebenfalls Handlungsbedarf. Ein weiteres Phänomen ist, daß die Kriminalität im- Kriminalität wird am wirksamsten an ihren gesell- mer stärkere internationale Bezüge bekommt. Auf schaftlichen Wurzeln bekämpft. Wir brauchen eine dieses Phänomen kann nicht nur mit nationaler Poli- bessere Erziehung und Bildung, wo verstärkt soziales zeiarbeit geantwortet werden. Wir brauchen die in- Lernen ermöglicht wird, wo die Fähigkeit zur friedli- ternationale Zusammenarbeit. chen Konfliktlösung stärker vermittelt und der Ge- waltbereitschaft entgegengewirkt wird. Dies gilt Bemerkenswert ist der Streit innerhalb der Bun- auch für die Medien. Gewaltdarstellungen und Ge- desregierung über die Kompetenzen von Europol. waltanwendungen, die täglich über den Bildschirm Bundesjustizminister Schmidt-Jortzig sieht wohl in flimmern, sind in ihren negativen gesellschaftlichen der Leitung des Bundesinnenministeriums die Ursa- Folgen heute noch nicht zu übersehen. che dafür, daß innerhalb der Bundesregierung die Gespräche über Europol nicht vorankommen. Euro- Wir brauchen eine Politik, die solidarische Verant- pol sollte von den jeweils zuständigen Polizeidienst- wortlichkeit der Bürgerinnen und Bürger fördert und stellen in der Europäischen Union konkrete Ermitt- fordert. Aussagen von Herrn Bundesinnenminister lungsmaßnahmen anfordern können. Da sind wir uns Kanther, die polarisieren und beispielsweise Auslän- mit dem Justizminister einig. der pauschal ins Abseits stellen, sind nicht hilfreich. Rund 2 Millionen aller Ausländerinnen und Auslän- Auch was die Abstimmung zwischen den Aufga- der in der Bundesrepublik Deutschland leben länger ben von Europol und Interpol angeht, muß die Bun- als 15 Jahre in unserem Land. desregierung stärker darauf hinwirken, daß es zu ei- ner abgestimmten Zusammenarbeit unter dem Die vom Bundesinnenminister fortgeführte Diskus- Aspekt einer wirkungsvollen Kriminalitätsbekämp- sion um die Frage, „ob die Bundesrepublik Deutsch- fung kommt. land ein Einwanderungsland ist", ist weltfremd. Es kommt doch heute nicht darauf an, ob Deutschland Dringend notwendig ist es nach meiner Auffas- ein Einwanderungsland sein will oder nicht. Es stellt sung, daß es endlich zur Verabschiedung des Bun- sich gegenwärtig nur die Frage, ob das tatsächliche deskriminalamtgesetzes kommt. Hier darf es nicht in Phänomen von der Politik zur Kenntnis genommen erster Linie zu einem Kompetenzstreit zwischen wird und wie man damit umgeht. Bund und Ländern kommen, sondern die effektive Bekämpfung von Kriminalität muß Meßlatte und Kri- Die sozialen Spannungen in unserem Land haben terium für ein neues BKA-Gesetz sein. sich verschärft. Die Integration derjenigen, die in un- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996 12803' ser Land kommen, gelingt zunehmend weniger. Dies macht und werden ergänzende gerne prüfen; die Sa- gilt insbesondere auch für den gesamten Aussiedler- che ruft nach schneller Einigung. bereich. Die Leistungsfähigkeit des Bundeskriminalamtes Ganz persönlich sage ich, daß ich keine Zuwande- wird durch das BKA-Gesetz weiter gestärkt. Daher rung haben möchte, die Randgruppen unserer Ge- hoffe ich auf einen raschen Fortgang der parlamenta- sellschaft schafft und Menschen ausgrenzt. Die Fä- rischen Beratungen. higkeiten unseres Landes zur Integration müssen Auf europäischer Ebene ist der Aufbau der Polizei- ausgelotet und umgesetzt werden. Die Leistungsfä- behörde Europol ebenso wie die Schengener Koope- higkeit unserer Sozialsysteme, die Infrastruktur und ration weiter vorangekommen. Die Nutzung des die Akzeptanz der Bevölkerung sind die maßgebli- Schengener Informationssystems wurde verbessert chen Grundlagen. und die Zusammenarbeit mit den mittel- und osteu- In der Zukunft werden wir an der demographi- ropäischen Staaten intensiviert. Die Möglichkeit schen Entwicklung nicht vorbeigehen können. Da- grenzüberschreitender Observation und Nacheile von hängt ganz entscheidend ab, wie wir unsere so- wird zunehmend genutzt. zialen Sicherungssysteme erhalten können. Darüber Es reicht aber nicht aus, nur das Handwerkszeug muß heute schon nachgedacht und die richtigen Wei- zu verbessern. Vielmehr müssen die rechtlichen chen müssen gestellt werden. Ein ideologiegesteuer- Möglichkeiten in vollem Umfang ausgeschöpft wer- tes Gerede hilft nicht weiter. den, damit Deutschland zunehmend zum heißen Die Haushaltsberatungen sind Anlaß, Bilanz zu Pflaster für Täter wird. Da die Länder im Bereich der ziehen, was beispielsweise im Bereich der Innenpoli- inneren Sicherheit mit Polizei und Justiz die Gesetze tik getan wurde und getan werden muß. Wir haben ausführen, ist dies eine Bewährungsprobe für den fö- und wir werden unsere Beiträge beisteuern, um ge- derativen Staat. meinschaftsorientierte Werte wie Hilfsbereitschaft, Um das Hereinschwappen von ständig neuen Tä- Toleranz und Verantwortlichkeit zu fördern. Sicher- tern aus dem Ausland zu unterbinden, bleibt die Si- heit läßt sich nicht ausschließlich durch repressive cherung der Grenzen zentrale Aufgabe des Bundes- Maßnahmen des Staates produzieren. Was wir auch grenzschutzes. Hierfür konnten umfassende Maß- brauchen, ist die positive Wertorientierung unserer nahmen zur Erhöhung seiner personellen Einsatz- Gesellschaft. Das gilt vor allem für den Grundwert stärke und zur Verbesserung der Sachmittelausstat- der Solidarität. Wir brauchen eine neue Politik für tung vornehmlich an den Ostgrenzen eingeleitet den inneren Frieden und die öffentliche Sicherheit. bzw. umgesetzt werden. Es belegt den hohen Stel- lenwert dieser Aufgabe, daß trotz anhaltend schwie- Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Die riger Haushaltslage das Finanzvolumen des Bundes- konsequente Stärkung der inneren Sicherheit bleibt grenzschutzes gegenüber dem Vorjahr nochmals um zentrale Herausforderung der Innenpolitik. Unver- etwa 120 Millionen DM auf insgesamt über 3 Milliar- zichtbar ist ein „integraler Ansatz", der die hier not- den DM gesteigert werden konnte. wendigen Anstrengungen nicht in viele kleine Maß- Grenzsicherheit ist aber mehr als nur die Bewa- nahmen zersplittert, sondern alle verantwortungsbe- chung einer Linie im Gelände. Vielmehr muß der wußten politischen Kräfte im Interesse unserer Mit- Grenzraum als neue kriminalpolizeiliche Herausfor- bürger auf dieses gemeinsame Ziel konzentriert. Ver- derung gesehen werden, die verstärkte Kooperation besserungen in den Bereichen von Geldwäsche, von Bundesgrenzschutz und Landespolizei im Grenz- Kronzeugenregelung, der Vorbeugung und Bekämp- bereich ebenso verlangt wie den Ausbau grenzüber- fung von Korruption und Verbrechen oder Verschär- schreitender Zusammenarbeit mit den Behörden fungen des Ausländerrechts gegenüber schwerkrimi- Polens und Tschechiens. nellen Ausländern haben das gesetzliche Hand- werkszeug bereits beachtlich komplettiert. Mit Fragen der Ausländerpolitik haben wir uns am 14. November 1996 eingehend befaßt. Was die Rück- Im Kampf gegen besonders schwere Straftaten be- führung der bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge be- nötigt der Staat dringend auch das Recht zur Über- trifft, ist das in der letzten Woche unterzeichnete wachung von Gangsterwohnungen. Nach jahrelan- Rücknahmeabkommen mit Bosnien-Herzegowina gen politischen Auseinandersetzungen ist mit der Ei- ein bedeutender Schritt auf dem Weg, -die Bürger- nigung auf die „Eckpunkte für die Wohnraumüber- kriegsflüchtlinge in ihre Heimat zurückzuführen. wachung zur Beweismittelgewinnung" der Durch- bruch gelungen; jetzt müssen die notwendigen Er- Der Spätaussiedlerzugang ist nicht zuletzt auf- gänzungen von Grundgesetz und Strafprozeßord- grund der vielfältigen Hilfeleistungen deutlich zu- nung folgen. Den dazu wegen der erforderlichen rückgegangen und belegt das Vertrauen in die be- Verfassungsergänzung notwendigen breiten Kon- währte Aussiedlerpolitik der Bundesregierung. Mehr sens zu finden ist eine große Aufgabe, die zugleich als 25 000 Sprachkursplätze, die in Rußland und Ka- ein deutliches Zeichen dafür setzen wird, daß alle sachstan bereits eingerichtet wurden und deren Zahl politisch verantwortlichen Kräfte die Rechtsordnung zügig weiter erhöht werden soll, tragen dazu bei, die entschlossen verteidigen. Identität der Rußlanddeutschen zu erhalten und ihre eventuell spätere Integration hier zu erleichtern. Dazu müssen wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die organisierte Kriminalität an ihrem Nerv zu Eine zukunftsfähige öffentliche Verwaltung ver- packen, am Geld. Dafür haben wir Vorschläge ge langt ein modernes öffentliches Dienstrecht als 12804* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 141. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1996

Grundlage einer leistungsorientierten, flexiblen und Prozeß der staatlichen Einheit der Deutschen wie bürgerfreundlichen Verwaltung. Das Konzept für auch auf dem Wege zur europäischen Einigung lei- eine Reform, die zu mehr Effizienz bei geringeren stet sie einen unverzichtbaren Beitrag. Daher steht Kosten führt, liegt vor. Ich hoffe, daß die vom Ver- die Koalition zur Verantwortung auch des Bundes, mittlungsausschuß eingesetzte Arbeitsgruppe mög- die Kulturförderung in dem ihm gesetzten Rahmen lichst rasch zu konsensfähigen Lösungen kommt, zu- zu erhalten. Ich begrüße es sehr, daß der Haushalts- mal die Länder die Masse der Bediensteten beschäf- ausschuß des Deutschen Bundestages für diese Zu- tigen. Ich bin im Interesse der Sache jedenfalls kom- sammenhänge immer viel Verständnis aufgebracht promißbereit, sofern die Eckpfeiler der Reform unan- hat. Der Denkmalschutz liegt mir besonders am Her- getastet bleiben. Vor allem sollte es keine Neiddebat- zen, gerade auch in den neuen Ländern, wo viel er- ten gegen den öffentlichen Dienst geben. ste Hilfe an den in der DDR-Zeit vernachlässigten Baudenkmälern nötig ist. Der von mir vorgelegte Versorgungsbericht zeigt erstmals und umfassend die Entwicklung der Versor- 1996 war ein von sportlichen Höhepunkten ge- gungskosten im öffentlichen Dienst und schafft da- prägtes Jahr, die den Einsatz von Fördermitteln des mit die Grundlagen, die Versorgungsausgaben auch Bundes für den Spitzensport voll gerechtfertigt in den zu erwartenden Jahren der Spitzenbelastung haben. Um weiter vorn mithalten zu können, be- volkswirtschaftlich erträglich zu halten. darf es großer Anstrengungen. Gemeinsam mit dem Die Verschlankung staatlicher Strukturen kommt Sport wurde daher das Förderkonzept 2000 und ein voran, überschüssiger Verwaltungsaufwand wird ab- neues Trainerkonzept entwickelt. Im Hinblick auf die gebaut und moderne Managementmethoden halten angespannte Haushaltslage müssen die zur Verfü- zunehmend auch im öffentlichen Dienst Einzug. gung stehenden Mittel zielgerichtet und effektiv ein- Neue Formen des Verwaltungshandelns - wie zum gesetzt werden. Bis auf ganz geringfügige Korrektu- Beispiel die Budgetierung - ermöglichen eine flexi- ren werden wir auch den Kultur- und Sportbereich blere und zugleich effizientere Aufgabenerfüllung. von Globalkürzungen für 1997 auszunehmen trach- Im Bereich des Zivilschutzes als einem besonders an- ten. schaulichen Beleg für die Möglichkeit, staatliche Strukturen ohne Nachteil für die Bevölkerung abzu- Den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, beson- bauen, ist die Budgetierung der Ausgaben für den ders den Berichterstattern für den BMI-Haushalt, THW bereits seit 1996 realisie rt . Für das Bundesamt möchte ich für vielerlei Unterstützung und Verständ- für Zivilschutz ist sie ab 1997 vorgesehen. nis danken. Sie haben die haushaltsmäßigen Grund- lagen dafür geschaffen, daß auch 1997 die Aufgaben Auch die Integrations- und Ausstrahlungskraft sei- der Innenpolitik zielsicher und entschlossen ange- ner Kultur bestimmt das Ansehen eines Staates. Im packt werden können.