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1 Ein Traum wird wahr Lewis Holtby lebt eine Karriere mit Höhen und Tiefen. Er ist schon in jungen Jahren ganz weit oben angekommen und somit ein Vorbild für viele Talente. Es ist ein Bild wie aus einem Agententhriller: Die Red-Bull-Kappe tief ins Gesicht gezogen, dazu seine große Nike-Sonnenbrille auf der Nase, die mehr als nur die Augen verdeckt. Selbst geübteste Pappa- razzi können ihn nicht erkennen. So steigt Lewis Holtby am 25. No- vember 2012 auf dem Flughafen in Düsseldorf-Weeze in eine Rya- nair-Maschine, um eine gute Stunde später in London-Stansted zu landen. Niemand soll ihn erkennen, schließlich spielt Lewis Holtby noch für den FC Schalke 04 in der Bundesliga. Gerüchte über einen London-Trip würden nur unnötige Spekulationen nach sich ziehen. Denn Lewis Holtby fliegt nicht zum Shoppen nach London. Er will sich gemeinsam mit seinem Berater Marcus Noack das Premier-Lea- gue-Spiel zwischen Tottenham Hotspur und West Ham United an- schauen. Lewis Holtby möchte sich unbedingt selbst ein Bild von dem Klub machen, der ihm kurz zuvor zum wiederholten Male ein Angebot unterbreitet hat. Der englische Fußball, die Premier League war schon immer ein Traum von Lewis Holtby. Aber ausgerechnet Tottenham? »Wir sind mit gemischten Gefühlen dahin geflogen. Eigentlich hatten wir Tottenham gar nicht so auf dem Radar«, erzählt er. Dank seiner Verkleidung fällt Lewis Holtby niemandem auf. Auch für die Objektive der unzähligen TV-Kameras des Senders Sky bleibt er unsichtbar,COPYRIGHTED obwohl die Kameraleute immer MATERIAL und immer wieder die VIP-Boxen des Stadions nach Prominenten durchscannen. Totten- hams Co-Trainer Steffen Freund, deutscher EM-Held von 1996 und seit seiner aktiven Zeit bei den Spurs mit dem Gütesiegel Kultfigur versehen, hat die beiden deutschen Besucher bestens vorbereitet. 13 Und so können sich Lewis Holtby und sein Berater ungestört einen ersten Eindruck vom Team und vor allem von der Atmosphäre des Stadions an der White Hart Lane verschaffen, das den besonderen Charme vergangener Jahrzehnte problemlos in die Neuzeit hinüber retten konnte. Überwältigt von der Atmosphäre dreht Lewis Holtby mit seinem Handy ein Video nach dem anderen. Dann singen die Fans den Ever- green aller Tottenham-Gesänge: »When the Spurs go marching in...« FürLewisHoltbywardasdieSchlüsselszene.»IndemMomenthabe ich gedacht: ›Das möchte ich erleben.‹ Als kleines Kind habe ich mit meinem Vater immer vor dem Fernseher englischen Fußball geguckt und davon geträumt, einmal hier aufzulaufen. Ich will dabei sein, genau hier bei Tottenham Hotspur.« Viele junge Nachwuchsfußballer träumen ebenfalls von solch einer Karriere. Aber nur ganz wenige schaffen es bis dorthin. Schließlich gibt es jede Menge innere und äußere Faktoren, die darüber entschei- den, ob ein Talent den Sprung in den Profifußball schafft oder nicht. Manche Faktoren kann man beeinflussen, manche nicht. Viele davon werden in diesem Buch beschrieben. Aber über allem steht dieser Traum vom Profifußballer. Der Traum von den schönsten Arenen der Welt, Titeln, Toren, Anerkennung und jeder Menge Geld. Lewis Holtby ist sozusagen die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Aber auch der Beweis, dass Träume wahr werden können. Kein anderer aktueller deutscher Nationalspieler lebt ihn so konsequent wie Lewis Holtby. Abenteuer Tottenham Am 28. Januar 2013 löst Lewis Holtby seinen Vertrag beim FC Schalke 04 auf. »Wir haben für alle Beteiligten die beste Lösung ge- funden«, teilt Schalkes Manager Horst Heldt offiziell mit: »Lewis hatte uns signalisiert, dass er nicht abgeneigt wäre, vorzeitig zu wech- seln, und der FC Schalke 04 hat fünf Monate vor Auslaufen des Ver- trags noch eine ordentliche Ablösesumme erhalten.« Die anschließende Nacht ist kurz. Um 5.30 Uhr stehen Lewis Holt- by und Berater Marcus Noack schon wieder auf dem Flughafen Düs- seldorf-Weeze. Nur wenige Stunden nach der Vertragsauflösung neh- 14 Ein Traum wird wahr men die beiden die erste Maschine nach London. Ein vorerst letztes Interview auf deutschem Boden mit dem TV-Sender Sky,eineUmar- mung mit dem Vater, der ihn zum Flughafen begleitet hat, dann geht es los. Das nächste Abenteuer wartet. Bei der Landung in London ist es diesig und kalt. Auf dem Flugha- fen werden sie von zwei Mitarbeitern der Tottenham Hotspurs erwar- tet. Von dort fahren sie gemeinsam zum Trainingsgelände. Nach der Präsentation und dem Foto mit seinem neuen Trikot mit der Num- mer 23 geht es direkt zum Trainingsplatz. Endlich! »Ich konnte es kaum abwarten, obwohl ich nur vier Stunden geschlafen habe und ei- gentlich ziemlich müde war, aber die Vorfreude war riesig«, sagt Lewis Holtby. Er hat Glück und kommt genau rechtzeitig zum Ab- schlusstraining. Am nächsten Tag muss Tottenham Hotspur aus- wärts zum Ligaspiel bei Norwich City antreten. Tottenhams portugiesischer Trainer Andr´e Villas-Boas stellt den Spielern um Superstar Gareth Bale, der mittlerweile für Real Madrid spielt, und Kapitän Michael Dawson den Neuen vor. Dann muss sich Lewis Holtby bereits dem ersten englischen Begrüßungsritual unter- ziehen: den »Walk of Fame«. Die Tottenham-Profis bilden einen ganz engen Tunnel. Durch diesen muss der Deutsche laufen und be- kommt von jedem Spieler einen Tritt in den Allerwertesten verpasst. »Das ist nicht besonders schön und ich hatte schon ein mulmiges Gefühl. Du bist neu und da stehen auf einmal 25 Jungs, die sich tie- risch darauf freuen, dir den Arsch zu versohlen«, erzählt Lewis Holtby. »Ein typisch britischer Willkommensgruß eben.« Anschließend beginnt das Training. Am Ende steht ein Spiel auf dem Programm. Trainer Andr´eVillas-BoaslässtJunggegenAltan- treten. Jung gewinnt 2:0. Beide Tore erzielt Lewis Holtby. Beim an- schließenden Gang in die Kabine strahlt er über das ganze Gesicht. Was für ein erstes Training! Zwar hofft er auf eine Nominierung für das morgige Ligaspiel gegen Norwich City, aber bei ehrlicher Betrach- tung wäre eine Berufung nach nur einer Trainingseinheit doch etwas vermessen. Auch wenn er gerade das Trainingsspiel mit zwei Toren im Alleingang entschieden hat. In der Kabine bekommt Lewis Holtby die Trainingsanzüge seines neuen Arbeitgebers. Weiter hinten im Raum entdeckt er an der Wand einen Zettel. Er geht näher heran und bemerkt, dass es die Kaderliste für das Norwich-Spiel ist. Beim flüchtigen Überfliegen schießt ihm Abenteuer Tottenham 15 plötzlich eine volle Ladung AdrenalindurchdenKörper.»Aufeinmal entdecke ich meinen Namen auf der Kaderliste. Ich schaue einmal hin, zweimal. Dann frage ich lieber noch einmal nach: ›Bin ich jetzt wirklich im Kader oder was?‹« Ist er. Andr´e Villas-Boas hat ihn tat- sächlich für das nächste Match nominiert. »Das war super. Ich war vollerVorfreude.EigentlichwolltenwirunsamnächstenTagWoh- nungen anschauen. Das konnten wir natürlich vergessen. Den gan- zen Abend habe ich nur gedacht: ›Oh Mann. Vielleicht bekomme ich morgen meinen ersten Einsatz.‹« Am nächsten Tag steht Lewis Holtby in Norwich. Im 1935 erbauten Stadion an der Carrow Road, das nicht einmal 30000 Zuschauer fasst. Lewis Holtby erinnert sich: »Das war ein typisches kleines engli- schesStadion.DieUmkleidekabinewartotalfürdenArsch.Sogarbei meinem Heimatverein Sparta Gerderath ist mehr Platz zum Umzie- hen. Bevor wir rausgegangen sind, habe ich noch eine kurze Massage bekommen. Ich lag zum Teil in der Dusche, zum Teil in der Toilette. Und wenn da einer reingeschissen hat, hast du das wirklich bis zum Spielfeld gerochen. Ich fand das geil. Diese Enge hat mich an meine Bochumer und Aachener Zeiten erinnert. So habe ich mir England immer vorgestellt. Nicht so viel Schickimicki, sondern typisch bri- tisch. Mein Mund war weit geöffnet, die Augen ganz groß als ich dann zum Aufwärmen rausgegangen bin. Dann sah ich die Ersatz- bank, die direkt am Rand zu den Zuschauern steht. Die Fans, das Flutlicht. Alles war klasse.« Tottenham liegt Mitte der zweiten Hälfte mit 0:1 in Rückstand. Andr´e Villas-Boas erhöht das Risiko und schickt in der 71. Minute tat- sächlich seinen jüngsten Neueinkauf aufs Feld. Lewis Holtby: »Dann komme ich auch noch rein und leite einen An- griff zum Ausgleich ein. Was für ein geiler Tag. Die zwanzig Minuten, die ich spielen durfte, waren fantastisch. In der Nacht habe ich kaum ein Auge zugemacht. Ich war voller Freude. Ich habe realisiert, dass ich mein erstes Premier-League-Spiel gemacht habe. Ich habe das er- reicht, wovon ich als kleiner Junge immer geträumt habe, als ich mit meinem Vater englischen Fußball im Fernsehen geschaut habe.« Nach der Rückkehr vom 1:1 bei Norwich City bittet das Klub-TV der Spurs zum Einstandsinterview. Da sein Vater Brite ist, spricht Lewis Holtby perfekt Englisch. Der Umstand ist zu diesem Zeitpunkt aller- 16 Ein Traum wird wahr dings kaum einem Anhänger bekannt. »Die Fans waren fast schon ein bisschen geschockt, dass ein deutscher U21-Nationalmann- schaftskapitän sein erstes Interview mit einem beherzten britischen Akzent führt«, erzählt Lewis Holtby. »Aber das hat sicher auch zu meiner schnellen Integration beigetragen.« Wegen seiner Sprach- und Kulturkenntnisse und natürlich auch dank seiner offenen Art kommt Lewis Holtby bei den Fans und den Teamkollegen gut an. Und so haben beide, Mannschaft und Fans, we- nige Tage später im Rahmen des nächsten Spiels bei West Bromwich Albion noch eine ganz besondere Überraschung für den Deutschen parat. In beiden Fällen wird gesungen. Lewis Holtby weiß, dass er irgendwann diesen peinlichen Moment überstehen muss. Bereits unmittelbar nach seiner Ankunft haben ihm die neuen Mitspieler gesagt, dass er demnächst ein Lied singen müsse. Jeder, der erstmals