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KOLLEKTION 3 MAGAZIN DES INSTITUTS FÜR POPULARMUSIK UNIVERSITÄT FÜR MUSIK UND DARSTELLENDE KUNST WIEN > JÄNNER 2003 kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 2

IMPRESSUM INHALT 3

Universität für Musik 9 Mut machen zur Eigenständigkeit 50 Schön ist die Welt ... und darstellende Kunst Wien und vertraue auf dein Herz von Wolfgang Peidelstein >Institut für Popularmusik: von Elfi Aichinger Anton von Webern Platz 1 51 Shut Up and Play A-1030 Wien 11 Inhalt schafft Form. von Herbert Pichler Sekretariat: Ein Versuch über Werner Pirchner Tel: +43-1-71155-3801 (1940-2001) 52 Widerstand und Anpassung Fax: +43-1-71155-3899 von Andreas Felber in der Geschichte der Popmusik: [email protected] Fragmente zur Produktion von Popmusik 13 Vernetzung der Strukturen von Alfred Smudits Verantwortlicher Herausgeber: von Martin Fuss Dr. Harald Huber 57 Wie kreativ ist die Musikindustrie? Wissenschaftlicher Bereich: 15 Pop-Peripherie Österreich. von Peter Tschmuck Metternichgasse 8 Die österreichische Musikwirtschaft A-1030 Wien im Zeitalter der Globalisierung 67 ÜM, ÜM, ÜM Tel: +43-1-71155-3810 von Andreas Gebesmair von Heimo Trixner Fax: +43-1-71155-3799 [email protected] 19 Stimmton 192 68 Faces the Changes. von Franz Hautzinger Die Musikwertschöpfung im Umbruch Redakteur: von Günther Wildner Mag. Günther Wildner 20 Pop, Klassik und Crossover. Zwerngasse 6/5 Über Differenzen zwischen kulturellen 1170 Wien und musikindustriellen Kategorien Tel: +43-1-48 40 428 = Fax von Harald Huber [email protected] 28 Let’s talk about gender. Visuelle Gestaltung: Frauen in der Rap-Musik. Mag. Angelika Kratzig von Michael Huber [email protected] 40 Von nix kummt nix von Martin Kelner

41 Studieren und konzertieren von Heribert Kohlich

42 MIRA & Lizenz zum Löten von Albert Kreuzer

44 Pflicht und Kür für Bassisten und andere ... von Willi Langer

45 Der integrale Gitarrist Gespräche mit Arnoldo Moreno kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 4

EDITORIAL VORWORT 5

> Das Jahr der Gründung des Instituts für unseres Instituts als auch in der zuständigen > Wenn Sie diese Zeilen lesen, liegt die Sollten sich bei den vorangegangenen Begriffen Popularmusik mit seiner schönen Ziffern- Studienkommission findet. Ein entsprechendes Gründung des Instituts für Popularmusik bereits keine entsprechenden Assoziationen eingestellt >symmetrie 2002 neigt sich seinem Ende zu. Nach Qualifikationsprofil für IGP-Absolventen und acht Monate zurück - es ist also gelungen, das haben, verweise ich Sie auf folgendes: zwei vorbereitenden Ausgaben im Vorfeld der Absolventinnen bildet den Auftakt der folgenden schon in den vergangenen zwei Institutsgründung erscheint nun die „Kollektion 3“ Beiträge. Der Studienplanentwurf ist auf der Ausgaben der „Kollektion“ immer Pirchner bis zur aktuellen Lage der Musik- writing Workshop im Februar dessen Ergebnis-CD und bedeutsame Tatsache – kennen industrie, vom Pop-Klassik-Crossover bis zum bei internationalen Musikmessen wie PopKomm wir doch im Umfeld kaum eine vergleichbare Diese und noch einer Vielzahl ähnlicher Zeichen Umgang mit einem Lötkolben, vom Thema und MIDEM eingesetzt wird, ein Music Camp im Institution – bietet uns nun die Möglichkeit, so- ergeben unsere erst kürzlich erschienene Home- „Frauen im Rap“ bis zur Aufforderung „Shut Up August mit Referenten wie Sandra Pires u.v.a. wohl innerhalb als auch außerhalb der Universität page and Play“ u.v.a.m. sowie zwei feedBack demo listening sessions mit unsere künstlerischen und wissenschaftlichen Vertretern der Musikindustrie und der österreichi- Anliegen wesentlich kompakter als bisher zu ver- „www.ipop.at”. Damit dient die Kollektion sowohl dem institutsin- schen Medienlandschaft sorgten jeweils für ein treten und auch zu präsentieren. ternen Dialog als auch der Repräsentation des volles Haus und öffentliche Aufmerksamkeit. Neben unseren Zielsetzungen, den Biographien Instituts innerhalb und außerhalb der Universität. Bevor ich Ihnen nun aber das vorliegende Heft unserer Mitarbeiter, den Daten zur Kontaktauf- Das Wagnis, ein Institut für das weite Feld von Besonderer Dank für das Zustandekommen ganz besonders ans Herz lege, möchte ich noch nahme, vielen relevanten Studieninformationen, Musikrichtungen einzurichten, für die der Begriff der „Kollektion 3“ gebührt einerseits allen Auto- unbedingt mit einigen Fakten und Schlagworten den Informationen über unser Tonstudio können „Popularmusik“ ein mehr abstraktes als konkre- rinnen und Autoren von Beiträgen sowie in beson- über das Institut, im folgenden „iPOP“ genannt, Ihre sie hier Ihre Kommunikationslust bei einer stei- tes Dach bietet (den Fokus, sich an der Kategorie derem Maß Günther Wildner für die redaktionelle Neugier wecken: genden Anzahl von interaktiven Möglichkeiten der Popularität zu reiben), wird noch erweitert Arbeit, Angelika Kratzig für die graphische ausleben. Schreiben Sie einen Kommentar in durch das Wagnis, wissenschaftliche und künstle- Gestaltung, Rektor Prof. Werner Hasitschka sowie Über dreißig Mitarbeiter beschäftigen sich mit der unser Gästebuch, treten Sie unserem Forum bei, rische Zugänge in ein und demselben Institut zu unserem Institutsleiter Stefan Jeschek für die Pflege „alter Musik“ (Jazzstandards) bis zur Ana- um über die unterschiedlichsten Themen von etablieren. Dieser Spannbreite von unterschied- Bereitstellung der finanziellen Mittel. lyse der aktuellsten Popsongs, verwenden dafür Softwarefragen bis zur Tonabnehmer- lötanlei- lichsten Sichtweisen und Standpunkten ein Forum modernste Technologien für zeitgemäße Musik- tung zu diskutieren, steuern Sie einen Link zu zu geben, ist das Anliegen der „Kollektion“. Harald Huber produktion und geben Anleitung zur wissen- unserer Linksammlung bei oder informieren Sie Aus erfrischender Konfrontation möge Interdiszi- schaftlichen Auseinandersetzung mit Phänome- sich über die Aktivitäten unserer Dozenten und plinarität entstehen. nen der Popularmusik. Ihr stilistischer Bogen Studenten im Event–Kalender. spannt sich vom deutschen Schlager über Flamen- Ein weiterer wesentlicher Schritt derzeit ist die co, drum&bass, Rock´n Roll bis zur freien Musik Nun möchte ich Sie aber nicht länger von der zweite Chance, die die Neugestaltung des Stu- und ihr Instrumentarium reicht von den gängigen Lektüre der aktuellen „Kollektion Nr.3“ abhalten, dienplans der Studienrichtung IGP (Instrumental- Popularmusikinstrumenten bis zur quartertone und Gesangspädagogik) für die Realisierung eines trumpet, der Theorbe oder dem Teremin. if ($popupevent == 1) spezifischen Lehrveranstaltungspaketes für Stu- echo „keep grooving“ dierende eines zentralen künstlerischen Faches Darüber hinaus beinhaltet unser Angebot an die der Popularmusik bietet. Es ist gelungen, in zahl- Studierenden ebenso „songwriting“ wie eine Big reichen Gesprächsrunden und Veranstaltungen Band, unser Fokus liegt aber ganz besonders auf Stefan Jeschek einen entsprechenden Entwurf zustande zu brin- der Förderung der Kreativität im improvisatori- gen, der bis dato den Konsens sowohl innerhalb schen und kompositorischen Bereich. kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 6

IGP 7 >POPULARMUSIK: QUALIFIKATIONS- PROFIL

> Musikalische Betätigung ist heute, entspre- — afroamerikanische Musiktradition (Rhythmik, erhöhen, ist in allen Ausbildungsstufen moderne 6. Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten chend dem Pluralismus des gegenwärtigen Harmonik, Melodik, Sound, ...), Unterhaltungsmusik als Unterrichts-, Lehr- und des österreichischen, deutschsprachigen, euro- Musiklebens, vielfältig und breit gestreut. Durch — hoher Anteil an Improvisation und kreativer Studiengegenstand zu fördern.3 päischen und internationalen Musikmarkts. die Entwicklung der Musik im 20. Jahrhundert Umgang mit musikalischem Material, 7. Fähigkeit, das Spektrum der Ausdrucksmittel wurde zusätzlich zur Pflege des Erbes der abend- — spezifisches Instrumentarium je nach stilisti- Die Ausbildung von Instrumental- und Gesangs- der aktuellen Musikszenen für die künstleri- ländischen Kunstmusik eine Fülle neuer Tra- scher Ausrichtung, lehrern an der Universität für Musik und darstel- sche Bearbeitung der gegenwärtigen Lebens- ditionsstränge eröffnet: die Moderne, der Jazz, — vielfältiger Einsatz neuer Musiktechnologie lende Kunst in Wien hat demnach folgende Ziele in verhältnisse einzusetzen. die Pop- und Rockmusik, Elektronik und Com- (analog, digital), ihrem Ausbildungsangebot zu berücksichtigen: putermusik, das Musical als neue Form des — Zusammenhang von Emotion, Gesang, Text, Ziel ist letztlich die Integration von Tradition und populären Musiktheaters, Folk und World Tanz und Performance (Songtradition), 1. Studium der zur Popularmusik zählenden Innovation, von reproduktiver und kreativer musi- Music als Folge internationalen Kulturaus- — multimediale Aufbereitung und Vermittlung Musiktraditionen auf höchstem künstleri- kalischer Betätigung, von Vergangenheit und tauschs etc. Gegenwärtig sind im Sinne postmo- (Show, Videoclip, Film, Fernsehen, ...), schen Niveau und entsprechend der real gege- Gegenwart im Rahmen von Musik- und Kunst- derner Kunstströmungen höchst lebendige — unmittelbare Konfrontation mit den Ver- benen stilistischen Vielfalt. schulen, Volkshochschulen, Jugendzentren, Konser- Austauschprozesse zwischen all diesen Genres hältnissen des internationalen Musikmarkts. 2. Optimale Förderung des kreativen Potentials vatorien, Musikuniversitäten und am freien Markt. zu beobachten. im gesamten Bundesgebiet, vor allem aber Die Studie „Die Musikwirtschaft Österreichs“1, standortbedingt in Nord- und Ostösterreich Als Konsequenz des Pluralismus sind auch die erstellt im Auftrag der österreichischen Urheber- (OÖ, NÖ, Wien, Bgld.). Wege des Musiklernens dementsprechend vielfäl- rechtsgesellschaften, der IFPI Austria, der Wirt- 3. Fähigkeit, auf verschiedene Interessenslagen tig geworden. Liebe zur Musik und künstlerische schaftskammer u.a., die bei volkswirtschaftlich von Schülern eingehen zu können und – auch Betätigung entfaltet sich für viele Heran- gesehen relativ hoher Branchengröße2 einen deut- im sozialpädagogischen Sinn – motivierend wachsende gegenwärtig im Rahmen von Stil- lichen Überhang reproduktiver musikalischer und fördernd zu wirken. feldern wie Pop, Rock, Jazz, Folk, Elektronik, Tätigkeiten und einen eher schwach entwickelten 4. Kenntnis didaktischer Ansätze des Umgangs Latin, HipHop etc. Entsprechend groß ist auch Kreativbereich konstatiert, kommt in der Zu- mit Jazz, Pop und anderen Genres der (1) Scheuch, Fritz: Die Musikwirtschaft die Nachfrage nach Lern- und Ausbildungs- sammenfassung der Forschungsergebnisse zu fol- Popularmusik in der Arbeit mit Kindern, Österreichs. angeboten in diesen Musiksparten. Die Not- gendem Schluss: Jugendlichen und Erwachsenen im schuli- Strukturen, Chancen wendigkeit eines in mancher Hinsicht besonde- schen und außerschulischen Bereich. und wirtschaftliche ren Berufsbildungsweges für in diesen Genres Langfristig ist Ausbildung ein zentraler Impuls- 5. Auseinandersetzung mit der Theorie und Bedeutung, Wien 2000 speziell qualifizierte Musiklehrer im Rahmen der geber für den Beginn der Wertschöpfungskette. ... Geschichte populärer Musikformen, Kenntnis (2) 1,25 % des Studienrichtung „Instrumental- und Gesangs- Der rein mengenmäßige Nachteil der Klein- von entsprechender Literatur der Jazz- und Bruttoinlandsprodukt pädagogik“ ergibt sich durch eine Reihe von sti- staatlichkeit kann nur durch die Erhöhung der Popularmusikforschung, Fähigkeit zu wissen- s, 42 537 Beschäftigte (3) Scheuch 2000, listischen Besonderheiten, die im Fachbegriff Ausschöpfung von Talenten kompensiert werden. schaftlicher Analyse und zu fachspezifischem S. 98 „Popularmusik“ zusammengefasst werden: Will man die Chancen bei limitierten Potentialen Ausdrucksvermögen.

kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 8 MUT MACHEN ZUR > EIGENSTÄNDIGKEIT UND VERTRAUE AUF DEIN HERZ

VON ELFI AICHINGER

> Was hat sich Neues ereignet/was gibt es zu > Welche drei Improvisationskonzepte bzw. berichten in den Feldern? Improvisationswerke/Schulen für Dein Instrument Unterricht & Universität bzw. allgemeiner Natur erachtest du hinsichtlich Das Neue bzw. Alte ist, dass man unser Fach Deiner Unterrichtstätigkeit für besonders wichtig versucht zu beschneiden, wo es nur geht. und interessant? Nur mehr halber Lehrauftrag!!! 1. Grooves Persönliche künstlerische Tätigkeit 2. Freie Improvisation Ich war gerade „artist in residence“ in NÖ 3. Sounds (nach Christian Kolonovits), sehr erfolgreiche 4. Lines Produktion meiner abendfüllenden Komposition 5. Improvisation über Chords. „langsam wie ein planet sich dreht…” 6. Improvisation bedeutet In-Sich-Hören, das tun, was für einen gerade da ist - nicht mehr, Atem > Welche drei Unterrichtswerke/Schulen für haben und Zeit, Draufdrücken im Zirkussinn Dein Instrument erachtest Du hinsichtlich Deiner finde ich wenig ergiebig. Unterrichtstätigkeit für besonders wichtig und 7. … interessant? 8. … 1. Es gibt keine Schulen, die ich verwende. 2. Die Auswahl der Stücke ist wesentlich, > Dein Motto/Leitspruch als Lehrer/Pädagoge: die Qualität der Kompositionen. „Unterstütze mit einem breiten Angebot den Weg 3. Man muss z.B. in den Realbooks die Highlights der StudentInnen; Mut machen zur Eigenständigkeit.“ finden, nicht unbedingt das, was alle kennen. Ich bringe auch eigenes Material und versuche, > Dein Motto/Leitspruch als Künstler/Musiker: die StudentInnen zum Schreiben zu motivieren. „Vertraue auf dein Herz und deinen Geist, lass 4. … dich berühren, dann erreichst du andere! 5. … Schubladen zu öffnen, ist zu wenig. Man muss sich und die Musik permanent neu erfinden, ob als InterpretIn oder KomponistIn. kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 10

ein – in alpenländischen Gefilden geradezu exoti- Drei LPs - „Gegenwind“ (1979), „Live in sches – Vibraphon zu. Daneben verdingte er sich als Montreux“ (1981) und „Pirchner/Pepl/DeJohnette“ Bar-Pianist in Wien und München, 1963 kam er im (1982) - dokumentierten die wilde, ungezähmte 11 Quartett Oscar Kleins, dessen Repertoire sich Musik des kongenialen Tandems, das sich vorüber- damals noch keineswegs auf Dixieland-Jazz gehend auch in andere Formationen, etwa das INHALT beschränkte, zu seinem Platten-Debüt. Das Quartett „Austria 3“ oder das „Vienna Art Konservatorium in Innsbruck blieb Pirchner ver- Orchestra“ (Debüt-LP „Tango from Obango“, schlossen, also musste er seine Neugierde im 1979) eingemeindet fand. > Selbststudium stillen: Die Harmonielehre Schön- Seinen letzten Auftritt am Vibraphon bestritt bergs wie auch die Schriften Theodor W. Adornos Werner Pirchner 1988, drei Jahre nach der SCHAFFT und Josef Matthias Hauers wurden durchgearbei- Auflösung des „Jazz-Zwio“, im Rahmen des tet, John Cages Gedanken zur Stille waren ihm Deutschen Jazz-Festivals Frankfurt mit Albert ebenso Inspiration wie die Violin-Sonaten Bachs, Mangelsdorff und Bass-Talent Robert Riegler. die Pirchners eigentliche Vibraphon-Schule darstell- Pirchner wollte sich auf seine neu definierte Rolle ten. Thelonious Monk, Gil Evans, Bartòk, Bert als Komponist konzentrieren, für die 1981, just am Breit, Schubert, Kafka, Karl Valentin und Kurt Höhepunkt der Jazz-Karriere, unvermutet der FORM Schwitters gab Pirchner später als Kompo- Startschuss gefallen war: Der Tiroler Geiger Peter EIN VERSUCH ÜBER WERNER PIRCHNER (1940-2001) sitionslehrer an. Seine tonsetzerische Initiation Lefor hatte ihn eines Tages darüber informiert, dass bedeutete die Filmmusik zu den Städteporträts von er für ein Konzert ein Solo-Violin-Stück Werner VON ANDREAS FELBER Henry Materna, die 1966 als „24 Deka Jazz- Pirchner auf’s Programm gesetzt hatte. Dieser hatte Lieder“ die (ursprüngliche) Nummer 1 des Werk- neben Film- und Hörspielmusik bislang nur für > „Grenzgänger“. „Seiltänzer über E- und U- Nationalsozialismus, einem auch in seiner Armut verzeichnisses (PWV) bildeten. Ensembles wie die ORF-Bigband und die Eisen- Musik-Welten“. „Wanderer zwischen den Stilen“. aufrechten Menschen mit kritischem Bewusstsein Zum Texten hatte Pirchner damals bereits der bahner-Musik („Präludium und Fiasko“, 1977) Irgendwie hinterlassen all diese oft strapazierten gegenüber Autoritäten. Vielleicht waren es auch die Heimatfilm „Erzherzog Johanns große Liebe“ komponiert und sah sich nun gezwungen, das zu Stehsätze gerade im Hinblick auf Werner Pirchner Umstände der Kriegsjahre, in die Werner Pirchner angeregt, dessen Liedzeile „Wo das Büchserl knallt tun, woran ihn der „Respekt vor den größten einen schalen, unbefriedigenden Nachgeschmack. 1940 in Hall in Tirol hineingeboren wurde: ...“ sich in seinem Kopf assoziativ in den Versen Meistern“ bisher gehindert hatte: für den klassi- Auch wenn man den Komponisten nicht persönlich Obwohl noch ein Kind, gruben sich die Angst vor „und das Bomberl fallt / unds Granaterl zwitschtert schen Konzertsaal zu schreiben. Die fulminante, gekannt hat: Sobald man sich in die Kompositionen den NSDAP-Parteigängern, die Bombenangriffe, / durch die Luft“ fortpflanzte. Es war der erste vertieft, Texte liest, seine Vita Revue passieren lässt, aber auch die mit Schlägen traktierten Zwangsarbeiter Baustein des berühmten „Halben Doppelalbums“, entsteht der Eindruck eines Menschen, bei dem unauslöschlich in sein Gedächtnis ein – um sich das Pirchner 1973 nach jahrelanger Arbeit notge- Wie kaum ein anderer hat Person und künstlerische Arbeit, Leben und Jahre später darüber zu wundern, wie ein damals drungen im Selbstverlag publizierte. „Auf dea dieser Komponist Haltung Denken, Form und Inhalt schlicht einen höheren erwachsener Mann später, als er Bundespräsident plattn sing i liada / für die brave burschoasie / für Grad der Koinzidenz erreicht haben als bei ande- wurde, all dies vergessen konnte. zivil- und schovinisten / kanzl- und militaristen / gezeigt, sich in seinen Werken ren. Vielleicht gerade deshalb, weil sich hier der Der Vater, der aus der Kriegsgefangenschaft eine und für klerikale brüada / und vielleicht a poa für engagiert und konfrontations- Inhalt oft selbst seine Form schuf, schaffen musste, Ziehharmonika mitbrachte, auf der auch der Sohn di“ – schon der einleitende „Urolog“ ließ den geni- anstatt eine bestehende auszufüllen. Pirchner, der bald seine ersten Klänge herausquetschte, war nicht alen Satiriker spüren, der sich in diesem seinem freudig gegeben. Autodidakt wider Willen, Pirchner, der Tiroler, der einzige eigenwillige Geist in der Familie. Einer radikalsten gesellschaftskritischen Statement in bit-( Pirchner, der gesellschaftskritische Nonkonformist, von Werners Onkel dürfte zumindest in Tirol der terbösem Humor über Kirche, Krieg und Vaterland dreisätzige Violinsonate „Good News from the der Grübler, der Perfektionist. Auf seinen einzige Bergbauer gewesen sein, der nicht nur einen ausließ. Der legendäre Skandal, der der Platte Ziller Valley“ war das Resultat, dem rasch weitere Partituren und Schallplatten ist alles Pirchner, vom Plattenspieler, sondern auch ein paar Scheiben mit Sende- und ihrem Urheber Hausverbot im ORF- Stücke folgten: Der Pirchner-Klassiker „Do You ersten bis zum letzten Buchstaben, von der ersten Jazzmusik besaß. Das genügte. Nur auf Wunsch der Landesstudio in Innsbruck bescherte, wurde ein Know Emperor Joe?“ für Blechbläserquintett, jene (1) Sonja Kirchmair: bis zur letzten Zeichnung, von der ersten bis zur Mutter beendete Pirchner die vierjährige Schrift- Jahr später im gemeinsam mit Christian Berger pro- Kaiser Joseph II. gewidmete Suite, in deren letztem Werner Pirchner. Biographie und letzten Note. Alles ist durchdrungen von einer setzer-Lehre, am Tag nach der Gesellenprüfung, im duzierten Kurz(heimat)film „Der Untergang des Satz unter dem Motto „Die Donau ist blau – wer kommentiertes pointenreichen und doch feinsinnigen kreativen Juli 1958, hinterließ er seinen Eltern einen Zettel Alpenlandes“ prolongiert. nicht?“ der Donauwalzer lustvoll dekonstruiert Werkverzeichnis Energie, die sich urwüchsig Bahn bricht und zu mit der lapidaren Erklärung: „Ich bin Musiker!“ Die Bekanntschaft mit Gitarrist Harry Pepl ver- wird, das „Streichquartett für Bläserquintett“ oder eines Komponisten aus Tirol. sinnlich-plastischen Gestalten gerinnt. Alles hat Für ihn war klar, dass er Jazz spielen wollte: „Swing schob 1975 unerwartet die Arbeitsprioritäten. auch die „Kammersymphonie Soiree Tyrolienne“. Diplomarbeit an der Bedeutung, nichts ist Zufall. Keine Note scheint je war einfach etwas total Unmilitärisches, und das Schon bald schälte sich aus dem ursprünglichen Obwohl der beißende Sarkasmus des „Halben Hochschule für Musik überflüssig. hat mir schon genügt, dass ich verliebt war in Quartett „Hip Jargon“ die legendäre Duo-Achse Doppelalbums“ sowohl in den würzigen und darstellende 1 Kunst Wien 1998; Vielleicht hatte das alles ja bereits mit seinem Swing“, wird Pirchner von Sonja Kirchmair zitiert. des „Jazz-Zwio“ heraus, die vor allem in der ersten Titelgebungen als auch in der Musik weiterhin S. 33. Vater zu tun, einem überzeugten Gegner des Noch 1959 legte sich der eigensinnige junge Mann Hälfte der 80er Jahre internationale Erfolge feierte. spürbar blieb, bedeuteten diese Opera für Pirchner kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 12

– zeit seines Lebens in Tirol, zuletzt in Thaur, verbal: Dass er die schwarz-blaue Koalition, die zur wohnhaft – doch auch eine Art „Heimkehr“. Zeit Österreich regiert, entschieden ablehnte, ist > 12 Unüberhörbar wirkten nun ironisierende Distanz bekannt. Über die Wirkung seiner Musik machte zur und Respekt vor der gewachsenen volksmusi- sich Pirchner freilich keine Illusionen, wie aus kalischen (Bläser-)Tradition ineinander. Obwohl oft einem Kommentar zum Duo „Shalom“ hervorgeht, eigentümlich gestaucht, zerknittert, verfremdet, in dem er auf Ersuchen des Schubert-Trios und unter VERNETZUNG neoklassizistischer Manier dissonant illuminiert, dem Eindruck des beginnenden Krieges in war zu spüren, dass der Komponist die sinnlichen Jugoslawien eine dritte Stimme hinzufügte: „All Qualitäten dieser Musik als Teil seiner Sozialisation dies ist sinnlos, machtlos, unnütz und lächerlich erkannte. Mit dem augenzwinkernden Festhalten traurig. Weder in der ursprünglichen noch in der an der Tonalität reihte er sich zudem würdig in die um ein Cello erweiterten Form kann das Stück DER Reihe der österreichischen Avantgardeverweigerer etwas bewirken. Trotzdem ergibt es mehr Sinn als Zykan, Schwertsik, Eröd und HK Gruber ein. der Klang von Gewehren, Kanonen und Bomben.“3 Trotz starker Resonanz durch prominente Nichtsdestotrotz ist jene Haltung die wohl essen- Musikerschaften wie das Bläserensemble der ziellste Message, die uns Werner Pirchner, der in Wiener Philharmoniker, das Ensemble „Kontra- sich beispielhaft große und kleine Welt, Offenheit STRUKTUREN punkte“, Ernst Kovacic und HK Gruber (der und Traditionsbezug vereinte, neben seiner Musik die „Kammersymphonie“ auch mit dem „Ensemble hinterlassen hat. Sätze wie den folgenden, abschlie- VON MARTIN FUSS modern“ aufführte), brachte erst die Veröffentli- ßenden etwa sollte man sich gerade in diesen Zeiten chung der Kompositionen auf der Doppel-CD genauer als sonst durch den Kopf gehen lassen: > Bei aller Diskussion über Unireform, In- heitlich zu begreifen – mit Herz, Hirn und körper- „EU“ bei ECM 1986 eine Entspannung der ökono- „Ich glaube, dass es wichtig ist für die Menschen, stitutsgründung, autonome Universität, etc. bleibt licher Empfindung. misch angespannten Situation Pirchners. (...) mitzukriegen, was auf der Welt passiert. In bei mir immer das Gefühl zurück, dass sich manche Ohne Vermittlung bleibt der Zauber, aber auch Bühnenmusiken für Burg-, Akademie- und Volks- jeder Weise, ob das eben in der Politik oder in der Beteiligte zuwenig um zentrale Probleme in unse- die Sprache der Musik vielen Außenstehenden lei- theater folgten („Emigranten-Symphonie“, „Shalom“ Ökologie oder in der Kultur ist. Ich glaube, rem kulturellen Umfeld kümmern. Bilden wir junge der verborgen. Machen wir Musik nur mehr für etc.), weitere Kompositionen erschienen auf den jemand, der sich z.B. für Kunst interessiert, ist dann Menschen zu Musikern und Musikpädago-gen als Wissende oder versuchen wir doch, die Herzen CDs „A-naa-nas Ba-naa-nas“ (mit „Vienna Brass“, nicht mehr so leicht lenkbar.“4 Selbstzweck heran oder sollten wir nicht vielmehr möglichst vieler Menschen zu erreichen? 1992) und „Dur“ (mit dem Schubert-Trio, 1995). über die Mauern unseres Elfenbeinturms hinaus- Meiner Meinung haben hier alle, die mit der Die 90er Jahre brachten vor allem dank des – bril- Dieser Text wurde im Auftrag des Kremser „Glatt & Verkehrt“-Festivals blicken und einige grundsätzliche Ziele stärker defi- Vermittlung von Musik zu tun haben, insbesondere lant gelösten - Kompositionsauftrags der Ö1- 2002 erstellt. nieren? aber Musikpädagogen ihre wichtigste Aufgabe. Signations, die im September 1994 auf Sendung Musik hat in unserer Zeit einen anderen Vom Kindergarten über die Volksschule bis hin gingen und den ehemals Verfemten zum meistge- Stellenwert als noch in der nahen Vergangenheit. zu höher bildenden Schulen muss Musik als wichti- spielten Komponisten im ORF-Programm avancie- Durch die ständige Verfügbarkeit jedweden ger Teil unserer Kultur stärker verankert werden. ren ließen, sowie der Musik zum Salzburger Musikstils zu jeder Zeit, an jedem Ort einerseits Nicht Geburtsdaten berühmter Komponisten sind Festspiel-„Jedermann“ (1995) publicityträchtige (Internet, CD, MP3, CD-Brenner…) sowie der der entscheidende Teil im Unterricht, sondern Ereignisse. Für 2003 war die Uraufführung der auf monotonen Medienlandschaft andererseits, ist es ein eigenes Libretto komponierten Oper „Liebe, überaus schwierig sich zu orientieren. Glück und Politik“ an der Wiener Volksoper Musik nur als Geschäft mit Marketingstrategien Qualität von Musik ist geplant. zu begreifen – nur mit Marktdaten, Umsatzzahlen grundsätzlich nicht von der „Ich bin eigentlich eher kein 68er, ich bin ein und Meinungsbefragungen zu operieren – geht Stückchen davor und ein Stückchen danach“, ließ natürlich auch am Sinn musikalischer Kultur vorbei. Stilrichtung abhängig. Pirchner einmal in einem Interview deutlich wer- Die Wiener Philharmoniker definieren sich nicht ( den, dass er auch in Sachen Gesellschaftskritik sei- durch den Erfolg von Doppelplatin des Neujahrs- Freude an Musik zu wecken. nen eigenen Weg ging, von keiner Seite vereinnahmt konzertes 2001 – DJ Ötzi ist bei allem Respekt Singen und trommeln als grundsätzliche Fähig- werden wollte.2 Wie kaum ein anderer hat dieser nicht der führende Musiker in Österreich – manche keiten zu erkennen und zu entwickeln, ist genauso (2) Ö1-„Hörbilder“, Komponist Haltung gezeigt, sich in seinen Werken Jazzproduktionen oder zeitgenössische Musik blei- wichtig wie Musik aus vielen Richtungen zu prä- 11. August 2001. engagiert und konfrontationsfreudig gegeben. Mit ben unter der Wahrnehmungsgrenze des potenziel- sentieren. Wer in Gymnasien Monate über den (3) Notiz des dem Stilmittel des ihm eigenen Humors reflektierte len Publikums. „Freischütz“ referiert, darf sich nicht wundern, Komponisten zu Pirchner den Gang der Welt, sei es musikalisch, So gehen für mich auch alle Versuche, das wenn ihm seine Schüler wenig Interesse entgegen „Shalom“, PWV 30c (4) Ö1-„Hörbilder“, etwa anlässlich der Minderheitenfeststellung in Musikland Österreich über den Markt zu definie- bringen. 11. August 2001. Kärnten („Keanten ungeteilt slowenenfrei“), oder ren, eindeutig am Ziel vorbei. Musik ist nur ganz- Qualität von Musik ist grundsätzlich nicht von kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 14

der Stilrichtung abhängig. In jedem Genre gibt es Hervorragendes, aber leider auch viel Mist. > 14 Aufgabe aller Musikpädagogen muss es sein, die Spreu vom Weizen zu trennen und Qualität für seine Schüler oder auch Studenten erkennbar zu machen: In allgemeinbildenden Schulen durch eine POP- Vielfalt von Angeboten den „Virus“ Musik in den Gehörgängen und Köpfen seiner Schüler zu veran- kern sowie auf den Universitäten den Studenten einen weiteren und offeneren Horizont zu eröffnen. Nicht durch eine Scheuklappenperspektive den PERIPHERIE Blick auf das Ganze zu verstellen. Der Wert von Musikschulen kann in diesem Zusammenhang nicht hoch genug eingeschätzt werden. Musikschulen erziehen nicht nur den Nachwuchs für den professionellen Musikbetrieb, ÖSTERREICH sie haben vielmehr entscheidende Bedeutung für die Musikkultur unseres Landes. DIE ÖSTERREICHISCHE MUSIKWIRTSCHAFT Liebe und Verständnis für Musik ist die Wurzel IM ZEITALTER DER GLOBALISIERUNG für musikalische Kultur. Unsere Universität als Spitzeninstitution in Sachen Musiker- und Musik- VON ANDREAS GEBESMAIR pädagogenausbildung muss sich ihrer Bedeutung als wichtiger Katalysator für eine Wende in eine > Die derzeitige Situation der Musikwirtschaft in Ausnahmeerscheinung Falco und den jüngsten positive Richtung noch stärker bewusst werden. Österreich ist sehr widersprüchlich: Die vielen Erfolgen von DJ Ötzi einmal ab.) Ganz im Musik braucht hervorragende Interpreten – genau- Aktivitäten im Bereich der Musik von der Gegenteil: Die österreichischen Töchter internatio- so wie ein Publikum, das die Qualität der Dar- Ausbildung über das kreative Schaffen bis hin zur naler Konzerne fungieren in erster Linie als lokale bietung auch abseits medialer Beeinflussung zu Vermittlung stellen zusammen, wie jüngst Fritz Vertriebsorganisationen des internationalen Reper- beurteilen vermag. Scheuch in einer umfassenden Studie (Scheuch toires. Der Aufbau österreichischer Acts war bis- Durch die Breite des Angebots an unserer Uni- 2000) nachzuweisen vermochte, eine Wertschöp- lang nur von geringem, bestenfalls lokalem Erfolg versität ist es jedermann möglich, auf allen Fach- fung dar, die den Vergleich mit anderen Industrien begleitet. Der geringe Anteil österreichischer gebieten kompetente Informationen zu erhalten. Ich in Österreich nicht scheuen muss: Sie liegt mit rund MusikerInnen in den heimischen Charts bringt dies möchte dies vor allem als Appell für eine stärkere 30 Milliarden ATS über dem der Papierindustrie, unmissverständlich zum Ausdruck. Vernetzung unserer Strukturen verstanden wissen. der chemischen Industrie, der Kunststoffindustrie und des Bereiches der Herstellung von Kraft- Eine für mich ideale Möglichkeit zu einer stärkeren fahrzeugen und Kraftfahrzeugteilen. Der Aufbau österreichischer Vernetzung, aber auch besseren Selbstdarstellung Andererseits dürfen diese Befunde nicht darüber Acts war bislang nur von unserer Universität zu gelangen, stellt für mich die hinwegtäuschen, dass Österreich gerade im wirt- Idee eines eigenen Uniradios dar. Wir verfügen im schaftlich maßgeblichen Popmusikgeschäft an der geringem, bestenfalls lokalem Haus über alle Ressourcen – Fachfrauen/männer Peripherie des globalen Musikmarktes liegt. Dieser Erfolg begleitet. aller Sparten – Musiker, Musiktheoretiker bis hin wird derzeit von fünf transnationalen Major- zu TechnikerInnen aller Art. Gleichzeitig könnten Companies dominiert, deren Strategien auf die( wir einen radikalen Gegenvorschlag zur momentan weltweite Vermarktung einiger weniger Megaacts Die Entwicklung der österreichischen Popmusik herrschenden medialen Monokultur bringen – viel- abzielen, die sie mit Millionen-Budgets produzieren im Zeitalter der Globalisierung 1979–2000 leicht gelingen uns solche oder ähnliche Projekte, und promoten. Wenngleich die Konzerne auch Sind die österreichischen Musikproduzenten Opfer wenn wir endlich unsere Strukturänderungen hinter immer wieder auf die kreativen Ressourcen ihrer der kulturellen Globalisierung? Welche Probleme uns gebracht haben. Nützen wir die Möglichkeiten, regionalen Töchter zurückgreifen: Österreich trug der österreichischen Popmusik können auf globale die Strukturveränderungen mit sich bringen – neue zu diesem so genannten internationalen Repertoire Dynamiken zurückgeführt werden und welche sind Institute mit neuen Kooperationen, neue Lehrpläne, ... – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern hausgemacht? – aber lassen wir nie unsere zentralen Anliegen vergleichbarer Größe wie Schweden oder Däne- Diese Fragen standen im Zentrum eines Media- außer acht. mark – bislang wenig bei (sieht man von der cult-Forschungsprojekts, dessen Ergebnisse nun als kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 16

Nummer 6 der Schriftenreihe mediacult.doc veröf- tration am Tonträgermarkt führten. Nachdem Sony Branchenblatt von der "Umstrukturierung" der initiierte Independent-Vertrieb „Extraplatte“, bei fentlicht wurden. Anhand der Top 25 Jahres-Best- 1988 CBS geschluckt hatte, Polygram kurz darauf Konzern-Tochter Österreich zu lesen. dem nicht nur Klassiker der österreichischen 16 seller von 1979 bis 2000 wurde der Stellenwert A&M, Island und Motown, 1998 aber selbst vom Der langjährige Geschäftsführer "verließ" (wie es Popmusik wie die Schmetterlinge erschienen, son- 17 heimischer Popmusikproduktionen am österreichi- kanadischen Spirituosen Konzern Seagram über- höflich hieß) die Firma, die Mitarbeiter in Öster- dern auch New Wave-Bands wie z.B. Minisex. Am schen Musikmarkt nachgezeichnet und in einem nommen und mit MCA zu Universal Music reich sind nun unmittelbar dem Sony-Germany folgenreichsten in Hinblick auf die Professio- zweiten Schritt in Hinblick auf die strukturellen zusammengeschlossen wurde, blieben nur mehr Chef in Deutschland, Jochen Leuschner, unterstellt. nalisierung der österreichischen Popmusikpro- Bedingungen der Musikproduktion analysiert. fünf so genannte Majors über, die sich nun über Und man darf bereits spekulieren, was mit den duktion waren aber zwei Labelgründungen Anfang Die Statistik des Anteils österreichischer Pop- 80% des Weltmarktes teilen. Im letzten Jahr wurde österreichischen Töchtern von EMI und BMG pas- der 1980er. Markus Spiegel rief 1980 „Gig- Alben in den heimischen Charts zeigt einen interes- übrigens Universal an den französischen Konzern siert, wenn, wie in einigen Branchenblättern zu Records“ ins Leben und konnte BMG-Ariola als santen Verlauf. Nach einem Tief Anfang der 1980er Vivendi verkauft und in Branchenkreisen wird lesen ist, die Konzerne in Hinkunft tatsächlich stär- Vertriebspartner gewinnen, Eberhard Forcher und Jahre steigt der Anteil heimischer Alben in der allenthalben über eine stärkere Kooperation von ker kooperieren werden. Der langjährige Chef der Rudi Nemecek wurden 1981 von demselben Major Hitparade rapide an bis zu einem Höhepunkt EMI und BMG spekuliert, nachdem Übernahme- BMG Ariola Austria, Harald Büchel, hat jedenfalls eingeladen, ein eigenes New Wave Label zu betrei- 1983/84, um dann bis zum Ende der Dekade wie- Bemühungen durch Warner an den strengen aufgrund des immer enger werdenden Hand- ben: den Schallter. Diese beiden wurden zum indu- der auf das Ausgangstief abzusinken. Die nächste Auflagen der europäischen Kartellbehörde scheiterten. lungsspielraumes bereits das Handtuch geworfen. striellen Rückgrat der boomenden Musikszene jen- Dekade (die 1990er Jahre) zeigt zwar noch einmal Mit diesem Konzentrationsprozess beginnt in Ist die österreichische Popmusik ein Opfer der seits des traditionellen „Austropops“, Gig immer- einen kurzen Anstieg, insgesamt bleibt der Anteil den 80er Jahren eine Strategie in der Schallplatten- Globalisierung? hin zum Hauslabel ihres herausragendsten der österreichischen Produktionen im Verhältnis produktion global wirksam zu werden, die in der Vertreters und internationalem Aushängeschild: zum internationalen Repertoire aber kontinuierlich Betriebswirtschaft als „economies of scales“ Defizite des Produktionsmilieus: nämlich Falco! klein. Das trifft auch auf die Single-Hitparade zu, bekannt ist. Große Betriebe (in unserem Fall eben Vernetzung und Drehpunktspersonen wenngleich sich die Entwicklung des Single- die transnationalen Majorlabels) nutzen den Bei aller berechtigten Kritik an den globalen Marktes in den 90er-Jahren von den Albumcharts Wettbewerbsvorteil, Produkte in hoher Stückzahl Zwängen soll die Tatsache nicht außer Acht blei- Ist die österreichische abzukoppeln beginnt. produzieren und vertreiben zu können. Damit ben, dass viele Probleme der heimischen Musik- Popmusik ein Opfer der Wie lassen sich diese Veränderungen erklären? reduzieren sie die Kosten pro Stück und erhöhen szene hausgemacht sind. Der Vergleich mit dem bei Gibt es plausible Gründe für den Erfolg und Miss- ihre Gewinnspannen. Aus diesem Grund tendieren weitem produktiveren Produktionsumfeld Anfang Globalisierung? erfolg österreichischer Popmusik am heimischen große Firmen dazu, die Produktpalette zugunsten der 1980er-Jahre macht einige Defizite deutlich. und am internationalen Markt? Lassen wir die einiger standardisierter Massenprodukte (so Sicherlich, die niedrigeren künstlerischen An-( populären Begründungen einmal beiseite, in denen genannte Mega-Acts) zu verkleinern. Die Basis die- sprüche, die von Punk und New Wave an die Sicherlich gibt es in dieser Hinsicht Parallelen gerne auf den Mangel an musikalischen Talenten ser "economies of scale" sind aber die globalen MusikerInnen gestellt wurden, und die relativ leich- zwischen den frühen 1980er- und den späten 90er- oder, aus der Perspektive der KünstlerInnen Vertriebsnetze. te Verfügbarkeit der Produktionsmittel erleichter- Jahren, die ebenso von einem Boom der betrachtet, auf die Ignoranz der Medien und des Damit wurden die österreichischen Töchter der ten den Einstieg ins Musikgeschäft. Und ein Independent Labels geprägt waren. Allerdings mit Publikums verwiesen wird. Stattdessen finden im Majors in den 1980er-Jahren wieder zu dem, was Großteil des kommerziellen Erfolgs dieser Jahre ist zwei Unterschieden. Die Kooperationen mit den Folgenden zwei strukturelle Aspekte Erwähnung: sie bei ihrer Gründung in den 50er- und 60er- dem Charisma einer Hand voll künstlerischer Majors halten sich in Grenzen und die Independents die Zwänge der globalen Popmusikindustrie und Jahren waren: lokale Marketingabteilungen für das Ausnahmeerscheinungen wie z.B. Falco geschuldet. sind stark nach Genres und Sub-Genres ausdifferen- Defizite des österreichischen Produktionsmilieus. internationale Repertoire. Außerdem geraten sie Doch zeichnete sich diese Zeit auch durch ein ziert. Interaktionen zwischen den Szenen, zunehmend in die Abhängigkeit der deutschen Schwes- spezifisches, äußerst dichtes Produktionsmilieu aus Crossovers von einer in die andere gibts es kaum. tergesellschaften, die „Germany“, „Switzerland“ (siehe dazu Larkey 1993). Ende der 1970er Jahre Gerade darin unterscheidet sich das gegenwärtige Viele Probleme der heimischen und „Austria“, also den ganzen so genannten GSA- existierte in Wien ein ausdifferenziertes Pro- Produktionsmilieu von dem der frühen 1980ern. Musikszene sind hausgemacht. Bereich mitbetreuen. (Davon bleiben übrigens auch duktionsnetzwerk mit engagierten Labels und Ohne diese idealisieren zu wollen, eine große ) die größeren Independents nicht verschont, wie z.B. erfahrenen Produzenten, die zur Etablierung des Rolle kam in jener Zeit immer auch den Dreh- Österreichische Popmusik in der das Grazer Label Echo, an dem seit 1995 die deut- Austropops wesentlich beitrugen, sich zuweilen punktspersonen und -institutionen zu, die zwischen Globalisierungsfalle? sche Zyx beteiligt ist.) aber auch in das neu entstandene Disco-Genre vor- den Szenen, zwischen Musikern und Labels, Szene Will man die Situation der Phonoindustrie in den In jüngster Zeit gab es dafür einige Anzeichen: wagten (wie z.B. Robert Ponger). Dennoch war die und Medien, letztlich aber auch zwischen lokalen 1990er Jahren verstehen, muss man ins Jahr 1986 Der ehemalige Musikjournalist Walter Gröbchen entstehende Punk und New Wave Szene vorerst auf und überregionalen Märkten vermittelten. So tru- zurückblicken (dazu: Mediacult 2000). In diesem etwa nimmt von Hamburg aus als A&R-Manager sich gestellt – und schuf sich aufgrund dieser an- gen Produzenten wie Robert Ponger und Peter Wolf Jahr übernimmt der deutsche Medienkonzern für Universal auch die österreichischen Agenden fänglichen Ausgrenzung eine eigene Infrastruktur: sicherlich zur Internationalisierung der Szene bei, Bertelsmann die amerikanischen Traditionslabels wahr. Universal Music Österreich wurde in den Viele produzierten im Eigenverlag oder auf Label-Betreiber wie Harald Quendler, Markus RCA und Arista. Dieser Deal ist der erste in einer letzten Jahren nach einer Aussage ihres Geschäfts- Kleinstlabels wie z.B. Schmazz-o-phon, das den Spiegel und Rudi Nemecek integrierten divergente Reihe von Übernahmen und Mergern, die zu immer führers, die in der Branchenzeitschrift Sound & Kultsampler „Wiener Blutrausch“ herausbrachte. Szenen und knüpften Verbindungen zu Majors und stärker vertikal integrierten transnationalen Media spezial 2000 zu lesen war, "abgespeckt". Ein Pionierarbeit leistete in dieser Hinsicht der von der schließlich fungierten Musikredakteure wie Medienkonzernen und einer enormen Konzen- paar Monate später war ebenfalls in diesem österreichischen Polit-Rockgruppe Auflauf 1977 Wolfgang Kos, Günter Brödl, Eberhard Forcher kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 18

und Walter Gröbchen als Schittstellen zwischen Szenen und medialer Öffentlichkeit. > 18 Das gegenwärtige Produktionsmilieu zeichnet sich, polemisch formuliert, allerdings durch die Fragmentierung in eine Fülle stilistischer Schre- bergärten aus, durch einen Mangel an szeneüber- STIMMTON greifenden Kooperationen und Synergien, durch die Skepsis der Majorlabels gegenüber Experi- mentierfeldern, letztlich auch durch das Fehlen jener Integrations- oder Drehpunktspersonen, die zwischen den Szenen, zwischen Produktion und 192 (medialer) Verbreitung aber auch zwischen regiona- len und überregionalen Märkten vermitteln könn- ENSEMBLE 3000 ten, - wenngleich die Ausnahmen nicht unerwähnt bleiben sollen: wie z.B. Cheap Records beschritt VON FRANZ.HAUTZINGER.MAI.2001 mit Louie Austen neue Wege in der Verbindung Pop und Elektronik, ebenso Intonation Recordings mit > momentaufnahme.der.stimmgabe. Superherorockstars, und letztlich ist ja auch DJ- Ötzi eine zumindest kommerziell äußerst erfolgrei- stimmt.denn.der.ton?ein.granulat.der.übung.des.talentes.im.erkennen.der.bestimmung.sich.sozialisierend. che Grenzüberschreitung zwischen Dance-Floor und Bierzelt. und.sympathetisch.der.creation.von.musik.hin.und.ergeben.integration.in.vielen.seilen.wie.auch.viels.mehr.

> LITERATURHINWEISE gegründet.1995.unter.verdacht.der.musikfindung.nebst.künstlerischer.haltungssuche. Robert Harauer (Hg.): Adieu, Austropop? Die schwindenden Chancen der österreichischen stilübergreifendes.labor.für.alternative.musikkonzepte.improvisierte.und.elektronische.musik.experimen- Popmusik auf dem Musikmarkt. mediacult.doc 06/01. Wien 2001. (ISBN 3-9501162-3-0) telle.pädagogik. Andreas Gebesmair (2001). Pop-Peripherie Öster- reich. Zur Bedeutungslosigkeit österreichischer sachfall.2001.gegen.langeweile.und.ödessee.im.studium.der.kunst.und.musik.gegen. Musik am globalen Musikmarkt. In: Phleps, Thomas (Hrsg.): Populäre Musik im kulturwissenschaft- künstlerische.inflation. lichen Diskurs II (=Beiträge zur Popularmusikforschung 27/28) 2001, 205–231. die.stimmgabe.ist.wende.ist.gegabelt.in.den.stimmungen.des.2001.problems.192.ist. Mediacult (2000). Musik und Globalisierung. Zur Repertoireentwicklung der transnationalen kein.zufall.im.verfall. Phonoindustrie unter besonderer Berücksichtigung des österreichischen Musikmarktes. Wien: musik.verhören.ist.sinngemäss.outstanding. Forschungsbericht. den.symptomen.des.3.jahrtausends.verpflichtet! kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 20

zusammenhängen bzw. umgekehrt als funktionell POP ALS KULTURELLE LEISTUNG bei gleichzeitiger Ausblendung ihrer formalen Das im Rahmen der Podiumsdiskussion angespro- Besonderheiten (vgl. Bourdieu 1987). chene „Prinzip Pop“ ist demnach ein zweischneidi- 21 Beethovens 32 Klaviersonaten beispielsweise wer- ges Schwert, eine Medaille mit Kehrseite. „Pop“ ist den kaum hinsichtlich ihrer dekorativen, unterhal- ein Abkömmling des lateinischen Wortes ´populus´ POP, KLASSIK tenden, körperlich-sexuellen und kommerziellen (Menge, Leute, Gemeinde, Volk, das niedere Volk) Aspekte diskutiert, wohl aber bis in jede Einzelheit bzw. des Adjektivs ´popularis´ (das Volk betreffend, ihrer musikalischen Struktur. Als „Meisterwerke“ vom Volk, für das Volk). Der Begriff ist zwar einer- > haben sie sich von ihrem Entstehungszusammenhang seits wohl auch konnotiert mit dem ´kalkulierten losgelöst und führen ein Eigenleben als „autonomes Gebrauch von im Volk verbreiteten Kultur- UND Kunstwerk“. Die Mega-Hits eines Soul-Stars wie elementen zu politischen oder wirtschaftlichen James Brown werden kaum hinsichtlich der Zwecken´ (´Populismus´), andererseits meint „Pop“ Einzelheiten ihrer musikalischen Struktur diskutiert, aber im Kern doch vor allem die ´kulturellen wohl aber bezüglich ihrer dekorativen, unterhalten- Leistungen derjenigen Bevölkerungsschichten, die den, körperlich-sexuellen und kommerziellen nicht den Eliten angehören´. CROSSOVER Aspekte. Als „Greatest Hits“ haben sie sich aber von ihrem Entstehungszusammenhang mittlerweile eben- „Pop“ ist ein Abkömmling des ÜBER DIFFERENZEN ZWISCHEN KULTURELLEN falls losgelöst und führen ein Eigenleben als „auto- UND MUSIKINDUSTRIELLEN KATEGORIEN nomes Kunstwerk“ im Bezugsrahmen der Popmusik. lateinischen Wortes ´populus´ Wie ist das möglich? Es ist möglich, weil auch (Menge, Leute, Gemeinde, Volk, VON HARALD HUBER die einzelnen Genres der Popularmusik traditions- bildende, selbstreferenzielle Systeme sind, in denen das niedere Volk) > Im Rahmen einer Podiumsdiskussion zum renzielles System“ (vgl. Luhmann 1997) aufgefasst Musikstücke herausragenden Status erlangen kön- ( Thema "Pop goes Classic - Classic goes Pop" im werden können. Sie verfügen über eine interne nen. Die „Insider“ eines solchen Systems (Kom- Diese egalitäre Zuschreibung von kultureller November 2000 an der Universität für Musik und Geschichte, sind als Stilfeld mit dem sozialen Raum ponisten, Musiker, Experten, Fachpublikum) neh- Kreativität findet beispielsweise in der Soziologie darstellende Kunst in Wien wurde folgende These in spezifischer Weise verbunden und sind auf dieser men selbstverständlich auch die Form- und in der Diskussion um den Begriff ´Stil´ ihren präsentiert: "Klassik" sei wesensmäßig verbunden Basis in steter Entwicklung begriffen. Welchen Ausdrucksdimensionen der Musikstücke ihres Niederschlag: In Unterscheidung zum „klassi- mit "Tiefe", währenddessen das Wesen von "Pop" Künstlern und welchen Musikstücken in welcher Stilfeldes wahr und haben dafür sprachliche schen“, exclusiven, auf Distinktion bedachten im Gegensatz dazu durch den Begriff "Oberfläche" Weise hohe Aufmerksamkeit entgegengebracht Konventionen entwickelt. Die Frage ist also, wer Stilbegriff der Eliten geht die Kultursoziologie charakterisiert werden könne. "Tiefe" und "Ober- wird, ist nicht zuletzt abhängig von den internen welche Musikstücke/Stile/Genres von welchem heute weitgehend von einem ethnographischen fläche" seien Begriffe, die dem jeweils typischen Konventionen des Stilfeldes. Nicht nur im Bereich sozialen und ästhetischen Standort aus wahrnimmt. Stilbegriff aus, der die Ausformung unterschied- Rezeptionsparadima entsprächen. Die Vermar- der sogenannten E-Musik gibt es Tiefen- und Quer zur Hauptachse der gesellschaftlichen licher Lebensstile als kreativen Umgang mit jeweili- ktung von "Klassik" als "Pop" bedrohe das "auto- Oberflächenphänomene sondern auch im Folk, im Hierarchie der Musiken haben sich im Lauf des 20. gen Lebensbedingungen interpretiert (vgl. Bourdieu Schlager, im Jazz, in der Pop- und Rockmusik und Jahrhunderts musikalische „Protogemeinschaften“ 1987). Dabei wiederum spielen Kulturwaren wie im noch jungen Dance-Genre. rund um gewisse stilistische Prototypen mit eigenen z.B. Musik und bestimmte stilistische Vorlieben Nicht nur im Bereich Tiefe / Oberfläche ist eine Metapher des Wassers: ästhetischen Bewertungskriterien gebildet (vgl. und Abgrenzungen eine wichtige Rolle (vgl. Willis der sogenannten E-Musik gibt Die Wasseroberfläche ist sichtbar im Kontext der Willis 1991). 1991). Diese mit zahlreichen Widersprüchen und sie umgebenden Landschaft, die Tiefen (und Um Tiefendimensionen wie etwa ´gelungene Interdependenzen gespickten Verhältnisse werden es Tiefen- und Oberflächen- Untiefen) des Wassers offenbaren sich dem Taucher, Einheit von Form und Ausdruck´, ´künstlerische durch eine simple Tiefe/Oberfläche-Dichotomie phänomene ... der imstande ist, all die verborgenen Schätze bis Bearbeitung existenzieller Fragen des Menschseins vollkommen verwischt und unkenntlich gemacht. hinab zum Grund zu sehen. Im ersten Fall bleibt in handwerklich überzeugender Weise´, ´Kühnheit „Pop“ ist ´im Prinzip´ durch die Gleichzeitigkeit )das Geschehen unter der Oberfläche unsichtbar, im und Originalität von Idee und Ausführung´, ´Fülle von Interdependenz und Differenz zwischen kultu- nome Kunstwerk" und die ihm gemäßen Hör- zweiten Fall entschwindet jedoch die Umgebung, und Reichtum im Detail bei geschlossener Einheit rellen und musikindustriellen Strategien, durch die verhaltensweisen. Diese These hat bei mir heftigen der Kontext dem Blick. des Ganzen´ etc. wahrnehmen zu können, bedarf es Verschränkung von, und den Gegensatz zwischen Widerspruch ausgelöst und so bin ich dankbar, dass In Anlehnung an die Kulturtheorie von Pierre der Vertrautheit mit dem Referenzsystem, d.h. mit künstlerischer Kreativität und Verwertungsin- nunmehr die Möglichkeit einer öffentlichen Bourdieu läßt sich in diesem Bild die gesellschaft- der Tradition, auf die sich ein Musikstück bezieht. teressen gekennzeichnet. Als prominentes Beispiel Diskussion darüber besteht. lich durchgesetzte Ästhetik erkennen: Es besteht ein „Outsider“ werden statt einer Vielzahl von An- könnte man hier den öffentlich ausgetragenen Streit Meine Gegenthese: „Pop“ - als Kürzel für Zusammenhang zwischen dem gesellschaftlichen spielungen und Bezugnahmen, Konventionen und zwischen dem Künstler Prince Roger Nelson alias Popularmusik - konstituiert sich aus einer Vielzahl Status einer Musikrichtung und ihrer Wahr- originellen Lösungen nur „Oberfläche“ wahrneh- „Prince“ und dem Medienkonzern Time/Warner von Genres, die – wie jede Kunst – als „selbstrefe- nehmung als Form, losgelöst von Funktions- men können. nennen, bei dem es um schroffe Gegensätze zwi- kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 22

schen künstlerischen und wirtschaftlichen Inter- > VERGLEICHENDE Auswahl durch Publikumserfolg, mediale KLASSIK ALS FUNDUS essen im Rahmen des Segments Pop/Rock ging. STILANALYSE: Präsenz und häufigen Gebrauch, sowohl genre- Der Vergleich gibt einen ersten Einblick in die 22 Um diese Thesen noch deutlicher zu machen, ziehe Hauptdimension (Schlüsselkategorie): bezogenes als auch quotenintensives Marketing. Gemeinsamkeiten und Besonderheiten der einzel- 23 ich im Folgenden die Methode der „vergleichenden Prominentes, häufig gespieltes Musikstück (´Vom Operetten- und Musicalschlager zur nen Stilfelder. Im Stilfeld E-Musik blieb dabei – im Stilanalyse“ heran. Diese wurde im Zuge der Anwen- Vergleichsebenen (Parameter): volkstümlichen Unterhaltungsmusik´) Gegensatz zu den anderen Genres - der zeitgenössi- dung qualitativer sozialwissenschaftlicher Methoden Existenzform (Schrift/Klang) sche Sektor zu unterbelichtet. Er versteht sich über- auf Stile der Popularmusik als Ergebnis langjähriger Urheberschaft Jazz (J): wiegend innerhalb eines neuen, modernen Auseinandersetzung mit der hier verhandelten Gegenstand von Fachdiskussionen Ein „Standard“ existiert in Verlagsausgaben Bezugssystems, beginnend mit dem Impressionis- Thematik entwickelt (Huber 1998). Dabei werden im Aufführungsrahmen („lead sheets“) und unterschiedlichen Ein- mus. In diesem Zusammenhang ist es interessant, umfassendsten Fall die sechs Genres „E-Musik“, Auswahl spielungen verschiedenster Jazzmusiker. Die sich die Bedeutung des Begriffes „Klassik“ generell „Folk“, „Schlager“, „Jazz“, „Pop/Rock“ und „Dance“ Werbung/Marketing Autoren sind zwar bekannt, wesentlich aber vor Augen zu führen. hinsichtlich verschiedener Parameter miteinander ver- (Umfang des Stilfeldes) ist seine Funktion als Improvisationsvorlage. Ursprünglich (bis ins 19. Jahrhundert) festge- glichen. Ihre Reihenfolge ergibt sich hier aus der Individualität und Originalität der Im- legt auf die Werke der antiken Literatur und historischen Dimension des jeweiligen Genres: E- E-Musik (E): provisatoren werden diskutiert. „Standards“ Kunst hat der Begriff seither eine Dynamisierung Musik oder abendländische Kunstmusik setzt an bei Ein „Meisterwerk“ existiert in Schriftform bilden den Fundus des Interaktionssystems erfahren (Noch Goethe verneinte 1795 die Frage, der Entwicklung der Mehrstimmigkeit auf der Basis (Partitur), die Autoren sind bekannt, es wird „Jazz“. Auswahl durch häufigen Gebrauch, ob es einen deutschen klassischen Autor geben des gregorianischen Chorals im 11. Jahrhundert, Folk fortwährend neu interpretiert, Fragen wie dokumentiert auf Schallplatten, vorwiegend könne). Die Bezeichnung eines Artefakts als oder Volksmusik bei weit zurückreichenden Überliefe- Urtext, Werktreue versus gestalterische Frei- stilfeldbezogenes Marketing. „klassisch“ beruht mittlerweile vor allem auf dem rungen regionaler Musikkulturen (16. bis 19. heit des Interpreten werden diskutiert. (´Vom Dixieland zur Improvised Music´) Faktor Zeit Jahrhundert), Schlager im Rahmen der städtischen „Meisterwerke“ stellen das Hauptkontingent Unterhaltungskultur der 2. Hälfte des 19. Jahr- der Spielpläne der Opern- und Konzerthäuser, Pop/Rock (P): hunderts, Jazz als Produkt afroamerikanischer Kultur ihre Auswahl geschieht durch Erfolg bei Ein „Greatest Hit“ existiert vor allem in „Als Klassiker kann jeder Autor um 1900, Pop/Rock in den 50er Jahren, Dance in den Publikum und Kritik sowie durch musikwis- Originalaufnahmen (als „Sound“), die oder Künstler bezeichnet 80er Jahren des 20. Jahrhunderts. senschaftlichen Diskurs, es wird vorwiegend Autoren sind bekannt, es wurden und werden Der Prozess der Traditionsbildung beruht in jedem stilfeldbezogenes Marketing betrieben. Coverversionen gespielt und veröffentlicht, werden, dessen Werk zu den Musikgenre auf dem Prinzip der Wiederholung. (´Vom gregorianischen Choral zur offenen Fragen wie Stil, Sound, Groove und Pro- Gipfelleistungen seiner Art Bestimmte Musikstücke erregen Aufmerksamkeit, wer- Form´) duktionsqualität (Studio) sind wesentlich. den kopiert, nachgepielt, nachgefragt, verbreitet, bear- „Greatest Hits“ bilden den Hauptanteil des gehört“ (Ritter 1976, S. 853) beitet, zitiert, ... Die Häufung solcher Ereignisse besche- Folk (F): Popgeschäfts, sowohl „live“ als auch in den ren den Urhebern sowie deren Umgebung (Fürsten- Ein „Original“ existiert in mündlicher Überlie- Medien. Auswahl durch Erfolg bei Publikum ( hof/Bischofssitz, Stadt/Land, Label/Produzent,…) ferung (mittlerweile zumeist aufgezeichnet in und Kritik sowie durch öffentliches Ranking Als „Klassik“ wird heute die gesamte Kunst- und Ruhm und Ehre. Diese Attribute fungieren in weiterer Ton und Schrift), es gibt eine regionale Interpre- (Charts, Best Song, Best , ...), vorwie- Unterhaltungsmusik des 11. bis 19. Jahrhunderts Folge als Leuchttürme, als Bezugspunkte in einem sich in tationsgeschichte, Fragen wie Authentizität und gend transmediales, quotenintensives Marketing. sowie die zeitgenössische/moderne/Neue Musik des Entwicklung befindlichen Referenzsystem. Funktionalität werden diskutiert. „Originals“ (´Vom Rock´n´Roll zum computergestylten 20. Jahrhunderts gehandelt. Die gesamte bilden den Fundus traditioneller regionaler Video-Pop´) Unterhaltungsmusik der Wiener Strauß-Dynastie Der Prozess der Traditions- Musikkulturen sowie deren Erneuerung und rangiert mittlerweile unter der Rubrik „Klassik“, Internationalisierung. Ihre Auswahl erfolgt Dance (D): man spricht von einer „klassischen Moderne“ und bildung beruht in jedem durch Brauchtum und Aufnahme in wissen- Ein „Kult Track“ existiert als sound file, auf meint damit Komponisten wie Schönberg, Musikgenre auf dem Prinzip schaftliche Sammlungen, vorwiegend stilfeldbe- Vinyl und CD, wird von DJ´s immer wieder Strawinsky, Bartok, Hindemith u.a. Ebenso gibt es zogenes Marketing. eingesetzt bzw. remixed, Fragen wie groove, die „Klassiker“ des Irish Folk, die klassische der Wiederholung. (´Vom Folk Museum zur World Music´). flow, samples & sounds werden diskutiert. Operette, die klassischen Schlager der 20er Jahre „Kult Tracks“ existieren in der international (neuinterpretiert etwa vom Berliner Palast- Ein Blick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede) Schlager (S): vernetzten DJ Szene, manche werden im orchester), die Klassiker des Swing, des Rock´n´- der genannten Genres soll bei solch prominenten, Ein „Evergreen“ existiert in Verlagsausgaben Stilfeld mittlerweile als „Klassiker“ bezeich- Roll, des British Beat sowie die klassischen Titel der immer wieder gespielten Musikstücken ansetzen. In und verschiedenen Versionen verschiedener net bzw. sind zu „Greatest Hits“ geworden. „Old School“ des Rap der frühen 80er Jahre (von der E-Musik werden diese in der Regel als Interpreten, die Autoren sind bekannt, Fragen Die Auswahl erfolgt durch Dancefloor-Erfolg Grandmaster Flash & The Furious Five, Africa „Meisterwerke“ bezeichnet, im Folk als wie Arrangement und Art der Produktion bzw. sowie durch Präsenz in alternativen Bambaata, ...). „Originals“, im Schlagerbereich als „Evergreens“, Veranstaltung sind wichtig. „Evergreens“ bilden Vertriebswegen (Independent Labels, Inter- im Jazz als „Standards“, im Pop/Rock als „Greatest das Hauptkontingent der Unterhaltungsmusik – net), vorwiegend stilfeldbezogenes Marketing. Da es nur eine Frage der Zeit zu sein scheint, ob Hits“ und im Dance-Genre als „Kult Tracks“. sowohl im „live“-Betrieb als auch via Medien. (´Vom Disco-Sound zur Elektronik-Szene´) Künstler und Musikstücke, die sich steter Re- kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 24

petition erfreuen als „klassisch“ bezeichnet werden, Fruit“). Auch die Rede von Martin Luther King lässt sich unschwer prognostizieren, dass spätestens („I have a dream ...“), gehalten bei einer > 6-GENRES MODELL 24 im Lauf der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts die Kundgebung des Civil Rights Movement in 25 prominenten schöpferischen Musiker und Musik- Washington 1963 dient bis heute als häufig (als stücke auch der afroamerikanischen Zweige der Sample) zitierte Quelle in Soul, HipHop und E-MUSIK Musik des 20. Jahrhunderts zur „Klassik“ gerech- anderen Dance Produktionen. JAZZ net werden. Es wäre hoch an der Zeit, afroamerikanische Nicht nur der verallgemeinernde Begriff „Pop“ Musik als Teil der europäischen Kulturgeschichte sondern auch der verallgemeinernde Begriff zu begreifen oder besser noch als Teil einer globa- DANCE „Klassik“ ist in Wahrheit ein von der Musikin- len Musikgeschichte, die die kulturellen Ströme POP/ROCK dustrie gebrauchtes Konstrukt. Das Fach- zwischen den Kontinenten jenseits eurozentrischen publikum, das zwischen Ars Antiqua und Ars Denkens nachzuzeichnen versucht. „Pop“ als Nova, Minnesang und Palestrinastil, barocken Kürzel für „populär“ zeigt überdies ähnliche und reformierten Opern, romantischen Ton- Durchlässigkeitserscheinungen wie „Klassik“. Die FOLK dichtungen und Wiener Walzern, Dodekaphonie „Meisterwerke“, „Originals“, „Evergreens“, „Stan- SCHLAGER und Musique Concrete etc. unterscheiden kann, dards“, „Greatest Hits“ und „Kult Tracks“ sind in gebraucht „Klassik“ als Fachterminus, als salop- ihrem Stilfeld in der Regel als solche populär, man- pe Bezeichnung der „Wiener Klassik“, prototy- che darüber hinaus berühmt, andere nur Experten pisch repräsentiert durch die Werke von Haydn, bekannt. net, die Fülle der Crossover-Phänomene und die technische Aspekte. Unter anderem werden Mozart und Beethoven. Pluralität der gegenwärtigen Musiklandschaft zu Werke des E-Musik Repertoires funktionalisiert beschreiben. („Klassik zum Träumen“, Einsatz als Filmmusik CROSSOVER ALS CHANCE etc.), in transmediale, quotenorientierte Mar- Es wäre hoch an der Zeit, Da die Hauptthese meines Beitrags lautet, Das Modell ist hier nach dem gesellschaftlichen ketingkonzepte einbezogen („Christmas in „Oberfläche“ und „Tiefe“ seien nicht wesensmäßi- Status der einzelnen Stilfelder geordnet und gibt Vienna“, „Neujahrskonzert“,…) und wie „Grea- afroamerikanische Musik ge Merkmale musikindustrieller Konstrukte wie alle möglichen Austauschprozesse zwischen den test Hits“ behandelt („Die vier Jahreszeiten“, als Teil einer globalen „Pop“ oder „Klassik“ sondern Wahrnehmungs- sechs Genres an. Zu jeder der 30 Pfeilrichtungen ...). Damit wird versucht, kommerzelle Erfolge formen, die mit Nahe- bzw. Ferneverhältnissen zu lassen sich genügend reale Beispiele allein in Öster- jenseits der relativ engen Grenzen des Stilfeldes Musikgeschichte zu begreifen einzelnen Musikgenres zu tun haben, ergibt sich reich finden. E-Musik zu landen. (Die im internationalen nun die Frage, wie aus dieser Sicht das aktuelle Vergleich hohen „Klassik“-Marktanteile in Phänomen des sogenannten „Crossover“ zwischen Auch in der Musikindustrie spricht man von Deutschland und in Österreich – rund 10 % – Ebenso bunt und geschichtsbewußt verhält es) sich Klassik und Pop eingeschätzt werden kann. „Crossover“, wenn Interpreten und Titel die sind derzeit deutlich rückläufig). im Kosmos der Popularmusik, deren Historie branchenübliche Kategorisierung überschreiten. nicht nur in Europa sondern auch in den ehema- Es gab und gibt viele Formen des „Crossover“. Der So kann beispielsweise die Entstehung der Durch diese Entwicklung bekommt nun auch das ligen Kolonien ansetzt: mit dem ersten Begriff beschreibt nach seinem Wortsinn das Rockmusik als Crossover-Phänomen bezeichnet Stilfeld E-Musik die Widersprüche des gewinn- Sklavenschiff, das 1517 von der afrikanischen Auftauchen von Synthesen aus bisher getrennt von- werden (vgl. Wicke 1997). Elvis Presley´s orientierten Musikmarkts deutlicher zu spüren: Küste nach Amerika segelte. Genau während der einander existierenden Kunst- und Musikrich- „Don´t Be Cruel“ belegte 1956 Platz 1 sowohl in Durch intensives Marketing können zwar neue Blütezeit der „Wiener Klassik“ (um 1770) erlebte tungen. Z. B. entstand „Soul“ aus der Ver- den Rhythm & Blues Charts als auch in den Publikumsschichten erschlossen werden, die ent- der transatlantische Sklavenhandel seinen Höhe- schmelzung von Gospel mit Elementen des Rhythm Country & Western Charts und in den Pop sprechenden Strategien aber nehmen Anleihen punkt, gleichsam als Schatten, als Kehrseite der & Blues, des Jazz und des Pop gegen Ende der 50er Charts. Eine Grenzüberschreitung wurde zu bei der transmedialen, quotenintensiven Wer- europäischen Kulturnationen (vgl. Loth 1981). Jahre durch Komponisten/Interpreten wie Sam einem neuen Musikstil (Rock´n´Roll) mit gro- bung des schnellen Segments Pop/Rock. Noch Trotz gravierender Unterschiede in Struktur und Cooke und Ray Charles. Diese Entwicklung wurde ßem kommerziellem Erfolg. Ein ähnlicher nie sind so viele Menschen wie heute mit dem Funktion tragen Stile wie Ragtime, Bebop, in den Gospelgemeinden nicht nur positiv aufge- Prozeß ereignete sich in den jüngstvergangenen Repertoire der E-Musik in Kontakt gekommen, Rumba, Rhythm & Blues, HipHop, House u.v.a. nommen. Dezidiert als „Crossover“ wurden in den Jahren bezüglich der üblicherweise getrennt dies bedeutet aber auch gleichzeitig die Pluralität bis heute deutliche Spuren dieser Geschichte 80er Jahren der eklektizistische Stil der „New York geführten Groß-Kategorien „Klassik“ und von Hörverhaltensweisen und den Verlust der in sich. Noise Music“ (John Zorn u.a.), sowie Fusionen aus „Pop“. „Crossover“ wird in diesem Zusammen- Kontrolle über den vielfältigen Gebrauch der Heavy Metal und Punk (Suicidal Tendencies u.a.) hang von der Industrie als Marketingbegriff ver- Musik im Alltag. Dies muss kein Nachteil sein. Billie Holiday etwa hatte 1939 mit einem von ihr bzw. Heavy Metal und HipHop (Beasty Boys, Rage wendet. Dabei geht es nicht nur um musikimma- Die Refunktionalisierung und Rekontextuali- vertonten Gedicht von Lewis Allen über Lynch- against the Machine u.a.) bezeichnet. nente Austauschprozesse zwischen E-Musik und sierung von Kunst ist ein kunstinternes Thema seit justiz in den Südstaaten einen Hit („Strange Das oben vorgestellte „6 Genres Modell“ ist geeig- anderen Genres sondern genauso um verkaufs- den 60er Jahren (´Aufhebung der Trennung von kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 26

Kunst und Leben´). Es gibt lange schon eine interne shwin handelt. > LITERATURHINWEISE: Krise des ´autonomen Kunstwerks´ im Rahmen der — Auch im Instrumentalunterricht macht es Sinn, Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik 26 Moderne und eine Fülle von interessanten Neu- sich sowohl mit strukturellen Feinheiten als der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt am 27 ansätzen (John Cage und die Folgen, Happenings, auch mit funktionellen und kontextuellen Main 1987 Klanginstallationen, live-Aufführungen von Film- Zusammenhängen verschiedenster Musiken Gorny, Dieter: Von der Bergischen Musikschule zur musik, Improvisation, ungewöhnliche Auf- auseinanderzusetzen. PopKomm. Die Förderung populärer Musik zwi- — Die kreative Umsetzung solcher Erkun- schen Pädagogik, Szene und Industrie in: Terhag, dungen in vielerlei Veranstaltungen im öffent- Jürgen (Hg.): Populäre Musik und Pädagogik. Auch Mozart hat einstens lichen Raum („Rekontextualisierung“) würde Grundlagen und Praxismaterialien, Oldershausen ein belebendes Gegengewicht zum Einzelun- 1994, S 247 ff. dem Erzbischof von Salzburg terricht schaffen, der die Musik notwendiger- Gorny, Dieter: Der drohende Verlust der den Rücken gekehrt. weise aus ihren sozialen Kontexten herauslöst Gegenwart. Bezüge zwischen dem audiovisuellen (vgl. Gorny 1994). Medienmarkt und der Musikpädagogik in: Jürgen ) — Für alle zeitgenössischen Musik- und Kunst- (Hg.): Populäre Musik und Pädagogik. Grundlagen führungsorte, ...). Gerade die Fülle an musikimma- formen sollten sowohl in Schulen und und Praxismaterialien, Band 2, Oldershausen 1996, nenten Austauschprozessen mit Jazz, Elektro- Musikschulen als auch in universitären S 15 ff. nikszene, Pop/Rock und World Music, Tanz, Kompositionsklassen ausreichend Betäti- Holert, Tom und Terkessidis, Mark (Hg.): Theater, Film, Computerkünsten etc. zeugen von gungsmöglichkeiten vorhanden sein, sodass Mainstream der Minderheiten, Berlin 1996 der ungebrochenen Vitalität des Genres E-Musik, „Crossover“ im Sinne von lebendiger Kunst Huber, Harald: Stilanalyse. Stile der Popularmusik das sich als jahrhundertelang gewachsenes Re- entstehen kann (vgl. Gorny 1996). im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts, unveröf- ferenzsystem naturgemäß ständig erneuert. Le- — Sowohl Formanalysen als auch Markt- fentlichtes Manusikript, Wien 1998 (Dissertation) diglich der hierarchische Anspruch, ´die Musik´ analysen sollten zum selbstverständlichen Loth, Heinrich: Sklaverei. Die Geschichte des schlechthin zu sein, die alle Wertmaßstäbe vorgibt, Angebot von Schulen, Musikschulen, Konser- Sklavenhandels zwischen Afrika und Amerika, ist nicht mehr länger aufrecht zu erhalten. vatorien und Hochschulen gehören. Wuppertal 1981 — Im Schulunterricht wäre in diesem Sinn der Luhmann, Niklas: Die Kunst der Gesellschaft, Da im Zuge der Verwertung der Vertriebs- Tendenz entgegenzusteuern, sich mit Stilen Frankfurt am Main 1997 möglichkeiten des Internet ein weiterer Kon- der Popularmusik ausschließlich musikalisch Ritter, Joachim und Gründer, Karlfried (Hg.): zentrationsschub in der Musikindustrie stattgefun- praktisch auseinanderzusetzen statt durch ein Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 4, den hat (BMG + Time/Warner + EMI gegen Sony + lebendiges Wechselspiel zwischen sinnlicher Basel 1976 Universal) wird auch der E-Musik Sektor – wie Erfahrung und forschender Reflexion. Strauss, Anselm: Grundlagen qualitativer andere Genres auch – gezwungen sein, mehr und — Die ´autonome Persönlichkeit´, die über Tra- Sozialforschung, München 1994 mehr seine Identität mittels alternativer, selbstkon- ditionen und kulturelle Zusammenhänge vie- Wicke, Peter u.a. (Hg.): Handbuch der populären trollierter Vertriebswege abzusichern. Industrielle ler Arten von Musik ebenso bescheid weiß Musik, Berlin/Leipzig 1997 Verwertung im globalisierten Markt ist tendenziell wie über Bedingungen, Möglichkeiten und Willis, Paul: Jugend-Stile. Zur Ästhetik der gemein- immer mit Enteignung verbunden. Neue Meister- Gefahren des Musikmarkts, sollte auf allen samen Kultur, Hamburg 1991 werke werden gezwungen sein, sich im Falle des Ebenen das Bildungsziel sein. Falles im ´Mainsteam der Minderheiten´ auch ohne potente Mäzene durchzusetzen (vgl. Holert 1996). Um die gegenseitige Befruchtung von „Pop“ und Auch Mozart hat einstens dem Erzbischof von „Klassik“ und die Entstehung und Verbreitung von Salzburg den Rücken gekehrt. Werken, die als Spiegel der Zeit die Zeiten über- dauern, muss man sich dann aufgrund der vorhan- Welche Konsequenzen sind daraus für die denen Talente keine Sorgen machen. Musikpädagogik zu ziehen? Eine abschließende Skizze soll einige wenige Punkte dazu anreißen: Dieser Text erschien in: Lugert Verlag/Christoph Richter (Hg.): Diskussion Musikpädagogik 15, — Musikalische Bildung könnte heißen, die kul- Was ist Popmusik?, 3. Quartal 2002, S 8ff. turellen Dimensionen der verschiedenen Musikrichtungen zu bearbeiten und zu ver- mitteln, zwischen Oberfläche und Tiefe hin und her zu pendeln, egal ob es sich um eine Fuge von Bach oder einen Schlager von Ger- kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 28

de wie z.B. Hollywoodschauspieler, die auch rap- Eine der Wurzeln von Rap-Musik, wie wir sie heute pen. Für Gelegenheitskonsumenten von MTV ent- kennen, war der sogenannte Soul-Rap der frühen steht beim Betrachten der Videoclips wahrschein- 1970er Jahre. Das war eine Weiterentwicklung der 29 lich der Eindruck, als spielten Frauen in der Rap- klassischen afroamerikanischen Gospel-Gesänge/ Musik eine rein optische Rolle als Bikini- Predigten. Die Sänger/innen erzeugten im Soul-Rap LET’S TALK Trägerinnen. Dem ist nicht so. Anders als z.B. in durch den Einsatz gesprochener Stellen eine gestei- der Rock-Musik, waren Frauen von Anfang an gerte Spannung und die Illusion einer direkten, per- wesentlich an der Entwicklung von HipHop/Rap sönlichen Ansprache, die dem einzelnen Zuhörer / > beteiligt. Die gesellschaftliche Funktion von Rap der einzelnen Zuhörerin gewidmet scheint. Eine der war jedoch an männlichen Verhaltensweisen orien- Pionierinnen dieser Soul-Raps war Laura Lee. Sie ABOUT tiert, denn von Beginn an war es eine Grundidee der verwendete diese Sprechstellen auch, um eine ande- HipHop-Philosophie, die im schwarzen Ghetto all- re (Frauen-)Position (gegenüber der gesungenen täglichen Konkurrenzkämpfe nicht mehr mit Position) zum Ausdruck zu bringen. Stücke wie Waffen auszutragen, sondern jetzt ein relativ harm- loses Mittel zu haben, die Gegner öffentlich her- auszufordern, indem man eine Rap-, DJ-, Break- Frauen rappen natürlich GENDER dance- oder Graffiti-Performance vorlegt, die auch über rassistische FRAUEN IN DER RAP-MUSIK Respekt abringt und eine Antwort provoziert.1 Die Sphäre der Rap-Musik, wo es also auch darum Diskriminierung, aber ihr VON MICHAEL HUBER geht, die eigenen Qualitäten hervorzuheben, ist Haupt-Thema ist ein Anderes: somit ein ideales Forum für Selbst-Darsteller, > Einer der erfolgreichsten und bei Jugendlichen lichungen von höchster Güte, nicht zuletzt dank Angeber und Übertreiber. Für Wettbewerbe nach Sexistische Diskriminierung… beliebtesten Musiker der letzten Jahre ist der seines Produzenten und Mentors Dr. Dre. Aber die dem Motto: „My shit is better than yours. Your( Rapper Eminem. Den nicht so sehr HipHop- Frage stellt sich schon, ob Verbalinjurien heute shit sucks“ sind Männer sozialisationsbedingt bes- „Dirty Man“ oder „Uptight Good Man“ waren (1) Zur Entstehungs- Interessierten ist er – wenn überhaupt – weniger sei- mehr denn je Bedingung der Möglichkeit von ser vorbereitet als Frauen, und durch diesen frühe Ausdrucksformen eines Kampfes der Frau um geschichte all dieser ner Musik wegen bekannt, als vielmehr aufgrund Erfolg im HipHop-Geschäft sind. Und existieren in Startnachteil und andere Ausschluss-Mechanismen Unabhängigkeit. Diesem Beispiel folgten viele Ideen siehe: Toop der Skandale und Gerüchte, die man über ihn hört diesem Umfeld Frauen ausschließlich als Objekte haben es wesentlich weniger Frauen als Männer Musikerinnen, allen voran Irma Thomas („Coming 1999, Shaw 1998 und liest. Da war die Rede von einer Unter- der Diskriminierung und Ausbeutung? Was ist geschafft, sich in der HipHop-Szene nachhaltig From Behind“).4 (2) Q Magazine, Dece- mber 2001, p. 75-80 lassungsklage seiner Mutter, die es offenbar satt HipHop/Rap-Musik: Harmlose Poserei für durchzusetzen. (3) Women who rock. hat, in seinen Texten beleidigt und erniedrigt zu pubertierende Möchtegerns oder Ursache und Frauen-Rap unterschied sich von Männer-Rap 100 essential women werden. Dann gab es bei der Grammy-Verleihung Wirkung von Frauendiskriminierung in der Pop- Vor kurzem hat ein Popmusikmagazin seine anfänglich hauptsächlich bzgl. der angesprochenen in Music. Fall 2001 (Kooperation und 2001 die Proteste feministischer Organisationen, musik, von Frauenfeindlichkeit in der Gesell- Leser/innen gebeten, „women who rock your Themen. Abgesehen von Hymnen an die eigene Sondernummer von als bekannt wurde, dass Eminem ein Preisträger schaft? Die folgenden Ausführungen können diese world“ zu rangreihen, und gleichzeitig haben die Person, ist die Intention von HipHop/Rap-Musik Guitar One und wäre. Andere Stimmen wiederum beschwichtigen, Frage nur bedingt beantworten. Sie werden zeigen, Redakteurinnen eines Frauen-Musik-Magazins im wesentlich das, was Chuck D von der Gruppe Rockgirl) (4) Siehe: Toop 1999 sprechen von kalkulierter, nicht ernst zu nehmender dass Frauen sehr wohl eine tragende Rolle in der genreübergreifend ihre „100 essential women in Public Enemy einmal als „CNN of the black man“ und Jamison 1999 Entwicklung von HipHop/Rap-Musik spielten und music“ genannt. In beiden Fällen wurden bei der bezeichnet hat: Das Beschreiben und Anprangern [gilt prinzipiell für spielen, und sie werden ausführen, wer diese Bekanntgabe des Ergebnisses nicht sehr viele der Lebensbedingungen in den Schwarzen-Vierteln alle Namen und Bei allen frühen Rap-Platten Frauen waren und sind. Frauen angeführt, die man HipHop/Rap zuordnen der Großstädte. Der erste Rap solchen Inhalts Songtitel, wenn nicht anders angegeben] 2 rappten die Frauen genauso kann. Bei der Publikumswahl waren das: Missy wurde 1982 von Grandmaster Flash veröffentlicht (5) Ursprünglich war Vorweg möchte ich daran erinnern, dass Elliott (Platz 22), Mary J. Blige (52), Lil’ Kim (67), und trägt bezeichnenderweise den Titel „The die Funktion der gut wie die Männer, HipHop/Rap-Musik als Underground-Bewegung in und Salt-N-Pepa (98). Die Redakteurinnen des Message“5. In den sozialkritischen Raps der afroa- Rapper darauf beschränkt, bei Live- den Elendsvierteln von New York begonnen hat Rockgirl Magazine2 wählten (ohne Rangreihung, merikanischen Männer geht es also vor allem in manchen Fällen besser. Auftritten des DJ und bis heute in der Regel von Schwarzen für in alphabetischer Folge): , En Vogue, darum, wie schlecht es ihnen geht bzw. gegangen dessen Fähigkeiten DAVID TOOP Schwarze gemacht wird. Beim durchschnittlich , und TLC. Nur vier ist, und wie hart das Leben des schwarzen Mannes zu preisen, das Publikum zum Tanzen informierten Musikkonsumenten kommt über die bzw. fünf von hundert Frauen also lassen sich diver- auf der Strasse ist. Frauen rappen natürlich auch ) aufzufordern, die Provokation des Musikers, die ihm die nötige Vermittlung der Massenmedien von den vielfältigen sen HipHop-Stilen zuordnen. Auf der Rezeptions- über rassistische Diskriminierung, aber ihr Haupt- Stimmung anzuheizen. Glaubwürdigkeit („streetcredibility“) bei der Erscheinungen der HipHop-Kultur nur mehr die Seite sieht es demnach nicht sehr gut aus, vor allem Thema ist ein Anderes: Sexistische Diskriminierung Ihre Bezeichnung MC unverstandenen Jugend garantiert. Wie auch immer Spitze des Eisberges an: das besonders auffällige, wenn man bedenkt, welch große Rolle HipHop und das Verhalten der Männer ihnen gegenüber. („Master of Cere- mony“) geht auf diese 6 man zu Eminems Aussagen steht, vom musikali- fremde, unverständliche wie z.B. erschossene heute in der Popmusik spielt. Aber wagen wir einen Tricia Rose hat diesbezüglich drei vorherrschende Funktion zurück. schen Standpunkt betrachtet sind seine Veröffent- Gangster-Rapper, und das am ehesten zu verstehen- Blick zurück, zu den Anfängen: Themen identifiziert: Das Interesse der Männer an (6) Rose 1994, p. 147. kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 30

anderen Frauen als der eigenen, die Wichtigkeit reich geworden, dass sie ihre Gesangs-Stimme, haupt. Eine der wichtigsten Rollen in der Lisa Lee, die Front-Woman der Cosmic Force, die einer Frauen-Stimme in der „Kulturberichter- durch deren Qualität sie bekannt geworden war, Geschichte der Rap-Musik spielte jedoch Sylvia später auch bei Afrika Bambaataas Zulu Nation war. 30 stattung“ und die Darstellung von Frauen / Frauen- umstellte und sich hauptsächlich auf das Rappen Robinson, die Gründerin und Mit-Eigentümerin Später ist sie mit Sha Rock und (der Mercedes Lady) 31 Körper / Frauen-Sexualität in Rap-Texten und in konzentrierte. Ebenfalls erfolgreiche Rapperinnen von Sugarhill Records in New Jersey. Sie war in den Debbie Dee als Us Girls auf dem „Beat Street“- der HipHop-Szene generell. Viele Rapperinnen rea- dieser Zeit waren: Shirley Brown („Woman To 1950er-Jahren Soul-Sängerin und Gitarristin gewe- Soundtrack1 vertreten. Oder DJ Jazzy Joice, die mit gier(t)en mit Antwort-Songs auf sexistische Woman“, „Telephone Rap“), Betty Wright („She‘s sen, hatte mit dem Gitarristen Mickey Baker einen Sweet T den Hit „It’s My Beat“ herausgebracht hat Auftritte von Rappern. Es wäre jedoch falsch, die Got Paper On Me“), Barbara Mason („She’s Got Single-Erfolg mit „Love Is Strange“ gehabt und ver- und noch heute eine gefragte DJ in New York ist. Ein Intentionen der Rapperinnen darauf zu reduzieren. The Papers, But I’ve Got The Man“), Lolletta suchte sich als Produzentin und Label-Betreiberin, Alle Rapperinnen und Rapper auf der ganzen Welt Holloway („All About The Paper“, „Catch Me On als sie diesen Erfolg als Musikerin nicht wiederho- thematisieren, wenn sie glaubwürdig sein wollen, The Rebound“). len konnte. Sie gründete eine Reihe von kleinen Die bedeutendste Rapperin diejenigen Geschichten, die sie ganz konkret In den New Yorker Anfangsjahren um 1980, als Plattenfirmen, auf denen meist ziemlich exzentri- der „Old School“ war jedoch betreffen, und das ist bei den afroamerikanischen HipHop noch nicht „entdeckt“ war, gab es laut sche Musiker veröffentlichten. (Nebenbei hatte sie Frauen eben fast immer die doppelte Dis- Grandmaster Flash in etwa gleich viele Rapper- damit auch die Möglichkeit geschaffen, nach Roxanne Shanté. kriminierung durch Rassismus und Sexismus. innen und Rapper. In vielen kleinen Gruppen Belieben ihre eigenen Platten aufzunehmen.) Der Diese Thematisierungen erfolgen meist nicht in „rockten“ sie die Schulhöfe, die Parks, die Strassen, Umstand, dass sie so die eigenartigsten Gesangs- ( Form allgemeiner Anklagen oder Beschuldigungen, die Block-Parties. Little Lee z.B. rappte mit Kool DJ stile zu hören bekam, machte sie sehr offen für weiteres Highlight der Anfangszeit war das ebenfalls sondern insofern, als beispielhafte Geschichten AJ, Sweet & Sour waren mit Grandmixer D.ST. Neues, was wahrscheinlich ausschlaggebend für ihr von Sylvia Robinson „entdeckte“ Girl-Trio Sequence erzählt werden. Durch das Beschreiben selbst unterwegs. Auch in den Breakdance-Gruppen gab Interesse an Rap-Musik war. Durch ihre Kinder, die mit dem „Monster Jam“ oder der Nummer „Funk erlebter, alltäglicher Geschichten, werden die es Frauen, wie z.B. Daisy Castro bei der Rock sich HipHop-Mixtapes aus New York besorgt hat- You Up“, in der die Sängerin Angie Stone2 den Jungs betreffenden „Sünder“ direkt angesprochen. Die Steady Crew oder die B-Girl-Gruppe Dynamic ten und davon begeistert waren, kam Ms. erzählt, dass sie erst gar nicht bei ihr „anklopfen“ Intention dieser Raps ist nicht primär, Stimmung Dolls. Bekannte Graffiti-Writerinnen waren Lady Robinson zur Überzeugung, dass sich damit gutes brauchen, wenn sie ihre Bedürfnisse nicht erfüllen gegen die Männer zu machen, sondern die Pink und Lady Heart. Als die Szene dann größer Geschäft machen ließe. Sie holte sich aus dem können. Perspektive der Frauen (auch den Männern) zu geworden, über die Bronx und Brooklyn hinausge- Bekanntenkreis ihres ältesten Sohnes und von der erklären. Für Tricia Rose, eine weiße Feministin, gangen ist, haben viele Frauen den Schritt in die Strasse drei junge Männer ins Studio, die sich Die bedeutendste Rapperin der „Old School“ war ist das ein wesentlicher Unterschied zum akademi- Halb-Professionalität nicht getan. Ein Grund dafür dadurch hervorgetan hatten, dass sie fremde Texte jedoch Roxanne Shanté. Als 1985 ihre Debut-Platte schen Feminismus, [der hauptsächlich von weißen war oft, dass es für Frauen wesentlich gefährlicher nachrappten. So entstand 1979 mit dem gesampel- „Roxanne’s Revenge“ herauskam, war sie gerade Mittelschicht-Frauen getragen wird; MH], wo in und schwieriger war, in der Nacht mit dem z.T. teu- ten Basslauf der Disco-Hymne „Good Times“ der 14 Jahre alt. „Roxanne’s Revenge“ stand in der der Regel über Männer und deren Sexismus in der ren Equipment in fremde Stadtviertel zu fahren. Als erste Rap-Hit auf Schallplatte. „Rappers Delight“ Tradition der klassischen Antwort-Schallplatten dritten Person Plural gesprochen wird, was zur dann die traditionell männerbündlerische Musik- erreichte Platz 36 in den US-Charts, wurde ein gro- des 1960er-Jahre-Soul-Rap. Es war eine sehr schar- Folge hat, dass die Betreffenden davon meist unbe- industrie1 groß in das Rap-Geschäft einstieg, war ßer internationaler Hit und schließlich die meist- fe und sehr erfolgreiche Reaktion auf den Rap rührt bleiben. Dazu passt, dass die von Tricia Rose für viele Frauen der Zug Richtung Rap-Karriere verkaufte Maxisingle aller Zeiten. „Roxanne Roxanne“ von U.T.F.O., in dem es um befragten Rapperinnen, wie z. B. MC Lyte nicht endgültig abgefahren. Unter den wenigen wirklich eine junge Frau geht, die es „wagt“, eine eindeutige damit einverstanden waren, als Feministin bezeich- professionellen Rappern der ersten Stunde war Dieser Überraschungserfolg hat viele Plattenfirmen Einladung abzulehnen, und daraufhin aufs net zu werden. Feminismus ist in ihren Augen eine lediglich eine Frauengruppe: The Mercedes Ladies. und unabhängige Produzenten motiviert, ihre Schlimmste beschimpft wird. Als die Produzenten Anti(-Männer)-Bewegung und somit genau das, Geblieben ist von ihnen leider nichts als ein vielver- Kundschafter auszuschicken, nach Rappern Aus- von U.T.F.O. sahen, wie gut „Roxanne’s Revenge“ (1) „Beat Street“ ist wogegen sie auftreten, nur mit umgekehrten sprechender Beitrag zur Platte „Don’s Groove“ von schau zu halten. Eine der ersten Gruppen, die von beim weiblichen Publikum ankam, wollten sie auch einer der klassischen Vorzeichen. Donald D. Vor allem ihre DJ Baby D, laut dieser Goldgräberstimmung profitierten, waren die davon profitieren. Sie suchten nach einer geeigne- Old School HipHop- Grandmaster Flash damals eine seiner stärksten Funky Four mit der Rapperin Sha Rock. Noch 1979 ten Interpretin für einen eigenen Antwort-Song und Filme. (2) Ende der 1990er Zurück zur Rolle der Frau in der Geschichte der Konkurrent/inn/en, hätte das Zeug gehabt, groß kam ihre Platte „Rappin and Rockin In The House“ fanden sie in der Kellnerin Adelaida Martinez. Sie Jahre feierte sie ein Rap-Musik: In den frühen 1970er-Jahren haben herauszukommen. Stattdessen hat sie irgendwann auf den Markt. Sha Rock hatte sich einen guten Ruf bekam den Künstlernamen The Real Roxanne, und großes Comeback als einige Musikerinnen und Musiker die Tradition des einfach aufgehört. nicht nur als MC sondern zuerst als Meisterin der genauso wurde auch der Antwort-Song genannt. Diva des HipHop-Soul. (3) „The Dozens“ ist 1960er-Jahre-Soul-Raps wieder aufgenommen und Beat-Box erarbeitet. 1981 war sie dann mit den Das war sozusagen die „Revenge“ aus dem eigenen eine der international populär gemacht. Die wichtigsten Anders als in der Rockmusik gab und gibt es auch Funky Four und der Nummer „That’s The Joint“ als Haus, aber „Roxanne’s Revenge“ von Roxanne Bezeichnungen für waren: Barry White, Isaac Hayes und Millie Frauen hinter wichtigen Schreibtischen des erste Rap-Gruppe überhaupt in der Saturday Night Shanté war die schlagkräftigste der über hundert die traditionellen Jackson. Von letzterer stammt der Rap-Klassiker HipHop-Business. Bei Plattenfirmen sind das z.B. Live-Show. In den darauffolgenden Jahren gab es Antwort-Songs auf „Roxanne Roxanne“. Damit afrikanischen Spottlieder. Siehe dieser Zeit: Über einer klassischen Soul-Ballade „(If Monica Lynch (Tommy Boy), Carmen Ashurst- eine ganze Menge Frauen in der Rap-Szene: Da war war gleichsam der Startschuss gefallen, die dazu: Toop 1999, S. Loving You Is Wrong) I Don’t Want To Be Right“ Watson (Def Jam) oder Jane Doe, die bei Rawkus Lady D bei den Funky Four Plus One More, The CC Tradition des „Dozens“3 auf breiter Ebene in den 42-46. diskutiert sie in Monologform alle Für und Wider die Newcomer-Schiene Lyricist Lounge betreut. Crew, Naomi Peterson, Paulette & Tanya Winley, DJ HipHop aufzunehmen. Bis zum heutigen stand des (4) Jmd. dissen: Neudeutsch für: 4 (1) Siehe Negus einer Affäre mit einem verheirateten Mann. Mit Tracii McGregor wiederum ist Redakteurin bei The Lady B aus Philadelphia, die 1980 mit „To The Beat „Dissens“ à la Eminem ist die Sprache um einiges (engl.) to disrepect _ 1992, S 126f. dieser Art von Vortrag ist Millie Jackson so erfolg- Source, der wichtigsten HipHop-Zeitschrift über- Y’all“ die erste Rapperin auf Schallplatte war. Oder: rauher geworden, das Samplen bei den Gegnern to dis kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 32

frecher und die gegenseitige Beleidigung schärfer. das Selbstbewusstsein der Frauen zu heben, die Beats und elegante Raps. Mit allem, was sie aus- Seit Mitte der 1990er-Jahre ist die Entwicklung der Aber der positive Effekt dieser Entwicklung war, ganz offensichtlich unter dem planmäßigen strahlt(e), war sie wie geschaffen für die Back-to- Frauen-Rap-Szene geprägt von zwei diametral ver- 32 dass auch die Rapperinnen jetzt nach Belieben so Ausschluss durch die Männer zu leiden haben. the-Roots-Bewegung der „Native Tongue Family“ laufenden Strömungen. Auf der einen Seite hat die 33 hart wie sie wollten rappen konnten, ohne befürch- und wurde von De La Soul und den Jungle Brothers Bereitschaft des weiblichen Publikums, Rap-Platten ten zu müssen, vom (plattenkaufenden) Publikum YoYo wurde 1989 von Ice Cube „entdeckt“, mit offenen Armen aufgenommen. Sie hat seither zu kaufen, wenn diese mit einem groovigen R&B- völlig abgelehnt zu werden. Die Gruppe J.J. Fad bewegt sich seither immer hart an der Grenze zwi- drei weitere LPs herausgebracht, erfolgreich in Sound produziert sind, eingängigen Soul- z.B. wurde von Roxanne Shanté auf ihrer Platte schen „Good Girl“ und „Bad Girl“, und hat bis mehreren Kinofilmen und einer Sitcom mitgespielt Arrangements zu einer dominierenden Bedeutung „Wack It“ hart gedisst und antwortete nicht weni- heute vier LPs herausgebracht. Alle Rapperinnen, und ist Mitbetreiberin einer Musikmanagement- in Dance-Rap- und Soul-Rap-Produktionen verhol- ger deutlich mit ihrem „Ya Goin‘ Down“. Pebblee die damals herauskamen, schafften den Durch- und Plattenfirma. fen, was dazu führte, dass die Grenzen zwischen Poo beantwortete die Nummer „A Fly Girl“ der bruch nicht allein aus eigener Initiative, hatten nur „Contemporary R’n’B“, „Nu Soul“ und HipHop Boogie Boys mit ihrem eigenen „A Fly Girl“, und E- eine Chance, wenn sie von Männern „entdeckt“, Mit der „New School“ kam auch das Interesse des immer mehr verschwimmen. Auf der anderen Seite Vette Money nahm „E-Vette’s Revenge“ für L.L. produziert, gefördert wurden. Das brachte meist Fernsehsenders MTV an der Rapmusik und somit thematisierten zunehmend auch Frauen das brutale Cool J’s „Dear Yvette“. Aber vor allem Roxanne zwei Nachteile mit sich: Die Rapperinnen konnten die Gefahr der gnadenlosen Kommerzialisierung. Gang-Leben auf der Straße, was zuvor Gangster- Shanté hat sich oft an solchen Schlagabtäuschen nicht den Sound aufnehmen, den sie wollten, son- MC Hammer, Ice MC und Will Smith erreichten im Rappern wie 2Pac oder Notorious B.I.G. vorbehal- beteiligt und immer wieder mit Nummern wie dern wurden mit weicheren, kommerzielleren Rap- HipHop nie da gewesene Aufmerksamkeit und stel- ten war. Das Auftauchen von Gangster-Rapper- „Queen of Rox“, „Bite This“, „What’s On Your Songs herausgebracht (damit sie keine Konkurrenz len für viele Konsumenten bis heute das gute und innen ist ein Indiz für geänderte gesellschaftliche Mind“ und „Independent Woman“ ihre Gegner das darstellen). Und viele der Männer, die den einzige Gegenstück zum Gangster-Rap dar. Für die Bedingungen, an den benachteiligten Lebensum- Fürchten gelehrt. Rapperinnen geholfen hatten, eine Platte auf den weiblichen Rap-Gruppen, die immer schon zu ständen der Afroamerikaner/innen in den Markt zu bringen, erwarteten dafür sexuelle kommerzielleren Sounds gedrängt worden waren, Großstädten hat sich allerdings in den letzten Alle Rapperinnen, die damals Gefälligkeiten. Erstaunlich gut durchgesetzt in die- war das neue Interesse der Popmusik-Szene eine Jahrzehnten nichts zum Besseren verändert. Neu ist sem harten Klima hat sich MC Lyte. Ihre erste große Chance. Viele sind auf diesem Hype nach höchstens ein sozialpolitisches Interesse an diesen herauskamen, hatten nur eine Single „Cram to Understand“ veröffentlichte sie oben geschwommen aber bald wieder abgestürzt, Umständen, was sich jedoch auf die gesellschaftli- Chance, wenn sie von Männern 1986 im Alter von 16 Jahren. Zwei Jahre später wie z.B. die Wee Papa Girl Rappers oder JJ Fad. che Wirklichkeit nicht wahrnehmbar auswirkt. Das erschien ihre erste LP „Lyte As A Rock“, die ihr Eine der damals aufgekommenen Gruppen jedoch Umfeld, in dem sehr viele Afroamerikaner/innen „entdeckt“, produziert, den Respekt von wichtigen Leuten wie Chuck D hält sich bis heute ganz oben: Die lange Zeit wich- aufwachsen, ist mehr denn je geprägt von Gewalt einbrachte. Die Platte enthielt u.a. die Nummer tigste Frauen-Rap-Gruppe Salt-N-Pepa. Ihre erste und Drogen, von wirtschafts- und bildungspoliti- gefördert wurden. „Paper Thin“, die als Single ausgekoppelt wurde Platte war, wie schon bei Roxanne Shanté, ein scher Hoffnungslosigkeit. Eine neue Qualität dieser )und 125.000 Stück verkaufte ohne auch nur ein Antwort-Song: Mit „The Showstopper“ reagierten sozialen Lage ist jedoch, dass jetzt immer mehr Ende der 1980er-Jahre entwickelte sich HipHop Mal im Radio gespielt zu werden. Darin beschreibt sie erfolgreich auf die Selbstverherrlichungs-Hymne Frauen mit sexueller Gewalt, Aids, Drogenab- mit einer zunehmenden Ausdifferenzierung in ver- sie, wie sie mit ihrem Freund verfährt, der sie betro- „The Show“ von Doug E. Fresh, und wenig später hängigkeit und Waffengewalt direkt konfrontiert schiedene Stile zur „New School“. Die Konkurrenz gen hat. Ihre zweite LP „Eyes On This“ aus dem erschien ihre erste LP „Hot, Cool & Vicious“. Mit sind. Folge davon war das Auftauchen von wurde größer, Aufmerksamkeit zu erregen wurde Jahr 1989 war ebenfalls sehr erfolgreich und ent- kommerziellem Erfolg im Rücken konnten sie auf Gangster-Rapperinnen wie , Foxy Brown, schwieriger. Der Ton wurde noch rauer, genauso hielt den Nr. 1 Hit „Cha Cha Cha“, eine rauhe ein Nette-Mädchen-Image verzichten, und so ent- Lil’ Kim oder Princess Superstar. Sex & Crime wer- wie das Image der Rap-Musik. Mit aufkommen- Nummer, die MC Lyte’s Ruf als „Bad Girl“ bestä- standen einige sehr deutliche Statements gegen den den von ihnen explizit thematisiert, im Bestreben, dem Gangster-Rap wurden HipHop-Karrieren für tigte. Bis heute hat sie noch weitere vier LPs veröf- sexistischen Trend in der Rap-Szene („Push It“, den Spieß der Ausbeutung umzudrehen. Joan Frauen noch schwieriger, als sie zuvor schon waren. fentlicht (zwei gute, zwei schlechte), und denkt „Shake Your Thang“, „Let’s Talk About Sex“). Morgan kommentiert das wie folgt: „Der Pussy- Nicht nur Waffen kamen groß in Mode, auch frau- noch lange nicht ans Aufhören. „Hot, Cool & Vicious“ erreichte innerhalb von for-sale-Materialismus, der Lil’ Kims Album1 enfeindliche Raps hatten Hochsaison, wie z.B. „Get zwei Jahren Doppel-Platin, ein Erfolg, den keine dominiert, ist unter jungen Frauen weit verbreitet. Off My Dick And Tell Yo Bitch To Come Here“ Ganz anders als MC Lyte oder YoYo setzt Queen Frauen-Musikgruppe zuvor erreicht hatte. Das ist Unter dem Deckmantel ‚Sex‘ glauben sie zu von Ice Cube. Einige Rapperinnen schafften trotz- Latifah auf königliches Auftreten, afrozentrisches umso beachtlicher, als sich bis dahin Platten von Sicherheit, Wohlstand und Macht zu kommen. In dem den Durchbruch: 1991 (im sechsten Jahr sei- Bewusstsein und „positive vibration“. Sie begann Rapperinnen eher durchschnittlich gut verkauft der schwarzen Community, wo Frauen erschwert nes Bestehens) brachte das Label Def Jam seine als „human beatbox“ für die Girl-Rap-Gruppe hatten. Die von Dr. Dre produzierte LP „Super- Zugang zu diesen Dingen haben, kann Trickin‘ zur erste Platte mit einer Rapperin heraus: „Daddy`s Ladies Fresh, bevor sie den DJ Mark The 45 King sonic“ der Gruppe J.J. Fad war wie einzige Frauen- Möglichkeit werden, das Spielfeld zu ebnen. Little Girl“ von Nikki D. Etwa zur selben Zeit traf und mit ihm 1989 die LP „All Hail The Rap-Platte, die zuvor Gold erreicht hatte, denn das Ironischerweise bangen die gleichen Frauen, die in wurde Sister Souljah Bandmitglied bei Public Queen“ herausbrachte. Daraus ist u.a. die pro- männliche Publikum fühlte sich von Frauen-Raps den 80ern zu Gwen Guthries ‚Ain’t Nothing Going Enemy, der damals wichtigsten Rap-Gruppe über- grammatische Single „Ladies First“, auf der sie die nicht wirklich angesprochen, und das weibliche On But The Rent‘ den Boogie tanzten, nun um ihre haupt. YoYo wiederum brachte ihr Album „Make britische Rapperin Monie Love vorstellt. „Ladies Publikum zog die melodischen R&B-Sounds den Töchter, die mit Lil’ Kim singen: ‚No money, Way For The Motherlode“ heraus (co-produziert First“ gilt als unübertroffen, wenn es gilt, Frauen harten HipHop-Beats vor. Salt-N-Pepa haben das money, no licky licky, fuck you dicky dicky‘. Oder

von Ice Cube) und gründete die „Intelligent Black aufs Podest zu stellen ohne gleichzeitig Männer zu erkannt. Sie rappen ihre harten Sprüche über wei- ‚Takin‘ it all from the stash to the keys‘ mit Foxy (1) Lil’ Kim: Hard Women’s Coalition“, mit dem Ziel, den Status und erniedrigen. Queen Latifah‘s Markenzeichen: Harte che Melodien. Brown. Beide reduzieren den Wert des Brothers auf Core (1996) kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 34

den Inhalt ihrer Brieftaschen. Beide wollen schwar- pop charts. [...] As the album’s title implies, Lil’ Kim wurde von Kritik und Publikum begeistert aufgenom- durch einen Verkehrsunfall aus dem Leben gerissen. zen Frauen weismachen, ihr größter Erfolg liege in was a rarity among female rappers – one that not men. Sie enthielt eine breite Palette an Stilen (Pop, Auch bzgl. Video-Ästhetik und HipHop-Sound 34 ihrer Punanny.“2 only concentrated on edgy, hardcore rap, but also Rock, R&B, Rap, Reggae) und die drei Top-Hits „My waren TLC immer auf der Höhe der Zeit. So imi- 35 explicit sexuality, two territories that had long been Lovin‘ (You’re Never Gonna Get It)“, „Giving Him tierten sie auch sehr gekonnt den absoluten Star des Angekündigt und eingeführt wurde diese the province of male rappers. Of course, Lil’ Kim’s Something He Can Feel“ und „Free Your Mind“, Dance-Rap: Missy „Misdemeanor“ Elliott, Philosophie von Da Brat. Nachdem sie in Chicago near-pornographic sexuality and hard edged allesamt jetzt schon Klassiker des Genres. Der bedeu- Madonnas Pendant in der Rap-Szene. einen Amateur-Rap-Wettbewerb gewonnen hatte, rhythms made her an anomaly within hip-hop, but tendste Schritt zur Verbindung von R&B und Rap erkannte der Produzent Jermain Dupri ihr Potential Hard Core proved that she was no novelty, as it gar- erfolgte dann 1993 durch die Kooperation mit Salt-N- Melissa Elliott begann mit dem Schreiben von und nahm mit ihr 1994 die LP „Funkdafied“ auf, nered positive reviews and strong sales.“3 Und es Pepa und dem Top-Hit „Whatta Man“. Songs im Alter von zwölf Jahren, mit dem Ziel, es die völlig unerwartet Platin-Status erreichte. Dass war keine vorübergehende Modeerscheinung: Seit Pionierin eines noch stärker HipHop-orientier- einmal ihren Idolen Chaka Khan, Prince, MC Lyte sie diesen Erfolg nicht wiederholen konnte, tat der Ende der 1990er Jahre haben einige Newcomerinnen ten Zugangs zu R&B war Michel’le. Ihrer Zeit um und Salt-N-Pepa gleichzutun. Mit ihrer ersten Bitch-Rap-Mode keinen Abbruch, denn bald dar- in den härteren Rap-Gefilden auf sich aufmerksam Jahre voraus bewegte sie sich schon Ende der Gruppe Sista bekam sie sogar einen Plattenvertrag, auf kam Foxy Brown. Auch sie machte auf sich auf- gemacht: Queen Pen ist wahrscheinlich die unglük- 1980er Jahre im Umfeld des Gangsta-Rap-Labels aber die LP wurde ein Flop. Sie gab jedoch nicht merksam, indem sie einen Talentwettbewerb klichste von ihnen. Ins Rampenlicht gerückt durch „Ruthless“ und lieferte mit der LP „Michel’le“ die auf und schaffte es, auf erfolgreichen Singles von gewann (1994 in Brooklyn). Das Produzenten- ihren bemerkenswerten Gastrap auf Blackstreets Blaupause für HipHop-Soul. Aaliyah, SWV und mitzuwirken. Team Trackmasters arbeitete zu der Zeit gerade an Hit-Single „No Diggity“ wurde ihre LP „My Erfolgreich fortgesetzt wurde diese Tradition von 1996 konnte sie wieder einen Plattenvertrag an LL Cool J’s LP „Mr. Smith“, und die damals 14jäh- Melody“ von Terry Riley für ein Pop-Publikum pro- Faith Evans und Mary J. Blige. Während Evens Land ziehen und produzierte gemeinsam mit ihrem rige Inga Marchand, die sich nach der duziert, das jedoch mit ihren Texten überfordert war. trotz hervorragender Veröffentlichungen primär als alten Schulfreund Tim „Timbaland“ Mosley ihre Blaxploitation-Heldin Foxy Brown benannte, Auch Kelis schaffte mit einem Gastrap den Witwe des publikumswirksam ermordeten erste Solo-LP „Supa Dupa Fly“. Die beiden stellten wurde eingeladen, auf der Nummer „I Shot Ya“ ihr Durchbruch, landete allerdings auch mit ihrer Notorious B.I.G. bekannt ist, erfuhr Blige von damit einen gekonnten Crossover aus New Jack- Platten-Debüt als Rapperin zu geben. Die Single Debütsingle „Caught Out There“ einen Hit. Ihr Beginn an den ihr zustehenden Respekt. 1992, nach Tanzrythmen und Gangster-Raps vor, der zu ihrem wurde ein Hit und führte zu weiteren angry-women-Slogan „I hate you so much right ihrem Durchbruch mit der LP „What`s The 411?“ Markenzeichen werden sollte. Die LP kam bis auf Gastauftritten für Jay-Z, Total, Toni Braxton und now“ war wochenlang in aller Munde. Ende 2001 und den Singles „Reminisce“ und „Real Love“ Nummer 3 der Charts und erreichte bald Platin- Case. Bald war sie Mitglied der Posse2 des hoch erschien ihre zweite LP. hat für ihre wurde sie zur „New Queen of HipHop Soul“ aus- Status. „Missy Misdemeanor Elliott rode into the angesehenen Nas, und 1996 – nachdem sich die Debüt-LP „Dirty Harriet“ viel Kritikerlob bekom- gerufen. Sie musste diese Krone zwar zwischenzei- rap mainstream by the ususal route for female MCs Plattenfirmen um sie gerissen hatten – veröffent- men. Eve ist mit ihrer Hitsingle „Let Me Blow Ya tig an TLC, die bis heute erfolgreichste R&B/Rap- (guesting on every track in sight) but proved to be lichte sie auf Def Jam ihre Debüt-LP „Ill Na Na“, Mind“, einem von Dr. Dre produzierten Duett mit Gruppe überhaupt, abgeben, markierte jedoch so much more than a rapper: a prolific songwriter, die auf Platz 7 der Album-Charts einstieg. Mit der Rocksängerin Gwen Stefani, in der Hot Rotation 2001 mit der Hitsingle „Family Affair“ ihr a great R&B singer, director of her own videos and „China Doll“ festigte sie 1999 ihre Position an der der Hitradios. Die blonde Princess Superstar wiede- Comeback an der Spitze. Spitze, wo sie sich gemeinsam mit Lil’ Kim, ihrer rum ist so etwas wie das weibliche Gegenstück zu Kollegin aus Brooklyn, bis heute behauptet. Foxy Eminem, wenngleich bei ihr die „Explicit Lyrics“ Das Trio TLC („T-Boz“, „Left Eye“ und „Chilly“) Missy Elliot hat einen coolen Brown und Lil’ Kim sind sich in Image & Outlook nicht annähernd so viel Erfolg nach sich ziehen. aus Atlanta war sehr erfolgreich, bis es durch den Look für „gewichtige” Frauen sehr ähnlich, jedoch ist letztere noch um einiges frühen Tod der Prima inter paras aus der Bahn konsequenter und härter. Kimberly Jones‘ Eltern Der andere Weg des Frauen-Rap geht seit Mitte der geworfen wurde. Die Debut-LP „Oooooh...On The geprägt und somit vielen ließen sich scheiden, als sie neun Jahre alt war, und 1990er-Jahre in Richtung Soul-Rap. Dieser Crossover TLC Tip“ kam im Jahr 1992 heraus. Hervorragend Teenager-Mädchen einen sie ging mit ihrem Vater, der sie wenige Jahre später aus R&B und Rap in der heutigen Form nahm eigent- produziert von der R&B-Sängerin/Produzentin auf die Straße setzte. Sie schlug sich bei Freunden lich schon Ende der 1980er-Jahre seinen Anfang. Pebbles enthielt sie die drei Top-Ten-Hits „Ain’t 2 Anorexie-Schicksal erspart. und auf der Straße durch, bis Notorious B.I.G. ihr Namentlich die Gruppe En Vogue hat sehr viel zur Proud 2 Beg“, „What About Your Friends“ und( Potential entdeckte und sie zur Gruppe Junior Erfolgsgeschichte von Soul-Rap beigetragen.Das „Baby Baby Baby“. Die folgende LP an astute businesswoman who wrangled an entire 1 M.A.F.I.A. brachte, mit der sie 1995 die Debüt-LP Frauenquartett En Vogue wurde 1988 von den zwei „Crazysexycool“ (1994) übertraf diesen Erfolg sub-label out of her initial Elektra Records deal.“ (1) http://allmusic. „Conspiracy“ aufnahm. Nach mehreren Gast- Produzenten Denzil Foster und Thomas McElroy sogar, enthielt drei Nummer-1-Singles und verkauf- Die Lyrics der ersten Strophe des programmati- com/cg/amg.dll?p=a (1) Joan Morgan: Bad auftritten bei namhaften Gruppen ging sie an die konzipiert und zusammengestellt. Sie wollten eine te sich viermillionenmal. 1999 folgte dann der drit- schen Raps „I’m Talkin‘“2 machen klar: Mit Missy mg&sql=B3sd7gjwro6 Girls im Hip Hop. In: ia~C Baldauf 1998, S. 156 Produktion ihrer Debüt-LP, gemeinsam mit Puff R&B-Girlgroup nach dem Vorbild der Supremes te Streich „Fan Mail“ mit zwei weiteren Hit-Singles. legt man sich besser nicht an. Und was das wich- (2) Nigga what’s up / (2) Posse: Freund- Daddy, Jermain Dupri, u.a. „The result, entitled gründen, allerdings musikalisch mehr in Richtung Ein Grund für den großen Erfolg war sicher auch tigste ist: Sie verkörpert das absolut überzeugend. You think you’re schaftsverband Hard Core, was released in late 1996. Lil’ Kim’s HipHop- und NewJack-Rhythmen. Vier Models, die die hervorragende PR-Arbeit: Lisa „Left Eye“ Lopez Missy Elliott hat außerdem innerhalb weniger rough / I’m high as a von HipHopern, bitch / Dope as fuck / manchmal Arbeits- marketing campaign for the album was quite pro- gut singen konnten, wurden gecastet, und mit teuer verkörpert die Rebellin des Trios und blieb immer in Jahre eine neue Videoclip-Ästhetik geprägt, mit Sho‘ ’nuff / No diggity gemeinschaft vocative – she was dressed in a skimpy bikini and produzierten Musikvideos war man bald Stammgast den Schlagzeilen: Sie nahm sich einen Football-Star Timbaland einen neuen Dance Rap-Beat etabliert, / I’ll fight you / Like (3) http://allmusic. furs in the advertisements, as well as the album bei MTV. Die erste LP „Born To Sing“ erschien 1990 zum Boyfriend, wurde betrogen, zündete sein Haus einen coolen Look für „gewichtige“ Frauen geprägt the fuckin‘ enemy / com/ cg/amg. You would think there dll?p=amg&sql=Bfge covers – but instead of resulting in a backlash, the und erzielte durch die Hit-Single „Hold On“ Platin- an, ging dafür ins Gefängnis, kam erfolgreich und somit vielen Teenager-Mädchen eine Anorexie- were fuckin‘ ten of z97rjkrat~C album became a hit, debuting at number 11 on the Status. Die Nachfolge-LP „Funky Divas“ (1992) zurück mit einer Soloplatte und wurde bald darauf Schicksal erspart. 1999 hat sie Erfolge mit ihrer LP me [...] kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 36

“ und als Produzentin u.a. von her sei. Umso größer war die Überraschung und zierten? Ähnliche Probleme bekommt man bei der > LITERATURHINWEISE: Whitney Houston und Aretha Franklin gefeiert. Begeisterung, die Lauryn Hill mit ihrer Solo-LP Zuordnung von Erykah Badu, Macy Gray, Jill Baldauf, Annette / Weingartner, Katharina (Hg.): Ihre dritte LP „Miss E ... So Addictive“ wurde gen- „The Miseducation of Lauryn Hill“ (1998) erntete. Scott, Angie Stone. Sind solche Einteilungen noch Lips Tits Hits Power? Popkultur und 36 3 37 reübergreifend als eine der besten Pop-Ver- Sie schrieb, arrangierte und produzierte fast alle notwendig und aussagekräftig? Feminismus. Wien & Bozen: Folio 1998. öffentlichungen des Jahres 2001 gefeiert. Neben Nummern der Platte selbst und ließ dabei ihrem Wie dem auch sei, die jüngsten Entwicklungen Garr, Gillian G.: Rebellinnen. Die Geschichte der Madonna hat sie nur eine ernstzunehmende Motown-Soul-Background die Zügel schießen. Vor geben Anlass zur Zuversicht, dass die Frauen in der Frauen in der Rockmusik. Hamburg: Konkurrentin im Popmusik-Geschäft: Lauryn Hill. allem auf der Hit-Single „Doo Wop (That Thing)“ Rap-Szene einer erfolgreichen Zukunft entgegen Argument 1994. schlägt sie virtuos eine Brücke zwischen Stevie gehen, zumindest in den USA. Wie sieht das in Jamison, Laura: Ladies First. In: Alan Light (Ed.): Wonder-Soul der 1970er-Jahre und dem selbstbe- Deutschland und Österreich aus, wo ja HipHop in The VIBE History of Hip Hop. London: Als Lauryn Hill im Februar wussten Female-Rap einer Missy Elliott. Das den vergangenen Jahren zur bestimmenden Plexus 1999. 1999 von elf (!) Nominierungen Plattencover wiederum erinnert unwillkürlich, aber Strömung der Jugendkultur geworden ist? In Öster- McDonnell, Evelyn / Powers, Ann (Ed.): Rock She ohne eine plumpe Kopie zu sein, an „Burnin‘“ von reich sieht es nicht gut aus: Bei den wenigen Wrote. Women Write About Rock, Pop, fünf Grammy-Awards erhielt, Bob Marley, dessen Sohn Rohan der Vater ihrer HipHop-Gruppen, die nachhaltig Aufmerksamkeit and Rap. London: Plexus 1995. sah daneben selbst Madonna beiden Kinder ist. Fast den gesamten Herbst und gewinnen konnten, ist von Frauen nicht viel zu Negus, Keith: Producing Pop. Culture and Conflict Winter 1998 war „Miseducation“ an der Spitze der sehen. Auf der LP „Plastic Peaople“ der Wiener in the Popular Music Industry. London etwas blass aus. Charts, und Lauryn Hill war am Cover fast aller Gruppe Waxolutionists ist mit der grossartigen Fiva u.a.: Arnold 1992. großen Musik- und Lifestyle-Zeitschriften. MC „lediglich“ eine Münchnerin vertreten. Im Rose, Tricia: Bad Sistas. Black Woman Rappers and „Call Lauryn Hill the Mother of Hip-Hop)Selbstredend führte sie ein Großteil der Kritiker österreichischen HipHop-Underground versuchen Sexual Politics in Rap Music. Chapter Invention: With her 1998 solo debut The ganz oben in den Best-Of-1998-Jahreslisten, und sich De Kay, DJ Mephista, Mieze Medusa, Miss Five in: Dieselbe: Black Noise. Rap Music and Black Miseducation of Lauryn Hill, the ‘ most als sie im Februar 1999 von elf (!) Nominierungen Verständnis, Pangea, Semmerl MC (und wahr- Culture in Contemporary America. Hanover & vocal member not only established herself as crea- fünf Grammy-Awards2 erhielt, sah daneben selbst scheinlich auch noch andere) durchzukämpfen, aber London: Wesleyan University Press 1994, p. 146- tive force on her own, but also broke new ground Madonna (die im selben Jahr eine der besten LPs vom Überschwappen der positiven Stimmung, die in 182. by successfully integrating rap, soul, reggae and ihrer Karriere vorgelegt hatte) etwas blass aus. Mit Deutschland erkennbar ist, kann keine Rede sein. Shaw, William (Ed.): A Bronx Tale. How two turnta- R&B into her own sound.“1 Lauryn Hill ist in New ihrer zweiten Solo-LP „MTV Unplugged No. 2“ Dort ist immerhin bereits eine CD-Compilation bles and a microphone overturned pop Jersey mit der umfassenden Plattensammlung ihrer fuhr sie einen radikalen Verweigerungskurs gegenü- deutschsprachiger Rapperinnen erschienen, die culture. The oral history of the old-school grandma- Eltern aufgewachsen. Sie hat früh zu singen begon- ber den Erwartungen von Fans und Kritik aber vor neben der Veteranin Cora E. und Aufsteigerinnen sters who invented hip-hop back in the day. In: nen und kleinere Rollen in Film und TV gespielt. allem gegenüber den Gesetzen des Popmusik- der letzten Jahre wie Nina MC, Meli und Pyranja Details. The Music Issue. November 1998, pp.176- Dreizehnjährig gründete sie mit ihrem Schulfreund Business. Anstatt nach bewährtem HipHop-Soul- auch relativ unbekannte Rapperinnen, wie eben z.B. 181, 194f. und dessen Cousin die Translator Rezept einen sicheren Bestseller vorzulegen, nahm sie Semmerl MC aus Wien, präsentiert. 1 Stegmüller, Claudia: Hip Hop – She won’t stop. In: Crew, widmete sich der Musik zuerst jedoch erst in ihre neuen Songs live auf, nur von ihrer akustischen Female Sequences 4/2002, S. 8f. dritter Linie neben der Schule und der Gitarre begleitet, und nutzte die Gelegenheit, um Toop, David: Rap Attack. African Jive bis Global Schauspielerei. Nichtsdestotrotz hatte das Trio system- und kulturkritische Botschaften unters Volk HipHop. St. Andrä-Wödern: Hannibal schnell eine Fangemeinde, und so wurde 1994 von zu bringen. Ihr nächster Schritt ist nicht vorherzuse- 1999 (1984). der in (Re-)Fugees umbenannten Gruppe die erste hen, aber das Projekt Fugees scheint gestorben zu sein. VIBE (Ed.): Hip Hop Divas. New York: Three Rivers LP „Blunted On Reality“ produziert. Sie hatte gute Press 2001. Momente (z.B. den Track „Boof Baf“), konnte Aktuell prägt die Szene im allgemeinen eine gewis- jedoch insgesamt die hohen Erwartungen nicht se Verweigerungshaltung gegenüber stitlistischen erfüllen. Auch das von der Plattenfirma konzipierte Festlegungen. Eine Grenzziehung zwischen den Gangster Rap-Image passte nicht wirklich, und so HipHop-Soul und dem, was heute R’n’B oder Nu stand die Gruppe schon kurz vor der Auflösung. Soul genannt wird, ist nicht immer einfach. 1996 jedoch meldeten sich die Fugees mit der Abgesehen von personellen Verflechtungen und (1) Die CD-Abteilung unglaublich erfolgreichen LP „The Score“ zurück. Kooperationen machen auch die häufig anzutref- eines großen Warenhauses in Wien Nicht zuletzt dank der überzeugenden Präsenz und fende Stilvielfalt und das Verschwimmen der hat überhaupt nur Performance von Lauryn Hill, die deutlich an Grenzen eine endgültige Zuordnung mancher mehr eine gemeinsa- (1) http://allmusic. Einfluss gewonnen hatte und durch den Erfolg Sängerinnen zu bestimmten Stilen schwierig: Ist me Kategorie „Black com/cg/amg.dll Music“, wo deutscher (2) Album of the noch mehr gewann, erreichte „The Score“ mehrfa- „Got til it’s gone“, Janet Jacksons Hit mit DJ Q- HipHop genauso zu Year, Best New Artist, chen Platin-Status. Kritiker merkten jedoch an, Tip, ein HipHop-Track? Kann man [die im Sommer finden ist wie Reggae Best Female R&B dass der Erfolg hauptsächlich auf der gekonnten 2001 tödlich verunglückte] Aalyah im weitesten und Soul. Vocal Performance, (2) Diverse Best R&B Song, Best Neu-Interpretation alter Hits beruhte und es mit Sinne zu HipHop zählen, oder nur manche Stücke, Interpretinnen - R&B Album den Songschreiber-Qualitäten der Fugees nicht weit z.B. die von Timbaland oder Missy Elliott produ- Ladies First (Warner) kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 38

> DIE JEWEILS WICHTIGSTEN VERTRETER/INNEN DER RAP/HIPHOP-STILE 38 > EVOLUTION OF HIPHOP MUSIC UND DIE JEWEILS WICHTIGSTEN FRAUEN(-GRUPPEN) DIESER STILE: 39 JAZZ-FUNK, SOUL: James Brown, Jackson 5, Booker T. & The MGs Jazz-Funk, Jamaican Soul Influences Laura Lee, Irma Thomas, Millie Jackson JAMAIKANISCHE EINFLÜSSE: Prince Buster, Duke Reid, Clement Dodd DJS, BLOCK PARTIES: Kool DJ Herc, Grandmaster Flash, Grand Wizard Theodore Block The Mercedes Ladies Parties 70ER-JAHRE RAP: Grandmaster Flash, Afrika Bambaataa, Cold Crush Brothers AFROZENTRISCHE EINFLÜSSE: The Last Poets, Gil Scott-Heron, Jayne Cortez Rap in the ERSTER RAP AUF VINYL: FatbackBand: „King Tim III“, Sugarhill Band: „Rapper’s Delight“, 70‘s Funky Four feat. Sha Rock: „Rappin And Rockin In The House“; Sylvia Robinson Afrocentric ELECTRO: Kraftwerk, Afrika Bambaataa, Herbie Hancock ZULU NATION: Afrika Bambaataa Influences OLD SCHOOL: Kurtis Blow, Grandmaster Flash, Afrika Bambaata The Real Roxanne, Roxanne Shanté First Recorded Electro EARLY WEST COAST: World Class Wreckin‘ Crew, L.A. Dream Team Rap Single CROSSOVER: Run-D.M.C., Beasty Boys, L.L. Cool J NATIVE TONGUE FAMILY: A Tribe Called Quest, De La Soul, Jungle Brothers Queen Latifah POP-RAP: MC Hammer, Vanilla Ice, Jazzy Jeff & The Fresh Prince Old School Afrocentic, Wee Papa Girl Rappers, JJ Fad Zulu Nation Rap GOLDEN AGE: Eric B. & Rakim, Boogie Down Productions, Public Enemy Salt-N-Pepa, MC Lyte, YoYo Early West JAZZ-RAP: A Tribe Called Quest, Digable Planets, Gang Starr Coast EAST COAST HARD CORE: Boogie Down Productions, Public Enemy, EPMD WEST COAST HARD CORE: Ice-T, N.W.A., Eminem The ALTERNATIVE RAP: Stetasonic, PM Dawn, Arrested Development Crossover NEW JACK: Wrecks-N-Effect, Bobby Brown, En Vogue GANGSTER RAP: N.W.A., 2Pac, Notorious B.I.G. Lil‘ Kim, Foxy Brown, Princess Superstar Native The Golden G-FUNK: Dr. Dre, Snoop Dogg, Warren G Tongue Pop Rap Age HIPHOP SOUL: Lauryn Hill, Mary J. Blige, TLC Family DANCE RAP: Missy Elliott, Puff Daddy, Busta Rhymes

East Coast West Coast Jazz Rap Hard Core Hard Core

Gangster Alternative New Jack Rap Rap

G-Funk

HipHop Soul Dance Rap

mh2 & allmusic.com

kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 40 VON NIX STUDIEREN > >KUMMT NIX UND KON- VON MARTIN KELNER

> Was hat sich Neues ereignet/was gibt es zu palästinensischem und israelischen Chören), berichten in den Feldern? dabei diverse TV- und Radioaufnahmen (Hessischer Rundfunk, Bayrischer Rundfunk, ZERTIEREN Unterricht & Universität: ORF, etc.) VON HERIBERT KOHLICH — Matthias Simoner spielt mit eigener Band in der — Gast beim 5. Internationalen Flamencofestival Wiener Stadthalle als Vorgruppe von Roxette Bratislava > Von jenseits des großen Teiches kehrte Mario An dieser Stelle möchte ich mich auch bei meinem — Martin Kromar als Studiogitarrist von DJ Ötzi- — Dozent sowie Solist beim 3. Internationalen Pecoraro aus einem 3-semestrigen Studienaufent- „Edelsubstituten“ Martin Reiter, meinem Anton aus Tirol Nummer 1 in GB, Dänemark, Gitarrenfestival in Hersbruck (Deutschland) halt in Miami zurück. Nachfolger bei „Together“, für das Einspringen in Südafrika, etc. („Hey Baby“) — Diverse TV-Auftritte (Treffpunkt Kultur, Die meisten unserer Tasteninstrumentler Popular- verschiedenen Bands bedanken. Er hat nach einem — Stefan Angerer mit Eigenkomposition und sei- Heimat, fremde Heimat, etc) musik giggen und komponieren regelmäßig, ich Studienjahr in Den Haag bereits IGP1 mit ner Band The Sheperds in Endausscheidung samt greife diesmal einige CD-Veröffentlichungen – Auszeichnung abgeschlossen, ebenso Monika TV-Auftritt bei der österreichischen Welche 3 Unterrichtswerke/Schulen für Dein ohne Anspruch auf Vollständigkeit – heraus: Dörfler, Johannes Diem hat IGP2 mit Vorausscheidung zum Eurovisionssongcontest Instrument erachtest du hinsichtlich Deiner — Monika Dörfler brachte als Debüt ihres Auszeichnung abgeschlossen. 2002 (und etlichen Folgeauftritten, z.B. beim Unterrichtstätigkeit für besonders wichtig und Quartetts „Poesis“ gleich eine Doppel-CD Internat. Folkfestival Hallein 2002, Konzerte in interessant? heraus: „Das aktuelle Projekt Der Höhepunkt des Sommersemesters 2002 mit Dubai im Oktober 2002, etc.) 1. The Brazilian Guitar/Nelson Faria „Nebensonnen“ sind eigene Kompositions- meinen Studenten war der Vortragsabend — USA-Stipendium (Miami): Chris Molisch 2. Winfield Winners (Flatpick Guitar); diverse Arrangements nach Schuberts Winterreise ... „Sphere“, ein Tribute an den Jazzkomponisten — Portugal-Stipendium (Lissabon): Dana 3. Die Flamencogitarre/Gerhard Graf-Martinez – die Verwirklichung eines Traums, die klas- Thelonious Monk, im Juni im Clara Schumann-Saal. Kocikova sischen europäischen Wurzeln mit Jazz und — Diplomarbeit mit zahlreichen Transkriptionen Welche 3 Improvisationskonzepte bzw. improvisierter Musik zu verbinden.“ Von meinen eigenen Auftritten sind mir vor allem (Veröffentlichung geplant) von Roland Stonek Improvisationswerke/Schulen für Dein — Johannes Diem wirkt auf „At Your Service“ folgende in Erinnerung geblieben: zum Thema „Die Gitarre in der Musica Popular Instrument bzw. allgemeiner Natur erachtest vom „Vienna Gospel Choir“ als Komponist, — Jazzfestival Mexikoplatz bei orkanartigen Brasileira“ du hinsichtlich Deiner Unterrichtstätigkeit für Arrangeur und Keyboarder mit: „Eine junge Stürmen mit meinem Trio (Martin Treml, b — 1.Diplomprüfung Chris Molisch besonders wichtig und interessant? Generation begabter christlicher Musiker und Walther Grossrubatscher, dr) — 2.Diplomprüfung Heiko Poss 1. The Jazz Guitar Solist/Ron Eschete und Sänger will, größtenteils mit Eigen- — Jazzfest Wien mit meinem Trio und dem — Klassenabend im Juni 2002 2. The Advancing Guitarist/Mick Goodrick kompositionen, Menschen das Evangelium amerikanischen Trompeter Ed Polcer 3. Die Harmonik des Jazz/Wolf Burbat von Jesus Christus näherbringen.“ — Jazzfestival Anif mit meinem Trio und Jim Persönliche künstlerische Tätigkeit — Valentin Oman kann man gleich auf zwei Galloway, ss — CD-Produktionen mit , Christine Dein Motto/Leitspruch als Lehrer/Pädagoge: neuen CDs hören: „Makin´ The Way“ der — Mein Geburtstagskonzert mit dem Trio und Jones, Andy Baum, Dennis Jale, Madrid de „Von nix kummt nix“ „Favorhythm Gospel Singers“ (Musikalische Ken Peplowski, cl los Austrias. Dein Motto/Leitspruch als Künstler/Musiker: Leitung, Keyboards, Chorarrangements) und — Mein Comeback als Klassiker (Duokonzert — Konzerte in Frankreich, Deutschland, Schweiz, „Keep a stiff upper lip!“ „Rise“ von Martin Koprax (Sideman). mit der Cellistin Gudula Urban; Repertoire: Liechtenstein, Slowakei, und Österreich als Solist Rekordverdächtig auch Valentins Pensum an Kodaly, Ravel, Debussy, Janacek, ...) sowie mit , Gazpacho Andaluz, Pop-Gigs: Manuel Ortega, Terra Jordan Compania Flamenca und Martin Kelner Trio Band, Original Brothers, Pekolomania und — Deutschlandtournee mit Timna Brauer (mit Monti Beton (live im ORF). kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 42

Wer war Mira behn? Madeleine Slade, geboren als Tochter eines englischen Admirals - eine starke Frau, die sich über die 43 Konventionen ihrer Zeit hinwegsetzt und sehr konse- quent ihren Weg geht. Mit unbeirrbarem Instinkt MIRA & beschließt sie, sich einer der herausragendsten Persönlichkeiten des vergangenen Jahrhunderts anzu- schließen: Mahatma Gandhi. „Du wirst meine Tocht- > er sein” - von nun an bekannt und berühmt unter dem Namen Mira behn. Ein Leben im Rampenlicht - LIZENZ Treffen mit Präsident Roosevelt, Lord Halifax, Lord Mountbatten, Prinz of Wales, Indira Gandhi, etc. sowie die Arbeit im Dienste des Friedens und der Freiheit - stehen im krassen Gegensatz zu dem einfa- chen, schwierigen Leben im Ashram von Gandhi. Gigantische Anstrengungen, das Fehlen jeglicher pri- ZUM LÖTEN vater Sphäre und zahlreiche Gefängnisaufenthalte prä- VON ALBERT KREUZER gen ihr Leben. Sie beschreibt diesen Abschnitt ihres Lebens in dem Buch „The Spirit’s Pilgrimage”. Nach > Am 15. Dezember 2001 fand im Pophaus Neue CD: Albert Kreuzer/MIRA Gandhis Tod stößt sie wieder auf das Buch, das sie zum ersten Mal ein Workshop „Elektronik für (Pepperland PEP 02024) eigentlich zu Gandhi geführt hat: „Beethoven” von Musiker” statt. Die Idee ergab sich durch zahl- Im Vertrieb bei Extraplatte und direkt unter Romain Rolland. Sie beschließt, nach Österreich zu lose Gespräche mit Studenten im Lauf der www.albertkreuzer.com übersiedeln und begibt sich auf die Spuren Jahre. Im theoretischen Teil wurden Zum Gedenken an Mira behn (1892-1982) Beethovens. Zahlreiche Manuskripte und Bücher ent- Grundlagen vermittelt: stehen. Sie befaßt sich mit umfangreicher Literatur Mitwirkende: über Beethoven, hört allabendlich Aufnahmen seiner Sicherheit Betty S., Sumitra Nanjundan - vocals Musik und erforscht das Geheimnis seines kreativen Was ist: ein Potentiometer, ein Widerstand, ein Patricia Breiteck - rap Geistes und seiner spirituellen Neigungen. Sie glaubt, Kondensator etc.? Sibylle Norden - voice in ihm eine mystische Neigung entdeckt zu haben, die Vermeidung von Brummschleifen Richard Filz - drums bei seiner Suche nach Wahrheit sowohl in östlichem Funktionsweise von Tonabnehmern Helmut Strobl - baritone sax, bass clarinet, flute Gedankengut als auch in der Philosophie zum Die Klangregelung von E-Gitarren und Bässen Andreas Schreiber - violin Ausdruck kommt. Sie pflegt intensive Briefwechsel mit Michael Hofreiter - percussion den verschiedensten Persönlichkeiten, unter anderem Nach dem Mittagessen (chinesisch) gingen wir Albert Kreuzer - bass, theremin, electronics wird sie von Lord Richard Attenborough (der Re- ans Werk: Kinderchor der Musikhauptschule Tulln gisseur des Gandhi Films) besucht - er möchte mehr über Zuerst wurden alle kaputten Kabel gelötet, die ihr Leben beim Mahatma wissen. Kurz vor ihrem Tod die Universität dankenswerterweise zur Texte von Mira behn, Kompositionen von Albert wird Mira behn mit dem zweithöchsten Orden Verfügung gestellt hatte. Dann, als Höhepunkt Kreuzer, Betty S., Sumitra Nanjundan und Ludwig Indiens ausgezeichnet. Ihre Asche wird auf Beethovens der Veranstaltung, wurde der schwarze G&L- van Beethoven. Lieblingswegen und in Indien ausgestreut. Ihre umfan- Viersaiter mit einem Klangregler ausgestattet. Die CD wurde am 21.September 2002 im greichen Manuskripte werden nie veröffentlicht. Kulturpavillon Sieghartskirchen in Anwesenheit Aufgrund der starken Nachfrage ist eine Wieder- des indischen Botschafters, zahlreicher österreichi- Das geistige Trachten, die Liebe zur Schöpfung, holung im Dezember 2002 ist geplant. Außerdem scher und indischer Gäste und ehemaliger Freunde Inspiration, die vom Schöpfer selbst kommt und die wurde auf der Homepage des Instituts für von Mira behn präsentiert. Notwendigkeit von Harmonie zwischen Menschheit, Popularmusik ein Forum mit dem Titel „Bastel- den kosmischen Gesetzen und der Natur, deren ecke” eingerichtet. Beachtung grundlegend wichtig ist für die Rettung der Menschheit und der Erde, sind nach der Ansicht von Info: www.ipop.at & www.albertkreuzer.com Mira behn die grundlegenden Wahrheiten, die sowohl Gandhi, den religiösen Politiker, als auch Beethoven, den Musiker, inspirierten.

kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 44 PFLICHT DER > >UND INTEGRALE KÜR GITARRIST FÜR BASSISTEN UND ANDERE ... GESPRÄCHE MIT ARNOLDO MORENO VON WILLI LANGER DIALOGPARTNER: LEO WITOSZYNSKYJ

> Ein kleiner Gedanke Aktuelles 2002: > Schon früh hatte Antonio Lauro, der Doyen Witoszynskyj: Du hast schon recht mit diesem Beschäftigen wir uns mit einer Baß-Stimme, so wird — Soeben waren wir mit COUNTBASIC für 2 der Gitarre in Venezuela, das außerordentliche Einwand. Besonders die Jazzmusiker können sich es unser Ziel sein, die richtigen Töne zur richtigen Wochen auf Tour. Talent Arnoldos erkannt und ihm zu einem mit dieser Regelung, die ihre Auswirkung vor allem Zeit zu spielen. Haben wir dies erreicht, was — Mit GLORIA GAYNOR hatte ich heuer Studium in Österreich, „der Wiege der Musik”, bei der Tantiemenberechnung hat, nicht anfreun- manchmal ohnedies schwierig genug ist, so ist das einige sehr nette, große Festival-Gigs geraten. Ausdrücklich empfahl er dem damals erst den. Universelle Musiker unterscheiden ja ohnehin die Erfüllung der PFLICHT. Leider hört an diesem (Spanien, Dänemark, Schweiz). Sechzehnjährigen, bei Leo Witoszynskyj an der nur zwischen guter und schlechter Musik. Sie sind Punkt die Auseinandersetzung mit dem betreffen- — Interessant war die Live-Präsentation des Musikhochschule in Graz zu studieren. Denn mit es auch, die grenzüberschreitend wirken. Sogar der den Material nur allzu oft auch schon wieder auf. neuen DZIHAN&KAMIEN „Gran der Musik seiner Heimat und ihrer benachbarten für so ernst geltende Brahms hat Walzer, die Doch genau jetzt beginnt die KÜR, die uns Raum Riserva“ (Couch Rec./Soul Seduction) im Kulturen schon bestens vertraut, würde er mit berühmten „Liebeslieder”, komponiert. Und hat er gibt, dieses Notenmaterial auf ganz individuelle Porgy & Bess/Wien, wo ich von 20 Leuten einer klassischen Ausbildung bessere Chancen auf nicht unter die Partitur des noch berühmteren Weise zum Leben zu erwecken. Nun brauchen wir auf der Bühne der einzige Österreicher war. eine professionelle Musikerlaufbahn vorfinden. Walzers „An der schönen blauen Donau” von eine gute Vorstellung davon, wie wir dieses Stück — Das erste Halbjahr über spielte ich noch Lauros Rat, nach Graz zu gehen, sollte sich für Johann Strauß in rührender Bescheidenheit die klingen lassen wollen, sowie die nötige Selbst- HAIR im Raimundtheater. Arnoldo als Glücksfall erweisen, da sich ihm dort Worte gesetzt: „Leider nicht von mir”? Hat uns kontrolle, um dies auch beurteilen zu können. — Den Sommer über war ich beim Stockerau- schon bald ein vielfältiger musikalischer Auf- nicht ein Friedrich Gulda, der diese künstlich Sound, Phrasierung, Tonlängen, Dead Notes, Festival mit dem Musical „TIME OUT“ gabenbereich eröffnete. Ganz besonders kam sei- errichteten Grenzen niemals anerkennen wollte und Tongestaltung, Slides, Dynamik, ... damit drücken (mit und Alfons Haider) ner Begabung und seinen Interessen die Möglich- sein Leben lang gegen sie zu Felde zog, mit seinem wir uns aus, und jeder sollte seinen Sinn dafür auf beschäftigt. keit entgegen, mit hervorragenden Jazzmusikern letzten - einem für sein Publikum beklemmenden - eigene Weise entwickeln. — Regelmäßig spiele ich Gigs mit der Band zusammen zu arbeiten. Konzert im Großen Saal des Wiener Musikvereins SOUL WHAT? mit dem Frontman Hubert im November 1999 einen Ausweg aus diesem Dieser Gedanke ist als Ermunterung zu sehen, sich Tubbs (ehemaliger Lead-Sänger von Moreno: Als ich nach Europa kam, war mir vie- Dilemma weisen wollen? Es mag zugegebenerma- nicht mit der Pflicht zufrieden zu geben, sondern TOWER OF POWER). les neu und manches zunächst sogar unverständ- ßen schwer sein, Qualität zu definieren. Doch soll- die Freude an der Kür zu finden. — Und zwischendurch habe ich alle möglichen lich. Inzwischen habe ich in Österreich Wurzeln te heute wenigstens der Standpunkt für überwun- Gigs und Studiojobs wie immer. geschlagen und fühle mich hier zu Hause. Aber den gelten, klassische Musik wäre gute Musik und Die PFLICHT bedeutet das Spielen von NOTEN. — Aktuelles Album: Willi Langer „THE noch immer verstehe ich nicht, nach welchen Popularmusik wäre schlechte Musik. Die KÜR bedeutet das Spielen von MUSIK. COURSE OF LIFE“ (Label: Jive Music) Kriterien U-Musik und E-Musik voneinander Ich würde es nicht erwähnen, wenn ich nicht unterschieden werden. Zur Zeit Mozarts gab es diese Auffassung erst neulich aus dem Munde eines diese Trennung noch nicht - Volksmusik fand Universitätsprofessors gehört hätte. Ich habe dar- Eingang in die Kunstmusik und Kunstlieder wur- aufhin entgegnet, dass es zweifellos auf dem Gebiet Die Kür bedeutet das Spielen von Musik. ) den volkstümlich. der Popularmusik auch schlechte Musik gäbe, lei- kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 46

der sogar viel zu viel. Den Qualitätsverlust verursa- etwas gänzlich Neues entstanden ist. Das Cuatro, und Praxis nicht als Gegensätze, sondern als einan- auf die Lernerfolge in der Schule nachweislich gün- che aber in erster Linie eine rein gewinnorientierte eine kleine viersaitige Gitarre, und die Harfe sind der stets befruchtende Gegenpole der Vermittlung stig aus. Keineswegs sollte dieser Kraftstrom dann 46 Einstellung zur Kunst, ihre Kommerzialisierung, die zusammen mit den Maracas und anderen von Wissen und Können zu verstehen. Kinder ler- in flachen Vergnügungen versanden. Die aktive 47 nur den Markt und das Verhalten der Kon- Perkussionsinstrumenten unverwechselbare Teile nen doch auch eine Sprache zunächst durch Hören Auseinandersetzung mit Musik ist eben schon für sumenten im Auge hat, auf die Quote schielt und einer Musizierkunst geworden, deren rhythmische und Imitieren. Den Vögeln scheint ihr Gesang sich wertschöpfend, die Musik allein erzieht den Qualität als solche vielleicht zulässt, aber nicht for- Vielfalt und technische Virtuosität auch für europä- schon angeboren zu sein, seine Schönheit und die Musiker gleich welchen Alters zu Freiheit und dert. Eine Korrektur dieser Entwicklung sei not- ische Ohren beeindruckend sind. Dazu kommt, Farbenpracht ihres Federnkleides sind wahre Ordnung zugleich. Man könnte diese Methode wendig. Dies könne erfolgen, indem die Qualität dass die Erfindungsgabe einfacher Menschen die Wunder der Natur, die seit jeher Bewunderung und Erziehung durch Selbsterziehung nennen. Bei mei- der Popularmusik verbessert wird. Lanner und Musik, aber auch die Sprache, mit einer unglaub- Staunen der Menschen ausgelöst und sie zum ner Tochter Patricia, die ein großes musikalisches Strauß haben gezeigt, dass es möglich ist. Und lichen Fülle von Liedern bereichert hat. Diese Nachmachen angeregt haben: Kuckuck, Nachtigall, Talent hat und schon sehr ernsthaft ihr Violin- haben uns nicht ein Jahrhundert später die Beatles Volksmusikanten haben ihr Wissen und Können Lerche, Wachtel u.a. haben Daquin, Beethoven, studium betreibt, kann ich es am intensivsten erle- oder Piazzolla bewiesen, dass Popularmusik nicht in Schulen, sondern durch aurales Tradieren Saint-Saens, Respighi bis Messiaen zu unsterblichen ben, wie sich eine Knospe langsam öffnet und zur Qualität haben kann? Vielleicht ist es sogar zutref- von einer Generation zur anderen erworben. Meisterwerken angeregt. In einer urbanen Blüte heranreift. Als Vater bemühe ich mich, ihr die fender, darauf hinzuweisen, dass qualitätsvolle U- Häufig können sie gar nicht Noten lesen und sind Gesellschaft haben wir leider viel zu selten nötige Wärme, Liebe und Vertrauen zu schenken, Musik populär geworden ist. doch erstklassige Musiker, die intuitiv mit ihren Gelegenheit, dem Gesang der Vögel zu lauschen. Geduld und Zeit zum Gespräch. Wir tauschen Früher waren es kunstverständige Mäzene, die wachen Sinnen komplizierte Rhythmen erfassen Umso tiefer habe ich es damals erlebt, als ich in Erfahrungen aus und lernen voneinander. Patricia aus Liebe, ja Leidenschaft zur Kunst Opfer erbrach- und die passenden Harmonien zur Melodie finden. Malaysia zum ersten Mal den klagenden Ruf der spielt auch sehr gut Klavier, improvisiert und spielt ten und Künstlern halfen. Im 20. Jahrhundert hat- Sie haben ein angeborenes Ausdrucksbedürfnis und Mourning Myra vernahm. Auf den dreimaligen eine Samba ebenso gern und authentisch wie einen ten Politiker erkannt, wie sie mit Hilfe der Kunst eine natürliche Bewegungsfreude, beim Singen und Seufzer im Halbtonschritt folgt eine chromatische Klassiker. Eva, die wesentlich jünger ist, braucht und der Medien die Bevölkerung beeinflussen kön- Spielen auf den Instrumenten machen sie vitale Skala über eine Oktav. noch etwas Zeit. Sie hat aber jetzt schon erkennbar nen. Hitler und Stalin zwangen geradezu die Kunst, Musik, die auf ihre Zuhörer ansteckend wirkt. Mit dem Singen werden Sprache und Musik viel Talent, und ich hoffe, dass sie sich von ihrer sich nach dem Geschmack der Massen zu richten. Als ich nach Österreich kam, lernte ich auch ganzheitlich tradiert. Leider ist in den hochindustri- Schwester mit ihrer Begeisterung anstecken lässt. Weder der Markt noch die Politik können demnach einen anderen Zugang zur Musik kennen. alisierten Ländern eine Entwicklung zu beobachten, als Garanten der Qualität der Kunst angesehen Zunächst hatte ich Schwierigkeiten, die kognitive die den Menschen immer seltener Gelegenheit bie- werden. Hier liegt die große Verantwortung vor Seite der Musikerziehung für mich zu nutzen. tet, sich als schöpferischer, musizierender Mensch Ich bin in einem Land aufge- allem bei den Künstlern selbst, den Schulen, an Dabei hat mir dann die Einsicht geholfen, dass ich zu erleben. Karaokestudios, CDs minus one oder denen Kunst gelehrt wird, und an jenen Menschen, bei meinem Studium der deutschen Sprache ohne Keyboards mit eingespeicherten Harmonien und wachsen, in dem Musik ein Teil die Kunst vermitteln - Veranstalter und Medien. Grammatik und Orthographie an Grenzen stoße. Rhythmen versuchen, in meist aufgeblähter der Alltagskultur ist. Aber auch der Konsument kann und soll durch sein Einmal spielte ich dir einen Walzer von Lauro Dynamik auf dieses menschliche Grundbedürfnis ( Verhalten Einfluss nehmen. Darum wäre es gerade vor. In dem darauffolgenden Gespräch stellte sich einzugehen. in Österreich, einem Land, in dem die Kunst wie heraus, dass du und ich diese Musik mit ganz unter- Werden hier nicht bloß Illusionen erzeugt? Witoszynskyj: Da bin ich zuversichtlich! Die Liebe kaum in einem anderen eine Identität stiftende schiedlichen Hörerfahrungen spielen. In meinen Wartet hier nicht eine immer wichtiger werdende zur Musik verdanken ja die beiden Mädchen vor Rolle spielt, von allergrößter Bedeutung, Musik- Ohren klingt eben diese impulsive Art mit, wie die Aufgabe auf die Musikpädagogik, nämlich den allem ihren Eltern. Patricia scheint sogar schon früh und Kunsterziehung als Teil der Allgemeinbildung Volksmusikanten ihre Instrumente spielen, wäh- Menschen zu helfen, sich im aktiven Musizieren auf dem Weg zur integralen Musikerin zu sein. Da zu verstehen. Friedrich Korcak, vormals Rektor der rend dir jene Durchsichtigkeit und Eleganz, mit der selbst zu erfahren? wäre es doch interessant zu erfahren, wie du dich auf Kunstuniversität Graz, hat diese Aufgabe als eine hierzulande Chopin oder Strauß gespielt werden, diesem Weg vom Erkennen zum Handeln entwickel Gratwanderung zwischen zwei Erfordernissen dar- wichtig sind. Vermutlich hatte Lauro dasselbe im Moreno: In meiner pädagogischen Arbeit an hast und ein integraler Gitarrist geworden bist. gestellt: dem Tradieren eines Kulturerbes der Sinn wie Bartók, auf den du mich damals hinge- Musikschulen in Venezuela und Österreich, am Menschheit und dem Eingehen auf jene aktuellen wiesen hast, nämlich ein Volkslied so zu bearbeiten, Bundesoberstufenrealgymnasium in Kindberg und Moreno: Ein für mich ganz wichtiges Erlebnis war Entwicklungen, die der Jugend wichtig erscheinen. wie man einen Edelstein mit einer geschmackvollen am Institut für Musikpädagogik der Kunst- die Aufführung der "Picnic Suite" von Claude Fassung versieht, die ihn trägt und dabei seiner universität Wien habe ich viel Einblick in die musi- Bolling bei den Internationalen Kulturtagen 1984 Moreno: Ich bin in einem Land aufgewachsen, in Schönheit zusätzlichen Glanz verleiht. Dieses kalischen Bedürfnisse Jugendlicher bekommen und in Neuberg an der Mürz. Zwei "Klassiker" - der dem Musik ein Teil der Alltagskultur ist. Die Argument mit der Goldschmiedekunst hat mich versuche, auf ihre Interessen einzugehen und der Flötist Gottfried Hechtl und du - spielten mit drei Volksmusik Venezuelas schöpft aus mehreren letztlich davon überzeugt, dass ich auch die andere Entwicklung ihrer Talente Richtung zu geben. "Jazzlern" - Hans Zinkl, piano, Wayne Darling, Quellen: dem indianischen Erbe, den Einflüssen aus Seite kennen lernen muss. Kinder sind von ihrem Wesen her sehr offen, aber bass, und Michael Gottwald, drums. Das war wie Europa - besonders aus Spanien - und den afrikani- auch sehr kritisch, für gute Musik durchaus das Pfingstwunder, als alle in verschiedenen schen Traditionen. In manchen Teilen des Landes Witoszynskyj: Wenn man beim Erlernen der ansprechbar und letztlich dankbar. Wenn es einem Sprachen redeten und einander doch verstanden. Se hat eine so starke Vermischung und gegenseitige Metasprache Musik die Erfahrungen einfließen gelingt, ihre Begeisterung zu wecken, dann ist diese puede - es geht! Durchdringung dieser drei Kulturen stattgefunden, lässt, die man mit anderen Sprachen gemacht hat, eine Quelle der Energie, die ihr Leben sehr positiv Das ist mein Weg, ihn werde ich gehen soweit ich dass im Verlauf von einem halben Jahrtausend findet man zweifellos leichter einen Weg, Theorie beeinflussen kann. Das wirkt sich letztendlich sogar kann, habe ich mir damals vorgenommen. Der kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 48

Jazzpianist Harry Neuwirth hat mir dabei sehr das gleiche Schicksal wie die künstlichen Sprachen Moreno: Wie du schon von Timothy Walker, der mei- einem solchen Schluss gelangen. Die Zuordnung zu geholfen. Als Theatermusiker habe ich mir mein Volapük oder Esperanto erleiden: was gut gemeint nen Auftritt in der Simon Bolívar Hall in London sen- den Volksinstrumenten wird nicht jener Dimension 48 Studium finanzieren müssen und dabei mit so her- ist, muss noch lange nicht gut sein. Das Sampeln sationell genannt hat, gehört hast, soll ich mit meiner der Tiefe gerecht, welche die sechssaitige Spanische 49 vorragenden Musikern wie ihm zusammen arbeiten europäischer Sprachen hat diese ebenso wenig Masterclass an der Royal Academy of Music dem Gitarre im Verlauf von Jahrhunderten erworben können. Er hat mein Fingerstyle-Spiel ohne weite- ersetzen können, wie das Sampeln musikalischer klassischen Gitarrestudium neue Perspektiven eröff- hat. Man hat nur unzulässigerweise die Spanische res akzeptiert. Das ist keineswegs eine Selbst- Meisterwerke neue schafft. Es sind lediglich nen. Dabei denke ich an einen Ausspruch Goethes, mit der siebensaitigen Russischen Gitarre, einem verständlichkeit, denn auch unter Jazzmusikern künstliche Sprachen ohne Herz und Seele, wonach die Universitäten sowohl Tiefe als auch echten Volksinstrument, gleichgestellt. In Venezuela gibt es Fundamentalisten, ähnlich wie in der Machwerke eben. Die Euphorie, eine Weltsprache Breite haben sollen, wollen sie der Gefahr entgehen, läuft übrigens zur Zeit eine Debatte über den Status Klassik, die Entgrenzungen fürchten. gefunden zu haben, die alle beherrschen, scheint zu elfenbeinernen Türmen zu erstarren. Für die Tiefe des Cuatro. Zu Beginn waren doch fast alle Es war sicher auch eine glückliche Fügung des verflogen zu sein. Der zentrifugalen Kraft eines bürgt die Klassik, für die Breite die Popularmusik. In Musikinstrumente einfache Volksinstrumente, aber Schicksals, dass zur gleichen Zeit Wolfgang schwärmerischen, unkritischen Internationalismus einem anderen Bild lassen sich die zwei zeitlichen es fiele niemandem ein, sie deswegen auf diesem Muthspiel bei dir und dem Jazzgitarristen Harry wirkt eine nicht minder starke zentripetale Kraft Dimensionen des Musiklebens in einem Koor- Status zu belassen. Waren nicht auch unsere Pepl studierte. Mit seinem Bach-Spiel hat er damals des Bodenständigen entgegen, die das Gesichtsfeld dinatensystem darstellen. In der Horizontalen liegen Urahnen Jäger und Sammler? Hier wäre jedoch nicht weniger Furore gemacht als mit seiner E- einengt. Die Menschen wollen aber offensichtlich demnach in einem Neben- oder auch Miteinander die schon die Frage zu stellen, ob sich unsere urbane Gitarre und setzt auch heute diese beiden nicht nur ihre eigene Identität durch die Musik verschiedenen Musikrichtungen und -stile unserer Gesellschaft nicht vielleicht allzu sehr ihren Spieltechniken, Fingerstyle und Plektrum, je nach erleben, sie suchen auch das Abenteuer neuer, Zeit. Die Vertikale symbolisiert die Entwicklung der Wurzeln entfremdet hat und daher an musikalischen Erfordernissen, sehr bewusst ein. In fremder Kulturen. Ist dies nicht ein überaus posi- Musik in ihrem historischen Ablauf. Diese zeitliche Zivilisationskrankheiten leidet. Dies ist leider nur diesem künstlerischen Klima in Graz konnte ich tives Zeichen? Dimension wird nach dem heutigen Stand des allzu evident. Die Kunst reagiert wie ein meinen Neigungen folgen und an meinen Talenten Wissens der Musikethnologie nicht immer richtig Seismograph auf solche Entwicklungen und lässt arbeiten. Es gibt doch kaum ein universelleres Moreno: Aus der Begegnung unterschiedlicher wiedergegeben. Erst dieser Tage ist im Wochen- die Menschen wie in einen Spiegel schauen. Sie Instrument als die Gitarre, die in der Volksmusik, Kulturen sind stets neue erwachsen, weil sie einan- magazin "profil" ein Beitrag unter dem Titel "Im stellt aber nicht nur die Diagnose, die Kunst kann in Jazz, Blues, Rock, Funk, Rap, Tango, Samba, der befruchten. So ist es in Venezuela geschehen Anfang war Schwarzafrika" erschienen. Sein Tenor auch zum Heilungsprozess beitragen. Jean Jacques Bossa Nova, Salsa, Ron, Reggae - Popularmusik im und gerade Österreich ist ein besonders anschauli- lautet: Schwarzafrika hat via Amerika die Musik der Rousseau hat es mit dem Rat versucht "Zurück zur weitesten Sinne - und in der Klassik gleichermaßen ches Beispiel dafür, wie sehr hier die Kulturen der Welt revolutioniert. Die wissenschaftliche Redlichkeit Natur". Auch ich will mit meiner künstlerischen beheimatet ist. Nachbarvölker schöpferische Prozesse ausgelöst erfordert es ebenso wie der künstlerische und pädagogischen Arbeit beitragen, dass haben. Mozart ist eine beglückende Synthese von Gestaltungswille, dass dieser musikalische Schatz Musikstudierende, unter denen nicht wenige an Italianità und deutschem Tiefsinn gelungen. Warum auch in Europa gehoben wird *). einer Entfremdung von den Wurzeln laborieren, Es gibt doch kaum ein sollten nicht Blues und Wienerlied zu etwas Neuem Meine Aufgabe in Venezuela ist gänzlich anders diese überwinden können, und will Brücken zwi- universelleres Instrument zusammenfinden? Dieses Anliegen Roland gelagert. Sie wird zunächst darin bestehen, am schen den verschiedenen Stilen und Kulturen Neuwirths entspringt einem künstlerischen Wollen Aufbau eines elementaren Musikerziehungssystems bauen. Meine Beziehung zur Popmusik ist eine sehr als die Gitarre ... und nicht dem Kalkül eines marktorientierten mitzuwirken. Hier soll die Musik- und Bewe- vitale, ich will sie veredeln, keinesfalls trivialisieren. ) Fusionfreaks. Auch das Publikum scheint ihm recht gungserziehung, wie sie in Wien gelehrt wird, eine Ich verstehe mich als ein Gärtner, der einem zu geben. Fusion oder Crossover sollten nicht ver- wichtige Rolle spielen. Gleichzeitig werde ich aber Wildling ein Edelreis aufpfropft. Auch hierin war Witoszynskyj: Diese Chance sollte auch von der ordnet werden, sondern aus der liebevollen und auch als Berater bei der Einrichtung eines universitä- mir Antonio Lauro ein Vorbild. Musikpädagogik genützt werden. Es kann doch von gegenseitiger Achtung voreinander getragenen ren Lehrganges für Musikpädagogik tätig werden. nicht ihre Aufgabe sein, die schon bestehende, Begegnung einfach passieren. Sensible Menschen *) Christof Spörk, Im Anfang war Afrika, profil 18 (Wien 2001) 164 ff. unüberbrückbar scheinende Kluft zwischen E- registrieren sehr wohl unterschiedliche Absichten. Witoszynskyj: Du hast noch nicht deine Einladung Vorabdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages und U-Musik, der Klassik und dem Pop, noch zu Sie reagieren dann mit höflichem Interesse, ja ech- an die Musikakademie in L'viv, dem früheren Copyright by Ludwig Doblinger (Bernhard Herzmansky) KG, vertiefen. Das scheinen jetzt auch mehr und mehr ter Neugier oder auf folgende Art - von Goethe in Lemberg, erwähnt. Während weltweit die Gitarre Wien – München die Komponisten zu erkennen. Innovationsdruck seinem Torquato Tasso so treffend in Worte gefasst: den Abteilungen für Saitenistrumente zugeordnet Das Buch von Leo Witoszynskyj „Über die Kunst des Gitarrespiels“ und fehlendes handwerkliches Können sind keine "So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt". wurde, gehört sie in den Ländern der früheren ist voraussichtlich im Frühjahr 2003 im Handel erhältlich. guten Voraussetzungen, unter denen sich ein Ein unsensibles Publikum allerdings ist nur allzu Sowjetunion zur Abteilung für Volksinstrumente. (Bestell-Nr. 09 692) Talent entfalten könnte. Wenn die Kreativität sich leicht manipulierbar. Ich habe in L'viv angeregt, die Gitarre zu den dann in Materialverliebtheit und intellektuellen Saiteninstrumenten zu transferieren, und der Spielereien erschöpft und die Versuchung zu groß Witoszynskyj: Arnoldo, auf dich warten in der Akademische Senat hat auch schon einen einschlä- wird, den schier unendlich scheinenden Kom- nächsten Zeit überaus interessante künstlerische gigen Beschluss gefasst. Läuft das nicht deinen binationsreichtum des Computers als nie versie- Aufgaben. Aber auch mit deinen pädagogischen Absichten geradezu zuwider? gende Quelle neuer Einfälle an die Stelle von Erfolgen und Zielsetzungen kannst du von Wien Inspiration und persönlicher musikalischer aus in Venezuela, Barcelona und London wichtige Moreno: Nein, überhaupt nicht. Nur wenn man Sprache zu setzen, dann wird diese Musik wohl Impulse geben. Was wird von dir erwartet? meine Absichten missverstehen will, kann man zu

kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 50 „SCHÖN IST SHUT UP > >DIE WELT...“ AND PLAY VON WOLFGANG PEIDELSTEIN VON HERBERT PICHLER

> Vorhang auf: Die Jukebox gibt die Ouverture meintlichen Happy-End ein, bei dem sich alle > Unterricht: zum „Weissen Rössl am Wolfgangsee“, während Paare, also Josefa & Leopold, Otti & Dr. Siedler Der Versuch, für jede(n) Studen(tin)(ten) einen vom Kronleuchter am Bühnenhimmel die ausge- sowie Klärchen & Sigismund („was kann denn der individuellen Zugang zum aktiven, kreativen stopften Tauben auf den heimatlichen Boden des dafür, dass er so schön ist?...“) zur Verehelichung Musizieren zu finden, ist in jeder Sekunde ein Salzkammergutes scheißen. In den Vitrinen und an einfinden. Abenteuer, bei dem man nicht weiss, wie es endet, den Wänden der Wirtsstube befindet sich ein Der alte Herr (und mit ihm der Radetzkymarsch) wobei in allen Situationen das Hören der Schlüssel Sortiment an Mannerschnitten, Mozartkugeln, kommt, knallt die Taube vom Luster, ballert wie zum Weiterkommen ist. Käsekrainern (mal ganz ehrlich: worauf haben sie wild ins Publikum und vergeht sich noch an der nach einem 3-wöchigen Auslandsaufenthalt eigent- Wirtin, ehe er mit den Worten „es war sehr schön, Um dem Zerreden entgegen zu wirken, möchte ich lich Lust bei ihrer Rückkehr nach Österreich?), ein es hat mich sehr gefreut“ einen Abgang macht... meinen Unterricht frei nach Willi Langer unter das paar Kuckucksuhren, ein Bild vom Kaiser (Klestil Was meine Arbeit mit dem Ensemble des Motto „Shut up and play“ stellen, wohlwissend, auf der Rückseite, später ersichtlich). Theater Phönix als musikalischer Leiter dieser dass noch immer zu viel gesprochen und viel zu Auftreten der Oberkellner Leopold, sein Produktion betrifft, kann ich mich diesen Worten wenig gehört wird. Piccolo, Josefa Vogelhuber, die Rösslwirtin. „Es nur anschliessen. muss was Wunderbares sein von dir geliebt zu wer- Aktuelle Aktivitäten: den...“. Leopold schreit sich seine Sehnsucht aus „Im Weissen Rössl am Wolfgangsee“ - November 2000 bis Jänner 2001 Musikalische Leitung der Theaterproduktion im Theater Phönix/Linz — der Brust und reisst sich schliesslich die Kleidung „Hair“ im Raimundtheater von derselben. Ein wahnwitzig grosses Tattoo wird — CD für Lenneke Willemsen sichtbar: Pepi! — Kompositionen für das Boesze Doch das Subjekt seiner Begierde hat nur Augen Salonorchester für den Stammgast Dr. Siedler, der wenig später auf — Musikalische Leitung und Arrangements bei einem Steckenpferd anreitet („tritt ein und vergiss der R. Fendrich-Show „Saitensprung“ im deine Sorgen...“) seinerseits aber total auf Ottilie Ronacher: CD, DVD und TV-Ausstrahlung abfährt („die ganze Welt ist himmelblau...“), wel- der Show im November 2002, Vorbereitung che wiederum ihrerseits im Laufe der Inszenierung für eine Tourversion im Frühjahr 2003 etwa zehn Kleidergrößen zunimmt (ob der — CD-Aufnahmen für das Musical „Wake up“ Entleerung der Vitrinen, s.o.). Josefa bemerkt den versuchten Fremdgang und Uni und Studenten: versucht, den Geliebten durch Zurufen von — Walter Chmela gewinnt Tullnerfelder Kaiserschmarrenrezepten auf sich aufmerksam zu Kulturpreis mit seiner CD. machen, während sie sich Tonnen von Staubzucker — Martin Gasselsberger spielt mit „Out of in den Ausschnitt pudert. Hilft nichts. Sie besäuft Blue“ die neueste CD ein und hat im sich und über- und ergibt sich in Anwesenheit Sommer seine erste eigene CD aufgenom- Poldis („zuaschaun kaunn I net...“) ihrer men. Unglückseligkeit. Schliesslich läutet das Eintreffen — Die TEA & LUNCHTIME-Leiste soll im des Kaisers das Ende dieser Begebenheiten zum ver- Herbst wieder aktiviert werden. kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 52

Hintergrundfolie des jeweiligen Durchsetzungs- musikgeschichte als Chronologie der Stars wird so potentials der Musikindustrie geschrieben. Dem kre- zur Besichtigung von Eisbergspitzen – faszinierend ativen Subjekt, das sich im Bereich der Popmusik zwar, aber sichtbar wird eben nur ein ziemlich 53 WIDERSTAND betätigt, wird durchaus eine anerkennenswerte krea- geringer Teil der – als Ganzes ohnehin nie erfassba- tive Kompetenz, vielleicht sogar die Fähigkeit ren – Realität. Innovationsimpulse durchzusetzen, zuerkannt, aller- dings mit vorprogrammiertem Scheitern: die letz- Etwas mehr wird vielleicht sichtbar bei der kriti- tendliche Vereinnahmung durch die Musikindustrie schen Geschichtsschreibung, bei der musikindu- UND ANPASSUNG 2 > ist unausweichlich. Kritische Popmusikgeschichte striell bedingte Niedergangsgeschichten von erzählt also Verfallsgeschichten: vom kreativen, ja zunächst innovatorischen, widerständigen Stilen revolutionären Impuls und vom darauf folgenden – betrieben wird. Hier wird neben der Bezugnahme durch die kommerzielle Ausbeutung bedingten - auf soziale und politische Hintergründe der (1) Ich verstehe unter Popmusik jene IN DER Niedergang des Rock’n’Roll, der Beat-Musik, der Entwicklung auch sehr bald die Geschichte und Ausprägung der Rock-Musik, der Punk-Musik, usw. ökonomische Dimension der Musikindustrie syste- Popularmusik, die matisch berücksichtigt.3 Für die breitere Fange- sich in der zweiten Hälfte des 20. Trotz der ideologischen Gegensätze dieser beiden meinde sind diese Analysen weniger attraktiv, eher Jahrhunderts in den GESCHICHTE Positionen, vor allem in bezug auf die Einschätzung für wissenschaftlich orientierte Klientel. westlichen Industrie- der Macht der Musikindustrie, gibt es eine offen- nationen entwickelte und deren wesent- sichtliche Übereinstimmung, nämlich in Bezug auf Aber immerhin ist in Folge des Auftretens der kri- lichste Verbreitungs- das „kreative Subjekt“. Beidemale wird die tischen Popmusikgeschichte mittlerweile auch bei medien Schallplatte Geschichte vom Künstler erzählt, der sich durch- „affirmativen“ Geschichtsdarstellungen eine und Radio waren (und DER POPMUSIK weitgehend sind). setzt, und zwar mit der Musikindustrie oder gegen Bezugnahme auf den soziokulturellen Hinter- (2) Eine andere sie. Was später passiert, sind dann – in der affirma- grund, sind einige eingesprenkelte soziologische Variante besteht FRAGMENTE ZUR PRODUKTION VON POPMUSIK tiven Leseart – persönliche Krisen (künstlerischer Verweise (die Entdeckung der Jugend als darin, das kreative Niedergang infolge von Alkohol, Scheidung etc., Konsumenten beim Rock’n’Roll, die Jugend- Subjekt von vornher- ein zu entmündigen, VON ALFRED SMUDITS eventuelle Comebacks etc.) oder „Reifungs- revolte um 1968, subkulturelle Bewegungen bei insofern, als Kreati- prozesse“ (vom genialen Rebellen zum allseits der Rockmusik, Arbeitslosigkeit und Punk) selbst- vität und Kulturindus- > Zwei Geschichten – eine Ideologie Zeit eben für genau diesen Star reif gewesen sei beliebten Entertainer), in der kritischen Lesart vor- verständlich geworden. Zu feiern gilt es ja auch trie nicht zusammen- denkbar sind, und Der folgende Text ist Wie bei jeder Geschichtsschreibung sind auch bei und dass der Star dies genau erkannt hätte (was hersehbare Niedergänge bewirkt durch die musik- das Talent, „die Zeichen der Zeit zu erkennen“ also jemand, der/die der in der veröffent- Darstellungen zur Entwicklung der Popmusik1 wiederum seinem herausragenden Talent zuzu- industriellen Kräfte („kommerziell immer erfolgrei- und diese dann auch genial in entsprechende pop- sich über die Kultur- lichten Form stark bestimmte Leitgedanken häufig zu finden. Einer schreiben sei). Die „grossen Interpreten“ werden cher, künstlerisch immer uninteressanter“, oder musikalische Botschaften umzusetzen. Und die industrie kreativ ent- gekürzte Einleitungs- dieser Leitgedanken besteht darin, dass einzelne als innovativ im Sinne von stilprägend, als symp- „kommerziell zu wenig erfolgreich, daher von der Musikindustrie bzw. einige prominente Vertreter falten will, von vorn- teil eines Artikels, der herein zu diskreditie- unter dem Titel "Re- herausragende Interpret/inn/en, seltener Kompo- tomatisch für eine neu angebrochene Epoche ver- Musikindustrie fallengelassen“ u.ä.). derselben werden auch schon in affirmativen ren ist. Aus dieser bellische Popmusik? nist/inn/en für Entwicklungsschübe verantwortlich standen. Mit Elvis Presley begann der Geschichtsdarstellungen erwähnt.4 Sicht entstehen aller- Eigensinn und sind, dass also Popmusikgeschichte die Abfolge von Rock’n’Roll, mit den Beatles die Beat-Ära, mit Das affirmative Künstler- und vor allem inter- dings keine Dar- Affirmation bei der stellungen zur Pop- Produktion von Star-Biographien ist. Ein anderer immer wiederkeh- Jimi Hendrix die „Rock-Musik“, mit den Sex pretenorientierte Verständnis von Musik-Ge- In diesem Zusammenhang der Berücksichtigung musikgeschichte, Popmusik" in der render Leitgedanke ist die Erzählung von der Pistols der Punk usw. usf. Insofern als hier das schichte ist natürlich insofern durchsetzungsfähig, der Musikindustrie kann natürlich schon der sondern Pamphlete Festschrift für Heinz Musikindustrie, die sich jedwede kreative Leistung Durchsetzungsvermögen des genialen Indivi- weil es komplexitätsreduzierend wirkt und damit Form halber eine durchaus auch existierende gegen die Popkultur. Steinert soeben er- (3) schon bei Gillett, schienen ist: Brüchert, aneignet, diese standardisiert, kommerzialisiert und duums im Vordergrund steht, ist diese Dar- leichte Orientierung im Dschungel der Entwick- Variante der Popmusikgeschichtsschreibung nicht aber zentral bei Oliver/Resch, damit ästhetisch verharmlost und kulturell banali- stellungsweise affirmativ und konservativ: wahre lungslinien populärer Musik anbietet. Pop- unerwähnt bleiben, nämlich die Selbst- Chapple,Garofalo Christine (Hg.) siert. Die beiden Leitgedanken scheinen auf den Talente sind erfolgreich, die Geschichte ist die darstellungen der Musikindustrie. Dass es sich (4) auffällig besonders Zwischen Herrschaft ersten Blick unterschiedliche Ideologien zu reprä- Erzählung über die wahren Talente und damit die dabei weitestgehend um das Erzählen von Erfolgs- dann, wenn ein Label und Befreiung. mit einem Genre Kulturelle, politische sentieren: Legitimation der herrschenden Geschichte als ein- Der Leitgedanke storys handelt ist klar, dass andererseits die von gleichgesetzt wird, und wissenschaftli- zig mögliche Geschichte. der Industrie veröffentlichten Daten und Fakten z.B. der Motown – che Strategien. Der Leitgedanke „Star-Geschichte“ ist offensicht- „Star-Geschichte“ vielfach die einzig verfügbaren sind, ist aber auch Sound oder Prog- Münster: Rock-Labels der 5 Westfälisches lich dem Geniekonzept verbunden, hier wird von Der Leitgedanke der „vereinnahmenden Musik- ist offensichtlich zur Kenntnis zu nehmen. 1970er Jahre wie Dampfboot 2002. Das polit-ökonomischen Rahmenbedingungen weitge- industrie“ ist offensichtlich der kritischen Theorie Chrysalis, Island oder Fallbeispiel Presley hend abstrahiert, das kreative Subjekt setzt sich verbunden, hier stehen die polit-ökonomischen dem Geniekonzept Auffällig ist jedenfalls, wie zögernd die Aus- Virgin. habe ich aus Ak- (5) diverse Publika- tualitätsgründen (25. auf grund seines herausragenden Talents durch, Rahmenbedingungen im Zentrum der Überlegun- verbunden… einandersetzung mit den inneren Strukturen der tionen der IFPI, zur Todestag) angehängt. bestenfalls wird noch darauf hingewiesen, dass die gen, bzw. Popmusikgeschichte wird vor der )Musikindustrie auch von seiten der kritischen Kritik siehe Harker kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 54

Lesart in Angriff genommen wurde.1 Ein wesent- oder George Martin schon gewürdigt als sie noch Kreative schnell bankrott geht, und dass die davon, einen vielleicht brauchbaren Sänger zu ent- licher Grund mag darin zu sehen sein, dass solche mitten in ihren besten Arbeitsjahren waren. Aber erst Kreativen in Zeiten der Muskindustrie ohne diese decken, nachdem ihm Presley aufgefallen war, als 54 Analysen notwendigerweise eine differenzierter seit den 1980er Jahren dürfte durch die technologi- Industrie kaum von ihrer Musik (über)leben könn- dieser auf eigene Kosten eine Schallplatte bei 55 Auseinandersetzung mit der Musikindustrie erfor- sche Entwicklung vorangetrieben, der Blick auf die ten. Die Dialektik von Herr und Knecht schimmert Phillips aufgenommen hatte – als Geschenk für dern als die blosse polit-ökonomische Kritik tradi- kreativen Eigenleistungen der Produktion zur hier unverkennbar durch. seine Mutter. Presley kannte alle Stile – von Tin Pan tionellen Zuschnitts. Schon die seit etwa den Selbstverständlichkeit geworden sein. Alley über Country zu Blues, beherrschte sie auch 1970er Jahren2 andauernde und noch lange nicht Was abgeht, ist eine systematische Aufarbeitung In diesen beiden Varianten von Geschichts- recht und schlecht, hatte allerdings keinen eigenen erledigte Diskussion, wie denn das Verhältnis zwi- des Verhältnisses zwischen den Produktionsbedin- schreibung hat der Produzent keinen wirklich guten Stil bzw. keine Vorstellung davon, wohin er inter- schen den grossen Tonträgerunternehmungen, den gungen von Popmusik und der Entwicklung der Platz. Hier handelt es sich weitgehend um eine kre- pretatorisch wollte.1 Sam Phillips war auf der Suche Majors und den unabhängigen Kleinlabels, den Popmusik. Ich meine, dass ein wesentlicher Grund ative Tätigkeit, die unmittelbar aus der musikindu- nach einem Weißen, der singen konnte und auch Independents zu bewerten sei, zeigt deutlich die dafür darin zu suchen ist, dass die ideologischen striellen Produktion erwachsen ist, zu der es also wollte wie ein Schwarzer – damit glaubte Phillps Probleme der kritischen Sichtweise bei einem durch Barrieren zwischen kritischer und affirmativer Sicht kein Pendent in einer vorindustriellen Musik- viel Geld machen zu können. Und aus Presleys und durch industrialisierten Phänomen wie der bislang noch immer gross genug sind, um eine erns- landschaft gibt. Der Produzent stellt somit – davon Stimme – und insbesondere dann bei „That’s all- Popmusik auf. Ob die Independents nämlich als thafte Aufarbeitung der Entwicklung der musikin- will ich einmal ausgehen – die originärste right“ – hatte er dieses „schwarze“ Potential her- 4 (1) Dass ein solches Innovatoren und damit auf der Seite authentischer, dustriellen Produktion zu verhindern. Schnittstelle zwischen künstlerischer Ambition und ausgehört. Wie aus der weiteren Geschichte Bemühen für die originärer Kreativität stehend einzuschätzen seien, musikindustrieller Produktion dar. bekannt, hatte Phillips Recht gehabt – es bestand affirmative Geschichts- oder ob sie sich nicht eigentlich auch nur am kom- Herrschaft und Eigensinn Der Produzent repräsentiert die Macht der Bedarf nach einem Weissen mit schwarzer Stimme, schreibung weitge- merziellen Erfolg orientierten, ob zwischen Majors Geschichtsschreibungen dienen der Legitimation Industrie ebenso wie den Eigensinn des Künstlers. und Presley hatte diese Stimme. Dazu kommt – und hend uninteressant ist, liegt auf der und Independents eine natürliche Gegnerschaft von Ideologien. Die affirmative Variante der Ihn zum Genie im traditionellen Sinn zu stilisieren ob Phillips sich dessen bewusst war, wissen wir Hand: die hier han- oder ob nicht eher eine symbiotische Beziehung Musikgeschichte legitimiert die Legende vom auto- geht schwer, weil sein Naheverhältnis zur Industrie nicht – dass Presley nicht nur seine Stimme, son- delnden Personen bestünde, ist bis dato noch umstritten. nomen Subjekt, und beruhigt alle dahingehend, dass und damit seine Abhängigkeit von technischen und dern seinen ganzen Körper in einer Art und Weise sind meistens unbe- kannt, uncharisma- sich das Gute, Wahre und Schöne durchgesetzt hat, ökonomischen Faktoren kaum wegzuleugnen ist, einzusetzen verstand, die für das weiße Publikum tisch und (daher) Der Produzent weil es sich immer durchsetzt. Und sie legitimiert die ihn als blossen Handlanger der Industrie zu denun- der mittleren 1950er Jahre nichts anderes als auch für die Seit der Herausbildung einer ernsthafteren Legende von der guten, hilfreichen Musikindustrie, zieren, ist ebensowenig möglich, weil sein kreativer „dirty“ waren und weiters, dass Presley jung war. Zielgruppe der an dieser Art von Ge- Beschäftigung mit Popmusik, also etwa seit den die das ihre dazu beiträgt, dass sich die wahrhaft Beitrag am Endprodukt nicht ignoriert werden Das war damals keine Selbstverständllichkeit im 3 schichtsschreibung 1970er Jahren , ist nur vereinzelt (Peterson) und Talentierten durchsetzen können, um dann mög- kann. Deshalb ist er im Star/Industrie-Schema der Pop-Business – im Gegenteil, Presley sprach somit interessierten - mei- erst seit kurzer Zeit eine ernsthafte und sytemati- lichst vielen Menschen mit ihrer Musik Freude Affirmativen, wie auch im traditionellen Freund/ stens handelt es sich schere Beschäftigung mit den Produktions- bereiten zu können. Die kritische Variante legiti- Feindschema der kritischen Sichtweise nicht einzu- um Fans – nicht Der Produzent stellt somit besonders attraktiv. bedingungen innerhalb der Musikindustrie zu kon- miert dieselbe Legende vom autonomen Subjekt, ordnen. Die traditionellen Trennungen werden hier (2) vgl Gillett 1970, statieren (Negus etc.). Dabei geht es um die syste- aber sie lehrt uns, dass es trotz allem Sinn macht plötzlich brüchig und widersprüchlich. Anhand eini- die originärste Schnittstelle Peterson 1976, matische Darstellung des Produktionsprozesses, um Eigensinn zu entwickeln, widerständig zu sein, auch ger Beispiele will ich im Folgenden versuchen, diese Chappell, Garofalo zwischen künstlerischer 1974 zu Negus 1996, die Beschreibung und Analyse organisatorischer wenn das Scheitern unter Bedingungen wie diejeni- Widersprüche und Brüche genauer zu markieren. Burnett 1996 Strukturen innerhalb des Unternehmens, um die gen, die da eben sind, beinahe unausweichlich ist. Ambition und musikindus- (3) Nick Cohn, Greil Identifikation der Personen, die im musikindustriel- In beiden Varianten sind die Rollen, was Der Fall Elvis Presley: (auch) der Sound machte Marcus, Gillett trieller Produktion dar. (4) Andererseits bin len Unternehmen im Spannungsfeld von kaufmän- Herrschaft und Eigensinn betrifft klar verteilt. Die Elvis zum King ich davon überzeugt, nischen, technischen und künstlerischen Aspekten Industrie besitzt die Mittel, autonomen Subjekten Wie lange sich Elvis Presley im Jahr 1954 im Studio( dass demnächst ein handeln müssen. Letztlich und immer wieder geht massenwirksame Entfaltung ihrer Kreativität zu von Sam Phillips mit zwei anderen Musikern an durch seine Erscheinungsbild und sein Auftreten, (1) Eine der kolpor- Boom von produk- es natürlich darum, das Verhältnis von Musik- ermöglichen – und das ist eine sehr mächtige verschiedensten Liedern und Stilen versuchte bis durch seinen Habitus eine neu entstehende mächti- tierten Aussagen tionsorientierten industrie und Kreativität genauer abzuklären, Position, das ist Herrschaft. In der affirmativen Phillips, der zufällig gerade im Nebenraum war, aus ge Zielgruppe unmittelbar an, nämlich die Presleys dazu lautet, Geschichtsschreibun dass er wie Dean gen der Popmusik Chancen und Grenzen der Entfaltung von künstle- Variante handelt es sich natürlich um eine positive einem eher spielerisch improvisierten „That’s all- Jugendlichen. Soviel zur Eigenleistung Presleys. Martin singen wolle. entstehen werden, rischem Eigensinn mit den Strukturen der Musik- Form von Herrschaft (Mittel werden zur Verfügung right my mama“ den zukünftigen Erfolgssound Seine Widerständigkeit, sein rebellisches Potential (2) Hier wäre natür- nicht zuletzt weil die industrie abzuklären. Dabei lässt sich neben dem gestellt), in der kritischen um eine negative Form heraushörte, ins Studio stürzte und das Stück gleich war also mehr im ausser- als im innermusikalischen lich eine Ausein- nachwachsende andersetzung mit der Generation von Fans, Artist&Repertoire Management und der Mar- von Herrschaft (Kreativität wird um des Profit nochmal hören wollte, ist unklar. Aber es ist auch Bereich gegeben, denn in bezug auf die Musik kann Fragwürdigkeit der Kritikern und ketingabteilung als ein wesentlicher Faktor die willens ausgebeutet). Die Künstler dagegen sind ohne Belang, ob es einige Stunden, einige Tage oder bei Presley kaum von besonderer Innovation Kategorie „Rock’n’ Experten mit dem unmittelbare Musikproduktion identifizieren. widerständig, eigensinnig – sie müssen sich gegen gar ein halbes Jahr brauchte, bis der Funke gezün- gesprochen werden. Western Swing, diverse Roll“ als eigenständi- Widerspruch unbe- ger Musikstil ange- fangener umgehen anfängliche Widerstände durchsetzen, werden dann det hatte, festzuhalten ist: Sam Phillips, der das Variationen des Rhythm’n’Blues (z.B. Jump Blues), bracht (Kuhnke, und ein Interesse Verweise auf die Bedeutung des „Produzenten“ fin- aber entweder mit ihren neuen Ideen triumphale kleine Plattenlabel „Sun-Records“ betrieb und sich aber auch extrovertiertere Sänger der Kategorie Tin MillerSchulze 1999), daran haben, die den sich natürlich schon in den ersten Soziologien der Erfolge feiern oder aber ausgebrannt von der da auch als Produzent betätigte, hatte Presley ein- Pan Alley wie etwa Johnny Ray hatten bereits ähn- allerdings ist das eine Entwicklung der Popmusik (Frith, Wicke, Garofalo), und natürlich Industrie fallen gelassen. Beidemale ist auch klar, geladen mit zwei routinierten Musikern aus dem liche stilistische Elemente aufzuweisen wie der andere Geschichte Produktion genauer als die, um die es kennenzulernen. wurden die Produzentenpersönlichkeiten Phil Spector dass die noch so mächtige Musikindustrie ohne Western-Swingbereich zu proben. Er versprach sich Rock’n’Roll Presleys (der ja zunächst auch als hier geht. kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 56

Rhythm’n’Blues bezeichnet wurde)2. Stücke verschiedensten Genres zuordenbar, nur Was war also neu an der Musik Presleys? Zunächst wenige hatten – entgegen seinem Image – noch mit > 56 einmal der Sound, der sich durch einen äusserst dem, was als Rock’n’Roll bezeichnet wird, zu tun. offensiven Einsatz von Hall-Effekten auszeichnete. Spätestens ab Beginn der 1960er Jahre wurde er Sam Phillips hatte dies beinahe zum Markenzeichen zum alle Genres beherrschenden Entertainer. Er seiner Produktionen gemacht, er nutzte die neue nahm zahllose erfolgreiche Schallplatten auf, spiel- WIE KREATIV technische Möglichkeit des Tonbandmittschnitts für te in über 20 Filmen die Hauptrolle, wurde zur diese Zwecke intensiv aus. Dann die Instru- lebenden Legende als „King“ des Rock’n’Roll. mentierung, auch diese von Phillips bewusst so Keines der Produkte nach 1960 findet allerdings gewollt: eine kleine Besetzung1, bei der die Stimme jene musikhistorische Beachtung, wie seine im Vordergrund steht. Die üblichen Bläser (beim Aufnahmen aus den Sun-Records-Tagen und den IST DIE Rhythm’n’Blues) oder Fiddeln (bei Country and ersten Aufnahmen bei RCA, die sich noch stark an Western) fehlten. Im Zentrum auch der schnellen, den Sun-Records-Sound orientierten (z.B. Heart- fürs Tanzen gemachten Stücke – wie z.B. „That’s all- break Hotel, Hound Dog oder Jailhouse Rock). right“ – stand die Stimme des Interpreten, der einen Song tatsächlich (theatralisch) interpretierte und Rekapitulieren wir: der Produzent und Kleinunter- MUSIK- nicht nur eine Melodie sang. nehmer kreiert einen innovativen Sound zusammen mit einem jungen Sänger mit rebellischem Habitus, Vor dem Hintergrund dieser Tatsachen scheint es der Sänger geht zu einem Major (weil er ohnehin nicht weit hergeholt, zu behaupten, dass Presley immer nur reich und berühmt werden wollte) und bloss zur richtigen Zeit am richtigen Ort – nämlich ist sehr bald Teil des herrschenden Systems der im Studio von Sam Phillips – war. Ja, es ist durch- grossen Unterhaltungsindustrie. Der Kleinunter- INDUSTRIE? aus plausibel, dass ein anderer Presleys Rolle spie- nehmer bleibt bei seinen Leisten und entdeckt noch len hätte können, wäre dieser andere zur rechten einige andere Talente. Ganz offensichtlich ist hier VON PETER TSCHMUCK Zeit am rechten Ort gewesen. Der Habitus Presleys der grössere Anteil Eigensinn beim Produzenten zu lag ja ganz offensichtlich „in der Luft“ (vgl. den finden als beim vorgeblich rebellischen Star. Der > 1. Einleitung ähnlichen Habitus von Marlon Brando oder von Produzent will (und muss) natürlich auch Geld ver- Die Vertreter der Musikindustrie sehen ihre Die Musikindustrie wird auch James Dean, die beide vor Presley bekannt wur- dienen, ihm geht es aber ebenso ums Entdecken, um Unternehmen in einer Selbstbeschreibung als als typisches Beispiel der „Crea- den)2, es musste nur der Soundtrack dazu erfunden die Durchsetzung einer ganz bestimmten Vorstellung Beschützer und Förderer der Musiker und und ein adäquater Repräsentant gefunden werden. von Sound, die er für erfolgsträchtig hält. Komponisten und deren Kreativität. Die Musik- tive Industries“ angesehen. Der Soundtrack aber ist eine Kreation von Sam Prototypisch wird hier schon eine der industrie wird daher auch als typisches Beispiel der ( Phillips – Produzent und Kleinunternehmer. Geschichten durchgespielt, die das Verhältnis von „Creative Industries“ angesehen. Versteht man Wechselwirkungen zwischen Kreativität und Bezeichnenderweise „verkaufte“ Phillips recht Majors und Independents kennzeichnet: der „klei- unter Industrie alle jene Unternehmen (Orga- Innovation modelliert und abschließend anhand einer bald Elvis Presley an den Major „RCA-Victor“ ne“, aber meist enthusiastische Labelbesitzer oder nisationen), deren Leistungserstellungsprozess auf deskriptiv-empirischen Diskussion der historischen bzw. an den Manager Tom „Colonel“ Parker. Der Produzent entdeckt einen Künstler, leistet Ent- die gleiche Technologie hin ausgerichtet sind, so Strukturbrüche in der Musikindustrie überprüft. Grund dafür war einfach: Für den Kleinunter- wicklungsarbeit, manchmal bis an die Grenze der kann die gegenwärtige Musikindustrie durch die nehmer Phillips war der zum Superstar heranwach- ökonomischen Möglichkeiten gehend, und dann, Produktion, Vermarktung und Distribution von 2. Das Konzept der Neuheit in der ökonomischen sende Presley organisatorisch und wirtschaftlich wenn sich der erste Erfolg einstellt, kauft das Tonträgern definiert werden, sodass von der Theorie (1) Hier ist es nahe- liegend, davon auszu- zunehmend nicht mehr bewältigbar. Der „große“ Major-Unternehmen den werdenden Star Tonträgerindustrie gesprochen werden kann. Wenn in der ökonomischen Theorie von Neuheit gehen, dass Phillips Kleinunternehmer hätte völlig andere betriebliche und verdient sehr viel Geld ohne vorher Es wird nun in der Folge die Frage beantwortet, die Rede ist, dann wird sie mit dem Konzept der aus der Not, nicht so Strukturen aufbauen müssen, wäre aber vermutlich Risikokapital investiert zu haben. ob und in welchem Ausmaß die Tonträgerindustrie Innovation gleichgesetzt (vgl. Cloake 1997; über viele Studiomusiker bezahlen zu können, in einer Wachstumskrise erstickt und hätte als Kreativität fördert und welche Wechselwirkungen künstlerische Innovation siehe: Castañer und eine Tugend machte. Pleitier Presley dann ohnehin verloren. So sanierte es zwischen dem Kreativitätspotential und der Campos 2002). In der mittlerweile unüberschauba- (2) Presleys Phillips sein ohnehin schon gefährdetes Unter- Innovationsfähigkeit der Tonträgerindustrie gibt. ren Innovationsliteratur wird dabei das Haupt- Durchbruch erfolgte nehmen und machte sich daran, weitere Rock’n’ Um diese Fragen beantworten zu können, wird augenmerk vor allem auf die technologische (1) Nur wenige Anfang 1956, „The Beiträge befassen 1 Wild One“ mit Marlon Roll- und Country-Stars zu entdecken. (u.a. Carl zuerst einmal nach einer kritischen Diskussion des Innovation gelegt. Dabei wird zwischen der Entwick- sich auch mit künst- Brando war 1954, Perkins, Jerry Lee Lewis, Johnny Cash, Charlie Konzepts der Neuheit, wie es in der ökonomischen lung neuer Konsumgüter und Dienstleistungen lerischer Innovation, „Rebel without a Rich). Theorie entwickelt wurde, ein Kreativitätskonzept (Produktinnovationen) einerseits und neuen Ma- wie z.B. jene von Cause“ mit James Heilbrun und Gray Dean war 1955 in den Presley hingegen wurde schnell zum Pop-Star, aus psychologischen und soziologischen Erkenn- schinen und Arbeitsprozessen (Prozessinnova- (1991, 1993) und Kinos. d.h. sehr bald waren die von ihm interpretierten tnissen abgeleitet. Anschließend werden die tionen) andererseits unterschieden. Mansfield Caves (2000). kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 58

(1968) unterscheidet zusätzlich zwischen radikalen Prozess entfaltet. Trotz der Berücksichtigung von kleinere Minorität ist befähigt, die neuen Kom- unwahrscheinliches Ergebnis interner Entschei- und inkrementalen Innovationen, um den Neu- Umweltfaktoren bei der Entfaltung von Kreativität, binationen durchzusetzen. Es handelt sich also um dungsprozesse. Geänderte Umweltbedingungen füh- 58 heitsgrad einer Innovation genauer bestimmen zu wird sie dennoch in der psychologischen Kreativi- eine Art Avantgarde, die angetrieben durch die ren daher nicht unmittelbar zu innovativer Tätigkeit 59 können. Es macht nämlich einen gravierenden Un- tätsforschung fast ausschließlich als mentaler „Freunde am schöpferischen Gestalten“ (Schum- in einer Organisation. Mit zunehmender Organi- terschied, ob nur ein paar Teile eines Produkts oder Prozess betrachtet, der in der kreativen Person peter 1912: 141) das Bestehende gegen alle sationsgröße und –komplexität werden die Ent- ein paar Arbeitsschritte eines Prozesses verändert abläuft und sich in einem kreativen Produkt mani- Widerstände zerstört, um das Neue an dessen Stelle scheidungsprozesse stärker an routinisierten werden oder ob ein vollkommen neues Design oder festiert. Wird hingegen das Soziale oder das Kul- zu setzen. Gäbe es diese „kreativen Zerstörer“ Handlungen orientiert sein. Das liegt einerseits an neue Arbeitsprozesse entwickelt werden. turelle zum konstituierenden Faktor des Kreativen, nicht, dann würde das gesamte wirtschaftliche und dem größeren Repertoire von Handlungsmustern, dann verlassen wir das Feld traditioneller Kreativi- soziale Leben sich in einem immer wiederkehren- die einer großen Organisation zur Verfügung stehen, Trotz der ausführlichen Beschäftigung mit techno- tätsmodelle und gelangen zu mehr oder minder den Kreislauf selbst reproduzieren. Die Han- andererseits verfügt eine große bürokratisierte logischer Innovation, hat sich die ökonomische systemischen Kreativitätsansätzen. dlungen liefen dann nach bestimmten Routinen ab, Organisation auch über einen größeren „organiza- Theorie bislang kaum mit Kreativität auseinander- Diese gehen davon aus, dass eine Person immer nur die man als ‘statische’ Prozesse bezeichnen könnte. tional slack“, dessen Abbau den Innovations- gesetzt. Ein Grund könnte darin liegen, dass die in bezug auf herrschende Umstände kreativ sein Ein solches System könnte sich nur durch gewaltsa- zeitpunkt hinauszögert. Kreativität ausschließlich dem Erfinder zugeordnet kann. „We cannot study creativity by isolating indi- me Eingriffe von außen verändern. wird, und die Kommerzialisierung der Erfindung viduals and their works from the social and histori- Nelson und Winter (1982) übertrugen dieses beha- dem Unternehmer, der gleichzeitig, im Schum- cal milieu in which their actions carried out.“ Routinen werden in der verhaltenswissenschaft- vioristische Verhaltensmodell von Organisationen peterianischen Sinn als Innovator angesehen wird. (Csikszentmihalyi 1988: 325). Kreativität entsteht lichen Organisationstheorie als“(...) forms, rules, auf das Verhalten ganzer Industrien. Diese ent- So kommt es, dass die ökonomische Theorie zwar daher nicht im Kopf des kreativen Individuums procedures, conventions, strategies, and technolo- wickeln sich ihrer Meinung nach entlang von in der Lage ist, die Kommerzialisierung neuer bzw. schlägt sich nicht im kreativen Objekt nieder, gies around which organizations are constructed „natürlichen Trajektorien“ (Entwicklungspfade), Produkte und Prozesse zu erklären aber nicht den sondern entsteht in der Interaktion zwischen dem and through which they operate“ (Levitt und die in einem technologischen Regime verankert kreativen Akt des Erfindens. Lediglich in älteren individuellem Denken und einem sozio-kulturellen March, 1999: 76) definiert. Organisationen verfü- sind. Dosi (1982, 1984, 1988a, 1988b) spricht in Arbeiten über Inventionen (z.B. Usher 1962) finden Kontext (Csikszentmihalyi 1988, 1995, 1999). Um gen über ein umfassendes, routinisiertes Han- Anlehnung an Kuhn (1962) von einem technologi- sich auch Erklärungsansätze für Kreativität. Kreativität verstehen zu können, muss sie vor dem dlungsrepertoire, das situativ eingesetzt werden schen Paradigma. Ein technologisches Paradigma Hintergrund kollektiven Handelns gedacht werden. kann, um Probleme zu lösen. March und Simon kann ein Artefakt wie auch ein Bündel von Es bedarf daher des Blicks über den ökonomischen Das kollektive Handeln kann als Bewegung ver- (1958) unterscheiden Handlungsprogramme, die in Handlungsheuristiken sein, die als eine Art Gartenzaun, um das Phänomen der Kreativität auch standen werden, in deren Verlauf, die Motive und einem bestehenden Repertoire an Handlungen ent- Gebrauchsanweisung, wie ich handeln soll, inter- in seiner ökonomischen Dimension zu erfassen. Eine Identitäten, auf die sich das Handeln bezieht, erst halten sind (programmierte Handlungen) und sol- pretiert werden müssen. Der technologische Möglichkeit besteht darin, ökonomische und gebildet werden (Joas 1996). che, die bislang nicht Teil des Handlungsrepertoires Wandel vollzieht sich demnach nicht zufällig und psychologische Erkenntnisse zusammenzuführen. waren (unprogrammierte Handlungen). Letztere sprunghaft, sondern im Rahmen eines technologi- Frey (1997, 2000) entwickelt zum besseren Kreatives Handeln möchte ich daher als kollektiven bezeichnen sie als Initiationen (‚initations’) oder als schen Paradigmas. Sahal (1985) spricht in diesem Verständnis von kreativen Prozessen eine Crowding- Prozess verstanden wissen, der auf eine vorstruktu- Innovationen (‚innovations’), die nicht einfach Zusammenhang von „technological guide posts”, out Theorie, wonach es zu einem Crowding-out rierte soziale und kulturelle Realität trifft. Das Neue durch die Anwendung vorprogrammierter Ände- die als Basisartefakte (z.B. Tonträger) aufgefasst intrinsischer durch extrinsische Motivation kom- kann demnach nur vor dem sozialen und kulturellen rungsvorschriften hervorgebracht werden können. werden können, deren Charakteristika ständig men, wenn letztere als Kontrolle oder Zwangsmittel Hintergrund erkannt werden. Dieser lässt sich aber Innovation besteht demnach in der Änderung der weiter entwickelt wurden (Edison-Walze – Schell- empfunden wird. In solchen Situationen wird die nur durch das Handeln und nicht allein durch men- Routinen. Innovation kann zufällig bei Auftreten lack-Platte – Vinyl-Platte – Musikkassette – CD Entfaltung der Kreativität eingeschränkt (Amabile tale Prozesse erfahren. Das kollektive Handeln wird von Anomalien ausgelöst werden oder dann, wenn etc.). Die Entwicklung und Verbesserung dieser 1982, 1983). somit selbst konstitutiv für das Kreative. ein Anspruchsniveau mit herkömmlichen Pro- Basisartefakte erfordert zusätzlich die Entwicklung grammen nicht mehr erreicht werden kann und sich adäquater Kompetenzen und Handlungsregeln 3. Die Beziehung zwischen Kreativität und Unzufriedenheit einstellt. bzw. –muster. Rosenberg (1976) betont vor allem Es bedarf daher des Blicks über (1) Der Begriff „orga- Innovation sogenannte „focusing devices”, worunter er typi- nizational slack“ ist den ökonomischen Gartenzaun, Caves (2000: 202) bringt die Beziehung zwischen Bevor aber unprogrammierte Handlungen aufgrund sche Probleme und Lösungsmöglichkeiten defi- nur sehr schwer ins Kreativität und Innovation auf den Punkt, wenn er von Problemen initiiert werden, mit anderen Worten niert, die den Suchprozess in eine bestimmte Deutsche übertrag- um das Phänomen der Kreati- bar. Er beschreibt Innovation als „the visible tip of the iceberg of eve- Innovation stattfindet, wird die Organisation zuerst Richtung lenken. Das bedeutet: “a technological ineffiziente Struk- vität auch in seiner ökonomi- ryday creativity“ bezeichnet. Die Innovation ist das einmal den „organizational slack“1 (Cyert und paradigm involves a specific technology of techni- turen, die während Ergebnis jener kreativen Handlungen, die Schum- March 1963) auflösen und wenn das nicht zum Ziel cal change” (Dosi 1988: 1128). Im Sinn von Dosi einer wirtschaftlichen schen Dimension zu erfassen. Boomphase aufge- peter (1912: 158) als das Durchsetzen neuer Kom- führt das Anspruchsniveau senken. Nur im Fall, (1982, 1988), ist daher der technische Fortschritt baut werden. Man binationen vorhandener wirtschaftlicher Möglich- dass die Senkung des Anspruchsniveaus als unbe- nichts anderes als ein technologischer Trade-off, könnte daher vom ) „Wohlstandsspeck“ Als kreativ kann daher nicht nur eine Person, ein keiten bezeichnet. Nach Schumpeters Ansicht sind friedigend empfunden wird, wird die Pro- der als „technologische Trajektorie” (Entwick- sprechen, der in Produkt oder ein Prozess bezeichnet werden, son- aber nur sehr wenige Menschen in der Lage, die blemlösung in der Entwicklung neuer Handlungs- lungspfad) beschrieben werden kann. Dieses evo- Krisenzeiten abge- dern auch ein Umfeld, in dem sich der kreative neuen Kombinationen zu erkennen und eine noch programme münden. Innovation ist daher ein sehr lutionäre Konzept von Innovation beschäftigt sich baut wird. kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 60

aber ausschließlich mit der technologischen desto größer sind die Chancen unvorhergesehener revolutionären Wandel vollziehen, wenn es ihnen Betreibern des neuen Mediums zu kooperieren, Innovation und vernachlässigt ästhetische oder stili- Verknüpfungen und Innovationen, was die gelingt, organisatorische Strukturen für sich zu nut- wurde der Konkurrenzkampf aufgenommen. Die 60 stische Innovationen. Sie erkennt daher auch nicht die Anpassungsfähigkeit an eine sich verändernde zen bzw. einflussreiche soziale und ökonomische Haltung der Verantwortlichen in der phonographi- 61 entscheidende Rolle, die Kreativität im Innovations- Umwelt vergrößert. Unterstützungsstrukturen aufzubauen. Letztendlich schen Industrie lässt sich am eindrucksvollsten am prozess spielt. Gerade aber in Bereichen, in denen muss es ihnen gelingen, das revolutionär Neue selbst Beispiel des legendären Victor-Gründers Eldridge Kreativität zum Wirtschaftsfaktor wird, wie das in Wie auch immer die kreativen Trajektorien ausge- wieder zur Konvention zu machen, indem ein neues Johnson demonstrieren. Noch im Jahr 1924 glaubte den sogenannten „Creative Industries“ der Fall ist, staltet sind; das radikal Neue entsteht nicht inner- kulturelles Paradigma mit neuen kreativen er nicht daran, dass das Radio ein Ernst zu neh- kann Innovation ohne eine Kreativitätskonzept nicht halb geltender kultureller Paradigmen, sondern ist Trajektorien etabliert wird. mendes Substitut für den Phonographen sein könn- zufriedenstellend erklärt werden. das Ergebnis eines revolutionären Wandels, der te. Ganz im Gegenteil, er untersagte ausdrücklich Die Konzepte des technologischen Paradigmas auch als kultureller Paradigmenwechsel bezeichnet 4. Kreativität und Innovation in der Musikindustrie die Herstellung von Radioempfangsgeräten im und der technologischen Trajektorien greifen daher werden kann. Dieser zerstört das routinisierte Victor-Stammwerk in Camden, New Jersey. zu kurz und müssen erweitert werden. Neben tech- Zusammenspiel der Akteure und die soziale und 4.1. Phonograph versus Radio nischen Artefakten müssen auch andere kulturelle ökonomische Organisation einer Industrie, und In der Musikindustrie haben seit ihrer Heraus- Der Grund für diese Ignoranz war aber keineswegs und insbesondere ästhetische Artefakte und damit wird durch den revolutionären Wandel attackiert bildung um 1900 zwei Mal kulturelle Paradig- Dummheit oder Überheblichkeit der Verantwort- die verbundenen Heuristiken berücksichtigt werden. und herausgefordert. Die bislang geltenden menwechsel stattgefunden, die als Strukturbruch lichen, sondern ist in der Selbstdefinition der Dann kann von einem kulturellen Paradigma Konventionen und Routinen werden kritisch hinter- sichtbar geworden sind. Der erste Bruch, der die Musikindustrie als phonographische Industrie zu gesprochen werden, dass innerhalb einer Industrie fragt und es wird mit ihnen gebrochen. Industrie nachträglich erschüttert hat, geht mit der suchen. In erster Linie definierten sich die Musik- gilt. Nicht nur die sogenannten „Creative Indu- Innovation, die das Radio mit sich gebracht hat ein- konzerne als Erzeuger von Musikmöbel, für die der stries“ weisen ein spezifisches kulturelles Paradigma Dieser Wandel kann aber nur außerhalb einer her, und ist auf die Phase zwischen 1920 und 1930 Tonträger lediglich eine Zugabe war. Die ganzen auf, sondern auch Konsumgüter- und Kapital- Industrie entstehen, weil es sonst keinen Grund anzusetzen. Der US-Tonträgermarkt schrumpfte Produktion- und Supportstrukturen waren daher güterindustrien. So spielt in der Autoindustrie neben gäbe, das kreative Paradigma zu hinterfragen. Da zwischen 1921 und 1925 um ganze 45%, um nach auf den Phonographen ausgerichtet, in denen das technischen Errungenschaften sicherlich auch das dieser Wandel die bestehenden sozialen und ökono- einer kurzen Erholung zwischen 1926 und 1929, in Kapital gebunden war. Sie bildeten das Kernstück Außen– und Innendesign eine wesentliche Rolle in mischen Strukturen, die bisher Sicherheit gewähr- der Weltwirtschaftskrise regelrecht atomisiert zu des kreativen Pfades, an dem entlang sich die der Entwicklung dieser Industrie. leistet haben, auflöst, entsteht Unsicherheit und werden. 1933 betrug der Umsatz am US-Markt nur Musikindustrie seit 1900 entwickelt hatte. daraus resultiert Existenzangst, die sich in einer mehr 6% vom Umsatz des Jahres 1921. Die bis Ein spezifisches kulturelles Paradigma einer Abwehrreaktion und Aggression gegen die Heraus- dahin mächtigen Konzerne, Columbia und Victor Industrie weist nun eine oder mehrere kreative forderung niederschlägt. Die Vertreter des „alten“ Talking Machine, die den US-Markt beherrschten, In der Musikindustrie haben Traketorien auf, an denen entlang sich die Krea- Paradigmas werden daher nicht sofort das neue gerieten in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Colum- tivität entwickelt und Innovationen hervorbringt. Paradigma akzeptieren. Wenn eine solche radikale bia musste 1923 Konkurs anmelden und die Victor seit ihrer Herausbildung Innovationen entspringen dabei Handlungsvari- Innovation außerhalb des traditionellen Paradig- Talking Machine wurde 1928 nach Jahren des wirt- um 1900 zwei Mal kulturelle ationen, die als solche gar nicht wahrgenommen mas auftaucht, wird sie anfänglich ignoriert wer- schaftlichen Niedergangs vom Radionetzwerk RCA werden müssen. Das führt zu kleinen Abwei- den. Wenn sie dann aufgrund ihrer Wirkungen (Radio Cooperation of America) übernommen und Paradigmenwechsel chungen, die über eine längere Zeit hinweg die kre- nicht mehr ignoriert werden kann, wird ihre als Subsparte im Medienkonglomerat eingegliedert. stattgefunden… ativen Grundlagen einer Industrie verändern kön- Auswirkung auf die Geschäftstätigkeit des Unter- Die Weltwirtschaftskrise kann allerdings für die nen. Auf diese Weise werden technische, rechtliche, nehmens heruntergespielt werden. Ist auch das Rezession in der Musikindustrie, allein schon wegen( soziale und ästhetische Konventionen weiter ent- nicht mehr möglich, dann wird die Innovation mit der Tatsache, dass der Markt bereits zwischen 1921 Das Radio hingegen war als Technologie außerhalb wickelt und allmählich verändert, ohne dass es die allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft und 1925 drastisch eingebrochen war, nicht allein des kulturellen Paradigmas der Musikindustrie ent- Betroffenen bemerken. Ein solcher Wandel, der erst werden. Erst wenn diese Strategie nicht zum verantwortlich gemacht werden. Zudem expandier- wickelt worden. Rund um das Artefakt Radio bilde- im nachhinein als Differenz rekonstruiert wird, gewünschten Ergebnis führt, wird die Innovation ten die Radionetzwerke in den USA auch nach dem ten sich völlig anders geartete kreative Pfade aus, die äußert sich in inkrementalen Innovationen, die im und das damit zusammenhängende kulturelle Schwarzen Freitag im Oktober 1929 weiter. mit Heuristiken verbunden waren, die der phono- Handlungsprozess oder nachträglich mit dem Paradigma akzeptiert. Da dieses Verhaltensmuster graphischen Industrie fremd waren. So lehnten im Prädikat „kreativ“ belegt werden. sehr defensiv ausgerichtet ist, wird Energie vergeu- Der Grund für den Zusammenbruch der phonogra- Frühjahr 1924 die Victor-Verantwortlichen das det, und es vergeht sehr viel wertvolle Zeit, in der phischen Industrie in den USA war vielmehr, dass ihnen von Bell-Ingenieuren elektrische Aufnahme- Solange sich die Kreativität innerhalb der geltenden man sich mit den neuen Gegebenheiten hätte beschäf- die beiden Marktführer (Columbia und Victor) auf verfahren mit der Begründung ab, dass dieses zu Trajektorien entfaltet, ist sie mehr oder weniger tigen können, wodurch sich Konkurrenten, die das das Radio zuerst mit Ignoranz und später mit stark an die Radio-Technik erinnere. konventionell bzw. inkremental. Wie groß die neue Paradigma tragen, einen Wettbewerbsvorteil Verärgerung reagierten. Statt die wichtige Promo- Abweichungen von den geltenden Konventionen erlangen können, der nicht mehr einholbar ist. tion-Funktion des Radios für den Plattenabsatz zu Das neue Paradigma setzte sich letztendlich gegen- sein dürfen, hängt von der Diversität innerhalb der sehen und diese zu nutzen, sah man in den Konzern- über dem alten Paradigma durch. Das äußerte sich Trajektorien ab. Je mehr Vielfalt durch die paradig- Eine Gruppe von Neuerern (kreative Avantgarde) zentralen in den Radiogeräten eine gefährliche darin, dass die Radiostationen die finanzmaroden matischen Rahmenbedingungen zugelassen wird, kann aber nur dann erfolgreich und nachhaltig den Konkurrenz zum Phonographen. Statt mit den Phonographenerzeuger aufkauften und ihren Kon- kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 62

zernstrukturen unterordneten. Das bedeutete zwar Merchandising-Material zur Verfügung. Unabhän- „rebellischen“ Musik so rasch an, dass die Majors auf das Tonträgergeschäft. Für das Jahr 2001 nicht das Ende des Tonträgers, aber dessen gige Plattenlabel hatten kaum eine Chance direkt ins Hintertreffen gerieten. Die lokalen Radio- berichtet die Tonträgerindustrie auf ihren größten 62 Unterordnung unter den neuen kreativen Pfaden an die Einzelhändler zu vertreiben und mussten sich stationen boten den Plattenlabeln eine Plattform, Märkten Umsatzeinbrüche (auf US$-Basis) von 63 der Radiokultur. daher der Distributionsstrukturen der Majors ihre Produkte der meist jugendlichen Öffentlichkeit 9,6% (Kanada), 9,4% (Japan), 9,2% (Deutsch- bedienen. Auf diese Weise konnten die Majors kon- vorzustellen, wodurch einerseits die Plattenumsätze land), 8,6% (Italien) und 4,5% (USA). Dieser 4.2. Die Revolution des Rock ’n’ Rolls in den trollieren, was in den Distributionskanal gelangen stiegen und andererseits die Radiostationen zu Umsatzeinbruch am weltweiten Tonträgermarkt 1950er Jahren sollte. höheren Werbeeinnahmen kamen. Diese Werbe- könnte ein erstes Indiz für einen Strukturbruch in Der zweite Bruch in der Geschichte der Musik- einnahmen gingen den Rundfunknetzwerken verlo- der Musikindustrie sein. Dieser Strukturbruch wird industrie hat mit der ästhetischen Revolution des Mitte der 1950er Jahre haben die US-Majors die ren, die ohnedies durch die aufkommende Kon- dann eintreten, wenn sich ein neues kulturelles Rock ’n’ Rolls zu tun, und lässt sich auf die Zeit Kontrolle über die Wertschöpfungskette in der kurrenz der TV-Stationen zu leiden hatten. Paradigma etabliert, das die Grundlagen des alten zwischen 1948 und 1958 datieren. Im Gegensatz Musikindustrie verloren. Die Gründe dafür waren Zwischen 1948 und 1952 verzeichneten die US- Paradigmas herausfordert. Das bislang in der zum ersten Bruch, der durch eine technologische die Entwicklung der praktisch unzerbrechlichen Radio-Networks einen Einkommensrückgang von Tonträgerindustrie geltende Paradigma beruhte auf Innovation zurückzuführen ist, war der Auslöser, Vinyl-Platte, die das aufwendige Distributionsnetz 38% (Peterson und Berger, 1975: 165). drei Säulen: der zum zweiten Strukturbruch führte, eine ästheti- der Majors überflüssig machte, der Einsatz des 1. die Kontrolle der Verwertungsrechte sche Innovation. Magnetophons bei der Musikproduktion, wo- Das Beispiel zeigt sehr eindrucksvoll, wie eine an der Musik durch diese praktisch in der Garage mögliche war ästhetische Innovation in Verbindung mit sozialen, 2. die Marketing-Macht Diese ästhetische Revolution, die der Rock ’n’ Roll und der Wandel des Rundfunkmarkts und die rechtlichen und technologischen Entwicklungen, 3. die Kontrolle der Distributionsstrukturen auslöste, ist gut dokumentiert (z.B. Gillet 1971, Vergabe neuer Sendelizenzen an unabhängige eine solche zerstörerische Kraft bekommt, dass Chapple und Garofalo 1977, Garofalo 1997, Radiostationen durch die Federal Communi- unverwundbar scheinende Konzerne in kürzester Die Kontrolle der Verwertungsrechte Gronow und Saunio 1999) und braucht nicht wei- cations Commission (FCC) (Peterson, 1990: 101). Zeit in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, an der Musik ter erläutert zu werden. Sie führte dazu, dass die Die Folge war, dass in den städtischen Ballungs- weil sich die Industriestrukturen auf ein neues kul- Im Grund genommen, kommt das Copyright dem- Dominanz der Majors (RCA, CBS, DECCA, zentren eine Vielzahl von unterkapitalisierten turelles Paradigma hin ausgerichtet haben. Dieses jenigen zu, der das musikalische Werk schafft. Um Capitol) zwischen 1948 und 1958 schwand und der Radiostationen gegründet wurden, die aufgrund bestand von nun an in der Vorherrschaft des es aber kommerziell verwerten zu können, über- C4-Anteil1 in den US-Hitlisten von 89% im Jahr des fehlenden Eigenkapitals gezwungen waren, mit Tonträgers als Speichermedium von Musik, das auf trägt er das Verwertungsrecht auf einen Musik- 1949 auf 34% im Jahr 1959 sank (Peterson und geringstem Aufwand ein Programm auszustrahlen. einem Massenmarkt für ein vor allem jugendliches verlag. Entscheidet nun der Verlag, das Werk nicht Berger 1975: 160). In der Folge waren statt der 11 Das kostengünstigste Programm bestand haupt- Publikum angeboten wird. Dabei werden Support- zu veröffentlichen, so verliert es seinen ökonomi- Tonträgerunternehmen des Jahres 1948, in den spä- sächlich aus Musik, die aber nicht wie bei den gro- strukturen des Marketings, des Copyright- schen Wert und generiert kein Einkommen für den ten 1950er Jahren mehr als 200 Labels am US- ßen Netzwerken live aus den Ballrooms großer managements und der Distribution den geänderten Künstler. Auf diese Weise erfüllt der Musikverlag Markt tätig. Hotels übertragen wurde, sondern von der Bedingungen angepasst. Das blieb nicht ohne eine Gatekeeper-Funktion, die ihm die Ent- Schallplatte kam. Da die großen Rundfunk- Auswirkungen auf die ästhetische Komponente, die Der Rock ’n’ Roll, der als Randphänomen von klei- netzwerke und ihre Plattenlabel in den unabhängi- in Form der Pop-Musik bis heute in ihren nen Plattenlabeln wie Sun Records, Chess oder gen lokalen Radiostationen eine gefährliche Niederschlag findet. Es steht nicht mehr die Das Verhältnis zwischen Atlantic Records „erfunden“ wurde, bedurfte ande- Konkurrenz sahen, verweigerten sie die Zu- Interpretation eines mehr oder weniger populären Live-Auftritt und Tonträger hat rer Vermarktungsstrukturen wie die Tin-Pan-Alley- sammenarbeit. Die kleinen Radiostationen waren Musiktitels mehr im Vordergrund, wie das noch in und Mainstream-Produktionen der Majors. Deren daher auf die zur gleichen Zeit entstehenden unab- der Swing-Ära der Fall war, sondern die Produktion sich also in der Pop-Musik Plattenproduktionen waren ganz auf die Ballroom- hängigen Plattenlabel und deren Repertoire, das neuer Musiktitel auf Tonträger. Die Live-Per- vollkommen umgedreht. (1) Der C4-Anteil ist und Broadway-Radioübertragungen ausgerichtet aus Folk, Rhythm & Blues, Hillbilly und Rock ’n’ formance der Interpreten zur Promotion. Das jenes Konzentra- und wurden als eine Art Promotioninstrument Roll bestand, angewiesen. Die kleinen Radio- Verhältnis zwischen Live-Auftritt und Tonträger hat( tionsmaß, mit der der Marktanteil der vier angesehen. Der Tonträger selbst wurde, im Grund stationen gingen mit den kleinen Plattenfirmen sich also in der Pop-Musik vollkommen umgedreht. scheidungsmacht über das musikalische Schaffen größten (z.B. umsatz- genommen, nicht als Geschäftsgrundlage der eine symbiotische Beziehung ein. Dafür, dass sie zu verleiht. Da aber die großen und bedeutenden stärksten) Unter- Musikindustrie der späten 1940er Jahre angesehen. günstigen Konditionen ein tagesfüllendes 4.3. Musikanbieter im Internet Musikverlage Teil der Tonträgerkonzerne sind, nehmen einer Branche gemessen Ein Titel konnte nur dann erfolgreich sein, wenn er Programm zusammenstellen konnten, sorgten sie Die technologische Entwicklung, die die Digita- überträgt sich die Gatekeeper-Funktion auf diese, wird. Damit kann über Radiostationen bekannt gemacht und über für die nötige PR der neuen Musik. lisierung und das Internet mit sich gebracht haben, wodurch sie die Musikproduktion über das festgestellt werden, das Distributionsnetz an den Handel verbreitet werfen nun die Frage auf, ob die Musikindustrie Copyright kontrollieren und regulieren können. ob in einer Branche wurde. Diese Symbiose zwischen unabhängigen Radio- sich nicht im dritten Strukturbruch ihrer der Wettbewerb ein- geschränkt ist und ob stationen und Plattenfirmen ermöglichte die Geschichte befindet. Eine technologische Inno- Die Marketing-Macht ein Oligopol vorliegt. Die Distribution der Tonträger wurde durch die Verbreitung des Rock ’n’ Roll unter der Baby- vation, nämlich das Internet, die außerhalb der Die großen Tonträgerkonzerne versuchen die Bei C4-Werten über Majors mit Hilfe ihrer Großhandelsorganisationen Boomer Generation der Nachkriegszeit. In einem Entertainment-Konglomerate, in deren Besitz sich Marktunsicherheit der Musikproduktion dadurch 50% kann bereits von einem Oligopol durchgeführt. Diese versorgten die Einzelhändler komplexen Prozess sich gegenseitig verstärkender mittlerweile die meisten der Tonträgerunternehmen zu verringert, dass sie ein Informationsmonopol gesprochen werden. mit dem gängigsten Repertoire und stellten das Faktoren wuchs das Marktsegment der neuen befinden, entstanden ist, zeitigt erste Auswirkungen über die Musiker, die bei ihnen unter Vertrag sind, kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 64

verhängen. Sie müssen enorm hohe finanzielle selbst über das Internet zu vermarkten. Eine Home- Marketingstrategien, die rigide Kontrolle der > LITERATURVERZEICHNIS Mittel in PR-Kampagnen für Neuerscheinungen page wie „Madonna.com“ wäre wohl leicht für Fans Distributionskanäle und die vertikale Integration der Amabile, T. M. (1982) “Social Psychology of 64 investieren, um ein Image für einen Künstler aufzu- zu finden. Dagegen stehen aber restriktive Musikindustrie, lassen wenig Vielfalt und daher krea- Creativity: A Consensual Assessment Technique”. 65 bauen, das den realen Markterfordernissen ent- Plattenverträge, aus denen die Musiker nur unter tiven Spielraum im Sinn unvorhergesehener Ver- Journal of Personality and Social Psychology, 43: spricht. Als Teil großer Medien-Konglomerate, größten Schwierigkeiten aussteigen können, wie die knüpfungen zu. 997-1013. haben die großen Tonträgerfirmen den Vorteil Fälle von Public Enemy oder Prince belegen. Weiters Amabile, T. M. (1983) The Social Psychology of Synergieeffekte mit konzerneigenen Medienan- sind die kleinen Plattenlabel aufgrund des Internets Zwar wurden erfolgreiche Musikanbieter im Internet Creativity. Springer, New York etc. stalten zu nutzen. Unterm Strich kann sicherlich nicht mehr auf die Distributionsstrukturen der Majors wie Napster, MP3.com oder EMusic von Major- Castañer, X. and Campos, L. (2002) “The gesagt werden, dass viele Musikerkarrieren ohne angewiesen. Sie können direkt, ohne zwischengeschal- Companies (Bertelsmann und Universal) aufgekauft, Determinants of Artistic Innovation: Bringing in the beträchtlichen Marketingaufwand der Plattenlabel tete Handelsstufen, ihren Katalog direkt dem aber nur halbherzig am Markt positioniert. Die Role of Organizations”. Journal of Cultural nicht zustande gekommen wären. Konsumenten anbieten. Allerdings hat sich noch kein Vorgehensweise erweckt eher den Eindruck, dass die Economics, 26: 29-52. Geschäftsmodell herausgebildet, mit dem der Online- Majors durch die Akquisition lästige Konkurrenten Caves, R. E. (2000) Creative Industries. Contracts Die Kontrolle der Distributionskanäle Vertrieb auch kommerziell erfolgreich durchgeführt los geworden sind, als dass die als Startpunkt für eine Between Art and Commerce. Harvard University Die dritte Säule, auf der die Marktmacht der Musik- werden kann. Zudem ist auch im Internet ein großer Umorientierung dienen würden. Weiterhin stehen sie Press, Cambridge (MA). Majors beruht, ist die Kontrolle weltumspannender Marketingaufwand nötig, um die eigene Homepage in Opposition zu den technologischen Innovationen, Chapple, S. and Garofalo, R. (1977) Rock ’n’ Roll is Distributionsnetzwerke. Jeder, der derzeit aktiven fünf und die dort promoteten Künstler bekannt zu wie dem MP3-Standard und noch kämpfen sie mit Here to Pay. Nelson-Hall, Chicago. Major-Companies verfügt über ein dichtes Distri- machen. Klagen wegen Copyrightverletzung gegen Morpheus, Cloake, M. (1997) “Management, the Arts and butionsnetzwerk angefangen bei den Verkaufsagenten Audiogalaxy, Aimster u.a., die die Stelle von Napster Innovation.”, in M. Fitzgibbon and A. Kelly (eds.), bis hin zu Einzelhandelsketten und Plattenclubs. In Die Musik-Majors kämpfen nun seit geraumer Zeit eingenommen haben. From Maestro to Manager. Critical Issues in Arts den meisten Fällen kontrollieren sie die gesamte gegen die Erosion ihrer Marktmacht und stützen sich and Cultural Management. Oak Tree Press, Dublin. Distributionskette, wodurch alternative Vertriebswege dabei vor allem auf gerichtliche Klagen wegen der Die Zukunft wird zeigen, ob der derzeitige Wandel in Csikszentmihalyi, M. (1988) “Society, Culture and nur unter größten Schwierigkeiten aufgebaut werden Verletzung des Copyrights durch Musikanbieter im der Musikindustrie tatsächlich zu einem Paradig- Persons. A Systems View of Creativity”, in R. J. können. Demnach sind die meisten unabhängigen Internet, wie der Fall Napster belegt. Zudem sind die menwechsel führt, oder ob es den Majors gelingt, das Sternberg (ed.), The Nature of Creativity. Plattenlabel gezwungen, eine (exklusive) Vertriebs- Majors auch dazu übergegangen, erfolgreich bislang geltende Paradigma, das sich rund um den Contemporary Psychological Perspectives. vereinbarung mit den Majors einzugehen, wodurch Musikanbieter im Internet aufzukaufen, wobei auch Tonträger herausgebildet hat, zu stabilisieren und den Cambridge University Press, Cambridge/UK. sie in wirtschaftliche Abhängigkeit von ihrem die Motivationen, einen lästigen Konkurrenten Weg am konventionell-kreativen Pfad fortzusetzen. Csikszentmihalyi, M. (1995) Creativity. Flow and the Vertriebspartner geraten. dadurch loszuwerden, eine Rolle spielen kann. Diese Psychology of Discovery and Invention. Harper aggressive Vorgehensweise gegen Konkurrenten, die Collins Publisher, New York. Musik über das Internet vermarkten, erinnert aller- Csikszentmihalyi, M. (1999) “Implications of a Das Neue, das von außerhalb dings frappierend an das Verhalten der Musik-Majors Systems Perspective for the Study of Creativity”, in der Industrie kommt, wird gegenüber Einführung des Radios in den frühen R. S. Sternberg (ed.), Handbook of Creativity. 1920er Jahren und gegenüber dem Rock ’n’ Roll in Cambridge University Press: Cambridge/UK. zuerst einmal ignoriert, danach den 1950er Jahren. Cyert, R. M. and March, J. G. (1963) A Behavioral bekämpft und, wenn es dann Theory of the Firm. Prentice-Hall, Englewood Cliffs, Dem gleichen Muster wie in den 1920er und 1950er N.J. nicht zu spät ist, übernommen. Jahren, folgt die Handlungsweise der Musikkonzerne Dosi, G. (1982) “Technological Paradigms and gegenüber der aktuellen Innovationen. Das Neue, das Technological Trajectories: A Suggested von außerhalb der Industrie kommt, wird zuerst ein- Interpretation of the Determinants and Directions of )mal ignoriert, danach bekämpft und, wenn es dann Technical Change”. Research Policy, 11(3): 147-162. Durch das Internet werden aber alle drei Säulen, auf nicht zu spät ist, übernommen. Wenn sich also die Dosi, G. (1984) Technical Change and Industrial denen die Marktmacht der Musik-Majors bislang Musikindustrie erneut in einem strukturellen Transformation. Macmillan, London. ruhte, ins Wanken gebracht. Alternative Musik- Umbruch befindet, dann werden die, gegenwärtig den Dosi, G. (1988a) “Sources, Procedures, and services umgehen, oft in strafrechtlich relevanter Markt beherrschenden, Unternehmen große Microeconomic Effects of Innovation”. Journal of Weise, die Bestimmungen des Copyrights, ohne dass Schwierigkeiten haben, ihre Marktmacht zu stabilisie- Economic Literature, 26(3): 1120-1171. effektive Sanktionen dagegen gesetzt werden können. ren, wenn sie nicht rechtzeitig auf das neue kulturelle Dosi, G. (1988b) “The Nature of the Innovative Manche Internet-Musikservices können aber wie z.B. Paradigma umsteigen. Das könnte nur dann gelingen, Process”, in G. Dosi, C. Freeman, R. Nelson, G. MP3.com ihren Künstlern höhere Tantiemen- wenn ein ausreichendes Kreativitätspotential in den Silverberg and L. Soete (eds.), Technical Change zahlungen anbieten als in der Branche üblich. geltenden kreativen Trajektorien vorhanden ist. Das and Economic Theory. Pinter Publishers, London Zusätzlich wäre es für etablierte Superstars möglich, ist aber zu bezweifeln. Die Ausgestaltung und and New York. aus dem Vertrag mit den Majors auszusteigen und sich Handhabung des Copyrights, die standardisierten Frey, B. (1997) Not Just for the Money. An Economic kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 66

Theory of Personal Motivation. Edward Elgar, Cheltenham and Brookfield. > 64 Frey, B. (2000) Arts & Economics. Springer, Berlin etc. Garofalo, R. (1997) Rockin’ Out. Popular Music in the USA. Allyn and Bacon, Boston etc. ÜM, ÜM, ÜM Gillett, C. (1971) The Sound of the City. Sphere VON HEIMO TRIXNER Books, London. Gronow, P. and Saunio, I. (1999) An International > Was hat sich Neues ereignet/was gibt es zu History of the Recording Industry. Cassell, London berichten in den Feldern? and New York. Heilbrun, J. and Gray C. M. (1991) “Innovation in Unterricht & Universität Art, Innovation in Technology, and the Future of the Themen: Das Metronom: High Arts”. Journal of Cultural Economics, 17: 89-98. mein unbestechlicher Freund Heilbrun, J. and Gray C. M. (1993) The Economics of Art and Culture. An American Perspective. Persönliche künstlerische Tätigkeit Cambridge University Press, Cambridge/UK. — CD-Produktion mit Sharon Anegg Joas, H. (1996) Die Kreativität des Handelns. (Michel LEGRAND - OFF THE BEATEN Suhrkamp, Frankfurt am Main. TRACK) Info: www.sharon.at Kuhn, T. S. (1962) The Structure of Scientific — Musikalische Leitung bei den Revolutions. 3rd edition 1996. Chicago of University Sommerfestspielen Feuchtwangen (D), Press, Chicago. — Leiter einer Kampfkunstschule in Wien Levitt, B. and March, J. G. (1999) “Organizational (Karate, Kung-Fu) Learning”, in: J. G. March (ed.), The Pursuit of Info: www.okinawa-te.de Organizational Intelligence. Basil Blackwell, Oxford. Mansfield, E. (1968) The Economics of Welche 3 Unterrichtswerke/Schulen für Dein Technological Change. Longmans, London. Instrument erachtest du hinsichtlich Deiner March, J. G. and Simon, H. A. (1958) Organizations. Unterrichtstätigkeit für besonders wichtig und John Wiley & Sons, New York etc. interessant? Nelson, R. R. and Winter, S. G. (1982) An 1. Jerry Bergonzi: Melodic rhythms Evolutionary Theory of Economic Change. The 2. Hal Crook: How to comp Belknap Press of Harvard University Press, 3. Alle Real-Books Cambridge (MA). Peterson, R. A. and Berger, D. G. (1975) “Cycles in Welche 3 Improvisationskonzepte bzw. Symbol Production. The Case of Popular Music”. Improvisationswerke/Schulen für Dein America Sociological Review, 40 (April): 158-173. Instrument bzw. allgemeiner Natur erachtest Rosenberg, N. (1976) Perspectives on Technology. Du hinsichtlich Deiner Unterrichtstätigkeit für Cambridge University Press, Cambridge (MA). besonders wichtig und interessant? Sahal, D. (1985) “Technological Guideposts and 1. Mick Goodrick: The advancing guitarist Innovation Avenues”. Research Policy, 14(2): 61-82. 2. Hal Crook: How to improvise Schumpeter, J. A. (1912) Theorie der wirtschaft- 3. Mark Levine: Jazztheorie lichen Entwicklung. Duncker & Humblot, Leipzig. Dein Motto/Leitspruch als Lehrer/Pädagoge: Schumpeter, J. A. (1942) Capitalism, Socialism and „ÜM,ÜM,ÜM“ Democracy. Harper and Row, New York. Usher, A. P. (1962) A History of Mechanical Dein Motto/Leitspruch als Künstler/Musiker: Inventions. 2nd edition. Harvard University Press, Wann, wo, wie lange, was, wieviel? - bezieht sich Cambridge (MA). natürlich nur auf die Töne. :-) kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 68

Internet eine grundsätzliche Demokratisierung des tig kompensieren. Eine noch effektivere Gestaltung Produktangebotes und seiner Präsentation in der des Einkommensmixes wird notwendig. Hier sind Online-Welt erreicht, eine Chancengleichheit zwi- Kooperationen mit anderen Musikern und 69 schen kleinen und großen Anbietern, bekannten Komponisten interessant nach dem Motto „Besser und unbekannten Künstlern kann damit jedoch wir verdienen gemeinsam ein bisschen etwas als FACE nicht hergestellt werden. alleine gar nichts“. Kooperationen mit Künstlern anderer Kunstrichtungen sind ebenfalls noch aus- 2. Die Wege aus der Krise baufähig. Freilich kann und muss vielfach eine > Ein zentraler Punkt des neuen Planens und Umorientierung im Einkommensmix ein Aus- Arbeitens im Musikbereich heißt: Kleinere weichen in branchenfremde Betätigungen bedeuten, THE Brötchen backen. Damit geht ein sparsamerer was im Sinne professionellen Arbeitens im Einsatz von Ressourcen (an den richtigen Stellen!) Kulturbetrieb definitiv nicht wünschenswert ist. einher: Mit der verstärkt reflektierten sowie finan- ziell und inhaltlich sinnvollen Verwendung der Mittel (keine 0815- oder Business-as-usual-Lö- sungen mehr) kann aufgrund besserer und zielge- Künstler müssen ihre CHANGES richteter Konzepte und Umsetzungen mehr erreicht Einbußen im Live- und DIE MUSIKWERTSCHÖPFUNG IM UMBRUCH werden als bisher (Etablierung von Künstlern, finanziell tragbare Vermarktungsmodelle). Tonträgerbereich anderwärtig VON GÜNTHER WILDNER Weitere Gebote der Stunde sind Spezialisierung kompensieren. auf Kernkompetenzen, Qualitätsdenken (Origina-( > 1. Situationsanalyse tionierten Kulturbetriebes (Kürzungen & lität und Eigenständigkeit bringen Innovation und Die Musikbranche ist im Umbruch begriffen: die Einsparungen), Marktchancen) und Marktbeobachtung im Hin- 2.2. Management Umsätze und Gewinne sinken; damit werden die — die Situation im Ton/Bildträgerhandel blick auf Nischen und Konsumentenbedürfnisse ManagerInnen sind als Bindeglied zwischen den am Verdienstmöglichkeiten für alle Beteiligten schmä- (Eliminierung des Einzelhandels, (Musikliebhaber und ihre Musikkompetenz sollen Produktionsprozess beteiligten Personen und ler. Insgesamt ist zu beobachten, dass die Wert- (Elektro)Handelsketten führen musikalische wieder mehr gehört werden und nicht mit der Firmen mehrfach von der wirtschaftlichen Situation schöpfungskette „Musik“ (Künstler & Manage- Produkte nebenher als Lockangebote und in Marketingkeule zum Kauf überredet werden). der Branche abhängig. Noch dazu möchten und ment, Produzent & Studio, Label & Verlag, Ver- einer äußerst geringen Produktvielfalt: Wieder vernünftiges Arbeiten ist gefragt und müssen die einzelnen Mitspieler in der aktuellen trieb & Handel, Konsument) nicht mehr wie früher Megaseller bzw. Hitparadenprodukte), nicht mehr die Tendenz, mit gigantischen Entwicklung verstärkt an den Einnahmen der ande- funktioniert; betroffen sind die eben genannten — das sich verändernde Freizeitverhalten, Marketingbudgets einen finanziellen Erfolgsdruck ren Musikbusinesspartner partizipieren: Platten- Beteiligten in nahezu allen Musikgenres. — die knapper werdenden Freizeitbudgets der zu erzeugen, der einen positiven Ausgang musikali- firmen möchten Verlags- und Merchandisingrechte, Konsumenten scher Projekte immer unwahrscheinlicher werden um Produktion und Vermarktung von Künstlern Bestimmend für diese Entwicklung sind neben der — der verstärkte Wettbewerb um diese lässt. Die goldenen Jahre der CD und des großzügi- finanzieren zu können, gleichzeitig müssen allgemeinen wirtschaftlichen Rezession: Freizeitbudgets (große Auswahl an gen Geldausgebens der Majors, der ausladenden Managements, die keinesfalls von den Betei- — die kostenlose Verfügbarkeit von Musik im Entertainmentmöglichkeiten), Parties bei Edelmetallverleihungen etc. sind vorbei. ligungen an der Live-Tätigkeit des Künstlers ein Internet (Gratis-Download), — die sinkende musikalische Bildung Hinsichtlich dieser von der Markt- und Medien- Auslangen finden, sich an z.B. den Ton- — die Möglichkeit zum Klonen musikalischer (Einsparungen im Schulbereich und die entwicklung erzwungenen Situationsänderung ist trägerverkaufslizenzen von Künstler u/o Label ver- Produkte mittels CD-Brennen, Medien-Monokultur) die derzeitige Krise der Musikbranche durchaus als stärkt schadlos halten: Hier wird der umkämpfte — die verfehlte Repertoirepolitik vieler Labels — u.v.m. Glücksfall zu bewerten, denn es muss wieder eine Kuchen extrem klein. Konzentrationserscheinungen und Verlage (Schnelldreher statt langfristiges Fokussierung auf das Herzstück des Musikbusiness bzw. die Zusammenlegung von Label-, Verlags- und Repertoire), Das Internet erfüllt zwar die Wünsche nach einer geben, den Bereich Artist Development. Managementagenden unter einem Dach sind daher — die Produktüberschwemmung des Marktes, Gratisversorgung mit Musik (Peer2Peer-Anbieter) Im folgenden sollen Chancen in der momentanen bereits seit einigen Jahren zu beobachten. — die katastrophale Mediensituation (wenig erfüllt aber (noch) nicht die von Produzentenseite Krisensituation sowie zukunftsweisende Umorien- Angesichts der heutigen Verhältnisse wird die Platz für Musik, ausschließlich große gewünschten Absatzmöglichkeiten (bezahlte Down- tierungsmöglichkeiten für die einzelnen Teilnehmer Finanzierung eines Künstlermanagements immer Themen, Qualitätsanspruch hat nicht loads, Online-Vertrieb) mit einer finanziell lukrati- am Musikwertschöpfungsprozess aufgezeigt und prekärer. Dazu kommt, dass Künstlermanagement Priorität), ven Perspektive. Das Internet ist ein gutes und analysiert werden. sowohl inhaltlich als auch finanziell nur mit einer — die sinkende Bedeutung und kostspielige wichtiges, sehr kreativ einzusetzendes Promotion- mittel- und langfristigen Perspektive sinnvoll ist, Realisierung von Live-Musik (trifft und Marketinginstrument, den Handel und den 2.1. Künstler aber genau diese Künstler und Projekte schaffen es besonders Newcomer & Nischenthemen), physischen Tonträger wird es noch auf längere Zeit Künstler müssen ihre Einbußen im Live- und immer weniger, sich am Markt und in den Medien — die finanziell angespannte Lage des subven- nicht ersetzen können. Zwar wird mit dem Projekt Tonträgerbereich bzw. bei Subventionen anderwär- durchzusetzen. Kurzfristig angelegte Projekte wie kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 70

z.B. Castingacts, die über TV-Kooperationen groß weise auch im professionellen Bereich sinken 2.5. Labels und Vertriebe Weiters geht es um die Etablierung und Nutzung gemacht werden, sind aufgrund enorm hoher (Technologieentwicklung bei Recording Equipment Die seit zwei bis drei Jahren rückläufige neuer und innovativer Formate wie mp3 als CD 70 Marketingkosten der Labels und der immer wieder und Musikproduktionssoftware). Entwicklung des Musikmarktes trifft Majorfirmen oder Mini-Disc (enorme Steigerung der verfügbaren 71 festzustellenden Künstlerausbeutung für viele Produzenten bringen sich in Krisenzeiten ver- genauso wie Independents. Ähnliche Reaktionen Titel, Aufbau privater Musikbibliotheken), Cus- Managements weder finanziell noch inhaltlich stärkt in Netzwerke und kreative Innovationszellen darauf sind bei allen Firmen – ob groß oder klein – tom-CD (Wunschzusammenstellung des Kunden attraktiv. Hier können nur lukrative Beteiligungen ein (z.B. ein Studio mit freien Produzenten, gut zu beobachten. Die Produktvielfalt bzw. der wird geliefert), DVD und Kombinationen aus an Lizenzen aus TV-Rechten und Merchandising betreuter Edition und hausinternen oder kooperie- Artistroster werden eingeschränkt. Firmenstru- ein Management finanzieren. renden Promotion- und Managementfirmen), um kturen werden analysiert und im Sinne von Erfolgversprechende Strategien von Managements unter Einbringung ihrer A&R-Kompetenz kom- Synergien und Einsparungsmaßnahmen reformiert, Eine Attraktivitätssteigerung können daher in einem sorgfältigen Aufbau von plette und erfolgversprechende Produktionen mit dabei werden Arbeitsplätze abgebaut. Die Majors des Produktes CD im Sinne Qualitätskünstlern liegen, die mit sinnvollen und tragfähigen Vermarktungskonzepten und Teams bei gehen vom Gießkannenprinzip (viele Veröffent- finanzierbaren Forderungen an geeignete Musik- den Tonträgerfirmen unterbringen zu können. lichungen für viel Umsatz) auf ein „Weniger-ist- einer Mehrwertsteigerung businesspartner herangeführt werden. Newcomer im mehr-Prinzip“ über, d.h. sie konzentrieren sich auf für den Konsumenten ist Feld Künstlermanagement fassen nur sehr schwierig 2.4. Studios weniger Themen/Künstler als bisher. So sollen die Tritt in der Branche, weil sie sich in der Künst- Bei den Studios und ihren Betreibern sind ähnliche Verluste in den Bereichen Compilations- und unbedingt notwendig. leraufbauphase noch nicht von bereits etablierten Überlegungen, Ausrichtungen und Zusammen- Singleverkäufe durch verstärkte Backkatalog-( Acts aus dem eigenen Haus finanzieren können. schlüsse wie bei den Produzenten zu beobachten. ausbeutung und DVD-Absätze, besonders aber Audio-CD, CD-ROM und DVD (trotz noch beste- Insgesamt muss ein tragfähiger Mix aus Tätig- über die Durchsetzung neuer, im besten Falle inter- hender Formatverwirrung der Zukunftsmarkt aus keitsfeldern und Einkunftsmöglichkeiten gefunden national zu verkaufender Künstler ausgeglichen heutiger Sicht), Two-Track-Single-CD (billigeres Erfolgversprechende werden, um die Etablierung und die Weiterent- werden. Mittel- und langfristige Repertoirepolitik Singleformat ohne Remixes), 8-Track-LP-CD (billi- Strategien von Managements wicklung eines Studios zu gewährleisten. Dieser sind wieder gefragt. Ob den großen Ton- geres Longplayformat um ca. 10 Euro.-), etc. Mix bezieht sich einerseits auf die Aufteilung in trägerfirmen, die in weltumspannende, börsenotier- können in einem Produktions- und Diensleistungsstudio, anderer- te (Entertainment)Konzerne eingebettet sind 2.5.2. Verringerung des CD-Preises sorgfältigen Aufbau von seits auf eine Mischung zwischen Musik- und (Vierteljahresabrechnungen und monatliche Fore- So eng auch heutige CD-Produktionen und ihre Werbeproduktionen sowie Bearbeitungen für TV casts bestimmen die Entscheidungen und setzen die Vermarktung kalkuliert sind, der Konsument ist Qualitätskünstlern liegen… und Film. Verantwortlichen unter Druck) der Spagat zwi- immer weniger bereit, zwischen 15.- und 20.- Euro In der Nutzung neuer Technologien ist der Weg schen schnellen Umsatzzahlen und inhaltlichem oder mehr für eine CD zu bezahlen. Aktuelle )eines verstärkten Qualitätsmanagements der Studios Qualitätsmanagement gelingt, wird sich erst zeigen. Studien belegen, dass ein CD-Preis von ca. 10.- 2.3. Produzenten über das Angebot von Recording, Mixing und Für Independents sind Vertriebsoptimierungen Euro das Kaufverhalten der Konsumenten erheb- Produzenten müssen aufgrund der Entwicklungen in Mastering hinaus denkbar: DVD-Audio, SACD, (physisch und online), maximale Nischenerschließung, lich stimulieren würde und das alternative Gratis- der Tonträgerbranche tendenziell mehr auf Risiko Multichannel, Surroundformate wie DVD-5.1 (hör- Produktinnovation, Markenmanagement, neuarti- Beschaffen von Musik bei weitem unattraktiver produzieren als bisher, weil die Labels in der Regel bar über Kopfhörer, DVD A/V, SACD, Audio- ge Finanzierungen und wirtschaftliche Koopera- werden ließe. Aufgrund der bestehenden Praxis von nur mehr fertige Produktionen einkaufen (weniger Snippets und High-Resolution-Recordings) u.v.m. tionen die Themen der Stunde. Download und Brennen aber kommt die Industrie Arbeit für die Plattenfirma!) und nicht mehr A&R- sind das Gebot der Stunde sowie jene Tätig- Insgesamt steht die Tonträgerbranche vor einer massiv unter Druck. Das trifft in weiterer Folge die Arbeit im herkömmlichen Sinn leisten wollen keitsfelder, wo Studios ihre Qualität, Kompetenz Menge ungelöster Aufgaben. Bei folgenden Künstler/Musiker, Studios und Produzenten (Audio (Talenterkennung, Zusammenstellung eines Teams und Innovationsbereitschaft unter Beweis stellen Themen sind rasche Veränderungen und Lösungen und Video), bei denen die Labels neben der mit Künstler, Musikern, Produzent, Management, können. Angesichts dieser Technologien werden anzustreben. Absenkung der Marketing- und Promotionkosten Booking Agentur und anschließende Auftrags- Klangprofis, die Erfahrung, Technik und Gefühl für den Hebel für Einsparungen ansetzen. Wie die erteilung an den Produzenten). Wird für kleinere Sounds in sich vereinen, wieder mehr gefragt. 2.5.1. Produktentwicklung und -diversifikation Schere zwischen sinkenden Umsätzen und der Labels und kleine Budgets produziert, steht sehr Weiters konzentrieren sich Studios gezwungener Eine Attraktivitätssteigerung des Produktes CD Notwendigkeit, die CD-Preise zu verringern, schnell der Verdienst des Produzenten in einem Maßen auf eine sehr zielgerichtete und gleichzeit im Sinne einer Mehrwertsteigerung für den geschlossen werden kann, ist eine der brennendsten Missverhältniss zu seinem betriebenen Aufwand, innovative A&R-Politk. Wieder Emotionen und Konsumenten, der vom unbezahlten Internet- ungelösten Fragen in der Musikwertschöpfungs- denn von Labelseite wird trotz eines finanziell engen musikalische Kreativität aufs Band zu bringen, ist download und CD-Brennen abgehalten werden diskussion. Korsetts international konkurrenzfähiges Material ein zentrales Gebot der Stunde. Die Stars von mor- soll, ist unbedingt notwendig. Folgende Strategien erwartet und verlangt. Produzenten müssen den gen kommen in der Regel nicht mehr aus den werden u.a. angewandt: Ansprechend designte 2.5.3. Promotionvorlaufzeiten Mehrwert ihrer Leistungen/Ressourcen sowie ihres Majorwerkstätten, sondern aus kleinen, aber fei- Booklets mit Songtexten, Hintergrundinforma- Die Single steckt besonders in der Krise. Hier ver- Know-hows überzeugender vermitteln als bisher, weil nen, innovativen Produktionszellen. Studios kön- tionen, Fanclubgoodies & Zugangscodes für ge- zeichnet die Industrie die stärksten Einbrüche. Mit der finanzielle Rahmen für die Musikproduktion von nen und wollen verstärkt ein Ort der Begegnung schützte Homepagebereiche des Künstlers, Codes schuld daran ist die Praxis der enorm langen Plattenfirmenseite kleiner wird und die Kosten für werden – nicht nur für Musiker, sondern gleichfalls für Ermäßigungen bei anderen CD-Produkten Promotionvorlaufzeiten. Viele Wochen vor der Musikaufnahmen im semiprofessionellen und teil- für Businessleute und Ideen. u.v.m. Veröffentlichung wird die Radiosingle bereits an kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 72

die Sender verschickt. Diese versprechen sich eine Vorgaben einem gesunden Künstleraufbau zumeist 2.6. Verlage vielfach als Lockangebote für den Besuch ihres höhere Kundenbindung, besonders wenn ein diametral entgegenstehen. Wenn ein Produkt Zunächst wird ein satter Vorschuss gezahlt, dann Geschäfts und in einer unüberbietbar eingeschränk- 72 Sender den Track für einen bestimmten Zeitraum gebraucht wird, das schnell und möglichst gewinn- hofft man, dass sich die Investition über verschie- ten Produktstreuung anbieten, ist stark und über- 73 exklusiv bekommt – die Hörer sollen das Radio bringend über Radioairplay, Videos auf MTV und denste Verwertungsmöglichkeiten und im Laufe der mächtig. Bei den Chartsthemen sind Fachhändler aufdrehen, weil der Song im Handel noch nicht Viva sowie diverse Medienkooperationen verkauft Jahre wieder einspielen lässt – und im besten Fall weder im Preis noch beim Absatz in Stückzahlen erhältlich ist. Viel zu oft schafft dieses Spiel jedoch werden kann, dann wird kreative A&R-Arbeit ein „Mehr“ erwirtschaftet. So funktioniert die oft konkurrenzfähig. Der Mehrwert der fachlichen eine unnötige Unzufriedenheit bei den Kunden, die unnötig, denn die „Medienslots“ geben die beobachtete Verfahrensweise der Majorverlage: Für Beratung ist sehr schwer zu kommunizieren, noch die Musik aus dem Radio nicht erwerben können. Richtung vor (auf deutsche Verhältnisse im TV- den Künstler heißt das im schlechtesten Fall, dass er schwieriger ist er in bare Münze umzusetzen. Eine Umgehung dieses Problems erfolgt durch den Bereich bezogen gibt es Chancen für Teenie-Pop zwar über einen gewissen Zeitraum seine Miete Die Problematiken des CD-Brennens und des Download aus dem Internet. Ausser den Radios, und Schlager/volkstümliche Musik) und entspre- zahlen kann, jedoch damit sein geistiges Eigentum Gratis-Downloads treffen den Handel als letzten die sich mit Exklusivtrailern überbieten, gibt es nur chend der Platzierbarkeit wird ein fertiges Produkt einem behäbigen Moloch anvertraut hat, der dieses der Wertschöpfungskette naturgemäß hart, Verlierer. Folglich wird der Ruf laut, elektronische angekauft. Da es so nicht weiter gehen kann, weil nicht mehr herausgibt und im Fundus seiner aber- besonders aus den Gründen der Nicht- Medien sollen gefälligst für ihren Content bezahlen. auch diese Produkte nicht mehr genug Umsatz brin- tausenden Kompositionen und Texte tatenlos ver- gen, muss eine Rückbesinnung auf den mittel- und kommen lässt. Bei den Chartsthemen sind 2.5.4. Neues Image der Musikindustrie langfristigen Künsterlaufbau erfolgen – der muss Das andere Modell ist der kleine Independent- Die Musikindustrie hat ein gewaltiges Image- freilich aus genannten Gründen außerhalb der verlag, der zwar keine Vorschüsse zahlen kann, jedoch Fachhändler weder im problem. In der Öffentlichkeit wird zumeist aus Majoreinheiten stattfinden. Auf gewisse Genres mit einigem verlegerischen Geschick und Glück die Unwissenheit die Differenz zwischen den Künstler- spezialisierte, oftmals als Joint Ventures geführte Karriere des Künstlers Schritt für Schritt vorantreiben Preis noch beim Absatz in lizenzen (10-15%) und dem Ladenverkaufspreis für Kleinlabels bauen relevante Künstler auf und nüt- kann: Hier steht eine engagierte und aktive Arbeit zur Stückzahlen konkurrenzfähig. eine CD dem Label zugerechnet. Das entstehende zen den Apparat der Majorfirma für Vermarktung Rechteverwertung an aller erster Stelle. ( Image von der Ausbeutungsmusikindustrie, das die und Vertrieb. Es erfolgt eine Schärfung der Diese Modelle erstens der „Bank“ (nicht verre- Kompensierbarkeit dieser Ausfälle (Leer-CDs etc. Branche seit ihrer Entstehung begleitet, wurde in Kernkompetenzen, der extrem arbeitsteilige Prozess chenbare Vorfinanzierung) bei Majorverlagen und werden primär in den großen Elektromärkten abge- den letzten Jahren durch Praxis und Auftreten der Musikproduktion wird unter Verwendung der zweitens des „Teamplayers“ (qualifizierte Arbeit setzt, bezahlte Downloadangebote kommen den (Firmenpaläste; astronomische Gehälter, Pensio- besten Köpfe in den jeweiligen Bereichen zu maxi- statt Vorschuss) bei Independents werden auch wei- Labels oder Internetprovidern zugute). Zudem kön- nen, Prämien und Abfindungen zumeist für das mieren versucht. ter bestehen. Im Zuge der schwierigen Markt- nen Lager- und Präsentationsräumlichkeiten mit Top-Management, überzogene Vorschüsse für Auf diese Weise kann ein neues Bündnisangebot situation wird eine Verbesserung und weitere der steigenden Produktvielfalt nicht Schritt halten – Superstars etc.) der Majors selbst verschuldet und der Industrie an die Künstler formuliert werden, Professionalisierung der Serviceleistungen von der Konsument möchte jedoch verständlicherweise verhärtet. Diese Entwicklungen konnten bis zum das nicht nur heiße Luft bleibt, sondern zu einer Verlagen weiter voranschreiten. Daneben ist eine eine möglichst breite Palette an Musikprodukten heutigen Tag – aktuelle Beispiele belegen es – nicht neuartigen Zusammenarbeiten in einem schwieri- Erweiterung der Verlagsagenden und Tätigkeits- hören, sehen und antesten können. Einzig die glaubhaft ausgemerzt werden. Hinzu kommt, dass gen Markt einlädt. Freilich sollte die Einladung felder aufgrund der fortschreitenden Technolo- Spezialisierung auf Nischen verbunden mit dem die Industrie in den Augen der Öffentlichkeit und auch von den Medien ausgehen, erzwungen (siehe gisierung zu beobachten: unaufwendigen Absatz von Chartsprodukten, der Medien den Konsumenten durch ihre Quotendiskussion) oder im besten Fall freiwillig, Beim Thema „Klingeltöne“ wurde 2001 erstmals Compilations, Best-Ofs etc. ermöglichen manchem Anstrengungen auf dem Gebiet des Urheberrechts denn ohne Öffentlichkeit werden neue, relevante für die Rechte der Urheber gekämpft. Die folgenden Fachhändler noch das Überleben. Die zunehmende und des Kopierschutzes kriminalisiert und in seinen Projekt der Musikindustrie kein Publikum und Fragen wurden nicht nur von den Verlagen, sondern Konkurrenz des Handels mit den legalen Rechten beschneidet. Das mag zum Großteil nicht keine Käufer finden. auch von den Gerichten mit einem eindeutigen „Ja“ Onlineangeboten der Tonträgerindustrie birgt wei- stimmen und neben den eigenen Interessen der beantwortet: Ist sowohl das mechanische Recht als teren Konfliktstoff und verlangt nach raschen, Industrie zentral zum Schutz der Urheber und 2.5.6. Zusammenarbeit mit dem Handel, innova- auch das Aufführungsrecht betroffen? Existiert eine effektiven Lösungen. Doch wird der Prozess für Interpreten durchgeführt werden: allein die öffent- tive Verkaufsstrategien Bearbeitung, die genehmigungspflichtig ist? eine neue Balancefindung und Aufgabenverteilung liche Meinung konnte noch nicht in diese Richtung Die Musikindustrie muss den Handel erhalten, Auf der Basis und ab dem Zeitpunkt dieser von Industrie und Handel Jahre dauern. Bis dahin beeinflusst werden. Die PR-Arbeit der Ton- weil der physische Content-Träger weiter bestehen Judikatur konnten die Urheber der Klingel- werden sich einige der heutigen Probleme von trägerindustrie im Sinne einer Aufklärung hinsicht- wird. Sie muss dafür neuartige Kooperationen und tonkompositionen mit Lizenzen bedacht werden, selbst erledigt haben: Neue Fakten schaffen neue lich Wert und Wertigkeit von Musik ist bis jetzt lei- Geschäftsmodelle mit dem Handel suchen und eta- wobei die Urheber ihre Zustimmung zur Klingel- Realitäten. der auch nicht allzu glücklich verlaufen (siehe blieren und diesem über eine breit gestreute, inno- tonnutzung/-bearbeitung ihres Werkes geben müs- Sollten sich die großen Märkte aufgrund zuneh- Kampagne „Copy kills Music“ und Initiative vative und qualitätsorientierte Produktpolitik die sen. Ein neuer Verwertungszweig für Verlage ist mender Unrentabilität des CD-Geschäfts aus dem „Copy Control“ der IFPI mit Logoauszeichnung Möglichkeit zur Weiterentwicklung und zum entstanden, weitere werden folgen. Handel zurückziehen, heißt das noch lange nicht, für kopiergeschützte CDs). Überleben an die Hand geben. Sie muss innovative, dass der Fachhandel prosperieren wird. Zu viele vertrauensbildende und erfolgsorientierte Maß- 2.7. Handel unkalkulierbare Faktoren spielen in diesem Prozess 2.5.5. A&R-Kompetenz nahmen und Konzepte glaubwürdig in Richtung Der Tonträgerfachhandel ist seit vielen Jahren im eine Rolle, als dass man halbwegs sichere Die A&R-Arbeit bei den Majors wird immer Produktionsseite (Künstler, Produzenten, ...) und Schwinden begriffen. Die Konkurrenz der großen Prognosen für den Ausgang dieser Entwicklung schwieriger bzw. schlechter, weil die Strukturen und Handel anbieten. Märkte und Ketten, die Ton/Bildträger en gros, wagen könnte. kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 74

3. Ausblick langfristigen Neuorientierung menschlichen Lebens Gesamtgesellschaftlich und -wirtschaftlich gesehen und Handelns in der heutigen Konsum- und 74 ist der Trend zur Gratisnutzung von Kultur, Medienwelt erarbeitet werden. Kunst und Kultur AUTOREN- 75 Entertainment und Medien ungebrochen, jedoch sollen dabei zum Alltag gehören sowie selbstver- beginnt das System unter dem Druck der aktuellen ständlich und im besten Sinne (zu bezahlendes) Situation zu kippen, d.h. ein großer Teil der „Lebensmittel“ für jeden sein. Marktteilnehmer wird - das sehen nun alle VERZEICHNIS Beteiligten deutlich - nicht überleben. Neben den konjunkturellen Gründen sind die Gratisverfügbarkeit über Internet („Warum soll ich eine Zeitung kaufen, wenn sie kostenlos im Internet > Die Autoren sind Lehrende oder freie bzw. lebt als freischaffender Musiker in Wien, reist als kooperierende Mitarbeiter des Instituts für Pädagoge und Kulturbotschafter in Sachen Musik Popularmusik der Universität für Musik und um die Welt. Der Trend zur Gratisnutzung darstellende Kunst Wien. Wolfgang Peidelstein unterrichtet Gitarre, lebt als von Kultur, Entertainment und freischaffender Musiker und Komponist in Wien. Elfi Aichinger unterrichtet Gesang, ist Herbert Pichler unterrichtet Klavier, lebt als Medien ist ungebrochen. freischaffende Sängerin und Komponistin. freischaffender Musiker und Komponist in Wien. ) Andreas Felber ist freiberuflicher Musikjournalist Alfred Smudits unterrichtet am Institut für zur Verfügung steht?“) und die selbstverschuldete mit den Kernbereichen Jazz, Moderne E-Musik, Musiksoziologie, lebt als freischaffender Abwertung von Inhalten und Produkten an dieser Crossover zwischen komponierter und Kultursoziologe und Generalsekretär des Entwicklung wesentlich beteiligt. Wenn z.B. improvisierter Musik; Doktorat über die Instituts „mediacult” in Wien. Informationen im Sinne des Infotainments nur auf Wiener Free-Jazz-Avantgarde. Peter Tschmuck unterrichtet am Institut für ihren Auffälligkeits- und kurzfristigen Unter- Martin Fuss unterrichtet Saxophon, Kulturmanagement und Kulturwissenschaften. haltungswert reduziert werden, dann verlieren sie ist freischaffender Musiker und Komponist. Heimo Trixner unterrichtet Korrepetition für nur allzu schnell Qualität, Wertigkeit, Relevanz Andreas Gebesmair ist freischaffender Musik- Schlagzeuger, lebt als freischaffender Gitarrist und damit die Eckpfeiler ihres zu bezahlenden soziologe, internationale Forschungsaufträge. und Komponist in Wien. Tauschwertes. Die momentan schwächelnde Franz Hautzinger unterrichtet Ensemble, Günther Wildner lebt als freiberuflicher Musik- und Werbewirtschaft findet immer weniger werbeplane- Komposition und Arrangement, freischaffender Kulturmanager in Wien, Gründer und Inhaber der risch brauchbare Medien vor. Daher schaffen sich Musiker und Komponist, besonders im Avantgarde- Agentur „Wildner Music“: Artist Development und die paar wenigen finanzkräftigen Auftraggeber ihre und Crossoverbereich. Dienstleistungen im Musikbusiness. Medien selber (private Medien) oder diktieren den Harald Huber, stellvertretender Institutsleiter des öffentlich-rechtlichen Medien ihre Bedingungen Instituts für Popularmusik und Leiter des wissen- („Ich will für meinen jährlichen Werbeetat eine schaftlichen Bereiches, unterrichtet Geschichte, Sendung mit der Zielgruppe 14-29 im Format: Theorie und Didaktik der Popularmusik. Quiz, Talk, Reality, etc.“). Alle gemeinsam (v)erzie- Michael Huber ist Lehrbeauftragter am Institut für hen mit diesen Methoden Konsumenten, bringen Musiksoziologie, Schwerpunkte seiner wissen- sie dazu, sich von Wirtschaft, Politik und Medien schaftlichen Tätigkeit sind Elektronische Musik, gegängelt zu fühlen und erschüttern ihr gesundes Popularmusik in Österreich u.a. Einschätzungsvermögen von Realität und Fiktion, Martin Kelner unterrichtet Akustikgitarre, Qualität und Banalität, finanziellem Wert und per- lebt als freischaffender Musiker in Wien. sönlicher Wertigkeit. Heribert Kohlich unterrichtet Klavier, Der Bereich der Kultur hat derzeit mit seinen lebt als freischaffender Musiker in Wien. ideellen Zielen und Inhalten sowie den erforder- Stefan Jeschek, Leiter des Instituts für Popular- lichen Rezeptionsvoraussetzungen schlechte musik, unterrichtet Gitarre und Ensemble. Karten. Die Kultur-, Entertainment und Medien- Albert Kreuzer unterrichtet E-Bass und industrie verliert an allen Enden Partner und Kontrabass, lebt als freischaffender Musiker und Konsumenten. Ein Rückgängig-Machen ist unmög- Komponist bei Tulln/NÖ. lich. Eine Umkehr und Neuausrichtung kann nicht Willi Langer unterrichtet E-Bass, lebt als frei- mehr durch kurzfristige Kursänderungen erreicht, schaffender Musiker und Komponist in Krems/NÖ. sondern nur in Form einer grundsätzlichen und Arnoldo Moreno unterrichtet Akustikgitarre, kollektion kern ende 06.12.2002 10:51 Uhr Seite 76

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