23/Hildebr. Portr (Page

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23/Hildebr. Portr (Page Deutschland OSTDEUTSCHLAND Politik aus der Wundertüte Die brandenburgische Sozialministerin Regine Hildebrandt bündelt die politischen Sehnsüchte ihrer Landsleute und rackert für den Wechsel in Bonn. Sollte sich die SPD dort mit der FDP einlassen, will die Kultfigur aus der Partei austreten. Von Stefan Berg K. MEHNER SPD-Politikerin Hildebrandt, ABM-Kräfte: „Keene Angst, ick komm’ nicht jedetmal“ unkelgrünes Kostüm, weiße Bluse, besonders komisch. Vielleicht haben sie drehten blonden Locken – im selben Ton- die Ärmel etwas hochgerutscht, so die Ministerin schon zu oft leibhaftig er- fall, in dem die Frau Ministerin spricht. Dsteht sie vor den Gästen. Mal hebt lebt, vielleicht finden sie es einfach unpas- Minuten später steht Regine Hilde- sie den Zeigefinger, mal ballt sie die Hän- send, daß sich ihre oberste Dienstherrin brandt, mit einem Teller in der Hand, bei de zur Faust. Hin und wieder unterbre- so bei der Grundsteinlegung für das ihnen: „Mann, dit sieht ja prima aus.“ Kur- chen ein paar „Ähs“ ihre Rede. Krankenhaus in Elsterwerda aufführt. Sie zer Stopp am Tisch der Bauarbeiter: „Wie Bei anderen würde man dies einen ener- lächeln höflich. viele Lehrlinge werden hier’n ausjebildet?“ gischen Auftritt nennen. Für Regine Hilde- Doch je weiter die Leute von Regine Es folgt ein Vortrag zum Thema, wie wich- brandts Verhältnisse ist es eine kurze und Hildebrandt entfernt sind, desto fröhlicher tig die Berufsausbildung ist. Dann ver- ruhige Ansprache. Wie eine richtige Mini- werden ihre Gesichter. Klar, deshalb sind schwindet die Schnellsprecherin. sterin liest sie Fakten von der Karteikarte, sie gekommen, die Krankenschwestern und Bald acht Jahre ist Regine Hildebrandt, erklärt, wann und wo wie viele Millionen die Bauarbeiter. Um „Regine live“ zu er- Jahrgang 1941, nun schon Ministerin für investiert wurden. Doch plötzlich stockt leben, um ihren kleinen Nebensätzen zu Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen in sie. „Wat ham wa heute?“ fragt sie, was ins lauschen, die zu jeder echten Hildebrandt- Brandenburg, eine Amtszeit, die aus manch Hochdeutsche übersetzt bedeutet: Welcher Predigt gehören: „Keene Angst, ick komm’ anderen abgestumpfte Politikverwalter ge- Tag ist heute? „Der 23.“, bemüht sich der nicht jedetmal“ oder „da staunse, wa?“ macht hat. Doch Frau Hildebrandt wirkt Landrat in der ersten Reihe zu soufflieren. Die Dosis Volkstümlichkeit entfaltet ihre noch immer wie die neugierige Neuein- Aber schon schallt es vom Rednerpult: Wirkung. Ganz hinten, neben einem grau- steigerin, wie die berufstätige DDR-Frau, „Ach Mensch, der Dreiundzwanzigste.“ en Betonpfeiler, haben sich sechs Küchen- die gerade aus der Küche kommt und er- Frau Hildebrandt kommt in Fahrt. Sie frauen aufgestellt, um das kalte Buffet und klärt: Nun wollen wir mal regieren. redet, und ihr Körper schaukelt nun wie die Getränke-Schänke zu bewachen. Ihre Acht Jahre in der Politik haben noch ein Schiff auf hoher See. Die lokalen Ho- Augen leuchten erwartungsvoll. „Die keine Distanz geschaffen zwischen ihr und noratioren in Reihe eins finden das nicht fetzt“, entfährt es der Frau mit den ge- den Menschen, für die sie dasein will. Noch 42 der spiegel 23/1998 immer gelingt es ihr, ein Wir-Gefühl zu Flut von Briefen schwappte in ihren vermitteln, nach dem sich viele in Ost- Potsdamer Dienstsitz: „Durchhalten, deutschland sehnen. Dafür wird sie Regine!“ vom Volk geliebt, mehr als für die Po- Seit Stolpe die Anschuldigungen litik, die sie macht. wegen seiner Stasi-Kontakte über- „Die Hildebrandt“ – wie sie sich stand, glauben die mit absoluter inzwischen selber nennt – ist eine po- Mehrheit regierenden Brandenburger litische Wundertüte. Niemand kann Sozialdemokraten, jeder Angriff ge- genau sagen, was drin ist, nicht einmal gen einen der Ihren würde in der sie selbst. Bei der Verleihung des ost- Mark versanden. Ein Hinweis auf deutschen Medienpreises „Goldene die „West-Bürokratie“ genügt, schon Henne“ durch die „Super Illu“ gab jubelt die Fangemeinde, noch ein sie einen Wessi-Witz zum besten. Fra- Hinweis auf „ehrgeizige Staatsanwäl- ge: Warum brauchten die Wessis 13 te aus dem Westen“, und die Solida- Jahre fürs Abitur, ein Jahr länger als rität der meisten Ostdeutschen ist ihr die Ostler? Antwort: Weil ein Jahr gewiß. Schauspielunterricht dabei ist. Über PDS-Politiker räumen offen ein, den tosenden Beifall der im Berliner daß sie Hemmungen haben, Hilde- Friedrichstadtpalast versammelten brandt zu attackieren. Wie könne die Ostler war sie erschrocken. Der Witz, PDS als ostdeutsche Partei eine Poli- erklärt sie, sei ihr eben spontan ein- tikerin demontieren, die wie keine an- gefallen. dere als Stimme des Ostens anerkannt Sie kann in derselben Rede von ist? So ist Regine Hildebrandt zum der Solidarität unter DDR-Bürgern menschlichen Schutzschild vor der schwärmen, die DDR wegen der Mau- mitgliederschwachen ostdeutschen er beschimpfen, mit dem Hinweis auf SPD geworden. das viele frische Gemüse die Bundes- Sie erfüllt Erwartungen, die SED- republik loben und sie dann wegen AP Politiker nur wecken konnten. Sie ver- „sozialer Kälte“ geißeln. Sie lobt See- Hildebrandt, Stolpe*: Einheit von Partei und Volk körpert die von der SED nur verspro- hofer – „eigentlich ganz vernünftig“ – chene „Einheit von Partei und Volk“. und fällt gleichzeitig über die Ge- Unentwegt redet sie beim Branden- sundheitspolitik der Regierung her, burger Arbeitnehmerempfang auf die sie hat Norbert Blüm in ihr Herz ge- Gäste ein, sie sollten auf Überstun- schlossen und wettert über die Bonner den und auf ein paar Mark in der Arbeitsmarktpolitik. Selbst unsinnig- Lohntüte verzichten, damit Arbeits- ste Potsdamer Kabinettsbeschlüsse lose eingestellt werden könnten. Stut- verteidigt sie im Stile einer Partei- zig stehen zwei Busfahrer vor ihr, die soldatin – und fügt hinzu, wie fremd nicht genau wissen, wie das funktio- ihr bis heute das Wort „Partei“ ist. nieren soll. Dann ist sie es, die alles Sprunghaft und widersprüchlich ist aus dem Stand mit den Kollegen auch ihre Politik, die den Anstieg durchrechnet. „Wenn ick denen nich’ der Arbeitslosigkeit nicht verhindern allet durchkaue, dann wird det konnte: Mit großer Geste führte sie M. WEISS / OSTKREUZ nüscht.“ 1000 Mark Begrüßungsgeld für jedes Ehepaar Hildebrandt: Ohne Putzfrau und Fernseher Für manche Sozialdemokraten ist Neugeborene in Brandenburg ein – die Dauerwahlkämpferin eine Art und ließ die Prämie abschaffen, als das Geld Unruhe machte sich Anfang des Jahres Wunderwaffe: Hätte Rudolf Scharping sie nicht mehr reichte. Mit derselben Verve for- selbst unter Bonner Sozialdemokraten 1994 in sein Schattenkabinett aufgenom- derte sie ihre Untergebenen auf, bei der breit. Angst ging um, das erfolgreichste men, so spekulieren einige, hätte sie die Vergabe von Fördermitteln „bis an den Ostprodukt der Partei könnte ausgerechnet fehlenden Stimmen im Osten gewonnen, er Rand der Legalität“ zu gehen, das Haus- im Wahljahr straucheln. Der nachdenkliche wäre Kanzler, und kein Hahn würde nach haltsrecht nicht so wichtig zu nehmen. Die Wolfgang Thierse riet der Genossin, drei Gerhard Schröder krähen. Quittung für diesen Piratenakt präsentier- Monate zu schweigen – wissend, welches Und heute, im Wahljahr 1998? Am An- te die Potsdamer Staatsanwaltschaft 1997. Opfer er der Schnellrednerin abverlangte. fang sah es gar nicht gut aus für Regine Als die Ermittlungen wegen Haushalts- Brandenburgs Fraktionschef Wolfgang Hildebrandt. Der Frau, die über Jahre nun untreue gegen rund 30 Bedienstete ihres Birthler klagte vorsichtig, die Ministerin schon weit vor Kurt Biedenkopf, Manfred Ministeriums bekannt wurden, verteidigte sei „beratungsresistent“. Nur mit Mühe Stolpe und Oskar Lafontaine die beliebte- Hildebrandt alles und jeden gegen die Vor- konnte sie davon abgehalten werden, einen ste politische Figur in Ostdeutschland ist, würfe und noch dazu im gewohnten Pol- leitenden Beamten zu befördern, gegen drohte doppeltes Unheil – erst der Krebs terton. Rechnungshof und Staatsanwalt- den gerade ermittelt wird. Schon witter- und dann die Staatsanwaltschaft. Gerüch- schaft haben schweres Geschütz gegen sie ten die glücklosen CDU-Oppositionellen te vom Rücktritt aus politischen und vom aufgefahren: von ihrem Haus seien Gelder Morgenluft: Ohne Hildebrandt wären Rückzug aus persönlichen Gründen mach- illegal geparkt und ohne Verwendungs- Brandenburgs Sozialdemokraten nur noch ten die Runde. nachweis ausgereicht worden. So vieles die Hälfte wert. Doch die „Mutter Courage“ machte wei- muß drunter und drüber gegangen sein, Doch die Ermittlungen der Staatsanwäl- ter. Regine Hildebrandt gibt der anteil- daß es beschönigend klingt, wenn es heißt, te und Rechnungsprüfer haben die gleiche nehmenden Menge, was sie will, beant- im Ministerium sei das Haushaltsrecht ver- Wirkung, wie Jahre zuvor die Stasi-Vor- wortet Fragen, die kaum einer zu stellen letzt worden. Die Akten hinterlassen eher würfe gegen den Ministerpräsidenten. Eine wagt. „In meinem Nachttisch liegt eine den Eindruck, sie habe es eigenhändig ab- Perücke“, gab sie in einem Interview zu gemurkst. * Auf der „Grünen Woche“ in Berlin, 1996. Protokoll, „weil einem normalerweise die der spiegel 23/1998 45 Deutschland Haare ausfallen. Wenn es dann so ist, will Kohl beschwerte sich über „das Geschrei keine Lehrstelle findet, verpaßt der Staat ich gerüstet sein.“ Ohne Hemmungen re- einer Barrikadenkämpferin“. ihm dort eine. Lehnt der Jugendliche dann det sie über die Knoten in der Brust, schil- Auch zur Ausländerbeauftragten des ab, bekommt er keine Stütze. „So was darf dert, wie sie dem Arzt erlaubte zu schnei- Landes Brandenburg
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