Das Nordalbanische Gewohnheitsrecht Und Seine Mündliche Dimension
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Stéphane Voell Das nordalbanische Gewohnheitsrecht Reihe Curupira, Band 17 herausgegeben vom Förderverein ›Völkerkunde in Marburg‹ e. V. Dissertation im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Philipps-Universität Marburg Nach dem Zerfall des sozialistischen Einparteienstaats in Albanien 1991 etablierten sich demokratische Prinzipien nur zögerlich im Land. Eine reaktualisierte Form des traditionellen mündlichen Rechts ›Kanun‹ trat besonders in Nordalbanien an die Stelle fehlender staatlicher Strukturen und bestimmt noch heute weite Bereiche des sozialen Lebens. In der vorliegenden Arbeit wird der Kanun als Habitus beschrieben und damit die Beständigkeit des lokalen Rechts über den Sozialismus hinaus in das demokratische Albanien diskutiert. Eine besondere Charakteristik des Kanuns liegt in der mündlichen Dimension seiner Praxis. Der Autor bezieht die abstrakte ethno- logische Perspektive ›Mündlichkeit‹ auf die spezifische ethnographische Realität des Kanuns. Democratic principles have only slowly taken root in Albania after the disintegration of the socialist one-party-state in 1991. A contemporary form of the traditional oral law ›kanun‹ took the place of missing state structures, especially in northern Albania, and today determines large parts of social life. In this book the kanun is described as a habitus and the resilience of the local law through socialist and well into democratic Albania is discussed. A peculiar characteristic of the kanun lies in the oral dimension of its practice. The author applies the abstract anthropological category ›orality‹ to the specific ethnographical reality of the kanun. Stéphane Voell Das nordalbanische Gewohnheitsrecht und seine mündliche Dimension curupira Der Förderverein ›Völkerkunde in Marburg‹ e.V. wurde 1993 gegrün- det. Seine Aufgabe besteht unter anderem in der Herausgabe der eth- nologischen Schriftenreihen ›Curupira‹ und ›Curupira Workshop‹. Auskünfte erhalten Sie unter folgender Adresse: Förderverein ›Völkerkunde in Marburg‹ e. V. c/o Institut für Vergleichende Kulturforschung – Fachgebiet Völkerkunde, Kugelgasse 10, 35032 Marburg/Lahn Tel. 06421/282-2036, Fax: 06421/282-2140, E-Mail: [email protected] www. curupira.de © 2004 Curupira ISBN 3-8185-0395-8 ISSN 0945–8476 Druck: Difo-Druck, Bamberg Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany Inhaltsverzeichnis Vorwort . 7 Einleitung . 13 Albanische Pyramiden . 13 Wiederentdeckungen . 22 Fragestellung. 27 Was ist der Kanun? Beschreibung des Kanuns als Habitus . 35 Der Kanun in der Ethnographie . 40 Herleitung des Namens des Kanuni i Lekë Dukagjinit . 52 Der Kanun als Habitus . 59 Ehre und Ehrgefühl als Habitus . 65 Das Gefühl für das Spiel . 73 Das soziale Feld . 77 Beständigkeit des Habitus . 81 Rezeption und Beständigkeit des Kanuns bis 1944 . 84 Rezeption und Beständigkeit des Kanuns im Sozialismus . 97 Schluss . 120 Die Rahmenbedingungen des Kanuns Kommunikationsverhältnisse . 123 Der Telegraf und das Orchester . 123 Produkt, Prozess und Prozessualität . 131 Der Begriff ›Kommunikationsverhältnisse‹ . 136 Der Kanuni i Lekë Dukagjinit als Quelle . 145 Die territoriale Dimension der nordalbanischen Gesellschaft . 149 Die verwandtschaftliche Dimension . 157 Versammlungen als Bindeglied zwischen den fis . 168 Die nordalbanische Gesellschaft nach dem Sozialismus . 171 Die Bedeutung des fis nach dem Sozialismus . 178 Territoriale Ordnungen und Versammlungen nach 1991 . 189 fis-Beziehungen in Bathore . 194 Die Ideologie des Kanuns . 205 Die Praxis des Kanuns Kommunikationsstil . 219 Epochen der Kommunikation . 219 Der Begriff des ›Kommunikationsstils‹ . 228 Vermittlung des Kanuns. 236 Das Ablegen des Eides. 240 Diebstahl . 244 Landkonflikt . 248 Konfliktvermittlung nach dem Kanun . 261 Blutrache . 276 Nichtregierungsorganisationen für Konfliktmediation . 292 Schluss . 307 Der Habitus Kanun und seine Beständigkeit . 309 Die Mündlichkeit des Kanuns . 314 Der Staat und der Kanun . 325 Literatur . 335 Abbildungsverzeichnis . 363 Zum Autor . 365 Vorwort Im Rahmen meines Forschungsprojektes besuchte ich Albanien vier Mal. Ab Dezember 1998, noch vor Ende meiner Magisterprüfung, er- gab sich ein Albanisch-Sprachkurs. Erika Beermann, damals beschäf- tigt am Institut für Slawische Philologie der Philipps-Universität Marburg, vermittelte meinem Kollegen Andreas Hemming und mir Grundlagen der albanischen Sprache. Ein Dissertationsprojekt zum Thema Albanien war aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht geplant. Nach meinem Magisterabschluss im Februar 1999 ging ich das The- ma Albanien etwas intensiver an. Es stellte sich heraus, dass die Uni- versität Marburg eine Partnerschaft mit der Akademie der Wissen- schaften (Akademia e Shkencave) in Tirana zu Beginn der 1990er Jah- re eingegangen war. Über die Vermittlung von Erika Beermann und dem Referat für internationale Beziehungen der Universität Marburg konnte die erste Reise nach Albanien arrangiert werden. Im Septem- ber 1999, der Kosovo-Krieg war erst seit einigen Monaten beendet, reisten Andreas Hemming und ich nach Albanien. Wir wurden vom Institut für Volkskultur (Instituti i Kulturës Popullore) der Akademie der Wissenschaften in Tirana empfangen. Wir bereisten einige Orte in Südalbanien, in den Norden konnten wir auf Grund der immer noch angespannten Lage im benachbarten Kosovo nicht reisen. Ich disku- tierte mit Wissenschaftlern des Instituts über mein Forschungsvorha- ben. Das Thema ›Mündlichkeit‹ sollte zunächst alleine im Zentrum des Dissertationsprojektes stehen. Das oral tradierte albanische Ge- wohnheitsrecht ›Kanun‹ erschien als das ideale Beispiel, um mündli- che Kommunikationsstrukturen zu beschreiben. Wenige rezente ethnographische Berichte deuteten an, dass der Kanun nach dem Fall des Sozialismus zunehmend an Bedeutung gewann. Die albanischen Wissenschaftler im Institut für Volkskultur bestätigten die Relevanz 7 Vorwort des Themas und boten für die Zukunft organisatorische Zusammenar- beit an. Im August und September des folgenden Jahres konnte ich mit der Un- terstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) einen fünfwöchigen Sprachkurs an der Universität Tirana (Universiteti i Tiranës, Fakulteti i Historisë dhe i Filologjisë) besuchen. Neben dem Sprachkurs ergab sich die Möglichkeit zu Gesprächen mit albanischen Ethnologen und zum Quellenstudium in der Nationalbibliothek. Von Mitte August 2001 bis Mitte Februar 2002 erfolgte die inten- sivste Zeit meiner Feldforschung. Der sechsmonatige Aufenthalt wur- de wieder durch den DAAD unterstützt. Ich reiste in den Norden, vor allem nach Puka und nach Shkodra, und machte auch Forschungen in der Vorstadt von Tirana, in Bathore. Meine Arbeitsweise bestand hauptsächlich darin, mit Ältesten, Vorständen von Bruderschaften, Vermittlern oder Familienoberhäuptern semidirektive Interviews zu führen. Doch zahlreich sind die vielen Gespräche zum Thema Kanun, die ich spontan in den verschiedenen Forschungsorten führte. Die In- terviews machte ich auch in Tirana mit Juristen, Ethnologen, Vertre- tern von Nichtregierungsorganisationen (NRO) und vor allem mit nordalbanischen Migranten. Wichtig für die Informationssuche wa- ren weiterhin die Studien in der Nationalbibliothek und in den Archi- ven des Instituts für Volkskultur. Im April 2003 erfolgte die vorerst letzte, von der Südosteuropage- sellschaft unterstützte Reise nach Albanien. In relativ kurzer Zeit konnten noch einmal zahlreiche Interviews in Shkodra, Puka und Mirdita gemacht werden. Dieser letzte Aufenthalt sollte vor allem zei- gen, ob die Thesen in meinem Dissertationsprojekt in die richtige Richtung wiesen. Die 14-monatige Entwicklung des Landes nach meinem letzten Aufenthalt in Albanien deutete darauf hin, dass ge- wohnheitsrechtliche Strukturen sich überall dort etablierten, wo sich der Staat nicht nachdrücklich durchsetzen konnte. Mein Dissertationsprojekt wäre ohne die finanzielle Unterstützung von folgenden Stellen nicht möglich gewesen: Ich bedanke mich beim DAAD für die Unterstützung beim Sprachkurs im August und Sep- tember 2000 in Tirana und für das sechsmonatige Kurzzeitstipendium (Doktorandenstipendium im Rahmen des gemeinsamen Hochschul- 8 Vorwort sonderprogramms III von Bund und Ländern) von August 2001 bis Februar 2002. Weiter freute ich mich über die Unterstützung der Süd- osteuropagesellschaft, die meine Reise nach Albanien im April 2003 ermöglicht hatte. Schließlich erlaubte die Anstellung als wissenschaft- liche Hilfskraft mit Abschluss (April 1999 bis Juli 2000) und als wis- senschaftlicher Mitarbeiter (seit Juni 2002) am Fachgebiet Völker- kunde (jetzt Institut für Vergleichende Kulturforschung, Religions- wissenschaft und Völkerkunde) der Philipps-Universität Marburg, die relativ zügige Bearbeitung meines Forschungsthemas. Mein Begleiter in Albanien war der Ethnomusikologe Bledar Kondi vom Institut für Volkskultur, der bei fast allen Reisen nach Nordalba- nien dabei war. Die Feldforschung in Bathore führte ich mit Xhovalin Tarazhi, damals bei der NRO Co-Plan beschäftigt, durch. Ohne Erika Beermann wäre ich vermutlich nie nach Albanien gekommen. Für die Unterstützung in Deutschland und Albanien bedanke ich mich sehr bei Xhelal Ylli. Auch auf die Gefahr hin, dass ich viele Menschen ver- gessen werde, die für die Durchführung meines Forschungsvorhabens wichtig waren, nenne ich im Folgenden noch einige Personen, die mir in der einen oder anderen Weise in Albanien zur Seite standen: Gëzim Gurga (Universität Tirana); Afërdita Onuzi (Direktorin des Instituts für Volkskultur in Tirana); Aleksandër Kola, Xhemal Meçi, Rasim Gjoka (Albanische