Vorgestellt Von Sabine Fallenstein
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Freitag, 09.05.2014 SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs: Vorgestellt von Sabine Fallenstein „Wenig bewegliche Stimme“ Franz Schubert „Winterreise“ Jonas Kaufmann, Tenor Helmut Deutsch, Klavier Sony Classical 88883795652 „Unbedingt empfehlenswerte Kompilation“ Lucerne Festival / Historic Performances Claudio Abbado Franz Schubert Sinfonie Nr. 7, „Unvollendete“ Wiener Philharmoniker Ludwig van Beethoven Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 36 Richard Wagner Siegfried-Idyll Chamber Orchestra of Europe Audite 95.627 „Herausragende musikalische Qualität“ Wolfgang Amadeus Mozart Le nozze di Figaro Andrej Bondarenko, Bariton (Graf Almaviva) Simone Kermes, Sopran (Gräfin Almaviva) Fanie Antelonou, Sopran (Susanna) Christian Van Horn, Bass (Figaro) Mary-Ellen Nesi, Sopran (Cherubino) Maria Forsström, Sopran (Marcellina) Nicolai Loskutkin, Bass (Bartolo) Krystian Adam, Tenor (Don Basilio) James Elliott, Tenor (Don Curzio) Gary Agadzhanian, Bass (Antonio) Natalya Kirillova, Sopran (Barbarina) MusicAeterna Leitung: Teodore Currentzis Sony Classical 88883709262 Am Mikrofon begrüßt Sie Sabine Fallenstein, heute mit diesen neuen CDs, die ich Ihnen kritisch vorstellen möchte: An Franz Schuberts „Winterreise” kommt wohl kein Liedsänger von Rang vorbei. Jonas Kaufmann hat nun zusammen mit dem Liedpianisten Helmut Deutsch beim Label Sony Classical seine „Winterreise“ vorgelegt. 1 Im Gedenken an den am 20. Januar dieses Jahres verstorbenen Claudio Abbado, einen der bedeutendsten Dirigenten unserer Zeit, hat das Lucerne Festival in alter Verbundenheit bisher unveröffentlichte Orchesteraufnahmen unter der Leitung von Abbado auf CD heraus gebracht: Franz Schuberts „Unvollendete“, die zweite Sinfonie von Ludwig van Beethoven sowie Richard Wagners „Siegfried-Idyll“. Und außerdem widmen wir uns der Oper: Der Dirigent Teodor Currentzis, vielgerühmter neuer Stern der historisch informierten Aufführungspraxis, hat mit seinem Ensemble MusicAeterna und Solisten wie Simone Kermes, Andrej Bondarenko, Fanie Antonelou und Christian Van Horn eine neue Gesamteinspielung von Wolfgang Amadeus Mozarts „Le nozze di Figaro“ produziert – auch hier hören wir nachher ausführlich hinein. Doch zunächst Schuberts „Winterreise“, erschienen beim Label Sony Classical. Unbestritten: Jonas Kaufmann ist ein Superstar unter den Operntenören dieser Welt. Wagner, Verdi, Puccini und Bizet sind die Komponisten, mit deren großen Tenorpartien er die internationalen Opernhäuser und Festivals erobert. Ob in Bayreuth oder Salzburg, in Wien, Mailand, London oder New York, überall liegt ihm das Publikum förmlich zu Füßen. Seine enorme Bühnenpräsenz, seine glanzvolle Höhe, die heldische Attacke und sein blendendes Aussehen – die Summe all dieser Qualitäten führt dazu, dass, wo auch immer Kaufmann die Opernbühne betritt, das Publikum schier aus dem Häuschen ist. Seine Art des virilen Singens, das in der Mittellage oft rauh und kehlig klingt, in der Höhe jedoch metallische Strahlkraft entwickelt, ist bei den Opernbesuchern ungemein beliebt. Ein deutscher Weltstar mit echter „italianità“ – wann hat es das zuletzt gegeben? Dennoch: Ich habe mich beim Abhören von Jonas Kaufmanns aktueller CD- Neuveröffentlichung immer wieder gefragt, warum ein so erfolgreicher und überzeugender Opernheld meint, sich unbedingt dem deutschen Kunstlied zuwenden zu müssen, und dann auch noch ausgerechnet einem der großartigsten, aber auch anspruchsvollsten Liederzyklen: Schuberts „Winterreise“. Sicher ehrt es Kaufmann, dass er sich zum Lied hingezogen fühlt, als gefeierter Star den Mut hat, künstlerisches Neuland zu betreten. Doch ist das Lied – zumindest bis dato – nicht sein Metier. Das mussten vor ihm schon einige große Opernsänger beiderlei Geschlechts erfahren, die im fortgeschrittenen Sängeralter – also mit etwa Mitte 40 – ihre Liebe zum Lied entdeckt haben. Und so bleibt auch die „Winterreise“ von Jonas Kaufmann letztendlich eine Enttäuschung. Die alte Weisheit, dass man für die Liedinterpretation eine perfekte Gesangstechnik benötigt, vor allem im Mezzavoce und im Piano, gilt noch immer und kann auch durch einen Star vom Schlage eines Jonas Kaufmann nicht einfach ignoriert werden. Denn gerade da hapert es bei Kaufmann hörbar. Seine Stimme sitzt weit hinten am Gaumen; sie ist wenig beweglich, klingt in der Mittellage häufig verhaucht und verschleiert. Durch diese Art des Singens kommt es zu unnatürlichen Vokalfärbungen; die Stimme fließt nicht natürlich auf dem Atem. Wo hingegen dramatische Ausbrüche angebracht sind, da kann Kaufmann opernhaft heldentenoralen Glanz entwickeln. Hören wir aus dieser Neueinspielung der „Winterreise“ nun zunächst die Lieder Nr. 1 und Nr. 4, „Gute Nacht“ und „Erstarrung“. Kaufmanns Begleiter ist der langjährig erfahrene Liedpianist Helmut Deutsch, der seinerseits zu sehr auf schöne Rundung und zu wenig auf Interpretation im Sinne einer rhetorischen Ausdeutung des Klavierparts setzt. 2 Musik 1: Franz Schubert: „Gute Nacht“ „Erstarrung“ aus „Winterreise“ Jonas Kaufmann, Tenor Helmut Deutsch, Klavier Track 1 5„32 Track 4 3‟00 =8„32 … Zwei Lieder aus Franz Schuberts „Winterreise“: „Gute Nacht“ und „Erstarrung“, gesungen von Jonas Kaufmann. Am Klavier war Helmut Deutsch – in diesen Hörbeispielen aus der aktuellen Neuerscheinung, die heute Thema dieser Sendung „SWR2 Treffpunkt Klassik – neue CDs“ ist. Die Geschichte der „Winterreise“ ist die eines Einsamen, Verlassenen, der nach zerbrochener Liebe in den Winter hinaus zieht. Franz Schubert hat mit seiner Vertonung der 24 Gedichte von Wilhelm Müller einen düster-depressiven Endzeitzyklus und zugleich eines der bedeutendsten Meisterwerke der Musikgeschichte geschaffen. Jonas Kaufmann wird in seiner neuen Einspielung diesen Aspekten weder sängerisch- stimmtechnisch noch interpretatorisch gerecht. Vergleicht man seine Aufnahme mit einigen CD-Einspielungen der letzten Jahre, beispielsweise von Christoph Prégardien, Matthias Goerne oder Christian Gerhaher, so bleibt er um einiges hinter den Genannten zurück. Denn offenkundig bringt Jonas Kaufmann nicht die gesangstechnischen Voraussetzungen für die Liedinterpretation mit. Stattdessen versucht er mit einer überemotionalen, an Oper gemahnenden Interpretation das wettzumachen, was ihm im Bereich der Tongebung und Klangdifferenzierung fehlt. Doch diese Art von „Dauererregung“ kann die im Liedgesang erforderliche Farbpalette, den Nuancierungsreichtum und die Schlichtheit der Stimmführung nicht ersetzen. Leider bleibt auch Helmut Deutsch, ausgewiesener Experte als Liedbegleiter, in dieser Aufnahme hinter seinen Möglichkeiten zurück: Zu häufig ergeht er sich in bloßem Wohlklang, in Klavierdekoration; zu selten ist in seinem Spiel die düstere, fahle Dimension dieser Musik zu erspüren. Lassen Sie uns nun noch in zwei weitere Lieder dieser „Winterreise“ hinein hören: Nr. 7, „Auf dem Fluss“, und Nr. 8, „Rückblick“. Auch hier fällt wieder einerseits die vordergründig beeindruckende Opernattacke mit Glanz und Strahlkraft auf, andererseits die klanglichen Defizite in der Mittellage, im Mezzavoce und im Piano. Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch: Musik 2: „Winterreise“ Track 7 „Auf dem Fluss“ 3„34 Track 8 „Rückblick“ 2‟11 = 5„44 Das waren zwei weitere Beispiele aus Schuberts „Winterreise“ mit Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch: die Lieder „Auf dem Fluss“ und „Rückblick“. Welche Unterschiede, ja Welten und Dimensionen zwischen Interpretationen der „Winterreise“ liegen können, erschließt sich sofort, wenn wir nun im Vergleich das eben 3 letztgehörte Lied, „Rückblick“, in der Aufnahme mit dem Bariton Christian Gerhaher und mit Gerold Huber am Klavier hören. Sie ist übrigens ebenfalls bei Sony Classical erschienen. Musik 3: Franz Schubert: „Rückblick“ aus „Winterreise“ Christian Gerhaher, Bariton Gerold Huber, Klavier CD 2, Track 8 2„10 Das war das Lied „Rückblick“ in der Vergleichsaufnahme zur neuen CD von Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch, in der Interpretation von Christian Gerhaher (Bariton) und Gerold Huber (Klavier). Sie hören die Sendung „SWR2 Treffpunkt Klassik – neue CDs“, heute mit Sabine Fallenstein. Wir kommen nur zur Orchestermusik, zu historischen Aufnahmen mit dem Dirigenten Claudio Abbado. Im Januar ist er 80-jährig nach langer Krankheit verstorben, und die Musikwelt trauert um einen der bedeutendsten Dirigenten der letzten 50 Jahre. Auch ein Mann wie der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano erwies dem im August 2013 zum Senator auf Lebenszeit ernannten Dirigenten die letzte Ehre und begleitete seinen Sarg bis zum Grab; in Abbados Heimatstadt Mailand hingen die Fahnen an allen öffentlichen Gebäuden auf Halbmast. Große offizielle Trauergesten in Italien für einen großen Künstler. Die außerordentliche Beliebtheit Claudio Abbados, die sich darin offenbart, ist nicht nur mit seiner herausragenden Bedeutung für das Musikleben zu erklären, sondern auch mit seiner geradezu sprichwörtlichen Bescheidenheit und Menschlichkeit. Typisch für ihn war beispielsweise seine Aussage: „Der Begriff ‚großer Dirigent„ hat für mich keine Bedeutung – es ist der Komponist, der groß ist.“ Seine fast sanfte Zurückhaltung wurde Abbado manchmal als Schwäche ausgelegt, aber alle „seine“ Orchester – seien es die Berliner, Wiener, Londoner Philharmoniker oder aber die Spitzen-Jugendorchester, die er gegründet und zeitlebens gefördert hat – sie alle trugen ihn gleichsam auf Händen; sie waren wie eine große Familie für ihn. Er beschenkte sie mit seiner Spiritualität und Humanität; sie revanchierten sich dafür mit musikalischen Sternstunden unter seiner Leitung. Claudio Abbado war aber auch ein homo politicus; seine Freundschaft