Staatsanzeiger · Freitag, 16. August 2013 · Nr. 32 Hintergrund 3

Wahlkampf: Grüne „Da muss man auch mal pragmatisch sein“

Nach dem guten Ergebnis bei der überhaupt noch Atomforschung be- Landtagswahl 2011 hoffen die treiben sollten“. Sicher: Brisante Fragen wie die nach einer zusätzli- Grünen bei der Bundestagswahl chen Brückenverbindung über den darauf, erstmals im Südwesten Rhein bei Karlsruhe wolle sie im ein Direktmandat zu erringen. In Wahlkampf ebenfalls thematisie- Karlsruhe scheinen die Chancen ren. Auch die Chancengerechtigkeit von Männern und Frauen sei ihr ein dazu gut. Sylvia Kotting-Uhl, ganz wichtiges Anliegen. atompolitische Sprecherin der 9,1 Prozent im Jahr 2005 und 15,2 Bundestagsfraktion, ist bekannt Prozent hat sie an Erststimmen ge- und gehört seit Langem zur Füh- holt – zum Direktmandat reichte das rungsriege der Partei im Land. bisher nicht. „Wir wollen aber an- greifen“, versichert sie. Rückenwind Von Marcus Dischinger bringe die Tatsache, dass im eigenen Bundesland Grün-Rot regiere. Die Ausgangslage in Karlsruhe für ein KARLSRUHE. Einen langen Anlauf gutes Erststimmen-Ergebnis deut- braucht die Grünen-Politikerin Syl- lich über 20 Prozent könnte kaum via Kotting-Uhl nicht, wenn sie ans besser sein. CDU-Mann Wellen- Rednerpult tritt. „Ich war in der ver- reuther spaltet nach seiner überra- gangenen Legislaturperiode atom- schend deutlichen Niederlage bei politische Sprecherin“, lautet der der Oberbürgermeister-Wahl im fast schon buchhalterisch klingende Dezember 2012 die eigene Anhän- Auftaktsatz der 60-Jährigen bei einer gerschaft. Schon bei der vergange- Wahlkampfrede auf dem zentralen nen Landtagswahl hatten die beiden Stephanplatz in Karlsruhe. „Begon- Grünen-Kandidaten der CDU fast nen haben wir mit einer Laufzeitver- die Direktmandate abgeluchst. längerung bei den Atomkraftwer- Sylvia Kotting-Uhl, Grünen-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Karlsruhe macht ihrer Ansicht nach eine pragmatische Atompolitik; in der Partei gilt sie eher als links. FOTO: DISCHINGER Schließlich schickt die SPD ihren 31 ken, dann kam der Atomausstieg, Jahre alten Kreisvorsitzenden Parsa wir enden mit der Stilllegung des schien nicht mehr passend“, sagt sie promisse machen, da bin ich schon Marvi ins Rennen, der zum ersten Zwischenlagers Asse und haben heute darüber. Es war der Einstieg in sehr pragmatisch“. Ansonsten gelte Mal antritt und einen entsprechend eine ergebnisoffene Studie bei der die Politik. Viele Jahre arbeitete sie sie eher als linke Grüne – etwa in der niedrigen Bekanntheitsgrad hat. Die Suche nach einem Endlager er- im Orts- und Kreisverband mit – ver- Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspoli- Linken-Kandidatin Karin Binder reicht“. Kotting-Uhl schreibt diese bunden mit der Herkunft aus der tik. Die Begriffe „Realo“ und „Fundi“ wird im Kampf um das Direktman- Erfolge ohne Umschweife der Grü- Ökologiebewegung ein typischer verwendet sie dafür nicht mehr. dat keine Rolle spielen. Sie ist zudem nen-Fraktion im zu. Werdegang bei den Grünen. über die Landesliste abgesichert. „Diese Beschlüsse gab es, weil wir Seit Langem ist sie Mitglied im Bundespolitische Funktion steht Bloß die hohen Zustimmungs- stark sind“, ruft sie den rund 300 Be- Landesvorstand. 2005 folgt der Ein- stärkerer Präsenz vor Ort im Weg werte für Kanzlerin sucherinnen und Besuchern der zug in den Bundestag. Schon in ihrer (CDU) verursachen bei Sylvia Kot- Veranstaltung zu. Die Anhänger ersten Wahlperiode bekleidet sie Genau dieses Amt der atompoliti- ting-Uhl einigermaßen Ratlosigkeit. klatschen begeistert. das für die Grünen wichtige Amt der schen Sprecherin fordert aber auch „Sie über der Politik der Koalition Fraktions-Sprecherin für Umwelt- einen Tribut. Im Vergleich zum vor schweben zu lassen, das funktio- Kotting-Uhl ist Sprecherin für ein politik. 2009 wurde feinjustiert. Seit- Ort omnipräsenten CDU-Konkur- niert eigenartigerweise“, meint sie Kernanliegen grüner Politik her ist Kotting-Uhl speziell für renten kann sie dazu bloß. Dass in den kommenden Atompolitik zuständig. „Ich habe deutlich weniger Termine vor Ort Wochen Wahlkampf stattfindet mit Stark fühlt sich Sylvia Kotting-Uhl in bei Kotting-Uhl landen. Sie vertritt Auf einer „Öko-Insel“ irgendwo im sehr viel erreicht“ sagt sie und klingt wahrnehmen und muss wegen der Infoständen, Wahlkampfreden, Po- ihrer Funktion als atompolitische in der Atompolitik „urgrüne“ Kern- Kraichgau, erzählt die Germanistin kein bisschen überheblich: „Die hervorgehobenen Stellung des The- diumsdiskussionen und viel Kon- Sprecherin zweifelsohne auch. Mit anliegen und genießt deshalb im und Kunsthistorikerin. Mit ihrer Fa- fraktionsübergreifenden Beschlüs- mas Atom bundesweit agieren. takt mit Bürgern findet die 60-jähri- Abstand genießt sie die meiste Me- Landesverband Baden-Württem- milie hatte sie in den 1980er-Jahren se zur Lex Asse und zur Standortsu- „Es gibt aber auch genügend The- ge Politikerin wichtig. „Der eigentli- dienpräsenz in den Reihen der Ab- berg großen Rückhalt. Auf Platz drei im Nordbadischen einen Hof ge- che für ein Endlager sind schon sehr men vor Ort“, sagt sie bei einem Ge- che Sinn von Politik ist aber die Ar- geordneten, wenn es darum geht, der Grünen-Landesliste ist sie auch kauft, um ein alternatives Landle- richtig“. Und sie verteidigt sich ge- spräch in ihrem Wahlkreisbüro, das beit im Bundestag und die Arbeit an Umweltminister für den kommenden Bundestag si- ben anzufangen. „Die Kinder sollten gen Angriffe aus der eigenen Partei, mit Plakaten von Wahlkampagnen Konzepten“, schiebt sie nach. (CDU) und Wirtschaftsminister Phi- cher gesetzt. Vor ihr stehen lediglich gesund aufwachsen können“, er- als Nachverhandlungen beim End- bestückt ist. „Wir haben hier die lipp Rösler (FDP) in Sachen Atom- die Freiburgerin zählt sie. Das Waldsterben, das lagerbeschluss gefordert wurden. Wiederaufbereitungsanlage im frü- politik Paroli zu bieten. Wer die und der Stuttgarter Bundesvorsit- Ozonloch und schließlich die Reak- Das hatte sie zunächst selbst ver- heren Kernforschungszentrum, das MEHR ZUM THEMA Stichworte „atompolitischer Spre- zende Cem Özdemir. tor-Katastrophe in Tschernobyl im treten. Aber: „Das Endlager-Suchge- Atomkraftwerk in Philippsburg und Am 23. August berichten wir über den cher“ und „Bundestag“ in eine Sylvia Kotting-Uhl wollte eigent- Jahr 1986 kamen dazwischen. „Das setz ist zu 75 Prozent Grün und man die Frage, inwieweit wichtige For- Wahlkampf von Jürgen Rücker, Suchmaschine eingibt, wird zuerst lich zunächst auf einer Insel leben. Leben unter der grünen Käseglocke muss eben manchmal auch Kom- schungseinrichtungen in Karlsruhe SPD-Kandidat im Landkreis Böblingen.