1 SWR2 Tandem
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2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Aus Trossingen zum Vallenato Hohner-Akkordeone in Kolumbien Autor: Kai Laufen Redaktion: Rudolf Linßen Sendung: 28.12.2010 um 10.05 Uhr in SWR2 Wiederholung: 30.08.2012 um 10.05 Uhr in SWR2 __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. In jedem Fall von den Vormittagssendungen. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de ___________________________________________________________________ 1 MANUSKRIPT Atmo: Plaza Erzähler: Ein Marktplatz voller Menschen, 35 Grad im Schatten, den Magnolien und Akazienbäume spenden. Auf einer großen Bühne stehen drei Jungs, 13, vielleicht 15 Jahre alt: Musiker. Einer schlägt die Handtrommel, der zweite rührt mit einem Metallbesen auf einem geriffelten ausgehöhlten Stück Ast, der Guacharaca. Der dritte spielt mit Bravour und großer Konzentration ein Akkordeon. Was macht dieser Inbegriff alpenländlicher Gemütlichkeit, dieses Sinnbild einer ausgestorbenen volkstümlich deutschen Kultur hier im Hinterland der kolumbianischen Karibikküste? Wie konnte ausgerechnet dieser halbmechanischer Vorläufer des Synthesizers seinen Weg aus der deutschen Guten Stube in die palmenbedeckten Hütten des südamerikanischen Dschungels finden? Musik: Alejo Duran „Pedazo de Acordeón” Este pedazo de acordeón hay donde tengo el alma mía. Allí tengo mi acordeón y parte de mi alegría Muchachos si yo me muero les vengo a pedir el favor. Hay me llevan al cementerio este pedazo de acordeón. Eso dicen mis amigos que esto es una vanidad Hay si nadie me da cariño como mi acordeón me da. Sprecher Overvoice: In diesem Akkordeon steckt meine Seele. Dieses Akkordeon ist ein Teil meines Glücks. Freunde, wenn ich mal sterbe, bitte ich euch, nehmt dieses Akkordeon mit zum Friedhof. Es ist keine Kleinigkeit, wenn ich sage, dass niemand mir so viel Zärtlichkeit gab, wie dieses Akkordeon. Erzähler: Die Worte Alejo Duráns bringen sie noch heute am besten auf den Punkt, die tiefen Gefühle der Nord-Kolumbianer für ihre Musik - ihren Vallenato. Musik: Alejo Duran „Pedazo de Acordeón” Erzähler: Alejo Durán, 1919 geboren, gestorben 1989, wurde zu Lebzeiten nur liebevoll „El Negro Grande“ genannt - Der Große Schwarze -, so wie in Kolumbien fast jeder Mensch, jeder Ort, einen zärtlichen Spitznamen bekommt. Durán ist eine Legende des Vallenato, so wie seine Zeitgenossen Juancho Polo oder Rafael Escalona. Es sind die großen Namen der Frühzeit des Vallenato. Denn noch vor wenigen Jahren waren diese Musik, dieser Lebensstil in Kolumbien selbst als provinziell verpönt und außerhalb der Karibikregion unbekannt. Mit jungen Musikern und vor allem einem neu aufkommenden kulturellen Selbstbewusstsein in dem krisengeschüttelten Flächenstaat kam auch die eigene Volksmusik in den 90er Jahren wieder in Mode. 2 Mittlerweile wird Vallenato nicht nur in Kolumbien gefeiert: Von Mexiko bis Peru tanzt Lateinamerika heute zu den vier verschiedenen Grundrhythmen, lässt sich von der Trommel, vor allem aber vom akrobatisch schnell gespielten Akkordeon anfeuern. Instrumente mit einem deutschen Schriftzug. 1968 wurde Alejo Durán zum ersten „Rey del Vallenato“, zum König dieser Volksmusik gekrönt. Bis dahin waren die Musiker als tropische Troubadoure von Dorf zu Dorf gezogen. So sagte der kolumbianische Journalist Ernesto McCausland, dass die Vallenato-Kultur ohne dieses Instrument, das aus Deutschland nach Kolumbien gelangte, schlicht undenkbar sei: Ernesto McCausland: Sprecher overvoice: Die Deutschen haben da ein Instrument zum Reisen erfunden. Und es traf hier auf eine Zivilisation, die genau so etwas brauchte, ein transportfähiges aber vollwertiges Instrument. Denn in jedem Fall war das Akkordeon den hier typischen Blasinstrumenten überlegen, es hatte mehr Klangvielfalt als zum Beispiel Flöten. So war es logisch, dass die nomadische Bevölkerung, die zum großen Teil Hirten waren, dieses Instrument aufgriff. Sie nahmen es mit, wenn sie auf Eseln durch die Gegend zogen. Erzähler: Vor gut 40 Jahren wurde die nomadische Volkskultur ein Stückchen sesshafter, als Musiker und Freunde in Valledupar einen ersten öffentlichen Wettstreit austrugen. Dabei wurde bewertet, die originell eine Komposition war, wie virtuos der Akkordeonspieler oder die Sänger forderten sich gegenseitig heraus: Einer begann mit einer improvisierten Strophe, sein Konkurrent mussten nicht nur deren Sinn und Inhalt fortführen, sondern seine Strophe auch noch mit dem letzten Wort des Vorgängers beginnen - bis einer aufgab. Die Legende, die erzählt, wie überhaupt das Akkordeon an die kolumbianische Karibikküste kam, ist so phantastisch, dass sie vom berühmtesten Sohn dieser Region stammen könnte, dem Nobelpreisträger Gabriel García Márquez. „Irgendwann einmal sei ein Dampfer aus Deutschland auf dem Weg nach Buenos Aires gewesen ...“ Wilhelm Wlassow: ... und das Schiff hatte einen Motorschaden und ist vor der kolumbianischen Küste gesunken. Damals waren unsere Akkordeons in Holzkisten verpackt. Also sind sie geschwommen. Sind an Land gekommen, die Indios haben die Kisten dann eben auf gemacht, wussten nicht, was drin war und haben dann angefangen, damit rumzuspielen. Und das ist, laut der Legende, der Anfang der Vallenato-Musik gewesen. Erzähler: So jedenfalls wird die Legende bis heute in der Region erzählt und so hat sie auch Wilhelm Wlassow gehört. Wlassow ist Vertriebschef bei Hohner, der traditionsreichen Musikinstrumentenfirma mit Sitz im schwäbischen Trossingen. Er ist dieses Jahr zum zweiten Mal nach Valledupar auf das große Festival des Vallenato gekommen. Nun steht er in den Katakomben des großen Stadions, in dem einmal im Jahr das Vallenato-Festival perfekt inszeniert wird. 3 Wilhelm Wlassow: Es gibt natürlich auch andere Produzenten, die ein ähnliches Instrument machen. Warum gerade Hohner so eine dominante Rolle spielt, ist selbst mir nicht erklärlich. Es gibt natürlich Konkurrenten und natürlich ist so ein Instrument für die Kolumbianer sehr teuer. Wir haben deswegen auch zwei neue Modelle gemacht. Das eine heißt „Rey del Vallenato“ und das andere heißt „Compadre“ - zum halben Preis. Erzähler: Mit dieser Marketingstrategie folgt die Firma ihrer eigenen, mittlerweile 150 Jahre währenden Tradition, sich schnell und offenbar erfolgreich an die Märkte rund um die Welt anzupassen. (Wochenschau 1957) Als die Deutsche Wochenschau 1957 ein Jubelbeitrag zum 100sten Firmenjubiläum von Hohner zeigte, war das Akkordeon auch hierzulande noch weit verbreitet und beliebt. Zu ihren besten Zeiten hatte die Firma rund 3.000 Angestellte, man fertigte in Trossingen und exportierte in alle Welt. Davon zeugt heute das Deutschen Harmonika-Museum. Leiter Martin Heffner hütet einen Schatz, der viel über die deutsche Industriegeschichte verrät, aber auch über das ewige Fernweh, das im Hohner-Design der 40er oder 50er Jahre ein wenig an Karl-May-Romantik erinnert: Martin Heffner: Die ganzen Schachteln zum Beispiel der Mundharmonika. Für alle Welt, auch Südamerika, die Farbenfrohen „Bellos Cantores“ oder für die Schwarzafrikanerin die Mundharmonika zum über’s Ohr hängen, für Australien der Boomerang. Man wollte den Geschmack der Völker treffen und das natürlich wunderschön verpackt. Es gibt sicher kein Produkt das so viel Kulturgeschichte, Zeitgeschichte widerspiegelt.“ Erzähler: Die bunten Motive der Schachteln und Plakate, mit Papageien und Fächer- wedelnden Damen verraten wohl mehr über das Bild, dass die Deutschen sich damals von exotischen Regionen machten, als über die Realität in diesen Weltgegenden. Zwar hatte Firmengründer Matthias Hohner von Beginn an den Weltmarkt von Trossingen aus fest im Blick, aber was die Menschen in Übersee tatsächlich mit seinen Instrumenten anstellten, konnten er und seine Erben lange Zeit mehr ahnen als wissen. Dennoch hatte der Patriarch stets das richtige Gespür, meint der heutige Geschäftsführer Klaus Stetter. Klaus Stetter: Das war ein ganz klares Konzept, man möchte international sich entwickeln, man sucht sich die Märkte und das ging bis dahin, dass man bereits in den 1920er Jahren Fabriken aufgebaut hat zum Beispiel in Indien, später in Brasilien, weil man einfach gesehen hat: da sind Märkte, die Leute spielen auch die Instrumente und dass man dort die Instrumente zur Verfügung haben muss. Heute kann man das natürlich mit der modernen Logistik ganz anders betreiben, aber das waren ganz wichtige Meilensteine, sich zu entwickeln. Und über den Weg hat man natürlich auch gesehen, man muss für Südamerika ganz andere Marketing und Vertriebskonzepte fahren, als vielleicht für die USA und für Asien