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40 Jahre Wirtschaftsgeschichte im Landkreis – Hoch- schwarzwald

Das Jahr 1973 war weltpolitisch unruhig. Die USA beendeten den Vietnamkrieg und wurden durch die Watergateaffäre erschüttert. In Chile und Griechenland putschte das Militär, Europa setzte große Hoffnungen auf die KSZE-Konferenz in Helsinki und die Bundesrepublik und die DDR traten den Vereinten Nationen bei. Wirtschaftspoli- tisch stand das Jahr zunächst unter dem Eindruck des Beitritts von Großbritannien, Dänemark und Irland zur EWG, später der Ölpreiserhöhung um 70 Prozent durch den Verbund der Förderländer OPEC; im Gefolge kamen die erste Ölkrise und das erste Sonntagsfahrverbot. Der Dollarkurs stürzte ab, zeitweise wurden die Devisen- börsen geschlossen. Die Wirtschaft trieb allmählich auf das Rezessionsjahr 1975 zu.

Im ersten Jahr nach der Kreisreform zum 1.1.1973 waren im neuen Landkreis Breis- gau-Hochschwarzwald schon die wichtigsten räumlich-ökonomischen Grundstruktu- ren angelegt, die ihn noch 40 Jahre später kennzeichnen. Der Hochschwarzwald hat- te den Übergang vom Uhrenbau und der Feinmechanik hin zum Spezialmaschinen- und Gerätebau weitgehend bewältigt, im Markgräflerland waren mit Müllheim, Neu- enburg oder schon in den 60er Jahren durch Ansiedlungen wie AUMA, Hellma, Freudenberg oder Hirtler neue industrielle Zentren entstanden, im Westen und im Osten Freiburgs waren bereits mittlere Arbeitsplatzstan- dorte, während das unmittelbare Freiburger Umland schon seit einigen Jahren von Firmenverlagerungen aus profitiert hatte. Als Symptom für eine Wirtschaft im Wandel lässt sich vielleicht deuten, dass 1973 das Jahr war, in dem die Kaliminen in ihren Betrieb einstellten und in dem die „Badischen Plasticwerke“ (spä- ter Peguform) in Bötzingen ihr Produktionsspektrum um technische Formteile für die Autoindustrie erweiterten.

Die wirtschaftliche Entwicklung im Landkreis seit seiner Gründung lässt sich am bes- ten durch den Zuwachs der Arbeitsplätze abbilden, in der Abbildung dargestellt an- hand der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer, die etwa 80-85 Prozent aller Erwerbstätigen ausmachen.

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Landkreis seit 1974 80.000 VBA insgesamt

70.000 Produzierendes Gewerbe 60.000 Dienstleistungen

50.000

40.000

30.000

20.000

10.000 Beschäftigte am Arbeitsort (30.06.) Arbeitsort am Beschäftigte

0

1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Jahr

Für 1973 liegen keine, für 2013 noch keine Beschäftigtendaten vor.

Wie die obere Kurve (blaue Rauten) zeigt, nahm die Zahl der Arbeitsplätze vor allem bis Anfang der 90er Jahre stark und stetig zu. Es folgte eine Konsolidierungsphase bis etwa 2005 mit schwächeren Zuwächsen, in der die Arbeitsplatzzunahmen im Dienstleistungsektor den leicht rückläufigen produzierenden Sektor nur knapp aus- gleichen konnten und in die die Rezessionsjahre 1993 und 2003 fielen. Der jüngste starke Zuwachs an Arbeitsplätzen seit etwa 2005 ist zum einen auf die gute Wirt- schaftsentwicklung, zum anderen auf die starke Tendenz zu Teilzeitarbeitsplätzen zurückzuführen.

An den Verläufen der grünen Kurve (Produzierender Sektor) und der roten Kurve (Dienstleistungsektor) lässt sich der sektorale Strukturwandel im Landkreis gut er- kennen, der hier später und schwächer ablief als in vielen anderen Wirtschaftsräu- men. Bis zum Jahr 1991 gab es im Landkreis mehr Arbeitsplätze im Produzierenden Sektor, erst dann zog der Dienstleistungsektor vorbei und stellte 2012 einen Arbeits- platzanteil von 61 Prozent. Dass es heute trotzdem im Landkreis mehr industrielle Arbeitsplätze als vor 40 Jahren gibt ist eine regionale Besonderheit, die weniger auf größere Industrieansiedlungen zurückgeht als auf eine sehr gute Entwicklung vieler Firmen im Industrie- und Gewerbebestand.

Ein weiteres Merkmal der „Wirtschaftsgeschichte“ im Landkreis ist seine räumlich relativ ausgeglichene Entwicklung. Bis auf ganz wenige Ausnahmen konnten die Städte und Gemeinden im Landkreis seit 1973 Arbeitsplatzzunahmen verzeichnen. Die Abbildung reiht die Kreisgemeinden von links nach rechts nach ihrer Beschäftig- tenzahl 2012 (Dreiecke in pink). Die Rauten stellen die entsprechenden Wer- te des Jahres 1974 dar. Am Abstand zwischen den beiden Symbolen lässt sich der Arbeitsplatzzuwachs in den letzten rund 40 Jahren ablesen. Interessant ist z.B., dass und Titisee-Neustadt die Plätze 2 und 3 „getauscht“ haben, ähnlich gilt das für Neuenburg und Breisach. Nur in und Münstertal liegt der Wert von 1974 leicht über dem Wert von 2012.

Versicherungspflichtig Beschäftigte in den Kreisgemeinden 1974 und 2012

8.000

7.000

6.000

5.000

4.000

3.000 1974 und20121974

2.000

1.000

0

Au

March

Sölden

Stegen

Staufen

Ihringen Wittnau

Versicherungspfl. beschäftigte Arbeitnehmer am Arbeitsort Arbeitsort am Arbeitnehmer beschäftigte Versicherungspfl.

Oberried

Feldberg

Breisach Löffingen

Müllheim Hartheim St. Peter

Glottertal

Lenzkirch

Bötzingen Eschbach

Vogtsburg

Merdingen

Eisenbach Buggingen Münstertal

Neuenburg

St. Märgen

Schallstadt

Kirchzarten Eichstetten

Gottenheim VBA 30.6.1974

Schluchsee

Heitersheim Ballrechten-

Badenweiler

Merzhausen

Buchenbach

Gundelfingen

Ehrenkirchen

Bad Bad Krozingen VBA 30.6.2012 Titisee-Neustadt 2

In der Sortierung nach absoluten Arbeitsplatzveränderungen seit 1974 werden vor allem die besonders hohen Zuwächse von Bad Krozingen, Müllheim, Neuenburg und Umkirch deutlich:

Arbeitsplatzentwicklung 1974 bis 2012 in den Kreisgemeinden

Badenweiler Münstertal Auggen Horben Friedenweiler Bollschweil Heuweiler Breitnau St. Märgen Ballrechten-Dottingen Löffingen Wittnau Pfaffenweiler St. Peter Ebringen Feldberg Sölden Hinterzarten Schluchsee Oberried Staufen Eichstetten Breisach Titisee-Neustadt March Sulzburg Buggingen Hartheim Eschbach Kirchzarten Bötzingen Heitersheim Umkirch Neuenburg Müllheim Bad Krozingen -1.000 -500 0 500 1.000 1.500 2.000 2.500 3.000 3.500 4.000 absolute Arbeitsplatzveränderung 1974 bis 2012

Ein strukturpolitisches Ziel des Landkreises muss die Vermeidung von wachsenden räumlichen Disparitäten sein, d.h. es gilt, ein „Auseinanderdriften“ der Kreisgebiete oder das „Abhängen“ strukturschwacher Gebiete zu verhindern. Als Betrachtungs- räume eignen sich die raumordnerischen Mittelbereiche als wichtige Aktionsräume für Arbeit, Ausbildung, Versorgung und Freizeit. Wie die folgende Abbildung zeigt konnten alle fünf Mittelbereiche seit 1974 deutliche Arbeitsplatzzuwächse realisieren, allerdings ist die Arbeitsplatzverteilung in diesem Zeitraum merklich ungleicher ge- worden: Lagen die Mittelbereiche Freiburg (ohne Stadt Freiburg), Müllheim und Titi- see-Neustadt 1974 noch ziemlich gleichauf, so haben sich das Freiburger Umland und der MB Müllheim inzwischen deutlich vom Feld abgesetzt.

3 Arbeitsplätze 1974 und 2012 in den Mittelbereichen des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald

25.000

20.000

15.000

10.000

5.000

Versicherungspflichtig Versicherungspflichtig Beschäftigte 0

Breisach

Müllheim

Bad Stadt FR)

Freiburg (ohne Freiburg VBA 30.6.1974 Titisee-Neustadt VBA 30.6.2012 Krozingen/Staufen

Mit der guten Entwicklung der Arbeitsplätze korrespondierte auch meist eine gute Arbeitsmarktlage – obwohl die Zahl der Einwohner und der Erwerbspersonen (und damit die Erwerbsnachfrage) im Landkreis stetig zunahm. Bis weit in die 80er Jahre hinein herrschte – bis auf ausgesprochene Rezessionsjahre – annähernd Vollbe- schäftigung – und die Arbeitslosenzahl im Landkreis überstieg kaum die Zahl von 3.000. Am 30.9.1990 lag sie z.B. bei 2.8601. Das änderte sich in den 90er Jahren, wobei 1997 mit einer Arbeitslosenzahl von 6.475 (30.9.) ein vorläufiger Höchststand registriert werden musste. In den rund 10 Folgejahren lag dann das Niveau der Ar- beitslosigkeit deutlich höher als vorher und erreichte neue Höchstwerte 2003 (6.395 AL im Jahresdurchschnitt, ALQ 5,1 %) und 2005 (7.086 AL im Jahresdurchschnitt, ALQ 5,6 %). Erst in den letzten 5-6 Jahren erholte sich der Arbeitsmarkt wieder spür- bar. Im Jahresdurchschnitt 2012 lag die Arbeitslosenzahl bei 4.360 und die Arbeitslo- senquote betrug niedrige 3,3 Prozent.

Als Resumé kann man feststellen, dass sich der Landkreis Breisgau- Hochschwarzwald in 40 Jahren als Wirtschaftsstandort gut entwickelt hat. Eine sol- che Entwicklung darf man sich nicht als eindimensionales Wachstumsmodell vorstel- len. Besser trifft das Bild eines fahrenden Busses, in den immer wieder Fahrgäste aus- und einsteigen. Selbst im relativ kurzen Zeitraum von 40 Jahren kam es zu zahl- reichen Abgängen und Zugängen von Firmen. So können sich an die Namen Schraubenfabrik Neustadt, OKAL, Kadus, Studer Revox, Gubor, Buckbee Mears Eu- rope, Hoya Lens, Irisette, Wisi oder BRAIN oft nur noch ältere Bürger erinnern. Die Lücken, die diese Firmenverluste hinterlassen haben, wären noch größer gewesen, wenn nicht Firmen wie CTS Magna, Johnson Controls, Rexam, Vitrashop, PEARL, Inprotec, Cewe Color, Zimmer, Lidl Zentrallager, A. Raymond, Merkur Frucht oder Swissphone neu dazugekommen wären.

1 Arbeitslosenzahlen auf Landkreisebene werden erst seit 1987 veröffentlicht 4