TORSTEN RASCH Der Blitz Eilt Dem Donner Voraus
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
555 555-2 ORCHESTERLIEDER NACH TEXTEN UND MUSIK DER GRUPPE RAMMSTEIN GESANG: RENÉ PAPE SPRECHERIN: KATHARINA THALBACH DIRIGENT: JOHN CAREWE DRESDNER SINFONIKER TORSTEN RASCH Der Blitz eilt dem Donner voraus. Doch während werden von einer alles ergreifenden Woge aus Commedia Divina eigen war. So blieb Dante bis erster nur für den Bruchteil eines Augenblicks Klängen, die so alt sind wie die erste Schwin- heute ungleich öfter illustriert als vertont. sichtbar ist, offenbart sich letzterer über gung, in ihrer verzehrenden Unmittelbarkeit Die Worte, aus denen sich der Liederzyklus fünf, zehn, zwanzig Sekunden. Mal entlädt er jedoch immer wieder den ewigen Akt von „Mein Herz Brennt“ zusammenballt, sind kaum sich mit jähem Krachen, das nach hinten Zerstörung und Schöpfung vollziehen, stellt zehn Jahre alt, zum großen Teil sogar wesentlich verebbt, ein andermal schwillt er grummelnd alle Bilder in Frage. jünger. Und doch findet sich in ihnen jene an, um auf dem Höhepunkt seine ganze Kraft Eindringlichkeit wieder, die seit Jahrtausenden zu entfalten und sich leise zurückzuziehen. Es Der klassische Liederzyklus ist eine vom Aus- Träger menschlicher Urängste und –Bedürfnisse ist der Donner, der unsere Seele beunruhigt, sterben bedrohte Kunstgattung. In Schubert, ist. Gesprochen oder gesungen, geflüstert oder auch wenn der Blitzableiter unser Leben Schumann, Brahms, selbst in Mahler, Strauss geschrien setzen sie sich über die Limits von beschützt. Genauso ist es das Privileg der und Schönberg zollen wir der Tradition Tribut, Geografie und Chronologie hinweg. In ihrer Musik, dem Ohr Welten zu ertasten, die das ohne uns bei aller Ergriffenheit mit unseren erschütternden Allgemeingültigkeit verbinden Auge später festzuhalten glaubt. Zu schnell heutigen, von der Hektik des Alltags geprägten sie sich mit den Elementen, welche ebenso das ist das Spektrum der optisch wahrnehmbaren Ängsten und Sorgen wiederzufinden. Musik als zirkulierende und pulsierende Universum ab- Farben abgerissen, um der Vielfalt der Klänge Refugium. Eine Art Flucht nach hinten, die uns bilden wie das zufällig beim Zeitunglesen auch nur annähernd standhalten zu können. Geborgenheit vermuten lässt, auch wenn sie aufgewirbelte Staubkorn, gleichermaßen Wir- Und doch neigt der Mensch zu visuellen Ana- ihren Schöpfern nicht selten Ausdruck ultima- belstürme und Erdbeben auslösen wie milliar- logien, um das Mysterium der Klänge durch- tiver innerer Zerrissenheit war. Welch Anachro- denfach reproduzierte Mikrobefindlichkeiten schaubar zu machen. Noch immer bunkern wir nismus, ins dritte Jahrtausend mit einem von Verlangen bis Eifersucht. Geigen, Pauken, unsere Erinnerung in Fotoalben, weil wir dem Liederzyklus zu treten, der weder mit Postmo- Hörner schließen sich wie ein Zyklon um Schatten eher trauen als dem Hall. Dabei meint derne kokettiert noch die Unentrinnbarkeit Gedankenfetzen, so fragmentarisch wie folge- der Déjà-vu entgegen seinem wörtlichen Sinn sich ständig wiederholender Mikrostrukturen richtig, so zufällig wie erhaben über die Zeiten keineswegs das schon Gesehene, sondern das zu einem die Seele verchromenden Grundmodell hinwegfegend. Wenn die Apokalypse mit der Geahnte, Erträumte, Gefürchtete und in dieser abgeklärter Weltaneignung macht. Musik, die Genesis eins wird, beginnt mein Herz zu bren- Form schon Gehörte oder über das Ohr Antizi- so trügerisch ist, weil sie so betörend schön nen. Der Klang verhallt, das Wort verstummt, pierte. Schicksal, Ahnung, Furcht sind mit ist. Klangalchimie setzt sich über virtuelle doch legt sich das Gehörte und Durchlittene Farben, Formen, Konturen kaum fassbar. Die Ausweglosigkeit hinweg. in seiner nachdrücklichen Schönheit wie ein bedeutenden Maler und Bildhauer haben in Film auf seine Kreationen. Ob sich aus der der epochalen Unvergänglichkeit ihrer Werke Am Anfang stand das Wort. Schon Dante wusste, Asche der Empfindungen ein gefiederter Erlöser Seelenabgründe bestenfalls beschrieben oder dass er sich entscheiden musste, ob er mit empor schwingen wird, liegt hingegen nicht mit Entsprechungen begreifbar gemacht, nie- seinen Worten Bilder entwerfen oder Klänge in der Macht der Schöpfer. mals jedoch mit jener brachialen Wucht ins assoziieren wollte. Es bedurfte mehrerer Jahr- Innerste ihrer Adressaten geschleudert, wie hunderte, bis die Musik zu jener Gewalt an- Wolf Kampmann das große Musik vermag. Hinweg gefegt zu schwoll, die der Sprache des Schöpfers der Der mit den Dresdner Sinfonikern unter Leitung nicht vor Konservatismen und provoziert mit große Partien unter Daniel Barenboim und von John Carewe, Sprecherin Katharina Thalbach unerhörten Klängen. In seiner Art des Umgangs Zubin Mehta, wurde von Sir Georg Solti nach und Sänger René Pape aufgeführte Zyklus „Mein mit zeitgenössischen Texten und der histori- Salzburg geholt und ist seit 1994 auch in Herz Brennt“ steht in der Tradition von Gustav schen Einbettung brandaktuellen Gedankenguts Bayreuth tätig. James Levine brachte ihn 1995 Mahlers Kindertotenliedern nach Texten von vollzieht sich die Apotheose einer verloren an die Metropolitan Opera in New York. Katharina Friedrich Rückert oder Richard Strauss‘ „Vier geglaubten Klangsprache. Thalbach gehört zu den vielseitigsten deutschen Letzten Liedern“ nach Vorlagen Hermann Hesses. Die vor fünf Jahren gegründeten Dresdner Schauspielerinnen auf Bühne und Leinwand. Doch so sehr die schicksalhafte Verbindung Sinfoniker sind in mehrfacher Hinsicht für die Ihre Theater-Rollen, allen voran die von Text und Musik hier an die deutsche Ro- Uraufführung von „Mein Herz Brennt“ prädesti- „Dreigroschenoper“ und „Mutter Courage“, sind mantik und späte Wiener Klassik erinnert, so niert. Das von Schlagzeuger Sven Helbig und ungezählt. Den internationalen Durchbruch als aktuell und brisant ist doch der äußere Rahmen. Hornist Markus Rindt initiierte weltweit einzige Filmstar erlebte sie in Volker Schlöndorfs Am Anfang standen Texte von Till Lindemann. Sinfonieorchester, das sich ausschließlich Verfilmung von „Die Blechtrommel“, jüngeren Am Ende eines langen Prozesses von Transfor- zeitgenössischer Musik widmet, setzt sich aus Kinogängern wurde sie vor allem in mationen stand ein Liederzyklus, wie er in Mitgliedern fast aller großer Orchester Deutsch- „Sonnenallee“ zum Begriff. Seit 1993 setzte Deutschland seit einem halben Jahrhundert lands und vieler renommierter europäischer sie auch als Bühnenregisseurin Akzente. Im nicht mehr komponiert wurde. Orchester zusammen. Alle Beteiligten eint der Berliner E-Werk inszenierte sie zudem mit Produzent Sven Helbig las zunächst die Texte Wille zur kollektiven musikalischen Gestaltung „Don Giovanni“ ihre erste Oper. Dirigent John von Rammstein-Sänger Lindemann, ohne ihre und die Leidenschaft für eine Musik ohne Carewe lernte sein Handwerk unter anderem Umsetzung durch dessen Band zu kennen. Er ästhetische oder ideologische Scheuklappen. bei Schönberg-Schüler Walther Goehr, Olivier weilte in äußerst sensiblen Zeilen, die mit „Mein Herz Brennt“ ist eine ebenso folgerichtige Messiaen und dem jungen Pierre Boulez. 1957 menschlichen Urinstinkten, Ängsten und Emo- wie provokante perspektivische Erweiterung gründete er in London das New Music Ensemble. tionen spielten. Der Dresdner Komponist Torsten dieses im internationalen Rahmen immer mehr Seither arbeitete er mit vielen großen Orche- Rasch war der geeignete Mann, Lindemanns an Gewicht gewinnenden Orchesters. stern Europas. Tonmeister Joel Iwataki widmet Texte in einen neuen sinfonischen Kontext zu Komponist Torsten Rasch (geb. 1965) war 1974- sich hauptsächlich der Aufnahme und techni- stellen. Rasch abstrahiert, doch auch er spielt 82 Mitglied des Dresdner Kreuzchors, studierte schen Realisierung orchestraler Filmmusik, mit Gefühlen und unternimmt einen Mondspa- an der Hochschule für Musik Carl-Maria von wobei ihm sein Gespür für Klangräume und ziergang in die Niederungen der Klang- und Weber Komposition und Klavier und siedelte die Visualisierung von Klängen zugute kommen. Geistesgeschichte, um von den Zeiten geläutert 1990 nach Japan um, wo er für Film und Fern- Zu seinen bekanntesten Arbeiten gehören „Pet wieder genau in der Gegenwart aufzutauchen. sehen arbeitete. 1998 erhielt er den ersten Sematary“, „Drugstore Cowboy“, „Alien III“, Er bezieht sich auf Komponisten von Schubert Kompositionsauftrag der Dresdner Sinfoniker „The Red Violin“ und zuletzt „Frida“. Regelmäßig bis Schönberg, versagt sich aber auch den für die Vertonung von „Völuspa“. Auch Bass arbeitet er mit den Komponisten John Coriglia- Spaß an der Moderne nicht. Rasch experimen- René Pape absolvierte seine Lehrjahre im no und Elliot Goldenthal zusammen. tiert, fügt stringent zusammen, was aufs erste Kreuzchor. Noch als Student gab er seinen Ohr nicht zusammen gehört, fürchtet sich Einstand an der Deutschen Staatsoper. Er sang MUTTER HERZELEID ORCHESTERLIED ORCHESTERLIED I II DIE TRÄNEN GREISER KINDERSCHAR BEWAHRET EINANDER ICH ZIEH SIE AUF EIN WEISSES HAAR VOR HERZLEID WERF IN DIE LUFT DIE NASSE KETTE DENN KURZ IST DIE ZEIT UND WÜNSCH MIR DASS ICH EINE MUTTER HÄTTE DIE IHR BEISAMMEN SEID KEINE SONNE DIE MIR SCHEINT DENN WENN EUCH AUCH VIELE KEINE BRUST HAT MILCH GEWEINT JAHRE VEREINEN IN MEINER KEHLE STECKT EIN SCHLAUCH EINST WERDEN SIE WIE MINUTEN HAB KEINEN NABEL AUF DEM BAUCH EUCH SCHEINEN MUTTER HERZELEID ICH DURFTE KEINE NIPPEL LECKEN BEWAHRET EINANDER UND KEINE FALTE ZUM VERSTECKEN VOR DER ZWEISAMKEIT NIEMAND GAB MIR EINEN NAMEN GEZEUGT IN HAST UND OHNE SAMEN DER MUTTER DIE MICH NIE GEBOREN HAB ICH HEUTE NACHT GESCHWOREN ICH WERD IHR EINE KRANKHEIT SCHENKEN UND SIE DANACH IM FLUSS