Über Denkstörungen Bei Geisteskranken

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Über Denkstörungen Bei Geisteskranken 316 K u t z in s k i , Über Denkstörungen bei Geisteskranken. (Aua clor Psychiatrischen und Nervonklinik in der Kgl. Charit6 zu Borlin [Direktor: Goh. Bot Prof. Dr. Bonhoeffer\.) Über Denkstörungen bei Geisteskranken. Von, Dr. A. KUTZINSKI, Assistent der Klinik. Seit den grundlegenden Untersuchungen Liepnwnns über Ideenflucht s’nd weitere Fortschritte in der Psychopathologie des Denkens v on psychologischer Seite angebahnt worden. Insbeson­ dere hat Moskieivicz wie Kiilpe und seine Schule auch das patho­ logische Denken berücksichtigt. An der Hand einfacher Versuche soll die Störung im Denken Geisteskranker, gestützt auf die normal-psychologischen Ergebnisse vonKülpe, Moskieivicz u. A., analysiert werden. Es handelt sich um die Aufgabe der Reproduktion eines zu­ sammenhängenden Geschicht8komplexes. Die Untersuchungen sind früher vonKoppen und mir1) bereitsangestellt worden. Da­ mals haben wir uns auf die Analyse der Resultate beschränkt, ohne hre Bedeutung für die Denkvorgänge bei Geisteskranken ge­ nügend zu würdigen. Das geschah zum Teil, weil so \ iele kom­ plizierte Funktionen bei dieser Aufgabe wirksam sind. Doch drängen sich auch bei Berücksichtigung des letzteren Momentes für denDenkprozeß wichtige Tatsachen auf, so daß ihre Zusammen­ stellung gerechtfertigt erscheint. Zur Ergänzung sind auch neue Versuche verwertet worden. Bevor auf Einzelheiten eingegangen werden soll, vergegenwärtigen wir uns zunächst, um was es sich bei der Reproduktion einer Geschichte handelt. Als Bedingung einer sinnvollen, zweckentsprechenden, sich auf das wesentliche beschränkenden Reproduktion kommen bei einfachen Geschichten wie die vorliegenden so geringe Grade von Merkfähigkeit und Aufmerksamkeit in Betracht, daß ihr störender *) Koppen und Kutzinski, Systematische Beobachtungen über die Wiodergabe kleiner Erzählungen durch Geisteskranke. Downloaded by: Karolinska Institutet, University Library 130.237.122.245 - 8/29/2018 3:05:56 AM K u t £ i n s 1c i , Über Denkstürimgi-n bei Geisteskranken. 317 Einfluß auf die Gestaltung der Reproduktion bei der Heraus­ schälung des wesentlichen vernachlässigt werden könnte. Ver­ gleichsversuche. bei ungeübten und ungebildeten Normalen ergaben auch, daß fast immer das wesentliche erfaßt wurde. Man müßte übrigens annehmen, daß selbst bei Störungen dieser Bedingungen bei nicht sehr getrübter Auffassung der Kern des Geschichts­ komplexes ohne Schwierigkeiten herauszuschälen ist. Tatsächlich hat man auch bei einzelnen deliranten Zuständen, in denen also doch eine Aufmerksamkeitsstörung aller Wahrscheinlichkeit nach vorlag, beobachtet, daß hier das wesentliche des Geschichtskom­ plexes ohne Schwierigkeiten herausgeholt wurde. Selbst Dämmer­ zustände und schwer senil Demente zeigen, daß sie die einzelnen Vorstellungsglieder gut aufgefaßt und behalten haben. Der störende Einfluß der beiden genannten Bedingungen wurde überdies dadurch zu beseitigen v ersucht, daß die Geschichte mehrmals, und zwar so oft exponiert wurde, bis eine Verbesserung der Resultate nicht mehr erreicht wurde. Oft wurden auch den Versuchspersonen die Hauptvorstellungen durch Fragestellungen oder unmittelbar gegeben mit der Forderung, nun den Zusammen­ hang neu zu schaffen. Die Aufgabestellung war folgende: Es wurde der Versuchs­ person gesagt, sie solle aufpassen; es würde ihr eine Geschichte vorgelesen werden, die sie wiederholen solle. Nach der Spontan­ reproduktion wurden ergänzende Fragen gestellt oder die Ver­ suchsperson auf die einzelnen Hauptvorstei hingen hingewiesen. Zunächst wurden allgemeine Fragen gestellt, wie: was ist ge­ schehen? Was ist passiert? Dann wurde in bestimmter Weise auf den Inhalt der Geschichte hingewiesen. Waren die Versuchspersonen nicht zum lauten Selbstlesen zu bringen, so wurde ihnen die Geschichte vorgelesen. Die kleineren Geschichten waren einmal Tagesvorgänge aus den Zeitungen und einmal das Sterntalermärchen, die Haifischgeschichte und die Folgen der Eifersucht.. Die Sterntaler (Sttg.). Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater und Mutter gestorben, und es war so arm, daß es schließlich nichts mehr hatte, als die Kleider auf dem Leib und ein Stückchen Brot in der Hand. Es war aber gut und fromm. Und weil es so von aller Welt ver­ lassen war, ging es im Vertrauen auf Gott hinaus ins Feld. Da kam ein alter armer Mann und sprach : gib mir zu essen, ich bin so Downloaded by: Karolinska Institutet, University Library 130.237.122.245 - 8/29/2018 3:05:56 AM 318 K u t z i n 6 k i , Über Denkstörungen bei Geisteskranken. hungrig. Es reichte ihm sein Stück Brot und ging weiter. Da kam ein Kind und hatte kein Leibchen an und fror, da gab es ihm seins, dann kam ein Kind und bat um ein Röcklein, das gab es auch von sich. Endlich gelangte es in einen Wald, und es war schon dunkel geworden, da kam noch ein Kind und bat um ein Hemdlein, und das fromme Mädchen dachte, es ist schon Nacht, da sieht dich niemand, da kannst du wohl dein Hemd weggeben und zog das Hemd ab und gal) es auch noch hin. Und wie es so da stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel und waren lauter blanke Taler. Haifischgeschichte Hf(gsch.). Von einem Haifisch verschlungen wurde im indischen Ozean der Sohn des Pfarrers Her big aus Holzengel bei Greußen. Er war als erster Offizier auf einem Hamburger Handelsdampfer angestellt, und wurde durch eine Sturzsee plötzlich über Bord gespült. Da eine Rettung sich als unmöglich erwies, wurde der unglückliche junge Mann vor den Augen der entsetzten Schiffsmannschaft von einem den Dampfer umkreisenden Haifisch erfaßt und zum Meeres­ gründe gezogen, einen dunklen Blutstreifen hinter sich lassend. Folgen der Eifersucht (Efg.). Die 27 jährige Fabrikarbeiterin Marie Gehart lebte in der Lausitzer Straße 39 mit dem Arbeiter Horn zusammen. Diesem wurde hinterbracht, daß seine Geliebte mit einem der Maler, die gegenwärtig in dem Hause beschäftigt sind, freundlich gesprochen habe. In rasender Eifersucht machte er ihr gestern Mittag einen Auftritt, der damit endete, daß sie Schweinfurter Grün nahm und in bedenklichem Zustande in ein Krankenhaus gebracht werden mußte. In Fällen, die sehr lückenhafte Reproduktionen zeigten, wurde die Wiedergabe des folgenden kurzen Satzes verlangt.: „Als ich gestern im Zoologischen Garten war, sah ich, wie zwei Löwen gefüttert wurden..“ Eine Erweiterung der Prüfung bestand darin, daß wir im An­ schluß an die Wiedergabe bei einzelnen Versuchspersonen ein Ur­ teil über die Geschichte verlangten. Die Dauer der Versuche betrug % bis % Stunde. In einzelnen Fällen wurden die Versuche mehrmals wiederholt. Downloaded by: Karolinska Institutet, University Library 130.237.122.245 - 8/29/2018 3:05:56 AM K u t z in s k i , Über Denkstörtmgpii bei Geisteskranken. 319 Es fragt sich nun, was geschieht, wenn man eine erlebte Situation oder eine Geschichte wiederholen soll. Zunächst darf man nicht glauben, daß die Reihenfolge der reproduzierten Glieder nur durch die assoziative Verknüpfung der einzelnen Glieder unter­ einander bewirkt wird; denn die Reihenfolge ist ja gar nicht die gleiche wie beim Erleben oder beim Hören der Geschichte. Es ist auch hier vielmehr der Gesichtspunkt, rdie Aufgabe, das wesent­ liche der Geschichte wiederzugeben, welche die Art und Reihen­ folge der Vorstellungsreproduktion bestimmt. Wollte jemand den Versuch machen, die Geschichten rein reproduktiv durch bloßes Aneinanderreihen der einzelnen Vorstellungen wiederzugeben, so würde dies schon daran scheitern, daß nicht alle Einzelheiten der Anordnung behalten werden. Von der Versuchsperson wird also einmal verlangt, daß sie die Aufgabe, den eben exponierten realen Zusammenhang wiederzugeben, erfaßt und verfolgt. Sodann ist es notwendig, daß sie das wesentliche nicht nur der Aufgabe, sondern auch des realen Zusammenhangs erfaßt. Die Versuchs­ person muß jede Vorstellung in ihrem Verhältnis zu den anderen und in ihrer Bedeutung für die Gesamtheit weiten, wenn auch die gegebenen assoziativen Reihen der Geschickte die Auffassung des Zusammenhangs erleichtern. Die unten zu besprechenden Bei­ spiele werden zeigen, daß trotz dieser Erleichterung, trotz Repro­ duktion zahlreicher assoziativ verknüpfter Reihen das wesent­ liche nicht herausgehoben wurde. Die Beziehung hat, wie daraus hervorgeht, eben, um mit Moskievricz1) zu reden, ihre Selbst­ ständigkeit gegenüber den Vorstellungen, die sich auf einander beziehen. Beim Anhören der Geschichte stellt sich zunächst eine ein­ heitliche Gesamt vor Stellung ein. die das wesentliche repräsentiert. Diese Gesamtvorstellung schließt eine Fülle von Einzel Vorstellungen in sich, die aber alle nicht in deutlicher Bewußtseinslage gegeben sind. Klar bewußt ist nur, daß sie eine Einheit bilden. So tritt bei der Hfgseh. sofort die Gesamtvorstellung auf, daß es sich um ein Schiffsunglück handele, bei dem ein Mensch von einem Fisch verschlungen wurde. Oder bei der Efg., daß es sich um eine un­ berechtigte Eifersuchtsszene handelt, die die eine beteiligte Person dazu gebracht hat, Gift zu nehmen. Beim Anhören der Sttg. tritt zunächst die Vorstellung hervor, daß es sich um ein gutes armes Kind handele, das für sein Wohltun belohnt wird; alle anderen J) Moskiewicz, Arch. f. Pyseh. 1910. Monatsschrift f. Psychiatrie u. Neurologie. BO XL]II. H efts. 23 Downloaded by: Karolinska Institutet, University Library 130.237.122.245 - 8/29/2018 3:05:56 AM 320 Kutssiuski, Über Donkstörungen bei Geisteskranken Punkte sind von nebensächlicher Bedeutung. — Als wichtig dürften höchstens noch die Momente der einzelnen Geschichten bezeichnet werden, welche für die kausalen Beziehungen
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