Zum Gedenken an Matthias Erzberger Für Die Mitwirkenden Der Zweiten Demokratiekonferenz in Singen Am 18
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Zum Gedenken an Matthias Erzberger für die Mitwirkenden der Zweiten Demokratiekonferenz in Singen am 18. April 2018 1 Matthias Erzbergers zielführende Friedenspolitik von Dr. rer. soc. Heinz Kapp zur 2. Demokratiekonferenz in Singen/Hohentwiel 2 Matthias Erzbergers zielführende Friedenspolitik Wenn überhaupt, so wird der von ehemaligen Marineoffizieren ermordete, erste Reichsfinanzminister der Weimarer Republik, nur als Opfer erinnert – in wenigen Städten ist eine Straße nach ihm benannt. Die DEUTSCHE BIOGRAFIE behielt auch noch 1959 Charakterisierungen seiner Feinde bei: „E. war gewiß charakterlich keine durchaus erfreuliche Erscheinung, aber er gehörte sicherlich zu den Politikern, die sich durch rasche Auffassungsgabe und regen politischen Instinkt auszeichneten. Sein Optimismus und seine Verantwortungsbereitschaft ließen ihn auch vor den schwierigsten Aufgaben nicht zurück- schrecken. E. schadete jedoch seinem Ruf durch seine ungewöhnliche Wendigkeit, seine rücksichtslose Kampfweise sowie seine naive Unbekümmertheit in Geldsachen, so daß an seiner persönlichen Ehrenhaftigkeit Zweifel – obwohl unberechtigt – aufkommen konnten.“1 Erzberger wurde am 20.9.1875 in Buttenhausen* (Württemberg) geboren, seine Ermordung am 26.8.1921 in Bad Griesbach markiert einen Wendepunkt der Weimarer Republik. Er hatte wie kein anderer Politiker Konsequenzen aus dem ersten Weltkrieg gezogen, er hat dem Kaiser und seinen Feldherren die Schuld an der Verzögerung des Waffenstillstands zugesprochen und eine Finanzpolitik gesetzlich verankert, welche die Vorbereitung eines weiteren Weltkriegs wesentlich erschwert, wenn nicht unmöglich, gemacht hätte. Durch seine Kriegsgewinnabgabe legte er die Finanzzuflüsse für die Profiteure der Hochrüstung trocken. Damit wollte er verhindern – zusammen mit Gesetzen gegen die Kapitalflucht – dass Waffenproduktion und Waffenhandel erneut zur Quelle privater Profite werden können. Erst durch das schmale Bändchen Mord Erzberger!2, auf welches ich bei Recherchen über den Völkermord an Sinti und Roma stieß3, wurde ich auf die skandalöse Kampagne gegen Erzberger aufmerksam. Der Jugendbuchautor Michail Krausnick hatte zusammen mit Günter Randecker 2005 aufgedeckt, welche wichtigen Impulse Matthias Erzberger für eine friedenspolitische Entwicklung der Weimarer Republik gegeben hatte. Erzberger hatte eine friedenspolitische Strategie entwickelt, welche unsere Zeit wieder aufnehmen sollte. Die Industrie des Todes ächten Zu den am stärksten verdrängten Reden von Papst Franziskus gehört seine Ächtung der Rüstungspolitik: „Viele Regierungen leben vom Krieg, in vielen Gesellschaften führen die Herrschenden Kriege, um Geld zu verdienen“. Papst Franziskus hat ungewöhnlich scharfe Kritik am moralischen Verfall der Politik geäußert: Bei einer Veranstaltung mit Jugendlichen in Rom sagte der Papst am Montag laut Radio Vatikan: "Warum wollen so viele Regierenden nicht den Frieden? Weil sie vom Krieg leben! Es ist die Waffenindustrie - das ist schwerwiegend! Einige Mächtige verdienen mit der ,Fabrik der Waffen', verkaufen Waffen an verfeindete Länder. Das ist die Industrie des Todes." 4 Die frühere Bischöfin der Evangelischen Kirche in Deutschland, Dr. Margot Käßmann, verhalf als Schirmherrin der Aktion AUFSCHREI mit der Parole: „Es ist ein Skandal, dass Waffenproduktion und Waffenhandel eine Quelle wirtschaftlichen Reichtums sind“ unserem Bodensee-Kirchentag zu großer öffentlicher Resonanz. Dies gab den Anstoß zur Gründung unseres Vereins „KeineWaffenvomBodensee e.V.“5 1 https://www.deutsche-biographie.de/search?name=Matthias+Erzberger NDB 4 (1959) * Buttenhausen beherbergte bis zu 25 jüdische Familien, vgl. www.Wikipedia.org: Buttenhausen 2 Michael Krausnick/Günter Randecker: Mord Erzberger! Neckargemünd 2005 3 www.sintiroma.org 4 vgl. google: Landgraeber - Vom Töten leben - Mediathek 5 www.keinewaffenvombodensee.com 3 Die Forderungen der Aktion Aufschrei nach einem vollständigen Verbot von Rüstungsexporten6 konnten wir damals noch nicht vergleichen mit Erzbergers zielführender Friedenspolitik. So wie er hatte seitdem kaum noch ein Politiker die Kriegsmacher frontal mit ihren Verbrechen konfrontiert. 1959 – also nach dem Koreakrieg (1950-53) und vor der Eskalation in Vietnam (seit 1964) - hatte der amerikanische Soziologe C. W. Mills eindringlich vor einem dritten Weltkrieg gewarnt: „Vom Frieden zu reden, ohne die Mittel des Krieges zu erwähnen, ist reiner Schwachsinn. Ein wirklicher Angriff auf die Kriegsmacher ist notgedrungen ein Angriff auf das private Wirtschaftsmonopol, auf die Vorherrschaft des Militärs, auf die Bindungen zwischen beiden.“7 Erzberger hatte einen solchen Angriff gewagt. Nach seiner Ermordung wurde jedoch weder seine Anklage gegen die Kriegsmacher weiter aufrechterhalten noch seine Steuerpolitik konsequent umgesetzt. Danach konnten die Kriegsmacher durch die Inflation die Kriegsverschuldung wieder dem Volk aufbürden und Hindenburg als Reichspräsidenten präsentieren. All dies wäre kaum möglich gewesen, wenn Erzbergers Kampf weitergeführt worden wäre. Die Wahrheit über die Kriegsschuld Freitag, 25. Juli 1919 (66. Sitzung) Es spricht der Abgeordnete des Zentrums, Reichsfinanzminister Matthias Erzberger: „Meine Damen und Herren, wir nehmen den Kampf auf ..., weil wir von der Überzeugung durchdrungen sind, dass die Wiederkehr der Elemente, die sich in der Deutschnationalen Partei organisiert haben, den vollendeten Ruin unseres Vaterlands bedeuten würde. ... Ich sage ein zweites Wort in aller Offenheit: Daß es so gekommen ist, ist zu einem ganz erheblichen Teil auch die Schuld des Kaisers und der Bundesfürsten selbst. ... Denn wie haben diese Herren sich am 9. November benommen? War da denn Mut? War da denn Selbstachtung? War da ein Stehen zum Volk in dieser Not? Deutschland hatte ja vier Jahre – das können wir heute offen aussprechen – überhaupt keine politische Regierung sondern eine Militärdiktatur. ... Das ist das Unglück des deutschen Volkes, dass es die Militärs allein herrschen und die Politik der ruhigen Vernunft und der sachlichen Erwägung nicht zu Worte kommen ließ ...“ „... allmählich wuchs aus dieser drolligen Gestalt die furchtbarste Anklage hervor, die ... schlecht gesprochenen Sätze brachten Tatsache auf Tatsache, schlossen sich zu Reihen und Bataillonen zusammen, fielen wie Kolbenschläge auf die Rechte, die ganz klein und in sich zusammengeduckt in ihrer Ecke saß ...8 „...Im Juli 1917 hat der Führer der konservativen Partei mit einem harten Nein einen Frieden abgelehnt, der die alten Grenzen des Reiches aufrechterhalten sollte, ... der Deutschland keine Kriegslasten auferlegen sollte, der uns die Kolonien gelassen hätte, der uns die wirtschaftliche Gleichberechtigung gewährleistet hätte. Das hat Graf Westarp abgelehnt. ... Die ganze konservative Fraktion hat das abgelehnt. ... Was von da an begangen worden ist, das sind keine Illusionen mehr, sondern das sind Verbrechen am ganzen deutschen Volk.“ Erneute lebhafte Zustimmung bei den Mehrheitsparteien. Erzberger verlas nun das im August 1917 vom Vatikan vermittelte Friedensangebot Großbritanniens und Frankreichs. Daraufhin kam es zu lebhaften Tumulten unter den Abgeordneten, über die Harry Graf Kessler geschrieben hat. 6 Thomas Carl Schwoerer als Bundessprecher der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegs- dienstgegnerInnen, gegründet 1892) www.dfg-vk.de 7 C. Wright Mills: Die Konsequenz-Politik ohne Verantwortung (The CAUSES of WORLD WAR THREE), München 1959, S. 167 8 Harry Graf Kessler über ERZBERGERs Rede nach Krausnick/ Randegger: Mord ERZBERGER! aaO., S. 29 4 Die Kriegsherren ächten! Als Erzberger das Pacellische Telegramm verlas, da stieg uns allen das Blut in die Augen ... Ein Zentrumsabgeordneter rief mit unterdrückter Stimme, die wie ein Seufzer klang, in die lautlose Stille: „Und danach ist mein Bub gefallen!“ Dann ging es wie ein Gemurmel und dann wie Meerestosen durch das Haus. Die ganze Linke, drei Viertel des Hauses war auf den Beinen und gegen die kleine, vor Wut bebende und blasse Rechte gewendet. Man schrie: „Mörder! Mörder!“ Es sah aus, als ob sich der ganze Block der Linken zusammengeballt auf die Rechten stürzen und sie in ihren Sitzen erwürgen würde. ... Das ungeheure Pathos der Situation – ein Volk, das zum ersten Mal die Wahrheit sieht – wuchs gigantich über die Äußerungen der Erregung empor ... Etwas weniger, und ich glaube, es wäre wirklich Blut geflossen. „... Es war eine Möglichkeit zum Friedensschluss da. Der Frieden musste geschlossen werden, um die Einheit des Reiches zu retten. ... Sie haben mit Ihren Agitationen und Machtmitteln ... den Krieg verloren, weil sie den Frieden ... leichtsinnig weggeworfen ..., zu Boden gestampft haben, den Frieden, den Ausgleich, der die alten Grenzen des Reiches aufrechterhalten sollte, abgelehnt haben. ... Dadurch dass wir Ihren Waffenstillstand und Ihren Frieden unterzeichnen mussten, haben wir für Ihre Schuld gebüßt. Diese Schuld werden Sie niemals los, und wenn sie hundertmal Ihre Hände in Unschuld waschen wollen. Sie werden diese Schuld nicht los, weder vor uns noch vor der Geschichte noch vor Ihrem eigenen Gewissen“!9 Aber die Weimarer Koalition aus Zentrum, Sozialdemokraten und Deutsch-Demokraten ließ die starken Waffen, die sie in der Kriegsschuldfrage gegen das alte System besaß, ungenutzt. Sie hätte – so Carl von Ossietzky nach der Ermordung Erzbergers – die Dokumente, die Hindenburgs und Ludendorffs Rolle beim Waffenstillstand belegten, Woche für Woche, Tag für Tag durch Maueranschlag verbreiten lassen und damit einer Geschichtslüge den Garaus machen sollen,