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Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 42. Jahrgang • 2005 • Heft 2: 33–39 Das Vorkommen des Ruten-Hasenohrs (Bupleurum virgatum CAV.) im Selketal Anmerkungen zu Gefährdungsursachen sowie zu Schutz- und Erhaltungsmöglichkeiten der Art

NICK HERRMANN & HANS-ULRICH KISON

Zusammenfassung 2 Anmerkungen zu historischen Vorkommen von B. virgatum im Die bedeutendste Gefährdung für das in Deutsch- nördlichen Harzgebiet land vom Aussterben bedrohte Ruten-Hasenohr (Bupleurum virgatum CAV.) geht derzeit vom Men- Die Vorkommen von B. virgatum CAV. (= B. gerardii schen aus. Durch touristische Übernutzung wur- auct.; für eine ausführliche Darstellung der Syno- den am bislang letzten Standort der Art (Selke- nymik siehe SNOGERUP & SNOGERUP 2001) in Mittel- tal: „Alter Falkenstein“) Ruderalisierungs- und europa waren auch in der Vergangenheit aus- Eutrophierungsprozesse initiiert, durch die sich schließlich auf das nördliche Harzgebiet beschränkt. der für B. virgatum verfügbare Lebensraum stän- HAMPE (1873) berichtete erstmals über den Fund von dig verkleinert. Darüberhinaus werden jährlich Bupleurum Scheffleri durch den Stadtsekretär LUD- zahlreiche Individuen der annuellen Art durch WIG SCHEFFLER (1822-1909) bei Blankenburg. Dieser menschliche Tritteinwirkung geschädigt bzw. hatte die Art „an den Kesselköpfen, zwischen Blan- gänzlich zerstört. Die vordringlichste Aufgabe zur kenburg und dem Regenstein“ im Jahr 1866 ent- Erhaltung des Ruten-Hasenohrs in Deutschland deckt (HAMPE 1873: 110). Interessant ist HAMPES Be- besteht deshalb darin, durch wirksame Besucher- merkung zur Abgrenzung der Art von B. gerardi lenkung den Standort der Art am „Alten Falken- JACQ.: „Steht dem B. Gerardi Jacq. am nächsten, un- stein“ zu entlasten und zu sichern. terscheidet sich aber durch die dreistreifigen Thäl- chen der Früchte, die bei B. Gerardi Jacq. nicht ge- 1 Einleitung streift sind.“ (HAMPE 1873, loc. cit.). Dieser Autor hielt die Art daher für neu und benannte sie nach ihrem Das letzte bekannte Vorkommen von Bupleurum Entdecker Bupleurum Scheffleri HAMPE. SPORLEDER virgatum CAV. (Apiaceae, Doldenblütengewächse) (1882: 89) beschrieb denselben Fundort: “... auf Sand- in Mitteleuropa befindet sich im nordöstlichen boden am Galgenberge bei Blankenburg“. Dieser Harzgebiet im Selketal auf dem Plateau der ehe- Fundpunkt liegt im Messtischblatt (MTB) 4131/4 (De- maligen Burganlage „Alter Falkenstein“. Da die renburg) knapp 200 m ü. NN und trägt heute die Frequentierung und damit die Trittbelastung des Bezeichnung Harlippenberg bzw. Sassenberg bei der Standortes durch Wanderer in den vergangenen Siedlung Gehren. WEIN (1911) berichtete aufgrund Jahren stark zugenommen hat, besteht die akute von Material, welches ihm vorlag, dass die Art sehr Gefahr des Erlöschens der Population und damit zahlreich dort vorkam und um 1910 nur noch spär- des Aussterbens der Art in Mitteleuropa. Das Ziel lich beobachtet werden konnte. Dieser Autor hielt der vorliegenden Arbeit besteht darin, Gefähr- das Indigenat am Fundort für wahrscheinlich, da dungsursachen für B. virgatum zu analysieren ihm „eine Einschleppung schwer möglich erscheint“ sowie Schutzmöglichkeiten für die Rote-Liste-1- (WEIN 1911: 68). Wie bereits BERTRAM (1894) führte Art (FRANK et al. 2004) aufzuzeigen. Weiterhin sol- WEIN (1911) die Sippe unter dem Namen Bupleurum len bereits durchgeführte Maßnahmen zur Erhal- filicaule BROT. MERTENS (1961: 61) vermerkte: „an den tung der Art im Selketal dokumentiert werden. Kesselköpfen bei Blankenburg eingegangen“. Die Entdeckungsgeschichte der Art im Selketal wurde ausführlich von KISON & PISTRICK (1996) beschrieben.

33 Abb. 1: Historische bzw. rezen- te Standorte von Bupleurum virgatum im Selketal.

3 B. virgatum im Selketal gen (Flachgründigkeit, Hangneigung) sowie der hohen Mufflon-Besatzdichte weist der „Bunte Das Vorkommen von B. virgatum im Selketal setz- Fleck“ nur eine lückige Vegetationsdecke auf. te sich ursprünglich aus drei Teilpopulationen Der dritte Standort schließlich befindet sich zusammen, die sich nur wenige hundert Meter unmittelbar auf dem Plateau der im Jahr 1115 (WÄ- voneinander entfernt befanden (Abb. 1). Es han- SCHER 1955) zerstörten Burganlage „Alter Falken- delt sich dabei zum einen um die in der Nähe der stein“ (MTB 4333/1). Im ehemaligen Burggraben, ehemaligen Burganlage „Ackeburg“ gelegene wo die Art noch von SCHUSTER (1936) gefunden „Selkesicht“ (MTB 4333/2). Diese Lokalität ist leicht wurde, ist B. virgatum heute nicht mehr anzutref- zugänglich und wird von Wanderern wegen des fen. Obwohl der „Alte Falkenstein“ innerhalb ei- dort möglichen Ausblicks über das Selketal rela- nes Totalreservates liegt, hat sich diese Lokalität tiv häufig aufgesucht. Die Attraktivität der „Sel- in den letzten Jahren zu einem touristischen Aus- kesicht“ für Wanderer wird zusätzlich durch das flugsziel mit stetig wachsender Beliebtheit ent- Vorhandensein eines kleinen Rastplatzes erhöht. wickelt. Die Flora dieses Standortes setzt sich Die zweite Lokalität, der „Bunte Fleck“ (MTB einerseits aus Laubwald- und Xerothermarten, 4333/1), wurde in der Literatur fälschlicherweise sowie andererseits aus Ruderal- und Segetalarten gelegentlich auch mit dem „Langen Fleck“ gleich- zusammen (siehe Anhang). gesetzt (z. B. SCHUSTER 1936, MERTENS 1961). Der Der letzte sichere Nachweis von B. virgatum „Bunte Fleck“ befindet sich abseits offizieller am „Bunten Fleck“ bzw. an der „Selkesicht“ Wege inmitten eines Wald- bzw. Forstgebietes stammt aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts und ist nur schwer zugänglich. Er erstreckt sich (SCHUSTER 1936). Zwar zitiert MERTENS (1961) den oberhalb des Soldatengrabes auf dem steil abfal- „Langen Fleck“ bzw. „Bunten Fleck“ nochmals, je- lenden Südhang des Selketals und wird von Grau- doch ohne Angabe einer Bestätigung. Auch KARL wacke-Klippen durchsetzt. Die Flora des „Bunten (1970), der in den 60er Jahren den „Bunten Fleck“ Flecks“ ist hauptsächlich durch das Auftreten von mehrfach floristisch kartierte, konnte die Art xerophilen Arten gekennzeichnet (siehe Anhang). nicht mehr nachweisen. Eine gezielte Nachsuche Aufgrund der edaphischen Standortsbedingun- an beiden Lokalitäten im August 2004 erbrachte

34 ebenfalls keine Ergebnisse, so dass die Teilpopu- lationen „Bunter Fleck“ und „Selkesicht“ mit gro- ßer Wahrscheinlichkeit als erloschen zu betrach- ten sind. Lediglich am „Alten Falkenstein“ ist B. virga- tum rezent noch anzutreffen (Abb. 2). Hier wurde die Art zum ersten Mal von SCHUSTER (1936) nach- gewiesen, der etwa einhundert Individuen vor- fand. RAUSCHERT (1972) berichtete, dass er an die- sem Standort 1965 noch etwa 50 Exemplare ge- funden hat. Danach konnte die Art erst wieder im Jahr 1991 durch HERDAM und KISON nachgewie- sen werden (HERDAM 1995).

4 Gefährdungsursachen

Am „Alten Falkenstein“ stellt die angestiegene synanthrope Standortsüberprägung mit ihren 2 negativen Folgeerscheinungen die bedeutendste Abb. : Juvenile Individuen von B. virgatum (siehe Pfeile) am Standort „Alter Falkenstein“ (02.06.2003). Gefährdungsursache für B. virgatum dar. Wäh- Die Jungpflanzen sind äußerst unscheinbar und rend dieser Standort noch in der ersten Hälfte der können in diesem Entwicklungsstadium kaum von 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts nur relativ einem Gras unterschieden werden. selten begangen wurde, nahm die Anzahl der Per- Foto: N. Herrmann. sonen, die jährlich das Felsplateau betraten, in der zweiten Hälfte der 90er Jahre stark zu (Revierförs- den Bestand von B. virgatum gleich zweimal be- ter MARTIN, mdl. Mitteilung). Dieser Trend setzte einträchtigt, weil der zum Aussichtspunkt und sich auch in jüngster Zeit fort. zum Gipfelbuch führende Trampelpfad die mit B. Die Auswertung des Gipfelbuches, das vom virgatum bestandene Fläche direkt durchschnei- „Harzklub Zweigverein Ballenstedt e. V.“ am det und aufgrund der örtlichen Gegebenheiten Westrand des Plateaus unter einem Feld-Ahorn sowohl zum Auf- als auch zum Abstieg benutzt ausgelegt wurde, gestattet einen gewissen Ein- werden muss. blick in den Wandel des Erholungsdruckes auf Die angestiegene synanthrope Überprägung den „Alten Falkenstein“ in den letzten Jahren. des „Alten Falkensteins“ wirkt sich gefährdend Danach wurde das Plateau im Jahr 2002 für den Bestand von B. virgatum aus. Für eine kon- insgesamt von 159 Personen betreten, im dar- kurrenzschwache Pflanzenart ist generell zwar auffolgenden Jahr dagegen schon von 297 Besu- immer auch anzunehmen, dass eine gewisse „Stö- chern. Im Jahr 2004 hatten bis zum Ende des rung“ der Vegetationsdynamik ihres Habitates Monats August 163 Personen das Plateau aufge- sogar förderlich sein kann (Verhinderung des sucht (weitere Daten konnten für dieses Jahr Zuwachsens der Flächen). In Anbetracht der seit nicht erfasst werden). Im Jahr 2005 hatten bis zur einigen Jahren stark rückläufigen Populations- Mitte des Monats Mai nachweislich bereits 103 entwicklung von B. virgatum (HERRMANN, in Vor- Personen den „Alten Falkeinstein“ betreten; deut- bereitung) muss jedoch konstatiert werden, dass lich mehr, als in all den Jahren zuvor zu diesem das erträgliche und förderliche Ausmaß an „Stö- Zeitpunkt. rung“ derzeit weit überschritten ist. Durch Es muss berücksichtigt werden, dass diese menschlichen Tritt werden jährlich zahlreiche Zahlen Mindestwerte darstellen. Der tatsächliche Individuen der unscheinbaren Art geschädigt Wert liegt um einen unbekannten Betrag bzw. gänzlich zerstört, so dass diese Pflanzen darüber, da sich nach eigenen Beobachtungen nicht oder nur stark eingeschränkt zur Reproduk- nicht alle Besucher des „Alten Falkensteins“ in das tion beitragen (Abb. 3). Auf diese Weise wird die Gipfelbuch eintragen. Von Bedeutung ist auch der ohnehin schon schwache Population weiter de- Umstand, dass jeder Besucher des Felsplateaus zimiert. Außerdem wurden in den letzten Jahren

35 liert werden. Ein Faktor, der jedoch im Zusam- menhang mit dem Erlöschen von B. virgatum an den Standorten „Bunter Fleck“ und „Selkesicht“ eine Bedeutung haben könnte, ist die zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgte Wiederansiedlung von Muffelwild im Ostharz. Wie bereits erwähnt, stammen die letzten Nachweise von B. virgatum an den genannten Standorten aus den 1930er Jah- ren. In den darauf folgenden Jahrzehnten expan- dierte der Bestand an Muffelwild im Selketal stark. Die Dynamik dieser Entwicklung wurde von PIEGERT (1999) und PIEGERT & ULOTH (2000) dokumentiert. Danach verließen zwischen 1906 und 1910 insgesamt 27 Mufflons das in der Nähe des Selketals gelegene Eingewöhnungsgatter. Während im Jahr 1931 im Ostharz 84 Mufflons gezählt wurden, waren es 1939 bereits 286 Tiere. Der Bestand wuchs weiter an auf etwa 1000 In- dividuen im Jahr 1980. Einen vorläufigen Höhe- punkt erreichte diese Entwicklung im Jahr 1990 Abb. 3: Durch menschlichen Tritt werden jährlich mit ca. 1650 Tieren (PIEGERT 1999). zahlreiche Individuen von B. virgatum geschädigt Während der gesamten Ausbreitungsgeschich- bzw. gänzlich zerstört. Abgebildet ist hier ein adul- te der Mufflons im Ostharz blieb das Selketal eines tes Individuum, dessen oberer Sproßbereich zertre- ten wurde („Alter Falkenstein“, 08.09.2005). ihrer Haupteinstandsgebiete. Besonders die Süd- Foto: N. Herrmann. hänge des Selketals werden zur Setzzeit im Früh- jahr von mehreren Mutterfamilienverbänden als Kinderstube genutzt (PIEGERT, schriftl. Mitteilung). durch die erhöhte Trittbelastung auf dem Plateau Die hohe Mufflon-Besatzdichte äußert sich vor al- Offenstandorte geschaffen, auf denen sich Rude- lem am Standort „Bunter Fleck“, jedoch auch an der ralarten erfolgreich etablieren konnten, die das „Selkesicht“ in beträchtlichen Trittschäden sowie in konkurrenzschwache Bupleurum verdrängen. Zur stark verbissener Bodenvegetation. Am „Bunten Ruderalisierung und Eutrophierung des Standor- Fleck“ ist die krautige Vegetation lediglich an un- tes tragen auch der von den Besuchern zurück- zugänglichen Mikrohabitaten, z. B. Spalten und Vor- gelassene Zivilisationsmüll (Verpackungsmateri- sprüngen in Felsklippen, vor Mufflonverbiss ge- al, Nahrungsmittelreste, Hygieneartikel) sowie schützt. In Anbetracht dieser Tatsachen dürfte eine andere menschliche Aktivitäten bei (u. a. Abbren- mögliche Korrelation zwischen Mufflon-Besatz und nen von Lagerfeuern). Erlöschen von B. virgatum an den Südhängen des Ein weiterer Umstand, der sich auf B. virga- Selketals nicht gänzlich von der Hand zu weisen tum populationsschwächend auswirkt, ist die auf sein. Dies gilt im besonderen Maße für den „Bun- dem Felsplateau des „Alten Falkensteins“ statt- ten Fleck“, an dem unmittelbare anthropogene Ein- findende Gehölzsukzession. Das Vorkommen der flüsse aufgrund der Abgeschiedenheit des Stand- lichtliebenden Art ist gänzlich auf den offenen ortes praktisch ausgeschlossen werden können. Westteil des ansonsten vollständig von Bäumen Dagegen haben am „Alten Falkenstein“ durch Muff- bedeckten Plateaus beschränkt. Es ist davon aus- lons verursachte Schäden gegenwärtig nur eine zugehen, dass sich bei fortschreitender Sukzessi- untergeordnete Bedeutung. Zwar wurden auch hier on (Verbuschung durch Prunus spinosa und Acer gelegentlich Verbissschäden festgestellt, jedoch nur campestre) der Lebensraum von B. virgatum wei- im Randbereich des Plateaus und nicht innerhalb ter verkleinert. der mit B. virgatum bestandenen Fläche. Über weitere Faktoren, die vor allem in der Neben den genannten exogenen Faktoren Vergangenheit zum Rückgang von B. virgatum im dürften jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit Selketal geführt haben, kann bislang nur speku- auch intrapopuläre Faktoren zum Rückgang von

36 B. virgatum im Selketal beigetragen haben. Häu- kann, ist ungewiss. In Anbetracht der zahlreichen fig weisen kleine, isolierte Populationen eine Ruderal- und Segetalarten, die sich unter dem Ein- deutlich geringere Anzahl von Genotypen auf als fluss des Menschen inzwischen auf dem Plateau größere Populationen, die zudem miteinander im etablieren und eine Diasporenbank aufbauen genetischen Austausch stehen (BARRETT & KOHN konnten, dürfte im Gegenteil das Freischlagen 1991). Damit sind kleinere Populationen automa- von Flächen zu einer weiteren Expansion dieser tisch anfälliger gegenüber Umweltschwankun- Arten führen. gen, was im Extremfall zum Erlöschen einer Po- Generell sollten Schutzmaßnahmen darauf pulation führen kann. Vor allem im Hinblick auf ausgerichtet sein, die Attraktivität des Standor- in der Vergangenheit stattgefundene Populati- tes „Alter Falkenstein“ als Naherholungsziel zu onsprozesse muss also davon ausgegangen wer- senken. Dazu gehört beispielsweise der Verzicht den, dass vermutlich nicht ein Faktor allein, son- auf jegliche Beschilderung entlang der Wander- dern ein schwierig aufzuklärendes Faktorengefü- wege im umliegenden Wald- bzw. Forstgebiet, die ge in seiner Gesamtheit zum Rückgang von B. vir- auf den „Alten Falkenstein“ verweist. Weiterhin gatum im Selketal geführt hat. sollte der zur ehemaligen Burganlage führende Pfad, der streckenweise von Bäumen überwach- 5 Schutzempfehlungen für den sen wird und dadurch bis zu einem gewissen Standort „Alter Falkenstein“ Ausmaß „getarnt“ ist, nicht freigeschlagen wer- den, wie dies in den 90er Jahren geschehen ist Eine Fortdauer oder gar Intensivierung der derzei- (MARTIN, mdl. Mitteilung). tigen Nutzung des „Alten Falkensteins“ als Aus- flugsziel hat in absehbarer Zeit mit großer Wahr- 6 Dokumentation der im Selketal scheinlichkeit das Aussterben von B. virgatum an durchgeführten Erhaltungs- diesem Standort zur Folge. Das Ziel, die Populati- maßnahmen on dieser Art am „Alten Falkenstein“ längerfristig am Leben zu erhalten, kann nur durch eine konse- Die einzige bislang existierende Maßnahme zur quentere Umsetzung der mit dem Status eines Erhaltung von B. virgatum stellt eine Schutzkultur Totalreservates verbundenen Auflagen erreicht im Botanischen Garten der Martin-Luther-Univer- werden. Dies betrifft vor allem das Betretungsver- sität Halle dar (EBEL et al. 2002). Im Selketal selbst bot, das bisher häufig missachtet wird. wurden bisher keine Maßnahmen ergriffen, um Dabei ist unklar, ob den Besuchern des „Alten den Bestand der Art zu sichern. Um das Risiko des Falkensteins“ das Betretungsverbot überhaupt anthropogen bedingten Aussterbens von B. virga- bekannt ist. Möglicherweise besteht in diesem tum zu reduzieren, fassten deshalb die Autoren Zusammenhang noch Aufklärungsbedarf auf lo- den Entschluss, die Teilpopulation „Bunter Fleck“ kaler Ebene. Als eine wirkungsvolle Maßnahme durch die Ausbringung von Diasporen zu revitali- könnte sich in dieser Hinsicht die Errichtung ei- sieren. Aufgrund seiner Abgeschiedenheit war der nes Informationsschildes direkt am Aufstieg zum Standort „Bunter Fleck“ für die Revitalisierungs- Felsplateau erweisen, das auf die aus botanischer maßnahme besser geeignet, als die relativ häufig Sicht besondere Schutzwürdigkeit des „Alten Fal- frequentierte „Selkesicht“. Vergleichbare Maßnah- kensteins“ und der daraus resultierenden Notwen- men (Aussaat von in Nachzucht entstandenen digkeit eines Betretverbotes verweist. Gleichwohl Diasporen) zur Erhaltung gefährdeter Pflanzenar- soll nicht verschwiegen werden, dass zwischen ten wurden bereits erfolgreich in Bayern prakti- dem „Gewohnheitsrecht“ der einheimischen Be- ziert (ZAHLHEIMER 2001). völkerung, das Felsplateau zu betreten, und den Er- Das Saatgut wurde am 31.08.2004 am „Bun- fordernissen des Naturschutzes ein Spannungsfeld ten Fleck“ ausgebracht. Es stammte von kultivier- entstehen könnte, das dem Ziel, die Population von ten Pflanzen, die zu diesem Zweck aus im Septem- B. virgatum am „Alten Falkenstein“ zu stabilisie- ber 2003 am „Alten Falkenstein“ gesammelten ren, nur wenig dienlich wäre. Diasporen im Botanischen Garten der Christian- Ob der Bestand von B. virgatum durch die Albrechts-Universität Kiel herangezogen wurden. Beseitigung von Gehölzen (Prunus spinosa bzw. Insgesamt wurden 720 Diasporen auf 6 Flä- Acer campestre) nachhaltig gefördert werden chen (je ca. 40 x 40 cm) mit je 120 Diasporen ver-

37 teilt. Zur Ausbringung wurden Mikrohabitate „Bunter Fleck“: gewählt, wie z. B. Felstaschen bzw. Vorsprünge in Achillea nobilis, Aira praecox, Anthericum liliago, steil exponierten Grauwacke-Klippen, die für Anthoxanthum odoratum, Aphanes australis (HER- Mufflons nicht erreichbar sind und deshalb eine DAM, mdl.), Arabidopsis thaliana, Artemisia cam- unversehrte Flora aufwiesen. Die übrigen Flächen pestris, Capsella bursa-pastoris, Carpinus betulus, wurden unter Einbeziehung natürlicher Gege- Carex humilis, Cerastium brachypetalum, Cotone- benheiten (z. B. umgestürztes Totholz) mit Ma- aster integerrimus, Dianthus carthusianorum, Eu- schendraht überspannt und auf diese Weise vor phorbia cyparissias, Fallopia dumetorum, Festuca Mufflonverbiss geschützt. ovina, Festuca pallens, Filago arvensis, Fraxinus ex- Die im Selketal zum Schutz und zur Erhaltung celsior, Geranium columbinum, Geranium lucidum, von B. virgatum durchgeführten Maßnahmen Geranium sanguineum, Hieracium pilosella, Hy- wurden vom Regierungspräsidium Magdeburg pericum perforatum, Larix decidua, Luzula multi- genehmigt (AZ 47.32-22402-1b-NSG73M; AZ flora, Muscari comosum, Myosotis stricta, Pinus syl- 407.3.2-1341/04-22402/2.1-ASL-NSG73M). vestris, Potentilla neumanniana, Quercus petraea, Rumex acetosella, Saxifraga granulata, Scleranthus Nachtrag perennis, Sedum telephium, Senecio sylvaticus, Sene- Bei einer am 17.05.05 durchgeführten Kontrollbe- cio viscosus, Stellaria media, Tanacetum corymbo- gehung des „Bunten Flecks“ wurde festgestellt, sum, Thymus pulegioides, Veronica chamaedrys, dass sich in einer der Teilflächen ca. 15 juvenile Veronica officinalis, Veronica praecox, Veronica sub- Individuen von B. virgatum etablieren konnten. lobata, Veronica verna, Viola arvensis. Es handelt sich dabei um eine von Maschendraht geschützte Teilfläche, die zum Zeitpunkt der Be- „Alter Falkenstein“: gehung durch eine ca. 2 cm dicke, lockere Streu- Acer campestre, Achillea millefolium, Achillea no- schicht gekennzeichnet war. Auf den übrigen bilis, Adoxa moschatellina, Ajuga genevensis, Al- Teilflächen, auf denen sich B. virgatum nicht eta- liaria petiolata, Allium lusitanicum, Anthriscus blieren konnte, war die noch im Spätsommer vor- caucalis, Arabis glabra, Arenaria serpyllifolia, handene Streuauflage bereits zersetzt bzw. ver- Arum maculatum, Asplenium trichomanes, Asple- weht. nium septentrionale, Brachypodium sylvaticum, Bupleurum virgatum, Campanula rapunculoides, Danksagung Capsella bursa-pastoris, Carex humilis, Carex mu- Herr Revierförster R.-P. MARTIN () gab ricata agg., Cerastium glutinosum, Chaerophyllum uns Informationen, die den Standort „Alter Fal- temulum, Corydalis intermedia, Crataegus laevi- kenstein“ betreffen. Herr Forstamtsleiter C. gata, Cystopteris fragilis, Dactylis glomerata, KASCHNER (Harzgerode) erteilte Befahrgenehmi- Elytrigia repens, Erophila verna, Euonymus euro- gungen für die Waldwege zum „Alten Falken- paea, Euphorbia cyparissias, Fallopia dumetorum, stein“ bzw. zum „Bunten Fleck“. Herr Dr. H. PIE- Festuca brevipila, Festuca heterophylla, Festuca GERT (Roßla) übermittelte uns Informationen zur pallens, Fragaria vesca, Fraxinus excelsior, Gagea Situation der Mufflons im Selketal. Bei den ge- lutea, Gagea minima, Gagea pratensis, Galeopsis nannten Personen bedanken wir uns für die Un- tetrahit, Galium aparine, Geranium columbinum, terstützung unserer Arbeit. Geranium pusillum, Geranium robertianum, Geum urbanum, Glechoma hederacea, Holosteum Anhang umbellatum, Hypericum perforatum, Inula cony- za, Lactuca serriola, Lamium maculatum, Lamium Der Anhang enthält eine Aufzählung der Gefäß- purpureum, Melica uniflora, Mercurialis perennis, pflanzen-Arten, die am „Bunten Fleck“ bzw. am Myosotis arvensis, Myosotis ramosissima, Myoso- „Alten Falkenstein“ nachgewiesen wurden. Der tis sylvatica, Poa angustifolia, Poa nemoralis, Poa „Bunte Fleck“ wurde am 26.05.2004 kartiert, der pratensis, Potentilla neumanniana, Primula elati- „Alte Falkenstein“ mehrfach in den Vegetations- or, Prunus spinosa, Quercus petraea, Ranunculus perioden der Jahre 2002 - 2005. Die Nomenklatur auricomus agg., Ranunculus ficaria, Roegneria ca- richtet sich nach JÄGER & WERNER (2002). nina, Saxifraga granulata, Sedum telephium, Stel- laria holostea, Stellaria pallida, Tanacetum corym-

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