INTERVIEW | MARIETTA SLOMKA

„Meine Texte pustet mir niemand ins Ohr“

Als Hauptmoderatorin des „heute-journals“ informiert Marietta Slomka ZDF-­ Zuschauer seit 16 Jahren mit Klarheit, Kompetenz und Gründlichkeit über aktuelle Themen. Multitasking findet sie faszinierend, Fragen zu stellen eine Bürgerpflicht

m 5. September moderieren Sie eine tiker in einem Vier-Minuten-Interview zwei Minu­ Lebensweg Sondersendung zur Wahl: „Wie geht’s ten am Stück reden will, muss ich unterbrechen. Marietta Slomka wurde A Deutschland?“ Absolvieren Sie diese am 20. April 1969 in nach 16 Jahren vor der Kamera mit links oder Wie würden Sie Ihre Rolle beschreiben? Finden Köln geboren. Nach ist das eine besondere Herausforderung? Sie den Begriff „Vermittlerin“ zutreffend? dem Abitur studierte sie Mit links sollte ich nach Möglichkeit gar nichts erle­ Ja. Manchmal bin ich auch Dolmetscherin. Und dort sowie in England digen – schon gar nicht, wenn wir zum zweiten Mal Bürgervertreterin, weil ich in Interviews stellvertre­ Internationale Politik nach 2013 ein neues Format ausprobieren: In großer tend Fragen an Politiker stelle. In Krisen-Zeiten wie und Volkswirtschafts- Runde diskutieren Spitzenpolitiker mit normalen diesen fungiere ich zudem als Weltgeschehen-Sor­ lehre; parallel begann sie, journalistisch zu Bürgern über wesentliche Themen, die zur Bundes­ tiererin. Neuerdings haben wir auch bei jüngeren arbeiten. Im Anschluss tagswahl spannend sein werden. Wichtig ist uns, Zuschauern einen steigenden Zuspruch. Offenbar an ein Volontariat bei dass das Publikum zuvor über die Lebenswirklich­ ist das Bedürfnis nach Orientierung durch vertraute der Deutschen Welle keit der beteiligten Bürger informiert ist. Deshalb Institutionen wie das „heute-journal“ groß, das wurde sie deren Korre- werden sie in kleinen Filmen porträtiert. Beim Hintergrundwissen zu wichtigen Themen liefert. Es spondentin in Brüssel. Thema innere Sicherheit kann das eine Polizistin ist wie bei Dr. Google, bei dem viele recherchieren – In gleicher Funktion sein, die aus ihrem Alltag erzählt. wenn es ernst wird, geht man lieber zum Hausarzt. arbeitet sie danach für Außerdem hält das Publikum durch die Begegnung das ZDF in und Entspricht dieser Ansatz Ihrem generellen mit Fake News nach Leuchttürmen Ausschau, wo , bis sie 2001 als Anliegen, Politikern auf den Zahn zu fühlen? Profis Informationen mit viel Erfahrung nach bes­ Hauptmoderatorin des Ich versuche in meinen Interviews immer, For­ tem Wissen und Gewissen auswerten, durchdenken „heute-journals“ antrat. Für ihre Arbeit, zu der mulierungen zu verwenden, die nicht im Polit- und versuchen, Fehler so weit es geht zu vermeiden. auch Sondersendun- Vokabelheft stehen, und den direkten Bezug gen und Reportagen Hatte Ihr Buch „Kanzler, Krise, zählen, erhielt sie unter Kapital“ ein ähnliches Ziel – ver- „In meiner Familie habe ich gelernt, dass anderem den Hanns- meintlich komplizierte Sachver- Joachim-Friedrichs-Preis halte verständlich aufzubereiten? 2015 und die Goldene Hakt hartnäckig nach: Politik Spaß macht und man diskutieren Kamera 2016. Privat lebt Marietta Slomka liebt es, Wie im „heute-journal“ ging es mir Politikern auf den Zahn zu kann, ohne sich böse zu streiten“ darum, komplexe Dinge aufs Wesent­ sie in Berlin; jede zweite fühlen. Schweifen sie ab, liche zu reduzieren, ohne sie grob zu Woche verbringt sie fällt sie ihnen ins Wort ­zwischen Wirklichkeit und Politik herzustellen. vereinfachen. Und das durch den bewussten Einsatz beim ZDF in als Meiner Ansicht nach ist das unsere Aufgabe als von Sprache ebenso verständlich wie präzise und Arbeitsmittelpunkt. Journalist. unterhaltsam.

Dabei ist Hartnäckigkeit eines Ihrer Markenzei- Sie haben studiert, volontiert und im Studium chen. Wie kommt die beim Publikum an? begonnen, journalistisch zu arbeiten. War das Anfangs beschwerten sich Zuschauer durchaus, wie eine optimale Vorbereitung für Sie? ich es wagen kann, Politikern ins Wort zu fallen. Eine Sache von der Pike auf gelernt und sich mit Inzwischen haben sich die Wahrnehmung und das Themen – bei mir Volkswirtschaft und Politik – in Gefühl für Zeitrhythmus verändert. Wenn ein Poli­ der Tiefe beschäftigt zu haben, hilft bis heute. »

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Was meinen Sie mit „erschreckend“? Ich war gerade mal 30 und erst zwei Jahre als Dreht sie Doku- Korrespondentin beim ZDF. Da war das „heute- mentationen, sucht journal“ schon ein Brocken. Heute würde ich nicht Marietta Slomka auch das Gespräch unbedingt noch mal so jung dort anfangen wollen. mit nichtpromi- nenten Menschen, Aus welchem Grund denn nicht? wie hier in der Die Zeiten sind härter geworden, das Tempo höher, chilenischen Ataca- die Fehlertoleranz geringer. Sie stehen unter mawüste schärferer Beobachtung, werden zum Teil auf unerfreuliche Weise diffamiert. Auch gibt es mehr Breaking-News-Situationen. Wenn Sie live über Terroranschläge berichten, hilft es, wenn man viel Erfahrung auf der inneren Festplatte hat.

Wie überbringen Sie schlechte Botschaften? Bei Katastrophen ist es nicht meine Aufgabe, den Scheinwerfer auf mich und meine Betroffenheit zu richten. Gerade dann sollte man besonders ruhig und zurückgenommen sein. Seit dem 11. September 2001 sind wir ständig in Habachtstellung. Seither kommen immer wieder schlimme Anschläge vor, Gerade in der internationalen Politik oder bei wirt­ Auf Sendung über die wir sachlich berichten müssen. Aber das schaftspolitischen Themen spürt Ihr Gegenüber, ob Eine Woche „heute- heißt nicht, dass man abstumpft. Man nimmt die Sie an der Oberfläche surfen oder wissen, worum journal“, eine Woche Sachen trotzdem mit nach Hause. es geht. frei – das ist der klassische Rhythmus Bei Eilmeldungen ist Multitasking gefragt, weil für Marietta Slomka. Mit welchem Politikverständnis sind Sie – Sie blitzschnell umschalten und improvisieren Zu besonderen abgesehen von Ihrem Studium – groß geworden? Anlässen wie der müssen. Ist das eine schwierige Aufgabe? Auf jeden Fall politisch interessiert. Das fing damit Wahl 2017 moderiert In solchen Momenten arbeitet das Gehirn noch viel an, dass meine Eltern Wahlpartys gegeben haben. sie Sondersendun- schneller. Das finde ich faszinierend, ist mir aber Dazu gehörte eine Umfrage, bei der jeder seine Pro­ gen. Als Reporterin lieber bei Themen, die nicht so schrecklich sind. gnose auf einem Zettel notierte, der wie bei einer recherchiert sie aber Tombola in eine große Trommel geworfen wurde. auch regelmäßig rund Wie viel Platz hat Ihre persönliche Handschrift? Am Ende bekam der, der am nächsten dran war, um den Globus, zum Es gibt die Redaktion, um gemeinsam Entschei­ einen Gewinn. Das Ganze ging mit viel Gelächter Beispiel 2010 in Afri- dungen zu treffen und zu planen. Aber das „heute-­ und 70er-Jahre-Buffetzutaten vom Käseigel bis ka, 2014 in Südameri- journal“ war schon immer eine Moderatorensen­ ka, 2017 in . zur Sommerbowle über die Bühne. Dabei habe ich dung. Meine Texte pustet mir niemand ins Ohr, die gemerkt, dass Politik Spaß machen und man mitei­ schreibe ich selber. Auch bei der Interviewführung versuchen wir alle, etwas Eigenes daraus zu machen.

„Bei einem Putsch oder Terroranschlag Wird jede Sendung intern besprochen? braucht es Erfahrung und viel auf der Wir stehen ständig unter Kritik. Es gibt eine Kon­ ferenz nach der Sendung, die sich Flurschelte nennt. Festplatte, um das Richtige zu tun“ Am nächsten Morgen folgt die vom Chefredakteur geleitete Schaltkonferenz im ZDF, wo alle Redakti­ nander diskutieren kann, ohne sich böse zu streiten. onsleiter und Außenbüros zugeschaltet sind. Diese Erlebnisse haben mich sicher stark geprägt. Zum Glück erleben Sie auch die positive Seite Gab es bei Ihrem Berufseinstieg ein Ziel für Sie? in Form vieler Preise. Sind die wichtig für Sie? Mein großer Traum war es, Korrespondentin zu Natürlich tut ein solches Lob gut. Aber am Ende werden. Die wurde ich erst in Brüssel und dann in des Tages ist ausschlaggebend, ob die Zuschauer Bonn. Anschließend wollte ich unbedingt mit der einschalten und was sie denken. In letzter Zeit häuft Regierung nach Berlin wechseln. Damit war ich am es sich, dass ich irgendwo im Café sitze und jemand Ende meiner Träume angelangt. Mit dem „heute- kommt an meinen Tisch, um mir zu sagen: „Ich journal“ hatte ich nicht gerechnet und auch nicht möchte mich bei Ihnen für den Job bedanken, den mit brennendem Ehrgeiz verfolgt, ins Kameralicht Sie in schwierigen Zeiten wie diesen machen.“ Das eintauchen zu wollen. Das fast erschreckende Ange­ ist wirklich Balsam für mich.

bot bekam ich durch den Chefredakteur. Interview: Antoinette Schmelter-Kaiser Fotos: Stephan Pick , ZDF/Kirsten Hoehne

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