Trainer Rangnick TEAM 2

FUSSBALL Engel für Schalke Erstaunlich schnell führte Trainer Ralf Rangnick den Traditions- club in die Spitze der . Noch erstaunlicher erscheint sein lockerer Umgang mit dem mächtigen Manager . Zur vereinstypischen Gefühlsduselei passt er besser als erwartet.

on der Coaching-Zone, seinem Ar- könnte das, was er meint, jedoch auch bloß beitsplatz für die herannahenden 90 „Gerechtigkeit“ nennen. VSpielminuten, sind es nur ein paar Wenn man nur stark genug daran glaube, Schritte bis zur Treppe, die ins Tiefgeschoss an diese Fußballgerechtigkeitsengel, und der Arena führt. Dort unten geht es, am bereit sei, viel zu investieren, meint Rang- Eingang zu den Mannschaftskabinen vor- nick, „dann bekommt man irgendwann bei, immer geradeaus bis zur Glastür zu etwas zurück, da glaube ich fest dran“. Die- seinem kleinen Refugium. sen Draht also müsse man pflegen, den Es ist die Kapelle im Gelsenkirchener „Draht zwischen Himmel und Erde“. Stadion, die einzige in einer Fußballstätte Fußballgott, Gerechtigkeit, Himmeldon- der Bundesliga. Hierher verdrückt sich der nerwetter. Die frommen Wünsche schwirren Schalker Mannschaft*, Manager Assauer: „W e r Trainer Ralf Rangnick, 46, seit seinem wieder nur so durch das einstige Kohlen- Dienstantritt vor knapp zehn Wochen bei revier. Denn erstmals seit jenem unheil- vertrauen in die Erreichbarkeit bedeuten- Schalke 04 vor jedem Heimspiel. vollen 19. Mai lässt Rangnicks Elf die Fan- der Ziele zurückgab. Der als Stratege be- Immer 15 Minuten vor dem Anpfiff, kurz gemeinde vom großen Titel träumen. kannte Coach hat taktisch gar nicht so viel bevor die Spieler vom Aufwärmen auf Am 19. Mai 2001 wähnten sich Mann- verändert, doch während sein Vorgänger ihren Stollenschuhen herangestöckelt kom- schaft und Anhang vier Minuten lang als mit seinem Hang zur Per- men, steht der Brillenträger aus dem Deutscher Meister, bis im fernen Hamburg sonalrotation den Besten ungewollt ihre schwäbischen Backnang für drei, vier Mi- ein spätes Tor für den FC Bayern den Ju- Entbehrlichkeit demonstrierte, redet Rang- nuten vor dem schwarz-weißen Altarbild, bel im Gelsenkirchener Parkstadion als nick seinen Spielerstamm beständig stark. das ein wildes Getümmel in der Arena gigantischen Irrtum entlarvte. Es war „der Heynckes dokterte mit Akribie an den zeigt. schönste Tag meines Lebens“, sagte Ebbe Schwächen und wies den Profis Unzuläng- Rangnick ist kein religiöser Mensch. Der Sand, einer der wenigen im Club verblie- lichkeiten beim Passspiel oder bei den Kör- Fußball-Lehrer, der zum Einstieg beim Tra- benen Profis, die damals die Illusion des perfettanteilen nach. Rangnick sieht dar- ditionsclub im Ruhrgebiet eine fulminante Triumphs kosteten, „und der schrecklichs- über hinweg. Er erlaubt ein abendliches Serie von sechs Siegen in der Bundesliga te dazu“. Gläschen Campari Orange an der Hotelbar, hinlegte, Schalke die Spur des Meister- An jenem Tag ging der Glaube an Fuß- und er „hat uns sofort gesagt, dass wir gut schaftsfavoriten Bayern München aufneh- ballgötter und Gerechtigkeit einstweilen sind“, berichtete der Däne Sand. men ließ und auch in Uefa-Cup und DFB- verloren. Sand, 32, ist überzeugt, dass „die Das neue Selbstvertrauen hat auch Pokal im Rennen hielt, will in seinen stil- Wunde“ nur heilen könne, wenn er die schon die Fanszene erfasst. Unter den Glei- len Momenten dennoch „Danke sagen“. Meisterschale in Händen hält. sen des Gelsenkirchener Hauptbahnhofs, Er sieht sich „als Lebenssinnsucher“ und Es war Rangnick, der oft auf seine Ver- wendet sich an eine Instanz, die er jetzt mal standeskraft reduzierte Gefühlsmensch * Ebbe Sand, Levan Kobiaschwili, Marcelo Bordon, Christian Poulsen mit dem Bielefelder Patrick Owo- der Einfachheit halber „die Schutzengel“ („Jeder denkt: Nickelbrille gleich Soziolo- moyela beim 2:1 gegen Arminia Bielefeld am 28. Novem- nennt. Manchmal sagt er „Fußballgott“, er giestudent“), der den Schalkern das Gott- ber in Gelsenkirchen.

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derrechte wie extrabreite Hotelbetten, warf brüllend seine Kapitänsbinde auf den Ka- binenboden. Rangnick, der Kommunikator, hat seit- her gelernt, mit Stars noch mehr zu kom- munizieren. Und die Pause nach seiner Entlassung bei im März hat er nicht nur zur Hospitanz bei AS Rom und Arsenal London genutzt. Er hat sich in die- ser Zeit auch fest vorgenommen, sich in seinem Beruf „nicht mehr zu ärgern“. Doch wenn der Vater zweier Jungen kurz vor Spielbeginn die Kapelle aufsucht, will er dort „Ruhe tanken“. Seine Uner- schütterlichkeit muss nämlich trainiert wer- den. Der Teilhaber eines Reha-Zentrums in Böblingen neigt im Grunde dazu, sich zu verzetteln. „Nimm die Hektik aus deiner Arbeit“, rief ihm neulich der allgegenwär- MARTIN MEISSNER / AP MARTIN TEAM 2 kreist so wie ein Falke?“

wo der Becher Bier nur einen Euro kostet, brasilianische Diva zu domestizieren, ar- tige Manager Rudi Assauer zu. „Wir haben lebt schon das Spielsystem des „Schalker beiten rund 60000 mit großem Eifer mit. dich nicht eingekauft, um das Hotel zu bu- Kreisels“ aus der erfolgreichen Ära Fritz Mitspieler kommen dann herbeigeeilt, chen und den Bus zu bestellen. Das haben Szepans und Ernst Kuzorras in neu ent- um Ailton das Haupt zu streicheln, in der wir hier schon im Griff.“ deckten Evergreens wieder auf: „Wer kreist ganzen Arena erheben sich die Besucher Schalke-Macher Assauer, 60, sitzt in sei- so wie ein Falke? Der FC Schalke, der FC von ihren Sitzen, um schmunzelnd dem ka- nem verqualmten Büro und blickt vom Schalke.“ Jedenfalls wollen alle fest an die priziösen Star zu huldigen – so wie sie jetzt Schreibtisch auf den kühlschrankgroßen Schutzengel glauben. auch immer in Jubel ausbrechen, sobald Humidor, in dem seine Davidoffs lagern Gott habe ihm zu diesem Wechsel gera- sich der Egoist mal im Dienst der Mann- wie in einem Safe. Wegen Leistenbe- ten, eröffnete Marcelo Bordon, gläubiger schaft an der Kärrnerarbeit in der Defensi- schwerden hat er seit ein paar Tagen kei- brasilianischer Abwehrchef, der aus Stutt- ve beteiligt. Alle wissen, dass ein gut ge- nen Sport treiben können, und deshalb ist gart kam. Und nicht wenige Beobachter launter Ailton schneller in Form kommt. er schlecht gelaunt. haben den Eindruck, dass in der Schalker Wenn er sich dann trotzdem aus Protest So hat er neulich Spieler wie Hamit Al- Mannschaft tatsächlich irgendetwas Be- gegen seine Auswechslung kurz an die tintop als „Versager“ beschimpft und der sonderes passiert. Wenn die Spieler sich in Stirn tippt, ignoriert das der Trainer: „Da ARD wegen angeblicher Bevorzugung des den Sekunden vor dem Anstoß gegensei- hat er sich wohl am Kopf gekratzt“, kom- Konkurrenten FC Bayern bei Live-Über- tig anfeuern wollen, dann klatschen sie sich mentierte Rangnick jüngst gefasst. tragungen vorgeworfen, sie wolle „fetten nicht ab wie anderswo die Kollegen, son- Mit kickenden Diven kennt sich der aus- Gänsen noch den Arsch schmieren“. Nun dern nehmen sich gleich in den Arm. Und gebildete Sport- und Englischlehrer nach lobt der Patriarch den Trainer vergleichs- wenn der geltungsbedürftige Stürmer Ail- nunmehr 22 Trainerjahren aus. Beim VfB weise überschwänglich: „Der Ralf“, sagt ton ausgewechselt wird, weil er zuweilen Stuttgart resignierte er noch im Macht- er jetzt, nachdem er ihn anfangs „Rolf“ einfach ausgewechselt werden muss, ist zu kampf mit dem Spielmacher Krassimir Ba- genannt hat, „der macht es schon ganz gut. erkennen: Am Schalker Großprojekt, die lakow. Der Bulgare, besorgt um seine Son- Er ist ein schlauer Mensch.“ Allerdings ist

der spiegel 50/2004 143 Sport er kürzlich zu spät zur gemeinsamen Pres- boren, hat immer schon schneller als an- sekonferenz erschienen, und so verfügt dere gelernt. Der neugierige Beobachter, Assauer nun, allenfalls halb im Scherz: „Er der es als Spieler nur in die Oberliga schaff- muss noch einiges lernen, zum Beispiel te, führte einst als Trainer-Überflieger beim Pünktlichkeit.“ Zweitliga-Aufsteiger SSV Ulm Begriffe wie Wo in Schalke ihre Grenzen liegen, er- „ballorientierte Raumdeckung“ in den fuhren Rangnick und sein Assistent Mirko Wortschatz deutscher Fußballfans ein. Sein Slomka bereits vorigen Monat, als sie die oberlehrerhaftes Gebaren legte er ab, nach- Anbieter eines Computersystems zur Spiel- dem ihm 1998 ein allzu dozierender ZDF- analyse ins Trainingslager einluden. „Das Auftritt an der Taktiktafel mehr Hohn als Ding wird eh nicht gekauft“, knurrte As- Respekt eingetragen hatte. sauer, „erst recht nicht, weil ihr mich nicht Er habe „nicht mehr diesen missionari- informiert habt.“ schen Eifer“, bekennt er. In Stuttgart reg- Mit derlei sturer Befehlsgewalt kam im ten ihn noch Vereinspartner auf, die Jung- zum Konzern expandierten Arbeiterclub profis in der Kabine Rabatte beim Auto- nicht jeder zurecht. Heynckes wollte selbst kauf anboten. Und als er im Trainingslager bestimmen, wo das Team vor Heimspielen im österreichischen Schruns zur Überra- Quartier bezieht und wer bei der Mann- schung heimlich die Spielerfrauen im Bus schaftspräsentation zum Saisonstart auf die herbeikarren ließ, musste er erkennen: Die Bühne darf. Assauer suchte mit dem sper- Profis, für den anberaumten freien Tag rigen Rangnick-Vorgänger jedoch nie die Konfrontation. Er zog sich schmollend zurück – bis er den Trainer im September überraschend entließ. Auch wegen der gewollten Distanz zu Heynckes sitzt der Manager seit Saison- beginn in der Arena nicht mehr am Spiel- feldrand, sondern neben Ehrengästen auf der Tribüne. Jetzt, da er sich während der Partie nicht mehr abreagieren kann wie früher, als er sich in Rufweite zum Gegner und Schiedsrichter aufhielt, kommt er manchmal in seltsamer Tobsuchtsstimmung in die Kabine gestürmt. Im Betreuerstab wird deshalb erwogen, den Manager künf- tig auf eine Entspannungszigarre ins Team-

arzt-Zimmer umzuleiten, bevor man ihn TEAM 2 auf die Mannschaft loslässt. Stürmer Ailton, Coach Rangnick Rangnick nimmt auch solche Schrullig- „Am Kopf gekratzt“ keiten im an Folklore ohnehin nicht armen Club mit erstaunlicher Gelassenheit. Er mehrheitlich schon anderweitig verabre- weiß noch nicht wirklich, wie er Rügen we- det, waren gar nicht so begeistert. gen Zuspätkommens einzuschätzen hat, So flitzte der vom Boulevard als „Pro- aber er kann auch Niederlagen – nicht zu- fessor“ belächelte Novize im Crashkurs letzt mit der Belastung durch die Fülle von durch die Welt des Profifußballs. Heute will Aufgaben in drei Wettbewerben – plausibel sich Rangnick nicht mehr in Scharmützeln erklären. Und er trifft beim Chef erstaun- aufreiben wie in Hannover mit dem Präsi- lich lässig den richtigen Ton. denten Martin Kind. In Schalke weiß er im- Als Assauer polterte, die Partie gegen mer, in welcher Sakkotasche der Anstecker Budapest sei „das schlechteste Heimspiel“ des Sponsors liegt, den er sich ans Revers in seiner Managerzeit gewesen, konterte heftet, sobald er eine Kamera erblickt. Und Rangnick kühl: „Du hast aber ein schlech- er weiß auch, was sein Publikum hören will. tes Gedächtnis.“ Und als Assauer drei Tage Etwas kokett offenbarte er bei seiner An- später den Sieg gegen Bielefeld als besten trittsrede, dass die Spieler sich jetzt vor Auftritt „seit Monaten“ pries, fuhr ihm der dem Anstoß mit dem alten Bergarbeiter- Trainer über den Mund: „Das hast du vor gruß „Glückauf“ aufmunterten. vier Wochen gegen Stuttgart auch gesagt.“ Und nach einem Sponsorentreffen im Staunend wie ein Praktikant läuft Ralf „Glückauf-Club“ in der Arena gab er vor, Rangnick bisweilen über das riesige Club- überrascht zu sein: Nicht nüchterne Ge- gelände, nur dass ihm aus der Qualität der schäftsleute ohne emotionale Bindung zum ihm zugewiesenen Mannschaft plötzlich Verein habe er dort angetroffen, wie er das große Verantwortung erwächst: Wenn er von früheren Stationen gewohnt war. Son- grobe Fehler vermeidet, das ahnt er mitt- dern: „Das waren alles Schalker – was im- lerweile, könnte er das Praktikum vielleicht mer das bedeutet.“ mit einem kolossalen Erfolg abschließen, Längst ist dem Zugereisten klar, dass es den alle ersehnen. „Vielleicht sogar sein sich da nicht nur um eine Bezeichnung Meisterstück“, traut ihm Assauer zu. von Herkunft und Gesinnung handelt. Die Der Autodidakt Rangnick, im Jahr der Leute im Ruhrpott meinen, es sei eine letzten Schalker Meisterschaft (1958) ge- Konfession. Jörg Kramer

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