180 Mitteilungen MÄRZ 2007 GEDENKEN in NIEDERÖSTERREICH

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180 Mitteilungen MÄRZ 2007 GEDENKEN in NIEDERÖSTERREICH DÖW DOKUMENTATIONSARCHIV DES ÖSTERREICHISCHEN WIDERSTANDES FOLGE 180 Mitteilungen MÄRZ 2007 GEDENKEN IN NIEDERÖSTERREICH Seit Anfang der 1990er Jahre ist der Umgang der österreichischen Gesellschaft mit Widerstand und Verfolgung in Form ihrer mate- riellen Kristallisation als Erinnerungszeichen ein Forschungsfeld des DÖW. 1998 erschien als Abschluss des Pilotprojekts „Gedenken und Mahnen in Wien 1934–1945“ eine 488-seitige Publikation über „Gedenkstätten zu Widerstand und Verfolgung, Exil und Befreiung in Wien“, 2001 folgte ein erster Ergänzungsband. Gegenwärtig sind wissenschaftliche Dokumentationsprojekte zu den Bundesländern Niederösterreich, Steiermark und Burgenland in Arbeit. Das DÖW kooperiert dabei mit dem „Verein zur Erforschung nationalsozialis- tischer Gewaltverbrechen und ihrer Aufarbeitung“, der Abteilung Zeitgeschichte der Karl-Franzens-Universität Graz und mit dem Forschungsprogramm „Orte des Gedächtnisses“ an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Kommission für Kultur- wissenschaften und Theatergeschichte). Projektleiterin ist Heidemarie Uhl. Claudia Kuretsidis-Haider und Heinz Arnberger, seit den Anfängen an den Projekten des DÖW zu Gedenken und Mahnen beteiligt, beschreiben im Folgenden anhand exemplarischer Beispiele die Gedächtnislandschaften Niederösterreichs. Erinnerungszeichen im Gedenken an die verschiedenen — politisch, militärisch und religiös begründeten — Formen widerständigen Verhaltens Das Gedenken an KommunistInnen, So- zialistInnen und Christlich-Konservative ist in der Regel personenbezogen und zeigt sich in den traditionellen „sites of memories“, nämlich in Form von Gedenk- tafeln, Denkmälern, Ehrengräbern, aber auch in Form von Verkehrsflächenbenen- nungen oder von Benennungen von Kin- dergärten, Schulen und anderen öffent- lichen Einrichtungen. Die ersten Nachkriegsjahre standen, wie Gedenktafel an der äußeren Friedhofsmauer in Enzesfeld-Lindabrunn, 1946 Heidemarie Uhl mehrfach feststellte, im Zeichen des konsensualen Gedenkens an vor allem das individuelle Schicksal Ein- Bereits in den 1950er Jahren verschwand den österreichischen Freiheitskampf. Dies zelner wider. Auch die gesellschaftspoliti- die namentliche Kenntlichmachung von lässt sich auch für Niederösterreich nach- sche Zugehörigkeit der Betroffenen geht Personen, die Widerstand gegen das vollziehen. Geprägt wurde diese Erinne- in vielen Fällen hervor, wenngleich der NS-Regime geleistet hatten, und wich rungskultur von der KPÖ und der SPÖ. Hinweis, ob es sich dabei um Kommu- schwammigen Begrifflichkeiten. Aus den Während sich kommunistisches Gedenken nistInnen oder SozialistInnen gehandelt „Kämpfern gegen den Faschismus“ wur- auf den Widerstand gegen die NS-Herr- hat, in der Regel fehlt, außer es handelte den „Opfer des Faschismus“, die sich an- schaft konzentrierte, wobei die Kommu- sich um eine konkret etwa von der KPÖ deren Opferkategorien, wie „Soldaten bei- nistInnen den höchsten Anteil an Opfern gestiftete Tafel. Ganz allgemein ist der der Weltkriege“ oder ganz allgemein „Op- zu verzeichnen hatten, war das sozialde- „Kampf gegen den Faschismus und gegen fer des Krieges“, einfügten. Nur wenige mokratische Gedenken in vielen Fällen den Krieg“ (Brunn am Gebirge) und „für Denkmalerrichtungen prägten in dieser auf den Bürgerkrieg im Februar 1934 fo- Österreichs Freiheit“ (Enzesfeld-Linda- Zeit das Bild der niederösterreichischen kussiert. Generell war in der Erinnerungs- brunn, Stockerau) in Niederösterreich in Gedächtnislandschaften. Exemplarisch zu kultur das Widerstandsnarrativ vorherr- dieser Zeit häufig verwendeter Sprach- erwähnen ist hier etwa das auf Initiative schend und Erinnerungszeichen spiegelten duktus. der drei Opferverbände errichtete „Denk- 2 Mitteilungen 180 Mitte der 1990er Jahre eine starke Reprä- sentanz im öffentlichen Raum Nieder- österreichs aufweist, sei es in Form von Skulpturen (etwa in der Wallfahrtskirche Kleinmariazell), als Reliquienverehrung in zahlreichen Kirchen, in Andachtsräu- men (z. B. in der Justizanstalt Hirtenberg), als Restituta-Kapellen (etwa in der Kursana Seniorenresidenz Maria Enzers- dorf), als Namensgeberin für Verkehrsflä- chenbenennungen (wie z. B. in Mödling) oder als Restituta-Kindergarten in Ober- waltersdorf. Sr. Restituta wurde am 21. Juni 1998 auf dem Wiener Heldenplatz durch Papst Johannes Paul II selig gespro- chen, und in diesem Jahr sind in ver- schiedenen niederösterreichischen Orten verstärkt Zeichensetzungen festzustellen. Zeichensetzungen im Gedenken an die Opfer des links oben: Mahnmal auf dem Friedhof Holocaust bzw. an in Hainburg, 1977 ausgelöschte jüdische oben: Denkmal gegen den Faschismus Gemeinden sowie an zerstörte in Amstetten (Neuer Friedhof), 1954 Synagogen oder Friedhöfe links: Gedenktafel in der Kirche von Großweikersdorf, 2002 Die Erinnerung an die Vertreibung und Er- mordung der Jüdinnen und Juden wies jahrzehntelang nur eine marginale öffent- mal gegen den Faschismus“ in Amstetten liche Präsenz auf. Auffallend ist, dass in aus dem Jahr 1954, das der „Märtyrer po- den ersten Nachkriegsjahren auch der Ho- litischer Willkür in den Jahren locaustopfer gedacht wurde, wenngleich 1933–1945“ gedenkt, ohne eine nähere es den Begriff in dieser Zeit noch nicht parteipolitische Spezifizierung vorzuneh- gab. Allerdings scheute man vor der Ver- men. Die Opfer von „Ständestaat“ und wendung der Worte „Jude“ und „jüdisch“ Nationalsozialismus werden anonym an- zurück, zu sehr schienen diese durch die gesprochen. Die breite parteipolitische NS-Zeit belastet. Es finden sich daher auf Einigkeit spiegelte die Teilnahme von Erinnerungszeichen aus diesen Jahren kei- VertreterInnen der SPÖ, ÖVP und der ne „jüdischen“, sondern „israelitische“ KPÖ an der mit einer kirchlichen Weihe Opfer bzw. keine Juden, sondern Israeliten verbundenen Enthüllungsfeier wider. (Bad Deutsch-Altenburg, Bruck/Leitha). Sehr stark vertreten ist in Niederöster- Bisweilen behalf man sich auch mit dem reich, insbesondere seit den 1980er Jah- Begriff „KZ-ler“ (St. Anton–Jeßnitz). Die- ren, das Gedenken an den katholischen se waren in der Regel namentlich unbe- Widerstand. Das hängt mit der stark aus- kannt (eine Nennung der betroffenen Per- geprägten katholischen Prägung der bäu- sonen, oftmals versehen mit näheren Da- erlichen Gesellschaft in Niederösterreich ten, wie Deportation und Ermordung, ist zusammen. Neben Roman Karl Scholz erst seit der intensiven Holocaustfor- von der „Österreichischen Freiheitsbewe- schung in den letzten Jahren möglich ge- gung“, hingerichtet im Mai 1944, der in worden). Klosterneuburg tätig gewesen war und für Sehr bald allerdings verschwand die Er- den dort Erinnerungszeichen angebracht wähnung von Jüdinnen und Juden sowie wurden (etwa 1990 im Bundesgymnasium deren Schicksal völlig aus der Sprache des Buchberggasse oder 1988 eine Gedenk- Gedenkens. Immerhin werden auf einem tafel am Roman-Karl-Scholz-Platz, der Mahnmal in Gmünd noch die „politisch bereits 1946 so benannt wurde), ist es vor und rassisch Verfolgte[n] in einer Welt der allem das Gedenken an die Ordensschwes- Diktatur, des Krieges und des Hungers“ ter der „Franziskanerinnen von der christ- angesprochen, eine nähere Präzisierung, Steinskulptur der Sr. Maria Restituta in lichen Liebe“ Helene „Restituta“ Kafka wer diese Verfolgten in welcher Diktatur der Wallfahrtskirche Kleinmariazell, 1998 (hingerichtet im März 1943), das seit der gewesen sind, fehlt allerdings. Das 1970 März 2007 3 von der Arbeitsgemeinschaft der Opfer- rechts: Massengrab mit Gedenkstein für verbände Niederösterreich und der Stadt- elf ermordete Juden auf dem Friedhof gemeinde Gmünd gestiftete Erinnerungs- in Bad Deutsch-Altenburg, 1945 zeichen soll jener 485 ungarischen Jüdin- nen und Juden gedenken, die sich auf unten: Gedenkstein für die Holocaust- einem Transport nach Theresienstadt be- opfer auf dem Friedhof von fanden und gemeinsam mit weiteren mehr Großweikersdorf, 2003 als tausend LeidensgenossInnen 1944 in einem Getreidespeicher zusammenge- pfercht wurden und Zwangsarbeit leisten mussten. Sie kamen aufgrund von Hunger, Kälte und Terror ums Leben und wurden jenseits der heutigen Grenze in Ceske Velenice begraben. Am 16. Februar 1945 wurde das Lager evakuiert und die zu die- sem Zeitpunkt noch lebenden Häftlinge auf einen Todesmarsch in Richtung Prag geschickt. Die 1980er Jahre brachten im Zuge der „Waldheim-Diskussion“ einen Wandel der Erinnerungskultur(en). Dieser wurde durch den Bruch des traditionellen Ge- schichtsbildes ausgelöst und eröffnete ver- änderte Sichtweisen auf die nationalsozia- listische Vergangenheit Österreichs. Für die Geschichtswissenschaft wird diesbe- züglich von einem Paradigmenwechsel gesprochen, den öffentlich-politischen Diskurs bestimmt seitdem eine neue Sen- sibilität in der Beurteilung der NS-Ver- gangenheit. Erstmals finden dabei auch jene Opfer natio- nalsozialistischer Verbrechen Berücksichtigung, denen bis dahin entsprechende Würdi- gungen versagt geblieben wa- ren, bzw. ist das Gedenken insbesondere an die österrei- chischen Jüdinnen und Juden im öffentlichen Raum nicht mehr nur vereinzelt sichtbar. Während sich im Gedächtnis- raum Wien bereits in den 1980er Jahren dieser Wandel auch öffentlich wahrnehmbar Gedenktafel an der Mauer des Stadtfriedhofs von Mahnmal in Gmünd (nahe dem vollzogen hatte, setzte in Nie- Zistersdorf (ehemalige israelitische Abteilung), 2003 Getreidespeicher), 1970 derösterreich eine derartige Entwicklung erst mit den 1990er Jahren ein. Gedächtnislandschaften für den Holo- caust repräsentieren neue Formen der ma- 48 Meter langes Stahlband mit teriellen Zeichensetzung
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