Heinz Eggert Staatsminister A.D. Im Gespräch Mit Dr. Hilde Stadler
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 22.10.2009, 20.15 Uhr Heinz Eggert Staatsminister a.D. im Gespräch mit Dr. Hilde Stadler Stadler: Liebe Zuschauer, willkommen zum alpha-Forum, bei dem heute Heinz Eggert zu Gast ist. Zur Zeit der DDR war er Pfarrer, nach der deutschen Einheit war er CDU-Politiker und saß 15 Jahre lang im sächsischen Landtag. Herzlich willkommen bei uns. Eggert: Danke. Stadler: Herr Eggert, Sie saßen 15 Jahre lang im sächsischen Landtag. Bei der Landtagswahl 2009 haben Sie nicht mehr kandidiert. Sind Sie politikverdrossen? Eggert: Nein, das bin ich nicht. Aber ich bin älter geworden und so toll ist die Politik auch nicht, dass man sein Leben mitten in der Politik beenden sollte. Dazu muss man noch wissen, dass zur Wendezeit viele Leute in die Politik gegangen sind, die damals mein Alter hatten, zwischen 40 und 50 Jahre. Es war einfach auch notwendig, jetzt eine Verjüngung des Landtages anzuregen. Deswegen habe ich von mir aus gesagt, dass ich jetzt aufhöre. Jetzt werden die Entscheidungen für die nächsten zehn bis 20 Jahre getroffen und die jungen Leute, die das wirklich betrifft – wir sind ja dann Rentner –, hätten dann keine Stimme. Von daher fand ich, das war ein guter Schritt. Ich bin zudem ganz froh, dass ich aufhören kann. Stadler: Das hat mich etwas überrascht, denn man findet von Ihnen Aussagen, dass Sie sich, wie auch einige andere, dafür einsetzen, die über 50-Jährigen nicht auf das Abstellgleis zu schieben. In Appellen an die Wirtschaft fordern Sie, deren Erfahrungen und Intelligenz zu nutzen. Das hört doch nicht mit 60 schlagartig auf? Eggert: Das hört mit 60 nicht schlagartig auf. Es wäre übrigens auch von großem Vorteil, wenn man in der Politik immer die Intelligenz nutzen würde. Das gebe ich gerne zu. Aber ich werde etwas ganz anderes machen. Für mich waren das nun 20 Jahre in der Politik, wobei ich nach der Wende unter anderen Vorzeichen in die Politik gegangen bin. Damals war das auch noch ein anderes Arbeiten, man hat noch nicht so sehr von Parteistrukturen und Parteiprogrammen her gedacht, sondern versucht, das Machbare umzusetzen, auch über viele ideologische Strömungen hinweg. Jetzt ist die Politik im Osten Deutschlands so geworden, wie sie im Westen schon immer betrieben wurde. Das ist weniger ein Gestalten, als ein Verwalten. Und ich bin alles Mögliche, aber kein Verwaltungsfachmann. Stadler: Politik war nicht unbedingt Ihr Berufsziel, ursprünglich auch nicht Pfarrer. Ich hatte schon erwähnt, dass Sie zur Zeit der DDR Pfarrer waren. Sie waren auch einmal bei der Eisenbahn. War das Ihr Wunschberuf? Eggert: Ja, das war eigentlich ein Wunschberuf. Ich bin noch heute jemand, der unter Fernweh leidet. Stadler: Das war in der DDR schwierig. Eggert: Das war sehr schwierig. Ich bin in Rostock aufgewachsen und habe als Junge immer an der Mole in Warnemünde gestanden und mir gedacht, wenn jetzt ein Schiff käme und die sagen würden: "Wir nehmen dich als Schiffsjungen mit!" Dann wäre ich an Bord gegangen und weg gewesen. So stark war mein Fernweh. Später war ich bei der Eisenbahn. Für mich gab es immer existenzielle Anlässe, warum ich irgendwo ausgestiegen und woanders eingestiegen bin. In Bezug auf meinen Beruf als Pfarrer und auf die Theologie war das am 21. August 1968 der Einmarsch der Russen und des Warschauer Paktes in Prag. Bis dahin war ich in der DDR relativ angepasst. Stadler: Dieses Ereignis hat Sie politisiert? Eggert: Das hat mich politisiert, vor allem, als ich mich geweigert habe anzuerkennen, dass das ganz toll wäre und damit der Frieden in der Welt gerettet würde. Das mussten wir ständig unterschreiben. Stadler: Sie waren auch privat in Prag gewesen. Sie kannten Prag zu dieser Zeit, die Atmosphäre dort und einige Prager und Pragerinnen. Eggert: Vor allem eine Pragerin. Ich bin mit meinem Freifahrschein als 21-Jähriger nach Prag gefahren. Prag war für mich so, wie ich mir immer "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" vorgestellt hatte. Man konnte dort schon Jeans kaufen, als die in der DDR noch die Hosen des Klassenfeindes waren. Die Lieder der Beatles wurden dort gespielt. Es war alles insgesamt ein wenig lockerer und freundlicher. Von den großen, schweren politischen Themen, die zu dieser Zeit diskutiert wurden, hatte ich wenig Ahnung. Sie haben mich auch nicht großartig berührt. Ich hatte dort eine Freundin, in die ich mich verliebt hatte. Sie ist dann 1968 mit ihren Eltern nach Kanada ausgewandert, weil die Familie nach dem Einmarsch der Russen politisch verfolgt wurde. Das alles hat eine Rolle gespielt, warum ich mich geweigert habe, zu unterschreiben, dass ich diesen Einmarsch toll finde. Ich bin noch am gleichen Tag verhaftet worden, zwar nur für einen Tag und eine Nacht, aber für einen 22-Jährigen war das schon ein großes Ereignis. Das hat mich nachdenklich gemacht. Durch Diskussionen mit Freunden und meiner Frau, die ich bald danach kennengelernt habe, bin ich nachdenklicher geworden, als ich bis dahin zu DDR-Zeiten war. In einer Diktatur wird man nicht von heute auf morgen Widerständler. Stadler: Das war ein Prozess. Eggert: Das ist ein Prozess, manchmal ist es auch ein langer Weg, auf dem sehr viele existenzielle und emotionale Anlässe nötig sind. Stadler: Sie studierten Theologie demzufolge nicht nur, weil Sie auf manche Fragen existenzieller Art Antworten erhofften, sondern vielleicht auch schon im Hinblick darauf, dass man in der Kirche als Pfarrer mehr Freiheiten hatte, als wenn man in irgendeinem Betrieb oder in der Verwaltung beschäftigt gewesen wäre? Eggert: Ich kannte bis dahin gar keinen Pfarrer, weil ich nicht aus einem christlichen Elternhaus komme. Ich bin auch erst mit 22 oder 23 Jahren getauft und konfirmiert worden. Mich hat auch nicht so sehr die Bibel gereizt, sondern dass ich als Theologiestudent natürlich auch die Möglichkeit hatte, Literatur aus den Bereichen Psychologie, Geschichte und Philosophie zu lesen, die nicht durch die rosarote marxistische Brille gefärbt war. Das hat auf mich eine große Anziehungskraft ausgeübt. Dazu kam der Gedanke an Gott. Denn wenn Gott ist, muss der Einzelne nicht ständig nachweisen, dass er ein nützliches Mitglied der Gesellschaft dieser Diktatur ist, und wenn diese Gesellschaft sehr schäbig mit ihm umgeht, verliert er trotzdem nicht an Wert. Das waren für mich zwei Grundgedanken, die sich bis heute bei mir durchziehen. Ich halte sie auch für sehr wichtig für den christlichen Glauben, abgesehen von allen Dogmen und theologischen Diskussionen. Stadler: Sie sind dann vom hohen Norden nach Sachsen gegangen. Eggert: Ja, meine Frau stammt aus Zittau und man sagt ja auch immer, dass in Sachsen die schönen Mädchen auf den Bäumen wachsen. Da hat man sie halt heruntergeholt. Ich hatte dann auch meine erste Pfarrstelle im Dreiländereck Tschechien-Polen-Deutschland. Man muss nur wissen, dass die Grenze damals teilweise noch mit Stacheldraht verriegelt war. Nach Tschechien kamen wir ganz schlecht und ab 1980 durfte ich nicht einmal mehr nach Polen fahren, weil es da die Solidarnosc gab. Da wohnte ich nun in diesem Dreiländereck. Ich hatte gedachte, die Grenzen gehen nun auf, im Gegensatz zu Warnemünde, wo man nie über die See fahren durfte. Und schon bin ich wieder an Grenzen gestoßen, wie das halt so war in der DDR. Stadler: Den Alltag in dieser sozialistischen Diktatur haben Sie nicht nur selbst, sondern auch über die Mitglieder Ihrer Gemeinde als sehr hart erlebt. Sie galten bald als der Pfarrer, an den man sich wandte, wenn man ausreisen wollte. Das heißt, Sie haben vermutlich so manches davon mitbekommen, wie der Alltag war. Eggert: Bei vielen Diskussionen über die DDR, die nach der Wende geführt worden sind, bekomme ich mit, dass ich die DDR ganz anders erlebt habe als Millionen andere, die in der DDR gelebt haben. Denn ich hatte immer mit Menschen zu tun, die von der Staatssicherheit verfolgt wurden, die Schwierigkeiten mit dem DDR-Staat hatten, die bis an die Grenzen gegangen sind und die man dann verhaftet hat, denen man übel mitgespielt hat, deren Kinder keinerlei Möglichkeiten hatten, ein Examen zu machen oder überhaupt das Abitur zu machen. Was ich mache, hat sich sehr schnell herumgesprochen, sodass dann Leute anklopften, die ich gar nicht kannte. Ich hatte mir auch abgewöhnt zu überlegen, ob sie von der Staatssicherheit geschickt worden waren oder nicht. Das hätte mich meiner Arbeitsmöglichkeiten beraubt. Ich hatte mir vorgenommen, diesen Menschen auch im Kleinen das zu sagen, was ich nach außen hin jederzeit verantworten konnte. Dann sprach man an dieser Stelle einfach ein Stück verantwortlicher, aber auch offener. Stadler: In dieser Wirtschaftskrise hören wir gerade aus dem Osten die Stimmen, die sagen, dass es zwar das SED-Regime gegeben habe, aber dass es dort auch Arbeitsplätze gegeben hätte; das soziale Klima sei nicht so kalt gewesen und die DDR nicht so individualisiert. Daher wäre es doch da nicht so schlecht gewesen. Was sagen Sie solchen Leuten? Eggert: Ich wundere mich immer ein wenig über diese Einschätzung. Wer glaubt, dass die "sozialistische Wartegemeinschaft" vor dem Gemüsestand, der gerade Gemüse hatte, für das man sich zwei Stunden anstellen musste, gesellschaftliche Wärme produzierte, der irrt einfach. Eines ist klar: Das Leben in einer durch die Grenzen abgeschotteten Diktatur ist immer weitaus einfacher, als sich in der großen Welt zu bewegen und auf dem großen Markt bewähren zu müssen. Da haben die Menschen ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Die Hauptdiskussion ist eigentlich nie richtig geführt worden. Jemand, der in der Diktatur in der Arbeitswelt eine Lebensleistung erbrachte, erbrachte wirklich eine Lebensleistung, auch wenn sie sich nicht auf dem Konto niedergeschlagen hat. Ich habe als Pfarrer 600 DDR-Mark verdient, das war weniger, als ein Arbeiter verdiente. Das wusste ich aber und es war für mich kein Problem. Meine Kollegen im Westen haben, auch wenn sie es nicht verdient haben, trotzdem mehr Geld bekommen. So kam es nach der Wende zu diesem Vergleich: Wenn ich mit meinem Arbeitsplatz in der Bundesrepublik gelebt hätte, was hätte ich dann heute auf dem Konto, was hätte ich heute schon an Besitzständen, die ich so nicht habe.