Journal of New Frontiers in Spatial Concepts ISSN 1868-6648 | Volume 7(2015), 1-10 KIT Scientific Publishing http://ejournal.uvka.de/spatialconcepts/archives/1909

Historische Technikakzeptanz – als kontextualisierende Technikzukunftsforschung am Fallbeispiel der T1-Duplexklasse der , 1942–1951

Prof. Dr. Rolf-Ulrich Kunze Institut für Philosophie, Karlsruher Institut für Technologie, E-Mail: [email protected]

Abstract The essay presents the brief history of the last technological development of the steam age on US railroad tracks: the T1 duplex class of the Pennsylvania Railroad, 1942–1951. Referring to the methods of today’s technological assessment, the article is questioning a teleological interpretation of the last US passenger tratin steam locomotive as a failing innovation.

Keywords: History of transport, 20th century railroad history, PRR T1 duplex class, historical assessment of technology, failing innovation, historical analysis of technology acceptance

Manuscript received 11 November 2014, revised 05 December 2014, accepted 14 January 2015.

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schläge dazu machen, warum diese Art von histori- scher Technikakzeptanzforschung am ITZ am KIT einen relevanten Beitrag zur historischen Erfahrung von Technikzukünften leisten kann. Hans-Ulrich Wehler hat die notorische Theorie- ferne des deutschen Historikers einmal in ein drasti-

sches Bild gefasst:2 Der Durchschnittsneohistorist Figure 1. Die T1 der Pennsylvania Railroad, gebaut von begebe sich mit schwerem Werkzeug in den Stein- 1942 bis 1946, hier bei ihrem Rollout bei den Baldwin Railroad Works, Altoona, Pennsylvania, 1942.1 bruch des Archivs, arbeite dort schwitzend und fluchend so lange, bis sich einige sehr unterschied- I. Was ist historische Technikakzeptanzforschung? lich große Brocken aus der Wand lösen lassen, schaufele diese in seine Schubkarre, fahre diese Nach einigen einleitenden methodologischen Über- schweißgebadet und hochbefriedigt sowie ohne den legungen, was historische Technikakzeptanzfor- geringsten Anflug schlechten Gewissens gegenüber schung sein könnte, möchte ich Ihnen als akzep- dem zurückbleibenden Material in seine Arbeitsbu- tanzgeschichtliches Fallbeispiel die letzte amerikani- de, um seine Brocken dann nach Größe und Form sche Personenzug-Großdampflok vorstellen. Mein zu sortieren, was er dann für quellennahe Historio- erkenntnisleitendes Interesse liegt darin, die Dimen- graphie halte. Sicherlich ist dies eine Karikatur – sionen des Scheiterns einer exemplarischen Tech- aber eine gute, weil im Kern zutreffende. Ich möchte nikzukunft zu beschreiben und aus ihrem Kontext zu verstehen. Abschließend werde ich einige Vor- 2 Hans-Ulrich Wehler, Historisches Denken am Ende des 20. Jahrhunderts, Göttingen 2001, 11. Zugegebenermaßen habe ich 1 Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/PRR_T1 [6.10.2014]. die Metapher – hoffentlich in Wehlers Sinn – ausgeschmückt. Journal of New Frontiers in Spatial Concepts | ISSN 1868-6648 | Vol. 7(2015), 1-10 2

im Folgenden nicht auf die möglichen theoretischen Gleichwohl möchte ich Grenzen markieren. Kon- Defizite insbesondere der deutschen Nachkriegsge- struktivistische Geschichtsschreibung oder histori- schichtswissenschaft eingehen,3 sondern vielmehr sche Szenarienbildung ist nicht mit Retrospective ein praktisches Fallbeispiel dafür vorstellen, wie die Technology Assessment gleichzusetzen. Um diesen historische Technikakzeptanzforschung u. a. von Ansatz einer um den selektiven Blick in die Vergan- Methoden der Technikfolgenabschätzung profitie- genheit erweiterten Prognostik, wie er vor allem von ren kann. Meine erkenntnisleitende These ist, dass Joseph Coates seit 1974 in den USA vertreten wird,5 sich manche Defizite der Konstruktion historischer gab es in der Technikgeschichte vor einigen Jahren Szenarien auf der Grundlage eines zumeist unreflek- eine Diskussion,6 die einmal mehr auf die Betonung tierten Mainstreamneohistorismus durch die Art der der Unüberbrückbarkeit bestimmter fachkultureller Fragestellung in der historischen Technikakzeptanz- Eigenheiten der Sozial- und Geschichtswissenschaf- forschung wenn nicht beheben, so doch erheblich ten hinauslief. Ich schließe mich der historischen vermindern lassen. Für eine methodisch plurale Skepsis gegenüber dem RTA von Wolfgang König in historische Technikakzeptanzforschung ist das zwei Punkten an, was die Verwendung von Model- schlechthin konstitutiv. Dabei spreche ich bewusst len und die Auflösung der Welt in Text angeht. von Szenarien, weil dieser Begriff den Konstrukti- Historiker können Szenarien entwickeln, aber auf- onscharakter und die Begründungsbedürftigkeit der grund der schon überlieferungsbedingten Begrenzt- Konstruktionsregeln und -routinen hervorhebt. heit der Quellenperspektive keine Modelle im stren- Gerade um die Offenlegung ihres methodischen gen sozialwissenschaftlichen Sinn. Daher sind sie Ansatzes pflegen Historiker sich gern zu drücken, ganz besonders auf die konzeptionellen Angebote indem sie sich mit falscher Naivität hinter dem Pri- anderer Disziplinen angewiesen. Daraus sollte ein mat der Quellen verstecken. Historiographie ist Interesse für bestimmte sozialwissenschaftliche An- Szenarienkonstruktion, die sich nicht von selbst sätze folgen, auch wenn die Lektüre von Max Weber versteht oder allein aus Genretraditionen herleiten aus mir noch keinen Soziologen macht. Und auch lässt, und dies schon allein deshalb, weil der Umgang das hyperkonstruktivistische, dekonstruktivistische mit den Quellen stets von der Fragestellung und den RTA macht aus der Industriellen Revolution keine erkenntnisleitenden Interessen abhängt. Unter ei- Erfindung und aus einem Dosenöffner keine Er- nem historischen Szenario verstehe ich in Anwen- zählweise. Das Interesse für den Ansatz der Technik- dung einer allgemeinen Szenario-Definition von folgenabschätzung bedeutet keineswegs, dass histori- Rolf Meyer die Rekonstruktion von vergangenen sche Technikakzeptanzforschung Technikfolgenab- Entwicklungsmöglichkeiten aus ihren Kontexten.4 schätzung mit historischem Gegenstand sein kann Diese Rekonstruktion soll in sich plural, trennscharf, oder will. Der Reiz liegt in der Rezeption und fall- plausibel, konsistent und verständlich sein. Ihr ist weisen Kooperation, nicht in der emphatischen eine anti-teleologische Ausrichtung gegen Interpre- Verwechslung. tationen inhärent, denen zufolge alles so und nicht anders habe kommen müssen. Szenarien können Den Begriff der failing innovation verwende ich hier dem Historiker helfen, nicht nur bestätigt zu finden, im Sinn von Pip Coburn7 und Reinhold Bauer8 als was er schon vorher weiß. Bemühung der Wiedersichtbarmachung eines Felds

5 Vgl. aktuell Joseph F. Coates, The future of foresight. A US perspective, in: Technological forecasting & social change. An 3 Vgl. den Überblick zu den sozialgeschichtlichen und kulturalisti- international journal 77, Ausgabe 9. 2010, 1428-1437. 6 schen Positionen bei Joachim Eibach, Günther Lottes (Hg.), Eine allerdings recht parteiliche – kritische – Zusammenfassung Kompass der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2002. Vieles, was bei Wolfgang König, Technikgeschichte. Eine Einführung in ihre hier als Innovation präsentiert wird, findet sich in essayistischer Konzepte und Forschungsergebnisse, Stuttgart 2009, 76-79; 221- Form schon bei Theodor Schieder, Geschichte als Wissenschaft. 225. Wenig überzeugend ist, dass König im Bereich RTA erst Eine Einführung, München–Wien 1965. begrifflich ablehnt, was er dann inhaltlich für sinnvoll erklärt. 7 4 Rolf Meyer, Szenario-Workshops: Partizipation als Hochschul- Pip Coburn, The Change Function. Why some Technologies lehre, in: Marc Dusseldorp, Richard Beecroft (Hg.), Technikfolgen Take Off and Some Crash and Burn, New York 2006. abschätzen lehren. Bildungspotenziale und transdisziplinäre 8 Reinhold Bauer, Gescheiterte Innovationen. Fehlschläge und Methoden, Wiesbaden 2012, 257-275, hier 261. technologische Wahl, Frankfurt/M.–New York 2006.

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mit Optionen technologischer Wahl, das von Niall Ferguson als Rekonstruktion eines level playing field von Alternativen beschrieben wird.9 Auch wenn es mir anders als ihm hier nicht um eine chaotic theory of the past geht. Ohne die Pandora-Büchse der Inno- Figure 2. Der Big Boy der Union Pacific als 1 : 32- vationsforschung hier allzu weit zu öffnen, sei der Modell.14 Hinweis erlaubt, dass die Szenarien- und path de- pendency-Thematik seit ihrer Wiederentdeckung Die T1, ein achtachsiger, von Stardesigner Raymond durch die Militärgeschichtsschreibung in den 1970er Loewy in Form gebrachter 6.080-PS-Gigant der Jahren u. a. durch Jehuda Wallach10 sich bereits seit Bauart 2’BB2’h4 (4-4-4-4 nach amerikanischer den 1980er Jahren auch in der amerikanischen Normung) mit Duplex-Antrieb, erreichte nicht nur Mainstream-history of technology bei Thomas P. auf dem Rollenprüfstand, sondern auch auf der Hughes11 abgebildet findet und sich wie ein roter Strecke Geschwindigkeiten über 200 km/h. Seit Be- Faden bis zu seinem Aufriss zum technological mo- ginn des Eisenbahnzeitalters war dergleichen noch 15 mentum aus dem Jahr 2011 durchzieht.12 niemals auf Schienen gestellt worden. Die Ingeni- eure der Baldwin Railroad Works in Altoona, Penn- II. Die T1: Eine exemplarische Akzeptanzanalyse sylvania, durften wie bei allen anderen amerikani- schen Herstellern während des Krieges ausschließ- Lassen Sie mich zunächst kurz den Sachverhalt des lich Güterzugloks in Serie produzieren. Aber die Fallbeispiels zusammenfassen. Mitten im Zweiten Entwicklung für den Zeitpunkt nach dem Sieg über Weltkrieg präsentierten die Manager und Spitzenin- Hitler-Deutschland war schon deshalb aus Prestige- genieure der damals größten Eisenbahngesellschaft gründen erwünscht, weil der unheimliche Waffen- der USA, der Pennsylvania Railroad (PRR), stolz bruder und alte Systemkonkurrent, die Sowjetunion, ihre neueste Innovation: die Artefakt gewordene sogar während des laufenden Rasse- und Vernich- Technikzukunft schlechthin in Gestalt der bis dahin tungskrieges gegen sie riesige Personenzuglokomoti- antriebstechnisch extravagantesten Schnellzugdampf- ven mit dem roten Stern vorn am Kessel in ihrer lok der Lokomotivbaugeschichte. Sie sollte zeigen, hinter den Ural verlegten Eisenbahnindustrie pro- welche enormen Zukunftspotentiale der bewährte duzierte. Bei Baldwin entstand daher eine Mega- Dampfantrieb in Verbindung mit neuen Konstruk- Maschine mit der Rostfläche eines Kleinkraftwerks tionsweisen und Materialien gegenüber der neuen und dem Äußeren eines U-Boots. Trotzdem wurde Dieselaggregattechnik hat. Noch größer und leis- die Innovation zum Anfang vom Ende der Penn- tungsstärker als diese Lok war nur der berühmte Big sylvania Railroad und des Eisenbahnzeitalters in den Boy der Union Pacific Railroad von 1941, aber das USA. Die spätere Designikone verkörperte den Hö- war eine Schnellgüterzuglokomotive.13 hepunkt in der Dampfloktechnologie vor dem Hin-

tergrund von 130 Jahren Erfahrung im Lokomotiv-

bau. Ihre Einsatzzeit endete schon 1951, und das

hing mit der beginnenden Epoche der Dieselloks

zusammen. Ob diese tatsächlich betriebswirtschaft-

lich günstiger waren, darum tobte Mitte der 1940er 9 Niall Ferguson, Virtual History: Towards a ‚Chaotic‘ Theory of Jahre ein erbitterter Streit zwischen den Advokaten the Past, in: ders. (Hg.), Virtual History: Alternatives and Coun- der alten und denen der neuen Technologie, der terfactuals, London 1997, 1-90. sogar in Form regelrechter Wettbewerbe ausgetragen 10 Jehuda Wallach, Kriegstheorien. Ihre Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1972. 11 Thomas P. Hughes, The evolution of large technological sys- 14 Quelle: http://www.accucraft.de/Produkte/1_32/ tems, Berlin 1986. Dampflokomotiven_1_32__Live_St/Big_Boy__Live_Steam_/ 12 Thomas P. Hughes, Technological momentum, in: Does tech- BIG_BOG_ES_4018_LS_web.jpg [6.10.2014]. nology drive history? Ed. By Merritt Roe Smith, Leo Marx, 15 Zur musealen Repräsentation von Faszinationsgeschichte der Cambridge, Mass. 2011, 101-114. Eisenbahn vgl. als Museumsrezension Rolf-Ulrich Kunze, Het 13 Oswald S. Nock, Dampfeisenbahn an der Wende, 1940-1965, Spoorwegmuseum Utrecht, the Netherlands, in: Transfers 1. 2011, Zürich 1975 (zuerst engl. London 1974), 97. 119-121.

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wurde. Deren Ergebnisse waren allerdings weder technisch noch ökonomisch eindeutig und zeigten vor allem, dass es sich bei beiden Technologien um verschiedene soziale Konstruktionen handelte. Die Konkurrenzgesellschaft der PRR, die New York Central, setzte in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre auf die Komplettverdieselung ihrer Traktionen. Die PRR zog nach, und das war das Aus für die T1. Aber das ist nicht die ganze Geschichte.

Figure 4. Carl Gustav Evers, PRR-Werbeplakat für die neue T1, 1945. Im Hintergrund die Stahlwerke von Beth- lehem, Pennsylvania. Hier stehen rauchende Schornsteine noch für Fortschritt und Glauben an die Zukunft.17 Ich orientiere mich methodisch im Folgenden ohne Anspruch auf Vollständigkeit an ausgewählten Kate- gorien des systematischen Ansatzes der Technikfol- genabschätzung, den Armin Grunwald in seiner Darstellung dieses Feldes 2010 vertreten hat.18 Meine empirische Grundlage sind veröffentlichte Daten über die T1. Eine Auswertung des PRR- Firmenarchivs steht noch bevor, und zwar im Rah- Figure 3. Eine frühe PRR-T1, 1943 in Pittsburgh, Penn- men einer Gesamtdarstellung der T1-Geschichte, für sylvania.16 die ich hier ein erkenntnisleitendes Gerüst vorstelle und noch einen Sponsor suche. Beginnen wir mit Die Frage, die ich nun mit einem Ansatz der histo- einem Blick auf die relevant user groups des großin- rischen Technikakzeptanzforschung untersuchen dustriellen Artefakts T1 und ihre Erwartungshaltun- möchte ist, wie es zu dieser scheinbaren failing inno- gen. Hier lassen sich vier Gruppen identifizieren: vation kam, präziser: ob diese tatsächlich so abseh- Die PRR-Manager in der Verfolgung bestimmter bar war wie es im siegergeschichtlichen Rückblick Unternehmensziele, die Eisenbahningenieure bei retro-teleologisierend im Duell der Antriebsformen Baldwin in Altoona bei der Entwicklung einer Diesel gegen Dampf scheinen möchte. Schnellzugdampflok, das Fahrpersonal der PRR bei dessen Alltagsbetrieb und schließlich die Kunden der PRR. Diese Gruppen lassen sich noch dadurch un- terscheiden, dass die Ingenieure und das Fahrperso-

17 Quelle: http://www.fulltable.com/vts/aoi/e/evers/e12.jpg 16 Quelle: http://prrsteam.pennsyrr.com/images/t16110.JPG [6.10.2014]. [6.10.2014]. 18 Armin Grunwald, Technikfolgenabschätzung, Berlin 2010.

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nal haptisch mit dem Artefakt interagieren, die Ma- Mountains und des Allegheny-Gebirges auf dem nager und die Kunden nur abstrakt bzw. indirekt. Weg von New York nach Chicago – und das ohne- hin schon hohe Grundgewicht der Pullman- Die Manager dachten und handelten unternehme- Vierachspersonenwagen mit hohem Reisekomfort risch und betriebswirtschaftlich, im Hinblick auf die stellten extreme Leistungsanforderungen an die teure Investition in ein solches Industriegut sogar Lokomotiven, die von den frühen Dieselloks nur in eher ersteres als letzteres. Nur zur Orientierung Doppeltraktion bewältigt werden konnten. Das war einige Daten zur explodierenden Kostenentwicklung bei der Anschaffung in Anschlag zu bringen und galt innerhalb der späten Dampflokzeit: 1902 kostete ein übrigens auch für die leistungsschwächeren, bereits kompletter neuer Zug der New York Central $ vorhandenen Bestands-Dampfloks. Nachdem die 115.000, 1922 $ 250.000, 1940 $ 1.384.000.19 Größe- PRR von Herbst 1945 bis August 1946 50 T1 gekauft rer Luxus und schickes Streamlinedesign machte die und abgenommen hatte, entschied sich das Unter- Züge immer schwerer und damit teurer im Fahrbe- nehmen zur Einführung der Dieseltraktion auf den trieb. Von der Leistungskraft der Lokomotiven wur- prestigereichen Strecken nach dem Vorbild der New de zunehmend schier Unmögliches verlangt. Die York Central. Die neuen T1 waren über Nacht obso- Lokomotivbeschaffungs- und Entwicklungspolitik let geworden. Die wirtschaftlichen Auslastungs- und bei der PRR war stets zurückhaltend und partiell Gewinnzahlen, die im Passagier- und Frachtbereich gewesen,20 daraus erklärten sich auch erhebliche 1944 vor dem Hintergrund der kriegsbedingt einge- Inkongruenzen beim rollenden Material: hochmo- schränkten Verfügbarkeit von Treibstoff und Reifen derne, avantgardistische E-Loks für den bereits für den Individualverkehr einen Spitzenwert errei- elektrifizierten Netzbetrieb in der dichtbesiedelten chen, um dann bis 1960 unter die Werte von 1925 zu Agglomeration um New York und Philadelphia fallen, sind nicht nur deshalb keine hinreichende standen ziemlich alte, daher in Unterhaltung teuer Erklärung für diesen Schwenk, weil sie 1945/46 nur werdende Standarddampflokomotiven für die lan- bedingt absehbar waren. Im Jahr 1946 führte der gen, vielbefahrenen Paradestrecken z. B. zwischen Konkurrent New York Central zudem einen harten New York und Chicago gegenüber. Die PRR hatte Vergleichstest Dampflok-Diesellok auf der Nord- eine Investitionsentscheidung nach einigen Entwick- strecke New York–Chicago über Albany und Cleve- lungsexperimenten in den 1930er Jahren so lange land, Ohio durch,21 der den Diesel-Befürwortern das verschoben, dass diese nun unter den ungünstigen Argument der Kosten aus der Hand schlug. Nach Rahmenbedingungen eines Krieges unausweichlich wie vor waren Hochleistungsdampfloks etwas güns- wurde. Noch 1945 ging der Hauptkonkurrent, die tiger. Um reine Betriebswirtschaft ging es hier nicht. New York Central, dazu über, auf seinen Hauptstre- Worum also dann? cken die Dampf- durch Dieselloks zu ersetzen. In Zeiten vor der allgemeinen Verbreitung des in- Die Eisenbahningenieure in den PRR-eigenen Wer- neramerikanischen Passagierflugs – das ist ein Phä- ken in Altoona, Pennsylvania konnten auf der Vor- nomen erst der 1950er Jahre – setzte das die PRR- serie einer sog. Duplex-Dampflok der Achsfolge Manager unter Handlungsdruck, um ihren Markt- 3’BB3’, der Klasse S1, aufbauen. Im Unterschied zur anteil zu sichern. Das Einstellungsverhalten der zögerlichen Beschaffungs- war die firmeneigene PRR-Leitung wirkt heute konservativ bis innovati- Entwicklungskultur stets innovationsfreundlich onsfeindlich, rationalisierte aber eine wichtige Rah- gewesen. Duplex-Antrieb bedeutet, dass zwei menbedingung, der die Gesellschaft aufgrund ihrer dampfgetriebene Triebwerke in einem festen Rah- Größe und der Länge ihrer Strecken in besonderer men eingebaut werden. 22 Durch diese Konstrukti- Weise seit jeher ausgesetzt war. Die Streckenbeschaf- onsweise sind die Kolbenkräfte auf ein Triebwerk fenheit – Stichwort: Querung des Appalachian geringer als bei einer Lok mit einer gleichen Anzahl gekuppelter, also angetriebener Achsen. Sowohl die Wartung wie die fahrtechnische Beherrschung einer 19 http://www.kinglyheirs.com/Palmer/20thCentury.html [6.10.2014]. 21 20 Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Pennsylvania_Railroad Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/NYC_Niagara [6.10.2014]. [6.10.2014]. 22 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/PRR-Klasse_T1 [6.10.2014].

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Zwei-Aggregate-Dampflok sind voraussetzungs- Vom Fahrpersonal hing der Erfolg der Innovation reich. Der Vorteil liegt bei korrekter Handhabung in nicht zum geringsten Teil im Betriebsalltag ab. Für der beachtlichen und dosierbaren Kraftentfaltung. die Lokführer und Heizer – die hier aufgrund der Nur einige Rahmendaten dazu: Die in Altoona ent- Größendimensionen nicht mehr Kohle schippten, wickelte T1-Normalspurschnellzugdamplok hatte sondern neben anderen Maschinenkontrollpflichten eine Länge über Puffer von 37,43 m – nur zum Ver- ein elektrisch betriebenes Förderband zu bedienen gleich: ein deutscher Durchschnitts-D-Zugwaggon hatten – war die T1 ein Arbeitsplatz und eine Her- der 1960er Jahre war 26 Meter lang. Ihre Höchstge- ausforderung zur Entfaltung professioneller Maschi- schwindigkeitsleistung lag oberhalb von 200 km/h. nensensibilität im Handling. Wo diese gegeben war Die T1 war in der Lage, einen D-Zug mit sechzehn und mobilisiert wurde, holte das Personal erstaunli- Vierachswaggons im Gewicht von 1.020 t Gewicht che Leistungen aus der T1, vor allem im Schnellzug- mit einer Durchschnittgeschwindigkeit von 164 dienst zwischen , Pittsburgh, Penn- km/h zu ziehen.23 Mit 6.080 PS übertraf ihre Leis- sylvania, Chicago, Illinois und St. Louis, Missouri. tung die der Reichsbahn-Schnellfahrbaureihe 05 um Man muss wohl sagen: trotz einer nicht unerhebli- mehr als das Doppelte. Der Treibraddurchmesser chen, dem schicken Design geschuldeten Bedien- betrug über 2 m. Die Überhitzungsfläche hatte eine unfreundlichkeit, die zum absehbaren Einsatzende Größe von 156 m2, die Verdampfungsheizfläche der Maschinen zu Beginn der 1950er Jahre auch zur betrug 391,80 m2. Damit lässt sich ein Wohnviertel Vernachlässigung führte. Belastbarkeit und Zuver- beheizen. Das Gewicht der Lok allein betrug 226 t.24 lässigkeit wurden der Lok attestiert, wobei dies im- Der achtachsige Tender fasste 73,8 m3 Wasser und mer auch quellenkritisch zu sehen ist: Die emotiona- 37,2 t Kohle. Beladen wog er 197 t. Die Ingenieure le Bindung des fahrenden Personals an seine Ma- gaben mit dieser Maschine eine konstruktive Ant- schinen führt selbst bei den alltagsuntauglichsten wort auf die Leistungsanforderungen – die Rekord- und gefährlichen Dreckschleudern zu übertrieben geschwindigkeit der Lok war eine Folge dessen. liebevollen Bedienperspektiven, die sich nach dem Dieses Ergebnis lag zwar im Langzeittrend der Grö- Ende der kurzen Karriere der T1 noch verklärten. ßen- und Leistungssteigerung im Lokomotivbau seit Das Fahren einer Großdampflok bleibt auch dann dem Ersten Weltkrieg, war aber durch die Verbin- anstrengende körperliche Facharbeit, wenn gerade dung von Duplex-Antrieb und ausgefeilter Aerody- im Vergleich zu den Standardbaureihen der Reichs- namik hybrid und singulär. Die Baldwin Railroad bahn26 großzügig für Lüftung, Heizung und Sicht Works zeigten hier, was lokomotivbautechnisch mög- gesorgt ist. Ein weiterer Faktor ist die traditionell lich ist. Das Scheitern dieser Innovation durch den mäßige Professionalisierung des fahrenden Perso- abrupten Schwenk in der PRR-Unternehmensleitung nals amerikanischer Eisenbahngesellschaften, die zugunsten des im Vergleich leistungsschwächeren nur zögerlich in die systematische Schulung ihrer Diesels konnten die Entwicklungsingenieure nicht Lokführer investierten. Da es in den USA nie ein nachvollziehen und sahen in dieser Entscheidung berufsbildendes Schulsystem gegeben hat, dominier- den eigentlichen Grund für den Niedergang der PRR. te hier der Typus des zupackenden Sozialaufsteigers, dessen Kompetenz aus trial and error und learning by doing erwächst: Das ist gut für die Integrations- kraft einer Einwanderergesellschaft, aber manchmal schlecht für die Bedienung komplexer Technik, die eigentliche eine ingenieursmäßige Sozialisation

voraussetzt. Figure 5. Die PRR S1 von 1939 im Promotion-Bild mit

Konstruktionsattributen.25

23 Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/PRR-Klasse_T1 [6.10.2014]. 24 O. S. Nock, Dampfeisenbahn an der Wende 1940-1965, Zürich 1975, 96. 25 Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/PRR_S1#mediaviewer/ 26 Vgl. Horst J. Obermayer, Taschenbuch Deutsche Dampflokomo- File:S1_promo_photo.jpg [6.10.2014]. tiven. Regelspur, Stuttgart 1969 (ND Königswinter 2011), 10-22.

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Commission auf Bundesebene.28 Bahnfahren wurde seit 1945 im Unterschied zum Autofahren und trotz des Verdrängungswettbewerbs der Eisenbahngesell- schaften schon vor der Konkurrenz durch den Per- sonenflug nicht spürbar billiger, aber ausschlagge- bend scheint ein anderer Punkt zu sein. Das Image der Bahn als inflexibles technisches Großsystem war nicht mehr zeitgemäß und hatte bestenfalls noch Vorzeigereichweite für Hollywood-Stars mit viel Zeit und Geld. Kombis machten Mittelstandsfamilien automobil, und Geschäftsleute waren mit Firmen- wagen unterwegs. Das Angebot der Eisenbahn muss- te zunehmend etwas Besonderes bieten, das Verzicht auf die Automobilität rechtfertigte. Dieses Besonde- re sollte im Erlebnis der Bahnreise als inszeniertes Landschafts- und Luxuserlebnis liegen, das so nur auf Schienen möglich war. Dazu gehörte ein sugges- tives Stromliniendesign des Zuges und ein extremer Luxus, bei dem allerdings die New York Central mit ihrem legendären 20th Century Limited zwischen Figure 6. Ein Design-Konkurrent und -Vorbild der T1 der New York und Chicago als dem Zug der Stars und New York Central ab 1939: die Hudson-Pacific.27 Tycoons den Maßstab setzte.29 Trotz oder vielleicht sogar wegen dieses Inszenierungsaufwands, der die Die Kunden der PRR und potentiellen Benutzer von Bahn zu einem elitären Erlebnis für die happy few T1-geführten Zügen waren in den späten 1940er und machte, schrieb die PRR 1946 zum ersten Mal in frühen 1950er Jahren eine intensiv umworbene Mo- ihrer Unternehmensgeschichte rote Zahlen. Das lag bilitätsklientel. Seit der endgültigen Durchsetzung nicht nur an der Fehlinvestition in die T1, sondern der fordistisch-tayloristischen Automassenproduk- hatte auch mit dem strukturell wegbrechenden Mo- tion in den 1920er und dem nationalen Ausbau der bilitätsmarkt für alle Eisenbahngesellschaften nach Interstate Highways im New Deal Präsident Franklin Kriegsende und dem Boom der Autoindustrie zu Roosevelts seit den 1930er Jahren mussten sich die tun. Die T1 erschien als Teil dieses Imageproblems: Eisenbahngesellschaften viel einfallen lassen, um im sie war und sie blieb eine Dampflok im noch jungen Wettbewerb mit dem Individualverkehr bestehen zu Atomzeitalter, die beim Anfahren eine gigantische können, der zugleich so idealtypisch für den ameri- Rauchfahne erzeugte, deren Rußflöckchen sich nicht kanischen Individualismus stand. Zudem gab es seit schön auf den modisch crèmefarbenen Sakkos und den 1940er Jahren Konkurrenz durch Busse, die weißen Hüten der Endvierziegerjahresmode mach- deutlich billiger waren. Die Bahn betonte Bequem- ten. Die Dieselloks rußten zwar kaum weniger, gal- lichkeit und Komfort vor allem auf langen Strecken, ten gleichwohl aber als moderner. Anderes kam jedoch war auch gerade hier die Herausforderung hinzu, was den Kunden viel unmittelbarer betraf: durch die große Rennreisemaschine mit Sechs- und Der so beworbene Fahrkomfort hielt sich de facto in Achtzylindermotor hart und verschärfte sich durch Grenzen. Die Züge schlingerten und rüttelten. Die eine seit den 1940er Jahren eisenbahnfeindliche, Geräuschentwicklung auf freier Strecke war erheb- autofreundliche Gesetzgebung auf Staaten- und die lich. Das lag an der nach europäischen und insbe- rigide Regulierung durch die Interstate Commerce sondere Reichsbahn-Maßstäben geringen Qualität

28 Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Rail_transportation_in_the_ United_States [6.10.2014]; zum Gesetzgebungsrahmen Theodore Keeler, Railroads, Freight and Public Policy, Washington, D. C. 1983. 27 Quelle: http://www.kinglyheirs.com/Palmer/20thCentury.html 29 Vgl. http://www.newyorksocialdiary.com/node/225401/print #.U346G3yKCM8 [6.10.2014]. [6.10.2014].

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des Gleisoberbaus – seit dem Beginn des Eisenbahn- Hitler, der Sowjetunion, zu verkörpern. Dennoch zeitalters in den USA ein typisches Problem keines- gelang es nach 1945 dem im Vergleich zu Loewy wegs nur im Wilden Westen. Für die Umgestaltung wesentlich schlichteren Diesellok-Standarddesign der Landschaft in ein perfektes Eisenbahntechnotop der American Locomotive Company (ALCO) und nach europäischem Vorbild war das amerikanische Motors zum Inbegriff von Eisenbahnmobi- Kontinentalnetz viel zu groß und waren die klimati- lität zu werden. schen Randbedingungen des Trassenbaus viel zu divers. Das nützte dem Hauptkonkurrenten. Das Fahren in einer gut gefederten V8-Limousine auf einem neuen Highway war in mancher Hinsicht nicht nur subjektiv durchaus bequemer.

Versucht man, vor diesem Hintergrund einen Blick auf das Verhältnis der Benutzergruppen der T1- Innovationsgeschichte zu werfen, so fällt die Diffe- renz zwischen der offensichtlichen ingenieursmäßi- gen Lösung der in das industrielle Produkt gesetzten Erwartungen und den gravierenden Konsequenzen Figure 7. Der Traktionskonkurrent: Ein PRR-Diesel, des wirtschaftlichen Scheiterns der Innovation auf. General Motors EMD E7, als Modell von BlueLine in H0.30 Wie konnte es dazu kommen, dass drei relevante Kurt Möser hat in seinen ,Grauzonen der Technik‘ Anbieter- und Benutzergruppen die Innovation zu- 2011 auf die Bedeutung der kleinsten technischen mindest in bestimmten Entscheidungsphasen positiv Lösung für die Akzeptanz von neuer Mobilitätstech- sahen, nur die wichtigste, die Kunden, nicht? Was nik hingewiesen, und in manchen Aspekten ist das motivierte vor allem die PRR-Manager so zu ent- auch auf die T1 als Inbegriff einer industriellen Spit- scheiden, wie sie entschieden haben? Auf den Ort zen- und demonstrativen Großtechnik übertragbar: des Projekts im Unternehmenshandeln und in der „Je körperangepaßter und untechnischer eine Tech- Unternehmensgeschichte habe ich schon kurz hin- nik wirkt, desto akzeptierter ist sie, desto größer ist gewiesen. Zunächst sollte man unterstellen, dass ihr Diffusionserfolg.“31 Die T1 war, so gesehen, nicht sowohl die restriktive Entwicklungs- und Anschaf- too big to fail, sondern too big, and a failure. Anders fungspolitik der PRR wie auch der Beschluss für den gesagt: Sie hatte ein Dinosaurier-Problem, obwohl Bau T1 und die Entscheidung für die Einführung von sie der beste jemals gebaute Dinosaurier war. Dieselloks 1946 für sich und vor dem Hintergrund der Firmenkultur rational begründbar war. Welche Fasst man dies alles zusammen, gibt es eine Hierar- weiteren Faktoren führen dann zum Scheitern? chie von Gründen für das Scheitern der T1 als Inno- vation. Was die T1 obsolet machte, waren nicht ihre Ein weiterer technischer bzw. funktionaler Faktor vergleichsweise hohen Betriebskosten oder ihre war die rasante Entwicklung der Dieselaggregate komplexe Technik, sondern zwei Faktoren: erstens, nach dem Zweiten Weltkrieg, die das Problem der ein von der PRR in seiner Dynamik gar nicht prog- leistungsmäßigen Unterlegenheit der Dieselloks nostizierbarer Boom im automobilen Individualver- gegenüber Großdampfloks schnell behob. Zu be- kehr nach 1945; zweitens, ein signifikanter Wandel rücksichtigen ist auch der Gesichtspunkt symboli- im kulturellen Leitbild der Eisenbahnmobilität: weg scher Funktionen bzw. der kulturellen und politi- vom alten Dampf, hin zur sauberen, modernen und schen Repräsentation. Die T1 mit ihrem Stromlinien- design von Raymond Loewy war als großindustrielles Artefakt repräsentativ angelegt, um die Marktführer- 30 Quelle: http://www.broadway-limited.com/bli-5241blueline rolle der PRR und, wie die PRR-Lobbyisten in emde7absetprr5840a5840btuscanreda-unitdcsounddccready Washington stets gern betonten, die Leistungsfähig- dummyb-unitho.aspx [6.10.2014]. keit des amerikanischen Industriesystems auch ge- 31 Kurt Möser, Die kleinste technische Lösung, in: ders., Grauzo- genüber dem unnatürlichen Verbündeten gegen nen der Technikgeschichte, (Technikdiskurse. Karlsruher Studien zur Technikgeschichte, Bd. 6), Karlsruhe 2011, 105-111, hier 111.

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auch kleineren Diesel-Technologie. Die T1 hatte ein Image-Problem und wurde trotz ihrer unbestritte- nen technologischen Überlegenheit zur letzten ame- rikanischen Großdampflok. Bis zu ihrem Aus auf der Schiene haben die PRR-Ingenieure und – Manager nicht begriffen, dass ihre Innovation nicht an technisch-funktionalen, sondern an einem mobi- litätssoziologischen Makrotrend sowie am kulturel- len Selbstbildwandel der Mobilitätsgesellschaft und ihrer Akzeptanzmuster scheitert. Sie waren frontal in die Brandung des sozialen Wandels geraten. Figure 9. Suggestionskraft der U-Bootanmutung.34

Die Folgen waren massiv. Mit dem Verschwinden der T1 begann auch das Ende der riesigen Eisen- bahnwerke der PRR in Altoona, Pennsylvania, und der Niedergang der Eisenbahnkultur in den USA. Altoona ist heute mit seinem ‚Railroaders’ Memorial Museum‘32 nationaler amerikanischer Erinnerungs- ort für das Dampflok- und Eisenbahnzeitalter. Auf der Suche nach Alternativen zu dem seit den 1950er Jahren Highway-gestützten, heute aus vielen Grün- den problematisch gewordenen Transportsystem der USA gerät nun auch wieder das in den Blick, wofür die Railway Capital of the US mit der Musealisierung Figure 10. Vorzeigereichweite eines Tenders.35 der PRR-Kultur steht: die technische und unter- nehmerische Kompetenz des eisenbahntechnischen Netzknüpfens zwischen Ostküste, den Großen Seen und dem mittleren Westen. Auf amerikanischen Modellbahnanlagen hat die Großlokomotive Kult- Status als nationale Ikone technologischer Überle- genheit. Die PRR hatte eher an eine Bewährung im Normalspurbetrieb gedacht, nicht in H0.

Figure 11. Ein PRR Vorserien-T1 führt im Februar 1943 den Limited aus der Union Station in Chicago, Illinois in Richtung New York City. So suggestiv das Bild Figure 8. Eine PRR-T1 als Modell von BlueLine in H0. und der Name des Zuges auch ist: eine Dampflok ist eine 36 Formensprache des SF.33 Dampflok, und deren Rauchfahne ist nicht dekorativ.

34 32 Quelle: http://www.railroadcity.com/ [6.10.2014]. Ebd. [6.10.2014]. 35 33 Quelle: http://www.broadway-limited.com/5142bluelineprrt14- Ebd. [6.10.2014]. 4-4-45511bluelinesounddccreadyho.aspx [6.10.2014]. 36 Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/File:PRR-T1.jpg [6.10.2014].

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III. Chancen historischer schen Grundperspektiven seit der Verwissenschaftli- Technik-akzeptanzforschung am ITZ: chung der Geschichte als Wissenschaft im 19. Jahr- Historisch kontextualisierende hundert gehört, sondern genau diese Wissenschaft- Technikzukunftsforschung lichkeit überhaupt erst bedingt. Ich komme zum Schluss und fasse noch einmal Und der kann, zweitens und in praktischer Hin- stichpunktartig auf der Fall- sowie auf der Metaebe- sicht bestimmte Erkenntnisgegenstände in Form von ne zusammen. Die letzte amerikanische Großdampf- Case Studies für die Interpretation von Technikzu- lok T1 ist ein Musterbeispiel für die fehlende Be- künften erschließen. Konkret gibt es direkte Koope- rücksichtigung von Technikakzeptanz bei verschie- rationsmöglichkeiten zwischen historischer Techni- denen relevant user groups. Paradigmatisch lässt sich kakzeptanzforschung und Technikfolgenabschät- hier erkennen, dass der der Begriff des Scheiterns zung. Die Geschichtswissenschaft nähme dann der einer Technologieform nicht binär, sondern als eine Technikfolgenabschätzung gegenüber diejenige kommunikative Performanz mit bemerkenswerter Funktion ein, welche die Rechtsgeschichte gegen- Eigendynamik verstanden werden sollte, die sich aus über der praktischen Rechtswissenschaft im anglo- der asymmetrischen Interaktion der user groups amerikanischen case law-Rechtskreis einnimmt, der ergibt, ohne einem Drehbuch zu folgen. Dies genau- in hohem Maß auf die Bereitstellung von Präzeden- er im Rahmen der einem Historiker methodisch zentscheidungen angewiesen ist. Das sollte am ITZ gesetzten Grenzen zu beschreiben und auf der Basis in besonderer Weise transdisziplinär möglich und von Fallstudien typologisierend besser zu verstehen, ertragreich sein, weil es bei Technikzukünften von ist der Ansatz dessen, was ich als szenarienorientier- gestern, in der Vormoderne wie erst recht in der te historische Technikakzeptanzforschung bezeichne industriellen Moderne, immer auch paradigmatisch und als Forschungsfeld am ITZ etablieren möchte. um Innovationskontexte geht, wie das eisenbahnge- Warum? schichtliche Beispiel aus dem Bereich der ITZ- Leitthemen Mobilität und Energie gezeigt hat. Inno- Der Historiker kann sein professionelles Dilemma vationserfolge und -misserfolge von Technikzukünf- als rückwärtsgewandter Prophet – oder anders aus- ten sind damals wie heute abhängig von vielfältigen gedrückt: den Gegensatz zwischen Logik in Form Kontexten. Sie aufzuzeigen, – ohne daraus gleich von Wirkungsgrad und Geschichte als Aggregatzu- eine historia-magistra-vitae-Illusion abzuleiten – ist eine der Stärken der Geschichte der wissenschaft- stand sozialer Kommunikation – durch historische  Technikakzeptanzforschung zwar nicht lösen, aber lich-technischen Zivilisation. er kann vor allem am ITZ des KIT zwei Dinge errei- chen: erstens und in theoretischer Hinsicht kann er bestimmte methodische Pfadabhängigkeiten und soft determinisms, deren Wirkungen am Ende alles ande- re als soft sind, durch eine Differenzierung seines Frageansatzes unter Berücksichtigung der Subjekti- vität der Wahrnehmung u. a. auch von Technik kompensieren – letzterer Begriff hier verstanden im Sinne von Joachim Ritters Beitrag über Hegels Theo- rie der Subjektivität mit dem Titel ,Subjektivität und industrielle Gesellschaft‘ aus dem Jahr 1961.37 Dies sollte dem theoretisch aufgeklärten Historiker umso leichter fallen, als z. B. die akteursbezogen- kontextualisierende, in Hegels und Ritters Sinn sub- jektive Form der Analyse nicht nur zu den histori-

37 Joachim Ritter, Subjektivität und industrielle Gesellschaft. Zu  Gehalten als Probevortrag im Rahmen der Bewerbung um die Hegels Theorie der Subjektivität (1961), in: ders., Subjektivität. W3-Professur Geschichte der wissenschaftlich-technischen Sechs Aufsätze, Frankfurt am Main 1974 u. ö., 11-35. Zivilisation am ITZ des KIT, 24.10.2014.

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