SWR2 Musikstunde
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1 SWR2 MANUSKRIPT SWR2 Musikstunde Steppke, Glamour, Gossengöre - Die Berliner Operette Künneke, Kollo & Co. (2) Mit Ines Pasz Sendung: 23. Mai 2017 Redaktion: Dr. Bettina Winkler Produktion: SWR 2017 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Musikstunde können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 2 SWR2 Musikstunde mit Ines Pasz 22. Mai – 26. Mai 2017 Steppke, Glamour, Gossengöre- Die Berliner Operette Teil 2: Künneke, Kollo & Co. Herzlich willkommen zur SWR2 Musikstunde sagt Ines Pasz und da geht es in dieser Woche um die Berliner Operette. Heute im 2. Teil treffen wir Walter Kollo, Eduard Künneke und einen gebürtigen Hamburger, der plötzlich zu einem Franzosen wird. 15 Musik 1 Puppchen 0‘50 M0307332 004 So klingt das Operetten-Berlin im Jahr 1912, „Puppchen, du bist mein Augenstern“, mit dem Salonorchester Cölln aus der musikalischen Posse „Puppchen“, ein echter Hit damals an der Spree. Jeder Leierkasten, jede Caféhaus Kapelle spielt ihn, eine regelrechte Puppchen- Seuche grassiert, und spült unendlich viel Geld in die Taschen von Jean Gilbert, dem Komponisten des schlichten Schlagers. Jean Gilbert, das klingt ziemlich chic und duftet nach großer weiter Welt, sprich nach Paris. Denkt sich auch der gebürtige Hamburger Max Winterfeld. Mit diesem Namen lassen sich seine seichten Bühnenpossen gleich ganz anders vermarkten, vor allem in Berlin. Hier pulsiert das Leben. Preußens Glanz und Gloria wissen sich kaum zu halten vor lauter stolz geschwellter Brust. Alles vibriert im Gründerrausch. Davon profitiert auch Jean Gilbert. Innerhalb von vier Jahren von 1910 bis zum Beginn des 1. Weltkriegs macht er eine geradezu kometenhafte Karriere, als Komponist, Theaterunternehmer und Geschäftsmann. Mit der Operette lässt sich im damaligen Berlin ungeheuer viel Geld verdienen. Bei Jean Gilbert wird daraus ein musikalischer Massenbetrieb. Schreiben, vermarkten, kassieren. Er hat ein Schloss am Wannsee, eine Stadtwohnung am Kurfürstendamm, ein Motorboot am Wannsee, mehrere Autos und pendelt zwischen Paris, London und Wien hin und her. Ein Bohemien und Großkapitalist zugleich, leidenschaftlich, gesellig, leichtsinnig. 3 Die Titel seiner Operetten sagen uns heute kaum noch was, „Die keusche Susanne“ „Die Tangoprinzessin“ und „Die Frau im Hermelin“. „Seichtes Zeug“ urteilen die Kritiker. Ihrem Erfolg scheint das nicht zu schaden. Gilbert trifft den Nerv der Zeit und hat immer einen Riecher für populäre Themen. Aber, im Ernst, das kann es doch nicht gewesen, denken sich die seröseren Freunde der Berliner Operette: Paul Lincke ist ein bisschen unmodern, Jean Gilbert weltberühmt aber trivial. Wo also treibt es hin, das neue Genre, wer wird es retten? 2‘05 Musik 2: Kollo: Mein Papagei frisst keine harten Eier 3‘53 M0301577 027 „Mein Papagei frisst keine harten Eier“ mit den Singphonikern. Es sind solche Lieder, mit denen er in Berlin Furore macht, ein etwa 30jähriger netter, bescheidender Mann, mit randlosem Zwicker und elegantem Schnurrbärtchen, sein eigentlicher Name unaussprechlich Kollodzieyski, deshalb kurz und knapp: Kollo, Walter Kollo. Seit 1906 lebt er in Berlin. Geboren wird er in der ostpreußischen Provinz. Gar nicht arm, sein Vater ist Unternehmer und sieht seinen Sohn schon als Firmenchef. Aber Walter kommt ganz nach der Mutter und strebt zur Musik. Selbst als sein Vater ihn enterbt, bleibt er dabei und studiert am Fürstlichen Konservatorium in Sondershausen Kirchenmusik. Das sorgt zwar für eine fundierte musikalische Ausbildung, scheint seinem Herzen aber eher fremd. Als Walter Kollo nach dem Abschluss seine ersten eigenen Nummern zu Papier bringt sind es Chansons, Couplets und Tanzmusiken. 1‘00 Musik 3: Kollo: Heimat, Inbegriff er Liebe 3‘31 BR: CD081210 018 Josef Metternich und die Berliner Symphoniker unter Wilhelm Schüchter mit „Heimat, der Inbegriff der Liebe“ aus der Operette „Derfflinger“ von Walter Kollo, aus dem Jahr 1935. 4 Da ist der gebürtige Ostpreuße Walter Kollo in der Reichshauptstadt schon längst ein gemachter Mann. Als er 1906 am Bahnhof Friedrichstraße landet, sieht das noch ganz anders aus. Eine fremde Welt umfängt ihn da, den jungen Mann aus der Provinz. An der Hand seine Frau Marie, eine junge Sängerin, die sich Mizzi Josetti nennt und im Herzen eine eher vage Vorstellung von dem, was die Großstadt für ihn bereithält. „Als mein Vater den Wagen der 4.Klasse verließ, schlug ihm das Getöse eines riesigen Jahrmarktes an die Ohren“, so später Walter Kollos Sohn Willi, „Menschengewirr ohnegleichen bedrohte das Gleichgewicht. Alles hastete. Jedermann schrie, lachte, schimpfte, drohte. Eine Stimme rief etwas Wichtiges, Gelächter belohnet sie. Mein Vater lächelte mit, aber er hatte nichts verstanden. Niemand war da, den man irgendetwas hätte fragen können. Ehe man sich dazu anschickte, war er schon vorüber“. Aber Walter Kollo hat ein bisschen Glück und kommt unter als Musiker in einem kleinen Varieté. Seine Couplets und Tanzmelodien kommen hier richtig gut an. Allmählich wird Walter Kollo bekannt in der riesigen Metropole. Was auch an den Texten liegt. Die haben nämlich mindestens ebenso viele Gassenhauer-Qualitäten wie die Musik. Hermann Frey heißt der Dichter dieser originellen Zeilen. Mit ihm zusammen zieht Walter Kollo um die Häuser, taucht ein in das Arbeitermilieu, in die Kneipen, die Gartenlokale. Hier findet er die Szenen, die er sucht, einfache Berliner mit viel Herz und noch größerer Schnauze. Mit Witz, mit Frechheit, Sarkasmus und Sehnsucht nach der großen Liebe. 1‘45 Musik 4: Du musst mir deine Liebe erst beweisen 1938 3‘14 M0325430 046 „Du musst mir deine Liebe erst beweisen“, Hilde Hildebrandt mit dem Walter Kollo Schlager, aufgenommen 1938. Die große Operettenbühne hat Walter Kollo zunächst mal noch gar nicht im Blick. Dazu ist er viel zu bescheiden, als Komponist in einem neuen Berliner Kabarett, dem „Roland von Berlin“. Mit einer jungen Sängerin aus dem Ensemble arbeitet er besonders gerne zusammen. Sie singt seine Lieder mit einem Charme und einer Schnoddrigkeit, die es so sonst nirgendwo gibt unter den Berliner Diseusen, und sie macht die Musik und ihren Komponisten bald berühmt: Claire Waldoff heißt die 5 „kesse Revolverschnauze“, wie Willi Kollo sie nennt, „mit einem heiser grölenden Organ“. Claire Waldoff wird schnell zur Sensation in Berlin und ihre größten Erfolge feiert sie mit Schlagern von Walter Kollo. „Schon bald“, so Willi Kollo, „ war Walter nicht ohne Claire, Claire nicht ohne Walter zu sehen“. 1‘00 Musik 5: Schmackeduzchen 1‘06 6802446 002 Damit werden alle drei berühmt Claire Waldoff, Walter Kollo und das Schmackeduzchenlied. Bald schreibt Walter Kollo nicht mehr nur Lieder und Chansons, sondern auch erste Operetten, „Große Rosinen“, „Filmzauber“, „Der Juxbaron“ oder „Wie einst im Mai“, uraufgeführt in jenem denkwürdigen Jahr 1913, also kurz vor Ausbruch des 1. Weltkriegs. Deutschland, Preußen und damit Berlin sind mächtig und groß, vor allem in der eigenen Wahrnehmung. Walter Kollo liefert den Blick zurück: in vier Bildern zeichnet er die Geschichte der Stadt, von 1838 bis 1913. Zwei Geschichten, zwei Familien, zwei Verliebte im Wandel der Zeit. Mit immer jeweils anderen moralischen Werten, Normen und Traditionen. Es geht um Ehen, um Standesdünkel und natürlich um die Liebe. Das erste der vier Bilder spielt auf einem Gutshof, in einem Wohnzimmer im Empirestil. Dann sind wir im Ballsaal bei Kroll, dem größten Vergnügungslokal in Berlin, 1888, im dritten Bild wieder auf dem Gutshof vom Anfang, jetzt aber ganz modern möbliert und zuletzt in einem Modesalon. Eine der Hauptfiguren ist Fritz. Er ist der Sohn de Gärtners auf dem Gutshof und er liebt die reiche Tochter des Hauses. Ohne Chancen natürlich. So wandert er aus und kommt zurück als reicher Mann. Aber, zu spät, seine Ottilie, die er niemals haben konnte und die er immer liebte ist anderweitig vergeben. Ihm bleibt nur der bittere Blick zurück. 1‘25 6 Musik 6: Wie einst im Mai (Lied des Heimkehrers) 2‘52 M0064243 017 Rene Kollo mit dem Lied des Heimkehrers aus der Operette „Wie einst im Mai“ von seinem Großvater Walter Kollo, in einer Neufassung zusammen mit dem SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern unter Peter Falk. Uraufgeführt wird Urfassung der Operette 1913, noch vor der großen Katastrophe. Dann bricht er aus, der erste Weltkrieg und ziemlich schnell ist klar: das wird nicht so ein Vergnügen, wie in Deutschland alle denken. Dumm nur, dass gerade jetzt die Berliner Operette so richtig floriert. Metropol, Apollo, Thalia, die Operetten-Theater schießen wie Pilze aus dem Boden, und alle laufen prächtig. Dazu die unzähligen Vorstadtbühnen, Wandertrupps, Gastspielensembles, Berlin ist ganz verrückt nach Operette, nach seiner Berliner Operette, Tangoprinzessin, Polenblut, Der lachende Dreibund, oder von Walter Kollo „Der Liebesonkel“, alles Gelddruckmaschinen, die Theaterdirektoren reiben sich Hände. Dann der Einbruch. 1914 schließen fast alle Bühnen, Schauspieler, Sänger, Komponisten, Musiker stehen plötzlich auf der Straße.