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Sendung vom 19.10.1999

Dietrich Schwarzkopf Ehemaliger Programmdirektor Erstes Deutsches Fernsehen im Gespräch mit Sybille Giel

Giel: Ich begrüße Sie herzlich bei Alpha-Forum. Heute ist bei uns Dietrich Schwarzkopf zu Gast, der ehemalige Programmdirektor des "Ersten Deutschen Fernsehens", der ehemalige Vizepräsident des Kulturkanals "" und jetzige Vorsitzende der "Deutschen Journalistenschule". Er ist geboren in Pommern und aufgewachsen in Berlin und Potsdam. Die weiteren Stationen waren dann Bonn und Hamburg, aber seit 21 Jahren lebt er nun in Bayern. Herzlich willkommen, Herr Schwarzkopf. Ist denn in der langen Zeit aus dem Preußen Schwarzkopf ein Bayer geworden? Schwarzkopf: Nein, ich bin nach wie vor auch ganz deutlich Preuße. Ich gebe mich auch als solcher zu erkennen und halte "Preußen" nicht für ein Schimpfwort. Giel: Sie sind 1978 nach München gekommen: Sie kamen damals aus Hamburg, weil Sie beim NDR in Hamburg gearbeitet haben. Am 1. Juli 1978 haben Sie hier in München als Programmdirektor "Erstes Deutsches Fernsehen" angefangen. Wie war Ihr erster Tag? Schwarzkopf: Mein erster Tag bestand in einem höchst angenehmen kleinen Umtrunk mit journalistischen Kollegen in einem Lokal der Münchner Altstadt in der Nähe des Rathauses. Das war ein freundlicher Einstieg, der mir auch sehr geholfen hat, mich alsbald in München und Bayern zu Hause zu fühlen. Giel: Was macht eigentlich ein ARD-Programmdirektor? Schwarzkopf: Er gestaltet zusammen mit der Programmkonferenz - das sind seine Programmdirektorenkollegen aus den einzelnen an der ARD beteiligten Landesrundfunkanstalten – das "Erste Programm". Das heißt, er beschließt mit ihnen, was an welchem Tag zu welcher Sendezeit gesendet wird. Er hat dafür zu sorgen, dass die einzelnen Mitglieder der ARD, die zu diesem Programm zuliefern, auch zu ihrem Recht kommen, d. h. zu ihrem gehörigen Anteil. Dieser Anteil bestimmt sich danach, wie viel zahlende Zuschauer es in den einzelnen Sendegebieten dieser Anstalten gibt. Giel: Was waren in diesem Zusammenhang Ihre größten Kämpfe? Was waren die Momente, von denen Sie heute sagen, dass da Ihre Intendantenkollegen nicht ganz einfach waren? Schwarzkopf: Ganz formal betrachtet ist es so, dass eigentlich die einzelnen Intendanten die Mitglieder der Fernsehprogrammkonferenz der ARD sind: Der Programmdirektor ist dabei der Vorsitzende. Aber die Intendanten kommen nie selbst dorthin, sondern schicken die Programmdirektoren ihrer Häuser. Zu den Kämpfen: Ich erinnere mich daran, dass wir 1978 und auch später noch versucht haben, die "Tagesschau" auf 19 Uhr 30 vorzuverlegen. Denn wir glaubten, dass das in der Konkurrenz zum ZDF der ARD zum Vorteil gereichen würde. Das ZDF hat ja seine "Heute"-Sendung nach wie vor um 19 Uhr. Wir hatten das Gefühl, dass wir mit der "Tagesschau" um 20 Uhr vielleicht ein wenig spät dran sein könnten. Eine Minderheit von ARD- Anstalten hat sich dann aber geweigert, die "Tagesschau" nach vorne zu verlegen. Ich war damals selbst für eine Vorverlegung gewesen, aber heute muss ich sagen, dass diese Minderheit ein sehr gutes Werk getan hat. Denn die "Tagesschau" als unveränderter Block um 20 Uhr bestimmt ja heute die Programmgestaltung nicht nur der öffentlich-rechtlichen, sondern auch der privaten Fernsehsender. Sie erinnern sich vielleicht, dass verschiedene private Sender wie "SAT 1" und "Pro 7" sehr wohl versucht haben, ihr Programm nicht um 20 Uhr 15, sondern um 20 Uhr beginnen zu lassen. Sie sind dann aber wieder zurückgegangen auf 20 Uhr 15. Denn das Ende der "Tagesschau" ist heute in Deutschland allseits akzeptiert als der Beginn des Hauptabendprogramms. Das ist das Werk und die Wirkung der "Tagesschau". Eine Vorverlegung wäre also im Hinblick auf die spätere Konkurrenzsituation ganz falsch gewesen. Giel: Die Minderheit hat da also eine durchaus gute Korrektur verursacht. Sie haben das Stichwort der privaten Sender selbst schon erwähnt: Sie waren fast 14 Jahre lang Programmdirektor der ARD, und in der Zeit sind auch die Privaten aufgekommen und haben mit ihrem Sendebetrieb begonnen. Was hat sich da für Sie geändert? Schwarzkopf: Im Rückblick muss man heute wohl feststellen, dass wir eigentlich gar nicht daran geglaubt haben, dass die Privaten tatsächlich kommen würden. Es hat sich ja ewig lange hingezogen, bis dann tatsächlich die Einführung des privatwirtschaftlichen Fernsehens durchgesetzt wurde. Als dann 1984 das privatrechtliche Fernsehen tatsächlich angefangen hat, glaubten wir, dass das nie eine Konkurrenz zu uns sein würde. Denn was machten sie schon? Sie spielten alte Serien und sie spielten alte amerikanische Filme ab. Wir dachten: "Das kann doch nie eine ernstliche Konkurrenz werden." Es wurde dann aber eine sehr ernst zu nehmende Konkurrenz, die auch über eine lange Zeit hin bei den Einschaltquoten die erste Stelle eingenommen hat. Das hat sich aber erfreulicherweise nun wieder geändert: Die erste Stelle in der Publikumsakzeptanz nehmen wieder wir ein. Aber dass das eine so ernste Konkurrenz werden würde, hat die ARD, haben die öffentlich- rechtlichen Anstalten, verhältnismäßig spät wahrgenommen und bemerkt. Sie haben auch erst verhältnismäßig spät darauf wirkungsvoll reagiert. Giel: Denken Sie, dass man dann, als man reagiert hat, auch richtig reagiert hat? Schwarzkopf: Man hat insofern richtig reagiert, als es gelungen ist – und das ist, wie ich finde, schon ein wichtiges Merkzeichen –, auch wieder an die Spitze der Publikumsakzeptanz zu kommen. Ich halte es sicherlich für völlig falsch, wenn man sich nur nach der Zahl der Leute richtet, die zuschauen. Im Übrigen machen das ja auch die Privaten nicht: Für die Privaten ist nicht die Zahl der Zuschauer maßgebend, sondern die richtige Zuschauergruppe. Ich meine jedoch schon, dass wir als öffentlich-rechtliche Anstalt - ich rede dabei immer noch in der Gegenwart, als ob ich noch dabei wäre – einen ständigen Spagat vollführen müssen. Wir müssen auf der einen Seite der Öffentlichkeit darlegen, dass wir unverändert in der Lage sind, große Publikumsbereiche an uns zu ziehen und sie für uns zu interessieren. Gelingt das nämlich nicht, ist unter Umständen die Legitimation der Gebühr, die ja von allen Fernsehzuschauern bezahlt wird, in Frage gestellt. Auf der anderen Seite müssen wir uns ständig und deutlich von den Privaten unterscheiden. Denn wenn wir uns überhaupt nicht mehr unterscheiden, dann ist die Legitimität der Gebühr ebenfalls in Frage gestellt. Giel: Was halten Sie denn von Vorschlägen in der Richtung, dass der öffentlich- rechtliche Rundfunk nur noch Kultursendungen und Informations- und Nachrichtensendungen machen sollte? Schwarzkopf: Das halte ich für völlig verfehlt. Die öffentlich-rechtlichen Programme müssen ja von ihrem gesetzlichen Auftrag her eine Programmmischung anbieten: Sie sind keine Spartenprogramme! So etwas steht auch nicht in den Rundfunkgesetzen. Wenn sie Spartenprogramme wären, dann wäre ihre Existenz außerdem auf die Dauer wahrscheinlich auch gefährdet. Wer ein Vollprogramm anbietet – und auch in Zukunft wird es ja Vollprogramme und nicht nur Spartenprogramme geben –, muss eben Unterhaltung und Sport dabei haben: Es muss ja nicht die blödeste Unterhaltung sein. Erfreulicherweise hat ja die ARD, die einmal eine ziemlich dämliche Witzsendung hatte – "ich weiß gar nicht mehr, welche Anstalt das überhaupt eingebracht hat" –, darauf dann auch wieder verzichtet. Giel: Braucht die ARD Fußball? Fußball in dem Maße und mit so viel Geld? Schwarzkopf: Es ist natürlich die Frage, ob man sich das hinsichtlich des vielen Geldes auf die Dauer auch leisten kann. Das ist eine Frage, die die privaten Veranstalter genauso beschäftigt wie die öffentlich-rechtlichen. Auch die Privaten fragen sich, ob sie so viel Geld aufbringen können und wollen, wie es Murdoch macht, wenn er die "Champions League" für seinen Sender erwirbt. Insgesamt glaube ich aber schon, dass man den Fußball mit dabei haben muss, denn der Fußball ist ein Volkssport: Er ist der beliebteste Sport bei uns. Über Fußball zu berichten, ist auch eine Informationspflicht, denn der Sport ist ja nicht nur Unterhaltung. Ich kann mir also ein Programm ganz ohne Sport überhaupt nicht vorstellen – es sei denn, das wäre ein ausgesprochenes Spartenprogramm. Giel: Wo, glauben Sie, liegen die Qualitäten von ARD und ZDF? Wo unterscheiden sich die öffentlich-rechtlichen Sender wirklich von den privaten? Schwarzkopf: Es zeigt sich sehr deutlich, dass die wichtigste Unterscheidung wohl im Informationsangebot von ARD und ZDF liegt. Wir haben ja gerade während des Kosovo-Krieges wieder gesehen, dass die Sondersendungen, die ARD und ZDF angeboten haben, vom Publikum sehr gut angenommen wurden. Über lange Jahre hinweg haben ARD und ZDF die Erfahrung gemacht, dass dann, wenn die Weltlage schwierig wird, wenn irgendwo besondere Krisen oder sogar ein Krieg entstehen, von den Zuschauern in erster Linie diejenigen Hintergrundinformationen gesucht werden, die von ARD und ZDF angeboten werden. Offenbar haben ARD und ZDF die größere Glaubwürdigkeit im Bereich der Information: Das heißt aber nicht, dass sie sich auf Information beschränken sollten. Ich finde, dass z. B. auch der Bereich des Fernsehspiels ein Bereich ist, in dem ARD und ZDF eine große Tradition haben, die sie unbedingt bewahren müssen. Ich meine auch, dass es ARD und ZDF gut anstünde, wenn sie als einen ihrer Grundsätze öffentlich verkünden würden: "Wir sind die Heimstatt für die deutschen Produzenten!" Natürlich haben die privaten Veranstalter in der Zwischenzeit auch immer mehr Sendungen aus deutscher Produktion im Angebot: Aber wenn sich das nicht rechnen sollte, dann werden eben wieder nur noch amerikanische Ankäufe gesendet. Für den Start des digitalen Fernsehens ist jetzt unglaublich viel amerikanisches Material angekauft worden: Es sind so genannte "Output-Deals" geschlossen worden. Das heißt, der deutsche Abnehmer, der private deutsche Händler, also in dem Fall Leo Kirch, hat mit den Hollywood-Studios vereinbart, dass er ihnen alles abnimmt, was sie überhaupt produzieren. Das muss dann natürlich auch gesendet werden. Das kann zwar auch weiterverkauft werden, aber im Prinzip muss sich so etwas durch Senden rentieren. Die Frage ist, ob da dann noch genug für deutsche Produktionen übrig bleibt. Ich finde, dass es bei einem solchen Konkurrenzverhältnis und einer solchen Position, wie sie amerikanische Produktionen beim Start eines neuen Abschnitts des Fernsehens inne haben, gut wäre, wenn auch die Produzenten hier im Land wüssten, dass sie ihre besten Verbündeten und ihre verlässlichsten Abnehmer bei ARD und ZDF haben. Giel: Wäre das auch eine Möglichkeit, wie die ARD und das ZDF auf die Herausforderung des neuen digitalen Fernsehens reagieren könnten, also auf das Pay-TV von Kirch? Schwarzkopf: Ja, sicher. Das Pay-TV ist etwas, das sich unweigerlich weiterentwickeln wird. Wir haben ja seit 1991 mit dem Sender "Premiere" das Pay-TV hier bei uns in Deutschland. Dort konnte man allerdings auch beobachten, dass "Premiere" sehr lange gebraucht hat, bis es in die schwarzen Zahlen gelangt ist. Die Zuschauer in Deutschland empfangen, wenn sie verkabelt sind – und das sind ja inzwischen schon bemerkenswert viele Menschen –, ungefähr dreißig Programme. Da ist das Interesse, darüber hinaus zusätzliche Programme empfangen zu können, nicht übermäßig groß. Das Zeitbudget, also die gesamte Zeit, die ein einzelner Zuschauer pro Tag auf das Fernsehen verwenden kann, lässt sich zumindest bei den Menschen, die berufstätig sind, nicht beliebig vermehren. Was darüber hinaus der einzelne Haushalt an Geld zur Verfügung hat, was er also für Unterhaltung und Kommunikation ausgibt, lässt sich – etwa bei sinkendem Realeinkommen – auch nicht beliebig vermehren. Das Pay-TV ist also ein höchst unsicheres Geschäft. Profilieren müssen wir uns auch weiterhin in den Vollprogrammen. Die Profilierung durch deutsche Spielhandlungen - ich sage das nun nicht als Nationalist, sondern deshalb, weil das nun einmal das Element des Vertrauten ist – ist unendlich wichtig. Das ist sicherlich ein Feld, auf dem sich die ARD und das ZDF weiterhin klar profilieren müssen. Giel: Wenn Sie die ARD beschreiben sollten - diesen Haufen, den man wahrscheinlich nur sehr schwer beschreiben kann –, wie würden Sie das dann machen? Beschreiben Sie doch bitte einmal die ARD. Schwarzkopf: Ich habe in einem Vortrag die ARD einmal spaßeshalber mit dem "Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation" verglichen, das ja bis ins Jahr 1806 aus vielen kleinen und einigen großen Teilen, die alle sehr unabhängig waren, bestanden hatte. Alle diese Teilnehmer mussten damals ebenfalls zu einer gemeinsamen "Veranstaltung zuliefern", nämlich zur Reichsarmee. Diese Teilnehmer stellten dabei sehr unterschiedliche Kontingente. Manchmal haben sich z. B. auch eine kleine Reichsstadt und eine gefürstete Äbtissin einen Fahnenjunker geteilt. So klein sind die Kontingente in der ARD heute nicht, aber die ARD ist doch auch eine Einrichtung von selbständigen Teilnehmern, die große Bereiche an völlig unbeeinträchtigter und legitimer Selbständigkeit besitzen – wie etwa den Hörfunk und die dritten Programme – und die darüber hinaus ein Fernsehgemeinschaftsprogramm zustande bringen. Die einzelnen Teilnehmer müssen also neben ihrem Souveränitätssinn auch einen Gemeinschaftssinn entwickeln und praktizieren. Diesen Gemeinschaftssinn zu wecken, zu fördern und zu pflegen, ist natürlich eine ganz wichtige Aufgabe des Programmdirektors "Erstes Deutsches Fernsehen". Giel: Auf wie vielen Sitzungen waren Sie in den 14 Jahren, in denen Sie Programmdirektor waren? Schwarzkopf: Das ist eine schwierige Berechnungsaufgabe. Sie müssen bedenken, dass es pro Jahr zehn Sitzungen der Fernsehprogrammkonferenz gegeben hat – heute sind es, wie ich glaube, ein bisschen weniger – und dass die Intendantensitzungen und die unendlich vielen Kommissionssitzungen dazugekommen sind. Ich hatte ja zum Teil neben meiner Funktion als Programmdirektor des ARD-Gemeinschaftsprogramms noch alle möglichen anderen Funktionen: Ich war Koordinator für kirchliche Sendungen, ich war zum Schluss parallel zu meiner Münchner Funktion als Programmdirektor für die ARD auch noch Vizepräsident von "Arte". Vorher war ich auch schon einmal Vorsitzender der Geschäftsführung beim Versuch, ein Europa-Fernsehen – es nannte sich "Europa-TV" – zustande zu bringen. Das alles habe ich nebenher betrieben, und das alles bedeutet natürlich auch eine Fülle von Sitzungen. In Sitzungen tätig zu sein, sich auf Sitzungen vorzubereiten: Das war und ist – technisch gesehen – tatsächlich das Hauptgeschäft des Programmdirektors der ARD. Giel: Sie haben soeben so viele Tätigkeiten aufgezählt: Hatten Sie denn eigentlich einen Traumberuf, als Sie noch ein Kind waren? Schwarzkopf: Ich selbst hatte eigentlich keinen Traumberuf, aber meine Mutter hatte einen für mich geträumt. Sie sagte, ich müsste unbedingt Archivrat werden. Wir lebten nämlich in Potsdam, und in Potsdam gab es damals das Reichsarchiv: Meine Mutter spielte gerne und viel Tennis, die Archivräte spielten ebenfalls gerne und viel Tennis, und daher meinte meine Mutter, dass ich dann, wenn ich auch Archivrat werden würde, ebenfalls sehr viel Zeit zum Tennisspielen hätte. Ich bin aber kein Archivrat geworden, und ich spiele auch nicht Tennis. Giel: Wie sind Sie denn aufgewachsen? Schwarzkopf: Ich bin in Potsdam und in Berlin aufgewachsen. Mein Vater ist drei Monate nach meiner Geburt gestorben, und meine Mutter hat dann noch einmal geheiratet. Mein Stiefvater war Studienrat und später als Oberstudiendirektor der Leiter einer großen staatlichen Mädchenschule in Berlin. Besonders beeindruckt und sicherlich auch geprägt hat mich die Jugend in Potsdam, in diesem damals natürlich noch völlig unzerstörten Potsdam - selbstverständlich verbunden mit sehr starken preußischen Traditionen, die mir mein Großvater sehr klar vermittelt hat. Er war aber nicht nur ein preußischer Konservativer, sondern er hatte auch seine liberalen Seiten. Er gab mir z. B. einmal, als ich ungefähr elf Jahre alt war, zwei mehrbändige Weltgeschichten zu lesen. Die eine Weltgeschichte war von einem sehr konservativen Petersburger Professor verfasst worden, die andere von einem Autor, den man heute wohl linksliberal nennen würde. Mein Großvater sagte zu mir: "Schau dir die beiden an, lies sie dir durch, und das, was dir besser gefällt, behältst du." Ich habe mich für die konservative Weltgeschichte entschieden, weil mir das irgendwie besser gefallen hat. Mich hat damals im Werk des konservativen Autors vor allem die Beschreibung einer Szene während der Französischen Revolution sehr bewegt: als die Schweizer Garden den Palast Ludwigs XVI. verteidigt haben. Das hat mich so ergriffen, dass ich beschlossen habe, dass die Französische Revolution etwas Schlimmes sei. Später hat sich diese Auffassung dann aber geändert. Giel: Hat Sie das ein Leben lang geprägt? Schwarzkopf: Das Aufwachsen in Potsdam hat mich sicherlich ein Leben lang geprägt. Ich bin dann im Alter von 13 Jahren nach Berlin gekommen. Als Potsdamer war man damals wie selbstverständlich – ich denke, das ist heute noch genauso – gegen Berlin eingenommen. Denn die preußische Hauptstadt war Potsdam: Potsdam war die Stadt der preußischen Könige. Berlin war dagegen das Reich: Berlin war groß, laut und ordinär. Nach Berlin musste man eigentlich gar nicht. Als ich ungefähr elf Jahre alt war, entdeckte mein - allerdings Potsdamer - Geschichtslehrer, dass ich noch nie in Berlin gewesen war, und fand das selbst als Potsdamer nicht ganz passend. Er meinte, ich könnte meine traditionelle Eins in Geschichte nur behalten, wenn ich in Berlin einen Spaziergang "Unter den Linden" gemacht hätte und der Klasse dann darüber berichten würde. Ich habe das getan, aber ich habe meinen Bericht auf das konzentriert, was ich Potsdamer-Preußisches "Unter den Linden" gesehen habe: das Reiterstandbild Friedrichs des Großen, die Oper, die Friedrich der Große hat erbauen lassen usw. Giel: Sie sind 1927 geboren: Können Sie sich daran erinnern, wie der Krieg begonnen hat? Wie war diese Zeit für Sie? Schwarzkopf: Ich kann mich auch noch an das Ende der Weimarer Republik erinnern, und ich kann mich auch noch deutlich daran erinnern, dass mir 1932 – ich war also an die fünf Jahre alt – ein Bekannter meiner Mutter, der Reichswehroberst und Bundesgeschäftsführer des Stahlhelms war, also der Vereinigung der Kriegsteilnehmer, ein Stahlhelmabzeichen geschenkt hat. Diesen Stahlhelm habe ich mir angesteckt, obwohl ich natürlich überhaupt nicht gewusst habe, was dieser Stahlhelm eigentlich bedeutete. Der Sohn der Friseuse, zu der meine Mutter immer ging und mit dem ich befreundet war, war jedoch in der kommunistischen Jugend und hat mich deswegen verhauen: Er nannte mich einen Faschisten. Ich wusste überhaupt nicht, was ein Faschist eigentlich ist, aber da habe ich das zum ersten Mal mitbekommen. Ich kann mich auch noch daran erinnern, dass in Potsdam – und das war für Potsdam doch ziemlich bemerkenswert – Kommunisten in grünen Hemden zu Schalmeienmusik vor unserem Fenster vorbeimarschierten und meine Mutter zu mir sagte: "Komm weg vom Fenster, die schießen!" Sie haben natürlich nicht geschossen. Eines Tages kam auch einmal meine Mutter aus dem Tennisklub nach Hause und sagte: "Da hat mir doch einer die Hand geküsst, der das vorher noch nie getan hat, und hat zu mir gesagt, 'gnädige Frau, wählen Sie die Staatspartei'." Das war eine Abspaltung der Liberalen gewesen, die sich damals rechtsliberal für die Weimarer Republik ausgesprochen hatte. Meine Mutter fand das unerhört: Sie wollte Hitler wählen. Das hat freilich wiederum meinen Großvater verärgert, der zwar ein Konservativer war, aber Hitler überhaupt nicht mochte. Ich kann mich an den Kriegsbeginn selbstverständlich auch noch erinnern. Ich erinnere mich gut daran, wie wir damals vor unserem Volksempfänger die Nachricht von der Kriegserklärung, also die Hitlerrede im Reichstag, gehört haben und meine Mutter dazu gesagt hat: "Gott sei Dank, du bist zu jung dafür, in den Krieg wirst du nicht mehr müssen." Ich kann mich deutlich daran erinnern, dass damals eine Stimmung geherrscht hat, die offenbar ganz weit entfernt war von der Kriegsbegeisterung, die es gemäß all den Berichten, die wir haben, 1914 gegeben hatte. Die Leute waren eher erschrocken und jedenfalls weit entfernt von Begeisterung. Giel: Dieser Satz Ihrer Mutter hat dann ja gestimmt, denn Sie mussten tatsächlich nicht in den Krieg. Schwarzkopf: Ich war nicht Soldat. Mein Jahrgang, der Jahrgang 1927, wurde 1943 zu den Luftwaffenhelfern eingezogen, 1944 dann zum Arbeitsdienst und zum Militär. Ich wurde zunächst immer wieder für ein paar Monate und dann für ein Jahr zurückgestellt, weil die untersuchenden Ärzte der Ansicht waren, dass ich herzkrank sei. Giel: Wie schön für Sie. Schwarzkopf: Ich war vermutlich nicht herzkrank, sondern ich hatte nur ein nervöses Herz. Vor den Musterungen stellte ich mir jeweils eine ganze Nacht lang nicht so sehr die Gefahren des Soldatendaseins vor, sondern wie entsetzlich es wäre, mit so vielen Leuten in einem Raum schlafen zu müssen. Das führte dann am nächsten Tag immer zu einem fürchterlichen Herzjagen, bei dem die Ärzte wohl erkennen konnten, dass das nicht durch Kaffee oder sonstige Mittel hervorgerufen wurde – wie das ja viele andere bei der Musterung versucht haben –, sondern dass das bei mir eben eine natürliche Ursache hatte. Eigentlich war das aber nur Nervosität gewesen. Noch im März 1945 bin ich wegen Herzkrankheit aus der deutschen Wehrmacht ausgemustert worden. Ich war damals in Berlin und kam gerade aus Cottbus zurück, wohin die von meinem Vater geleitete Schule verlegt worden war. Ich musste mich dort in Berlin erneut der Musterung stellen, und eine kichernde Sekretärin sagte zu mir: "Kommen Sie gleich morgen zur Musterung, denn übermorgen geht es mit dem Bus an die Front." Ich kam dann auch am nächsten Tag dorthin, aber nachdem der Arzt festgestellt hatte, dass ich wieder so ein schreckliches Herzjagen hatte, sagte der die Untersuchung leitende Offizier: "Na ja, wir werden Sie ausmustern." Ein Beisitzer meinte dann in diesem März 1945 noch: "Können wir ihn denn nicht nur für ein halbes Jahr zurückstellen?" - "Nein", sagte der Arzt, "das hat keinen Zweck, er wird ausgemustert." Ich war darüber natürlich sehr erleichtert. Giel: Sie waren während dieser ganzen Zeit in der Schule? Schwarzkopf: Ja, solange bis dann eben der Schulunterricht allmählich aufhörte. Im März 1945 war ich der letzte in meiner Klasse, der noch nicht eingezogen war und hätte daher eigentlich ein reguläres Abitur machen müssen. Aber man hat mir stattdessen gnadenhalber den so genannten "Kriegsreifevermerk" anstelle des Abiturs gegeben, denn im März 1945 brachte man eben in Berlin keine Abiturkommission mehr zusammen. Giel: Ich habe selbstverständlich in Ihrem Lebenslauf gelesen und mir dabei Ihren Berufsweg angesehen: Dieser Berufsweg ging vom Archivar über den Jurastudenten und das Studieren von Zeitungswissenschaften und Politologie in den USA zum Journalisten. Wie kam das alles? Was wollten Sie damals ursprünglich werden? Schwarzkopf: Als ich aus der Wehrmacht ausgemustert war, musste ich, da es noch nicht ganz abzusehen war, wann der Krieg zu Ende gehen würde – obwohl schon klar war, dass er nicht mehr sehr lange dauern würde –, irgendeine Arbeit übernehmen. Meine Mutter erinnerte sich daran, dass zu ihrem Bridgekreis auch die Frau des Generaldirektors des Reichsarchivs gehört hatte. Sie schrieb an ihn, ob er in irgendeinem der Archive nicht etwas zu tun hätte für mich. Er schrieb dann verblüffenderweise zurück, dass ich im "Preußischen Geheimen Staatsarchiv" arbeiten könnte. Ich ging dann dorthin und stellte mich vor. Der Direktor des "Preußischen Geheimen Staatsarchivs" war alles andere als erbaut darüber, denn da kam ja jemand zu ihm, der noch nicht einmal ein korrektes Abitur hatte, der nicht Geschichte studiert hatte: Das verstieß gegen jegliches Beamtenrecht. Er konnte aber nichts dagegen machen, denn wieder einmal hatte das Reich Preußen vergewaltigt – und ich bekam eine sehr schöne Aufgabe. Sie bestand darin, einen Katalog über die Theaterzensurbibliothek des Berliner Polizeipräsidiums von 1848 bis 1918 anzufertigen. Ich habe da also mehr gelesen als katalogisiert. Diese Tätigkeit habe ich nach dem Krieg fortgesetzt, aber man konnte mir dafür kein Geld mehr bezahlen. Im Sommer 1945 kam jedoch ein Studienrat dorthin, der eine Doktorarbeit über die Alt-Berliner Posse schreiben wollte: Dazu benötigte er die Materialien, die ich registriert hatte. Ich erzählte ihm, dass ich eine Arbeit bräuchte, bei der man Geld verdienen kann. Er sagte mir, dass demnächst eine Zeitung eröffnet werden würde, nämlich der "Tagesspiegel", und dass ich da doch einmal vorbeischauen sollte, weil er dort jemanden kennen würde. Ich ging dann auch dorthin und wurde gleich gefragt, ob ich denn nun Journalist oder Archivar werden möchte. Ich fragte zurück, wofür es denn mehr Geld geben würde. Sie sagten mir, dass ich als Archivar mehr Geld verdienen würde – und so wurde ich dann Archivar. Aber wenn man dann all diese Zettel mit den Artikeln aufkleben muss, bekommt man natürlich schon immer mehr ein Interesse daran, selbst einmal solche Artikel zu schreiben. So bin ich dann eben doch Journalist geworden - übrigens noch bevor ich anfing zu studieren. Giel: Wie haben Sie denn das alles zeitlich geordnet, wenn Sie gleichzeitig Archivar waren und Jura studiert haben? Schwarzkopf: Ich war ein Werksstudent. Das heißt, ich habe abends als Archivar und dann später als Journalist und Redakteur gearbeitet und tagsüber studiert. Das ging auch ganz gut. Giel: Ich habe in Ihrer Biografie ebenfalls gelesen, dass Sie darüber hinaus in der Zeit auch in die USA gegangen sind. Wie ist es denn dazu gekommen? Schwarzkopf: Das war das so genannte "Fullbright-Programm": Damit wurde damals jungen Leuten ermöglicht, für ein Jahr in die USA zu gehen. Für mich kam das relativ früh, nämlich schon im akademischen Jahr 1950/51: Ich hatte gerade angefangen, Jura zu studieren. Ich konnte dieses Jurastudium in den USA jedoch nicht fortsetzen, weil dort ja das Rechtssystem völlig anders ist. Deswegen wählte ich dafür Zeitungswissenschaften und politische Wissenschaften: In dem Jahr in den USA habe ich dann auch in diesen Fächern meinen Magister gemacht, also meinen Master of Arts. Ich möchte das Jahr in den USA wirklich nicht missen: Nicht nur weil ich in diesem Jahr natürlich sehr gut Englisch gelernt habe und ich mich bei der Magisterarbeit selbstverständlich auch schriftlich in der englischen Sprache hatte ausdrücken müssen, sondern weil ich aus einem Berlin dorthin kam, das gerade die Luftbrücke hinter sich hatte und von der Welt abgeschnitten gewesen war. Für mich war es daher eine ungeheure Welterfahrung, nach Amerika zu kommen. Das hat mir sehr gut getan. Giel: Es fand damals in Deutschland ja ein sehr großer Umbruch statt, der auch die Zeitungen mit erfasst hatte: Dafür mussten im Prinzip auch neue Journalisten gesucht werden. Hat Sie da Amerika beeinflusst? Schwarzkopf: Ja, mich hat Amerika selbstverständlich durch das beeinflusst, was uns damals als Grundsatz des demokratischen, glaubwürdigen und zuverlässigen Journalismus genannt wurde: dass man Fakten und Meinungen auseinanderhalten muss, dass man sorgfältig recherchieren muss, dass man dann aber auch mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg halten darf, sondern sie offen und klar äußern muss. Ich habe also im klassischen amerikanischen Journalismus schon immer ein Vorbild gesehen – genauer gesagt meine ich damit eigentlich den klassischen angelsächsischen Journalismus. Giel: Worin unterscheidet er sich am krassesten vom deutschen Journalismus? Schwarzkopf: Er unterscheidet sich am deutlichsten nicht nur vom herkömmlichen deutschen Journalismus, wie es ihn vor dem Krieg bei uns gegeben hat, sondern vom kontinentaleuropäischen Journalismus überhaupt durch eine strenge Trennung von Nachricht und Kommentar. Es hat in den großen Zeitungen Europas diese Trennung vorher nie gegeben. Wenn Sie sich z. B. "Le Monde" ansehen, dann werden Sie feststellen, dass es da bis heute noch keine strenge Trennung zwischen Nachricht und Kommentar gibt – was allerdings der Vorzüglichkeit dieser Zeitung keinen Abbruch tut. Aber das war und ist schon der deutlichste Unterschied. Giel: Als Sie aus Amerika zurückkamen, gingen Sie erneut zum "Tagesspiegel", aber diesmal nicht als Archivar, sondern als Journalist. Wie war da Ihr Anfang? Schwarzkopf: Insofern aufregend, als bald nachdem ich in den Journalismus übergewechselt war, der Chefredakteur des "Tagesspiegel", Erik Reger, starb: Er starb sehr früh mit nur 54 Jahren. Ein junger Kollege und ich - wir waren damals beide nur 27 Jahre alt – bestimmten nun auf einmal die Richtung dieses Blattes. Es dauerte allerdings nicht lange, bis der frühere Chefredakteur der "Deutschen Allgemeinen Zeitung", Karl Sielex, als neuer Chefredakteur zu uns kam. Ich erinnere mich jedoch noch gut daran, dass ich davor noch einen Leitartikel geschrieben hatte, in dem ich ganz klar die Auffassung vertrat, dass ein wiedervereinigtes Deutschland - wenn es denn je kommen würde – in der NATO sein müsse. Dann kam Karl Sielex und schrieb genau das Gegenteil, dass das nämlich auf keinen Fall ginge. Die Weltgeschichte hat mir in dem Punkt durch Zufall Recht gegeben. Giel: War es eine Chance für Sie, dort so jung anzufangen und alles machen zu können? Schwarzkopf: Ja, das war ganz entschieden so. Karl Sielex hat mir dann auch noch eine sehr schöne Chance gegeben, indem er mich als Korrespondenten des "Tagesspiegel" nach Bonn geschickt hat. Ich kam in Bonn 1955 an, also noch in der großen Zeit Adenauers, die ich von da an wirklich sehr bewusst miterlebt habe. Die Art und Weise, wie in Bonn Politik gemacht wurde, war für mich in der Tat eine gute Einführung in den politischen Journalismus. Es hat mich sehr befriedigt, diese Zeit als Zeuge so nah miterleben zu können. Giel: Waren Ihre Kollegen alle so jung wie Sie? Wurde da ein Schlussstrich gezogen im Journalismus? Schwarzkopf: Nein, es gab eine ganze Reihe von Journalisten, die auch schon im Dritten Reich Journalisten waren. Interessanterweise war dies bei den Zeitungen ja deutlich zu spüren, während das beim Fernsehen sehr viel weniger der Fall war. Aber das Fernsehen hatte es im Dritten Reich freilich nur ansatzweise gegeben: Es wurde dort noch sehr klein gehalten, denn die Wirkung des Fernsehens ist damals offenbar noch nicht erkannt worden, weil Goebbels das ansonsten sicher viel stärker forciert hätte, um es als Propagandainstrument nutzen zu können. Wenn ich mich jedoch an die älteren Kollegen in Bonn wie z. B. in Adenauers Teekreis erinnere, dann war es so, dass sie alle bereits im Dritten Reich eine Funktion ausgeübt hatten. Giel: Was dachten Sie damals darüber? Schwarzkopf: Sie waren zum Teil nun Musterdemokraten geworden, und ich sah keinen Anlass, von mir aus mit ihnen eine Rechnung aufzumachen. Ich habe in ihnen keine Vorbilder gesehen, sondern erfahrene Kollegen, die natürlich auch aus dem Nähkästchen der Nazizeit plaudern konnten: Das hat mich durchaus interessiert. Ich kann nicht sagen, dass ich diese Kollegen in irgendeiner Weise verachtet oder gefunden hätte, dass das Leute sind, die ihren Beruf nicht mehr ausüben sollten. Giel: Herrschte damals ein kollegialer Umgang? Schwarzkopf: Es herrschte ein sehr angenehmer und ausgesprochen kollegialer Umgang. Giel: Was hat Sie in der Zeit am meisten beeindruckt, worüber Sie berichtet haben? Schwarzkopf: Mich hat am meisten die Figur Adenauer beeindruckt. Dadurch dass ich diesem Teekreis angehörte und ich ihn in gewissen Abständen auch aus größerer Nähe oder im kleineren Kreis erleben durfte, ist mir doch deutlich geworden, was das für eine dominierende Figur war. Er hielt auch im Presseklub, in den er manchmal ging, abends sehr lange aus und ging sehr viel später und nach sehr viel mehr Gläsern Wein nach Hause als mancher Journalist. Giel: Wie kam man denn in diesen Teekreis? Wie wurde man da aufgenommen? Schwarzkopf: Es war ratsam, nicht der SPD anzugehören. Es waren also überwiegend eher konservative Journalisten, die dort zugelassen waren. Allerdings kam es auch darauf an, dass die Zeitung oder die Rundfunkanstalt, die man vertrat, von einiger Bedeutung war. Giel: 1962 kam dann der Wechsel vom schreibenden Journalisten zum : Sie kamen zum NDR. Wie kam es zu diesem Wechsel? Schwarzkopf: Nein, 1962 wurde ich zunächst einmal Leiter des Bonner Büros des "Deutschlandfunks". Ich hatte während meiner Tätigkeit als Zeitungskorrespondent schon angefangen, auch für den WDR und den NDR tätig zu sein. Insofern war dann das Überwechseln zum Hörfunkjournalismus für mich kein Wechsel in eine neue Dimension. Stattdessen habe ich nur das verstärkt, was ich bereits in der Zeitungszeit als freier Mitarbeiter für den Hörfunk betrieben hatte. Giel: Wie ging es dann weiter? Schwarzkopf: 1966 wurde ich Fernsehdirektor beim "Norddeutschen Rundfunk": eigentlich ohne praktische Fernsehmacher-Erfahrung. Die einzige Macher-Erfahrung, die ich hatte, bestand darin, dass ich Fernsehkommentare gemacht hatte. Diese Fernsehkommentare waren in den sechziger Jahren eingeführt worden, und ich war der erste Journalist, der einen Kommentar gesprochen hat – Friedrich Nowottny war der zweite gewesen. Das war das Einzige, das mich mit dem Fernsehen etwas stärker vertraut gemacht hatte. Aber ich habe mich dort dann sehr rasch zurechtgefunden. Ich musste dabei allerdings Abschied nehmen vom praktizierten, vom aktiven Journalismus. Denn das war doch eine andere Art des Journalismus, die ich dort zu machen hatte. Das war zunächst einmal natürlich eine Leitungsfunktion, die auch mit Administrationsarbeit verbunden war. Ich kam in der Position dann auch sehr bald in unruhige Zeiten hinein. Es gab damals z. B. die gewaltigen Auseinandersetzungen um die Sendung "Panorama", die ich ja insofern mitzuvollziehen hatte, als ich doch für "Panorama" verantwortlich war. Ich habe jede einzelne "Panorama"-Sendung, wie man so sagt, abgenommen, d. h., ich habe sie mir vor der Ausstrahlung vorführen lassen und dann mit den "Panorama"-Redakteuren jeweils lange darüber diskutiert, ob das denn auch alles sorgfältig recherchiert sei, ob man bestimmte Sachen auch wirklich so sagen könne. Aber wenn ich dann keine Einwände mehr hatte, war mir klar, dass ich das auch gegen Angriffe vertreten würde. Ich war und bin Mitglied der CDU, aber es wurde mir von den CDU-Mitgliedern der Aufsichtsgremien und von anderen CDU- Politikern oft recht übel genommen, dass ich dann auch verteidigte, wofür ich mich bei der Abnahme entschieden hatte. Giel: Es ging dann ja noch einen Schritt weiter weg vom Journalismus, wie man fast sagen könnte, Sie wurden nämlich stellvertretender Intendant des NDR. Schwarzkopf: Der NDR hat eine eigentümliche Konstruktion, die damit zusammenhängt, dass er damals ja eine Drei-Länder-Anstalt war – jetzt ist er eine Vier- Länder-Anstalt. Es gibt einen hauptamtlichen stellvertretenden Intendanten, der wie der Intendant von den Aufsichtsgremien, also vom Rundfunkrat, gewählt wird. Das habe ich dann von 1974 bis 1978 betrieben. Als ich 1978 das Angebot bekam, hier in München Programmdirektor "Erstes Deutsches Fernsehen" zu werden, hatte es sich allerdings schon abgezeichnet, dass sich der Konflikt um den "Norddeutschen Rundfunk" sehr verschärfen würde. Es zeichnete sich schon ab, dass die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein den Staatsvertrag kündigen würden, weil diese unionsgeführten Regierungen im Grunde den Sender zerschlagen wollten. Aber das Bundesverwaltungsgericht hat dann diesem Ansinnen später doch ein Stopp-Zeichen in den Weg gestellt. Giel: Sie waren nun auf allen Seiten tätig: Sie haben richtig "harten" Journalismus erlebt und als Journalist für die Zeitung, das Radio und das Fernsehen gearbeitet, und Sie sind dann immer weiter aufgestiegen und deswegen vielleicht auch etwas weiter vom Journalismus weggekommen. Sie haben an sich Jura studiert und eine journalistische Ausbildung absolviert. Was meinen Sie, welche Ausbildung wäre für einen Intendanten am sinnvollsten? Sollte er aus dem Journalismus kommen oder mehr aus der Juristerei und der Verwaltung? Schwarzkopf: Ich habe angefangen, Jura zu studieren, als ich schon wusste, dass ich nie Jurist werden wollte. Ich habe mich damals für dieses Studium entschieden, weil ich davon überzeugt war, dass mir das eine Art von geistigem Rüstzeug geben würde: in der Art und Weise zu denken, in der Art und Weise abzuwägen und zu urteilen. Das hat sich dann auch als überaus nützlich erwiesen. Das geschah allerdings in der angenehmen Kombination mit einer praktischen journalistischen Erfahrung. Ich glaube, dass eine juristische Ausbildung und eine praktische journalistische Erfahrung eine ideale Kombination für eine Leitungsfunktion im Rundfunk darstellt. Giel: Sie sind Vorstand der "Deutschen Journalistenschule" in München: Hat sich denn der Nachwuchs verändert? Sind die jungen Leute, die heute Journalisten werden wollen, anders als in Ihrer Jugend? Schwarzkopf: Als Vorstandsvorsitzender des Trägervereins der "Deutschen Journalistenschule" bin ich ja nun nicht jemand, der dort lehrt. Stattdessen muss ich mich z. B. darum kümmern, dass Geld hereinkommt. Ich kümmere mich darüber hinaus z. B. auch um die Grundfragen dieses Schulbetriebs. Ich habe aber den Eindruck, dass die Schüler der "Deutschen Journalistenschule" eigentlich nicht so sehr viel anders sind als wir früher. Sie sind nach wie vor daran interessiert, einen soliden Journalismus zu lernen und zu praktizieren. Ich hoffe, dass es das auch ist, was sie in der Journalistenschule beigebracht bekommen. Das bisherige Ergebnis scheint das jedenfalls zu belegen, denn die Liste der Absolventinnen und Absolventen der "Deutschen Journalistenschule" ist ja so eine Art "Gotha" des deutschen Journalismus. Giel: Weil Sie gerade von den Absolventinnen gesprochen haben: Gibt es da auf der Schule mehr Männer oder mehr Frauen? Schwarzkopf: Die Zahl der Frauen nimmt zu. Ich sehe mit Interesse und Zufriedenheit, dass z. B. im Korrespondentennetz der ARD die Männer in der Minderzahl zu sein scheinen. Giel: Ist das gut so? Schwarzkopf: Das ist vom Ergebnis her deshalb gut, weil die Damen, die dort tätig sind, ganz vorzügliche Journalistinnen sind. Giel: Wenn Sie in der Journalistenschule Thesen aufzustellen hätten: Welchen Leitfaden würden Sie dem Nachwuchs an die Hand geben? Schwarzkopf: Ich glaube nach wie vor, dass solide Recherche ganz unentbehrlich ist: auch für die Meinungsbildung. Man trifft bei Leuten, die Journalisten werden wollen, sicherlich oft eine zu frühe Bereitschaft an, die Meinung und nicht die Recherche für das Wichtigste zu halten. Die Meinung ist im Journalismus gewiss ganz unentbehrlich, und der Journalismus ist ja auch dazu da, die Meinungsbildung zu ermöglichen: auch indem er selbst Meinungen anbietet. Aber die Vorstellung, dass man eine ausgeprägte und vielleicht auch noch attraktiv formulierte Meinung habe und dass das genüge, ist ganz bestimmt falsch. Denn stattdessen kommt es doch darauf an, dass man zunächst einmal wirklich die Fakten ermittelt, sich mit ihnen auseinandersetzt und sich dann auf dieser Basis erst die Meinung bildet: Das ist wirklich unentbehrlich. Ich habe das Gefühl bzw. den Verdacht, dass die immer größere Schnelligkeit der Informationsübermittlung, wie sie z. B. durch das Internet möglich wird, eine große Versuchung darstellt, die genaue Recherche hintanzustellen. Ein interessanter Beleg dafür ist die Tatsache, dass die Story über Clinton und Frau Lewinsky zuerst im Internet verbreitet worden ist: Sämtliche Zeitungen haben das übernommen. Nur ein großes amerikanisches Nachrichtenmagazin wollte erst einmal selbst recherchieren und hat das nicht sofort übernommen: Damit ist es jedoch auf die Nase gefallen. Giel: Herr Schwarzkopf, ich danke Ihnen herzlich für dieses Gespräch. Beim nächsten Gespräch werden wir vielleicht mehr über das Thema "Internet" sprechen können. Das war Alpha-Forum, zu Gast war heute Herr Schwarzkopf, der ehemalige Programmdirektor "Erstes Deutsches Fernsehen" und jetzige Vorstand der "Deutschen Journalistenschule" in München. Ich danke Ihnen für Ihr Interesse, auf Wiedersehen.

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