Plenarprotokoll 12/160

Deutscher Bundesta g

Stenographischer Bericht

160. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Inhalt:

Zusatztagesordnungspunkt 1: ausländer- und staatsangehörigkeits- Beratung des Antrags der Abgeordne- rechtlicher Vorschriften (Drucksachen ten Ingrid Köppe, Dr. Wolfgang Ull- 12/4450, 12/4984, 12/4996) mann, Konrad Weiß (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: in Verbindung mit Aufhebung des Verbots öffentlicher Tagesordnungspunkt 3: Versammlungen im Regierungsviertel während der Debatte über das Asyl- Zweite und dritte Beratung des von den recht (Drucksache 12/4529) Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13499B zur Neuregelung der Leistungen an Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU 13500 B Asylbewerber (Drucksache 12/4451) Dr. Peter Struck SPD 13500 D Zweite und dritte Beratung des von den Manfred Richter (Bremerhaven) F.D.P. 13501B Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste 13502A über Leistungen der Sozialhilfe an Aus- länder (Drucksachen 12/3686 [neu], Tagesordnungspunkt 1: 12/5008, 12/5010) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und in Verbindung mit F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundge- Tagesordnungspunkt 4: setzes (Artikel 16 und 18) (Drucksache a) Zweite und dritte Beratung des von dem 12/4152) Abgeordneten Konrad Weiß (Berlin) Zweite und dritte Beratung des von den und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Abgeordneten Dr. Wolfgang Schäuble, NEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- Dr. Wolfgang Bötsch, Johannes Gerster setzes zur Regelung der Rechte von (Mainz), weiteren Abgeordneten und Niederlassungsberechtigten, Einwan- der Fraktion der CDU/CSU eingebrach- derinnen und Einwanderern (Druck- ten Entwurfs eines ... Gesetzes zur sache 12/1714 [neu]) Änderung des Grundgesetzes (Arti- Zweite und dritte Beratung des von der kel 16 und 24) (Drucksachen 12/2112, Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12/4984, 12/4995) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes in Verbindung mit über die Rechtsstellung von Flüchtlin- gen (Flüchtlingsgesetz) (Drucksachen Tagesordnungspunkt 2: 12/2089, 12/4984) Zweite und dritte Beratung des von den b) Beratung der Beschlußempfehlung und Fraktionen der CDU/CSU, SPD und des Berichts des Innenausschusses zu F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines dem Antrag des Abgeordneten Konrad Gesetzes zur Änderung asylverfahrens-, Weiß (Berlin) und der Gruppe BOND-

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NIS 90/DIE GRÜNEN: Das Asylrecht ist Norbert Geis CDU/CSU 13557 B unverzichtbar Gernot Erler SPD 13559 B Gruppe BÜND-- zu dem Antrag der Manfred Richter (Bremerhaven) F.D.P. 13561 B NIS 90/DIE GRÜNEN: Unantastbares Grundrecht auf Asyl und die jüng- Petra Bläss PDS/Linke Liste 13562 A sten ausländerfeindlichen Ausschrei- Dr. Alfred Dregger CDU/CSU 13562 D tungen (Drucksachen 12/3235, 12/1216, 12/4984) Lieselott Blunck (Uetersen) SPD 13565 A Feige BÜNDNIS 90/DIE Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU 13503D Dr. Klaus-Dieter GRÜNEN 13565 C Hans-Ulrich Klose SPD 13507 B Renate Schmidt (Nürnberg) SPD 13566C, 13584B Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 13510D Ulrich Irmer F.D.P. 13569D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste 13514A, 13520C, Dr. Dagmar Enkelmann PDS/Linke Liste 13570D 13569 D Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ GRÜNEN 13572A, 13597D DIE GRÜNEN 13517B, 13584 D Klaus-Heiner Lehne CDU/CSU 13572 D Freimut Duve SPD 13520 B Dieter Wiefelspütz SPD 13574 A , Bundesminister BMI 13520C Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Jürgen Schmude SPD 13521C, 13531B Bundesministerin MMJ 1357 6 A Dr. Jürgen Schmude SPD 13525 C Ernst Waltemathe SPD 13577 B Michael Glos CDU/CSU 13527B, 13536 C Dr. Volker Köhler (Wolfsburg) CDU/ Jörg van Essen F.D.P. 13530 B CSU 13579A Dr. Hans de With SPD 13531 A Erika Steinbach-Hermann CDU/CSU 13579B Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste 13580D Erwin Marschewski CDU/CSU 13532B, 13569D Joachim Clemens CDU/CSU 13582A Gerd Wartenberg (Berlin) SPD 13534 B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE Kleinert (Hannover) F.D.P. 13536 D Detlef GRÜNEN 13582D, 13588C, 13622D Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 13537 D Horst Peter (Kassel) SPD 13583 B Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13539C Franz Heinrich Krey CDU/CSU 13583 C Peter Hintze CDU/CSU 13540D Wolfgang Lüder F.D.P. 13586 C Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Michael Stübgen CDU/CSU 13587 C NEN 13541A Peter W. Reuschenbach SPD 13588 D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 13542D, 13550B Ursula Schmidt (Aachen) SPD 13590 A Eckart Kuhlwein SPD 13543 B Joachim Graf von Schönburg-Glauchau Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 13545C, 13553 B CDU/CSU 13590D Ingeborg Philipp PDS/Linke Liste 13546 C Hannelore Rönsch, Bundesministe rin Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13547 B BMFuS 13591A 13592 C Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU 13548 C Christel Hanewinckel SPD Herbert Werner (Ulm) CDU/CSU 13593 D Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU 13549 B Norbert Eimer (Fürth) F.D.P. 13595 D Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13549C, 13615D Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste 13596D Dr. Hans de With SPD 13551 A Ortwin Lowack fraktionslos 13599 C Wolfgang Lüder F.D.P. 13552 A Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 13600 D Dieter-Julius Cronenberg (Arnsberg) Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) fraktions FDP 13553 C los 13602 B Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste 13554 B Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD 13603B Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. 13555A Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/ CSU 13604A Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13556 A Dieter Maaß (Herne) SPD 13604 D Fuchtel CDU/CSU 13605C Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/ Hans-Joachim CSU 13557 A Ludwig Stiegler SPD 13606 C SPD 13557 A Adolf Ostertag SPD 13607 B

Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 III

Wolfgang Ehlers CDU/CSU 13608C Andrea Lederer PDS/Linke Liste 13624 B Brigitte Schulte (Hameln) SPD 13609 B Hans-Joachim Otto (Frankfurt) F.D.P. 13625A Dr. Elke Leonhard-Schmid SPD 13610B Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13626D Dr. Günther Müller CDU/CSU 13611 B Otto Schily SPD 13611D, 13616B Ergebnisse 13628C, 13629 B, C, 13630C Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD 13612D Nächste Sitzung 13630 D Dr. Walter Hitschler F.D.P. 13613 D

Gunter Weißgerber SPD 13614 C Anlage Dr. Gerhard Friedrich CDU/CSU 13615A, 13616C Liste der entschuldigten Abgeordneten 13631 * Margitta Terborg SPD 13616C Horst Peter (Kassel) SPD 13617B (Die zu Protokoll gegebenen Redetexte, Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU 13618B Erklärungen zur Abstimmung und die Dr. Heiner Geißler CDU/CSU 13619B Listen der Namentlichen Abstimmungen werden in einem Nachtrag zu diesem Ple- Hans Gottfried Bernrath SPD 13621 C narprotokoll abgedruckt.)

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160. Sitzung

Bonn, den 26. Mai 1993

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Guten Morgen, und das Verbot von öffentlichen Versammlungen liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröff- innerhalb des Bannkreises für den heutigen Tag net. auszusetzen. (Hans Klein [München] [CDU/CSU]: Billiger Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige geht es wohl nicht?) Tagesordnung um den Zusatzpunkt 1 zu erweitern: Es ist — das betone ich — die Nutzung einer gesetzlich Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid vorgesehenen Möglichkeit, die wir beantragen. Wir Köppe, Dr. Wolfgang Ullmann, Konrad Weiß wissen allerdings, daß in der Vergangenheit davon (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE bisher nie Gebrauch gemacht wurde. Daher stellt sich GRÜNEN natürlich auch die Frage, wofür es diesen § 3 im Aufhebung des Verbots öffentlicher Versamm- Bannmeilengesetz überhaupt gibt. lungen im Regierungsviertel während der (Hans Klein [München] [CDU/CSU]: Schä Debatte über das Asylrecht men Sie sich nicht?) — Drucksache 12/4529 — — Nein, ich schäme mich überhaupt nicht. Der Antrag soll in einer 5-Minuten-Runde beraten (Unruhe bei der CDU/CSU) werden. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Außerdem sieht unser Antrag vor, dem Polizeiprä- Fall. sidenten von Bonn die Befugnis einer flexiblen räum- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abge- lichen Eingrenzung des Bannkreises je nach seiner ordnete Köppe. Lagebeurteilung zu übertragen. Sollte es also kon- krete Hinweise auf Gewalttätigkeiten oder Behinde- rungen von Abgeordneten geben, Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin!- Meine Damen und Herren! Mit NATO (Lachen und anhaltende Zurufe von der Draht-Gittern und 4 000 Polizisten wird heute dafür CDU/CSU und der F.D.P. — Abg. Peter gesorgt, daß Demonstranten aus dem Regierungsvier- Bleser [CDU/CSU], der von Demonstranten tel ferngehalten werden. tätlich angegriffen und mit Farbbeuteln bespritzt worden ist, bet ritt den Saal — Große (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Empörung bei der CDU/CSU und der Sie alle haben das sicherlich bei Ihrer Herfahrt zum F.D.P.) Parlament bemerkt. Die Demons tranten sind hierher hat der Polizeipräsident — — gekommen, um gegen die Abschaffung des Grund- rechts auf Asyl zu demonstrieren. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Einen Augenblick! (Widerspruch bei der CDU/CSU — Hans — Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, jetzt trotz- Klein [München] [CDU/CSU]: Sie wollen das dem zuzuhören. Hinweise auf Gewalttätigkeit sind in Parlament lahmlegen und sind gegen die der Tat da. Das rechtfertigt die Notwendigkeit der Demokratie!) getroffenen Sicherheitsmaßnahmen. Unsere Bundestagsgruppe möchte, daß diese Demon- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. strationen nahe am Parlament stattfinden können. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Am Ich bitte Sie, fortzufahren. besten hier drin im Saal!) Gerechtfertigt wird dieses Polizeiaufgebot mit dem Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn Bannmeilengesetz. § 3 des Bannmeilengesetzes bietet es also solche Hinweise gibt, hat der Polizeipräsident allerdings die Möglichkeit von Ausnahmeregelun- noch immer die Möglichkeit, dagegen vorzugehen. gen. Mit unserem Antrag wollen wir gemäß § 3 des Bannmeilengesetzes den Bundesminister des Innern (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) auffordern, von seiner Befugnis Gebrauch zu machen Dafür brauchen wir nicht die Bannmeilenregelung. 13500 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Ingrid Köppe Im übrigen — das wissen Sie vielleicht selbst — war Ja, wer ist denn eigentlich schuld, daß diese Situa- es gerade der Polizeipräsident von Bonn, der darauf tion eingetreten ist? Sind etwa wir, die wir hier unser hingewiesen hat, daß er ohnehin alle nötigen Befug- Recht als Abgeordnete wahrnehmen, schuld daran? nisse hat und daß die Bannmeilenvorschriften- seine Wer ist denn schuld daran, daß hier diese Zustände Arbeit „nicht fördern, sondern behindern" . So der herrschen? Polizeipräsident von Bonn. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Ich sage dies vor allem an jene Abgeordneten sowie bei Abgeordneten der SPD) gerichtet, die sich um ihre Sicherheit ängstigen, aber Ich will es ganz vorsichtig sagen: Das, was Sie hier auch an die Abgeordneten, die uns unterstellen wol- vorgetragen haben, Frau Kollegin Köppe, ist jeden- len, wir seien Befürworter von Gewalttätigkeiten — falls sträflich naiv. nur, weil wir eine Aufhebung der Bannmeile fordern, so wie sie im Gesetz vorgesehen ist. Vielmehr müssen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sich diese Abgeordneten fragen lassen, ob nicht sowie bei Abgeordneten der SPD) gerade die polizeiliche Sicherung der Bannmeile auch Das Recht, als Parlament frei zusammenzutreten provozierend wirken kann, und in Rede und Gegenrede sowie nach freier Ent- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Schuld scheidung Gesetze zu beschließen, ist das Rechtsgut, ist immer die Polizei! Das ist unglaublich!) das das Bannmeilengesetz schützt. Mit ihrem Antrag will das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Bannmeile und zwar auf diejenigen, die hier demonstrieren aufheben. Die Logik, die hinter diesem Antrag steckt, wollen. ist verräterisch. Damit der Rechtsverstoß nicht eintritt, Es gibt also zusammengefaßt drei Möglichkeiten: soll die Rechtslage geändert werden. Erstens. Wir belassen alles so, wie es jetzt ist, und (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) führen unsere Beratungen zur Abschaffung des Das heißt doch in Konsequenz: Recht wird beliebig. Grundrechts auf Asyl heute in einem Wasserwerk Das aber darf nicht sein! durch, das mehr einer Festung als einem Parlament gleicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der PDS/Linke Liste — Dr. Wolf Jeder in Deutschland kann im Rahmen der Gesetze gang Schäuble [CDU/CSU]: Wer ist denn demonstrieren. Aber er darf dabei das Parlament, die schuld daran?) Volksvertretung, nicht bei seiner Arbeit behindern. Zweitens. Wir veranlassen, daß der Bannkreis heute (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Sehr verkleinert wird. richtig!) Drittens. Wir setzen für den heutigen Tag die Die Bannmeile — vielleicht muß man das noch Bannmeile außer Kraft. einmal sagen — ist kein vordemokratisches Relikt, im Gegenteil: Sie ist historisch entstanden, um die demo- Unsere Bundestagsgruppe möchte, daß der Draht kratischen Institutionen vor denen zu schützen, die die und die Gitter jetzt abgebaut werden und der Polizei- Demokratie bekämpft haben. einsatz entschieden reduziert wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Franz Möller [CDU/CSU]: Bannmeile für Frau Köppe!) Die Bannmeile garantiert die Funktionsfähigkeit des Parlaments. Sie sichert die Entscheidungsfreiheit der Abgeordneten. Wer dies heute aufgeben will, muß Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht wissen, wem er damit Tür und Tor öffnet. Der Demo- der Kollege Dr. Rüttgers. kratie, der Freiheit und der Handlungsfähigkeit der Volksvertretung nutzt er jedenfalls nicht. Deshalb, meine Damen und Herren, werden wir den Dr. Jürgen Rüttgers (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Antrag ablehnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war bekannt, daß wir diese kurze Debatte zu Beginn des heutigen Tages (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) führen würden. Als ich mir überlegt habe, was ich dazu sagen soll, habe ich mir folgenden Satz aufge- schrieben: Ich hoffe sehr, daß der heutige Tag f riedlich Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht verläuft. Herr Abgeordneter Dr. Struck. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und dem Dr. Peter Struck (SPD): Frau Präsidentin! Meine BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute Leider muß man sieben Minuten nach 9 Uhr schon eine große Chance als Deutscher Bundestag: dann feststellen, daß diese Hoffnung zerstoben ist. Für viele nämlich, wenn wir die Debatte über die wichtige Kollegen ist es zur Zeit noch nicht möglich, den Neuregelung des Asylrechts im Wege eines gegensei- Bundestag zu betreten. Der Kollege Bleser ist tätlich tigen Verstehens, eines Aufeinanderzugehens unter angegriffen worden. In dieser Situation, Frau Kollegin Respektierung der unterschiedlichen Ansichten Köppe, stellen Sie sich hier hin und sagen: Wir müssen durchführen. das Verbot von öffentlichen Versammlungen inner- Ich glaube, meine Damen und Herren, daß es halb des Bannkreises aufheben, die Polizei muß wichtig ist — ich sage das in bezug auf die Reaktionen, weg. die wir im Hause auf die Rede der Kollegin Köppe Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13501

Dr. Peter Struck hatten, ob man ihr inhaltlich zustimmt oder nicht; auch wahrnehmen kann, stehen draußen Polizeibeamte in wir werden ihr inhaltlich nicht zustimmen —, zu einem wirklich schwierigen Einsatz, sagen: Auch sie hat das Recht, ihre Meinung hier vorzutragen, und wir sollten das alle respektieren.- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Polizeibeamte, die für uns, die für den Parlamentaris- mus in diesem Land, die für die Demokratie ihre Ich möchte an dieser Stelle einfügen, daß jetzt der Knochen hinhalten müssen. Wir sollten ihnen dafür denkbar ungeeignetste Zeitpunkt ist, darüber zu dis- danken. kutieren, ob man eine Bannmeile braucht oder nicht. Ich bin schon der Auffassung, daß wir darüber einmal (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU diskutieren müssen; aber jetzt ist der ungeeignetste sowie bei Abgeordneten der SPD) Zeitpunkt. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen f ried- (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Hans lichen Demonstranten und Chaoten, und niemand Klein [München] [CDU/CSU]: Peter, du sagt, daß alle, die demonstrieren, Chaoten sind; das warst schon mal besser!) wäre grundfalsch. Aber es sind eben auch Chaoten Meine Damen und Herren, wir sollten heute bitte darunter; es sind Leute darunter, die unsere Demokra- tie zerstören wollen, und wir werden uns dagegen zu eines bedenken: Die Demonstranten, die versuchen, wehren wissen. unsere Entscheidung zu beeinflussen, draußen vor der Tür oder überall im Lande, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU (Zuruf von der CDU/CSU: Chaoten sind sowie bei Abgeordneten der SPD) das!) An diesem Tag treffen wir eine Entscheidung von sind nicht Chaoten einer großen Tragweite, eine Entscheidung, die in weiten Kreisen unserer Öffentlichkeit als lange fällig (Widerspruch bei der CDU/CSU) erwartet wird. Wie immer die Entscheidung jedes — Moment, bitte! —, sondern vielfach Menschen, die einzelnen Abgeordneten sein wird — ich respektiere Sorge haben, daß der Bundestag eine aus ihrer Sicht jede Meinung —, wir müssen sicherstellen, daß diese falsche Entscheidung trifft. Meinung hier auch zum Tragen kommt. Wir müssen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sicherstellen, daß der Souverän, dieses Parlament, DIE GRÜNEN) handlungsfähig bleibt, und dem dient die Bannmeile, meine Damen und Herren! Wir haben eine eigene Verantwortung, und ich bin nicht bereit, wenn solche Vorfälle, wie wir sie zu (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne beklagen haben, festgestellt werden müssen, ein ten der CDU/CSU) pauschales Verdammungsurteil über die Demon- Keiner von uns hat sich seine Entscheidung leicht- stranten in Deutschland zu fällen. gemacht. Und, meine Damen und Herren: Es muß (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dabei bleiben, daß es die freie, individuelle Entschei- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der dung eines jeden Abgeordneten ist, die sich nicht PDS/Linke Liste) einem Druck, einem physischen Druck unterwerfen darf; denn das wollen wir nicht tun: Wir wollen uns Das heißt aber für uns Sozialdemokraten, meine nicht dem Druck der Straße unterwerfen, wir wollen Damen und Herren, daß wir von dieser Stelle noch uns nicht davonmachen unter dem Druck der Straße, einmal an alle die, die demonstrieren wollen, apppel- sondern wir wollen zu unserer Verantwortung stehen lieren, das friedlich zu tun, die Meinung Andersden- und heute entscheiden. kender zu respektieren, auch die Meinung anders denkender Bundestagsabgeordneter. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob es ein Ich möchte an dieser Stelle zum Abschluß sagen: Ich großes Maß an Naivität ist, das Frau Köppe hier zum danke schon jetzt den Polizeibeamten und den vielen Ausdruck brachte, oder ob etwas ganz anderes dahin- Sicherheitskräften, die heute dafür sorgen, daß eine tersteht. Ich persönlich empfinde es als bedrückend, ordnungsgemäße Debatte durchgeführt werden daß wir unter einem so massiven Polizeischutz zusam- kann, sehr herzlich. mentreten müssen, aber ich bin froh, daß es ihn gibt. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich finde auch, daß es kein gutes Zeichen für den Zustand unserer Demokratie ist, wenn Abgeordnete, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat nun der Abgeordnete Richter. aber auch Mitarbeiter von Abgeordneten physisch bedroht, bedrängt, in eine schwierige persönliche Lage gebracht werden, wie viele von Ihnen das heute morgen erlebt haben. Manfred Richter (Bremerhaven) (F.D.P.): Frau Prä- Wir werden — ich will das an dieser Stelle deutlich sidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege sagen — dem Druck der Straße nicht weichen. Struck, natürlich hat Frau Köppe das Recht, hier ihre Meinung vorzutragen, und damit sie dieses Recht (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) 13502 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Manfred Richter (Bremerhaven) Wir wollen heute eine Debatte führen, die unserer Sie haben heute gesagt, Sie wollen nicht zulassen, Bevölkerung klarmacht, mit welcher Ernsthaftigkeit daß Sie dem Druck der Straße weichen müssen. Ich wir uns diesem schwierigen Problem in der- Vergan- darf daran erinnern, daß Sie gerade auch mit der genheit gewidmet haben, und dann wollen wir ent- Straße immer dann argumentieren, wenn es um die scheiden. Dieses Parlament muß handlungsfähig blei- Abschaffung des Asylrechts geht, und Sie dort durch- ben. Deswegen bleibt es auch beim Bannkreis. aus bereit sind, sich dem Druck der Straße zu beugen. Vielen Dank. Ich darf Sie daran erinnern, daß z. B. gerade nach den Brandanschlägen auf das Asylheim in Rostock-Lich- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) tenhagen als Argument gesagt wurde, jetzt muß das Asylrecht ganz schnell geändert werden. Dies ist es, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht was man unter „dem Druck der Straße weichen" Herr Abgeordneter Dr. Gysi. verstehen könnte. (Hans Klein [München] [CDU/CSU]: Wer Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Frau Präsidentin! vermischt denn hier Argumente? — Erwin Meine Damen und Herren! Ich finde es nicht gut, Marschewski [CDU/CSU]: Geschichtsfäl wenn in dieser Diskussion verschiedene Rechtsinsti- schung! — Unruhe) tute miteinander vermischt werden. Niemand hat die Ich sage Ihnen: Die Bannmeile ist eine unzulässige Aufhebung des Straftatbestands gefordert, der „Nöti- Einschränkung des Demonstrationsrechts. Das be- gungen von Mitgliedern eines Verfassungsorgans" deutet überhaupt nicht, daß diejenigen, die für ihre lautet. Aufhebung plädieren, etwa damit einverstanden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wären, daß Straftaten begangen werden. Niemand hat die Aufhebung des Straftatbestandes Einem Wunsch von Herrn Rüttgers will ich mich der Körperverletzung, Sachbeschädigung und ähnli- ausdrücklich anschließen: Auch ich habe den großen ches gefordert. Worum es hier geht, ist, ob gestattet Wunsch an alle Demonstrantinnen und Demonstran- wird oder nicht gestattet wird, daß eine f riedliche ten und auch an die Polizistinnen und Polizisten, daß Versammlung unter freiem Himmel innerhalb der alles, was heute stattfindet, friedlich und gewaltfrei Bannmeile stattfindet. verläuft. Aber dazu muß man es auch erlauben und nicht einschränken oder verbieten; denn damit provo- (Beifall bei der PDS/Linke Liste — Lachen bei ziert man geradezu Gewalt. der CDU/CSU und der F.D.P. — Hans Klein [München] [CDU/CSU]: Herr Gysi, das ist (Beifall bei der PDS/Linke Liste) unter Ihrem intellektuellen Niveau!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und Alle anderen Bestimmungen einschließlich des Herren, wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für Rechts, gegen bestimmte Straftaten, wenn sie denn den Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begangen werden oder wenn versucht wird, sie zu auf Drucksache 12/4529? — Wer stimmt dagegen? — begehen, vorzugehen, bleiben davon völlig unbe- Wer enthält sich? — Der Antrag ist gegen die Stimmen rührt. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS/ Nein, Sie vermischen das absichtlich, weil Sie die Linke Liste bei einer Enthaltung abgelehnt. Bannmeile nämlich geschaffen haben, um sich bei Ihren Entscheidungen hier die Bürgerinnen und Bür- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 bis 4 auf: ger vom Halse zu halten. 1. — Zweite und dritte Beratung des von den (Widerspruch bei der CDU/CSU — Pfeifen Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. des Abg. Klaus Bühler [Bruchsal] [CDU/ eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur CSU]) Änderung des Grundgesetzes (Artikel 16 und 18) Das, glaube ich, ist ein falscher Ansatz. — Drucksache 12/4152 — (Erste Beratung 134. Sitzung) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Einen Augenblick! — Gepfiffen wird hier im Saal nicht. — Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wolfgang Schäuble, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Dr. Wolfgang Bötsch, Johannes Gerster PDS/Linke Liste) (Mainz), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Ent- Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Es ist immer die wurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Frage, wo Chaos anfängt. Grundgesetzes (Artikel 16 und 24) (Unruhe) — Drucksache 12/2112 — — Versuchen Sie doch, noch einen Moment lang (Erste Beratung 89. Sitzung) zuzuhören. a) Beschlußempfehlung und Bericht des In- (Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/ nenausschusses (4. Ausschuß) CSU]: Experte für Bannmeile!) — Drucksache 12/4984 — Die Bannmeile ist doch ein Sonderschutz, den sich Berichterstattung: eine bestimmte Gruppe von Menschen nimmt und Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann anderen, die ebenfalls in Auseinandersetzungen mit Erwin Marschewski Bürgerinnen und Bürgern Entscheidungen zu treffen Gerd Wartenberg (Berlin) haben, keineswegs zubilligt. Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13503

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung nes Gesetzes zur Regelung der Rechte — Drucksache 12/4995 — - von Niederlassungsberechtigten, Ein- Berichterstattung: wanderinnen und Einwanderern Abgeordnete Rudolf Purps — Drucksache 12/1714 (neu) — Karl Deres (Erste Beratung 79. Sitzung) Ina Albowitz — Zweite und dritte Beratung des von der 2. Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. einge- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände über die Rechtsstellung von Flüchtlin- rung asylverfahrens-, ausländer- und staatsan- gen (Flüchtlingsgesetz) gehörigkeitsrechtlicher Vorschriften — Drucksache 12/2089 — — Drucksache 12/4450 — (Erste Beratung 79. Sitzung) (Erste Beratung 143. Sitzung) Beschlußempfehlung und Be richt des a) Beschlußempfehlung und Bericht des In- Innenausschusses (4. Ausschuß) nenausschusses (4. Ausschuß) — Drucksache 12/4984 — — Drucksache 12/4984 — Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann Erwin Marschewski Erwin Marschewski Gerd Wartenberg (Berlin) Gerd Wartenberg (Berlin) Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Hans-Joachim Otto (Frankfurt) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Berichts des Innenausschusses (4. Aus- schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung schuß) — Drucksache 12/4996 — zu dem Antrag des Abgeordneten Konrad Berichterstattung: Weiß (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/ Abgeordnete Karl Deres DIE GRÜNEN Ina Albowitz Das Asylrecht ist unverzichtbar Rudolf Purps zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/ 3. — Zweite und dritte Beratung des von den DIE GRÜNEN Fraktionen der CDU/CSU, und F.D.P. ein- Unantastbares Grundrecht auf Asyl und die gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur jüngsten ausländerfeindlichen Ausschrei- Neuregelung der Leistungen an Asylbe- tungen werber — Drucksachen 12/3235, 12/1216, -- Drucksache 12/4451 — 12/4984 — (Erste Beratung 143. Sitzung) Berichterstattung: — Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. einge- Erwin Marschewski brachten Entwurfs eines Gesetzes über Lei- Gerd Wartenberg (Berlin) stungen der Sozialhilfe an Ausländer Hans-Joachim Otto (Frankfurt) — Drucksache 12/3686 (neu) — Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Ablauf der (Erste Beratung 121. Sitzung) Beratungen. a) Beschlußempfehlung und Be richt des Interfraktionell sind für die gemeinsame Ausspra- Ausschusses für Familie und Senioren che zehn Stunden vereinbart. Danach folgen die (13. Ausschuß) Abstimmungen. Ich weise darauf hin, daß vier Abstim- — Drucksache 12/5008 — mungen namentlich durchgeführt werden. Berichterstattung: Vereinbart ist weiterhin, daß Redebeiträge auch zu Abgeordnete Norbert Eimer (Fürth) Protokoll gegeben werden können. Das Wort zur Brigitte Lange Abgabe von Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 Ursula Männle unserer Geschäftsordnung soll erst nach Durchfüh- b) Berichte des Haushaltausschusses rung aller Abstimmungen erteilt werden. Auch Erklä- (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäfts- rungen zur Abstimmung können selbstverständlich ordnung schriftlich abgegeben werden. — Drucksachen 12/5009, 12/5010 — Sind Sie mit diesem Verfahren einverstanden? — Berichterstattung: Das ist der Fall. Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Dann eröffne ich die Aussprache. Als erster beginnt Irmgard Karwatzki Herr Dr. Schäuble. Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Frau Präsiden- 4. a) — Zweite und dritte Beratung des von den tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Abgeordneten Konrad Weiß (Berlin) kurze Vorlauf vor dieser Beratung hat schon gezeigt, und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE daß die Debatte, die wir heute zu führen, und die 13504 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Wolfgang Schäuble Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, zum Zu der Besonnenheit, zu der wir verpflichtet sind, einen von einer ganz ungewöhnlichen Vorgeschichte, gehört, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, zum anderen von Umständen begleitet sind, die ebenso auch ein verantwortlicher Umgang mit der Wahrheit, ungewöhnlich wie hoffentlich einmalig bleiben. gerade in dieser Debatte und heute. Wer hier in Wir, die Verantwortlichen in Bund und Ländern, diesem Saal oder außerhalb sagt, Gegenstand der haben seit mehr als anderthalb Jahrzehnten um eine Debatte sei die Abschaffung des Asylrechts in der verantwortbare Steuerung für Zuwanderung gerun- Bundesrepublik Deutschland, der sagt nicht die Wahr- gen. Nach langen, qualvollen Beratungen, Diskussio- heit. nen, Auseinandersetzungen, Versuchen, gemein- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. same Wege zu finden, sind wir heute an dem Punkt sowie bei Abgeordneten der SPD) angelangt, abschließend beraten und entscheiden zu Nachdem die Diskussionen so lange geführt worden können. sind, muß man vermuten, daß jemand dann gegen Zugleich muß ein großes Polizeiaufgebot — ich besseres Wissen nicht die Wahrheit sagt. hoffe, daß es wirklich einmalig ist, daß wir ein solch Die Entscheidung, die wir zu treffen haben, ist großes Polizeiaufgebot brauchen — die Integrität wichtig für den inneren Frieden in unserem Land, für unserer parlamentarischen Beratungen und Entschei- das friedliche, gute Miteinander von deutschen und dungen sicherstellen. Wen könnte das nicht bedrük- ausländischen Mitbürgern und für unsere Fähigkeit, ken? auch in Zukunft Verfolgten Schutz, Zuflucht, Auf- Deswegen ist mein erstes Wort an dieser Stelle ein nahme zu bieten. Es leben in der Bundesrepublik Dank an die Polizeibeamten und die Sicherheits- Deutschland 6,5 Millionen Ausländer. Sie leben ganz kräfte, überwiegend — das muß auch so bleiben oder höch- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. stens noch besser werden — f riedlich und freundlich sowie bei Abgeordneten der SPD) mitten unter uns. Es wird auch nach der Entscheidung des heutigen Tages keine Abschottung der Bundesre- die heute einen schweren Dienst tun müssen, die publik Deutschland gegenüber ausländischen Mit- provoziert werden und sich nicht provozieren lassen bürgern, solchen, die zu uns kommen wollen und zu dürfen und die nicht nur uns, sondern auch den uns kommen werden, geben. freiheitlichen Rechtsstaat schützen. Es werden in den nächsten Jahren — völlig unab- Mein zweites Wort ist eine Mahnung zur Besonnen- hängig von dem, was wir entscheiden — 200 000 bis heit und zur Verantwortung, eine Mahnung an alle: 250 000 zusätzliche ausländische Mitbürger jedes innerhalb dieses Saales und außerhalb unseres Parla- Jahr allein im Wege des Familiennachzugs auf Grund ments. bestehender Regelungen unseres Ausländerrechtes Ich möchte am Beginn dieser Debatte gerne die zu uns kommen. Wir haben in den letzten Jahren über Erklärung unseres Bundespräsidenten zitieren, der 300 000 Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsgebiet im Anfang dieser Woche erklärt hat: ehemaligen Jugoslawien in Deutschl and aufgenom- Im Laufe der Woche berät der Deutsche Bundes- men, mehr als jedes andere europäische Land. Wir tag über das Asylrecht. Wir dürfen alle davon haben uns im Bewußtsein unserer Verpflichtung ausgehen, daß dies in tiefem Bewußtsein der gegenüber denjenigen unserer Landsleute, die durch leidvollen Erfahrungen geschieht, die uns unsere Diktatur und Krieg in diesem Jahrhundert mehr zu eigene Geschichte über die elementare Bedeu- leiden hatten als die meisten von uns, verabredet, daß tung des Rechtes auf Asyl lehrt. Ein Zeichen dafür wir auch in Zukunft Aussiedler, die zu uns kommen sind die ernsten Auseinandersetzungen der ver- wollen, in einer Größenordnung wie in den letzten gangenen Monate zu diesem Thema. Jetzt stehen Jahren, zwischen 200 000 und 230 000 Jahr für Jahr, die Entscheidungen dort an, wo sie nach unserer aufnehmen werden. Verfassung hingehören: im Bundestag und im (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Bundesrat. Eindringlich sowie der Abg. Gerlinde Hämmerle [SPD]) — so der Bundespräsident — Wer vor diesem Hintergrund davon redet, die Bun- bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger, die Bera- desrepublik Deutschland solle abgeschottet werden, tungen und Beschlüsse dieser Verfassungsor- redet gegen besseres Wissen. Er sagt nicht die Wahr- gane mit Aufmerksamkeit zu verfolgen und mit heit; er redet falsch Zeugnis. Besonnenheit zu begleiten. Jeder Versuch, Bun- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) destag oder Bundesrat von außen mit rechtswid- rigen Mitteln unter Druck zu setzen oder gar Vor diesem Hintergrund können wir der Tatsache Gewalt auszuüben, wäre nur ein Anschlag auf nicht ausweichen, daß im vergangenen Jahr zusätz- unsere Verfassung, er würde keinem Asylbewer- lich 440 000 Menschen unter Berufung auf das Recht ber nützen und am Ende vor allem den Auslän- auf Asyl zu uns nach Deutschland gekommen sind, dern und denen schaden, die auf Achtung und von denen die allermeisten nicht tatsächlich politisch Schutz ihrer Menschenwürde unter uns angewie- verfolgt sind. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen sen sind. müssen wir der Tatsache ins Auge sehen, daß Monat für Monat in diesem Jahr 1993 50 000 unter Berufung Ich denke, wir alle sollten uns diese Ermahnung auf das Recht auf Asyl, obwohl sie ganz überwiegend unseres Staatsoberhauptes zu eigen machen. nicht politisch verfolgt sind, Aufnahme in 'der Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. republik Deutschland suchen und für einen zu langen sowie bei Abgeordneten der SPD) Zeitraum finden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13505

Dr. Wolfgang Schäuble Wir wissen aus den anderthalb Jahrzehnten, in fassung auf dieser Erde, die dies tut —, dann braucht denen wir um dieses Problem und mit diesem Problem man sich hinterher nicht zu wundern, wenn zwei ringen, daß es ohne eine Ergänzung unseres- Grund- Drittel aller Asylbewerber in Europa nach Deutsch- gesetzes eine zureichende Steuerungsmöglichkeit land kommen. Das ist der Grund, warum ohne eine nicht gibt. Wir, die Verantwortlichen von Bund und Grundgesetzänderung dieses nicht zu erreichen ist. Ländern, haben in diesen anderthalb Jahrzehnten Wer die Singularisierung der Bundesrepublik alles versucht, was ohne Änderung des Grundgeset- Deutschland beseitigen will, der muß unseren grund- zes möglich war. rechtlichen Schutz für politisch Verfolgte an das Niveau der Schutzgewähr der internationalen Staa- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — tengemeinschaft, wie es in der Genfer Konvention Widerspruch bei der SPD) seinen Ausdruck findet, anpassen. Nichts anderes ist — Liebe Kolleginnen und Kollegen von der sozialde- der Gegenstand der heutigen Beratung und Entschei- mokratischen Bundestagsfraktion, unglücklicher- dung. weise tragen Ihre Parteifreunde in einem Großteil der Bundesländer derzeit Verantwortung. Reden Sie ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mal mit denen! Wir haben die Asylgesetze, die Asyl- Wer dies als Abschaffung des Schutzes für Verfolgte verfahrensgesetze, ein dutzendmal geändert, Verfah- bezeichnet, der behauptet, daß der Rest der zivilisier- ren beschleunigt, Arbeitsverbote eingeführt und wie- ten Staaten dieser Erde politisch Verfolgte nicht der abgeschafft — es hat am Ende alles nicht genützt, schützt. Dazu haben wir Deutsche am Ende dieses und es reicht schon gar nicht, liebe Kolleginnen und Jahrhunderts nun wirklich keinen Grund. Ich denke, Kollegen, ohne eine Änderung des Grundgesetzes, daß auch in der Asylpolitik am deutschen Wesen die seit der Eiserne Vorhang weggefallen ist und Europa Welt nicht genesen sollte; vielmehr sollten wir uns und Deutschland nicht mehr teilt. vielleicht etwas mehr vergewissern, was andere im (Freimut Duve [SPD]: Das ist aber nicht seit Schutz für Verfolgte weltweit für richtig, notwendig, eineinhalb Jahrzehnten! — Weitere Zurufe angemessen und vertretbar halten. von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) — Nein, aber in anderthalb Jahrzehnten — — Ich Nur so können wir Mißbrauch bekämpfen, den es in könnte Ihnen, Herr Duve, Erklärungen der früheren einem zu großen Umfang gibt. Nur so, verehrte Bundesregierung, Beschlußfassungen der Regierung Kolleginnen und Kollegen, können wir im übrigen Schmidt hier vorlesen. Auch Sie kennen sie. Es lohnt den kriminellen Organisationen, die Schlepperban- sich doch nicht! den heißen und die Menschenhandel betreiben, die Wir, die CDU/CSU und die F.D.P., die Koalition, Geschäftsgrundlage entziehen, indem wir die beson- haben immer gesagt — und zwar schon vor dem dere verfassungsrechtliche Situation in Deutschland Wegfall des Eisernen Vorhangs, als wir noch gar nicht an den europäischen und weltweiten Standard anpas- zu hoffen gewagt haben, daß 1989 so Glückliches in sen. Deutschland und Europa stattfinden werde —, daß mit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. der Abschaffung der Binnengrenzen in Europa eine sowie Beifall der Abg. Gerlinde Hämmerle Harmonisierung des Asylrechts in Europa zwingend [SPD]) notwendig werden wird, die ebenfalls nicht ohne eine Grundgesetzänderung möglich ist. Auch dieses haben Ich habe schon gesagt, und ich wiederhole es: Dies wir schon Mitte der 80er Jahre gewußt und gesagt. alles bedeutet nicht, daß wir die Bundesrepublik Offene Grenzen in Europa ohne Kontrollen erzwingen Deutschland gegenüber irgendjemandem abschot- eine gemeinsame Asyl- und Zuwanderungspolitik in ten. Auch das sich einigende Europa schottet sich der Europäischen Gemeinschaft. nicht ab. Wir verlagern mit der Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, unsere Probleme auch nicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge auf unsere Nachbarn in Europa. Auch dies ist nicht ordneten der F.D.P.) wahr. Es werden auch in Zukunft, nach der Änderung Anders ist auch an dem Tatbestand nichts zu oder Ergänzung des Art. 16 unseres Grundgesetzes, ändern, daß bis zum heutigen Tag zwei Drittel aller noch genügend Verfolgte und Nichtverfolgte in die Asylbewerber, die nach Europa kommen, in die Bun- Bundesrepublik Deutschland kommen. desrepublik Deutschland kommen. (Zurufe von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir wollen mit unserer Regelung, mit der wir uns Der Grund dafür, rechtlich jedenfalls, liegt ganz anpassen an das Niveau der Schutzgewähr aller einfach darin — damit sind wir beim Kern unserer anderen zivilisierten Staaten, insbesondere der euro- Beratung und Entscheidung —, daß unser Grundge- päischen Staaten, ja nichts anderes als eine faire setz in Art. 16 seiner noch geltenden Fassung einen Lastenverteilung in Europa erreichen, die wir aber weiterreichenden Schutz für politisch Verfolgte bietet erst erreichen können, wenn wir eben nicht mehr als die Genfer Flüchtlingskonvention, deren Mitglied Schutz gewähren als alle anderen. wir wie alle anderen zivilisierten Staaten dieser Erde Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dann sind. wäre das zwischen der Bundesregierung und der Wenn nur ein einziges Land, die Bundesrepublik Regierung der Republik Polen geschlossene Abkom- Deutschland, in seiner verfassungsrechtlichen men der letzte Beweis, daß wir unsere Nachbarn, die Schutzgewähr über die Schutzgewähr der Genfer weiter östlich gelegen sind, gerade nicht mit den Konvention hinausgeht — es gibt keine zweite Ver Problemen alleine lassen wollen. 13506 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Wolfgang Schäuble In diesem Abkommen sichern wir unseren polni- gen und zum Asylrecht vom 26. November vergange- schen Nachbarn nicht nur Hilfe bei der Bewältigung nen Jahres heißt es: „Die Unsicherheit nimmt zu. Dies der Probleme zu, sondern wir sichern auch ausdrück-- ist der Nährboden, auf dem Aggression und Protest lich zu, daß, wenn Polen morgen — so wie heute wachsen und Fremde oft zum Sündenbock gemacht Deutschland — mit zu vielen Asylbewerbern überfor- werden." Wenn dies so ist, dann müssen wir diesen dert sein sollte, wir einen Teil dieser Flüchtlinge oder Nährboden bekämpfen, indem wir dieser Verunsiche- Asylbewerber aus Polen in Deutschland weiterhin rung entgegenwirken. aufnehmen wollen, weil wir auch Polen mit den Wir schulden unseren Bürgern, wenn wir die Frei- Problemen nicht alleine lassen wollen. Nur, auch wir heit stabil halten wollen, eine Ordnung, die das Deutschen dürfen uns mit den Problemen mitten in friedliche Zusammenleben der Menschen sicherstellt. Europa nicht alleine lassen. Nur wenn wir unseren Bürgern das Gefühl geben und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bewahren, daß dieser freiheitliche Rechtsstaat in der Eine faire Lastenverteilung im europäischen Zu- Lage ist, eine solche Ordnung des Zusammenlebens zu garantieren, schaffen wir die notwendigen und sammenhang ist eine notwendige Voraussetzung unverzichtbaren Grundlagen für Toleranz und für dafür, daß wir auch eine europäische Gemeinsamkeit entspanntes Miteinander von Deutschen und Auslän- und Zusammenarbeit in der Ursachenbekämpfung dern in diesem Land. Nur wenn wir die Zuwanderung dieser Flucht- und Wanderungsbewegungen errei- nach Deutschland besser steuern und begrenzen chen. können, als es bisher möglich ist, sichern wir auch für Sie haben es mir lange nicht geglaubt, aber wenn die Zukunft ein friedliches und freundliches Mitein- Sie sich heute in der südlichen Oberrheinebene mit ander von deutschen und ausländischen Mitbür- Ausländer- oder Polizeibehörden unterhalten, dann gern. wissen Sie, daß diese ganz überwiegend damit Der frühere Bundeskanzler hat in beschäftigt sind, daß Hunderte von sogenannten Asyl- seiner Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 — so bewerbern aus Algerien Woche für Woche über die lange ist das her: mehr als 20 Jahre — davon gespro- französisch-deutsche Grenze nach Deutschland kom- chen, daß es notwendig geworden ist, daß wir sehr men und nicht zurückgeschoben werden können sorgsam überlegen, wo die Aufnahmefähigkeit unse- — obwohl Frankreich sie selbstverständlich zurück- rer Gesellschaft erschöpft ist und wo soziale Vernunft nehmen könnte —, weil unser Grundgesetz uns daran und Verantwortung Halt gebieten. hindert. Das ist doch ein Mißbrauch in der europäi- schen Situation, den wir ändern müssen. Ihr früherer Fraktionsvorsitzender Herbert Wehner hat am 15. Februar 1982 in einer Sitzung des SPD- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Parteivorstands gesagt: Wenn wir Ursachen besser bekämpfen wollen, Wenn wir uns weiterhin einer Steuerung des können wir das nur in europäischer Gemeinsamkeit Asylproblems versagen, dann werden wir eines tun. Niemand macht sich eine Illusion darüber, daß bei Tages von den Wählern, auch unseren eigenen, den dramatischen Ungleichgewichten zwischen Ost weggefegt, dann werden wir zu Prügelknaben und West in Europa und Süd und Nord auf dieser gemacht werden. Ich sage euch: Wir sind am einen Erde die globalen Verteilungskämpfe dramati- Ende mit schuldig, wenn faschistische Organisa- scher werden und daß in diesen Wanderungsbewe- tionen aktiv werden. Es ist nicht genug, vor gungen ein Risiko innen- wie außenpolitisch für die Ausländerfeindlichkeit zu warnen; wir müssen Stabilität der freiheitlichen Demokratien Europas die Ursachen angehen, weil uns sonst die Bevöl- liegt. Wir sollten mehr als bisher unsere Anstrengun- kerung die Absicht, den Willen und die Kraft gen darauf konzentrieren. abspricht, das Problem in den Griff zu bekom- Nur, um in anderen Ländern Not und Elend besser men. zu bekämpfen, brauchen wir neben europäischer Sie hätten vielleicht früher auf Ihre früheren Vorsit- Zusammenarbeit auch die Erhaltung der Vorausset- zenden von Partei und Fraktion hören sollen. zungen für die Handlungsfähigkeit unserer Bundesre- publik Deutschland. Das heißt, wir müssen die innere (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Stabilität unseres freiheitlichen Rechtsstaats bewah- ordneten der F.D.P.) ren. Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich finde, Unsere Verantwortung gebietet eben, nicht nur es ist heute nicht der Tag zum Nachkarten. nach vielleicht edlen Motiven und hehren Zielen zu fragen, sondern auch die Folgen unseres Tuns und (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) unseres Unterlassens zu bedenken. So müssen wir vorausschauend handeln und erkennbaren Gefähr- — Wenn Sie sich in einer so schwierigen Debatte, in dungen rechtzeitig begegnen. Verehrte Kolleginnen der Sie sich auch miteinander und untereinander und Kollegen, ob wir heute noch rechtzeitig sind, ist schwertun, an Worte Ihrer früheren Partei- und Frak- die Frage. Es ist eher zu spät als zu früh. tionsvorsitzenden erinnern lassen, so hoffe ich, daß dies auch für Ihre eigene Entscheidungsfindung ein (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge hilfreicher Beitrag ist. ordneten der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU) In der gemeinsamen Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rats der Evangelischen Wenn Sie in der Lage wären, in der die Mitglieder Kirche in Deutschland zur Aufnahme von Flüchtlin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion — mich selbst ein- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13507

Dr. Wolfgang Schäuble geschlossen — sind, also über mehr als eineinhalb uns auch in den kommenden Jahren beschäftigen, Jahrzehnte gewarnt, gebeten, gemahnt, gedrängt, denn die Ursachen für die anhaltende Fluchtbewe- gerungen hätten und bis zum heutigen Tag -immer gung von Ost nach West und von Süd nach Nord wieder an Ihrem Widerstand gescheitert wären, dann verschwinden nicht von heute auf morgen. Es wird könnten Sie verstehen, welches Maß an Selbstdiszi- lange dauern, bis sich in den Nachfolgestaaten der plin und Zurückhaltung für uns heute erforderlich ehemaligen Sowjetunion stabile rechtsstaatliche und ist. demokratische Strukturen bilden. Das enorme Wohl- (Beifall bei der CDU/CSU) standsgefälle wird sich gewiß nicht in wenigen Jahren Wenn Sie das Entsetzliche, was sich außerhalb einebnen lassen. Die Welt ist geteilt in arm und reich. dieses Hauses zur Stunde vollzieht, Europa bleibt geteilt durch eine Wohlstandsgrenze. Sie verläuft an der Ostgrenze der Bundesrepublik (Zurufe von der SPD: Was denn?) Deutschland. und den Schaden, der für das friedliche Zusammenle- Wir eignen uns schlecht als Grenzland in einem ben von deutschen und ausländischen Mitbürgern in faktisch weiterhin geteilten Europa, denn wir, die den letzten Jahren eingetreten ist, weil man unseren Deutschen, im Zentrum Europas lebend, durchlaufen Mahnungen und Warnungen und Forderungen lange zur Zeit selber eine Phase der Instabilität. Wir sind nicht gefolgt ist, bedenken, sollten wir uns schnell wieder ein Land, ein Volk. Aber dieses Volk lebt in darauf konzentrieren. unterschiedlichen Wirklichkeiten. Heute wissen wir: (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wollen Sie Es wird länger dauern, bis zusammengewachsen ist, uns zur Ablehnung zwingen?) was zusammengehört, eine Generation mindestens; — Nein, ich möchte Sie einladen, die Debatte und die und das trotz des massiven Finanztransfers von West Entscheidung mit dem notwendigen Ernst und mit der nach Ost in Höhe von 150 Milliarden Mark pro Jahr notwendigen Verantwortung zu führen. und mehr. (Beifall von der CDU/CSU) Wenn es aber schon in Deutschland so lange dauern Ich möchte insbesondere diejenigen, die das, was wird, bis die innerdeutsche Wohlstandsgrenze ver- heute zur Entscheidung ansteht, ablehnen wollen, schwindet, um wieviel länger wird es in Europa bitten, so viel Respekt vor der Meinung der Anders- dauern, da doch die Hilfe von Westeuropa und Osteu- denkenden auch in der Debatte aufzubringen, wie wir ropa und, um auch dies zu sagen, die des reichen sie vor Ihrer anderen Meinung immer aufgebracht Nordens für den armen Süden bei weitem geringer ist haben und auch in dieser heutigen Debatte aufbrin- als die Hilfe von Deutschland (West) allein für gen werden. Deutschland (Ost). (Lachen bei der SPD) Wir alle wissen es und müssen es gerade heute Wir haben intensive Gespräche zwischen den Ver- aussprechen: Das Problem der Zuwanderung wird uns antwortlichen der Fraktionen geführt, und vor allem weiter beschäftigen, und zwar massiv. Nach einer die Kolleginnen und Kollegen im Innenausschuß die- Umfrage der Europäischen Gemeinschaft wollen in ses Hauses haben in den zurückliegenden Wochen den nächsten Jahren rund 20 Millionen Osteuropäer und Monaten intensive Beratungen geführt, für die ich sicherlich oder wahrscheinlich nach Westeuropa aus- mich bei allen Kolleginnen und Kollegen aller Frak- wandern. Wie viele im Süden auf gepackten Koffern tionen bedanken möchte. sitzen, wissen wir nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Wenn es so ist und wenn es so bliebe, daß rund 70 % ordneten der F.D.P. und der SPD) aller Zuwanderer aus Osteuropa in die Bundesrepu- Ich sage noch einmal: Wir sollten diese Debatte in blik Deutschland kommen, dann gewinnt man ein Respekt auch vor den Argumenten des jeweils Gefühl für die wirkliche Dimension des Problems. Es Andersdenkenden führen. Aber das gilt auch für ist nicht lösbar, es ist nur steuerbar. Aber wie? Die diejenigen, die seit langem überzeugt sind, daß ohne Wanderung einfach geschehen lassen, das geht nicht. eine Änderung des Grundgesetzes der innere Frieden Die Mauer und die mit Stacheldraht und Minen in diesem Lande nicht zu bewahren ist. Wenn wir im gesicherten Grenzen will niemand wiederaufrichten. gegenseitigen Respekt und im Bewußtsein um unsere Was wir tun müssen, ist klar: Wir müssen unseren Verantwortung diese Debatte heute führen und ent- Nachbarn im Osten Europas beim Aufbau demokrati- scheiden, dann dienen wir dem inneren Frieden, dann scher und marktwirtschaftlicher Strukturen helfen; dienen wir dem friedlichen Zusammenleben von mit „wir" meine ich die Deutschen, die Westeuropäer, deutschen und ausländischen Mitbürgern, dann die- die Amerikaner, die Japaner. Weit über 50 % aller nen wir unserem freiheitlichen Rechtsstaat. Darum Hilfe für Ost- und Südosteuropa ist bisher aus möchte ich Sie bitten. Tun wir unsere Pflicht! Deutschland gekommen. Ich beklage das nicht, sage aber: Die anderen müssen mehr tun. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir alle müssen mehr tun, um dem Süden zu helfen, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht damit er Anschluß gewinnt an die Entwicklung in der der Abgeordnete Hans-Ulrich Klose. sogenannten Ersten Welt. Fluchtursachen bekämp- fen! Das ist das Thema. Hans-Ulrich Klose (SPD): Frau Präsidentin! Meine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema wird der CDU/CSU und der F.D.P.) 13508 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Hans-Ulrich Klose Gefragt sind nicht Bekenntnisse, sondern Handlun- Meinerseits einige Anmerkungen zu dem neuen gen. Darüber, was im einzelnen zu tun ist, haben uns Art. 16 a der unter verfassungsästhetischen Gesichts- die Entwicklungspolitiker wiederholt informiert. Wir punkten nicht eben ein Meisterwerk geworden ist. sollten auf sie hören. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist (Beifall bei der SPD) wahr!) Ich will hinzufügen, daß das Thema „Flucht und Aber das war für uns auch nicht entscheidend. Ent- Fluchtursachen „ natürlich auch eine militärische scheidend ist, daß der Abs. 1 noch immer lautet: Seite hat. Die hohe Zahl von Kriegs- und Bürger- Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. kriegsflüchtlingen beweist es. Darüber zu reden, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten würde Sinn machen, denn dann ginge es um Hilfe und der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht um die den Außenminister so sehr bedrückende Frage des außenpolitischen Gewichts der Bundesre- Damit ist das Asylrecht als Individualrecht erhalten, publik Deutschland, um das Mitreden und das Dabei- was niemand in seiner Bedeutung unterschätzen sein-Dürfen. sollte. Daraus folgt nämlich, daß wir politisch Verfolg- (Beifall bei der SPD) ten das individuelle Asylrecht sichern müssen, entwe- der bei uns oder bei anderen, mit denen wir in Über Hilfe für Menschen wäre mit Sozialdemokraten Asylfragen zusammenarbeiten. allemal zu reden; Prestigeprobleme — auch außenpo- litische — interessieren uns weniger. Sichere Herkunftsländer und sichere Drittstaaten können nicht beliebig benannt werden. Es müssen (Beifall bei der SPD) bestimmte Kriterien erfüllt sein. Das Verfassungsge- richt kann nachprüfen, ob diese Kriterien erfüllt „Hilfe für Menschen" kann nicht bedeuten, daß wir sind. alle, die in Not sind, bei uns aufnehmen. Das schaffen wir nicht; das überfordert uns tatsächlich und emo tio- Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft gehö- nal. ren dazu. Dort werden die Genfer Flüchtlingskonven- tion und die Europäische Menschenrechtskonvention Dabei lege ich übrigens auf folgende Feststellung akzeptiert und angewendet. Gleiches gilt jedenfalls Wert: Etwa 70 % der Bevölkerung — eher mehr — für Polen, die Tschechische Republik, Österreich, die wollen, daß wir unser Asylrecht ändern. Diese 70 % als Schweiz und die skandinavischen Länder. Alle diese zumindest tendenziell ausländerfeindlich einzustufen Staaten sind heute nach übereinstimmender Beurtei- halte ich für absolut falsch. Ich bestreite den Wahr- lung sichere Drittstaaten. In allen wird das Asylrecht heitsgehalt solcher Behauptungen. für politisch Verfolgte gewährleistet. Es gibt geord- nete Verfahren und vergleichbare Standards. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.) Es ist deshalb angemessen, wenn im Verhältnis zu diesen Staaten nach dem Stellvertreterprinzip verfah- Wir Deutschen leben schon seit vielen Jahren mit ren wird. Geprüft, bejaht oder abgelehnt wird das vielen Menschen aus anderen Ländern und Kontinen- Asylrecht in dem Schengen- oder Drittstaat, den der ten zusammen — zumeist f riedlich und freundlich. Wir Asylbewerber zuerst erreicht. Ein Asylrecht und, vor- sprechen von ausländischen Mitbürgerinnen und geschaltet, ein Recht auf ein Verfahren in einem L and Mitbürgern. Und das ist keine Redewendung; wir ihrer Wahl gibt es aber für Asylbewerber nicht. Das ist meinen es so. die entscheidende Einschränkung gegenüber der bis- Dennoch gibt es bei vielen Menschen eine zuneh- herigen Regelung. Diese Einschränkung muß sein, mende Angst vor Überforderung und Wohlstandsver- weil sich sonst nichts ändert, da andernfalls weiterhin lusten durch die massenhafte mißbräuchliche Inan- bei allen, die in die Bundesrepublik Deutschland spruchnahme des Asylrechts. Und wer wollte bestrei- kommen, hier geprüft und hier entschieden werden ten, daß es die gibt? muß. Das widerspräche der Systema tik von Schengen und Dublin. Dies widerspräche, um dies ebenfalls zu (Zuruf von der F.D.P.: Sehr richtig!) sagen, auch der Beschlußlage meiner Partei, die die Drittstaatenregelung durch Beschluß des Bonner Par- Die Menschen hier wollen, daß wir dies und die teitags im November 1992 ausdrücklich akzeptiert ungebremste Zuwanderung stoppen. Sie wollen ganz hat. überwiegend aber auch, daß wir das Asylrecht für wirklich politisch Verfolgte sichern. Sie wissen, meine Damen und Herren, und haben es mit Sorge und mit Häme begleitet: Nicht wenige (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hatten der CDU/CSU und der F.D.P.) schon mit diesem Bonner Parteitagsbeschluß ihre Schwierigkeiten. Der Asylkompromiß, auf den wir uns im Dezember vergangenen Jahres geeinigt haben und den wir (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Selber heute gesetzgeberisch in zweiter und dritter Lesung schuld!) umsetzen, versucht, das zu leisten. Manch einer hat deswegen die Partei verlassen, Drei Teile sind zu unterscheiden: der geänderte manch einer nach vielen Jahren der Mitgliedschaft. Art. 16, jetzt 16a des Grundgesetzes, die verfahrens- Darüber mit einem Achselzucken zur Tagesordnung rechtlichen Begleitgesetze und das Asylbewerberlei- überzugehen ist meine Sache nicht, stungsgesetz. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13509

Hans-Ulrich Klose zumal da ich für die Motive derer, die für die Beibe- Parteien — das wissen wir inzwischen, wie ich hoffe — haltung der gegenwärtigen Regelung plädieren, sehr nützt das nicht, nur den Rattenfängern von rechts. wohl Verständnis habe. Deren Geschäft sollten wir aber wahrlich nicht betrei- ben. Der alte Art. 16 ist doch nicht zufällig in unser Grundgesetz geraten. Dafür gab und gibt es gute (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten historische und politisch-moralische Gründe. Ich der CDU/CSU und der F.D.P.) nehme diese Gründe ernst, ich verstehe sie und respektiere sie. Noch vor zwei Jahren habe ich ähnlich Dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des argumentiert wie jene knapp hundert Kolleginnen Grundgesetzes werden wir mehrheitlich zustimmen. und Kollegen der SPD-Fraktion, die dem Asylkompro- Die Zustimmung ist uns durch die zur Umsetzung der miß heute nicht zustimmen werden. sogenannten Drittstaatenregelung notwendige Ver- einbarung mit Polen möglich gemacht worden. Wir Ich bitte aber auch um Respekt für die anderen, für haben das Zustandekommen einer solchen Vereinba- die Mehrheit der Fraktion, die wie ich angesichts der rung nicht zum Junktim erklärt, aber doch von Anfang tatsächlichen Entwicklung ihre Position geändert an deutlich gemacht, daß ohne eine solche Vereinba- haben und heute für eine Änderung des Grundgeset- rung mit unserer mehrheitlichen Zustimmung nicht zu zes stimmen werden. Auch wir wollen das Asylrecht rechnen sei. Die Bundesregierung hat das ernst für politisch Verfolgte erhalten. genommen und die Verhandlungen mit Polen unver- züglich begonnen und zu einem auch aus unserer (Beifall des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD]) Sicht guten Ergebnis geführt. Das ist ein großer und Wir fürchten aber, daß es am Ende in der Massenhaf- wichtiger Schritt; denn erstens wollten wir nicht den tigkeit der Zuwanderung verlorengeht, weil es wegen Eindruck entstehen lassen, wir, die Deutschen, wür- Überlastung und Überforderung weder rechtlich noch den unsere Probleme zu Lasten unseres östlichen tatsächlich gewährleistet werden kann. Nachbarn lösen. Zweitens wollten wir mit einer Ver- einbarung mit Polen einen Einstieg schaffen in das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten von uns angestrebte europäische Verteilungs- und der CDU/CSU und der F.D.P.) Lastenverteilungsverfahren. 438 191 Asylbewerber waren es im vergangenen Wir brauchen eine solche europäische Lösung. Wir Jahr, allein in Hamburg 20 460. Das sind etwa so viele, wußten und wissen aber, daß wir sie ohne Änderung wie im vergangenen Jahr in Großbritannien Auf- unserer Rechtslage nicht bekommen. Die Vereinba- nahme gefunden haben — woraufhin dort das Asyl- rung mit Polen hat, wenn Sie so wollen, Pilotfunktion. recht verschärft wurde. 161 324 kamen in den ersten Weitere Vereinbarungen, bilateral und multilateral, vier Monaten dieses Jahres, davon 7 861 nach Ham- müssen folgen, vor allem mit der Tschechischen burg, das ich nur beispielhaft für andere Kommunen Republik, mit der Slowakischen Republik und mit nenne. Wir alle wissen, daß die Kommunen es nicht Ungarn. mehr schaffen. Es gibt keine Wohnungen mehr, keine leerstehenden Häuser, keine Hotel- oder Heimplätze. Ich möchte übrigens die Gelegenheit nutzen, nicht Auf Schiffen wohnen die Menschen auf engstem nur der Bundesregierung zu bestätigen, daß sie im Raum und in Containerdörfern, für die es inzwischen Falle Polen fair verhandelt hat, sondern auch ganz kaum noch geeignete und erschlossene Flächen ausdrücklich der polnischen Regierung für ihr außer- gibt. ordentliches Verständnis für unsere deutschen Pro- bleme zu danken und für die Bereitschaft, mit uns bei Von den finanziellen Belastungen, die mit diesem der Lösung dieser Probleme zusammenzuarbeiten. Zustrom verbunden sind, will ich nicht reden. Von den Folgen aber muß geredet werden, die das alles für die (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der eigene Bevölkerung hat. Wer z. B. in Hamburg in F.D.P.) einem Stadtteil mit hohem Asylbewerberanteil lebt, der spürt die Auswirkung sehr direkt und sehr kon- Ich bin übrigens nach einem Besuch in Prag und kret. Die Menschen do rt sind nicht etwa ausländer- Bratislava sicher, daß wir auch mit den dortigen feindlich, aber ihre Lebensverhältnisse verschlech- Regierungen zu Vereinbarungen gelangen können, wenngleich sich dort wegen der erst kürzlich erfolgten tern sich oft in bedrückender Weise; sie fühlen sich bedroht, persönlich und sozial. Teilung des Landes zusätzliche Schwierigkeiten erge- ben. Immerhin, die Bereitschaft, mit uns bei der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Lösung des Zuwanderungsproblems zusammenzuar- der CDU/CSU und der F.D.P.) beiten, ist auch dort vorhanden. Das Verhandlungsan- gebot gegenüber der Tschechischen Republik liegt Es wäre nicht richtig, das alles zu leugnen. Es ist vor. Es erscheint uns fair. gefährlich, einfach untätig zuzusehen, wie sich die Verhältnisse entwickeln. Es gefährdet am Ende — das Meine Damen und Herren, es gibt, wie Sie wissen, ist meine sehr konkrete Angst — die Stabilität unserer einen Punkt, der uns die Zustimmung zu den asyl- Demokratie, rechtlichen Begleitgesetzen sehr schwer macht. Ich rede von dem vielzitierten § 34a Abs. 2, der es den (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Verwaltungsgerichten verbietet, Asylbewerbern, die bei Abgeordneten der F.D.P.) in einen sicheren Drittstaat abgeschoben werden zumal da die Versuchung, mit diesen Problemen und sollen, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren. Wir den damit verbundenen Ängsten und Sorgen politisch haben darüber lange geredet und verhandelt, leider Schindluder zu treiben, groß ist. Den demokratischen ohne Ergebnis. Dabei sehe ich sehr wohl, daß die 13510 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Hans-Ulrich Klose Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die Wirksam- Eines muß aber klar sein: Eine Lösung des Asylpro- keit der gesamten Drittstaatenregelung in Frage stel- blems in dem Sinne, daß künftig keine Menschen len könnte. Sie muß beschränkt sein — ist es auch nach mehr kommen, gibt es nicht. unseren Vorstellungen — auf ganz besondere Aus- (Zustimmung bei der SPD) nahmefälle. Das haben wir immer gesagt, hier im Plenum und auf Die Möglichkeit gänzlich auszuschließen und die der Straße. Wir wiederholen es heute. Wir können das Betroffenen allein auf das Bundesverfassungsgericht Problem nicht lösen, wir können es nur begrenzen und als erste und einzige Instanz zu verweisen ist verfas- damit beherrschbar machen. sungsrechtlich höchst problematisch, um es milde zu Nun die zweite und letzte Anmerkung: Ich bin formulieren. gestern nach den Beratungen und nach der Abstim- (Beifall bei der SPD) mung in der eigenen Fraktion gefragt worden, ob ich Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, froh und zufrieden mit dem Ergebnis sei. Ich habe sollten das noch einmal bedenken; denn das Risiko, diese Frage nicht beantworten können, kann es auch vom Verfassungsgericht alsbald korrigiert zu werden, heute nicht. Wie könnte ich froh sein über eine erscheint mir be trächtlich. Entscheidung, bei der mein inneres Abstimmungsver- hältnis ähnlich gespalten ist wie das der Fraktion? Auf ein ungelöstes Problem möchte ich Sie aufmerk- Vielleicht sind die inneren Mehrheitsverhältnisse sam machen. Wir haben uns in dem Asylkompromiß etwas günstiger. vom Dezember vergangenen Jahres darauf geeinigt, einen besonderen Status für Bürgerkriegsflüchtlinge Aber das will ich sagen: Froh und ungeteilt glück- lich ist bei uns niemand mit der zu treffenden Ent- zu schaffen. Kriegs - und Bürgerkriegsflüchtlinge sind keine Asylbewerber. Sie werden aber immer noch scheidung. Bei uns allen bleiben Zweifel, mehr oder künstlich in das Asylverfahren hineingedrückt, weil weniger stark, aber doch unüberhörbar. Darauf wollte sonst die finanziellen Lasten allein bei den Kommu- ich im bewußten Gegensatz zu jenen hinweisen, die nen hängenbleiben. hier und draußen auf der Straße, immer ganz genau und sicher wissen, was richtig und moralisch ist. (Beifall bei der SPD) (Lebhafter Beifall bei der SPD — Beifall bei Das genau wollten wir ändern. Wir schaffen es aber der F.D.P.) nicht, solange die Frage der Finanzierung nicht gelöst Zufrieden? Na schön, unzufrieden bin ich nicht. ist. (Zustimmung bei der CDU/CSU) Ich sehe bisher leider weder beim Bund noch bei Es war ein langer Weg seit jener Debatte vom Ap ril den Ländern die Bereitschaft, sich über diese Frage zu 1992, als wir schon einmal nahe beieinander schienen, verständigen. Bei den Solidarpaktverhandlungen hat bis heute. Heute schaffen wir es, hoffe ich, ein Stück man das Problem — wie soll ich sagen? — vergessen, notwendiger Veränderung oder Anpassung an verän- und jetzt fühlt sich keiner angesprochen. Das ist nicht derte Wirklichkeiten. Daß dies möglich ist, sollte in Ordnung; denn ganz abgesehen davon, daß wir die beachtet werden. Kommunen nicht einfach hängenlassen können, auf diese Art und Weise wird ein Teil des Asylkompromis- Denen, die die schwierige Arbeit in Verhandlungs- ses unterlaufen. runden, Arbeitsgruppen und Ausschüssen geleistet haben, gilt jedenfalls Dank und Anerkennung. Ich (Beifall bei der SPD) nenne als ein Beispiel aus meiner Fraktion den Kolle- Die Asylbewerberzahlen werden künstlich aufge- gen Gerd Wartenberg. Was er in den letzten Monaten bläht; es entstehen zusätzliche Verfahren, die die geleistet hat, werden wir nicht vergessen. Durchführung der notwendigen Verfahren für wirkli- (Lebhafter Beifall bei der SPD) che Asylbewerber verzögern. Der Beschleunigungs- effekt verpufft. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der Der Bund ist angesprochen, und die Länder sind Abgeordnete Dr. Herm ann Solms. angesprochen. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, werden auf das Thema beharrlich und immer wieder zurückkommen. Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befin- (Beifall bei der SPD) den uns in einer Situation außergewöhnlicher politi- Meine Damen und Herren, zwei Anmerkungen zum scher Herausforderungen. Damit meine ich nicht in Schluß. Die erste: Es wird immer wieder bezweifelt, ob erster Linie die ungewöhnlichen Rahmenbedingun- die Neuregelung des Asylrechts wirklich etwas bringt. gen, unter denen die Debatte heute stattfinden muß. Meine Antwort: Ja, sie bringt etwas. Ich könnte aber Aber zum friedlichen Charakter der Demonstranten, keine Zahlen nennen, hielte es auch für unverantwort- die diese Rahmenbedingungen schaffen, will ich doch lich, dies zu tun, zumal die eigentliche Wirkung der etwas sagen. Neuregelung nicht in den neuen gesetzlichen Mög- Ich habe gerade eine Mitteilung aus dem Auswär- lichkeiten liegt, die freilich nicht geringzuschätzen tigen Amt bekommen, daß dort zwei Außenminister sind, sondern in dem dadurch angestoßenen Prozeß uns befreundeter Staaten am Zugang in das Gebäude einer Europäisierung des Problems. Die unmittel- gehindert worden sind, daß der Staatssekretär Kast- bare, sofort wirksame Entlastung wird eher gering rup tätlich angegriffen worden ist, sein Fahrzeug sein. Mittel- und längerfristig wird die Entlastung aber beschädigt ist und daß die Demonstranten auf Befra- spürbar eintreten. gung nach dem friedlichen Charakter gesagt haben: Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13511

Dr. Hermann Otto Solms „Dies ist keine friedliche Demonstration. Wir werden telbar tun, damit die Ruhe im Saal herrscht, die nötig den Zugang, auch mit Gewaltanwendung, verhin- ist, damit der Redner gehört werden kann. dern. " Da stellt sich die Frage nach der Glaubwürdig- keit derjenigen, die diese Demonstranten mit- ihren unterstützenden Reden, auch hier, begleiten. Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.): Erstmals seit (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Bestehen der Bundesrepublik wird die Regelung des ten der CDU/CSU — Dr. Franz Möller [CDU/ Asylrechts im Grundgesetz direkt geändert, und zwar CSU]: Frau Köppe!) in dem besonders sensiblen Bereich der Grundrechte. Ich glaube, daß wir uns in der bedeutsamsten Wir hatten gewissenhaft zu prüfen und haben gewis- Woche dieser Legislaturperiode befinden. Einige der senhaft geprüft, ob die Änderung des Art. 16 des sehr zentralen Probleme dieser Legislaturperiode sind Grundgesetzes zwingend geboten ist. Die Aufnahme heute und in dieser Woche zu entscheiden: zunächst der Asylrechtsgarantie in unser Grundgesetz ist natürlich die Entscheidung zur Änderung des Art. 16 unlösbar mit unserer Geschichte und unserer histori- des Grundgesetzes und damit zur zukünftigen Ausge- schen Identität verbunden. Unzählige Menschen staltung unseres Asylrechts. mußten im Dritten Reich ihre Heimat verlassen und Zuflucht in fremden Ländern suchen. Nicht immer Zweitens steht aber auch die Neugestaltung der waren es gute Erfahrungen, die die Menschen auf Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern an ihrer Flucht vor Diktatur und Unrecht auch an den und eine Neubestimmung der Frage, welche öffentli- Grenzen durchaus gefestigter westlicher Demokra- chen Lasten von den öffentlichen Händen und den tien machen mußten. Sozialversicherungssystemen noch getragen und finanziert werden können. Darüber werden wir mor- Die Verfasser des Grundgesetzes waren 1949 auch gen befinden. auf Grund dieser Erfahrungen von dem Leitmotiv bewegt, nach den schrecklichen Jahren der Gewalt- Darüber hinaus ist die Frage einer Einführung einer herrschaft, nach Krieg und Zerstörung, auf deutschem Pflegeversicherung zu entscheiden, die ja mit der Boden einen rechtsstaatlichen Neuanfang zu ermög- vorher angeführten Frage in direktem Zusammen- lichen. Dazu gehörte auch der verfassungsrechtlich hang steht. Können wir uns weitere soziale Siche- garantierte Schutz vor politischer Verfolgung. „Poli- rungssysteme leisten, obwohl wir in allen anderen tisch Verfolgte genießen Asylrecht" — das war der Bereichen, wie jeder weiß, zurückfahren müssen? Ich schlichte, prägnante Satz, der sich schließlich in will für die F.D.P. gleich im voraus ganz eindeutig Art. 16 des Grundgesetzes niederschlug. Besser kann sagen: Wir brauchen eine Pflegeversicherung, um die man es eigentlich auch nicht formulieren. Niemand bedürftigen Menschen abzusichern, aber wir können konnte sich in jener Zeit jedoch die Situation ausma- sie nur im Rahmen des finanziell und volkswirtschaft- len, wie wir sie heute bei der Asylgewährung im lich Verantwortlichen auf den Weg bringen. wiedervereinigten Deutschl and vorfinden. (Beifall bei der F.D.P.) Der Parlamentarische Rat hat bei seinen Beratun- Nicht zuletzt blicken wir auf die Entscheidung des gen zur Formulierung des Grundgesetzes durchaus Verfassungsgerichts am Freitag zum § 218, die von Überlegungen angestellt, ob Deutschland, das damals vielen Menschen, insbesondere von vielen Frauen mit in Schutt und Asche lag, überhaupt imstande sein großen Erwartungen, auch mit Befürchtungen ver- würde, politisches Asyl zu gewähren. Das ist den bunden wird. Protokollen zu entnehmen. Das zeigt uns, daß dem Ich glaube, wir sollten uns bewußt sein, wie wichtig Parlamentarischen Rat 1949 bei der Formulierung des diese Woche für uns alle ist: für das Parlament und für Art. 16 eine gänzlich andere Situation vor dem geisti- die demokratischen Parteien. Wir alle sind uns der gen Auge stand, als sie sich uns heute darstellt. Die großen Verantwortung bewußt, die wir mit den Ent- heutige Situation war 1949 nicht vorhersehbar. Sie scheidungen in diesen zentralen Fragen übernehmen. war eigentlich auch nicht vorstellbar. Und schon gar Schon zu lange haben unsere Bürger auf uns warten nicht vorhersehbar war, was Ge richte und Verwaltun- müssen; weitere Verzögerungen werden sie nicht gen aus diesem eindeutig formulierten Verfassungs- hinnehmen. Das wird sich sonst bei den Wahlen gebot in den Jahren danach gemacht haben. zeigen. (Zustimmung bei der F.D.P. und der CDU/ Die Entscheidung darüber, wie wir die Asylrechts- CSU) garantie in unserem Grundgesetz sichern und gleich- Welch ein Verfahrensgestrüpp, welch eine kompli- zeitig den Asylmißbrauch bekämpfen können, be- zierte Verästelung der Rechtsprechung, welch ein wegt nicht nur die gesamte Bevölkerung, sondern Wust von Verfahrensregeln dem Gebot, politisch strahlt weit über die Grenzen unseres Landes hinaus. Verfolgte genießen Asylrecht, aufgepfropft wurden, Unsere heutige Debatte stellt trotz bekannter Thema- hat sich dann später erst gezeigt und zu einer Hand- tik eine historische Zäsur dar. lungsunfähigkeit der staatlichen Organe geführt. (Unruhe) Ich habe schon einmal an dieser Stelle gesagt, in typisch deutschem Drang nach perfekter Regelung und größter Einzelfallgerechtigkeit laufen wir Gefahr, das Asylrecht, das wir eigentlich schützen wollen, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Dr. Solms, darf selbst zu gefährden. ich einen Augenblick um Unterbrechung bitten? Der Geräuschpegel ist kaum zumutbar. Diejenigen, die (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne den Saal verlassen möchten, mögen das bitte unmit ten der CDU/CSU) 13512 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Hermann Otto Solms Die fast 440 000 Asylbewerber im vergangenen Ich sage noch einmal mit Nachdruck zu denen, die Jahr und die bereits 161 000 Flüchtlinge, die in den dem Asylkompromiß nicht zustimmen wollen: Wer ersten vier Monaten dieses Jahres Zuflucht bei uns sich jetzt einer Lösung verweigert, muß wissen, daß gesucht haben, zwingen uns, die geänderten- Rah- dies bei der deutschen Bevölkerung, jedenfalls bei der menbedingungen nun endlich zur Kenntnis zu neh- weit überwiegenden Mehrheit, keinerlei Verständnis men. Sie zwingen uns, Verfahren zu entwickeln, die findet. Der muß wissen, daß er damit das Asylrecht für uns in die Lage versetzen, der faktischen Aussetzung politisch Verfolgte eher in Gefahr bringt, obwohl er es des Asylrechts, wie sie heute besteht, zu begegnen. eigentlich gerade besonders schützen will. Gerade weil wir das Asylrecht sichern wollen, sind wir bereit, (Beifall bei der F.D.P.) die notwendigen Änderungen zu beschließen. Ich verrate kein Geheimnis: Gerade wir Liberalen haben uns sehr schwergetan, überhaupt einer Ände- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne rung der Verfassung in diesem sensiblen Bereich ten der CDU/CSU) näherzutreten. Wir tun das aus Verantwortung für die politisch Wir sind immer davon ausgegangen, daß die Verfolgten. Wir tun es aus Verantwortung für die Grundrechte so, wie sie im Grundgesetz formuliert Sicherung des Rechtsstaates. Wir tun es aus Verant- wortung für die Stabilität der demokratischen Ord- sind, nicht angetastet werden sollten. Aber auch die F.D.P. als Rechtsstaatspartei muß nun nach einem nung. Wir tun es nicht zuletzt aus Verantwortung für tiefgreifenden und bewegenden Diskussionsprozeß ein Zusammenwachsen in Europa. erkennen, daß wir uns nicht verschließen dürfen, Die da sagen, wir würden den Stammtischparolen diese Verfassungsbestimmung so zu ändern, daß der nachgeben, machen es sich gar sehr leicht. Wir eigentliche Sinngehalt des Art. 16 wieder erfüllt unterwerfen uns weder dem Druck der Stammtische, werden kann. noch lassen wir uns vom Druck der Straße, wie wir ihn heute hier um das Parlament herum erleben, beein- (Beifall bei der F.D.P.) flussen. Es war — zugegebenermaßen wie in den anderen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Parteien auch — ein mühseliges, manchmal nahezu ten der CDU/CSU) quälendes Ringen um die richtige Lösung. Dieser Prozeß war aber dennoch notwendig und richtig, und Nein, wir handeln wohlüberlegt und so, wie wir es er dauert in Wirklichkeit ja noch an. nach dem sehr ernsthaften Diskussionsprozeß und nach Abwägung aller Argumente für richtig halten. Bei den Abstimmungen heute abend wird es auch Mitglieder meiner Fraktion geben, die dem fraktions- Ich sage hier nach ernsthafter Prüfung mit allem übergreifenden Kompromiß, der unserer Debatte Nachdruck: Ich kann die Entscheidung vor meinem zugrunde liegt, letztlich nach ihrer eigenen freien Gewissen verantworten. Wir alle, die wir diesem Entscheidung und Bewertung nicht zustimmen kön- Beschluß zustimmen, können diese Entscheidung vor nen. Diese Entscheidung respektieren wir, wie wir unserem Gewissen verantworten, und dazu sind wir auch eine solche Entscheidung anderer Mitglieder nach der Verfassung aufgerufen. des Hauses respektieren. Meine Damen und Herren, wir haben immer wieder Andererseits schulden wir auch gerade denjenigen gesagt: Wir wollen ein europäisches Asylrecht schaf- besonderen Respekt, die sehr eingehend und mit fen, an dem alle Länder mit gleichen Rechten und großer Ernsthaftigkeit und Gewissenhaftigkeit ihre Pflichten teilnehmen können. Wenn Europa auf Dauer Position überprüft haben und zu dem Ergebnis Bestand haben will, können wir die Lasten nicht so gekommen sind, daß wir uns einer Neuformulierung ungleich verteilt lassen, wie sie heute verteilt sind. Es der Verfassung nicht verschließen dürfen; muß in Europa zu einer gerechteren Lastenverteilung kommen. Wer tatsächlich in seiner Heimat politische (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Verfolgung befürchten muß, soll weiterhin auf ten der CDU/CSU) Zuflucht hoffen können. Allerdings kann er nicht die denn diese haben die Überprüfung nicht weniger freie Wahl haben, in welchem L and er diese Zuflucht gewissenhaft vorgenommen als die anderen, die zu erhält. der anderen Entscheidung gekommen sind. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) ten der CDU/CSU) 90 % der Bevölkerung erwarten von uns eine Ände- Auf Dauer kann Deutschland nicht allein die Haupt- rung des Grundgesetzes. Ein Scheitern an dieser last der Flüchtlingsbewegung tragen. Das würde alle Stelle hätte dramatische Auswirkungen. Das Ver- unsere Mittel und Ressourcen, das würde unsere trauen in die Politik würde dadurch tiefgreifend Städte und Gemeinden, das würde schließlich auch gestört. Das Vertrauen in die demokratischen Parteien unsere Bevölkerung überfordern. Mit der sogenann- nähme zunehmend Schaden. Nicht nur die demokra- ten Drittstaatenregelung nehmen wir daher auch tischen Parteien, das ganze demokratische System unsere Nachbarn in die Pflicht. Das muß man ganz würde ins Wanken geraten. Das ist meine Vermutung. offen sagen. Wir laden damit aber unsere Probleme Die Folgen wären unabsehbar. Auch dieser Verant- nicht bei den Nachbarn ab. Wer das so sieht, hätte den wortung, meine Damen und Herren, müssen wir uns Sinn dieser Vereinbarung nicht richtig verstanden. stellen. Die Drittstaatenregelung soll eine gerechtere (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Lastenverteilung in Europa möglich machen. In der ten der CDU/CSU) Übergangszeit müssen wir diesem Ziel durch bilate- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13513

Dr. Hermann Otto Solms rale Vereinbarungen mit denjenigen Nachbarlän- uns nicht der Selbsttäuschung hingeben, daß das dern, die nicht der Europäischen Gemeinschaft ange- Problem der globalen Wanderung mit dem heutigen hören, entsprechen. Sie sollten sich am Vorbild der Gesetzentwurf erledigt wäre. Ganz im Gegenteil: Die deutsch-polnischen Übereinkunft orientieren, die- all- Verantwortung steigt. Deshalb werden wir auf Dauer gemein als sehr gelungen beurteilt wird. auch um eine Regelung der Zuwanderung nicht (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne herumkommen. ten der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P.) Durch sie erhält Polen im übrigen technische, organi- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schlie- satorische und finanzielle Hilfen, um auch seinen Teil ßen mit einem dringenden Appell an die Bundeslän- leisten zu können. Diese Hilfen werden mit dazu der. Es besteht kein Zweifel, daß das gesamte neue beitragen, daß die tatsächliche Anwendung der Gen- Regelungswerk leerlaufen wird, wenn die Bundeslän- fer Flüchtlingskonvention und der Europäischen der nicht auch einen Teil zum Gelingen beitragen. Menschenrechtskonvention in Polen gesichert wird. (Dr. Alfred Dregger [CDU/CSU]: Sehr rich Aber eines sage ich für die F.D.P. ganz ausdrücklich: tig!) Wir wollen diese Nachbarländer nicht als Pufferzone Es darf nicht dazu kommen, daß das Bundesamt und gegen Zuwanderung für Deutschland mißbrauchen. seine Außenstellen die Anerkennungsverfahren zwar Im Gegenteil: Wir sehen darin ein Element der Annä- schnell durchführen, daß aber die Verfahren der herung dieser Staaten an die Europäische Gemein- Länder weiterhin unver etbar lange Zeit beanspru- schaft, einen wichtigen Schritt zur Europäischen tr chen. Das würde im übrigen zu einer großen Enttäu- Gemeinschaft. Mit der Beteiligung von Polen und der schung bei der Bevölkerung führen. Tschechischen Republik binden wir diese L ander enger an Europa mit dem Ziel, das Tor zur Vollmit- Ich fordere daher alle Verantwortlichen in den gliedschaft ein Stück weiter aufzumachen. Bundesländern auf, ihren Beitrag zu leisten und dieser Verantwortung auch tatsächlich gerecht zu werden; (Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS/Linke Liste]: Polen war schon immer Teil Europas!) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Meine Damen und Herren, auch die heutige, ten der CDU/CSU und der SPD) bedeutsame Änderung unseres Asylrechts wird ent- denn wie im Bund, so stehen die demokratischen gegen mancher Äußerung von interessierter Seite Parteien auch in den Ländern und Gemeinden in der nicht dazu führen, daß um Deutschland in Zukunft von Verantwortung. Es ist also auch wieder unsere allen, die Zuflucht suchen, ein großer Bogen gemacht gemeinsame Verantwortung. wird oder gemacht werden muß. Wir können zwar Unsere Geschichte zeigt uns, daß es den extremen davon ausgehen, daß sich die gegenwärtigen Zahlen Kräften am linken wie am rechten Flügel — Herr deutlich verringern werden. Wir sollten allerdings Klose, die ex tremen Kräfte sind eben auch heute nicht nicht den Eindruck erwecken, als wäre das Problem nur am rechten Flügel zu finden — des Asylmißbrauchs mit dieser Entscheidung völlig gelöst. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU) (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Sehr wahr!) häufig gelingt, die Defizite der Politik, die Handlungs- unfähigkeit der demokratischen Parteien zum eige- Darüber hinaus fordert der Asylkompromiß vom nen Vorteil auszunutzen. Beim Einsatz demagogi- letzten Jahr die Bundesregierung zu Recht auf, die scher Parolen waren uns die ex tremen Kräfte immer Möglichkeit einer geregelten Zuwanderung auf überlegen. Dem müssen wir uns deshalb gemeinsam nationaler wie auch auf europäischer Ebene zu prüfen entgegenstellen. und mit den Mitgliedstaaten entsprechende Verein- barungen zu treffen. Dieser Frage hat sich die Bun- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne desregierung aus Sicht der F.D.P. nach dieser Ent- ten der CDU/CSU) scheidung baldmöglichst anzunehmen. Wir müssen dies tim durch die Überzeugungskraft Deutschland wird auch in Zukunft ein starker unserer Argumente, durch Handlungsbereitschaft Magnet bleiben. Das ist doch völlig klar. Wer etwas und durch klare und verläßliche Entscheidungen, die anderes erwartet, betrachtet die Situa tion eher naiv. wir hier zu treffen haben. Die demokratischen Grund- Deutschland ist einerseits für die wirklich Asylsuchen- werte können wir nur gemeinsam verteidigen. Sonst den ein Magnet, zum anderen aber auch für solche, werden wir sie nicht bewahren können. Auch diesem die Armut, Elend, Verfolgung und Bürgerkriegswir- Ziel dient unsere heutige Entscheidung, nämlich uns ren in ihrer Heimat entkommen wollen. Allein 1992 zurückzubesinnen auf die Grundwerte unserer demo- waren nach UNO-Angaben weltweit 18 Millionen kratischen Ordnung und gemeinsam dafür zu kämp- Menschen auf der Flucht. Viele Menschen haben von fen, daß wir diese erhalten können. Geburt an kaum eine Chance auf ein menschenwür- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. diges Leben. Das müssen wir wissen, und das ist mit ein Teil unserer Verantwortung. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn es uns, d. h. allen Industrieländern, nicht endlich gelingt, daß diese Menschen in ihren Heimat- ländern bessere Lebenschancen erhalten, werden wir dem Wanderungsdruck auf Dauer auch durch noch so Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht gute Gesetze nicht standhalten können. Wir dürfen der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi. 13514 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Frau Präsidentin! Sprache ist verräterisch. Es waren Politikerinnen Meine Damen und Herren! Die Veränderungen, die und Politiker, die die Beg riffe von Scheinasylanten, die Behandlung des sogenannten Asylproblems schon von Flüchtlingsströmen, von Wirtschaftsflüchtlingen, jetzt in der politischen Landschaft der Bundesrepublik- vom Asylmißbrauch, von asylfreien Zonen, von bewirkt hat, sind gewaltig und deprimierend. Die Durchmischung und Durchrassung und das schlimme populistische Instrumentalisierung von tatsächlichen Wort vom Staatsnotstand in die Debatte brachten, und sozialen Problemen und Schwierigkeiten bei der solche Worte zeigen Wirkung. Unterbringung von Flüchtlingen in den Kommunen, All jene, die in der beschriebenen Art und Weise die die Instrumentalisierung von Vorurteilen und laten- Asyldebatte führten und führen, haben an rassisti- tem Rassismus zur Durchsetzung einer neuen Asylpo- schen und ausländerfeindlichen Pogromen als intel- litik hat die politische Auseinandersetzung um lektuelle Urheber ihren Anteil. Zukunftsfragen auf eine durch und durch irrationale Basis gestellt. Außer Kraft gesetzt wurden die Maß- (Zurufe von der CDU/CSU: Pfui!) stäbe der Menschlichkeit und der Vernunft. Sie können für sich in Anspruch nehmen, das Klima in Die Bundesrepublik ist zweifellos eine führende der Bundesrepublik verändert zu haben, aber in welch Wirtschaftsmacht. Aber sie ist beteiligt — und darüber schlimmer Art und Weise! wird hier so gut wie überhaupt nicht geredet — an der Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt. Es gibt Nun sind wir in einer Situation, in der wir einen keinen Widerstand dieser Bundesregierung dagegen, neuen Schub von Rassismus und Ausländerfeindlich- daß die Märkte für die sogenannte Dritte Welt nicht keit befürchten müssen, und zwar dann, wenn sich geöffnet werden; dagegen, daß den Ländern dieser herausstellen wird, daß die rechtlichen Veränderun- Welt keine stabilen Rohstoffaufkaufpreise garantiert gen, die hier heute beschlossen werden sollen, die werden; dagegen, daß mit Kaffee-, Kakao- und Bana- Probleme, die dahinterliegen, nicht einmal im Ansatz nenpreisen in einer Art und Weise umgegangen wird, lösen können. die diese Länder immer wieder in größte existentielle Statt Asylbewerberinnen und -bewerbern mit und soziale Schwierigkeiten stürzen müssen. Nein, geordneten rechtlichen Verfahren werden wir eine die Bundesrepublik macht mit. Sie lebt zum Teil Vielzahl illegaler Flüchtlinge bekommen. Sie, Herr davon. Klose, haben darauf hingewiesen, daß Menschen in Ist es nicht aber wenigstens moralisch höchst frag- ein Asylverfahren gezwungen wurden, in das sie gar würdig, vorn Elend und Hunger in der sogenannten nicht hineinpaßten, nämlich die Bürgerkriegsflücht- Dritten Welt zu profitieren und gleichzeitig Mauern linge. Das ist wahr, und jetzt wird dasselbe passieren, gegen die Flüchtlinge aus ihr hochzuziehen, gegen daß Flüchtlinge in die Illegalität getrieben werden, Flüchtlinge, die versuchen, diesem Elend und diesem weil es kein geordnetes rechtliches Verfahren mehr Hunger zu entkommen? gibt. (Zurufe von der CDU/CSU) Das wird Auswirkungen zeigen. Diese Flüchtlinge werden nämlich noch rechtloser sein. Sie werden Gab es nicht gerade nach Wegfall des Ost-West durch die Bereitschaft, zu fast jedem Lohn zu arbeiten, Konflikts große Chancen, an das solidarische Bewußt- noch stärker auf den Arbeitsmarkt drücken. Sie wer- sein von Menschen zu appellieren, sie auf die wirkli- den Opfer von Kriminalität werden, ohne die Chance chen Herausforderungen, vor denen die Menschheit zu haben, auch nur Anzeige zu erstatten, weil sie dann steht, vorzubereiten, zu einem Umdenken beizutra- ihren illegalen Aufenthalt bekanntgeben müßten. Sie gen? Diese Chancen blieben ungenutzt. werden auch überdurchschnittlich selbst zur Krimina- So wie im Rahmen der Vereinigung den Westdeut- lität neigen — aus sozialer Not, aus Isoliertheit. Solche schen täglich erklärt wird, was die Ostdeutschen sie Erscheinungen schüren Rassismus und Ausländer- kosten, um Entsolidarisierung zu erreichen, so wurde feindlichkeit, und das wissen Sie auch. den Menschen Angst gemacht vor Ausländerinnen und Ausländern, vor Flüchtlingen und insbesondere Aus der Erfahrung der DDR ergibt sich eine weitere vor Asylbewerberinnen und Asylbewerbern, und Lehre, die zwingender Natur ist. Ich will das hier so nachdem diese Angst erzeugt ist, begründet man deutlich formulieren: Wer Mauern an den Grenzen seine Entscheidungen mit dieser Angst. errichtet, egal, ob sie aus Infrarotstrahlen oder aus Beton bestehen, der wird auch die Bereitschaft zum Auch ich nehme Ängste ernst. Aber es gab reale Schießen aufbringen müssen, damit solche Mauern Möglichkeiten, sie abzubauen. Sie alle wissen, daß die einen Sinn machen. Zuwanderungen in die Bundesrepublik Deutschland seit Jahren abnehmen. Aber eine solche Tatsache (Widerspruch bei der CDU/CSU — Zurufe hätte zur Durchsetzung einer veränderten Asylpolitik von der CDU/CSU: Das sagen ausgerechnet nicht getaugt, und deshalb wird sie verheimlicht, Sie! — Mauerschütze!) deshalb werden nur die Zahlen über steigende Asyl- Sie werden es noch erleben: Wer heute der faktischen bewerbungen bekanntgegeben. Natürlich sagen Sie Abschaffung des Asylrechts zustimmt, muß wissen, nicht, wie viele von denen ab- oder zurückgeschoben daß er Mitverantwortung trägt, wenn eines Tages an werden, wie viele Ausländerinnen und Ausländer den Grenzen auf Flüchtlinge geschossen wird. jährlich die Bundesrepublik verlassen, nämlich fast eine halbe Million. Wie in der DDR-Propaganda (Unruhe bei der CDU/CSU — Erwin Mar werden unangenehme Zahlen verschwiegen und nur schewski [CDU/CSU]: Schlimm, der Mauer jene betont, die die eigene Politik rechtfertigen sol- schütze! — Weiterer Zuruf von der CDU/ len. CSU: Das ist eine Beleidigung!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13515

Dr. Gregor Gysi Mit der Abschaffung des Artikels 16 wird auch anwendet, die Grundlagen ihrer eigenen Existenz so Geschichte auf eigenwillige Art und Weise aufgear- gefährdet wie heute. Das Wohlstandsgefälle zwi- beitet. Es war die Lehre aus der Zeit des Naziregimes,- schen der sogenannten Ersten und der sogenannten die zur Einführung dieses Artikels führte. Millionen Dritten Welt wird täglich größer. Die Ausmaße von Menschen, die aus Deutschland flüchten wollten, Hunger und Elend auf dieser Welt lassen sich kaum insbesondere Juden, hätten gerettet werden können, noch erfassen, geschweige denn beschreiben. Fast wenn es in anderen Staaten ein individuelles Recht alle wissen, daß wir anders produzieren und anders auf Asyl gegeben hätte. Es ist bekannt, wie viele konsumieren müssen, daß wir andere Beziehungen Staaten sich damals gegen Flüchtlinge verweigerten. der Solidarität und der Mitmenschlichkeit benötigen, Es ist bekannt, daß Staaten während des Faschismus damit die Menschheit überhaupt überleben kann. Flüchtlinge nur nach Gutdünken aufnahmen, nach (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Die SED- eigenen politischen und ökonomischen Interessen. Menschlichkeit, die ist das Vorbild, Herr Deshalb haben die Mütter und Väter des Grundgeset- Gysi!) zes beschlossen, politisch Verfolgten einen Anspruch auf Asyl zu gewähren und es nicht in das Belieben des Nicht erst seit heute warnt der Club of Rome vor den Staates zu stellen, ob er Asyl gewährt oder nicht. Entwicklungen, die sich leider völlig ungehemmt Während des Kalten Krieges wurde Art. 16 im fortsetzen. Rahmen der Ost-West-Auseinandersetzungen instru- (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Das trieft mentalisiert. Jeder und jede, die aus einem Ostblock- ja vor Falschheit und Unerträglichkeit, was staat kam, galt als politisch verfolgt und genoß Asyl. dieser Mensch hier erzählt!) Damals stimmten Bundesverfassungsgericht und offi- Auf diese riesigen Herausforderungen, vor denen zielle Politik überein, daß Art. 16 des Grundgesetzes die Menschheit steht, reagieren die führenden Indu- im Hinblick auf die sich sozialistisch nennenden striestaaten mit zwei Antworten: Einsatz des Militärs Staaten möglichst weit interpretiert werden muß. und Es ist völlig klar, daß diese Antwor- Aber diesen Zweck hatte Art. 16 des Grundgesetzes Abschottung. ten nicht einmal zu einer Verschnaufpause führen 1989 erfüllt. Seitdem wird deshalb mit allen Mitteln werden. Die Existenzbedrohungen für die Menschheit gegen ihn gearbeitet. Er dient nicht mehr zur Ausein- werden zunehmen. andersetzung im Ost-West-Konflikt. Er könnte jetzt seiner wirklich humanitären Intention gerecht wer- Indem den Menschen vorgegaukelt wird, daß über den, und genau das soll nicht geschehen. eine juristische und eine Infrarot-Mauer das Flücht- (Freimut Duve [SPD]: Unglaublich!) lingsproblem von ihnen ferngehalten werden kann, berauben wir uns der eigenen Möglichkeiten und Es war die Bundesrepublik, auch die SPD, die Fähigkeiten, zur Lösung dieser Probleme beizutra- meines Erachtens zu Recht die DDR immer dafür gen, und gefährden damit langfristig die Existenz kritisiert hat, diese verletze die allgemeine Deklara- unserer eigenen Bevölkerung. Also nicht nur aus tion der Menschenrechte dadurch, daß sie nicht jeder humanistischen Gründen, nicht nur aus Gründen der Bürgerin und jedem Bürger das Recht einräume, jeden Solidarität, sondern durchaus auch aus egoistischen, Staat, d. h. auch den eigenen, zu verlassen. aus existentiellen Gründen wäre eine gänzlich andere (Zuruf von der SPD: Verlassen!) Politik angezeigt als die der Militarisierung und Aber was ist ein solches Menschenrecht wert, wenn Abschottung. sich andere Staaten geschlossen weigern, Menschen Militarisierung bedeutet, täglich mehr Waffen und aufzunehmen? damit Krieg und Bürgerkrieg in die Welt zu exportie- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Quatsch! —Hans ren, Ulrich Klose [SPD]: Unsinn! — Renate (Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Das hat die Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Eigentlich sind SED in Afrika vorgemacht! Das hat sie unter Sie zu intelligent, um so einen Quatsch zu Entwicklungshilfe verstanden!) erzählen!) um dann den Flüchtlingen den Weg zu versperren und Zeigt sich so, daß die offizielle Propaganda der DDR deutsche Soldaten hinterherzuschicken. Wer solche zumindest in dem Punkt recht hatte, daß sie der Politik betreibt, verändert sich auch selbst. Bundesrepublik vorwarf, auf diesem Recht nur als Instrument gegen die DDR zu bestehen, nicht aber es Ich meine, daß ein Blick in die Bibel genügt, um wirklich weltweit durchsetzen zu wollen? deutlich werden zu lassen, (Freimut Duve [SPD]: Pfui! Dieses Argument (Lachen bei der CDU/CSU) ist unglaublich! — Erwin Marschewski — wann haben Sie denn das letztemal hineingese- [CDU/CSU]: Irre, so etwas!) hen? — Die Menschheit steht heute vor existentiellen Her- ausforderungen. Noch nie gab es einen so ungezügel- (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Gestern!) ten Ressourcenabbau, daß die Christlich Demokratische und die Christlich (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Noch nie Soziale Union künftig wenigstens auf den Beg riff ist hier ein solcher Quatsch gesprochen wor „ christlich" verzichten sollten. den!) (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Ein Kom noch nie eine so weit verbreitete Naturvernichtung. munist macht alles, selbst das! — Erwin Noch nie hat die Menschheit über die Art und Weise, Marschewski [CDU/CSU]: Der Scheinheilige wie sie produziert, wie sie Waffen herstellt und geht zum Teufel! Das steht auch d rin!) 13516 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Gregor Gysi Gott sagte zu Moses — Sie können das im 3. Buch tierung hatten. Inzwischen ist dies fast Allgemeingut Moses, Kap. 19, nachlesen —: geworden. Damals aber mußte die F.D.P. gegen den Strom schwimmen; und sie tat es. Genau das macht Wenn ein Fremdling bei euch wohnt- in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Liberalismus aus: der Kampf um Toleranz, der Mut, sich für Minderheiten einzusetzen, ihre Rechte hoch- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Gysi und zuhalten, wenn die Mehrheit dabei ist, diese Minder- die Bibel! Den Teufel mit dem Beelzebub heiten zu unterdrücken oder geringzuschätzen. austreiben! — Weiterer Zuruf von der CDU/ Gerade eine liberale Partei hätte deshalb für die CSU: Es steht auch d rin: Du sollst kein Erhaltung des Asylrechts auch gegen eine Mehrheit falsches Zeugnis geben!) kämpfen müssen. Er soll unter euch wohnen wie ein Einheimischer, (Zuruf von der CDU/CSU: Unerträglich!) und du sollst ihn lieben wie dich selbst. Es ist gerade für Deutschland unerträglich, wenn es Schauen Sie sich einmal an, was Jesus über den keinen parteipolitisch organisierten Liberalismus Umgang mit Fremden gesagt hat. mehr gibt. (Zuruf von der CDU/CSU: Ein Mißbrauch der (Zurufe von der F.D.P.: Unerhört! — Bibel!) Schwachsinn! ) Laut dem Evangelium von Matthäus, Kap. 25, wies er bekanntlich auf die Kriterien hin, die vor dem Welt- In dieser Logik liegt dann auch, daß dem großen gericht gelten werden. Lauschangriff und anderen Dingen zugestimmt wird. Das ist dann eben das Ende des parteipolitisch orga- (Hans Raidel [CDU/CSU]: Pharisäer! — nisierten Liberalismus. Unruhe bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Weitere Zurufe) Am schwersten mit der Zustimmung zur faktischen Abschaffung des Asylrechts hat es sich sicherlich die — Frau Präsidentin, ich bitte, mir das von der Redezeit SPD gemacht. Letztlich aber wurde eine Mehrheit abzusetzen. organisiert, die ausreichen wird; dies ist entscheidend. Es widerspricht jedoch der Tradi tion der Sozialdemo- kratie, zumindest so, wie ich sie verstehe. Da gibt es Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Der Redner bittet doch wohl unzweifelhaft auch sehr viele posi tive um Ruhe. Aber er mutet uns auch eine Menge zu. Elemente, die man auch dann anerkennen muß, wenn (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der man selbst kein Sozialdemokrat ist. Zu dieser Tradi- F.D.P. und der SPD) tion gehört ein gewisser Internationalismus. Zu dieser Tradition gehört, sich für sozial Schwache und Benachteiligte einzusetzen. Zu dieser Tradi tion gehört aber nicht Nationalismus, nicht Abschottung, Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Es ist mir neu, nicht Einschränkung von Grundrechten, nicht die Frau Präsidentin, daß die Bibel im Deutschen Bundes- Zustimmung zu einer Veränderung der Verfaßtheit tag eine Zumutung ist. der Bundesrepublik Deutschland in militaristischer (Beifall bei der PDS/Linke Liste — Erwin und national-egoistischer Hinsicht, wie dies gegen- Marschewski [CDU/CSU]: Fünftes Gebot: wärtig geschieht. Du sollst nicht lügen! — Weiterer Zuruf von Wer so mit seiner eigenen Tradi tion bricht, handelt der CDU/CSU: Es kommt immer darauf an, meines Erachtens nicht nur politisch schädlich, son- wer es sagt!) dern verliert auch Profil, wird unkennt lich. Es gibt Er hat auf die Kriterien des Weltgerichts hingewie- Situationen, in denen dieses Profil wichtiger ist als die sen, und er hat gesagt: Zahl von Wählerstimmen. Im übrigen glaube ich Was ihr getan habt einem von diesen meinen nicht, daß Prinzipienlosigkeit dazu führt, daß man geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Wählerstimmen gewinnt. Als Gerechte sieht er nur jene an, die Hung rigen zu Indem hier heute dafür gesorgt wird, daß das essen, Durstigen zu trinken geben und Fremde auf- politische Programm der Republikaner zum Asyl- nehmen. Aber Sie erklären heute, daß Sie nichts von recht aus dem Jahre 1990 nicht nur verwirklicht, alledem vorhaben. Im Gegenteil, Hungernde sollen in sondern übererfüllt wird, wird ihnen zugleich in die ihr Elend zurückgeschickt, politisch Verfolgte an den Hände gespielt; denn die Wähler wählen lieber das Grenzen abgewiesen werden. Original als ein schwaches Duplikat. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Eine reine (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das sieht Witzfigur, der Mann! — Jochen Feilcke man an Ihnen! Das ist wahr!) [CDU/CSU]: Das ist keine Witzfigur! Der Ich weiß, daß das keinesfalls für alle Mitglieder der spinnt!) SPD gilt. Es gilt jedoch für eine Mehrheit, und die Auch die F.D.P. hat sich verändert. Es gab Zeiten, Minderheit muß sich dem stellen. als sie Tabuthemen aufgriff, sich hinter Minderheiten (Wolf-Michael Catenhusen Großzü in dieser Gesellschaft stellte — in dem Wissen, keines- [SPD]: falls populär zu handeln. Ich erinnere daran, daß es gig!) von allen Parteien zuerst die F.D.P. war, die sich für die Wenn ich mir den Kompromiß einmal genau Integration und Gleichstellung von Menschen ein- ansehe, muß ich der CDU/CSU zugute halten, daß sie setzte, die eine andere als die heterosexuelle Orien wenigstens deutlich gesagt hat, was sie wollte, näm- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13517

Dr. Gregor Gysi lich daß es einen individuellen Anspruch auf Asyl aus der Tradition des f riedlichen Herbstes kommen. nicht mehr gibt. Was Sie letztlich erreicht haben Wenn, wie soeben mitgeteilt wurde, unser Kollege — abgesehen von einer schlappen Bestimmung zu - Wolfgang Ullmann sowie andere aus anderen Fraktio- Bürgerkriegsflüchtlingen —, ist eine Täuschung. In nen tätlich angegriffen und verletzt worden sind, so ist Abs. 1 wird ein Recht statuiert, das in den nächsten das eine Schande. Absätzen wieder aufgehoben wird, indem Sie sagen: Jeder, der über eine Landgrenze zu uns kommen will, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bekommt keinen Zutritt. Das heißt, daß er sein Recht sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der aus Abs. 1 überhaupt nicht wahrnehmen kann. Ich SPD und der F.D.P. — Erwin Marschewski sage Ihnen: Dann gehe ich lieber offen mit solchen [CDU/CSU]: Bannmeile aufheben! — Weite Dingen um, als daß lediglich eine Täuschung formu- rer Zuruf von der CDU/CSU: Köppe!) liert wird, ganz abgesehen davon, daß es grundge- — Wir wollten die Bannmeile nicht für die Gewalttäter setzlich höchst bedenklich ist, in Abs. 1 ein Recht zu aufheben, sondern für die große Anzahl von friedli- statuieren, das in den nächsten Absätzen wieder chen Demonstranten. aufgehoben wird. (Zurufe von der CDU/CSU) Wer mit Länderlisten operiert, macht sie zum BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert aus diesem Gegenstand von Außen- und Außenwirtschaftspolitik. Hause die gewalttätigen und gewaltbereiten Demon- Schon fordert die Türkei, in die Liste aufgenommen zu stranten auf, sich aus dem Staub zu machen und in den werden. Welche Bundesregierung wird bereit sein, Kindergarten zu gehen, wo sie hingehören. gute Beziehungen zu einem Staat zu gefährden, (Unruhe bei der CDU/CSU — Renate indem sie diesen Staat von der Liste der Nichtverfol- gerstaaten streicht, wenn es dort zu politischen Ver- Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Lassen Sie unsere Kindergärten in Ruhe! — Zuruf von der folgungen kommt? Wird es dann nicht eine Güterab- CDU/CSU: Sollen die Kinder malträtiert wer wägung, eine sogenannte politische Schadensberech- nung und -begrenzung geben? den?) Sie schaden der Sache nur, für die sie sich einzusetzen Ich appelliere an die wirklichen Christen, an die meinen. Mit ihrer egoistischen Gewaltsamkeit scha- liberalen und sozialen Demokraten unter Ihnen: den sie den Flüchtlingen und Verfolgten, für die sie (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Davon verste sich einzusetzen meinen. In ihrer bodenlosen Dumm- hen Sie nichts, Herr Gysi! — Weiterer Zuruf heit machen sie gemeinsame Sache mit den Rechtsra- von der CDU/CSU: Zählen Sie sich auch dikalen. dazu?) (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das Sagen Sie nein zur Abschaffung des Asylrechts! Sagen war alles vorher bekannt! — Zuruf von der Sie nein zur Liquidierung einer der wichtigsten Kon- SPD: Ja, das hättet ihr vorher wissen kön sequenzen aus dem mörderischen Naziregime! Ver- nen!) weigern Sie sich der Abschaffung eines Grundrechts Die heutige Debatte, meine Damen und Herren, und einer Täuschung, steht unter mehrfachem Zwang. Da ist zuerst der (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das lassen Sie mal unübersehbare Zwang des Faktischen, den auch wir unsere Sache sein!) nicht leugnen. Die Flüchtlinge und Asylbewerber, die die da lautet: Fremder, du wirst politisch verfolgt; in Deutschland Zuflucht vor Verfolgung und Not deshalb hast du Anspruch auf Asyl; wir haben dir aber suchen, sind zweifellos für unsere Gesellschaft eine fast alle Wege zu uns versperrt. gewaltige Herausforderung. Aber anders als diejeni- gen, die in der totalen Abschottung Deutschlands das (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Heil suchen, ist BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Auffassung, daß die Deutschen sehr wohl in der Lage Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht sein sollten und könnten, eine menschliche und soli- der Abgeordnete Konrad Weiß. darische Lösung zu finden. (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt wird's wahr Der gegenwärtige völlig unbefriedigende Zustand scheinlich auch nicht viel besser!) ist das Ergebnis einer unentschlossenen und ratlosen Politik, einer Politik, die schändlich versagt hat. Obwohl der Zustrom von Flüchtlingen und Asylbe- Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): werbern absehbar war, obwohl erkennbar war, daß Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! BÜND- die Verwaltungen überfordert und die vorhandenen NIS 90/DIE GRÜNEN verurteilt entschieden jeden Aufnahmekapazitäten bald erschöpft sein würden, Versuch, mit Gewalt gegen Mitglieder des Deutschen wurden die Kommunen und Länder von der Bundes- Bundestages vorzugehen und diese Debatte zu beein- regierung im Stich gelassen. Die Probleme stauten flussen. sich an, bis gehandelt werden mußte, wie gut oder wie schlecht auch immer. Aus dieser Zwangslage schien (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nur ein Rundumschlag befreien zu können, der Rund- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der umschlag des Asylkompromisses nämlich. Anstatt SPD und der F.D.P.) alles daranzusetzen, das Asylrecht zu bewahren und Sie alle wissen, daß die Abgeordneten unserer Frak- zu gewährleisten, soll es nun so weit eingeschränkt tion werden, daß das einer Abschaffung gleichkommt. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Auf Sie Davon — dies ist ein weiterer Zwang, unter dem hier wird gehört!) und heute gehandelt wird — verspricht sich manch 13518 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Konrad Weiß (Berlin) einer das Wohlwollen der Wählerinnen und Wähler haben. Durch Briefe und Aufrufe, in vielen gewalt- und das Überleben seiner Partei. Das ist nicht nur freien Aktionen, vor allem aber durch tätige Mit- verantwortungslos, das wirkt verheerend auf- die poli- menschlichkeit im Dienste an Asylbewerbern und tische Kultur unseres Landes. Was soll aus Deutsch- Flüchtlingen haben sie gezeigt, daß sie das Grund- land werden, wenn ein Grundrecht, ein Menschen- recht auf Asyl auch weiterhin im deutschen Grundge- recht so leichtfertig für eine Wahl in die Waagschale setz wissen wollen und daß sie bereit sind, persönlich geworfen wird? Dabei ist die Stimmung gegen das für Verfolgte einzustehen. Asylrecht doch erst das Ergebnis der Handlungsun- Sollte es heute tatsächlich zur Abschaffung des willigkeit der Politik, verquickt mit einer Desinforma- Art. 16 Abs. 2 kommen, so werden diese Frauen und tionskampagne sondergleichen. Verfolgten und Ar- Männer als mündige Bürgerinnen und Bürger künftig men Hilfe und Zuflucht zu verwehren ist gottesläster- von ihrem Widerstandsrecht gemäß Art . 20 Abs. 4 lich, Herr Schäuble, nicht das stärkende Gebet von unseres Grundgesetzes Gebrauch machen und Ver- besorgten Bürgerinnen und Bürgern, die zudem Ver- folgten Zuflucht dort bieten, wo der Staat sie ver- fassungstreue üben. wehrt. Mit übelsten Methoden, die ich mit Schnitzlers „Schwarzem Kanal" ausgestorben glaubte, wurde (Widerspruch bei der CDU/CSU — Hans über Monate hin Stimmung gegen das Asylrecht Klein [München] [CDU/CSU]: Zum Geset gemacht. Erinnert sei an das unsägliche Schreiben des zesbruch aufrufen! Immer weiter!) damaligen Generalsekretärs der CDU, Volker Rühe, Ich weiß von vielen, die ihre Bereitschaft dazu erklärt an die CDU-Ortsverbände. haben, und ich ermutige alle dazu; denn Hilfe für (Zuruf von der SPD: Richtig!) Verfolgte und Bedrängte ist nicht nur eine Menschen- pflicht, sondern auch eine christliche Tugend. BÜND- In manchen Zeitungen, selbst in öffentlich-rechtli- NIS 90/DIE GRÜNEN als werteorientierte Partei wird chen Medien, setzte sich das fort. Anstatt aufzuklären, auch in Zukunft ohne Wenn und Aber am Satz wurde agitiert. Nun scheinen selbst jene, die den „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." festhalten Popanz errichtet haben, an ihn zu glauben. Wenn wir und, sollte das Grundgesetz heute in der beabsichtig- das widerstandslos hinnehmen, wird unserer Demo- ten Weise geschändet werden, kratie unheilbar Schaden zugefügt. Die Abgeordne- ten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben ihre Ent- (Hans Klein [München] [CDU/CSU]: Un scheidung für das Asylrecht jedenfalls nicht von glaublich, Herr Weiß! — Weitere Zurufe von Wählerstimmen oder vom Parteienheil abhängig der CDU/CSU) gemacht; sie stehen treu und unerschütterlich zum für seine Wiederherstellung eintreten. Grundgesetz. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Hans Klein [München] [CDU/CSU]: Das ist Die garantiert jedem Menschen das Recht, in anderen aber neu!) Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu Gerade für Ostdeutsche, die ihr Leben lang unter genießen. Die Genfer Flüchtlingskonvention geht der Mauer gelitten und gegen sie aufbegehrt haben, weiter und gesteht Flüchtlingen Rechte gegenüber ist die Vorstellung unerträglich, daß nun eine neue den Staaten zu. Aber sie räumt keinen Rechtsschutz Mauer um Deutschland errichtet werden soll, eine zur Überprüfung von Verwaltungshandlungen des Mauer aus Gesetzen und Abkommen, eine Mauer des Staates ein. Dieses Recht gewährt der Art. 16 Abs. 2 Wohlstands und des kalten Egoismus. Dabei bin ich unseres Grundgesetzes. Seine Perspektive ist die des fest überzeugt, daß nach wie vor eine Mehrheit der Individuums, nicht die des Staates. Deutschen bereit ist, Verfolgten und Flüchtlingen zu helfen, und daß diese Mehrheit der Menschlichkeit Diese neue Sicht, dieser großartige Fortschritt im den Vorrang vor der bequemen, hartherzigen europäischen Rechtssystem, ist erlitten und erstritten Abschottung gibt. worden von denen, die als Flüchtlinge Rettung gesucht hatten vor deutschem Egoismus und Nationa- Viele sind allerdings unsicher geworden durch das lismus. anhaltende Sperrfeuer gegen das Asylrecht. Doch wenn man mit den Bürgerinnen und Bürgern spricht, (Hans Klein [München] [CDU/CSU]: Nein!) wenn man sie über Zusammenhänge und Hinter- Sie alle würden wir verraten, wenn wir die Verstüm- gründe informiert, zeigen sie Verständnis für die Not melung des Art. 16 Abs. 2 dulden würden. von Flüchtlingen und Asylbewerbern und setzen sich entschieden für sie ein, auch in Ostdeutschland. Das Thomas Mann und Albert Einstein, Bertold Brecht ist jedenfalls meine Erfahrung. und Marlene Dietrich, Fried rich Wolf und Kurt Tucholsky, Anna Seghers und Willy Brandt, die Ich begrüße ausdrücklich die couragierte Entschei- Reichstagsabgeordneten Siegfried Aufhäuser und dung des Landes sich im Bundesrat der Brandenburg, Georg Bernhard, Friedrich Dessauer und Rudolf Hil- Stimme zu enthalten, und danke den Freunden von ferding, Ludwig Quidde und Ernst Reuter, Johannes der brandenburgischen BÜNDNIS-Fraktion, die dafür Schauff und Luise Schiffgens, Joseph Wirth und Clara den Koalitionsvorbehalt geltend gemacht hat. Vor Zetkin sowie noch viele andere Asylanten, ihnen allen allem aber danke ich den Frauen und Männern, den sind wir bei der heutigen Entscheidung verpflichtet. Bürgerinitiativen und Gruppen überall im Lande, die unseren Kampf für die Erhaltung des Asylrechts in Es geht hier und heute um mehr als um die den vergangenen Monaten und Wochen und bis zum Novellierung eines Verfassungssatzes; es geht um die heutigen Tage gewaltfrei unterstützt und mitgetragen Grundfesten dieses Staates, um die Grundwerte und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13519

Konrad Weiß (Berlin) urn die selbstauferlegten Pflichten des wiederverei- gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zu sichern nigten Deutschland. und eine gesamteuropäische Flüchtlingspolitik vorzu- - bereiten. Unser Einwanderungsgesetz will der Tatsa- (Zuruf von der CDU/CSU: Geschichtsklitte che Rechnung tragen, daß Deutschland de facto ein rung!) Einwanderungsland ist und bleiben wird. Es ist zu befürchten, daß der Bresche im Grundgesetz, Mit unseren Gesetzen wollten wir die Vorausset- die heute geschlagen werden soll, bald andere folgen zungen für eine geregelte, von Bund und Ländern werden. Schon wird versucht, aus der Bundeswehr verantwortlich gestaltete Zuwanderungspolitik schaf- eine Wehrmacht und aus Tarifpartnern Tariffeinde zu fen. Ich bedauere, daß unser alternatives Konzept machen. weder in den Ausschüssen noch hier im Plenum (Zurufe von der CDU/CSU) ernsthaft bedacht und diskutiert worden ist, sondern Die Restauration kriecht aus hundert Grüften. Unsere daß sich statt dessen eine Mehrheit ausschließlich mit Demokratie ist in Gefahr. Abwehrstrategien und Asylverhinderungskonzepten befaßt hat. (Hans Klein [München] [CDU/CSU]: Nur feste Deutschland verleumden!) Das Ergebnis, der Asylkompromiß, ist nieder- schmetternd und unwürdig. Der neue Art. 16a, aus Im Deutschen Bundestag sitzt der erste Abgeordnete dem Kompromißkauderwelsch ins Deutsche über- der Republikaner; vergessen Sie es nicht. setzt, lautet: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht, (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Nein, aber nicht in Deutschland. Entgegen der Vorschrift der dritte!) des Art. 19 Abs. 2 des Grundgesetzes, die besagt, daß ein Grundrecht in seinem Wesen nicht angetastet Wir dürfen es nicht zulassen, daß den dumpfen werden darf, tastet er das Grundrecht auf Asyl nicht Wahn der Nationalisten, ihrem Gebrüll und ihrer nur an, er ruiniert es in seinem Wesen. Zugleich wird Gewalt Grundwerte unserer Demokratie geopfert die Rechtsweggarantie außer Kraft gesetzt. Mehrere werden. Deutschland hat nur in der Gemeinschaft der Verfassungsrechtler und Rechtspraktiker haben bei Völker eine Zukunft, nicht außerhalb. den vorangegangenen Anhörungen eindringlich ge- Meine Damen und Herren, das Asylrecht ist Men- rade vor dieser Beschneidung des Grundgesetzes schenrecht. Eine notwendige europäische Harmoni- gewarnt. sierung des Asylrechts muß dieses Menschenrecht Ebenso gab es ernsthafte und nachdrückliche Zwei- zum Maßstab nehmen. Die beabsichtigte Änderung fel, ob das Konzept sicherer Drittstaaten überhaupt des Grundgesetzes und die Folgegesetze werden an verfassungskonform sei. Nach diesem Konzept kann den tatsächlichen Problemen nichts ändern. sich nicht auf die Verheißung von Satz 1, den Schutz (Hans Klein [München] [CDU/CSU]: Am vor politischer Verfolgung, berufen, wer aus einem als GRÜNEN Wesen soll die Welt genesen!) sicher geltenden Drittstaat einreist. Nach der Theorie der Asylkompromißler sind das alle Nachbarstaaten Auch weiterhin werden Menschen versuchen, der Deutschlands. Verfolgung, den Kriegen und Bürgerkriegen, der Armut und Not zu entfliehen und in unserem reichen Weil Theorie und Praxis nicht so recht überein- Land eine Überlebenschance zu finden. Wer das stimmten, wurden die Emissäre des Innenministers Beispiel anderer europäischer Staaten zeigt, wird die ausgesandt, Außenpolitik zu machen. Mit sanfter illegale Zuwanderung zunehmen. Menschen, die Gewalt wurde den Polen ein Vertrag aufgedrängt. Die heute noch als Asylbewerber wenigstens eine Zeit- kosmetische Operation kostet den deutschen Steuer- lang geduldet werden, werden morgen im Unter- zahler 100 Millionen DM. grund dahinvegetieren — in einer nicht mehr kontrol- (Zuruf von der CDU/CSU: Nicht einmal Zah lierbaren Grauzone von illegaler Arbeit und Krimina- len kann er lesen!) lität. Damit sind schwerwiegende soziale Konflikte vorprogrammiert, mit denen verglichen die heutige Aber es half nichts; Theorie und Praxis wurden nicht Situation als harmlos erscheinen wird. stimmig. Denn Polen war 1992 lediglich in der Lage, 564 Verfolgten Asyl zu gewähren. In der Tschechi- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich intensiv um schen Republik waren es ganze 100. konstruktive Lösungen bemüht und eine Reihe von Gesetzentwürfen in den Bundestag eingebracht, die (Hans Klein [München] [CDU/CSU]: Das heute ebenfalls beraten werden. Wir haben ein Nie- eigene Land beschimpfen, das kann der derlassungsgesetz vorgeschlagen, das den in Mann!) Deutschland seit längerem wohnenden Ausländern Der Optimismus, dies mit deutschem Geld ändern sichern soll. einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung zu können, grenzt an Torheit. Die Leidtragenden Sechseinhalb Millionen Bürgerinnen und Bürgern, werden Flüchtlinge und Verfolgte sein, die weder bei die in Deutschland leben und arbeiten, die seit Jahr- den Deutschen noch bei unseren Nachbarn Sicherheit zehnten hier wohnen oder gar hier geboren sind, finden werden. Polen und die Tschechische Republik werden die bürgerlichen Rechte vorenthalten. Sie werden auf Dauer gezwungen sein, ihre Ostgrenze in sind Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse. einer Weise abzuschotten, die einen schweren Rück- Außerdem hat BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein schlag für die junge demokratische Kultur und die Flüchtlingsgesetz und ein Einwanderungsgesetz in Menschenrechte in diesen Ländern bedeutet. Durch den Bundestag eingebracht. Ziel unseres Flüchtlings- die Abschiebeprämien, die Deutschl and zahlt, wird es gesetzes ist es, die Rechtsstellung von Flüchtlingen zu Spannungen zwischen der einheimischen sozial 13520 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Konrad Weiß (Berlin) schwachen Bevölkerung und den durch die deutschen Grundsatz akzeptiert hat, daß Menschen aus jenen Millionen bevorzugten Zuwanderern kommen. Auf Diktaturen einen Anspruch auf das Asylrecht nach diese Weise exportieren wir Rostock und Mölln- zu den Art. 16 hatten, Das war keine politische Propaganda, Polen und Tschechen. Diese Politik ist zynisch und sondern es entsprach der Wirklichkeit, unter der wir würdelos. alle, auch Sie, gelebt haben. Ebenso fragwürdig ist der Versuch, das Asylverfah- (Beifall bei der SPD, bei Abgeordneten der ren durch ein Konzept sogenannter verfolgungsfreier CDU/CSU und der F.D.P. sowie des BÜND Länder zu beschleunigen. Ich frage mich: Wäre aus NISSES 90/DIE GRÜNEN) der Bonner Perspektive auch die DDR ein verfol- gungsfreier Staat gewesen? Vermutlich ja; Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zur Entgegnung (Hans Klein [München] [CDU/CSU]: So ein erteile ich Herrn Gysi das Wort. Quatsch!) denn zu den Herkunftsländern, die nach Auffassung Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Herr Kollege der Bundesregiening frei von Verfolgung sind, zählen Duve, ich habe gesagt, daß es von der DDR-Propa- Rumänien, Bulgarien, Ghana und Indien. Berichte von ganda immer als ein politisches Instrument bezeichnet amnesty international und vom amerikanischen Kon- worden ist. greß belegen etwas ganz anderes, nämlich daß ganze (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Mit der Sie ja Volksgruppen in diesen Ländern verfolgt und die nichts zu tun haben!) Menschenrechte keineswegs gesichert sind. Und ich habe gesagt, daß wir ihr nachträglich nicht Das Konzept der verfolgungsfreien Staaten steht auf dadurch recht geben dürfen, daß genau mit dem tönernen Füßen und gefährdet Menschenleben. Wie Wegfall des Ost-West-Konflikts dieses Instrument werden Sie, die heute ja sagen, reagieren, wenn die beseitigt wird. Das ist das, was ich kritisieren ersten Nachrichten vom Tod eines Verfolgten, den Sie wollte. zurückgeschickt haben, Sie erreichen werden? (Zuruf: Das werden wir im Protokoll nachle Die weltweiten Fluchtbewegungen werden anhal- sen!) ten. Die Ursachen sind vielfältig. Ob wir es wollen oder nicht, ob wir Gesetze machen oder nicht, auch Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht künftig werden Menschen bei uns Zuflucht vor Ver- der Bundesminister des Innern, Herr Seiters. folgung und Krieg, Hunger und Elend suchen. Unser Bestreben sollte es sein, möglichst vielen in Rudolf Seiters, Bundesminister des Innern: Frau unserem Land ein menschenwürdiges Leben zu Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach jahre- ermöglichen und zugleich konsequent und entschie- langen quälenden— nicht nur für Sie quälenden, auch den die Fluchtursachen zu bekämpfen. Ich bitte Sie für uns quälenden — Debatten trifft der Deutsche eindringlich, meine Kolleginnen und Kollegen aus Bundestag heute eine Entscheidung von elementarer allen Fraktionen, folgen Sie den inneren Zweifeln, von Bedeutung für den inneren Frieden in unserem denen der Kollege Klose sprach. Hören Sie auf Ihr Lande. Wenn dieses Parlament die Verfassung ändert, Gewissen und sagen Sie nein zum untauglichen und damit politisch Verfolgte schnell anerkannt werden undemokratischen Asylkompromiß. und die Asylbewerber, die sich zu Unrecht auf Asyl berufen, rasch in ihre Heimatländer zurückgeführt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden, dann entspricht dieser Beschluß dem Willen und der PDS/Linke Liste) der deutschen Bevölkerung. Er ist überfällig, wird seit langem erwartet und erhofft von unseren Städten und Gemeinden Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer Zwischenbemerkung hat der Abg. Freimut Duve. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und von unseren Mitbürgern, die die gegenwärtige Situation der illegalen Zuwanderung nach Deutsch- Freimut Duve (SPD): Herr Kollege Gysi, ich habe land als besorgniserregend und beängstigend emp- während Ihrer Rede einen sehr lauten Zwischenruf finden. Ein Scheitern der Verfassungsänderung wäre gemacht. Ich möchte ihn erläutern. katastrophal für die Demokratie in unserem Lande, für die Handlungsfähigkeit des Staates und für das Ver- Sie haben in Ihrer Rede, wenn ich es richtig verstan- trauen der Bevölkerung in die Politiker und in dieses den habe, gesagt, daß bis zum Ende der DDR der Parlament. Art. 16 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ein politisches Instrument gewesen sei, (Beifall bei der CDU/CSU) sozusagen zur Manipulation und zur politischen Pro- 1980 — bei einem Asylbewerberzugang von paganda. Das ist ganz und gar falsch. Ich halte es für 108 000 Personen — war es ein SPD-Mitglied, der ein sehr untaugliches Argument, um es sehr sanft zu frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, sagen. Wolfgang Zeitler, der als einer der ersten für die Es ist Ihnen vielleicht nicht bekannt, daß in den Änderung der Verfassung plädierte, um die Steue- 40 Jahren des Art. 16 bis zum Fall der Mauer wesent- rungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland in lich mehr Menschen aus allen Diktaturen der Welt, den Flüchtlingsfragen wieder zu erlangen. von weither und von sehr nah, hierher kamen und daß Die Entwicklung nach 1980 hat seine Prognose, mit die Mehrheit unserer Bevölkerung und die Mehrheit einfachgesetzlichen Regelungen sei das Asylbewer- der politischen Parteien aus der Lage heraus im berproblem auf Dauer nicht zu bewältigen, voll und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13521

Bundesminister Rudolf Seiters eindrucksvoll bestätigt. Jedes Jahr sind die Zahlen Wir waren uns am 6. Dezember einig — übrigens gestiegen. Seit dem Herbst 1991, als sich die SPD in auch im Januar, als wir mit Frau Däubler-Gmelin, mit dem Parteiengespräch beim Bundeskanzler noch Herrn Schmude und anderen über weitere Fragen einer Änderung des Grundgesetzes strikt verwei- gesprochen haben, Herr Kollege Klose —, daß ein gerte, sind bis heute rund 700 000 neue Asylbewerber Ausschluß des vorläufigen Rechtsschutzes im Inland nach Deutschland gekommen — bei einer Anerken- verfassungsrechtlich zulässig und gewollt ist, weil im nungsquote zwischen 3 und 5 %. Über 200 000 waren Hinblick auf die vereinbarten Elemente für die Fest- es allein seit dem Asylkompromiß vom 6. Dezem- legung eines Staates als sicherer Drittstaat schwere, ber. nicht wiedergutzumachende und nicht hinnehmbare Nachteile für den Asylbewerber nicht entstehen kön- Wir haben alles unternommen, um gegenzusteuern. nen, Aber bei der geltenden Rechts- und Verfassungslage können weder die Verwaltungen des Bundes und der (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Freiherr von Länder noch die Gerichte mit diesem immer stärker Stetten [CDU/CSU]) anschwellenden Zustrom fertigwerden. sonst würden wir solche Staaten gar nicht auf die Liste der sicheren Drittstaaten setzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie können damit nicht fertigwerden, obwohl wir in Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Bun- einer gewaltigen Kraftanstrengung die Zahl der Mit- desminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des arbeiter in Zirndorf von 1 176 im Herbst 1991 inner- Abgeordneten Dr. Schmude zuzulassen? halb von anderthalb Jahren verdreifacht haben, und zwar bis heute — einschließlich der schriftlichen Rudolf Seiters, Bundesminister des Innern: Ja. Einstellungszusagen — auf fast 4 000. Sie werden mir keine Behörde nennen können, in der ein solch Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte sehr, dramatischer Anstieg der Zahl der Mitarbeiter bei Herr Abgeordneter. solchen Problematiken möglich gewesen ist. Sie kön- nen damit nicht fertigwerden, obwohl in den beiden Dr. Jürgen Schmude (SPD): Herr Bundesminister vergangenen Monaten beim Bundesamt jeweils weit Seiters, können Sie bestätigen, daß wir Sozialdemo- über 40 000 Entscheidungen ergangen sind. Das sind kraten von vornherein den Folgerungen widerspro- absolute Rekordzahlen. chen haben, die Sie im Asylverfahrensgesetz aus Wie diese Leistung des Bundes einzuschätzen ist, Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz gezogen haben, d. h. daß wird am besten dadurch deutlich, daß von den zuge- das von vornherein ein Streitpunkt war? sagten 500 Einzelentscheidern der Länder am 1. Ap ril 1993 erst 298 ihren Dienst angetreten haben und bis Rudolf Seiters, Bundesminister des Innern: Ich kann heute noch nicht alle zugesagten Aufnahmeeinrich- bestätigen, daß wir in den 50 Stunden vor dem tungen der Länder errichtet wurden. 6. Dezember lange, lange und immer wieder über diese Fragen gesprochen haben. Das Ergebnis war: (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ Ausschluß des gerichtlichen Rechtsschutzes vom CSU]: Hört! Hört! — Hans Klein [München] Inland her bei Asylbewerbern, die aus sicheren Dritt- [CDU/CSU]: Typisch!) staaten gekommen sind. Das ist die Wahrheit. Ich will das nur einmal sagen, weil vorhin während (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der Rede des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Es droht nicht eine Abschiebung eines möglicher- des Kollegen Schäuble, Zwischenrufe gemacht wur- weise politisch Verfolgten in den Herkunfts- und den, in denen unterstellt wurde, wir hätten nicht angeblichen Verfolgerstaat, sondern es geht — ich versucht, auf der Grundlage des geltenden Rechts will es noch einmal sagen — um die Überstellung des alles zu unternehmen, um mit den Problemen fertig zu Ausländers in einen vom Gesetz qualifizierten Dritt- werden. An den Bund kann sich dieser Vorwurf nicht staat, wobei Voraussetzung für diese Qualifikation ist, richten. daß dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskon- vention und der Europäischen Menschenrechtskon- (Beifall bei der CDU/CSU) vention sichergestellt ist. Dies ist eine absolut rechts- Das heißt: Vor diesen Zahlen gibt es kein Auswei- staatliche Regelung. Wir dürfen sie nicht abwerten chen. Wir brauchen die Grundgesetzänderung. Wir und erst recht nicht diffamieren. brauchen die Drittstaatenregelung, die ein Kernstück (Beifall bei der CDU/CSU) des Asylkompromisses darstellt. An dieser Drittstaa- Durch die vereinbarten verfassungsrechtlichen tenregelung darf und kann nicht gerüttelt werden. Vorgaben für die Aufnahme eines Landes in die Liste Ich darf daran erinnern, daß die Union und der der sicheren Drittstaaten ist gewährleistet, daß dem Bundesinnenminister für die Änderung der Verfas- Ausländer in dem sicheren Drittstaat keine Gefahr sung eine sogenannte institutionelle Garantie vorge- politischer Verfolgung, keine Gefahr der Abschie- schlagen hatten. Dies war bei der SPD nicht durchzu- bung in einen Verfolgerstaat entgegen den Vorschrif- setzen. Vor diesem Hintergrund haben wir damals im ten der Genfer Konvention, keine Gefahr der Folter Wege des Kompromisses jedoch ausdrücklich verein- oder der unmenschlichen Behandlung und keine bart, daß sich derjenige, der aus einem sicheren Gefahr der Abschiebung entgegen den Vorschriften Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland kommt, der Europäischen Menschenrechtskonvention droht. nicht auf das Asylrecht berufen kann und daß die Ich muß ganz ehrlich sagen, auch nachdem ich mir schnelle Abschiebung nicht behindert werden darf. Ihren Antrag angeschaut habe, Herr Kollege Klose: 13522 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Bundesminister Rudolf Setters Sie sprechen von einem Schlupfloch, ich spreche von binett unter sozialdemokratischer Führung tummeln einem Dammbruch, der entstehen würde, wenn alle darf Asylbewerber künftig mit der einfachen Behauptung,- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist die Prüfung durch die Behörde des Bundesamtes sei der Punkt!) nicht rechtmäßig erfolgt, den einstweiligen Rechts- schutz in Deutschl and in Anspruch nehmen könnten. und unter Führung eines sozialdemokratischen Kanz- Das ist kein Schlupfloch, das ist ein Dammbruch. Wir lerkandidaten. kennen die Mißbrauchstatbestände zur Genüge. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — (Beifall bei der CDU/CSU) Zuruf von der SPD: Wie lange tummelte sich Herr Krause bei Ihnen?) Ich finde es auch nicht ganz fair, wenn jetzt aus den Reihen derjenigen, die seinerzeit die Schaffung einer Ich finde das unerträglich. institutionellen Garantie abgelehnt haben und denen (Weiterer Zuruf von der SPD: Nicht mit wir mit dem gefundenen Kompromiß entgegenge- zweierlei Maß messen, Herr Minister!) Verfassungsmäßigkeit kommen sind, nunmehr die Wir werden auch künftig den politisch Verfolgten in Frage des § 34 a Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes Zuflucht und Heimstatt in der Bundesrepublik gestellt wird. Deutschland gewähren. Wir werden auch künftig in Wer die Drittstaatenregelung wieder aufschnüren großem Umfang den Bürgerkriegsflüchtlingen helfen. will, trifft den Asylkompromiß in seinem Kern. Die Es wird auch künftig viele, viele Asylverfahren in Gerichte würden zusätzlich belastet, alle Asylbewer- Deutschland geben. Meine Besorgnis geht in eine ber könnten das Ge richt anrufen, es würden weitere ganz andere Richtung, und ich mache keinen Hehl aus Engpässe auftreten. Der Asylbewerber aus dem siche- meiner Meinung: Nach meinem subjektiven Empfin- ren Drittland müßte in der für die richterliche Ent- den mußte ich in den letzten Wochen massiv darum scheidung benötigten Zeit untergebracht werden kämpfen, daß die Effektivität dieses Gesetzentwurfes bzw. er hätte die Möglichkeit unterzutauchen. nicht immer weiter in Frage gestellt wurde. Ich habe Die von uns gefundene Lösung ist nach unserer schon beklagt, daß die einfache, unkomplizierte, Überzeugung verfassungsgemäß, für eine effektive praktikable und handhabbare Regelung einer institu- Lösung zwingend notwendig und darf unter keinen tionellen Garantie nicht hat durchgesetzt werden Umständen durchlöchert werden, wenn wir nicht dem können. Mißbrauch erneut Tür und Tor öffnen wollen. Ich bedauere, daß wichtige Länder wie Ungarn oder Slowakei wegen der Haltung der Opposition nicht auf (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord die Liste der sicheren Drittstaaten gesetzt werden neten der F.D.P.) konnten, obwohl am 6. Dezember die CSFR als Wir haben oft darüber gesprochen und diskutiert sicherer Drittstaat vereinbart wurde und die Slowakei — auch in den Runden —, daß die schnellste Verwal- aus dieser CSFR hervorgegangen ist und obwohl tungsentscheidung letzten Endes wirkungslos ist, Budapest eine Drehscheibe der illegalen Zuwande- wenn auch in Fällen, in denen sich der Ausländer rung bildet. nicht auf das Asylrecht berufen kann, die Aufenthalts- (Hans Klein [München] [CDU/CSU]: Linke beendigung durch die Anrufung der Gerichte hinaus- Arroganz!) gezögert wird. Hier liegt ein entscheidender Schlüssel für die Milderung des Problems. Ich halte es für einen schweren Nachteil, daß wichtige andere Länder, bei denen die Anerken- Ich will mich auch mit dem völlig abwegigen nungsquote 0,0 % beträgt — etwa Indien —, nicht auf and würde es Vorwurf auseinandersetzen, in Deutschl die Liste der sicheren Herkunftsländer gesetzt wur- künftig keine fairen Asylverfahren mehr geben, es den. Aus Indien sind im vergangenen Jahr rund 6 000 gebe keine Chance mehr für politisch Verfolgte und Asylbewerber nach Deutschland gekommen. zigtausende von Asylbewerbern würden plötzlich auf einen Schlag des Landes verwiesen. Ich kann wirklich (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das liegt nur sagen: Das ist eine völlig absurde und abwegige am Außenministerium, diesmal nicht an der Vorstellung. SPD!) Wenn ein — so die „Hannoversche Allgemeine Die Flughafenregelung ist sehr kompliziert gewor- Zeitung" — unmöglicher Minister wie der unsägliche den. Das gilt auch für die Fristen in gerichtlichen niedersächsische Bundesratsminister Trittin behaup- Verfahren. Wir konnten die Einschränkung des Prü- tet, fungsumfangs bereits beim Verwaltungsverfahren (Zuruf von der CDU/CSU: In der Tat!) nicht erreichen und durchsetzen, ebensowenig die Einreiseverweigerung wegen Vortäuschung einer fal- das Asylrecht werde weggeputscht, dann weise ich schen Identität bereits an der Grenze oder eine dies als eine verleumderische Unverschämtheit Öffnungsklausel in Europa, wie sie insbesondere im zurück. Anhörungsverfahren mehrfach angemahnt wurde. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Bei Das heißt, die Koalition hat viele Zugeständnisse fall bei der F.D.P. sowie des Abg. Hans- machen müssen, die mich auch mit Sorge erfüllen. Ulrich Klose [SPD]) Eine weitere Verwässerung darf es nicht geben, wenn wir nicht die Zielsetzung dieses Gesetzes in Frage Gestatten Sie mir aber die Zusatzbemerkung: Ich stellen wollen. äußere auch meine Verwunderung darüber, daß ein solcher unsäglicher Minister sich in einem Landeska (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13523

Bundesminister Rudolf Setters Ich begrüße, Herr Kollege Klose — damit helfen Sie gewünscht — eine Erklärung zu den Verhandlungen uns allen —, Ihren Appell an die Länder, mitzuarbei- mit der Tschechischen Republik abgeben. ten. Schwarzer-Peter-Spiele helfen uns ohnehin auch Die Gespräche mit der Republik Polen haben wir am bei der Umsetzung nicht weiter. Hier sind alle gefragt. 7. Mai mit der Unterzeichnung des Abkommens Es wird großer Anstrengungen bedürfen, um dieses abgeschlossen. Mit diesem Abkommen haben Polen Gesetz effektiv umzusetzen. Das gilt für den Bund, das und Deutschland eine Vereinbarung getroffen, die gilt für das Bundesamt für die Anerkennung auslän- den Deutschen und den polnischen Interessen glei- discher Flüchtlinge, das gilt für die Länder, die Aus- chermaßen Rechnung trägt. Die Bundesrepublik länderbehörden und die Justiz gleichermaßen. Deutschland und Polen — das ist auch meine persön- Ich nehme für uns in Anspruch, daß wir von der liche feste Überzeugung — nehmen damit ihre Koalition alle Voraussetzungen geschaffen haben, gemeinsame europäische Verantwortung wahr, um daß auch die SPD der Grundgesetzänderung zustim- die durch die Migrationsbewegungen entstehenden men kann. Wir haben alles geregelt, was am 6. De- Belastungen zu mildern. zember vereinbart wurde. Wir haben eine Sonderre- Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrück- gelung für die Bürgerkriegsflüchtlinge. Wir haben lich die Erklärung des polnischen Präsidenten begrü- eine Regelung für die Altfälle. Die Aussiedlerfrage ist ßen, der öffentlich gesagt hat: einvernehmlich geregelt. Soeben haben wir uns auf der Konferenz der Innenminister des Bundes und der Wir akzeptieren die Beweggründe Bonns; wir Länder in Potsdam einvernehmlich über eine humani- sagen: Deutschland hat recht, so kann es nicht täre Lösung für die Vertragsarbeitnehmer der ehema- weitergehen. Unsere Grenze darf nicht mehr so ligen DDR verständigt. durchlässig sein für Menschen, die in Deutsch- land das Asylrecht mißbrauchen. Diese Heraus- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der forderung müssen wir bewältigen. SPD) Herr Kollege Weiß, ich glaube mehr dem polnischen einen Ich habe mit der Republik Polen Vertrag Präsidenten als Ihnen. unterzeichnet, der von allen Seiten als fair und als Modellösung für eine europäische Lastenteilung ver- (Beifall bei der CDU/CSU) standen und gewürdigt worden ist. Ich habe dabei mit Sie sollten sich sehr zurückhalten mit Äußerungen Rücksicht auf unsere polnischen Nachbarn eine Rege- dieser Art, die Sie hier im Deutschen Bundestag lung in Kauf genommen, die die Abschieberegelung gemacht haben. erst im Jahre 1994 in vollem Umfang zur Geltung bringt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bin natürlich froh über das Ergebnis in der Ich greife auch den D ank auf, Herr Kollege Klose, SPD-Bundestagsfraktion, aber ich möchte gerne eine den Sie an die polnische Regierung gerichtet haben. Frage an diejenigen in der SPD stellen, die gegen die Ich kann nur sagen: Die Gespräche, die wir geführt Verfassungsänderung votieren wollen. Nachdem es haben, mein polnischer Amtskollege Milczanowski die Sozialdemokraten waren, die jedenfalls praktisch und ich, sind im Laufe dieser Wochen und Monate in — ich muß es so verstehen — ein Junktim zwischen einem Geist und in einer Pa rtnerschaft geführt wor- dem Polenvertrag und der Verabschiedung der Asyl- den, auch mit einer Rücksichtnahme auf die unter- gesetze hergestellt haben. Es gibt viele Erklärungen, schiedlichen Positionen, daß ich an dieser Stelle die vor der zweiten und dritten Lesung müsse der Vertrag feste Überzeugung äußere, daß wir auch bei der unterzeichnet sein, sonst komme eine Zustimmung für Umsetzung des Abkommens so konstruktiv und die SPD nicht in Frage. freundschaftlich zusammenarbeiten wie schon bei der Erarbeitung des Vertrages. (Zuruf von der SPD: Mehrzahl!) Wir wollen den Polen mit der Finanzhilfe insbeson- Ich frage: Sollte ich bei einem Scheitern der Asylge- dere in drei Bereichen helfen: Schaffung einer Flücht- setze nach Warschau fahren und erklären, dies ist ein lings- und Asylinfrastruktur, Verstärkung des Grenz- guter Vertrag, er dient den deutsch-polnischen Bezie- schutzes der Republik Polen, Verstärkung des Schut- hungen, er hat Modellcharakter für eine europäische zes der öffentlichen Ordnung. Lastenteilung bei der Bekämpfung der illegalen Zuwanderung sowie der Lösung bzw. der Milderung Die Republik Polen bekennt sich zu ihren Verpflich- des Asylproblems, wir haben ihn beide in diesem tungen aus dem Schengener Rücknahmeüberein- Geiste unterzeichnet, nehmen Sie ihn bitte zurück, er kommen von 1991. Dies wird insbesondere auch wird nicht mehr gebraucht? dadurch deutlich, daß die Asylbewerber bis zu einer Frist von sechs Monaten nach Einreise in die Bundes- Wir würden uns in der Welt lächerlich machen und republik Deutschland rücküberstellt werden können. gegenüber unseren polnischen Nachbarn völlig Die Republik Polen wird im Jahre 1993 bis zu 10 000 unglaubwürdig werden. Ich bitte auch dies bei der Asylbewerber zurücknehmen, die nach dem Inkraft- Abstimmung zu bedenken. treten des neuen deutschen Asylrechts über Polen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — nach Deutschland gelangt sind. Die Personen, die Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Das ist eines direkt an der Grenze zurückgewiesen werden, wer- Innenministers nicht würdig!) den dabei nicht mitgerechnet. Ich will den deutsch-polnischen Vertrag vor dem Da es erklärtes Ziel der Verhandlungen war, eine Deutschen Bundestag in wenigen Sätzen erläutern Überforderung der Republik Polen durch die Rück- und gleichzeitig — wie auch von der Opposition nahmeverpflichtung zu vermeiden, sieht das Abkom- 13524 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Bundesminister Rudolf Seiters men außerdem vor, daß die Bundesrepublik Deutsch- zurückgeschobene oder rücküberführte Ausländer land bei außergewöhnlichen Ereignissen, die zu dort die Möglichkeit erhalten, ein Asylverfahren zu einem sprunghaften oder massiven Zustrom von durchlaufen. Die Genfer Flüchtlingskonvention ver- Zuwanderern auf das Gebiet der Republik Polen langt von den beigetretenen Staaten die Durchfüh- führen, bestimmten Gruppen dieser Personen die rung eines Asylverfahrens. Das Asylverfahren in der Einreise gestattet. Ich wiederhole allerdings, daß Tschechischen Republik ist in einem Flüchtlingsge- durch die zahlenmäßigen Beschränkungen die Dritt- setz geregelt. Die Anwendung der Genfer Flüchtlings- staatenregelung in bezug auf Polen in diesem Jahr nur konvention und der Europäischen Menschenrechts- eingeschränkt zum Tragen kommen kann. Dies war konvention ist darin sichergestellt. aber von allen Seiten des Hauses gewünscht und gefordert. Bei Rückschiebungen wird der Hohe Flüchtlings- kommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) betei- Nach Abschluß der Parteienvereinbarung zur Asyl- ligt. Nach dessen Aussage vom 7. Mai 1993 wird von rechtsänderung vom 6. Dezember 1992 hat die Bun- der Tschechischen Republik das Verbot des Refoule- desregierung auch mit der damaligen Regierung der ment beachtet. Č SFR unverzüglich Gespräche aufgenommen, schon vorher, aber ich beziehe mich jetzt einmal auf dieses Nachdem in der vergangenen Woche die Gesprä- Datum. Ziel dieser Gespräche ist, mit der nunmehr che mit der Tschechischen Republik hier in Bonn Tschechischen Republik ebenso wie mit der Republik entscheidende Fortschritte gebracht haben, hoffe ich, Polen hinsichtlich der Auswirkungen des deutschen daß wir auch den deutsch-tschechischen Vertrag in Asylrechts im bilateralen Verhältnis der beiden Nach- den nächsten Wochen unterzeichnen können. barstaaten zu einem fairen Ausgleich der Interessen zu gelangen. Wir bemühen uns darüber hinaus, meine Damen und Herren, die Übernahmeabkommen mit Öster- Die Teilung der (SFR in die Staaten Tschechische reich und der Schweiz den neuen Entwicklungen Republik und Slowakei hat den Fortgang der Ver- anzupassen. handlungen und damit den Abschluß eines Rücknah- meübereinkommens sowie ergänzender Vereinba- In den Verhandlungen mit der Schweiz konnte am rungen über finanzielle und administrative Hilfen 26. März 1993 zu den wesentlichen Regelungspunk- entsprechend unserer Vereinbarung vom 6. Dezem- ten eines neuen bilateralen Rückübernahmeabkom- ber verzögert. Die Gespräche wurden auf verschiede- mens bereits Einvernehmen erzielt werden. Die nen Ebenen geführt. Die Eckpunkte unseres Angebo- Unterschriftsreife ist zwischenzeitlich hergestellt. Der tes sind: genaue Zeitpunkt der Unterzeichnung wird in Kürze mit der Schweiz abgestimmt. Erstens. Die Verpflichtung der Tschechischen Republik zur Rückübernahme von Ausländern, die Auch mit Österreich sind mehrere Gespräche über die tschechisch-deutsche Grenze in das Bundes- geführt worden. Gegenwärtig ist Österreich zur gebiet eingereist sind, ohne die notwendigen Einrei- Anpassung des bestehenden bilateralen Abkommens sevoraussetzungen zu erfüllen. Inhaltlich soll sich noch nicht bereit. dieses Rücknahmeübereinkommen nach den mit der Republik Polen ausgehandelten Abmachungen aus- (Jörg van Essen [F.D.P.]: Ein starkes richten. Stück!) Zweitens. Abschluß eines Zusammenarbeitsvertra- Ich denke aber, meine Damen und Herren, liebe ges entsprechend dem Lastenverteilungsabkommen Kolleginnen und Kollegen, auch Österreich, das sich mit der Republik Polen. Die Bundesregierung ist also auf den Weg zur Europäischen Gemeinschaft macht, bereit, ein entsprechendes Angebot zu unterbreiten, wird sich im Asylrecht Regelungen nach europäi- wie es Grundlage des Rücknahmeübereinkommens schem Standard nicht verweigern können. Das wer- oder des Zusammenarbeitsvertrages mit der Republik den wir mit aller Deutlichkeit und hoffentlich auch mit Polen war. Die Bundesrepublik stellt ihre Bereitschaft Unterstützung der Opposi tion unseren österreichi- in Aussicht, sich an den Kosten zu beteiligen, die der schen Freunden verdeutlichen. Regierung der Tschechischen Republik für den Aus- bau von Institutionen zur Durchführung von Asylver- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. fahren entstehen. Weiter kann der Regierung der sowie bei Abgeordneten der SPD) Tschechischen Republik bei der Ausstattung mit Transport- und Kommunikationsmitteln sowie bei der Ich möchte noch einmal zusammenfassen: Ziel der technischen Ausrüstung und auf organisatorischem neuen Asylgesetze ist es, die Zahl der unberechtigten und finanziellem Gebiet Unterstützung geleistet wer- Asylanträge auf Dauer wesentlich zu verringern. den, um unkontrollierten Wanderungsbewegungen Durch schnelle Verfahren und schnelle Rückführun- entgegenzuwirken. Schließlich soll der tschechischen gen in sichere Dritt- und Herkunftsstaaten soll deut- Seite angeboten werden, eine Regelung für den Fall lich gemacht werden, daß mit einem Asylantrag nicht zu treffen, daß außergewöhnliche Ereignisse zu einem mehr — quasi automatisch — ein längerer Aufenthalt sprunghaften oder massiven Zustrom von Flüchtlin- in der Bundesrepublik zu erreichen ist. Wie schnell gen oder illegalen Zuwanderern auf das Hoheitsge- uns das gelingt, hängt von einer Reihe von Faktoren biet der Tschechischen Republik führen. ab. Drittens. Grundlage der Gespräche zwischen der Große Bedeutung kommt der Grenzkontrolle und Bundesregierung und der Regierung der Tschechi- der Grenzüberwachung zu. Wir werden in Abstim- schen Republik ist, daß in die Tschechische Republik mung mit unseren östlichen Nachbarn an unseren Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13525

Bundesminister Rudolf Seiters östlichen und südöstlichen Grenzen das Personal Ich plädiere bei allem Verständnis für Menschen, verstärken. die aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland - kommen — ich habe das vor diesem Hause oft (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gesagt —, eindringlich dafür, daß der Deutsche Bun- Wenn auf der Grundlage des polnisch-deutschen destag die richtigen Prioritäten setzt: nicht in erster Abkommens auch die Polen ihre Grenzsicherungs- Linie für Asylbewerber aus wirtschaftlichen Gründen, maßnahmen im Sinne der Erklärung von 33 Staaten in sondern für politisch Verfolgte und für Flüchtlinge Budapest, daß sich die illegale Zuwanderung zu einer und Bürgerkriegsflüchtlinge in existentieller Not und Bedrohung für die Stabilität und die innere Sicherheit Bedrängnis. Auch dieser Priorität gilt die heutige in Europa auswächst, verstärken, können wir dies, so Abstimmung. Sie ist elementar für die Zukunft unse- denke ich, nur gemeinsam begrüßen. res Landes. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ ordneten der SPD) CSU und Beifall bei der F.D.P.) Wir drängen auf weitere Rücknahmeübereinkom- Meine men. Wir wollen mit anderen Hauptherkunftsländern Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Damen und Herren, ich möchte nunmehr dem Abge- ähnliche Übereinkommen schließen wie mit Rumä- ordneten Dr. Jürgen Schmude das Wort erteilen. nien, wonach für die Abschiebung ausreicht, die Zugehörigkeit zu diesem Staat glaubhaft zu ma- chen. Dr. Jürgen Schmude (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit den heute anstehen- Die Länder müssen eine konsequente Aufenthalts- den Entscheidungen setzen wir uns in den Stand, die beendigung sicherstellen. Die Innenministerkonfe- Zuwanderung zu gestalten und den S trom der Auf- renz in Potsdam hat vor zehn Tagen, meinem Vor- nahmesuchenden zu steuern. Das ist viel, aber das ist schlag folgend, eine Arbeitsgruppe „Rückführung" kein Ende des Asyls auf deutschem Boden. eingesetzt, an der sich auch der Bund beteiligt. Diese Arbeitsgruppe soll alle mit der Vorbereitung und Wir dürfen es nicht dabei lassen, daß Flüchtlinge Durchführung der Rückführung von Ausländern im selbst und mit rechtlich bindender Wirkung für die Zusammenhang stehenden Fragen prüfen und ent- Bundesrepublik Deutschland entscheiden, daß sie nur sprechende Lösungsvorschläge erarbeiten. hier und nirgends sonst Asyl zu bekommen haben. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der an die Bundesländer, die Vereinba- Ich appelliere F.D.P.) rung des Asylkompromisses vom 6. Dezember umzu- setzen, wonach zur Durchführung insbesondere der Die europäische Lastenverteilung bei der Auf- beschleunigten Asylverfahren die Länder die perso- nahme schutzbedürftiger Flüchtlinge ist mit Recht nellen, die sächlichen und die organisatorischen Vor- von allen Seiten seit langem gefordert worden. Sie ist aussetzungen schaffen sollen. Das muß gelten für die nur möglich, wenn Schutzbedürftige nicht in jedem Zahl der Richter, für das Personal, für die Räumlich- Fall ihren Asylanspruch hier durchsetzen können, keiten und auch für die Abschiebehaftplätze. Ich sage sondern wenn man sie an andere Staaten verweisen das auch deshalb, weil nach hier vorliegenden darf, die ebenfalls Asyl gewähren. Eine solche Neure- Erkenntnissen die Länder ihre Gerichte und Auslän- gelung ist nun einmal nicht ohne Grundgesetzände- der- bzw. Abschiebebehörden vielfach noch nicht rung zulässig. sachgerecht ausgestattet haben. Ich denke, auch hier (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sollten wir aus gemeinsamer Verantwortung die not- der CDU/CSU und der F.D.P.) wendigen Maßnahmen treffen und die Länder auffor- Aus gutem Grund sind die Vorwürfe im Laufe der dern, das Nötige zu tun. Beratungen und der Sachverständigenanhörungen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. leiser geworden, das Asylgrundrecht werde im neuen sowie bei Abgeordneten der SPD) Art. 16a Abs. 1 nur formal erhalten. Mehr und mehr hat sich die richtige Einsicht durchgesetzt, daß dieses Ich bitte Sie, die vorliegenden Gesetze heute mit Grundrecht in seiner Wirkung auf die folgenden den erforderlichen Mehrheiten zu beschließen. Ich Vorschriften des Grundgesetzes und auf die des bitte den Bundesrat, seine Beratungen zügig durchzu- Verfahrensrechts ausstrahlt. Es setzt Maßstäbe, es führen, damit diese Gesetze dann endlich am 1. Juli begründet Erfordernisse auch für diejenigen Fälle, in dieses Jahres in Kraft treten können. denen Asyl künftig auf Grund des Asylverfahrensge- Mit dem nach wie vor gewährten Schutz für poli- setzes gewährt werden wird. tisch Verfolgte bleibt Deutschland ein ausländer- Herr Gysi, ich hätte mich gefreut, wenn Sie diese freundliches Land, das seinen Beitrag zur humanitä- Rechtstatsachen zur Kenntnis genommen hätten, statt ren Hilfe leistet. Wie jeder andere Staat muß aber auch uns hier eine abwegige und abenteuerliche Rechts- Deutschland Zuwanderung steuern und begrenzen konstruktion vorzuführen. können. Wer sich die Handlungsfähigkeit bei der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Steuerung von Zuwanderung bewahrt, hat auch mehr der CDU/CSU und der F.D.P.) Spielraum für die notwendige Hilfe vor Ort und die Noch schlimmer empfand ich es bei Herrn Weiß, der Aufnahme von Menschen, die von Krieg und Bürger- leider nicht im Saal ist. Er hat auf Grund völliger krieg betroffen sind. Verkennung der Rechtslage hier eine Widerstands- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. rede gehalten, nach der er sich nicht wundern muß, sowie bei Abgeordneten der SPD) wenn die Gewaltbereitschaft, die er zu Beginn seiner 13526 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Jürgen Schmude Rede beklagt hat, bei anderen Leuten durch solches das Asylgrundrecht berufen. Das Bundesverfassungs- Gerede gesteigert wird. gericht kann ihm dabei helfen, indem es die Verfas- sungswidrigkeit der Einstufung eines anderen Staates (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und- der als eines sicheren Drittstaates feststellt. Das können F.D.P.) wir uns nicht wünschen, aber möglich ist das. Ich sprach vom Asyl, das auch künftig auf Grund des Asylverfahrensgesetzes in vielen Fällen gewährt wer- Freilich, hinsichtlich der vorgesehenen Zurück- den wird. Viele Menschen werden solches Asyl erhal- schiebung in den sicheren Drittstaat beanstanden wir, ten, obwohl sie über sogenannte sichere Drittstaaten daß durch das heute vorliegende Asylverfahrensge- in die Bundesrepublik eingereist sind. setz in seinem § 34 a der Rechtsschutz in verfassungs- rechtlich unzulässiger Weise beschränkt werden soll. Hinsichtlich solcher Drittstaaten, in denen die Dabei braucht es ja gar keine Diskussion darüber zu Anwendung der Flüchtlingskonvention und der Men- geben, daß das Asylverfahren selbstverständlich im schenrechtskonvention sichergestellt sein muß, er- Drittstaat und nicht hier erfolgen soll. Klar ist, daß für laubt der neue Art. 16 a Abs. 2 nach einer entsprechen- das deutsche Verfahren regelmäßig die Feststellung den Einreise die Zurückverweisung in den Drittstaat. einer Einreise über einen sicheren Drittstaat genügt, Daß das kein bloßes Abweisungs- und Abschottungs- ohne daß ein reguläres Asylverfahren erforderlich system ist, zeigt das mit Polen geschlossene Abkom- ist. men in den Vereinbarungen über die Übernahme von Flüchtlingen durch Deutschland bzw. über den Ver- Aber der Bescheid über die Rückschiebung in einen zicht auf die Zurückverweisung nach Polen. sicheren Drittstaat kann falsch sein. Er kann dem Art. 16a Abs. 2 widersprechen und dadurch den Wir haben zustimmend eine entsprechende Erklä- Antragsteller gefährden und schädigen. Das ist der rung des Bundesinnenministers zur Tschechischen Fall, wenn der Ausländer gar nicht über diesen oder Republik gehört, und, Herr Seiters, wenn Sie weiter- einen anderen sicheren Drittstaat eingereist ist und reichende Klärungen, z. B. hinsichtlich Ungarns infolge falscher Zuordnung gleichwohl dorthin erreicht haben, kommen Sie wieder. Wir sind mit zurückkehren soll. dabei, die Anlage zu ergänzen, aber mit Klärung, nicht zuvor. Letzteres können Sie nicht erwarten. Erst recht ist es der Fall, wenn der Ausländer begründeten Anlaß zu der Sorge hat, daß er vom (Beifall bei der SPD) Drittstaat die sofortige Weiterschiebung in seinen Das künftig im Grundgesetz vorgesehene Verfah- Heimat- und Verfolgerstaat zu erwarten hat. Einzelne ren gegenüber sicheren Drittstaaten setzt freilich Beispiele kennen wir ja auch aus EG-Staaten. voraus, daß dort Zuflucht und Schutz für diejenigen Dann liegen, meine Damen und Herren, offensicht- gewährleistet sind, die sie wirklich brauchen. Herr liche und krasse Fehlentscheidungen vor. Auch die Schäuble, es ist eine neue Lage, daß wir von Staaten Abgeordneten der Regierungskoalition haben in den umgeben sind, in denen auf Grund entsprechender Ausschußberatungen eingeräumt, daß es zu solchen Absprachen und auf Grund ihrer inneren Verhältnisse Fehlentscheidungen kommen kann. Aber einen ange- Zuflucht und Schutz gewährleistet sind. Von dieser messenen, nämlich vorläufigen Rechtsschutz für die Lage können Sie für die vergangenen 15 Jahre, auf die Betroffenen verweigern sie trotzdem vollständig. Sie Sie so selbstzufrieden zurückblicken, nicht ausge- schaffen ihn ab. Den Verwaltungsgerichten soll aus- hen. drücklich die einstweilige Anordnung verboten wer- (Beifall bei der SPD) den, auch wenn sie das Unrecht mit Händen greifen Es war ja schön, daß Sie uns belehrt haben, daß Sie können. schon anderthalb Jahrzehnte recht gehabt haben. Der Art. 16a Abs. 2 deckt diese Beseitigung des Herr Klose hat eindrucksvoll klargemacht, daß wir Rechtsschutzes nicht. Nach ihm kann die Abschie- solche Selbstsicherheit und Selbstzufriedenheit auch bung unabhängig von einem Rechtsbehelf vollzogen heute nicht haben. werden. Daß das auch unabhängig von einer gericht- (Beifall bei der SPD) lichen Entscheidung, die man deshalb gleich verbie- tet, geschehen soll, steht da nicht. Das zeigt, sehr geehrte Damen und Herren, es trennt uns Sozialdemokraten von den Konservativen Die Abgeordneten der Regierungskoalition räum- noch vieles beim Asylrecht, und das bleibt auch so. ten in den Ausschußberatungen ein, daß vorläufiger Rechtsschutz erforderlich werden kann. Für diesen (Beifall bei der SPD) Fall verweisen sie auf das Bundesverfassungsgericht. Menschen müssen also Zuflucht in den Drittstaaten Dorthin könne sich der Antragsteller mit dem Begeh- finden können, und erforderlichenfalls muß die Bun- ren einer einstweiligen Anordnung wenden. Dieser desrepublik Deutschland durch besondere Hilfen und Ausweg über den Gang zum Bundesverfassungsge- auch durch die Übernahme von Zuwanderern dazu richt ist ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat. beitragen, daß diese Gewährleistung funktioniert. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Burk Notfalls muß der entsprechende Staat in dem gesetz- hard Hirsch [F.D.P.]) lich ja vorgesehenen Verfahren sogar aus der Liste der sicheren Drittstaaten herausgenommen werden. Fehlt Wer das Geständnis der rechtsstaatswidrigen Ab- es nämlich am sicheren Drittstaat im Sinne des schaffung des Rechtsschutzes ablegen will, der muß es Art. 16a Abs. 2, ist eine Rücksendung verfassungs- so machen. Er macht das Bundesverfassungsgericht rechtlich unzulässig. Der Flüchtling kann sich gegen- zum Ersatzverwaltungsgericht, belastet es mit den über der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar auf Aufgaben anderer Ge richte und zwingt es geradezu, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13527

Dr. Jürgen Schmude die betreffende Regelung bei erster Gelegenheit zu kommen sind, den Angriffen dieser Chaoten ebenfalls korrigieren. ausgesetzt waren. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Burk- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge hard Hirsch [F.D.P.]) ordneten der F.D.P.) Ein weiteres Mal, meine Damen und Herren, soll so Die Erwartungen an den Bundesgesetzgeber in ein politischer Fehler in Gesetzesform gegossen und bezug auf die heutige Lösung sind seit langem klar zur Berichtigung dem Bundesverfassungsgericht zu- und eindeutig. Dem millionenfachen Mißbrauch gespielt werden. unseres Asylrechts muß ein deutliches Ende gesetzt Dieser Eingriff wird gewiß erfolgen. Er wird das werden. Ansehen des Gesetzgebers beschädigen, der sehen- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) den Auges diese Korrektur provoziert. Es war bis zur heutigen Beschlußfassung ein langer (Walter Kolbow [SPD]: Sehr wahr!) und steiniger Weg, den die CSU als erste aufgezeigt Das einzig gute daran wird sein, daß so die verfehlte hat und den lange Zeit nur die Union gegen viele Regelung im Ergebnis nicht zu Lasten der Flüchtlinge Anfeindungen gegangen ist. gehen kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Übrigens bitte ich Sie sehr eindringlich, auch Sie, Herr Bundesinnenminister, den Antrag, den die SPD Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres waren dazu eingebracht hat und für den ich hier spreche, zu es erneut 161 324 Asylbewerber. Hochgerechnet lesen, statt über ihn zu reden, ohne ihn zu kennen. wären dies im Jahr 1993 650 000 Zuwanderer, die wir zu erwarten hätten, wenn wir nicht handeln. Nur der (Beifall bei der SPD) allergeringste Teil dieser Asylbewerber wird in seinen Es ist ja ein drucktechnisches Versehen, um dessen Heimatländern tatsächlich aus politischen, religiösen Verhinderung ich mich vergeblich bemüht habe, daß und ethnischen Gründen verfolgt, wie die niedrige der letzte Satz auf dieser roten Seite weiterhin unter- Anerkennungsquote von unter 5 % sichtbar belegt. strichen ist. Aber es hilft Ihnen vielleicht, zu erkennen, Das bestehende Asylrecht wird aus wirtschaftlichen was wir wirklich wollen, statt uns vorzuhalten, wir Gründen als Instrument einer unkontrollierten Zu- würden hier Bleiberechte und Zeitschinderei ermög- wanderung mißbraucht — wenigstens versucht man, lichen. ein Bleiberecht für möglichst lange Zeit zu erlan- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gen. Ich sagte, den Flüchtlingen wird vom Bundesverfas- Wie ein starker Magnet auf kleine Metallsplitter sungsgericht geholfen werden, und zwar gegen das, wirkt dabei das bisherige individuelle Grundrecht auf was hier beschlossen wird. Weil das gewährleistet Asyl in unserem Grundgesetz, mit einer absoluten erscheint, ist es vertretbar, die dringend gebotene Rechtsweggarantie und einem daraus resultierenden Gesamtregelung an diesem Punkt nicht scheitern zu Bleiberecht. Die lange Verfahrensdauer und die auch lassen. Sie wird, wenn unser Antrag abgelehnt wer- im Vergleich zu anderen europäischen Ländern den sollte, schließlich doch in der Form in Kraft sein, hohen Sozialleistungen machten Deutschland zu die wir ihr durch eine gerichtlich angeordnete Nach einem gelobten Land. Dieser gewaltige Mißbrauch besserung zu geben haben. Wir können dem Gesetz- schadet den wirklich politisch Verfolgten und wider- geber diese Blamage — und den schwerwiegenden spricht völlig dem Sinn des Asylrechts. sachlichen Fehlgriff — heute ersparen. Der SPD- (Beifall bei der CDU/CSU) Antrag bietet die Möglichkeit dazu. Deshalb bitte ich Sie noch einmal, zu prüfen, ob Sie Damals, 1949, als die Väter und die wenigen Mütter ihm nicht doch zustimmen möchten. des Grundgesetzes nach langen und tiefgebenden Diskussionen aus den Erfahrungen der deutschen Danke schön. Geschichte dieses weltweit einmalige Grundrecht (Beifall bei der SPD) schufen, konnten sie in keiner Weise voraussehen und abschätzen, welche Folgen hieraus 30 oder 40 Jahre später auch durch eine andere Rechtsprechung ent- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort stehen würden. Dafür war das Asylgrundrecht nie hat nunmehr der Abgeordnete Michael Glos. gedacht. Deutschland nimmt seit Jahren zwei Drittel aller Asylbewerber auf, die sich in den Staaten der Euro- Michael Glos (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine päischen Gemeinschaft melden. Die Bundesrepublik sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen heute muß dabei bislang auch Bewerber aufnehmen, deren vor der in den Augen der meisten Bürgerinnen und Anträge von anderen Staaten der EG bereits abge- Bürger in Deutschland wichtigsten und weitreichend- lehnt worden sind. In den zurückliegenden Jahren ist sten Beschlußfassung des Deutschen Bundestages, deshalb Deutschland quasi zu einem Reserveasylland die in dieser Legislaturperiode zu treffen ist. in Europa geworden — ein untragbarer und unhalt- Als erstes muß ich mich bei den Polizeibeamten barer Zustand. bedanken, daß es mir überhaupt möglich war, hier herzukommen. Bereits früh um 6 Uhr gab es die ersten (Beifall bei der CDU/CSU) Angriffe. Was ich besonders bedauerlich finde, ist, daß Die Belastung durch Hunderttausende von nicht- inzwischen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, verfolgten Asylbewerbern ist außerordentlich hoch die hierherkommen wollten und teilweise durchge und hat in den zurückliegenden Jahren mehr und 13528 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Michael Glos mehr auch den einzelnen Bürger be troffen. Für unsere erst in diesen Tagen an die Kolleginnen und Kollegen, Bevölkerung ist die Schmerzgrenze schon seit langem an seine „lieben Genossinnen und Genossen", überschritten. Die Unterbringungsmöglichkeiten für geschrieben hat. Er schreibt: Asylbewerber durch Staaten und Kommunen- sind Jeden, der nur theoretisierend für die weitere ausgeschöpft. Weitere Belastungen sind unzumut- Öffnung unserer Grenzen zugunsten von Wirt- bar. schaftsflüchtlingen ist, darf ich herzlich nach Die finanziellen Aufwendungen der öffentlichen München einladen, damit er sich selbst vor Ort Kassen in Milliardenhöhe sind angesichts der weni- ein Bild über die Probleme bei der Unterbringung gen wirklich echten Asylbewerber in dieser Höhe dem von Asylbewerbern machen kann. deutschen Steuerzahler nicht länger zumutbar. Er schreibt weiter: Die Schätzungen des Oberbürgermeisters Becker Unsere Leute können nicht mehr begreifen, aus Pforzheim, die bereits letztes Jahr veröffentlicht waren, beliefen sich auf 35 Milliarden DM. Dabei — damit meint er die Münchener Bürger — handelt es sich um Kosten, die die Wirtschaftsflücht- daß bei ihnen an allen Ecken und Enden massiv linge dem deutschen Steuerzahler letztendlich verur gespart wird, aber für Wirtschaftsflüchtlinge Mil- sachen. lionenbeträge zur Verfügung stehen müssen. Deswegen muß der Asylmißbrauch dringend Soweit Herr Kronawitter. bekämpft werden. Die Bewältigung des Asylmiß- brauchs bindet auch immer mehr qualifiziertes Ver- (Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ waltungspersonal, das dadurch für andere Aufgaben CSU]: Wo ist der Beifall von der SPD?) nicht zur Verfügung steht. Ich freue mich, daß Sie ihn vorhin einen guten Mann genannt haben; ich hätte erwartet, daß es zumindest Deutschland ist zum Einfallstor für die Zuwande- bei Teilen Ihrer Fraktion Beifall für das gibt, was Herr rung nach Westeuropa geworden. Eine gemeinsame Kronawitter geschrieben hat. Einwanderungs- und Asylpolitik der europäischen Staaten ließ sich infolge der einzigartigen deutschen (Renate Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Es Asylregelung bisher nicht verwirklichen. Warnungen kommt darauf an, wie es vorgelesen wird, vor dieser Entwicklung und konkrete gesetzgeberi- Herr Glos!) sche Vorschläge von CDU und CSU wurden, wie ich — Ich habe möglichst neu tral vorgelesen, verehrte meine, viel zu lange in den Wind geschlagen. Frau Kollegin Schmidt. Es waren die Worte von Insbesondere meine Partei, die CSU, hat schon seit Kronawitter; es waren also keine Veröffentlichungen Jahren eine Grundgesetzänderung für unumgänglich des „Bayernkurier" oder irgend etwas, was Herr gehalten und diese immer wieder angemahnt. Schmude ein konservatives Machwerk nennen würde. (Beifall bei der CDU/CSU) Mittlerweile ist Gott sei Dank ein Kompromiß gefun- Ich erinnere hier an meinen Vorgänger im Amt des den worden, über den wir heute abzustimmen haben. Landesgruppenvorsitzenden, Dr. Wolfg ang Bötsch, Politisch Verfolgte genießen auch in Zukunft Asyl- der vehement an dieser Stelle dafür eingetreten ist. recht, und zwar weiterhin auf der Grundlage eines individuellen Grundrechts. Viele in der CDU/CSU- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Großartig! — Bundestagsfraktion hätten hier eine institutionelle Beifall bei der CDU/CSU) Garantie lieber gesehen; aber wir haben diesen Kom- Ich erinnere auch daran, welche Vorwürfe gerade promiß mitgetragen. die CSU immer wieder einstecken mußte. Besonders Wer aus der EG oder aus einem sicheren Staat betroffen war hiervon der damalige Leiter der Bayeri- einreist, wird sich künftig allerdings nicht mehr auf schen Staatskanzlei und heutige bayerische Innenmi- dieses Asylrecht berufen können. Darüber ist heute nister Edmund Stoiber. Über ihn sind geradezu schon ausführlich debattiert worden. Wir halten Schmutzkübel ausgegossen worden, weil er als erster unsere Nachbarländer für Rechtsstaaten, die in der für eine Änderung des Grundgesetzes mit eingetreten Lage sind, dieses Problem rechtsstaatlich zu lösen, ist. (Zurufe von der CDU/CSU: Ministerpräsi (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) dent! Jetzt wird er Ministerpräsident!) und können deswegen darauf verzichten, deren Ent- scheidungen noch einmal zu überprüfen oder in Frage Meine sehr verehrten Damen und Herren, erst die zu stellen. Probleme in den Kommunen haben die Sozialdemo- kraten, wie ich meine, sensibilisiert, hier tätig zu (Beifall bei der CDU/CSU) werden. Die Genfer Flüchtlingskonvention kennt kein Asyl- (Zuruf von der CDU/CSU: Nein, Meinungs recht auf Deutschland. Hüten wir uns also vor der umfragen!) Überheblichkeit, anderen Demokratien in Europa mindere Rechtsstaatlichkeit zu unterstellen. Ich möchte ganz kurz aus einem Brief vorlesen, den der Münchener Oberbürgermeister Kronawitter Bei Asylbewerbern, die künftig aus einem verfol- gungsfreien Herkunftsland kommen, wird vermutet, (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ein guter daß die Anträge offensichtlich unbegründet sind. Sie Mann!) müssen sofort wieder ausreisen. Gleiches gilt für alle Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13529

Michael Glos anderen Fälle, die offensichtlich unbegründet sind Lebensperspektive in ihrer Heimat geben. Zu helfen, oder als offensichtlich unbegründet gelten. dies aufzubauen, muß unser Ziel sein. Ich gehe davon aus, daß allein das Wissen- um die Deutschland ist weder ein ausländerfeindliches neue Regelung in Deutschland viele poten tielle Asyl- Land noch will es das in Zukunft in einem zusammen- bewerber von vornherein von einer Antragstellung wachsenden Europa werden. Im Gegenteil, wir wol- abhalten wird, da sie zu keinem Bleiberecht mehr len ein ausländerfreundliches Land bleiben. Seit führen wird. Wir vermiesen damit den Schleppern und vielen Jahren leben bei uns ausländische Mitbürger. Menschenhändlern das Geschäft. Sie leisten einen wichtigen Beitrag für unsere Wirt- schaft, für unseren Staat und für die Gesellschaft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Deswegen müssen wir aufpassen, daß dieses Zusam- Renate Schmidt [Nürnberg] [SPD]) menleben nicht dadurch gestört wird, daß die Einwan- Deswegen wäre es auch falsch gewesen — darüber derung unkontrolliert wird, daß sie zu groß wird, daß wurde vorhin noch einmal debattiert —, Forderungen sie zu Mißbräuchen führt und daß sie dadurch Frem- aus der SPD auf großzügige Ausnahmen bei der denfeindlichkeit in Deutschland auslöst. Abschiebung nachzugeben. Das Ziel wäre, wie ich meine, unverantwortlich verwässert worden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- Die zunehmende Unterbringung in zentralen Sam- geordneter Glos, der Abgeordnete Schily wollte Sie melunterkünften ermöglicht zudem eine rasche Bear- gerne etwas fragen. Ich weiß nicht, ob Sie es beant- beitung der Anträge vor Ort und sichert eine rasch worten wollen. durchsetzbare Wiederausreise. Das sind im übrigen Forderungen, die von der CDU/CSU lange immer wieder gestellt worden sind. Michael Glos (CDU/CSU): Es ist in dieser Verringert wird auch die Attraktivität der Soziallei- Geschichte so viel hinterfragt worden; es geht heute stungen, die nunmehr auf das zum Lebensunterhalt nicht mehr um Fragen, sondern um Antworten. Diese Unerläßliche beschränkt werden. Auch das hat Antworten werden gegeben. gerade die CSU über viele Jahre gefordert und dafür viele wütende Proteste geerntet. (Beifall bei der CDU/CSU) An die Stelle von bisherigen Bargeldleistungen Wir haben deshalb immer aufs schärfste alle treten Sachleistungen. Mit Sachleistungen sind die Gewalttaten gegen Ausländer und Asylsuchende ver- Schlepper allerdings nicht zu bezahlen, und deswe- urteilt. Ausländer haben wie jeder andere Bürger in gen wird das vielen nicht recht sein. Deutschland vollen Anspruch auf unseren Schutz. Wer ausländerfeindlichen Strömungen entgegenwir- Deutschland ist kein Einwanderungsland und kann ken will, muß eine von der Bevölkerung akzeptierte als dichtbesiedeltes Gebiet auch kein Einwande- Asylpolitik betreiben. Unsere Bürgerinnen und Bür- rungsland werden. Die Aufnahmekapazität unseres ger müssen die Gewißheit und das Zutrauen haben, Landes und unserer Bevölkerung darf nicht überfor- daß die Asylverfahren zügig und nach rechtsstaatli- dert werden. Wer dies tut, fördert Fremdenfeindlich- chen Grundsätzen abgewickelt werden. Die Bürger keit. wollen sicher sein, daß Deutschland nicht hilflos (Beifall bei der CDU/CSU) Wanderungsströmen ausgeliefert ist. Die längst über- Schon allein wegen des Familiennachzugs von Aus- fällige und notwendige Grundgesetzänderung, die ländern und wegen des noch in den nächsten Jahren wir heute beschließen, schafft die notwendigen anhaltenden Zustroms von deutschstämmigen Aus- Grundlagen, um den Mißbrauch wirksam einzudäm- siedlern aus Osteuropa besteht auch unter dem men. Zugleich wird damit — darum muß es uns heute Gesichtspunkt des Arbeitsmarkts und der künftigen auch gehen — das Vertrauen der Bürgerinnen und wirtschaftlichen Entwicklung für eine zusätzliche Ein- Bürger in die Handlungsfähigkeit unseres Rechts- wanderung von Ausländern weder Spielraum noch staats und vor allen Dingen auch in die Handlungsfä- Bedarf. Wir sind der Überzeugung, daß Einwande- higkeit der Parteien in der parlamentarischen Demo- rungspolitik kein Mittel ist, um die Probleme von kratie wiederhergestellt und gefestigt. Hunger, Elend und Armut in der Welt zu mildern oder Ich hoffe, daß dies auch dazu führt, daß die radika- gar zu lösen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird len Parteien, die nicht zuletzt aus diesem Grund soviel deshalb auch weiterhin auf Einwanderung gerichtete Zulauf hatten, sich wieder entsprechend zurückent- Gesetze konsequent ablehnen. wickeln. Ich beobachte mit großem Interesse, in wel- chen Vierteln mit welchen Wahlergebnissen in der Die Ursachen der Wanderungsbewegungen liegen Vergangenheit gerade radikale Parteien besonderen in den unterschiedlichen Lebensverhältnissen. Reich Zulauf hatten. Es ist vorhin hämisch und in Richtung tum und Wohlstand sind nicht mehr durch den Eiser- nen Vorhang von krasser Armut getrennt. Wir müssen gegen uns von den Konservativen gesprochen wor- uns bemühen, das wirtschaftliche und soziale Gefälle den. Die Konservativsten in diesen Sachen sind tradi- tionelle sozialdemokratische Wähler. Was Sie zu zwischen Ost und West schrittweise abzubauen. Das können die Deutschen nicht alleine, dazu bedarf es hören bekommen, wenn Sie mit denen über dieses der gemeinsamen Anstrengung aller Europäer. Nur Problem debattieren, durch konsequente und sozial verpflichtende Markt- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sprechen Sie so oft wirtschaft läßt sich den Menschen eine dauerhafte mit denen? Das ist ja interessant!) 13530 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Michael Glos ist weit von dem entfernt, was diskutiert wird, wenn Von den seit August 1992 in Polen vom Amt für die von Ihnen so apostrophierten Konservativen diese Flüchtlingsanerkennung durchgeführten 350 Verfah- Diskussion miteinander führen. ren sind bis Ende 1992 immerhin 70 Flüchtlinge, damit (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. ein Fünftel, positiv beschieden worden. Man kann in Otto Schily [SPD]) Polen Asyl bekommen. Uns wäre es lieber gewesen, Herr Schily, es wäre In der Tschechischen Republik hat die Vertreterin schneller gelöst und geregelt worden. Unser Land hat des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge gegenüber diesen Zustrom nicht zuletzt deswegen, wie ich der deutschen Botschaft erklärt, daß auf Grund der meine, länger ertragen müssen, weil quälende Dis- dort geltenden Gesetze ein effektiver Schutz vor kussionsprozesse in der SPD schnelle Regelungen Verstößen gegen das Refoulement-Verbot bestehe. verhindert haben. Die Vorschläge lagen lange genug Die Drittstaatenlösung kann ihre volle Wirkung nur auf dem Tisch. entfalten, wenn Rücknahmeabkommen bestehen. Trotzdem ist, wie ich meine, heute ein guter Tag, Auch hier ist ein Weg der Fairneß eingeschlagen weil das Ansehen unseres Rechtsstaats wieder gefe- worden. Die Bundesrepublik hat sich nicht auf die für stigt wird, weil eine drohende schwere Staats- und sie recht günstige Rechtsposition zurückgezogen, die Verfassungskrise gebannt wird. Deswegen hoffe ich ihr das Abkommen zwischen den Schengener Staaten heute auf große Zustimmung. und Polen gewährt. Sie beteiligt sich mit einem namhaften Betrag und mit administrativer Hilfe an Ich möchte ganz zuletzt auch an die Ausländerbe- dem weiteren Aufbau der Flüchtlingsverwaltung in auftragte der Bundesregierung appellieren, die laut Polen und bei dem Ausbau der Grenzkontrollen in Pressemeldungen eine Zustimmung ablehnen will: diesem Land. Sie läßt Polen auch im übrigen nicht Sie muß auch an ihr Amt denken, an das, was sie allein. Im Falle einer Überlastung des Nachbarn vertritt. haben wir uns zur Übernahme von Flüchtlingskontin- So möchte ich Frau Schmalz-Jacobsen ebenso wie genten verpflichtet. alle anderen Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen des Deutschen Bundestages, die noch Eine gerechte Lastenverteilung dieser Art wäre Bedenken haben, herzlich bitten, diesem Gesetz auch mit unseren Nachbarn in der EG zu wünschen. zuzustimmen. Es muß schnell eine Wiederholung dieses fairen Abkommens im spiegelbildlichen Sinne mit der Danke schön. Tschechischen Republik geben. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bedaure in diesem Zusammenhang sehr, daß sich die Kolleginnen und Kollegen aus der SPD nicht bereitgefunden haben, auch die Slowakische Repu- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort blik zu einem sicheren Drittstaat zu erklären. Die hat nunmehr der Abgeordnete Jörg van Essen. unterschiedliche Behandlung wird die Teilung der ehemaligen CSFR beschleunigen und die Abgren- zung zwischen beiden ehemaligen Landesteilen ver- Jörg van Essen (F.D.P.): Herr Präsident! Meine stärken. Das können wir nicht wollen. Damen und Herren! Machen wir uns nichts vor: Seit dem Asylkompromiß am 6. Dezember 1992 ist erneut (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) viel Zeit vergangen. So unerfreulich der Zeitverzug Während mit dem sicheren Drittstaat Schweiz eben- ist, er hat eines deutlich gemacht: Die Steigerung der falls in kurzer Zeit ein Rücknahmeabkommen zu Asylbewerberzahlen im ersten Vierteljahr 1993 um erwarten ist, ist in Österreich — der Innenminister hat erneut 30 % zeigt in aller Klarheit, wie dringend es schon gesagt — eine solche Bereitschaft nicht reagiert werden muß. Wir brauchen für eine bessere erkennbar. Dies — das sage ich mit aller Deutlichkeit Steuerung die Teilung in die nicht oder weniger — ist nicht hinnehmbar. Schutzbedürftigen und dazu eine Änderung des Grundgesetzes. (Beifall des Abg. Dr. Werner Hoyer [F.D.P.]) Ich habe von keinem einzigen Kritiker der Drittstaa- tenlösung einen rechtlich fundierten Widerspruch zu Die Österreichische Politik ist denkbar schlecht bera- meiner Feststellung in der ersten Lesung gehört, daß ten, wenn sie glaubt, mit einer Regelung bis zum es zwar ein Menschenrecht auf Schutz vor politischer Beitritt in die Europäische Gemeinschaft warten zu Verfolgung und unmenschlicher Behandlung, aber können. Ein Land, das egoistisch ausschließlich sei- kein Recht auf diesen Schutz im Wunschland, ein nen eigenen Interessen nachgeht, ist zu einem Beitritt Asylrecht à la carte, gibt. in eine Gemeinschaft nicht fähig. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Die Benennung der sicheren Drittstaaten ist fair und Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr nach sorgfältiger Prüfung der Situation in den jewei- wahr!) ligen Ländern erfolgt. Auch Polen und die Tschechi- Die Kollegen aus der SPD haben bis zum Schluß sche Republik gehören zu diesen Staaten. Weder ein eine Anrufung des Verwaltungsgerichts für die nach polnischer noch ein tschechischer Staatsangehöriger ihren eigenen Angaben äußerst seltenen Fälle zu ist im Jahre 1992 anerkannt worden; auch sämtliche erreichen versucht — sie werden es in der heutigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind ablehnend Abstimmung wieder versuchen —, denen die Rechts- gewesen. Das zeigt, daß es sich um stabile Demokra- widrigkeit der Abschiebung geradezu auf die Stirn tien handelt. geschrieben ist. Ich halte diesen Weg nachdrücklich Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13531

Jörg van Essen für falsch und auch nicht für notwendig. Wir würden Wir schicken diese Menschen in Staaten, in denen sie für ganz wenige Fälle ein kleines Loch öffnen, das sich sicher sind. Der Begriff „sichere Drittstaaten" besagt schnell zum Dammbruch entwickeln würde. Jeder ja, daß in diesen Staaten die Genfer Flüchtlingskon- halbwegs versierte Anwalt würde mit möglichst kom- vention und die Europäische Menschenrechtskonven- pliziertem Sachvortrag den Weg zum Verwaltungsge- tion angewandt werden. Von daher ist ein Rechts- richt suchen, um eine Abschiebung zu verzögern. Wir schutz in den Staaten, in die wir die Menschen würden die Verwaltungsgerichte blockieren und schieben, sichergestellt. jeden Lösungsansatz zunichte machen. Völlig unter- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So ist schlagen, insbesondere in den Medien, wird dabei, es! — Beifall bei der CDU/CSU) daß in diesen seltenen Ausnahmefällen selbstver- ständlich der Weg zum Bundesverfassungsgericht Im Bereich der sicheren Herkunftsländer sind mit geebnet ist. Gambia und Ghana auch außereuropäische Staaten in Der Asylbewerber, dem durch einen grob rechts- den Gesetzentwurf aufgenommen worden. Dies ist widrigen Verwaltungsakt Schaden an elementaren sowohl durch die Anerkennungsquote von Asylbe- Rechten zugefügt wird, hat damit eine faire Chance, werbern aus diesen Ländern wie nach Berichten über noch in der Bundesrepublik Recht zu erhalten. Der die Menschenrechtslage und über die Menschen- Verfassung ist Genüge getan, Herr Kollege rechtspraxis vor Ort gerechtfertigt. Wir sind nicht der Schmude. Versuchung erlegen, die Welt in Gut und Böse einzu- teilen. Die Liste der sicheren Herkunftsstaaten wird sich auch in Zukunft nach den Gegebenheiten vor Ort, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- nach der Zahl der Asylbewerber aus dem jeweiligen geordneter van Essen, ich habe Meldungen von zwei Land und — ich füge auch das hinzu — deren Abgeordneten, die eine Zwischenfrage stellen wollen. Verhalten in der Bundesrepublik Deutschland — das — Zunächst der Abgeordnete de With. Thema Kriminalität ist hier ein Punkt — richten. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. sowie (SPD): Herr Kollege van Essen, Dr. Hans de With bei der CDU/CSU) glauben Sie, daß es gut ist — wie Sie selbst sagen —, daß das Verfassungsgericht in diesem Fall quasi als Die gefundenen Lösungen sind nicht der Königs- Verwaltungsgericht tätig wird? Hielten Sie es nicht für weg aus den Problemen des Nord-Süd-Gefälles und besser, gleich zu sagen: Dann sollen eben die norma- der daraus resultierenden Wanderung — das ist heute len Richter arbeiten? schon mehrfach gesagt worden; wir sollten sehr darauf achten, nicht diesen Eindruck zu erwecken —, aber sie sind ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. Jörg van Essen (F.D.P.): Ich denke, es geht im wesentlichen darum, daß einem Asylbewerber Scha- Wir werden auch in Zukunft auf neue Entwicklungen den an Leib und Leben drohen könnte. Das ist ja auch zu reagieren haben. der Bereich, den Sie selbst angesprochen haben, wo Die Landungen von zwei Charterflugzeugen in Sie den Schutz für notwendig erachtet haben. Leib Frankfurt am Main und in Berlin-Schönefeld machen und Leben sind insbesondere in den ersten Bestim- dies überdeutlich. Es freut mich sehr, daß uns auch mungen des Grundgesetzes geschützt. noch während der Gesetzesberatungen in einem ent- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Die Frage ist nicht scheidenden Punkt eine Nachbesserung, eine Reak- beantwortet!) tion auf neues Verhalten gelungen ist. Deshalb ist gerade das Bundesverfassungsgericht auf- Mein Kollege Hans-Joachim Otto und ich haben uns gerufen, in diesen wenigen Fällen für den Schutz der als Verhandlungsführer der F.D.P. von Anfang an für Grundrechte zu sorgen. eine besondere Flughafenregelung eingesetzt. Nie- (Zuruf von der SPD: Sehr ausweichend!) mand wird dieser Lösung vorwerfen können, sie sei eine einseitige Regelung zu Lasten von Flüchtlingen. Sie gilt nämlich in besonderer Weise für diejenigen, Herr Dr. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: die während des Fluges ihrer Identitätspapiere verlu- Schmude bitte. stig gegangen sind. Diese Papiere müssen nach den strikt beachteten internationalen Regeln bei der Aus- Dr. Jürgen Schmude (SPD): Herr van Essen, können reise auf dem Luftwege vorgelegt worden und damit Sie mir vielleicht hier ein einziges anderes Gesetz vorhanden gewesen sein. Durch nichts macht ein nennen, das Bundestag und Bundesrat beschlossen Flüchtling deutlicher, daß er mangels Erfolgsaussich- haben und wobei sie die Betroffenen darauf verwiesen ten nicht mit einer Anerkennung als politisch Verfolg- haben, sich gegen die falsche Anwendung des Geset- ter rechnet und nur die auf die Ablehnung folgende zes gleich an das Verfassungsgericht in Karlsruhe zu Abschiebung behindern will, als durch ein solches wenden? Kennen Sie ein solches Gesetz? Vernichten oder Verstecken der Identitätspapiere. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sie (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) können doch vom Ausland aus klagen! Das ist der Punkt!) Trotzdem wird er ebenso fair behandelt wie Einrei- sende aus sicheren Herkunftsstaaten. Verzögerungen bei den Behörden und bei den Ge richten gehen nicht Jörg van Essen (F.D.P.): Herr Kollege Schmude, zu Lasten des Flüchtlings. Ihm ist auch Gelegenheit zu auch Sie wissen aus den Verhandlungen, daß jeder geben, mit einem Rechtsbeistand seiner Wahl Verbin- sein Recht aus dem Ausland einklagen kann. dung aufzunehmen, so daß er auch nicht schutzlos (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ist. 13532 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Jörg van Essen Von Flüchtlingshilfeorganisationen wird immer beschließen; denn die Asylbewerberzahlen sind wieder der Eindruck zu erwecken versucht, es han- beträchtlich gestiegen, nämlich von 10 000 in den dele sich bei nahezu allen hier ankommenden Flücht- siebziger Jahren über 100 000 in 1980 auf fast 450 000 lingen um Opfer politischer Verfolgung. Dies ist im letzten Jahr. Dazu ist die Anerkennungsquote falsch. Aber wenn man Asylbewerberunterkünfte auf- gefallen, nämlich von 12 % im Jahre 1980 auf 1,9 % im sucht, wird man auch auf Fälle von schwerem mensch- April dieses Jahres. lichem Schicksal treffen. Ich habe deshalb Respekt vor denen, die sich f riedlich für diese Menschen Diese Zahlen belegen überdeutlich: Die überwälti- engagieren und ihnen in vielfältiger Weise dafür Hilfe gende Mehrheit der Asylbewerber hat den Zutritt in zukommen lassen. Ich danke ihnen an dieser Stelle unser Land unter mißbräuchlicher Berufung auf das ausdrücklich. geltende Asylrecht erlangt, allein im vergangenen Jahr mehr Menschen, als Bonn Einwohner hat, mehr, (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der als unsere Kommunen mit Wohnraum versorgen kön- SPD) nen, und mehr, als die Sozialhilfe-Etats verkraften, Aber wir in der Politik stehen in einer Gesamtverant- meine Damen und Herren! wortung. Diese Gesamtverantwortung macht über- deutlich, daß man die Probleme in den Haupther- (Beifall bei der CDU/CSU) kunftsländern nicht dadurch löst, daß man die Zah- Trotz dieser eindeutigen Entwicklung fände diese lungskräftigen, die die kriminellen Schlepperbanden Debatte heute nicht statt, hätten nicht CDU und CSU bezahlen können, in unserem Land aufnimmt. seit Jahren auf die sich zuspitzende Situa tion hinge- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) wiesen und eine Änderung der Rechtslage gefor- Eine Verbesserung der Hilfe für die Herkunftslän- dert. der ist schon deshalb notwendig, weil nur so die (Beifall bei der CDU/CSU) Wanderungsbewegungen auf Dauer wirksam ver- Heute, meine Damen und Herren, sind wir soweit: Das mindert werden können. Hier steht die Bundesrepu- Beharren der Union gegen manche Strömung des blik bisher sehr allein. Zeitgeistes auf einer für richtig erkannten Posi tion, 70 % — ich wiederhole: 70 % — der Aufbauhilfe für ihre kontinuierliche Überzeugungsarbeit wider Pole- die neuen Demokratien in Ost- und Südosteuropa mik und verfälschende Darstellungen tragen Früchte. werden von der Bundesrepublik geleistet, obwohl wir Die Novellierung des Asylrechts wird heute in diesem mit dem Wiederaufbau in den neuen Bundesländern Hause beschlossen werden, zum Vorteil der wirklich sehr belastet sind. politisch Verfolgten, zum Vorteil der hier lebenden Unsere wohlhabenden Nachbarn sind nicht betrof- Ausländer und zum Vorteil von Kriegs- und Bürger- fen und deshalb weniger an der Beseitigung der kriegsflüchtlingen, für die wir einen besonderen Sta- Fluchtursachen interessiert. Dies muß dringend geän- tus vorsehen. dert werden. Auch diesem Zweck dienen die neuen (Beifall bei der CDU/CSU) gesetzlichen Bestimmungen. Wir haben es uns insgesamt bei den Änderungen Wir würden das Ziel einer Änderung des Asylgrund- des Grundgesetzes und der einfachen Gesetze nicht rechts auch heute nicht erreichen, wenn nicht die leichtgemacht. Die Beratungen waren bestimmt von Mehrheit der SPD ihre Zustimmung zum Asylrecht dem Respekt vor dem notwendigen Schutz der poli- angekündigt und beschlossen hätte. tisch Verfolgten einerseits und dem Bestreben, offen- Ich stelle hier noch einmal fest: Der einfache Gesetz- sichtlichem Mißbrauch besser begegnen zu können, geber, CDU/CSU und F.D.P., hatte keine Möglichkeit, andererseits. den Verfassungsmißbrauch zu verhindern. Nicht Ich habe in meiner Rede an vielen Stellen ganz diese Regierung und die von ihr gemachte Politik bewußt den Begriff „fair" verwandt. Wir haben auch haben deswegen versagt. Wir hatten einfach nicht die als Verhandlungsführer fair miteinander gerungen. Chance, das Grundgesetz zu ändern, weil Sie bisher Ich danke den Kollegen aus der CDU/CSU und aus der Ihre Zustimmung nicht gegeben haben SPD dafür, daß wir konstruktiv miteinander arbeiten konnten. Wer sich um eine gerechte Beurteilung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — dessen bemüht, was wir ihm heute zur Abstimmung Zuruf der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD]) vorlegen, wird erkennen, daß wir dem Anspruch der — das entspricht den Tatsachen — und weil Sie sich Fairneß auch bei den gesetzlichen Regelungen bisher gegen eine Verfassungsänderung ausgespro- gerecht geworden sind. chen hatten, Frau Kollegin Fuchs. Herzlichen D ank. Heute stehen wir vor einer anderen Situa tion. Nach (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dem Parteienkompromiß vom 6. Dezember können wir in zweiter und dritter Lesung die Änderung der Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile Asylgesetze beraten. Wir haben zwischen den stark nunmehr dem Abgeordneten Erwin Marschewski das divergierenden Auffassungen einen Kompromiß er- Wort. zielt, der am individuellen Grundrecht, am Asyl, festhält, aber realistische Möglichkeiten eröffnet, Mißbrauch entgegenzuwirken. Es ist ein Kompromiß, Erwin Marschewski (CDU/CSU): Herr Präsident! der unzählige Verhandlungsrunden erfordert und an Meine Damen und Herren! Es wurde Zeit, daß wir die an den Verhandlungen Beteiligten auch entspre- heute eine Änderung des Grundrechts auf Asyl chende physische Anforderungen gestellt hat. Deswe- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13533

Erwin Marschewski gen darf ich mich ganz herzlich bei allen Kollegen von auch die Regelung mit den sicheren Herkunftsländern der SPD, F.D.P. und CSU bedanken. getroffen. Aber lassen Sie mich einen besonderen Dank- einem Richtig ist, meine Damen und Herren, daß jedem Kollegen sagen, der heute nicht hier dabeisein kann. Verfolgten Schutz gewährt werden muß, aber nicht Ich meine unseren erkrankten Freund Johannes Ger- notwendigerweise in Deutschland — das ist vorhin ster. schon gesagt worden —, sondern auch in den demo- kratischen Anrainerstaaten, in Frankreich, in Polen, in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. der Tschechischen Republik, in Österreich oder in der sowie bei Abgeordneten der SPD) Schweiz. Deswegen können wir dem neuerlichen Ich bedanke mich bei ihm, und ich wünsche ihm in Anliegen von SPD-Abgeordneten, Ausnahmen von unser aller Namen von ganzem Herzen alles Gute, der Drittstaatenregelung zuzulassen, wenn jemand gute Besserung! bloß behauptet, politisch gefährdet zu sein, nicht (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der zustimmen. Es gäbe niemanden, der dann nicht miß- SPD) bräuchlich zu seinen Gunsten angäbe, daß dies gerade für ihn zuträfe. Die Drittstaatenregelung — Es liegt bei jeder Form eines Kompromisses auf der allein Konsequenz der Akzeptanz des subjektiven Hand, daß er nicht alle Seiten voll bef riedigt. Dessen Grundrechts — würde ins Leere gehen. Ich sage bewußt, möchte ich hier nur auf einen Vorwurf einge- Ihnen: dies alles ohne Grund. Die Ge richte würden hen, der in besonderem Maße unberechtigt ist: die zusätzlich belastet, die Asylbewerber würden wieder Behauptung, die Regelung sei unchristlich. auftauchen oder untertauchen können, und dem Miß- Gegenüber solchen Protesten stelle ich nochmals brauch würde Tür und Tor geöffnet. klar: Die Reform des Asylrechts dient gerade dem Ein Wort zu Polen: Es war behauptet worden, daß Schutz der tatsächlich politisch Verfolgten, d. h., dem wir mit der Drittstaatenregelung namentlich Polen Schutz von Menschen, die in ihren Heimatländern aus überfordern wollten. Daß dies nicht der Fall ist, haben politischen Gründen daran gehindert werden, die wir bewiesen. Das am 7. Mai geschlossene Abkom- allein den Menschen von Gott gegebene Freiheit zu men hat, so meine ich, Modellcharakter. Ich darf mich gebrauchen. Es geht darum, Menschen Asyl zu an dieser Stelle ganz besonders beim Bundesinnenmi- gewähren, deren Leben dadurch bedroht ist, daß sie nister herzlich bedanken. entsprechend ihrer Überzeugung h andeln und sich äußern. (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord neten der F.D.P.) Vielleicht ist der erwähnte Vorwurf — leider oftmals Herr Seiters, Sie haben für unser L and Gutes getan, in Unkenntnis des tatsächlich Beschlossenen abgege- und Sie haben für das Verhältnis Deutschlands zu ben — für Gutgläubige entschuldbar, aber nur für Polen Gutes getan. Gutgläubige; denn ich räume ein, daß die komplizier- ten Vorschriften des Völkerrechts, des Verfassungs- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) rechts, des Ausländerrechtes sicherlich außerge- Meine Damen und Herren, wir sind bereit — Mini- wöhnliche Anforderungen an das Gesamtverständnis ster Seiters hat es gesagt —, ein entsprechendes stellen. Abkommen auch mit der Tschechischen Republik zu Deswegen stelle ich noch einmal klar: Die Genfer schließen, dies ebenfalls nach den Zielen, die der Konvention und die Europäische Menschenrechts- polnische Präsident Walesa wie folgt formuliert hat: konvention, also völkerrechtliche Übereinkommen, Wir wollen nicht zulassen, daß Deutschl and durch sind und bleiben für die Bundesrepublik Deutschland ein Überangebot von Flüchtlingen destabilisiert geltendes bindendes Recht. wird. Wir müssen Deutschland vor Wirrwarr Wie hoch wir diese beiden internationalen Abkom- schützen. men einschätzen, ersehen Sie daraus, daß wir beide Aber er hat weiter gesagt: Abkommen jetzt ausdrücklich im Grundgesetz erwähnen. Wir halten uns an die Genfer Konvention, Wir dürfen auch nicht zulassen, daß Polen desta- an die Vereinbarungen zum Menschenrecht auf euro- bilisiert wird. päischer Ebene. Meine Damen und Herren, das ist ein ernstes Wort, Aber das hindert uns nicht daran, das Asylrecht zu auch an die Damen und Herren, die vielleicht dieser novellieren. Kernpunkt der Novellierung — das ist Regelung noch nicht ihre Zustimmung geben. Wir vorhin gesagt worden — sind eben die sicheren wollen mit Polen zusammenarbeiten. Wir wollen die Herkunftsstaaten und die sicheren Drittstaaten. jungen Demokratien des Ostens unterstützen, und diesem Zweck dienen diese Abkommen. Wer würde heute diesen einfachen Satz „Politisch Verfolgte genießen Asyl" noch so auslegen, daß (Beifall bei der CDU/CSU) jemand, der sich darauf beruft, hier einreisen kann, Im Gesamtpaket zur Regelung des Asylrechts findet daß er jahrelang hierbleiben kann, daß selbst dann sich insbesondere ein wich tiger Punkt, über den wir eine umfassende Prüfung erforderlich ist, wenn über- lange diskutiert haben, die Flughafenregelung. Es haupt keine Anhaltspunkte für irgendeine politische war eine schwierige Frage, aber wir waren einfach Verfolgung vorliegen? Deswegen brauchen wir das gezwungen, diese Regelung einzuführen, weil wir neue Asylrecht. Wir haben die Drittstaatenregelung bedauerlicherweise über Schlepper verstärkten Zu- gemacht, weil wir das subjektive Grundrecht letzten strom von Asylbewerbern auf dem Luftwege zu ver- Endes beibehalten wollten. Deswegen haben wir zeichnen haben. Daher ist es wich tig, hier eine Rege- 13534 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Erwin Marschewski lung gefunden zu haben, die es uns ermöglicht, vor — Meine Damen und Herren, auch Sie waren keine der Einreise über Asylanträge zu entscheiden und vor Hellseher und konnten das Jahr 1989 mit der Öffnung allen Dingen ein Untertauchen von Leuten,- die poli- der Grenzen zum Ostblock nicht voraussehen. tisch nicht verfolgt sind, auszuschließen. (Beifall bei der SPD — Norbert Geis [CDU/ Diesem Zweck dient schließlich auch das neue CSU]: Denken Sie an Wehner!) Asylbewerber-Leistungsgesetz. Ich meine, wir kön- nen und dürfen nicht zulassen, daß deutsche Sozial- Sie haben niemals darauf reagiert. Die von der CDU/ hilfegelder weiterhin auch dafür verwendet werden, CSU 1991 vorgeschlagene Verfassungsänderung, die die verbrecherischen Machenschaften von Men- heute auf Grund des neuen Kompromisses für erledigt schenschmugglern zu finanzieren, was leider derzeit erklärt wird, ist nur eine Verfassungsänderung in geschieht. bezug auf Westeuropa, nämlich in bezug auf die Staaten des Schengener Abkommens. Dies war noch (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord vor anderthalb Jahren Ihr einziger Lösungsversuch. neten der F.D.P.) (Beifall bei der SPD) Es glaubt doch niemand, daß die 30 000 DM, die die chinesische Mafia den Leuten abpreßt, allein daraus Wir hätten diesen Kompromiß mit a ll seinen bezahlt werden, daß die Menschen zu Hause ihre Schwierigkeiten und diese A rt der Verfassungsände- Habseligkeiten verkaufen. Diese Banden werden lei- rung weder von Ihrer Seite noch von unserer Seite der auch über Sozialhilfe bezahlt. Wer dies alles weiß, jemals in Angriff genommen, hätte sich nicht die der kann, so meine ich, dem vorliegenden Asylpaket historische Veränderung des Jahres 1989 vollzogen seine Zustimmung nicht verweigern. Wer heute ja und hätten wir nicht den Zustrom von europäischen sagt, der folgt dem, was der Souverän, was die Flüchtlingen, die zu 80 % aus Osteuropa kommen. Das Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zum übergro- ist die entscheidende Änderung. Damit sind viele ßen Teil wollen, der folgt dem, was die tatsächliche Prognosen, viele Einschätzungen — auch die der Lage von uns allen erfordert und was verfassungs- Sozialdemokraten — durch eine neue Wirklichkeit rechtlich unbedenklich ist. Denn keinem politisch über den Haufen geworfen worden. Das ist die histo- Verfolgten droht die Gefahr, in einen Staat abgescho- rische Wahrheit. ben zu werden, in dem ihm politische Verfolgung (Beifall bei der SPD) droht. Entscheidungen und Regelungen über die Begren- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zung der ungesteuerten Zuwanderung sind schwierig Das Schlußwort soll denen gelten, die zum Asyl- und niemals widerspruchsfrei. Jede neue Regelung kompromiß immer noch nein sagen. Ich appelliere an muß in ihren humanitären und ethischen Ansprüchen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Unser Volk und an ihrer möglichen und notwendigen Wirksam- verlangt eine praktikable Antwort zur Lösung des keit zur Begrenzung der ungesteuerten Zuwanderung Asylproblems. gemessen werden. Dieser Widerspruch ist meistens (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht voll aufzulösen. Weil das so ist und weil das auch bei diesem Kompromiß so ist, dem ich zustimme, weil Es kann Diskussionen und Fragen — manche sagen ich ihn für notwendig halte, obwohl er Widersprüch- auch: rein akademische Diskussionen und Fragen — lichkeiten enthält und man in bestimmten Bereichen nicht mehr ertragen; sonst wird es sich uns verwei- Fragezeichen setzen muß, gehöre ich nicht zu denje- gern. Und wie sieht dann die Alternative aus? Wenn nigen, die meinen, man könne sich jetzt, da das Werk Geschichte überhaupt lehren kann, dann sagen uns getan ist, auf die Schulter klopfen. die 20er Jahre und der Beginn der 30er Jahre: Weimar ist gescheitert, weil sich Demokraten nicht einigen Im Gegenteil! Meine Unsicherheit — bezogen auf konnten. Wir müssen uns bewähren, indem wir zei- das globale Problem, vor dem wir stehen — ist nach gen, daß wir zu Problemlösungen fähig sind. wie vor groß. Wenn man sich unter rechtlichen, humanitären, weltweiten Aspekten sehr intensiv mit Herzlichen Dank. dieser Mate rie beschäftigt, kommt man sich schon ein (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der bißchen wie Don Quichotte, der gegen die Windmüh- F.D.P.) lenflügel kämpft, vor. Warum? Weil ein globales Problem, das uns wahrscheinlich auf Jahrzehnte begleiten wird, von einem demokratischen Rechts- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile staat mit seinen Regularien immer nur in Teilaspekten nunmehr dem Abgeordneten Gerd Wartenberg das gelöst werden kann. Wort. (Beifall bei der SPD) Deswegen ein Appell an die Öffentlichkeit: Keiner darf erwarten, daß dieses globale Problem in einem Gerd Wartenberg (Berlin) (SPD): Herr Präsident! offenen Europa mit rechtsstaatlichen Instrumentarien Meine Damen und Herren! Vorab eine Bitte an die so gelöst wird, wie mancher sich das vorstellt. Viele CDU/CSU-Fraktion: Herr Schäuble und auch der hoffen, die Zuwanderung insgesamt müsse doch so Kollege Marschewski haben soeben noch einmal drastisch begrenzbar sein, daß alle Probleme zu lösen darauf hingewiesen, daß die CDU/CSU das Asyl sind. Das wird nicht so sein. Deswegen stimmt auch Problem schon vor Jahren gesehen und die richtigen die Kritik nicht, die von Herrn Weiß vom BÜNDNIS 90 Instrumente angeboten habe. oder von Herrn Gysi vorgetragen worden ist, wonach (Zurufe von der CDU/CSU: Das ist so!) dieses Land das Asylrecht aufgegeben hat und hier Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13535

Gerd Wartenberg (Berlin) keine Verfolgten mehr Zuflucht finden können. Das ist lösen. Wenn man das nicht anerkennt und das nicht dummes Zeug! sieht, dann ist dies Doppelmoral. Ich bitte, dafür - Verständnis zu haben, daß solche Menschen, die mit (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der den Problemen direkt konfrontiert werden, häufig F.D.P.) anders reagieren als solche, die weit weg von der Wenn wir uns des mühsamen und so schwierigen Materie und von diesem Problem sind. Versuchs unterzogen haben, uns den wirklichen Pro- blemen unserer Gesellschaft zu stellen, der Überla- (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Da ha stung der Städte und Gemeinden, den Schwierigkei- ben wir leider zu viele!) ten der Integration, der Ängste und der Sorgen der Dieses Land nimmt Menschen auf, und zwar nicht nur Menschen unter schwierigen wirtschaft lichen Bedin- unter dem Dach unseres sehr weiten Asylrechts, gungen bei gleichzeitig großer Zuwanderung, dann sondern es nimmt auch sehr bewußt Bürgerkriegs- ist das nicht ein Eingehen auf das, was man „Druck flüchtlinge auf. Ich habe mir gestern noch einmal die der Straße" nennt. Wenn man Ängste und Sorgen von Statistik des UNHCR angesehen. Danach hat kein Bürgern in einer schwierigen Zeit und die begrenzte Land so viele Bürgerkriegsflüchtlinge außerhalb des Handlungsfähigkeit des Staates diffamiert, indem Asylrechts aufgenommen wie die Bundesrepublik man einfach von einem unzulässigen „Druck der Deutschland — 240 000. Straße" spricht, dann wird man in einer Demokratie den Sorgen und Nöten vieler Menschen niemals (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der gerecht werden können. F.D.P.) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Man kann schon etwas bitter werden — auch F.D.P.) gegenüber unseren europäischen Nachbarn —, daß es auf der Konferenz in Lissabon im letzten Jahr unmög- Meine Damen und Herren, ich weiß, daß es in lich war, eine Regelung der Europäischen Gemein- meiner Fraktion viele Kritiker dieses Kompromisses schaft zur Aufnahme von bosnischen Flüchtlingen zu gibt. Von diesen weiß ich aber auch, daß sie sich finden. quälend der Realität gestellt haben und daß sie in quälenden Prozessen Verfassungsänderungsvor- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der schläge erarbeitet haben, um dem Anspruch an Ethik F.D.P.) und Wirksamkeit gerecht zu werden. Aber wenn das so ist, dann kann man dieses Problem Es gibt aber leider auch Kritiker — da muß ich noch nicht ausweichend behandeln, wie das insbesondere einmal Herrn Weiß und Herrn Gysi ansprechen —, die einige von den Gruppen gemacht haben, die sagen, das Thema auf eine so abstrakte Ebene heben, daß erst einmal müsse eine europäische Lösung her. Eine man die Wirklichkeit nicht mehr sehen muß. europäische Lösung kann leider — das muß man auch ein wenig resignativ feststellen — nur dann erfolgen, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der wenn auch von den überlasteten Staaten — die F.D.P.) Bundesrepublik Deutschland ist einer dieser Staa- Auch dies ist eine Form von Selbstbetrug, die in einer ten — Druck auf andere ausgeübt wird. Gesellschaft gefährlich ist. Wer die Wirklichkeit mit der Überlastung und den Schwierigkeiten unserer (Beifall bei der SPD) Gemeinden ausblendet, wird auch niemals politisch Nur so wird in absehbarer Zeit eine europäische überzeugend handeln können. Lastenverteilung zu erreichen sein. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Ich weiß: Für viele ist es ganz besonders schwierig, F.D.P.) in den Prozeß der Lastenverteilung unsere östlichen Meine Damen und Herren, es wird behauptet, Nachbarn einzubeziehen. Ja, das ist ein ernstes Pro- dieses Land sei kleinlich und bösartig in der Diskus- blem. Gleichwohl sind wir in die Verhandlungen und sion und bei dem Versuch, Regelungsmechanismen Diskussionen nicht einfach nach dem Motto gegan- zur Steuerung der Zuwanderung zu finden. Dieses gen: Wir wollen den anderen unsere Last aufbürden. Land — das sage ich mit Stolz — ist ein Land, das zum Der Vertrag, der mit Polen geschlossen worden ist, ist Teil gewollt, zum Teil ungewollt — wegen seiner beispielhaft. Er ist der einzige Vertrag dieser Art in der geographischen Lage — wie kein anderes Industrie- Welt, der ein echtes burden-sharing beinhaltet. land Menschen aufnimmt und sich trotz der sich (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der daraus ergebenden Belastung redlich bemüht, sie F.D.P.) unterzubringen. Gewiß haben wir das nicht nur aus Altruismus (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der gemacht, sondern auch deswegen, weil wir in einer F.D.P.) Notlage sind. Das heißt, wir haben das gezwungener- Wer die Schwierigkeiten unserer Gemeinden und maßen gemacht, um uns zu entlasten, aber auch um ihrer vielen Bediensteten, aber auch der Wohlfahrts- den Polen zu helfen. Ich glaube, das ist nicht verwerf- verbände und der Kirchen sieht, mit diesem Problem lich in einer Situation, in der ein Land innenpolitisch umzugehen, der weiß, was wir manchmal in unserem erhebliche Probleme hat und es auf Dauer nicht Lande von der politischen Ebene her einzelnen Men- zulassen kann, daß andere Lander, welche auch schen zumuten, weil wir bis jetzt keine Instrumenta- immer, sagen: Wir machen so lange nichts, wie die rien gefunden haben, die wirksam genug sind, dieses Bundesrepublik Deutschland uns die Probleme Problem auf eine andere Ebene zu heben und dort zu abnimmt. Dann muß es erlaubt sein, auch das deut- 13536 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Gerd Wartenberg (Berlin) sche innenpolitische Interesse zu formulieren. Das ist Behörden werden dann nicht mehr abschieben. Des- nicht illegitim. wegen ist die Regelung des § 34 a Abs. 2 kontrapro- duktiv. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.) Lassen Sie uns die Regelung, die Kollege Schmude vorgeschlagen hat, heute beschließen. Sie werden Dieses Interesse — so wird unterstellt — gehe voll zu sich sonst wundern, welche Probleme wir in den Lasten von Verfolgten. Das stimmt nicht. Die Dritt- nächsten anderhalb Jahren haben werden, bis das staatenregelung, gegen die sich die Aggressivität am Verfassungsgericht entschieden hat. Ich kann alle nur stärksten entlädt, ist vom Ansatz her nichts Neues. Wir davor warnen. Wir haben den § 34 a Abs. 2 des haben in den alten Asylgesetzen seit über zehn Jahren Asylverfahrensgesetzes nicht aus Jux und Dollerei immer eine Drittstaatenregelung gehabt. Wir haben problematisiert, sondern weil wir unter dem Aspekt — erstaunlicherweise — Gerichtsurteile, daß Afgha- der Rechtsstaatlichkeit und der Wirksamkeit einen nen, die in Pakistan waren, zurückkehren mußten, Weg finden müssen, der auch funktioniert. Ich glaube, weil Pakistan als sicherer Drittstaat für Afghanen wir vertun die Chance, wenn wir in diesem Punkt jetzt anerkannt wurde. Das haben unsere höchsten nicht eine Revision im Sinne des SPD-Vorschlags Gerichte gesagt. Allerdings hatte diese Drittstaatenre- vornehmen. gelung unter der uneingeschränkten Verfassungsfor- mulierung des alten Art. 16 Abs. 2 GG nur eine sehr Recht herzlichen Dank. begrenzte Wirksamkeit. Deswegen mußte neben der (Anhaltender Beifall bei der SPD) individuellen Prüfung der Verfolgungstatbestände ein Mechanismus geschaffen werden, der a p riori an die anderen westeuropäischen Staa- — angelehnt Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zu einer ten — bestimmte Länder zu sicheren Drittstaaten Kurzintervention möchte ich dem Abgeordneten erklärt und uns die Möglichkeit gibt, wenn sicherge- Michael Glos das Wort erteilen. stellt ist, daß dort um Asyl nachgesucht werden kann und ein Asylverfahren durchgeführt wird, die Men- schen dorthin zurückzuschicken. Das ist hart. Aber es Michael Glos (CDU/CSU): Durch Telefonanrufe ist unter dem Aspekt der europäischen Verteilung weiß ich, daß in der Parlamentsberichterstattung, die unumgänglich. Darauf haben sich alle westeuropäi- zur Stunde im ZDF läuft, mein Beitrag am Schluß schen Staaten schon lange eingelassen. Nebenbei falsch dargestellt und kommentiert worden ist. Ich gesagt: Im letzten Jahr haben sechs europäische habe nicht die Forderung nach Abberufung Staaten Drittstaatenregelungen eingeführt, die sehr (Unruhe — Glocke des Präsidenten) hart sind. Auf Grund der Notwendigkeit, andere Länder in den Problembereich der Flüchtlingsbewe- der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung gungen einzubeziehen, gibt es keine andere Möglich- erhoben, falls sie dem Asylkompromiß nicht zustimmt, keit. Gleichwohl ist gesichert, daß politisch Verfolgte sondern ich habe an die Ausländerbeauftragte wie an hier auch weiterhin Aufnahme finden können. andere Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktio- nen appelliert, dem Asylkompromiß zuzustimmen. Die Bürgerkriegsregelung, die wir geschaffen haben, ist mehr als ein Goodwill. Es ist die ausdrück- (Beifall bei der CDU/CSU) liche Feststellung, daß dieses Land, obwohl es stark belastet ist und auch weiterhin stark belastet sein Nunmehr wird, Bürgerkriegsflüchtlingen neben den Asylsu- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: hat der Abgeordnete Detlef Kleinert das Wort. chenden eine hohe Priorität einräumt. Auch das ist eine Sache, die uns mit Stolz erfüllen sollte. Andere Staaten machen das nicht. Detlef Kleinert (Hannover) (F.D.P.): Herr Präsident! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Viele der CDU/CSU) Vorredner, gerade eben in sehr eindrucksvoller Weise Meine Damen und Herren, die Drittstaatenregelung Herr Kollege Wartenberg, haben auf die rechtlichen Schwierigkeiten hingewiesen, in denen wir uns befin- hat einen Fehler — darauf haben die Kollegen Klose und Schmude hingewiesen —, der nicht allein ein den und denen wir heute mit einer ganz besonderen Kraftanstrengung zu entkommen versuchen, nämlich Schönheitsfehler ist. Der totale Ausschluß des Tätig- mit einer Grundgesetzänderung aus einem sehr werdens eines Gerichts durch einfachgesetzliche bedeutenden, sehr umfassenden, aber immer noch Regelung ist nicht zu vertreten. Ich bitte Sie noch einzelnen Anlaß. Ich habe da so meine Zweifel. einmal darüber nachzudenken, wie kontraproduktiv diese Regelung sein kann. Jeder weiß: Das Verfas- Wir haben uns vor Jahren schon darüber unterhal- sungsgericht kann es aus eigenem Interesse nicht ten, ob man das, was hier in den Folgegesetzen heute zulassen, die einzige Instanz zu sein, bei der Verfah- zu verabschieden beabsichtigt ist, mit Recht und ren geführt werden, d. h. de facto so etwas wie ein guten Gründen, auch ohne eine Grundgesetzände- Verwaltungsgericht zu sein. rung hätte verabschieden können. Nach jüngsten Vorkommnissen im Zusammenhang mit der AWACS- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auseinandersetzung neige ich wieder sehr viel mehr Wenn das so ist, bedeutet das: Wenn die ersten Fälle dazu, zu sagen: Selbst wenn nur Zweifel bestehen, ob bei Gericht anhängig werden, wird die Abschiebung einfachgesetzliche Regelungen mit dem Grundgesetz erst einmal ausgesetzt werden. Wir haben dies bei vereinbar sind, sollte m an lieber hier handeln und das anderen asylrechtlichen Maßnahmen erlebt. Die Grundgesetz ändern, als erst einmal einfachgesetzlich Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13537

Detlef Kleinert (Hannover) tätig zu werden und die Sache dann dem Verfassungs- Pech und wurden dabei verbrannt. Unterschrift: Her- gericht zuzuschieben. mann Rappe. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Das ist ja nicht das Schlimmste an dieser Veröffent- ten der SPD) lichung, sondern die Einleitung lautet: Das ist des Hauses nicht würdig. In Hildesheim wurden Handzettel in Briefkästen gesteckt, die den Briefkopf der SPD und die Darum bin ich dankbar dafür, daß wir diesen klaren Unterschrift des SPD-Bundestagsabgeordneten Weg gehen. Ob er aber wirklich zu dem führt, was wir Hermann Rappe tragen. Rappe ist Befürworter wollen, nämlich zu der reinlichen Trennung derjeni- einer Asylrechtsänderung und gilt innerhalb der gen, die die Mütter und Väter, wie es neuerdings so SPD auch in anderen Fragen als rechter Hardli- schön heißt, des Grundgesetzes gemeint haben, als sie ner. gesagt haben: „Politisch Verfolgte genießen Asyl" , da bin ich mir sehr unsicher. Wir dokumentieren das offenkundig gefälschte Schreiben — ein ähnliches ist bereits zu Lörrach (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.]) aufgetaucht — und sind gespannt, ob es Nachah- Ich hätte eine noch klarere Regelung bevorzugt, mer findet. wobei ich übrigens keinen Zweifel daran lassen Die Herausforderung zur Hetze, zur Gemeinheit, möchte: Für mich wäre die klarste Regelung die, daß zur Verdummung — das ist es, was wir nicht mit die Bürger in unserem Lande so wie die große Mehr- niedersächsischer Staatsknete in diesen Kreisen heit der hier im Hause Anwesenden sich einfach so gefördert wünschen. benehmen, wie man sich benimmt, daß man nämlich (Lebhafter Beifall bei der F.D.P. und der gastfrei ist, daß man freundlich zu Fremden ist, daß CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der man sie gerne in seinem Hause aufnimmt — insonder- SPD) heit dann, wenn sie verfolgt sind — und daß man das tut ohne ins einzelne gehende gesetzliche Vorschrif- An dieser Stelle bekenne ich, daß ich nach vielen ten. Jahren des Zögerns in diesen Tagen sehr ernsthaft darüber nachgedacht habe, ob meine Partei nicht in (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der Hamburg recht getan hat, als sie die Abkoppelung der SPD) Kirchen vom Staat durch Beseitigung der Kirchen- Das würde ich mir wünschen, ohne Rechtsprechung, steuer wollte. ohne detaillierte Gesetze, mit denen wir uns — das (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) fürchte ich jedenfalls — schon wieder in die Irre Es ist nun einmal feststellbar, daß zu Revolutionen in schicken. Wir alle haben doch diese normale Einstel- diesem Lande besonders fest besoldete Persönlichkei- lung und können uns darauf verlassen. ten neigen, und dazu möchte ich nicht beitragen. Ich glaube, daß wir den anderen, den formalen Weg (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU heute gehen müssen. Wir gehen ihn aus Überzeu- sowie bei Abgeordneten der SPD) gung. Ich habe eben gesagt, was besser wäre: dieje- nigen, die wir meinen, hier mit offenen Armen aufzu- nehmen, und alle, die wir nicht meinen, höflich, aber Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort leider bestimmt, weil die Welt so ist und weil wir — in hat nunmehr die Abgeordnete Ulla Jelpke. den Ralationen der Welt — ein sehr kleines L and sind, wieder nach Hause zu schicken. Ulla Jelpke (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Diese Veranstaltung heute ist benutzt worden, um Meine Damen und Herren! Ich erfahre gerade, daß einen, ich will nicht gerade sagen, sehr ernsthaften, sechs Polizeibeamte im Büro von Dagmar Enkelmann aber immerhin einen Ang riff auf unsere Entschei- und in meinem Büro waren, um dort ein Transparent dungsfreiheit zu unternehmen — interessanterweise „Asylrecht verteidigen! " abzunehmen. durch Leute, die von sich sagen, wir sollten hier nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dem Druck der Straße weichen, aber ihrem Druck. Das ist sehr interessant. — — Daß Sie an dieser Stelle klatschen, zeigt nur, welche demokratische Gesinnung Sie haben. Das (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) macht das sehr deutlich. Es mag mir nicht einleuchten, daß Menschenwürde (Zuruf von der CDU/CSU: Das müssen Sie als anderer einen Teil Verzicht auf Menschenwürde Kommunistin uns sagen! — Weitere Zurufe bedeutet. Das kann doch wohl in sich keinen Sinn von der CDU/CSU) geben. Ich verlange jedenfalls von der Präsidentin dazu eine Es mag mir überhaupt, um zur Praxis zu kommen, Erklärung; denn noch ist es doch wohl so, daß Abge- nicht einleuchten, daß der Flüchtlingsrat Niedersach- ordnete zumindest anwesend sein müssen, wenn sen, gemeinnützig, ein eingetragener Verein, den Polizeibeamte in ihr Büro eindringen. Kollegen Rappe mit einem angeblich von ihm verfaß- Meine Damen und Herren, heute siegt die Gewalt ten Brief zitiert, in dem es u. a. heißt: Wir sind alle der Straße, und die Grundrechte verlieren. überfordert, wir Sozialdemokraten sind be troffen, nor- male deutsche Jugendliche sind verunsichert und (Widerspruch bei der CDU/CSU) sehen sich in ihrer Not zu unschönen Szenen gegen Es muß daran erinnert werden, daß die Beschleuni verarmte Flüchtlinge gezwungen. Das geschieht nicht gung, die das Projekt „Abschaffung des Grundrechts immer ganz demokratisch. Einige Ausländer hatten auf Asyl" phasenweise erfahren hat, explizit mit 13538 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Ulla Jelpke neofaschistischem und rassistischem Terror auf der Auch die neuen, großzügigen Einbürgerungs- und Straße begründet worden ist. Als Zugabe wurde Bleiberechtsregelungen waren leere Versprechun- jeweils eine unglaubliche Hetze in den Medien gege- gen. ben. Ich zitiere aus der „Hamburger Morgenpost": Ich erinnere an die unzähligen Anregungen und Man kann es nicht leugnen, Roma sind eine Anträge auch hier im Hause, den Bundesbeauftragten ernsthafte Plage. abzuschaffen, der mit seinen Zigtausenden von Ein- In der „Badischen Zeitung" heißt es: sprüchen die Verfahren verschleppt und behindert. Ich erinnere an die Forderungen, einen Sonderstatus Roma sind die reinste Seuche. für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge zu schaffen, Die „Kölner Rundschau" schreibt: damit diese nicht ins Asylverfahren gedrängt werden die dringenden Bitten des Wer sich absolut nicht anzupassen vermag, muß müssen. Ich erinnere an das Land verlassen, und zwar so schnell wie Hohen Flüchtlingskommissars, endlich die Genfer Flüchtlingskonvention und die dort enthaltene Flücht- möglich. lingsdefinition wieder ins Asylverfahrensgesetz auf- (Zurufe von der CDU/CSU: Jawohl!) zunehmen. Nichts davon wurde aufgegriffen. — „Jawohl" höre ich hier. Diese Geschichte hat auch die Opposi tion verschlis- Und jetzt ein Zitat des nordrhein-westfälischen sen. Ohne die SPD wäre heute eine Änderung des Sozialministers. Er erklärte im Sommer 1992: Grundrechts auf Asyl nicht möglich. Und die Nieder- Die Ausländerfeindlichkeit ist eindeutig durch lage der parteiinternen Opposition hat keineswegs am das Fehlverhalten einiger Ausländergruppen Dienstag stattgefunden, sondern die Etappe hat verursacht worden, die das Klima vergiftet haben. begonnen mit dem Festklopfen der Eckpunkte der Es handelt sich dabei um Sinti und Roma. neuen Gesetze in halbkonspirativen Kanzlerrunden und Spitzengesprächen. Dazu hat die SPD-Opposition Diese und andere Schlagworte wurden mehr und viel zu lange geschwiegen. mehr zu Brandsätzen, Baseballschlägern und Stiefel- tritten — und nur wenige hier haben sich geweigert, Heute werden Sie eine Bürgerkriegsflüchtlingsre- auf der Woge dieser Stimmung zur beschleunigten gelung verabschieden, die elementaren Beschlüssen parlamentarischen Hinrichtung des Asylrechts zu sur- des Exekutivkomitees des UNHCR widersp richt. Im fen. Falle von massenhaften Fluchtbewegungen soll näm- Es ist kein Appell des Bundeskanzlers vor dem lich den Flüchtlingen ohne Rücksicht auf ihre indivi- Presserat an die journalistische Ethik bekanntgewor- duelle Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer den, um die Privatsphäre und Unverletzbarkeit der Konvention ein Mindestschutz gewährt werden. Sie Ausländer und Ausländerinnen zu schützen. Dort werden dagegen eine Regelung verabschieden, nach redet er erst jetzt und nur für die Ehre seinesglei- der Bund und Länder über den Kriegs- oder Bürger- chen. kriegszustand in bestimmten Gebieten übereinstim- mend entscheiden müssen; danach müssen Bund und Die Furcht vor rassistischen Ausschreitungen Länder auch übereinstimmend über Kontingente ent- zwingt doch niemanden, die Opfer zu Tätern zu scheiden. machen, und Pro Asyl fragt ja zu Recht, ob wir in einem Land leben möchten, in dem das „Gesetz der Straße" So legitimiert und kontingentiert müssen die Flücht- gilt. Heute stimmt jedenfalls eine Mehrheit dafür. linge dann auch noch darauf verzichten, einen Asylantrag zu stellen. Gerade die auch in Ihrer Defi- (Gerhard O. Pfeffermann [CDU/CSU]: Das ist nition eigentlich politisch Verfolgten verlieren damit doch unglaublich, was Sie da verzapfen!) ihren Anspruch auf Abschiebeschutz bei Beendigung So etwas entsteht nicht von heute auf morgen. der Kriegs- oder Bürgerkriegsregelung. Welche Verhältnisse hatten wir eigentlich bisher im Bereich der Asylpolitik, daß jetzt der Größenwahn an Sie opfern heute internationale humanitäre Normen den Grenzen aufrüsten kann? Und warum wird genau der Ermächtigung für Bund und Länder über die das von einer Mehrheit hierzulande als Politik der Entscheidung, wo denn schon Krieg oder noch Krise Vernunft gegenüber Flucht- und Migrationsbewe- herrscht. Nichts wird einfacher sein, als die Humanität gungen vor der eigenen Haustür begriffen? im Bermudadreieck von politischen Überzeugungen, diplomatischen Erwägungen und dem Zwang zur Aus der wachsenden Zahl von Asylbewerberinnen Einstimmigkeit zwischen allen Bundesländern und und -bewerbern wurde nicht auf wachsende soziale dem Bund verschwinden zu lassen. und politische Probleme geschlossen, die eine tief- greifende Änderung vor allem der Außen- und der Das Gezerre um Übereinstimmung in Sachen ehe- Entwicklungspoli tik zur Folge haben müßten; ge- malige Werkvertragsarbeitnehmer der DDR bestätigt schlossen wurde auf wachsenden Mißbrauch unseres diese Befürchtungen. Der jetzt in Baden-Württemberg angeblich zu liberalen Asylrechts. Und die Geschichte aufgehobene Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Kro- des Asylverfahrensgesetzes ist die Geschichte der atien und der Umgang mit den noch geduldeten Einschränkung des Grundrechts auf Asyl, des Aus- kurdischen Flüchtlingen zeigen dies ebenfalls. baus seiner abschreckenden und diskriminierenden Elemente wie Sammellager, mal Arbeitsverbot, mal Die auch von diesem Hause aus gezielt abgesenkte Arbeitspflicht, Einschränkung der Freizügigkeit, So- Toleranzschwelle der Deutschen wurde dargestellt zialhilfe als Sachleistungen, Einführung der Visums- als sachliche Grenze der Belastbarkeit. In kaum ver- pflicht. hüllter Arbeitsteilung mit Rechtsradikalen wurde der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13539

Ulla Jelpke Umgang mit Schwächeren aller sozialer, sozialstaatli- und Asylbewerberinnen können ohne ordentliches cher und humanitärer Phrasen entkleidet. Verfahren von L and zu Land geschoben werden, (Gerhard O. Pfeffermann [CDU/CSU]: Das- ist unter Umständen bis in ihr Herkunftsland. doch eine Unverschämtheit! Die produziert eine Unverschämtheit nach der anderen!) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Ab- Das Prinzip wenden Sie auch nach außen an. geordnete, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- (Hans-Gerd Strube [CDU/CSU]: Es wird Zeit! geordneter Pfeffermann, ich bitte Sie, ruhig zu blei- Abtreten! — Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Die ben. Vorlesezeit!) (Erneuter Zuruf des Abg. Gerhard O. Pfeffer mann [CDU/CSU]) Ulla Jelpke (PDS/Linke Liste): Darf ich noch einen — Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, ruhig zu blei- letzten Satz sagen: ben. — Fahren Sie fort, Frau Abgeordnete. (Hans-Gerd Strube [CDU/CSU]: Auch nicht einen Satz mehr!) Ulla Jelpke (PDS/Linke Liste): Ich nenne die Ver- Demokratische Politik wurde durch Populismus träge mit Rumänien, mit Polen, die Verhandlungen ersetzt. Wir lehnen dieses Gesetz ab. mit der Tschechischen Republik und anderen. (Beifall bei der PDS/Linke Liste — Jochen (Zuruf von der CDU/CSU: Es ist sehr Feilcke [CDU/CSU]: Das ist nicht überra schlimm, was die hier sagt!) schend!) Mit der Drohung, 40 000 Menschen zurückgescho- ben zu bekommen, und der Wiedereinführung der Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile Visumpflicht für polnische Bürgerinnen und Bürger der Abgeordneten Frau Ingrid Köppe das Wort. wurde die Zustimmung der polnischen Regierung zu dem neuen Abkommen befördert. 120 Millionen Mark (Helmut Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Die gibt es, nicht für den Aufbau der polnischen Gesell- ist ja hier im Ernteeinsatz-Look!) schaft, sondern für ein bißchen Asylbürokratie und sehr viel Technik zur Aufrüstung an den polnischen Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Grenzen. Letzteres muß auch noch zum großen Teil in Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten der Bundesrepublik eingekauft werden. Stunden sind hier in der Debatte mehrmals Übergriffe (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Was ha auf Abgeordnete erwähnt worden. ben Sie denn dagegen?) (Manfred Richter [Bremerhaven] [F.D.P.]: Es war die Drohung mit weiterer sozialer und politi- Auch auf Mitarbeiter!) scher Destabilisierung, die die Nachbarstaaten in das — Auch auf Mitarbeiter. Es ist selbstverständlich, daß deutsche Flüchtlingsabwehrsystem und zur Kollabo- solche Gewalt nicht dem Anliegen der Demons tration ration gezwungen hat. dient. Andererseits denke ich — — Unbekümmert setzt sich die Bundesregierung dar- Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Bei über hinweg, daß ein Großteil der Grenzschwierigkei- (Helmut ten zwischen den neuen Staaten im Osten durch die Ihrem Aussehen werden Sie auch nicht ange Jürgen Schmude [SPD]: Was ist hier gewollte Asylpolitik verursacht wird. Die Außen- griffen! — Dr. politik, die der Innenminister macht, macht Flücht- das für eine Unverschämtheit, Herr Präsi lings- und Ausländerfeindlichkeit zum Exportschla- dent! Das Aussehen der Kollegin wird hier in ger made in . Und wenn in Ungarn die Zweifel gezogen und herabgemacht! Das Sondereinheiten des Militärs Kopfprämien für aufge- kann ja wohl nicht wahr sein!) griffene Flüchtlinge erhalten, liegt die Verantwortung dafür letzten Endes hier. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich habe Jeder halse seinem Hinterl and oder Vorhof seine das nicht richtig verstanden. Wenn es so gesagt Probleme auf, damit das gemeinsame Haus der Rei- worden ist, möchte ich es in aller Schärfe zurückwei- chen sauber bleibe. — Das ist der Kern der europäi- sen. Ich behalte mir vor, einen Ordnungsruf zu ertei- schen Lastenteilung, die vom deutschen Innenmini- len. ster als neue Solidarität gepriesen wird. Diese west- Frau Abgeordnete, fahren Sie fort. europäische Komplizenschaft gegen Süden und Osten besiegeln Sie mit der Zustimmung zu den Asylgeset- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zen. und der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeord neten der SPD) Die Mittel dazu sind Drittstaatenregelung und Listen sicherer Herkunftsländer. Unterlaufen werden die Genfer Flüchtlingskonvention und andere inter- Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ande- nationale Abkommen. Ermächtigt wird die Bundesre- rerseits, denke ich, hätte man solche Gewalttätigkei- gierung zur Lösung der grenzüberschreitenden sozia- ten vermeiden können, indem man sich über die len Fragen mit Polizei und paramilitärischem Grenz- Demonstrationen, die ja angekündigt waren, langfri- regime. Von der Bundesrepublik geht ein System von stig Gedanken gemacht hätte, wenn m an das Regie- Kettenabschiebungen aus. Mögliche Asylbewerber rungsviertel nicht zu einer Festung ausgebaut hätte, 13540 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Ingrid Köppe sondern die friedliche Demonstration in der Nähe des Dieses Menschenrecht ist für Bürger und Bürgerin- Parlaments hätte stattfinden lassen. nen, die aus anderen Ländern in die Bundesrepublik kommen, bereits während der letzten Jahre immer (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Was ist -denn weiter eingeschränkt worden. Und jetzt, im Jahre das Thema!) 1993, soll auch das Menschenrecht auf Asyl faktisch Nun aber zum Thema. Es ist gar nicht lange her, da abgeschafft und sollen auch die politisch, rassisch und haben wir erlebt, wie alljährlich Zigtausende Men- ethnisch Verfolgten mit einer Festungsmauer gehin- schen aus der DDR weggegangen sind. Einige schei- dert werden, in Deutschland Zuflucht zu suchen. nen das schon vergessen zu haben; deswegen möchte (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: ich an dieser Stelle noch einmal daran erinnern. Das Menschenrecht auf Wohlstand ist der (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Das waren größte Quatsch, den ich je gehört habe!) Deutsche, keine Asylsuchenden!) Wir haben in der DDR sehr intensiv erlebt, wie es ist, — Ja, es waren Deutsche. hinter einer Mauer zu leben. Wir haben 1989 die Freude gespürt, als die Mauer endlich abgerissen (Vorsitz: Vizepräsident Helmuth Becker) wurde. Jetzt, im dritten Jahr nach der Vereinigung der Viele aus meinem Freundeskreis sind damals „rüber- beiden deutschen Staaten, erleben wir allerdings, daß gegangen" — so nannte man das —; und es waren eine neue Mauer ein Stückchen weiter östlich aufge- jedes Mal sehr lange überlegte und in vielen Nächten baut wird. Mit Überwachungsanlagen, Bewegungs- diskutierte Entscheidungen mit harten Konsequen- meldern, Infrarotgeräten und Bundesgrenzschutz soll zen. Jedes Mal hat es bedeutet, die vertraute Umge- verhindert werden, daß Wirtschaftsflüchtlinge zu uns bung zu verlassen, sich von Freunden zu trennen. Es kommen. Wir, die wir früher zu den Ärmeren gehör- bedeutete aber auch Angst vor dem neuen Leben. ten, finden uns plötzlich unter Reichen wieder, die versuchen, sich abzuschotten. (Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Was hat Meine eigene Vergangenheit ist mir zu nahe, als das mit Asyl zu tun?) daß ich jetzt plötzlich eine solche Politik befürworten Für die, die in der DDR blieben, war es jedes Mal könnte. Deswegen lehne ich eine Änderung des schmerzlich, zu spüren, wie sich der Freundeskreis Art. 16 ab. verringerte, weil so viele ausreisten. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Andererseits gab es tatsächlich etliche Gründe, der und der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeord DDR auf Nimmerwiedersehen den Rücken zu kehren. neten der SPD — Jochen Feilcke [CDU/ Diejenigen, die „rübergingen", waren in den meisten CSU]: Das war eine tolle Logik!) Fällen tatsächlich nicht politisch verfolgt. Viele, sehr viele gingen, weil sie endlich besser leben wollten. Sie Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und wollten richtiges Geld sehen für richtige Arbeit, Geld, Herren! Ich erteile jetzt unserem Kollegen Peter von dem man sich etwas leisten konnte. Sie wollten Hintze das Wort. endlich nicht mehr tagelang nach allen möglichen Waren, die sie sich kaufen wollten, durch die Stadt Peter Hintze (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe laufen oder stundenl ang vor Geschäften Schlange Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Kollege Warten- stehen. berg von der SPD hat soeben in der Debatte der (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Das ist eine CDU/CSU vorgehalten, sie habe 1989 die deutsche Verhöhnung der Flüchtlinge! Die haben ihr Einheit nicht vorausgesehen. Ich glaube, Herr War- Leben riskiert, damit sie besser einkaufen tenberg hat etwas verwechselt. können? Sie spinnen ja!) (Zuruf von der SPD: Sie haben nicht zuge Es sind tatsächlich etliche gegangen, weil sie einen hört!) besseren Wohlstand wollten. Die Wahrheit ist doch wohl, daß die SPD den Gedan- ken der deutschen Einheit aufgegeben hatte. Wir (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Erzählen Sie hingegen haben nicht nur daran festgehalten, son- doch keine Märchen!) dern wir haben sie auch mit herbeigeführt. Sie wollten, daß es ihren Kindern einmal besser geht. (Beifall bei der CDU/CSU — Renate Schmidt Viele, die aus der DDR in die Bundesrepublik ausrei- [Nürnberg] [SPD]: Aber, Herr Generalsekre sten, waren Wirtschaftsflüchtlinge. tär!) (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: — Bleiben Sie entspannt, Frau Schmidt. — Dazu paßt Das ist doch legitim!) auch das, was Frau Kollegin Köppe soeben sagte. Menschen, die in Deutschland an der Mauer erschos- Im September 1989 verteidigte Kanzler Kohl alle diese sen wurden, als Wirtschaftsflüchtlinge zu bezeichnen, Wirtschaftsflüchtlinge aus der DDR. Er sagte: finde ich unerträglich. .Ich habe etwas dagegen, daß hier bei uns in der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Bundesrepublik der eine oder andere sagt: Die ordneten der F.D.P. — Manfred Reimann kommen ja nur aus wirtschaftlichen Gründen. Ja, [SPD]: Jeder blamiert sich, so gut er kann!) die private Wohlfahrt, eine Verbesserung des eigenen Wohlstandes gehören auch zu den Men- Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege schenrechten. Hintze, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin So Kanzler Kohl im Jahre 1989. Köppe? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13541

Péter Hintze (CDU/CSU): Gerne. hat das triumphierend in den Raum gerufen. Ich muß ihm darauf antworten: Selbst das, was Sie heute aus richtiger Erkenntnis nach langjähriger Diskussion für Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Frau Köppe.- unzureichend halten, wollten Sie von der SPD damals nicht einmal mittragen. Das ist die Wahrheit. Deutsch- Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr land wäre viel erspart geblieben, wenn wir diese Kollege, muß ich denn nun in Zukunft daran zweifeln, heutige Debatte und Beschlußfassung schon früher daß Sie in der Lage sind, zuzuhören? gehabt hätten, nicht aber erst nach diesem langen und (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei qualvollen Diskussionsprozeß. Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Denn wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie gehört, daß ich so etwas nicht behauptet habe. Wenn es um die Erhaltung eines wichtigen Grund- rechts geht, dann, finde ich, sind wir es unserem (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Sie haben nur Grundgesetz schuldig, uns in unserer Beratung, aber von den Wirtschaftsflüchtlingen gespro auch der deutschen Öffentlichkeit deutlich zu chen!) machen, daß das Menschenrecht auf Zuflucht für — Vielleicht lassen Sie mich doch einmal ausreden. politisch Verfolgte von uns heute mit unserer (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Auch wenn Sie Beschlußfassung um kein Jota gekürzt wird. Stuß reden? Sie haben nur von den Wirt (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des schaftsflüchtlingen gesprochen!) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) — Ich habe von denjenigen gesprochen, die aus der — Wer gegen die Drittstaatenregelung polemisiert DDR ausgereist sind. Sehr, sehr viele haben die DDR oder hier lacht, der unterstellt ja, daß bei unseren tatsächlich aus wirtschaftlichen Gründen verlassen, Nachbarn in Frankreich oder in Polen Asylbewerber weil sie einen besseren Lebensstandard haben woll- nicht vor politischer Verfolgung sicher seien. Diese ten. Beleidigung unserer Nachbarstaaten brauchen wir (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Von den ande nicht hinzunehmen. ren haben Sie nicht geredet! Alle anderen haben Sie verschwiegen!) (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD) Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, und sind Sie auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich Was die Mütter und Väter des Grundgesetzes als Bürgerin der DDR natürlich weiß, daß es auch angeht: Sie hatten die Nazischrecken in guter Erinne- politisch Verfolgte gegeben hat? rung, und sie haben das Schutzrecht geschaffen; aber sie haben nie daran gedacht, daß dieses Schutzrecht (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Das haben Sie eines Tages ein Nutzrecht für kriminelle Schlepper mit keinem Satz in Ihrer Rede gesagt!) banden würde, die mit Hilfe des Asylrechts ihre — Ich habe gesagt, daß die meisten, die ausgereist Geschäfte machen. Sie würden heute an unserer Seite sind, Wirtschaftsflüchtlinge waren. stehen, wenn wir das Recht wieder zu dem machen, (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Aber nicht in als was es gedacht ist, nämlich einem Schutzrecht für Ihrer Rede!) Menschen, die woanders vor Verfolgung nicht sicher — Sie hätten zuhören müssen. Vielleicht sollten Sie in sind. Zukunft nicht immer dazwischenschreien, sondern (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — einfach einmal zuhören. Dann werden Sie das auch Albrecht Müller [Pleisweiler] [SPD]: Was sagt hören. denn der Innenminister zu dieser harten (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kritik?) und der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeord Die Bürger, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, neten der SPD) wissen in ihrer Mehrzahl recht gut, was die Politik leisten kann und was nicht. Sie erwarten nicht, daß ein Peter Hintze (CDU/CSU): Ich möchte die Frage Problem von der Größenordnung der Asylfrage im beantworten, Frau Kollegin Köppe. Mich hatte Handumdrehen gelöst wird, und sie sind sich auch beschwert, daß Sie die Tatsache des kommunistischen darüber im klaren, daß dieses Problem nicht morgen Zwangsregimes in der DDR auf die Problematik der nach unserer Beschlußfassung verschwunden ist. Wirtschaftsflüchtlinge, wie Sie sie nennen, in Ihrer Aber wir wissen auch, daß die Bürger zu Recht Rede reduzieren wollten. Das fand ich unvollständig, erwarten — und dafür treten wir ein —, daß wir das, und deswegen habe ich das hier auch so angespro- was in unserer Kraft steht, unternehmen und daß wir chen. eine Mißbrauchsbegrenzung, wie sie in unserer Hand (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge liegt, tatsächlich vornehmen und sie nicht jahrelang ordneten der F.D.P.) unterlassen. Das ist nämlich der Grund für die Politik- Daß die kommunistische Planwirtschaft auch ökono- verdrossenheit, mit der wir uns auseinandersetzen. misch zusammengebrochen ist, wollte ich damit nicht Es hat genug Politiker gegeben, die den Bürgern in Frage stellen. weismachen wollten, das Problem sei gar nicht real, es Ich möchte noch einen Einwand von Herrn Warten- sei nur herbeigeredet oder, wie Herr Trittin in London berg aufgreifen. Er hat uns hier vorgehalten, die sich äußerte, das Produkt von politischen Kampagnen früheren Vorschläge zur Änderung des Grundgeset- der CDU/CSU und von Teilen der SPD; hören Sie mir zes seien aus seiner heutigen Sicht unzureichend. Er zu! Bezeichnenderweise haben uns die anwesenden 13542 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Peter Hintze Engländer vor diesen Tiraden in Schutz genommen; Wir wenden uns entschieden gegen jede pauschale aber ich warte bis heute vergeblich auf eine Entschul- Verunglimpfung der Asylbewerber. digung des zuständigen Ministerpräsidenten,- der (Horst Kubatschka [SPD]: Dann tun Sie doch sonst in diesen Tagen sehr viele Worte für sehr viele endlich etwas dagegen!) Fragen findet. Ich finde, auf diese Entschuldigung hätten wir ein Recht. Im Gegensatz zu der von Ihnen ständig wiederholten Behauptung beteiligen wir uns nicht an dieser Verun- (Beifall bei der CDU/CSU — Jochen Feilcke glimpfung. [CDU/CSU]: Entlassung des Ministers? — Es ist verständlich, daß Menschen ihre Heimat Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ verlassen, wenn ihnen berichtet wird, daß es ihnen CSU]: Er hat die Stimmführerschaft im Bun woanders besser geht und daß es bei uns — im desrat; eine Schande!) Unterschied zu allen Flüchtlings- und Asylregelungen Vor dem Hintergrund der schrecklichen Erfahrun- auf der Welt — einen Schlüssel gibt, der ihnen die Tür gen, die Menschen in der Zeit der nationalsozialisti- dazu aufschließt, nämlich das deutsche Asylrecht. schen Herrschaft machen mußten, haben wir allen Niemand hat das Recht, mit Hetzparolen gegen diese Anlaß — und das haben heute viele angesprochen —, Menschen vorzugehen. Wer unseren Abscheu ver- das Asylrecht als Menschenrecht sorgsam zu bewah- dient, das sind die Schlepper, die Schlepperbanden, ren. Es sorgsam zu bewahren bedeutet aber auch, und ebenso die gewalttätigen Menschen in unserem dieses Rechtsgut vor Mißbrauch zu schützen. Lande, die auf Fremde einschlagen und gegen sie vorgehen. Dies darf uns aber nicht davon abhalten, Sorgsam bewahren heißt nicht tatenlos sein. Es das, was wir in diesem Bereich als sachlich richtig und sorgsam zu bewahren heißt nicht nur, auf Prinzipien notwendig erkennen, auch zu tun. zu pochen, sondern auch darauf zu schauen, wie diese Wir können in Deutschland nicht die Probleme der Prinzipien im gelebten Recht verwirklicht und genutzt ganzen Welt lösen. Um so mehr müssen wir weltweit werden können. Tatenlosigkeit in der Frage des unter den Industriestaaten, die dazu in der Lage sind, Asylrechts ist kein Ausweis hoher ethischer Gesin- eine Bewegung dafür schaffen, die Ursachen der nung. Wanderungs- und Flüchtlingsbewegungen von Grund auf anzugehen, Hunger, Elend und Krankhei- (Albrecht Müller [Pleisweiler] [SPD]: Schon ten vor Ort bekämpfen zu helfen und Ländern, deren wieder eine Kritik!) wirtschaftliche Entwicklung gefährdet ist, bei dieser Gefahren drohen einem Grundrecht vor allem auch Entwicklung entsprechende Unterstützung zu ge- dann, wenn es durch fortwährenden Mißbrauch sei- ben. nen eigentlichen Charakter verliert, wenn es ausge- Wir geben heute viele Milliarden für die Durchfüh- höhlt wird, wenn es seinen Sinn verliert und im rung von Asylverfahren aus, von denen weit über 90 % Bewußtsein der Menschen, der Bürgerinnen und Bür- mit der Ablehnung enden. Ist es nicht viel sinnvoller, ger, ad absurdum geführt ist. Genau das ist der Fall. dieses Geld in den Herkunftsländern bei den Men- Das empört die Menschen im Lande, und es empört sie schen einzusetzen, um dort zu helfen? Dort kommt es zu Recht. viel mehr Menschen zugute. Auch die Randalierer und Chaoten vor dem Regie- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) rungsviertel wissen das natürlich. Ihre Attacke gilt der Die rechtliche Regelung ist das eine, die Überwin- freiheitlichen und repräsentativen Demokratie, den dung der Fluchtursachen ist das zweite. Regeln des friedlichen Interessenausgleichs, dem Wesen der Demokratie selbst. Sie demonst rieren nicht für den Schutz irgendeines Rechtes, sondern sie Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege demonstrieren und kämpfen gegen die parlamentari- Hintze, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des sche Demokratie. Davon werden wir uns nicht Kollegen Hirsch? bedrängen und nicht erpressen lassen. (Beifall bei der CDU/CSU — Dieter Wiefels (CDU/CSU): Bitte. pütz [SPD]: Können Sie nicht mal eine ver Peter Hintze nünftige Rede halten, die dem Thema ange messen ist?) Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Kollege — Dem Thema ist es angemessen; es ist dem Thema Hirsch. seit vielen Jahren angemessen. Nur, Sie haben sich diesem Thema und der dahinterstehenden Wirklich- keit seit Jahren verweigert. Sie haben es so weit Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Kollege Hintze, kommen lassen, wie es heute ist, so daß wir jetzt in ich habe soeben mit Freude Ihre Bemerkung gehört, dieser mühsamen Weise zum Ergebnis kommen müs- daß es sinnvoller sei, diese Milliarden in den Her- sen. Das haben Sie sich zuzurechnen. kunftsländern der Flüchtlinge einzusetzen. Darf ich damit rechnen, daß Sie bei der kommenden Haus- (Widerspruch bei der SPD — Zuruf der Abg. haltsberatung entsprechende Anträge stellen wer- Ingrid Matthäus-Maier [SPD]) den? Es kann nicht darum gehen, diejenigen, die zu (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., bei der Unrecht Asyl beantragen, an den Pranger zu stellen. SPD und der PDS/Linke Liste) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13543

Peter Hintze (CDU/CSU): Diese Frage ist nicht neu, ralsekretär einer christlichen Partei hätte ich etwas Herr Kollege Hirsch. mehr intellektuelle Redlichkeit erwartet. (Lachen bei der SPD — Günter Verheugen- (Beifall bei der SPD — Reinhard Freiherr von [SPD]: Leider, leider!) Schorlemer [CDU/CSU]: Kennen wir die von euch?) Aber so sind Sie eben. Ich kann es verstehen. Sie Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Herren, wir müssen dem Kollegen Hintze jetzt die wollen mit solchen Reden Ihren Arbeitsplatz im Kon- Chance geben, die Frage zu beantworten. Bitte, Herr rad-Adenauer-Haus sichern. Kollege. (Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ CSU]: Geht es noch primitiver?) Nun zum Thema. Ich spreche im Namen vieler Peter Hintze (CDU/CSU): Hier dürfen wir nicht in einen künstlichen Gegensatz verfallen. Ich habe Ihre Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion, die Frage auch nicht so verstanden. Das eine ist — das tun im vergangenen Dezember den zwischen der CDU/ wir heute — daß wir das Grundgesetz wieder in den CSU, der F.D.P. und der SPD ausgehandelten Asyl- kompromiß abgelehnt haben und die heute nach Stand versetzen, den auch die Väter und Mütter des Grundgesetzes gemeint haben, Abschluß der Ausschußberatungen feststellen müs- sen, daß ihre Befürchtungen berechtigt gewesen (Widerspruch bei der SPD) sind. und den Mißbrauch des Asylrechts unterbinden. Das Die heute zur Abstimmung stehenden Änderungen zweite ist, daß wir in Zukunft all unsere Kraft darauf des Grundgesetzes und die darauf fußenden Ände- richten, daß den Ländern, deren wirtschaftliche Lage rungen des Asylverfahrens berühren das individuelle ein Grund für solche Wanderungsbewegungen ist, Grundrecht auf politisches Asyl in seinem Wesensge- geholfen wird. halt. Sie verfehlen gleichzeitig das Versprechen des Aber eines ist in Ihrer Frage unzutreffend, und Kompromisses vom 6. Dezember 1992, daß der Schutz deswegen war das Gejohle und Gehöhne von der SPD tatsächlich politisch Verfolgter gewährleistet werden wie so oft verfrüht. Die Bundesrepublik Deutschland müsse. Sie geben herzlich wenig für die damals ist das Land in Europa, das für die Hilfe etwa in proklamierte These her, daß Deutschland ein weltof- Osteuropa mehr getan hat als alle anderen westeuro- fenes, tolerantes Land sei und daß das auch so bleiben päischen Länder zusammen. solle. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Meine Partei hat auf ihrem Bonner Parteitag am der F.D.P.) 16. November vergangenen Jahres unter der Über- Wir brauchen uns an dieser Stelle überhaupt keine schrift „Flüchtlingen helfen, Zuwanderung steuern, Vorhaltungen machen zu lassen. Gemeinden entlasten" ein Paket von gesetzgeberi- schen und politischen Maßnahmen beschlossen, das (Zuruf von der SPD: Deine Rede sei: Ja, ja; wir denen entgegensetzen wollten, die mit verantwor- nein, nein! — Eckart Kuhlwein [SPD]: Was tungsloser Agitation Ausländerfeindlichkeit geschürt darüber ist, ist von Übel!) und damit den gesellschaftlichen und politischen — Auf diesen geistlosen Zwischenruf muß ich Konsens über ein weltoffenes und tolerantes Deutsch- sagen: land beschädigt hatten. (Eckart Kuhlwein [SPD]: Das steht auch im (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Lutherischen Katechismus! Den sollten Sie doch kennen!) Dieses Paket sah ausdrücklich auch die Möglichkei- ten von Änderungen des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 — Aber man sollte Luther immer richtig zitieren. Grundgesetz vor — allerdings in einer strikt begrenz- Es ist eine Tatsache, daß wir mehr geben und mehr ten Formulierung. tun als die anderen zusammen. Diese Lastenvertei- lung kann auf Dauer nicht stimmen. Vielmehr muß es Viele Delegierte haben dem auf dem damaligen die Bemühung aller westlichen Staaten sein, diese Parteitag schweren Herzens zugestimmt, weil sie das Aufgabe zu lösen. Heute beseitigen wir den Miß- Gesamtkonzept wollten. Sie gingen davon aus, daß brauch. Morgen werden wir unsere Bemühungen unsere Fraktion im Bundestag ihre Sperrminorität bei fortsetzen, daß auch in den wi rtschaftlich schwäche- einer Änderung des Grundgesetzes dafür nutzen ren Ländern die Entwicklung weiter positiv voran- könnte, auch die übrigen Bestandteile des Pakets geht. umzusetzen. Dies ist offenbar nicht gelungen. Herzlichen Dank. Wir beschließen heute nicht über die generelle Zulassung der Doppelstaatsbürgerschaft, die der (Beifall bei der CDU/CSU) SPD-Parteitag verlangt hat. Wir beschließen heute nicht über die Bekämpfung der Fluchtursachen, z. B. durch eine schrittweise Erhöhung der öffentlichen Der nächste Redner Vizepräsident Helmuth Becker: entwicklungspolitischen Leistungen auf 0,7 % des ist unser Kollege Eckart Kuhlwein. Bruttosozialprodukts, die nicht nur von der SPD gefor- dert wird. Eckart Kuhlwein (SPD): Herr Präsident! Meine Herr Kollege Hintze, zu Ihrer Aufklärung: Bei den Damen und Herren! Herr Kollege Hintze, vom Gene Haushaltsberatungen im vergangenen November ist 13544 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Eckart Kuhlwein ein Antrag meiner Fraktion, der das ausdrücklich historischen Erfahrung liegen. Jürgen Schmude hat vorsah, von der Regierungskoalition abgelehnt wor- darauf hingewiesen, daß es so etwas auch im EG- den, - Bereich gegeben hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Einer, der uns viele Bedenken gegen die Neurege- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lung ins Stammbuch geschrieben hat, ist der Vertreter obwohl Ihre eigene Nachwuchsorganisation inzwi- des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten schen ähnliche Forderungen erhoben hat. Nationen, Walter Koisser. Ich wundere mich manch- mal, wie eine Bundesregierung, die eilfertig jedem (Peter Hintze [CDU/CSU]: Wenn Sie sich UNO-Hinweis auf denkbare Bundeswehreinsätze in immer an die Junge Union halten, dann ist es der weiten Welt nachgeht, sich über gravierende gut!) Einwände der Vereinten Nationen hinwegsetzt, wenn Wir beschließen heute nicht über eine Neuvertei- es um die Behandlung von Flüchtlingen geht. lung der Kosten für die Aufnahme von Bürgerkriegs- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und flüchtlingen, mit der die Haushalte — vor allem die der dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gemeinden — entlastet werden könnten, damit sie Bürgerkriegsflüchtlinge nicht mehr ins Asylverfahren Walter Koisser hat die Flüchtlingsdefinition der schieben. Wir beschließen nicht über ein europäisch Genfer Flüchtlingskonvention als materielle Grund- abgestimmtes Einwanderungsrecht, wie es der SPD- lage für die Gewährung von Asyl angemahnt, auch Parteitag wollte; und wir haben dafür auch bei den wegen der als offensichtlich unbegründet abgelehn- Maastricht-Verträgen keine Perspektive bekommen. ten Asylbewerber aus Bosnien-Herzegowina, die z. B. Wir beschließen auch nicht über die Aufnahme des wegen ihrer Volkszugehörigkeit von Freischärlern Flüchtlingsbegriffs der Genfer Flüchtlingskonvention mißhandelt und vertrieben worden sind. Walter Kois- ins Grundgesetz, die nicht nur von der SPD, sondern ser hat die Möglichkeit einer widerlegbaren Vermu- auch von vielen Flüchtlingsorganisationen gewollt tung bei Einreise aus sicheren Drittländern und Vor- wurde. aussetzungen für das Konzept „sicheres Drittland" gefordert, die durch ein einfaches Regierungsabkom- Was wir dagegen beschließen sollen, ist der Ver- men nicht erfüllt werden können. Koisser hat schließ- such, das Asylrecht des Grundgesetzes künftig weit- lich auf Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention gehend leerlaufen zu lassen. Die Bundesrepublik ist hingewiesen, nach dem jede Abschiebung oder danach durch Gesetz von sogenannten sicheren Dritt- Zurückweisung in ein anderes Land ohne Anhörung staaten umgeben. Das sind Staaten, in denen die des Asylgesuchs auch dann unzulässig ist, wenn in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und diesem Land die Weiterschiebung in einen Verfolger der Europäischen Menschenrechtskonvention sicher- staat drohen könnte. gestellt sein soll. Wer als Asylbewerber über solche Staaten zu uns kommt, der hat bereits dort Sicherheit Gerade die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem vor Verfolgung gefunden — so sagt jedenfalls der bisher beispielhaften Asylrecht und ihrer erklärten Gesetzentwurf —, egal, wie lange er sich dort aufge- Bereitschaft, zusätzliche inte rnationale Verpflichtun- halten hat. gen zu übernehmen, sollte den völkerrechtlichen Konsens, der bisher bestanden hat, nicht beschädigen. Wer an der Grenze erwischt wird, kann zurückge- Koisser hat am 11. März gewarnt: wiesen werden. Wer sich im Inland meldet, soll ohne viel Federlesen abgeschoben werden können. Damit Alles deutet darauf hin, daß die östlichen Nach- wir ganz sichergehen, daß es sich bei diesen sicheren barstaaten nun ihrerseits bei der Drittlandrege- Drittstaaten auch um solche handelt, schließen wir lung in Zugzwang geraten. Es droht so ein Regierungsabkommen ab. Auf Polen ist schon hinge- Domino-Effekt, der die gegenwärtige internatio- wiesen worden; mit der Tschechischen Republik soll nale Praxis und Struktur des Flüchtlingsschutzes eines folgen. Ob der Mindestabschiebeschutz nach in Frage stellt. der Genfer Flüchtlingskonvention dort tatsächlich gewährleistet ist, entzieht sich unserer Kenntnis, darf Das Asylrecht des Grundgesetzes ist ein hohes Gut. aber am heutigen Tage noch bezweifelt werden — Es ist eine Konsequenz aus der deutschen Geschichte und das, ohne den Polen und den Tschechen zu nahe und Bestandteil der politischen Kultur im Deutsch- treten zu wollen. land der Nachkriegszeit. Wer es aufgeben oder rela- tivieren will, um andere Rechtsgüter zu schützen, muß (Beifall bei der SPD) den Beweis dafür antreten, daß der Schritt wirksam ist. Die Koalition will trotzdem verbieten, daß Verwal- Mir ist bewußt, daß die Zuwanderung von jährlich tungsgerichte im Einzelfall bei Vorliegen gewichtiger mehreren Hunderttausenden — dazu gehören übri- Gründe und einer konkreten Gefährdung des Asylbe- gens nicht nur Asylbewerber, sondern auch Spätaus- werbers die Abschiebung in den vielleicht gar nicht so siedler und Bürgerkriegsflüchtlinge; manche mengen sicheren Drittstaat durch einstweilige Anordnung ver- das ja gern zusammen — für die Gesellschaft und für hindern können. Damit wird — das haben wir heute viele einzelne nur sehr schwer verkraftbar erscheint. auch schon gehört — nach Auffassung vieler Experten Dies gilt besonders für Zeiten großer Wohnungsnot das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes verletzt, und hoher Arbeitslosigkeit, an denen diese Bundesre- mit vielleicht lebensgefährlichen Folgen für einzelne gierung ja nicht ganz unbeteiligt gewesen ist. Asylbewerber. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolf Die Kettenabschiebung gerade von politisch Ver- gang Ullmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ folgten in ihr Heimatland dürfte nicht außerhalb jeder NEN]) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13545

Eckart Kuhlwein Viele, die hier sitzen, sehen deshalb das Rechtsgut Wir stimmen mit Nein. des sozialen Friedens und des demokratischen Kon- (Anhaltender Beifall bei der SPD, der PDS/ senses in Gefahr. Sie erhoffen sich von einer Asyl- - Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ rechtsänderung den Abbau gesellschaftlicher Span- NEN) nungen und Konflikte. Denen, die so argumentieren, kann ich meinen Respekt nicht versagen. Aber ich bitte sie, noch einmal darüber nachzudenken, ob die Vizepräsident Helmuth Becker Ich erteile jetzt das Änderung des Grundgesetzes wirklich jenes Maß an Wort unserem Kollegen Dr. Burkhard Hirsch. verbesserter Steuerung der Zuwanderung bringt, das sie anstreben und das diesen Einschnitt in die Verfas- sung vielleicht rechtfertigen könnte. Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche gleichzeitig für mei- Nach den Maßstäben der UNO gibt es gegenwärtig nen Kollegen . mehr als 15 Millionen Flüchtlinge, die internationale Wir haben bei der Einbringung der Gesetzentwürfe Grenzen überschritten haben, die meisten davon in erklärt, daß wir ihnen trotz der Fortschritte für Bürger- Ländern der Dritten Welt. Mit dem Zusammenbruch kriegsflüchtlinge und beim Erwerb der deutschen des Ostblocks ist auch Westeuropa unter Wande- Staatsangehörigkeit nicht zustimmen können. Entge- rungsdruck gekommen. Wenn wir keine geregelten gen unserer Hoffnung haben weder die Beratungen Verfahren für die Aufnahme, z. B. auch über ein noch die eindringlichen Ratschläge vieler Sachver- Zuwanderungsgesetz, finden, werden Hunderttau- ständiger in der Anhörung wesentliche Verbesserun- sende zu uns kommen. Die Möglichkeit, die Festung gen erbracht. Europa mit Mauer und Stacheldraht zu umgeben, scheidet nach unseren eigenen geschichtlichen Erfah- Die Entwürfe widersprechen humanitären Grund- rungen wohl aus. Ich unterstelle niemandem, daß er sätzen. Sie sind mit unseren völkerrechtlichen Ver- das will. Aber ich verlange eine ehrliche Analyse pflichtungen aus der Genfer Konvention nicht verein- gerade von denjenigen, die genau wissen, daß die bar. Exportnation Deutschland auf offene Grenzen ange- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der wiesen ist, und von denjenigen, die ständig den freien SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Verkehr von Kapital, Gütern und Dienstleistungen NEN) predigen und die sich deshalb nicht wundern sollen, Sie verstoßen gegen bisher tragende Grundsätze wenn in den anderen Teilen der Welt auch der freie unserer Verfassung. Verkehr von Menschen Richtung Industrieländer aus- probiert wird. Wir erkennen die große Not unserer Gemeinden. Wir verstehen auch, daß die Aufnahmebereitschaft Flucht hat viele Ursachen. Längst nicht alle sind unserer Bevölkerung begrenzt ist. Es ist auch richtig, vom Asylversprechen des Grundgesetzes abgedeckt. daß der Zustrom von Flüchtlingen insbesondere aus Auch wir wollen das Ayslrecht den politisch Verfolg- Osteuropa zu gemeinsamen europäischen Lösungen ten vorbehalten. Aber wenn es uns nicht wenigstens zwingt, die unsere westlichen Nachbarn bisher ver- mittelfristig gelingt, Fluchtursachen in Osteuropa und weigern. Aber was reden wir eigentlich von gemein- in der Dritten Welt wirksamer als bisher zu bekämp- samen europäischen Lösungen, wenn unser Koali- fen, werden wir uns einer Völkerwanderung aus Not tionspartner noch nicht einmal bereit ist, den Flücht- und Elend gegenübersehen, wie sie die Geschichte lingsbegriff der Genfer Konvention in unser Asylge- noch nicht erlebt hat. setz aufzunehmen! Das geht nicht. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ der CDU/CSU und der F.D.P.) NEN) Diese Armutswanderung hat bereits begonnen. Ich danke dem Flüchtlingskommissar Koisser für Deutschland wird einen Teil davon aufnehmen müs- seine Arbeit. sen. Der Club of Rome hat 1991 empfohlen, „die Der erhabene Satz „Politisch Verfolgte genießen Bevölkerung der reichen Länder darauf vorzuberei- Asylrecht" gehört zum Kernbestand unserer Verfas- ten, diese Tatsache zu akzeptieren" . Ich weiß, daß das sung. Er bleibt formal erhalten; in Wirklichkeit wird er sehr viel schwerer ist als der S treit um Grundgesetzar- fast völlig beseitigt. tikel und Verfahrensparagraphen; aber wir sollten (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der den Mut haben, damit anzufangen. SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN) Ich komme zum letzten Satz. Die Frage, ob wir mit der Neufassung des Asylrechts das Risiko eingehen, Wenn man wissen will, ob ein Gesetz hinnehmbar politisch Verfolgte ihren Verfolgern auszuliefern, ist ist, dann darf man sich nicht an den Umgehungsmög- für viele Abgeordnete eine Gewissensfrage. Die Kol- lichkeiten, den möglichen Schlupflöchern orientie- leginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, für die ich ren, man muß vielmehr prüfen, wie der Gesetzgeber hier spreche, wollen von der Freiheit ihres Gewissens ein Problem tatsächlich regeln möchte. Durch die Gebrauch machen, die ihnen im Grundgesetz ver- vorgesehene gesetzliche Regelung werden die Gren- bürgt ist. zen der Bundesrepublik für diejenigen fast vollständig geschlossen, die sich auf das Asylrecht berufen. Wer (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Das tun die mit dem Flugzeug kommt, wird im Flughafen in einem anderen auch!) wirklich nachlesenswerten Verfahren abgefertigt. 13546 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Burkhard Hirsch Jeder Flüchtling, der über irgendein Nachbarland Darum lehnen wir sowohl die vorgeschlagene Ver- einreisen will oder aus irgendeinem Nachbarland fassungsänderung wie auch das darauf aufbauende heimlich unsere Grenze überquert hat, kann in Gesetz ab. Zukunft ohne jede Anhörung aus der Bundesrepublik (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der dorthin zurückgeschickt werden. Es ist egal, ob er in SPD sowie bei der PDS/Linke Liste und dem seiner Heimat politisch verfolgt wird oder nicht; BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Stimmt doch nicht!) Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Ingeborg Phi- es ist egal, ob ihm in seiner Heimat eine unmenschli- lipp, Sie haben jetzt das Wort. Bitte sehr. che Behandlung oder die Todesstrafe droht; es ist egal, ob das Transitland, dem wir den Flüchtling zuschie- Ingeborg Philipp (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! ben, die Genfer Konvention nach denselben Grund- Meine Damen und Herren! „Unsere Sünden bestehen sätzen auslegt und handhabt wir wir; es ist egal, ob das nicht so sehr in dem, was wir getan haben, sondern Transitland nach seiner Asylpraxis den Flüchtling was wir unterlassen haben zu tun." Diese Worte seinerseits weiterschieben wird oder nicht. Vor der schrieb der langjährige Vorsitzende des Forschungs- Abschiebung aus der Bundesrepublik wird dem rats der DDR, Max Steenbeck auf, als er über sein Flüchtling jeder noch so minimale Rechtsschutz ver- Leben nachdachte. Er wußte, daß Erinnern und Vor- weigert. Er hat nur dann eine minimale Chance, wenn ausdenken ein Leben erst substantiell wertvoll er seine Reisepapiere vernichtet oder wenn er recht- machen. liche Besonderheiten unseres Nachbarn Österreich ausnutzt oder, noch besser, wenn er sich vor der Er beschrieb zwei wichtige Situationen, die ich deutschen Küste mit einem Boot aussetzen läßt. Und heute mitteilen möchte. Die erste war folgende: Sie genau das wird geschehen. waren als junges Ehepaar nach Berlin gefahren, um eine Stehlampe einzukaufen, an einem Tag, der als Wir haben nach der Genfer Flüchtlingskonvention „Kristallnacht" eine ganz schlimme Berühmtheit die eigene Verpflichtung, einem Flüchtling in der erlangte. Sie erfuhren durch Freunde, was geschehen Bundesrepublik rechtliches Gehör und Rechtsschutz war, sind noch einmal in die Stadt gefahren und haben zu gewähren. Wir verletzen unsere völkerrechtlichen das Bild der Verwüstung mit Schrecken und Angst Verpflichtungen, wenn wir diese versprochene erblickt. eigene Leistung einfach durch ein innerstaatliches Sie haben am nächsten Tag die Überraschung Gesetz unseren Nachbarn zuschieben, ihnen sozusa- erlebt, daß trotz der Zerstörung der jüdische Laden- gen die Flüchtlingslast zumuten, die wir selbst nicht besitzer kam und die Lampe auslieferte. Sie haben mehr tragen wollen. angsterfüllte Augen gesehen, die sie zeitlebens in Wir verändern damit auch die Rechtslage des ihrer Erinnerung bewahrt haben. Flüchtlings, solange es keine inhaltliche Harmonisie- Die zweite Episode ist einige Jahre später gewesen. rung des Asylrechtes mit unseren Nachbarn gibt. Steenbeck war Kriegsgefangener geworden und befand sich in einem sowjetischen Kriegsgefangenen- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lager. Da er von der Wehrpflicht zurückgestellt war, schrieb er die Formeln weiter, die er bei Siemens Ein Flüchtling, der sich bei uns meldet, vertraut sich entwickelt hatte. Das ist sowjetischen Soldaten aufge- uns und unserer Rechtsordnung an und nicht irgend- fallen, und sie haben das weitergemeldet. Er ist einem anderen Staat. Wir haben uns verpflichtet, ihm deshalb nach Moskau gekommen und hat dort an der zu helfen, und nicht, darauf zu vertrauen, daß unser Entwicklung der Atombombe erfolgreich mitgearbei- Nachbar ihm helfen wird. tet. Es kann auf Dauer nicht verborgen bleiben, daß Was ist erreicht worden? Es ist ein Gleichgewicht diese Gesetze das verfassungsrechtliche Asylrecht des Schreckens erreicht worden, das aber die nur um den Preis seiner praktischen Bedeutungslosig- Menschheit überhaupt nicht weitergebracht hat, das keit erhalten. Sie führen politisch nicht zu einer nur Entsetzen ausgelöst hat. Erinnern und Vorausden- Lastenteilung, sondern dazu, daß unsere Nachbarn ken heißt leben. ihrerseits ihre Grenzen ebenfalls gegen Flüchtlinge „Unsere Sünden bestehen nicht so sehr in dem, was abschotten. Ob wir wollen oder nicht, wir bekämpfen wir getan haben, sondern was wir unterlassen haben auf diese Weise nicht die Fluchtursachen, sondern wir zu tun. " Das klingt ganz ähnlich wie in der Bibel: „Was wehren Flüchtlinge ab. Wir verändern damit im ihr nicht getan habt den Ärmsten unter diesen meinen Bewußtsein vieler Mitbürger die freiheitliche Sub- Brüdern, das habt ihr mir nicht getan." Daran müssen stanz unseres Staates, deretwegen sie sich ihm in wir heute denken. Es ist nämlich ein schwerwiegen- besonderer Weise verbunden fühlen. der Schritt, der heute gegangen wird. Handlungsfähigkeit beweisen heißt für diese Bür- Dieses 20. Jahrhundert wird in der Geschichts- ger eben nicht, Flüchtlinge einfach abzuwehren, son- schreibung der Menschheit mit vielschichtigen dern heißt, eine gemeinsame europäische Flücht- Angstträumen beschrieben werden müssen. Wir lingspolitik zu erreichen, die zu einer wirklichen haben keine Kultur des christlichen Abendlandes Bekämpfung der Fluchtursachen und zu einer wirkli- entwickelt. chen Lastenverteilung führt. Dafür ist hier nichts (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Ihr nicht, — nicht einmal etwas in Ansätzen — zu erkennen. nein!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13547

Ingeborg Philipp — Auch hier, nicht nur wir. — Wir haben keine Kultur Regierungen sein, sondern einzig und allein die der Menschenliebe zustande gebracht. tatsächliche Lage der Be troffenen, genauer gesagt: Wir sind in einer Zivilisation steckengeblieben, die des betroffenen Individuums. uns zunehmend unfähig macht, auf unsere Gefühle zu Insbesondere gilt dies für die Situation in Ghana, wo achten, Mitleid und Barmherzigkeit zu emfpinden. noch im Februar dieses Jahres durch Senat und Das macht das Zusammenleben von uns allen sachlich Repräsentantenhaus die USA schwerwiegende Men- und gefühlskalt. Es könnte warmherzig und wohltu- schenrechtsverletzungen festgestellt wurden. Allein end für uns alle werden, wenn wir endlich auf das ihre Auflistung würde meine Redezeit um ein Vielfa- hören würden, was Bertha von Suttner sagte. Sie rief ches übersteigen. verzweifelt aus: „Habt doch endlich den Mut zur Liebe!" Zwar wird in der Begründung des Innenausschusses Dieser Mut bedeutet ein Zurückstellen egoistischer vorgeschlagen, dem Unterausschuß „Menschen- Wünsche, das Denken für das Wohl aller, auch das rechte und humanitäre Hilfe" die Aufgabe zu erteilen, gewollte Beschreiten des unteren Weges. Dieser ist die notwendigen Hinweise zur Einordnung zu geben. nicht leicht, aber er führt in einen Erfahrungsbereich Andererseits hat der Unterausschuß einen solchen menschlichen Zusammenlebens hinein, der Egoisten Auftrag bisher nicht erhalten. Die Liste der Anlage 2 immer verschlossen bleiben wird. Es lohnt sich, ihn zu zu § 29a wurde ohne ihn aufgestellt. Ich wage die gehen. Prognose, daß im Unterausschuß die Einordnung Ghanas als sicheres Herkunftsland gegenwärtig nicht Nicht äußerer Wohlstand, sondern inneres Wohlbe- mehrheitsfähig wäre. finden für uns alle sollte unser Ziel sein. Wir brauchen eine Vision, die das Wohlbefinden aller Menschen Erst recht gilt dies für den Versuch der CDU/ weltweit in den Blick nimmt. Nicht eigene Vorteile, CSU-Fraktion, Indien auf die Liste zu setzen. Zwar sondern das Wohl aller muß mit großer Zielstrebigkeit bleibt uns erspart, heute darüber zu befinden. Falls und Ernsthaftigkeit angestrebt werden. Die eine das Gesamtpaket aber verabschiedet wird, wird es nur Menschheit dieser Erde, die gerne auf ihrem Planeten eine Frage der Zeit sein, bis Indien, aber auch andere lebt, darf nicht Utopie bleiben, über die politisch nicht wegen Mißachtung der Menschenrechte kritisierte gesprochen werden darf; sie muß Realität werden Staaten, wie z. B. die Türkei, auf der Liste erschei- durch eine zielstrebige und harte Arbeit. nen. Nicht Ängste vor millionenfachem Mißbrauch des (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: So ein Asylrechts, sondern millionenfache Freude durch ein Quatsch!) großzügig gewährtes Asylrecht muß Ziel praktischer Politik werden. Erst dann erfüllen wir unsere Aufgabe Es wird mehrere nach unterschiedlichsten Kriterien in diesem Bundestag. zusammengetragene Wunschlisten geben — eine, die sich aus innenpolitischen Erwägungen auf den zur Ich danke Ihnen. gegebenen Zeit vorhandenen Einwanderungs- oder (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Asylbewerberdruck bezieht, eine andere, die auf Grund der jeweiligen außenpolitischen Konstellation oder auch nur aus rein wirtschaftlichen Interessen Vizepräsident Helmuth Becker: Jetzt hat der Kol- lege Gerd Poppe das Wort. zusammengetragen wird, bestenfalls eine weitere, die die Empfehlung der UN-Menschenrechtskommission oder von Menschenrechtsorganisationen zur Kenntnis Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr nimmt. Die Verfechter der jeweiligen Kriterien wer- Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den sich in eine Dauerfehde begeben. mich den Menschenrechtsfragen und einigen außen- Hinzu kommt, daß die politisch und wirtschaftlich politischen Problemen zuwenden, die in der heutigen Debatte aufgeworfen werden. instabile Lage zahlreicher in Frage kommender Staa- ten permanent zur Neubestimmung der Listen zwin- Ich beginne mit dem Begriff der sicheren Her- gen wird. Auf die Trägheit von Verwaltungen und kunftsländer. Einerseits wird in der Beschlußempfeh- Ämtern, die sie hindert, prompt auf Veränderungen zu lung des Innenausschusses die jeweilige Menschen- reagieren, sei nur am Rande verwiesen. Die Handha- rechtssituation als Hauptkriterium der Einordnung als bung derartiger Listen wird sich bald als undurchführ- sicheres Herkunftsland benannt, andererseits wird bar erweisen. Ohnehin ist das Sortieren von Staaten den schwerwiegenden Bedenken von Menschen- erster, zweiter und dritter Klasse außenpolitisch gese- rechtsorganisationen hinsichtlich der Einbeziehung hen sehr problematisch. Es wird von diesen als anma- bestimmter Staaten in die Liste der sicheren Her- ßend empfunden und wird auf die Außenbeziehungen kunftsländer in keiner Weise Rechnung getragen. nur belastend wirken. Amnesty International, Helsinki Watch und andere Organisationen, aber auch der jährliche Menschen- Meine Damen und Herren, ich sehe das Hauptpro- blem vor allem darin, daß es bis heute keine in sich rechtsbericht des US-State Department konstatieren konsistente Politik der Bundesregierung gibt, die den beispielsweise Menschenrechtsverletzungen in Ru- großen weltpolitischen Veränderungen der letzten mänien und Bulgarien. Diese bestehen vor allem in vier Jahre Rechnung trägt, in der sich eine aufeinan- der Diskriminierung nationaler und ethnischer Min- der derheiten. Dem steht der erklärte Wille dieser Staaten abgestimmte Innen- und Außenpolitik gleicher- maßen auf die Menschenrechte bezieht. entgegen, die Menschenrechte zu sichern und demo- kratische Verhältnisse zu entwickeln. Maßgebend (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN können aber nicht die Absichtserklärungen von sowie bei Abgeordneten der SPD) 13548 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Gerd Poppe Wenn nun die Kategorisierung sicherer Herkunfts- Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege länder schon praktisch unlösbare Probleme schafft, so Poppe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen ist die Auflistung der sogenannten sicheren- Drittstaa- Dr. Pflüger? ten geradezu widersinnig. Sie konterkariert alle Ver- suche einer Öffnung Europas, indem der Abbau Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte. innerwesteuropäischer Grenzen mit neuer Abschot- tung im Osten zusammenfällt. Da nützen bilaterale Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Kollege Pflü- Verträge mit Polen, der Tschechischen Republik und ger. möglicherweise weiteren Staaten nur wenig. Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Herr Kollege Die Festlegung sicherer Drittstaaten markiert die Poppe, wir arbeiten ja beide für Polen und sind uns Außengrenzen der zukünftigen Festung Europa. darin einig, daß wir alles tun wollen, um die Demo- Nach dem heutigen Vorschlag wären dies u. a. die kratie in Polen stabil zu halten. Würden Sie mir aber polnischen Ostgrenzen und die tschechisch-slowaki- nicht darin zustimmen, daß die wirklich überwälti- sche Grenze.Wer es kann, möge versuchen, sich einen gende Mehrzahl der Meinungsäußerungen, die wir in hohen tschechisch-slowakischen Grenzzaun vorzu- letzter Zeit zu dem Kompromiß, zu der Vereinbarung stellen und in Beziehung zu setzen zu unserer noch vor zwischen der Bundesrepublik Deutschl and und Polen wenigen Monaten geäußerten Vorstellung vom Erhalt aus Polen gehört haben, vor allen Dingen die Kom- der Tschechoslowakei. mentare in den Zeitungen doch überwiegend positiv sind und daß z. B. die auflagenstärkste polnische (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zeitung, die „Gazeta Wyborcza", schrieb: die deut- sowie bei Abgeordneten der SPD) sche Hilfe gibt uns die Chance, das Flüchtlingsprob- Dieser Zaun wird nach bilateralen Gesprächen mit der lem auf eine zivilisierte Art und Weise zu lösen? Slowakei oder mit Ungarn möglicherweise woanders Möchten Sie ferner nicht zur Kenntnis nehmen und gebaut, was im Prinzip aber nichts an den Problemen sollten wir nicht auch würdigen, daß in dieser Verein- ändert. barung klar festgelegt worden ist, daß sich Deutsch- land verpflichtet, bei außergewöhnlichen Ereignis- Erinnern Sie sich doch einmal, meine Damen und sen, die zu einem sprunghaften und massiven Zustrom Herren, an jene denkwürdigen Tage im Jahre 1989, von Zuwanderern auf das Gebiet Polens führen, als Ungarn von sich aus für DDR-Flüchtlinge die bestimmten Gruppen die Einreise zu gewähren, Grenzen nach Österreich öffnete. Was haben wir den Ungarn zu verdanken, und wie armselig fällt nun (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Eine lange Inter — fast vier Jahre später — unsere Antwort ihnen und vention! — Weitere Zurufe von der SPD) den anderen mittel- und osteuropäischen Völkern und können Sie mir bestätigen, daß wir in diesem Jahr gegenüber aus! eine Überlastquote vereinbart haben?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich weiß sowie bei Abgeordneten der SPD) nicht, ob ich auf jedes Detail Ihrer Fragestellung Alle diese Länder befinden sich in tiefgreifenden antworten kann, aber eines ist mir wichtig: Wir haben Reformprozessen. Wenn diese gelingen sollen, brau- die Gelegenheit wahrgenommen, uns an Ort und chen sie außer ihrem Reformwillen vor allem Ver- Stelle, d. h. in Polen, selber zu informieren. Wir haben ständnis und Hilfsbereitschaft aus dem Westen. Am mit unserer Bundestagsgruppe eine Reise unternom- allerwenigsten können sie in der gegenwärtigen men, in deren Verlauf wir den polnischen Präsidenten, Phase damit umgehen, daß wir ihnen einen erhebli- den polnischen Außenminister Skubiszewski und chen Teil unserer Probleme aufladen. andere Politiker gesprochen haben. Wir haben die innenpolitischen Konflikte zwischen den verschiede- Die reformorientierten Politiker in diesen Ländern nen Parteien do rt zur Kenntnis genommen. Darunter geraten nun unter mehrfachen Druck: zum einen sind einige stark national geprägte Parteien, die sich durch den nur um sein eigenes Wohl besorgten inzwischen auf Gaullismus und Thatcherismus beru- Westen, zum anderen durch nationalistische und fen und denen z. B. überhaupt nichts an einer Euro- reformfeindliche Kräfte in ihren Ländern, schließlich päischen Union liegt. Der polnische Außenminister noch durch den sozial ins Hintertreffen geratenen Teil gehört zu dem anderen Teil. Er sagte: Wir wollen die der Bevölkerung. Grenzen zu unseren östlichen Nachbarn nicht ver- Die vorgesehene bundesdeutsche Asylregelung schließen, wir wollen Verträge mit Weißrußland, mit trägt mit dazu bei, daß die Luft für Demokraten und der Ukraine, wir wollen vor allen Dingen multilaterale Verträge unter Einbeziehung der Visegrád-Staaten. Reformer in Ost- und Ostmitteleuropa immer dünner wird. Statt ihre Öffnung zu unterstützen, ihre eigenen Wir stehen nach wie vor zu diesem Konzept. Was jetzt außen- und sicherheitspolitischen, regionalen und ausgehandelt wurde, läuft den Vorstellungen des europäischen Möglichkeiten zu berücksichtigen und polnischen Außenministers entgegen. als konstruktiven Bestandteil gesamteuropäischer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Politik zu verstehen, zwingen wir sie dazu, sich sowie bei Abgeordneten der SPD) abzuschotten, die Grenzen zu ihren Nachbarn, mit Meine Damen und Herren, ich komme zurück auf denen sie gerade erst einen freien Austausch begon- die Situation der Osteuropäer und Ostmitteleuropäer: nen haben, zu schließen, entgegen ihren eigenen Wir meinen, daß die Bundesrepublik Deutschl and Intentionen, Visazwang einzuführen wie auch eigene durch die zu erwartende Entscheidung auf dem Wege nationale Minderheiten in den Nachbarstaaten in ist, eine einmalige historische Chance zu verspielen, Schwierigkeiten zu bringen. die ihr nach dem Ende der Blockkonfrontation zuge- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13549

Gerd Poppe fallen ist, nämlich die Chance und Verpflichtung, als Zuschauertribüne mit Besuchergruppen geglichen politisch und wirtschaftlich mächtiger und relativ hat als der Vertretung der Länder. stabiler mitteleuropäischer Staat ausgleichend- und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge integrierend zu handeln. Die Entwicklung auf dem ordneten der SPD) Balkan und in Teilen der ehemaligen Sowjetunion zeigt, was droht, wenn diese Ch ance vertan wird. Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Zeitl- Länderlisten und Begleitgesetze sind die durchaus mann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen logische Konsequenz aus der vorgesehen Grundge- Ullmann? setzänderung. Ebenso logisch folgt daraus für uns, daß wir das heute zur Debatte stehende Gesamtpaket Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Herr Kollege Ull ablehnen. -mann, bitte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Herr Ull- Die Methode der Bundesregierung — ich hielte es für mann. eine Trauerspiel, wenn sich ihr eine verfassungsän- dernde Mehrheit dieses Hauses anschlösse —, sich Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Herausforderungen der Zeit mit Abschottung und NEN): Herr Kollege, Sie haben nach Alternativen Geldzahlungen zu entziehen, entspricht durch und gefragt. Kann ich davon ausgehen, daß Sie sich durch dem Status-quo-Denken aus einer längst über- Kenntnis über die Entwürfe von BÜNDNIS 90/DIE wunden geglaubten Zeit. In solch gänzlich uninspi- GRÜNEN zum Flüchtlingsgesetz und zum Einwande- riertem und kontraproduktivem Handeln ist nicht der rungs- und Niederlassungsgesetz sowie über unseren kleinste Funken einer Idee für die Gestaltung des Gesetzentwurf zur Staatsbürgerschaft verschafft ha- ersehnten neuen Europa zu erkennen. ben? Die mit dem Ende der Blockkonfrontation verbun- denen Hoffnungen der Menschen im Süden und Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Herr Kollege Ull Osten auf eine friedlichere und gerechtere Welt haben -mann, bei einem Zuwachs der Bevölkerungszahl von sich nicht erfüllt. Der reiche Teil Europas hat auf die derzeit knapp 1 Million pro Jahr — wenn wir alle Herausforderungen unserer Zeit bisher die falschen Zugänge zusammenrechnen — kann man sich nicht Antworten gegeben: Abschottung statt Öffnung, Rela- hinstellen und sich darauf berufen — wie Sie das tivierung und faktische Abschaffung statt Durchset- tun —, daß man Vorschläge gemacht hätte, die noch zung und Erweiterung von Menschenrechten. eine weitere Liberalisierung bedeuten, eine Erleichte- rung des Zugangs. Herr Kollege Ullmann, ich kenne Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist und bleibt die Ihre Texte sehr genau. Wahrung der Menschenrechte von essentieller Meine sehr geehrten Damen und Herren, in den Bedeutung. Jede unserer Aussagen zur gemeinsamen Ausschußberatungen und in vielen zusätzlichen Gestaltung zukünftiger deutscher Politik, sofern Gesprächen haben sich alle Beteiligten bemüht, den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an ihr nach dem Willen im Kompromiß vorgezeichneten Weg so sachgerecht, der Wähler maßgeblicher als im Moment beteiligt sein effizient und human wie möglich in Gesetzesform zu sollte, wird daran zu messen sein, in welchem Umfang gießen. Ich möchte zwei Regelungen hervorheben, sich die heute zu befürchtende Fehlentscheidung rückgängig machen läßt. die in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Hauptschwierigkeit, der Abschiebung nicht asylbe- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. rechtigter Ausländer, stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erstens. Ein Asylverfahren im Transitbereich der sowie bei Abgeordneten der SPD) Flughäfen wird bei Asylbewerbern aus sicheren Her- kunftsstaaten oder solchen ohne oder mit gefälschtem Paß die sofortige Rückführung ermöglichen, wenn sie kein Asylrecht genießen. Vizepräsident Helmuth Becker: Nächster Redner ist Zweitens. Die nachhaltigste Kritik richtet sich unser Kollege Wolfgang Zeitlmann. gegen die sofortige Abschiebung in einen sicheren Drittstaat. Sichere Drittstaaten sind neben Österreich, der Schweiz, der Tschechischen Republik und Polen, mit denen uns eine Landgrenze verbindet, auch die Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Ich will zwei nordischen Staaten Finnland, Norwegen und Schwe- aktuelle Bemerkungen vorausschicken. den. Besteht eine Rücknahmeverpflichtung, so kann ein Asylbewerber ohne Prüfung der Asylgründe und Heute vormittag fiel mir erstens auf, daß alle dieje- ohne gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit nigen, die die heutigen Gesetzesvorhaben kritisieren, der Abschiebung in diese Länder zurückgeschickt einen Vorschlag schuldig geblieben sind, wie sie denn werden. Die Kritik gegen diese Regelung greift nicht ihrerseits mit dem Strom der Zugänge nach Deutsch- durch. land umgehen wollen. Sie sollten konkrete Vor- Erstens gilt als sicherer Drittstaat nur ein Land, das schläge dazu machen, wie das Problem gelöst werden die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäi- kann. sche Menschenrechtskonvention beachtet, das also (Beifall bei der CDU/CSU) niemand in ein Verfolgerland abschiebt oder der Als zweites fiel mir auf, daß die Bundesratsbank Folter oder Todesstrafe ausliefert. Da die Aufnahme insbesondere im Laufe des Vormittags mehr einer einer größeren Zahl von Asylbewerbern und die 13550 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Wolfgang Zeitlmann Durchführung des Asylverfahrens für Polen eine wie sie es regeln wollen, dann habe ich insbesondere grobe Belastung darstellt, wurden in dem kürzlich an Sie gedacht. Das zur Klarstellung. abgeschlossenen Abkommen Hilfen vereinbart- und Vorkehrungen gegen eine Überforderung getroffen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein vergleichbares Abkommen streben wir mit der Tschechischen Republik an, die nach derzeitiger Lage Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Asyl- jedoch sehr viel weniger belastet sein wird, da kein problem läßt sich nicht allein mit der Änderung des Rückübernahmeabkommen besteht. Grundgesetzes und des Asylverfahrensgesetzes be- wältigen. Viele Asylbewerber kommen in Wirklich- Zweitens ist für die Abschiebung in den sicheren keit aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland. Drittstaat die Einreise über dieses Land Vorausset- Wir müssen deshalb auch weiterhin unseren Beitrag zung. Diese Feststellung treffen die Behörden. Kön- zur Bekämpfung der Fluchtursachen leisten. Mit den nen sie den Nachweis nicht führen, bleibt der Asylbe- dafür aufgewandten Geldern helfen wir mit sehr viel werber in Deutschl and. Da auch der Nachbarstaat größerer Wahrscheinlichkeit den wirklich Bedürfti- einen Nachweis für seine Aufnahmepflicht verlangt, gen und nicht nur denjenigen, die die Reise, oft sogar ist das Risiko einer unrichtigen Entscheidung mini- den Flug und den Schlepper bezahlen können. mal. Dennoch die Möglichkeit der gerichtlichen Kon- trolle zu schaffen, ist wegen des damit verbundenen Mitverantwortlich für den massenhaften Asylmiß- Personalbedarfs und der zeitlichen Verzögerung nicht brauch sind die Straftaten nament lich des professio- zu rechtfertigen. nellen Schlepperunwesens. Nach Schätzungen wer- Der neue Art. 16a Abs. 2 Satz 3 schließt deshalb den den etwa 60 % aller Asylbewerber eingeschleust und vorläufigen Rechtsschutz in diesen Fällen aus. Das ist müssen dafür hohe Summen bezahlen. Die Strafver- verfassungsrechtlich zulässig und kein Verstoß gegen folgungsbehörden sind dabei zunehmend mit gut das Rechtsstaatsprinzip. organisierten, konspirativ vorgehenden Schlepper ringen konfrontiert. Es ist deshalb erforderlich, daß den Strafverfolgungsbehörden auch für diesen Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Zeitl- Bereich das Instrumenta rium zur Verfügung gestellt mann, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des wird, das zur Bekämpfung organisierter Kriminalität Kollegen Dr. Hirsch? besteht.

(Beifall des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Bitte schön, Herr [Bonese] [fraktionslos]) Dr. Hirsch. Nicht hinnehmen können wir auch die illegale Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Kollege Zeitl- Zuwanderung über unsere östliche Grenze. Es ist mann, wenn Sie darauf hinweisen, daß es sich bei den daher zu begrüßen, daß der Bundesgrenzschutz die sogenannten sicheren Drittstaaten um Länder han- Möglichkeit des Einsatzes der Wärmebild- und Radar- deln muß, die die Genfer Flüchtlingskonvention und technik an den Grenzen prüft. Die Möglichkeiten, die Europäische Menschenrechtskonvention gezeich- durch technische Nachtsichthilfsmittel die Wirksam- net haben, müssen Sie dabei nicht berücksichtigen, keit der Kontrollen zu verbessern, müssen genutzt daß trotzdem die Auslegungskriterien, was denn werden. Auch muß die Anziehungskraft des Bundes- unter diese Konvention fällt, in den einzelnen Ländern grenzschutzes für den polizeilichen Nachwuchs außerordentlich weit voneinander abweichen? Sie erhöht werden. Eine viel zu große Zahl von Stellen ist wissen z. B., daß die Franzosen einen großen Teil der derzeit unbesetzt. tamilischen Flüchtlinge akzeptieren und wir nicht. Bei Ein schnelleres und weniger aufwendiges Asylver- anderen Gruppen ist es umgekehrt. Somit übertragen fahren bringt wenig, wenn abgelehnte Asylbewerber wir in der Tat unsere eigenen Beurteilungskriterien, anschließend nicht Deutschland auch wieder verlas- zu denen wir uns verpflichtet haben, sozusagen auf sen. Diese im Verantwortungsbereich der Länder andere Staaten, ob sie ihnen folgen wollen oder nicht. liegende Frage muß organisatorisch zweckmäßig und Es ist ein ganz wesentlicher Unterschied, ob wir die wirtschaftlich günstig gelöst werden. Die dazu von der Entscheidung selber treffen oder ob wir sie einem Innenministerkonferenz eingesetzte Arbeitsgruppe anderen Staat überlassen. muß schnellstmöglich zu Ergebnissen kommen. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Kein Ver trauen zur Demokratie!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit den heute zu verabschiedenden Gesetzestexten regeln wir unser Asylrecht grundlegend neu. Wie bei jeder Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Herr Dr. Hirsch, Neuregelung ist nicht auszuschließen, daß sich Lük- hier gehen die Meinungen auseinander. Wir sind der ken und Unzulänglichkeiten im Verfahren herausstel- Auffassung, die Philosophie der Drittstaatenregelung len, die uns zwingen nachzubessern. Auch eine Ver- geht davon aus, daß diese Staaten, in die wir ohne änderung der Wanderungsströme oder Fortschritte im Verfahren zurückschicken, das Refoulementverbot Rahmen der europäischen Harmonisierung des Asyl- achten und niemanden einer Gefahr aussetzen. rechts werden möglicherweise Änderungen erf order- Herr Dr. Hirsch, wenn ich eingangs gesagt habe, lich machen. Wir können deshalb heute leider nicht daß ich bei denen, die ich heute gehört habe und die sagen, das Problem sei abschließend geregelt. Eine sich gegen die heutigen Regelungen wenden, vermißt ganz wesentliche Verbesserung können wir jedoch habe, daß sie konkrete Vorschläge darüber machen, meines Erachtens erwarten. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13551

Wolfgang Zeitlmann Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Dem dient die Einführung erstens der rascheren (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Trennung zwischen Bürgerkriegsflüchtlingen und ordneten der F.D.P.) - Asylbewerbern; zweitens des Prinzips der sicheren Drittstaaten, wonach grundsätzlich derjenige Staat das Asylverfahren durchführen muß, in den der Asyl- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und bewerber eingereist ist, wenn do rt ein rechtsstaatli- Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. Hans de ches Verfahren wie etwa bei uns gewährleistet ist — es With das Wort. muß gewährleistet sein! —; drittens des Prinzips der sicheren Herkunftsländer, wonach vermutet wird, daß Verfolgung in dem sicheren Herkunftsstaat nicht Dr. Hans de With (SPD): Herr Präsident! Meine sehr droht, es sei denn, diese Vermutung wird durch verehrten Damen und Herren! Bei den Verhandlun- schlüssige Gegenbehauptungen erschüttert; viertens gen über eine künftige Neuordnung des Asylrechts verkürzte Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zur waren und konnten unsere Kernforderungen nur die weiteren Aufenthaltsbegrenzung und fünftens von folgenden sein: Leistungsbeschränkungen bei den notwendigen erstens, daß der wirklich Asylberechtigte nach wie staatlichen Hilfen. vor in einem rechtsstaatlichen Verfahren herausge- funden werden kann und damit nicht in die Verfol- Meine sehr verehrten Damen und Herren, das gung zurückgeschickt wird, wobei offenkundig ist, Kuriose auch an dieser Debatte ist nun, daß die einen daß niemand das Recht hat — das sage ich im Hinblick sagen, was ihr macht, bringt ja überhaupt nichts, und auf Herrn Hirsch —, daß sich das bei uns abspielen die anderen sagen, was ihr tut, macht die Bundesre- muß; wichtig ist, daß er nicht in die Verfolgung oder in publik zu einer Festung und führt zu keinem Asylver- die Folter zurückgeführt wird und daß er ein Verfah- fahren mehr. ren in einem sicheren Drittstaat bekommt; Keine der beiden Behauptungen kann wohl zutref- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der fen; wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der Mitte. F.D.P.) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zweitens, daß die bisherige faktische Einwande- Herr Kollege Hirsch, ich war etwas enttäuscht über rung über den Art. 16 gebremst und gesteuert wird; Ihre sehr pauschale Darstellung, die begann: egal, ob drittens, daß das Asylverfahren weiter beschleunigt dieses geschieht, egal, ob jenes geschieht. Sie wissen wird; genausogut wie ich, daß etwas mehr als 90 % aller viertens, daß wirtschaftliche Anreize, zu uns zu Asylbewerber bei uns im Inland auftauchen und sich kommen, abgebaut werden. melden, nicht an der Grenze. Wenn sie bei der zukünftigen Regelung aus einem sicheren Drittstaat Die Umsetzung dieser Forderungen hat zu einem kommen und wir nicht wissen, durch welchen Staat schwierigen und langdauernden Diskussions- und sie zu uns gekommen sind, erhalten sie ein Verfahren, Entscheidungsprozeß geführt. Kein Wunder, es auch ein Gerichtsverfahren. Genauso ist es; sie wer- steckte der Teufel nicht nur im Detail. Es mußte dabei den eben nicht einfach zurückgeschickt. Wenn klar auf vielerlei berechtigte Einwände eingegangen und ist, aus welchem Drittstaat sie kommen, können sie der Dialog mit vielen Menschen und Gruppierungen zurückgeschickt werden. geführt werden, deren Sorgen wir, wir Sozialdemo- kraten jedenfalls, sehr ernst genommen haben. Wir Sozialdemokraten meinen: In den wenigen Schließlich hat auch das umfängliche Anhörungsver- zweifelhaften Fällen, auf die Sie zurückgekommen fahren Gegensätzliches und Nachdenkliches in gro- sind, muß der Rechtsweg durch das Verwaltungsge- ßer Anzahl gebracht. Wir haben versucht, das unter- richt gesichert werden. Deswegen unser Antrag, den zubringen. wir in zweiter Lesung stellen. Es wußte schon Voltaire, daß wir nicht in der (Beifall bei der SPD) schönsten aller denkbaren Welten leben. Unsere Welt Selbst wenn dies nicht Gesetz wird, sage ich immer hat sich seit 1949 gravierend verändert. Insbesondere noch: Letzter Rettungsanker ist nach dem geltenden seit drei Jahren bewegen uns bis- Flüchtlingsströme Recht das Verfassungsgericht. Wir halten es zwar her nicht gekannten Ausmaßes. Damit hat sich die nicht für gut, daß das Bundesverfassungsgericht quasi Notwendigkeit ergeben, auch Regelungen anzupas- als Verwaltungsgericht denaturiert wird, sen, die damals in Erinnerung an die Emigration in der Nazizeit Errungenschaften darstellten und auch heute (Norbert Geis [CDU/CSU]: Es ist doch ein noch sind: den für jederman einklagbaren Rechtsan- Gericht!) spruch auf Asylgewährung und die ebenso einmalige aber wir gehen davon aus, daß das Bundesverfas- wie großzügige Rechtswegegarantie. sungsgericht schon die erforderlichen Maßnahmen Gerade bei diesen Grundrechten haben wir Abstri- treffen wird, wenn das hundertste Verfahren bei ihm che machen müssen, Abstriche, die uns weh tun und gelandet ist. weh getan haben, die aber auch nötig sind, es sei (Beifall bei Abgeordneten der SPD) denn, wir wollten uns zeihen lassen, das Nötige und auch Machbare nicht machbar gemacht zu haben. Die Mehrheit unserer Bürgerinnen und Bürger verstünde uns nicht mehr, handelten wir nicht endlich. Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Dr. de (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Erwin With, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Lüder? 13552 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Hans de With (SPD): Bitte schön, Herr Kollege Herkunftsländern per Flugzeug über die Flughäfen zu Lüder. organisieren. Was wird in Zukunft am Flughafen geschehen? Herr Bitte, Kollege Vizepräsident Helmuth Becker: Hirsch hat das ja so drohend an die Wand gemalt. Lüder. Wenn jemand bei der Paßkontrolle sagt, er bitte um (F.D.P.): Herr Kollege de With, Asyl, wird ihm das Passieren der Paßschleuse und Wolfgang Lüder damit die Einreise verweigert, aber nur dann, wenn er wegen der Klarheit der Debatte frage ich Sie: Wie wird Ihr Abstimmungsverhalten sein, falls der Antrag zu aus einem sicheren Herkunftsland kommt oder keine Papiere oder unvollständige Papiere vorweist. Alle § 34 a, auf den Sie sich eben maßgeblich gestützt anderen Asylbewerber können einreisen. Dem so haben, abgelehnt wird? aufgehaltenen Asylbewerber ist unverzüglich rechtli- ches Gehör zu gewähren und unverzüglich Gelegen- Dr. Hans de With (SPD): Ich werde dem gleichwohl zustimmen, weil nicht nur nach der Rechtsprechung, heit zu geben, sich Rechtsrat zu holen. Ihm ist die sondern auch nach dem, was alle Parteien in den Einreise zu gewähren, wenn — und jetzt zähle ich Verhandlungen übereinstimmend notifiziert haben, auf — eine Unterbringungsmöglichkeit auf dem Flug- immer noch das Bundesverfassungsgericht angerufen hafen, z. B. wegen Überfüllung, nicht möglich ist, das werden kann und dieses sofort das Verfahren anhal- Bundesamt nicht binnen zwei Tagen über den Asylan- ten wird — mit der Folge, daß es einen Abschiebungs- trag entschieden hat, das Verwaltungsgericht nicht stopp gibt, wenn Gefahr für Leib oder Leben droht. binnen 14 Tagen eine Entscheidung gefällt hat, das Bundesamt mitteilt, daß es nicht kurzfristig entschei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ den kann, oder dem Asylantrag stattgegeben wird. In CSU und der F.D.P.) allen diesen Fällen kann er herein. Die Beratungen haben, wie Sie wissen, ihre Zeit gedauert. Die neuen Regelungen sind in der Tat zum Solange der Schwebezustand anhält, kann der Teil recht kompliziert ausgefallen. Nur: Wir konnten Asylbewerber überall hinreisen, . nur nicht nach dabei erreichen, daß erstens keinem Asylbewerber im Deutschland. Und: Jedem stehen die Möglichkeit der abgekürzten Verfahren eine mögliche positive Ent- Rechtsberatung sowie ein rechtsstaatliches Verwal- scheidung durch Fristablauf genommen und er damit tungs- und ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren zu, rechtlos gestellt wird; daß zweitens die erwähnte wenn auch — das gebe ich zu — in verkürzter Form. Vermutensregelung bei sicheren Herkunftsländern Kann das alles nicht gewährt werden, wird der Bewer- durch den Asylbewerber dann durchbrochen wird, ber — wie gesagt — nicht zurückgeschickt; er kann wenn er stichhaltige Gegengründe — eben daß er einreisen. entgegen der Vermutung verfolgt wird — geltend Natürlich kann man über ein so verkürztes Verfah- machen kann; daß drittens die sogenannte Polenrege- ren die Nase rümpfen. Aber ein langes, umständliches lung schon vorliegt und nicht in den Sternen steht und Verfahren dient weder dem wirklich Verfolgten noch eben nicht zu Lasten der Asylbewerber und der Polen dem Wirtschaftsflüchtling. erfolgt ist, sondern — darauf ist schon hingewiesen worden — beispielhaft für Europa ein erstes wirkli- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ches burden-sharing bringt; Ich füge hinzu: Es stößt auf Unverständnis bei unseren (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Ein ganz Bürgerinnen und Bürgern, auf die wir ja wohl auch wichtiges Argument!) noch Rücksicht zu nehmen haben. und daß viertens die Erklärung der Bundesregierung (Beifall bei der SPD — Erwin Marschewski für den abzuschließenden Vertrag mit der Tschechi- [CDU/CSU]: Das ist aber keine neue schen Republik dem entspricht — manche sagen: Erkenntnis!) spiegelbildlich —, was mit dem Polenvertrag ausge- handelt wurde, wobei anzumerken ist, daß bis zum Nicht zu unserer Befriedigung geregelt ist — das Inkraftsetzen des Vertrages eben keiner einfach haben wir bereits gehört — die Frage des Abschiebe- zurückgeschickt werden kann, weil die Rücknahme- stopps bei der Drittstaatenregelung. Hier darf noch verpflichtung ja noch nicht besteht. hinzugefügt werden: Die Altfälle fallen darunter übri- In diesem Zusammenhang sind in der Öffentlichkeit gens überhaupt nicht. Und ich sage es noch einmal, und auch hier zwei Verfahren umstritten: die Flugha- weil es immer wieder mißverstanden wird: Jeder neue fenregelung und der Ausschluß des Abschiebestopps Fall kann nach wie vor zum Bundesverfassungsge- beim drohenden Abschieben in einen sicheren Dritt- richt gebracht werden, das die rechtswidrige Abschie- staat. bung — wenn es sich auch nur um wenige Fälle Es ist richig, daß eine Flughafenregelung bei der handeln wird — jederzeit stoppen kann. Parteivereinbarung vom 6. Dezember letzten Jahres (Zuruf des Abg. Peter W. Reuschenbach nicht vorgesehen war. Sie war ganz einfach deswegen [SPD]) nicht vorgesehen, weil wir Sozialdemokraten uns dagegen mit Nachdruck gewehrt haben; denn diese — Ja, Herr Reuschenbach, so ist es. Regelung enthielt Bestimmungen, die für uns über- (Peter W. Reuschenbach [SPD]: Na, dann viel haupt nicht akzeptabel waren. Die jetzige Flughafen- Vergnügen!) regelung enthält dagegen solche rechtsstaatlichen Mängel nicht mehr. Sie ist dringend geboten, da Dazu gibt es einen Präzedenzfall auf Grund einer inzwischen Schlepper — wir wissen das — mehr und Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom mehr dazu übergehen, die Einreise aus sicheren 20. April dieses Jahres. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13553

Dr. Hans de With Daß jedoch jedweder Abschiebestopp durch die sprechende Vermutung zu widerlegen. Dann hätten normalen Verwaltungsgerichte ausgeschlossen wer- Sie ein System, von dem man wohl annehmen muß, den soll — ich sage es noch einmal —, erscheint weder daß es der Verfassung und der Genfer Flüchtlingskon- durch den neuen Art. 16 a des Grundgesetzes gedeckt, vention entspricht und einigermaßen akzeptabel ist. noch besteht Grund zu der Annahme, daß das Bun- Daß Sie es nicht haben wollen, steht auf einem desverfassungsgericht das einfach hinnehmen wird. anderen Blatt. Deswegen unser Änderungsantrag, dem ich zu folgen bitte. Es gab und gibt — ich komme zum Schluß — bei der Vizepräsident Helmuth Becker: Ich erteile jetzt Bewältigung der Asylproblematik verständlicher- unserem Kollegen Dieter-Julius Cronenberg das weise viele Emotionen. Das geht ja auch ans Herz. Wort. Und keineswegs hat der gespannt wartende Bürger immer die zutreffenden Informationen erhalten. Und natürlich handelt es sich um einen mühsam in stun- Dieter-Julius Cronenberg (Arnsberg) (F.D.P.): Herr denlangen Sitzungen erworbenen Kompromiß, und er Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kolle- kam auch etwas spät. Aber immerhin: Am 1. Ju li tritt gen! Lassen Sie mich zunächst einmal feststellen, daß zum erstenmal eine wirklich tiefgreifende, jedoch, wie die Debatte im Bundestag — auf Ausnahmen komme ich meine, tragbare Änderung des Asylrechts in Kraft ich noch zu sprechen — in Inhalt, Ton und Form der mit der Möglichkeit, daß eine echte Besserung eintritt. Bedeutung des Themas entspricht und mit der nötigen Gleichzeitig wurde ein Anstoß in und für Europa Sachlichkeit geführt wird, was der gerade geführte gegeben. Ich füge hinzu: Wenn schon Maast richt, Dialog bewiesen hat. wenn schon europäische Zusammenarbeit auf wirt- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU schaftlichem Gebiet, dann hoffentlich bald mehr sowie bei Abgeordneten der SPD) Zusammenarbeit auch im humanen oder humanitären Bereich. Dabei denke ich aber nicht — und das ist die Ausnahme — an die Ausführungen der PDS-Abge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ordneten Ulla Jelpke. Ich möchte in diesem Zusam- der CDU/CSU) menhang folgendes feststellen: Bei aller Abwägung: Wir konnten nicht länger Wenn Frau Jelpke die Mehrheit des Hauses in die warten. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Nähe von Rechtsradikalen rückt, sie sozusagen der Vielen Dank. Kumpanei mit den Rechtsradikalen bezichtigt, dann (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten halte ich das — und ich sage das mit allem Ernst — für der CDU/CSU und der F.D.P.) eine unverschämte Flegelei. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Vizepräsident Helmuth Becker: Ich erteile jetzt sowie bei Abgeordneten der SPD) zunächst unserem Kollegen Dr. Burkhard Hirsch zu Da sie weiß, daß sie die Unwahrheit spricht, wird es ihr einer Intervention nach § 27 Abs. 2 das Wort. ja nicht schwerfallen, sich zu entschuldigen und das zurückzunehmen. (F.D.P.): Herr Präsident, ich Dr. Burkhard Hirsch (Zuruf von der F.D.P.: Das schafft die nie!) melde mich nur, weil ich gezielt angesprochen wor- den bin. Im übrigen möchte ich die Abgeordnete Jelpke Herr Kollege de With, ob Sie es nun wahrhaben daran erinnern, daß wir uns gewisse sinnvolle Rege- lungen gegeben haben. In denen wurde festgelegt, wollen oder nicht, es ist ja tatsächlich so, daß jemand, der aus irgend einem unserer Nachbarländer kommt, daß Plakate, Transparente, Aufkleber außerhalb der ohne jedes weitere Verfahren, ohne Rechtsschutz Büros des Bundestages nichts zu suchen haben. Ich dorthin zurückgeschickt werden kann, ganz egal, aus wäre froh, wenn auch Sie, meine Damen der PDS, sich welchem Grund er in die Bundesrepublik gekommen danach richten würden. ist. Wenn Sie sagen, er kriegt ja ein Verfahren, wenn So ruhig und sachlich alles in allem die Debatte im wir nicht wissen, aus welchem Land er kommt, dann Hause verläuft, so schlimm sind die Vorgänge auf der sage ich Ihnen: Genau das ist die Anwaltsschläue, ein Straße vor und zum Teil sogar in der Bannmeile. Das Schlupfloch zu suchen, das heißt nämlich, demjeni- ist, so meine ich, ein unakzeptabler Angriff auf unsere gen, der ein Verfahren haben will, zu raten: Du mußt Entscheidungsfreiheit. deine Reisepapiere vernichten, dann geht es dir etwas (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU besser. — Das ist kein Rechtssystem, dem m an folgen sowie bei Abgeordneten der SPD) kann. Den Chaoten, die sich do rt austoben, geht es nicht um Und, Herr Zeitlmann, wie sind die Alternativen? das Recht, auch nicht um das Asylrecht, sondern um Erstens Beschleunigung des Verfahrens, wie wir das die Mißachtung des Rechts und die Zerstörung unse- mit dem letzten Gesetz gemacht haben — es werden rer demokratischen Ordnung. heute mehr Entscheidungen in Zirndorf getroffen, als Flüchtlinge kommen —; zweitens Vereinbarungen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU über eine inhaltliche Gemeinsamkeit der Asylrechte, sowie bei Abgeordneten der SPD — Erwin die zu einer gegenseitigen Anerkennung der Ent- Marschewski [CDU/CSU]: Sehr richtig!) scheidungen führen; drittens eine Regelung, wie der Ich meine dabei — damit kein Mißverständnis Flüchtlingskommissar sie vorschlägt, nämlich dem entsteht — nicht jenen friedvollen Teil der Demon- Flüchtling die Gelegenheit geben, eine gegen ihn stranten. 13554 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dieter-Julius Cronenberg (Arnsberg) Meine Damen und Herren, welche Ironie liegt in der Bundesrepublik seit über einem Jahr stattfin- den gedruckten Postkarten, die ich erhielt, in denen es dende Debatte zum Asylrecht offenbart, wie weit sich heißt: Möchten Sie in einem Land leben,- wo das dieses Land von humanistischen Idealen entfernt hat. Gesetz der Straße gilt? Die Absender dieser Karten Die faktische Abschaffung von Art. 16 — der Verzicht und die, die da draußen solchen Unsinn praktizieren, auf das einklagbare individuelle Recht auf Asyl — soll diktieren in Wahrheit das Gesetz der Straße. Aber das sogenannte Asylproblem auf dem verhängnis- niemand sollte sich davon beeindrucken lassen. vollen Weg der Definition lösen: Zwar soll es das (Zuruf des Abg. Peter W. Reuschenbach Asylrecht weiterhin geben, nicht aber die Flüchtlinge, [SPD]) die es in Anspruch nehmen könnten. — Niemand sollte sich beeindrucken lassen, Kollege Mich als entwicklungspolitische Sprecherin der Reuschenbach, auch nicht von jenen realitätsfernen PDS/Linke Liste beunruhigt am meisten, daß die und möglicherweise blauäugigen Utopisten, die einen Debatte fast ausschließlich unter innenpolitischen Gottesdienst mißbrauchen, die glauben, den Herrgott und marktwirtschaftlichen Überlegungen geführt für sich und ihre Meinung gepachtet zu haben. wird. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Waren Sie sowie bei Abgeordneten der SPD) schon einmal im Ausschuß?) Ich möchte mir in aller Form verbitten, daß do rt so Schlagworte wie Beschleunigung des Asylverfahrens, verfahren wird. Wenn diese Gottesdiener glauben, für staatlich regulierte Einwanderungspolitik, Quotenre- mich beten zu müssen, dann sollen sie das tun, aber an gelung, Abschiebung von Asylbewerbern, Mißbrauch den dafür bestimmten Orten, des Asylrechts und andere belegen das unmißver- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der ständlich. Die globale Sicht und unsere solidarische CDU/CSU) Haltung bleiben gänzlich auf der Strecke. Wohl- standsegoismus, Gleichgültigkeit gegenüber in Not sollen aber nicht böswilligen Chaoten einen Schutz- Lebenden in der sogenannten Dritten Welt, staatlich schild liefern. geschürter Rassismus bestimmen, von wenigen Aus- Kolleginnen und Kollegen, gleich, wie Sie sich nahmen abgesehen, leider oft die Sichtweise in die- entscheiden werden, ich weiß, daß viele es sich sem Haus. verdammt schwer- und nicht leichtgemacht haben. Das trifft ganz bestimmt auch auf die Kollegin Frau Meine Damen und Herren, ich bin natürlich für die Schmalz-Jacobsen zu. Deswegen war es nötig und Beibehaltung des Grundrechts, das politisch Verfolg- richtig, daß Michael Glos in einer Interven tion festge- ten in Deutschland Asyl gewährt. stellt hat, seine Bemerkung an die Frau Kollegin (Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch!) Schmalz-Jacobsen sei ein allgemeiner Appell, den Die Bundesrepublik kann und darf ihre Verantwor- Vorlagen zuzustimmen, und habe keinen Zusammen- tung angesichts der heutigen Welt aber nicht darauf hang mit dem Amt der Ausländerbeauftragten. beschränken, denn: erstens sind heute unvergleich- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne lich mehr Menschen existentiell durch Unterentwick- ten der CDU/CSU — Wolfgang Zeitlmann lung und Hunger bedroht als durch politische Verfol- [CDU/CSU]: Das könnte man aber schon gung. Über eine Milliarde Menschen werden durch machen!) Massenhunger und Not verfolgt. Einigen wenigen Das ist um so richtiger und notwendiger, als die gelingt die Flucht zu uns. Wir verweigern ihnen hier Ausländerbeauftragte nicht für die Asylbewerber den Schutz, da sie ja nicht politisch verfolgt sind, zuständig ist. sondern „nur" durch die Not hierher getrieben wor- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich werde den den sind. Vorlagen zustimmen, und zwar nach reiflicher Über- Zweitens bleibt unverständlich, daß sich CDU/CSU, legung. Auch mir ist das nicht leichtgefallen. Aber ich F.D.P. und SPD in ihrem gemeinsamen Gesetzentwurf wünsche mir, nein, ich bin sicher, daß anschließend ausschließlich auf die Rechtslage, die Rechtsanwen- alle, die bei der Änderung des Grundgesetzes mit Ja, dung und die allgemeinen politischen Verhältnisse und alle, die mit Nein gestimmt haben, sich für das beschränken, um feststellen zu können, ob — ich dann geänderte Grundgesetz so engagiert einsetzen, zitiere — „eine unmenschliche oder erniedrigende wie es bisher der Fall war. Dafür möchte ich mich Bestrafung oder Behandlung stattfindet" . bedanken. Warum blendet man gerade die wirtschaftlichen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) und insbesondere die weltwirtschaftlichen Verhält- nisse aus, die dazu führen, daß Menschen millionen- Vizepräsident Helmuth Becker: Unsere Frau Kolle- fach unmenschlich behandelt, erniedrigt und bestraft gin Dr. Ursula Fischer erhält jetzt das Wort werden? Sie haben kaum eine Chance, aus dieser schier ausweglosen Lage herauszukommen. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Dann kann sie das von Frau Jelpke ja richtigstellen!) (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das ist Entwicklungs politik, Frau Kollegin, nicht aber Asylpoli tik!) Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Herr Präsi- dent! Kolleginnen und Kollegen! Durch das griechi- Obwohl sie nicht politisch Verfolgte im klassischen sche Wort „ásylon" wurde in der Antike ein Zufluchts- Sinne sind, kann nicht bestritten werden, daß es ort für Verfolgte bezeichnet, eine Stätte, die dem gesellschaftliche und politische Verhältnisse im Süden, Menschen Schutz gewährte. Die im Bundestag und in vor allem aber im Norden — also auch in Deutsch- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13555

Dr. Ursula Fischer land — sind, die sie ins Abseits bzw. auf den Flucht- leicht möglich gewesen. Ich habe es mir aber nicht so weg gedrängt haben. leicht gemacht. Meine Damen und Herren, die heute anstehende- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Und sind Grundgesetzänderung läuft darauf hinaus, die „Fe- in die PDS eingetreten! Richtig! Das war stung Europa", insbesondere aber den vermeintli- schwieriger! — Dr. Wolfgang Freiherr von chen „Festsaal Deutschland", so auszubauen, daß Stetten [CDU/CSU]: 1972 ist sie in die SED Flüchtlinge aus den Kriegs- und Krisenländern nicht eingetreten!) mehr aufgenommen werden müssen und daß somit der erreichte wirtschaftliche Wohlstand mit diesen Deswegen sage ich Ihnen auch folgendes: Ich habe in Menschen nicht geteilt werden muß. der DDR Erfahrungen gemacht, die Sie leider nicht Hören Sie mit dem Mißbrauch Ihrer ökonomischen machen konnten. Deshalb vielleicht habe ich beson- und politischen Macht auf, und der sogenannte Miß- ders viel Verständnis für Asylbewerber sowie für die brauch des Asylrechts wird aufhören; denn die Asyl- ganze Problematik Asyl und Flüchtlinge. Vielleicht bewerber werden ihr Leben dann in ihren Heimatlän- nehmen Sie das hier zur Kenntnis. dern selbst gestalten wollen und es im übrigen auch (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei können, wenn man sie läßt. Abgeordneten der SPD — Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Nein! — Heiterkeit bei Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin der F.D.P. und der CDU/CSU) Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- Meine Damen und Herren, ich setze meine Ausfüh- gen Kleinert? rungen fort. Drittens. Welche menschenrechtlichen Motive rechtfertigen die Begründung der drei Fraktio- Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Aber natür- nen, daß politisch Verfolgten weiterhin Schutz und lich. Zuflucht gewährt wird — was ich nachdrücklich unterstütze —, während Ausländern, die — ich Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Kollege Klei- zitiere — „aus wirtschaftlichen und anderen nicht nert. durchgreifenden Gründen" nach Deutschland kom- men, dieser Schutz verweigert wird?

Detlef Kleinert (Hannover) (F.D.P.): Frau Kollegin, Es ist bezeichnend, meine Damen und Herren, daß beruhen Ihre Ausführungen auf Ihren humanitären man hierzulande im Falle von politischer Verfolgung Erfahrungen in der früheren DDR, oder ist es das anderswo sofort hellhörig wird und die Einhaltung der erklärte Ziel der verbliebenen links versprengten Menschenrechte einfordert. Wenn aber das Leben von Gruppen, in diesem Staat durch unkontrollierbare Zighundertmillionen von Erdenbürgern durch Hun- Zustände für Unruhe zu sorgen, um dann in der ger, durch den Entzug des elementarsten Menschen- selbsterzeugten Trübnis im Trüben fischen zu kön- rechts bedroht ist, wird diese Schutzfunktion in Frage nen? gestellt. Für diese Doppelmoral habe ich keinerlei (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der Verständnis. CDU/CSU) Besonders weh tut mir das Verhalten einiger Abge- ordneter der SPD. Offensichtlich können oder wollen Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Sehr geehrter sie sich nicht der parteiinternen Debatte entziehen, Herr Kollege Kleinert, ich bedanke mich nachdrück- die Heribert Prantl gestern in der „Süddeutschen lich für diese Frage, die Sie mir gestellt haben. Ich Zeitung" sehr treffend als einen „Fall für das Lehr- vermute allerdings, daß dies nicht ein Ang riff auf buch der Parteipsychiatrie" charakterisiert hat. Das meine Persönlichkeit gewesen ist, sondern ein sehr einschlägige Kapitel, so nochmals die „Süddeutsche allgemeiner Angriff auf meine Partei. Zeitung", trägt den Titel: „Wie man alles hergibt und Sie kennen mein Leben, das ich in der DDR geführt nichts dafür erhält". habe, nicht. Ich bin aber eine der wenigen hier im Solange politisch Verfolgte Asyl genießen, jenen Haus, die z. B. in der Dritten Welt gearbeitet haben, aber, die durch eine verfehlte Wirtschaftspolitik in und zwar zwei Jahre als Kinderärztin. äußerste Not geraten sind und Zuflucht bei uns (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Und im Wider suchen, das Bleibe- und Schutzrecht vorenthalten stand in die SED eingetreten sind!) wird, bleibt für mich diese Asyldebatte ohnehin eine — Wie bitte? Bitte stellen Sie sich doch an das Farce und die Grundgesetzänderung ein verhängnis- Mikrophon, und stellen Sie mir die nächste Zwischen- voller Schritt der Abschottung. Das erscheint mir frage. Zuerst will ich aber Herrn Kleinert seine Frage weder sozial oder human noch entwicklungs- und beantworten. Ich beantworte hier gern alle Fragen. sicherheitspolitisch vertretbar. (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei Meine Damen und Herren, ich lehne wie die PDS/ Abgeordneten der SPD) Linke Liste die vorliegenden Anträge zur Änderung Herr Kleinert, ich finde das ziemlich unverschämt. des Grundgesetzes ab. Ich sage Ihnen nur eines: Es wäre mir in der Wende (Zuruf von der CDU/CSU: Welche Überra sehr leicht gewesen — und man hätte sehr viel schung!) Verständnis dafür gehabt —, wenn ich damals z. B. Sprecherin des Neuen Forums oder einer anderen Ich fordere besonders die Abgeordneten von der SPD Organisation geworden wäre. Dies wäre mir sehr auf, sich dieser Ablehnung anzuschließen. Ich 13556 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Ursula Fischer bedanke mich hier nachdrücklich für die sehr sachli- Was habe ich an pathetischen Sprüchen in der chen Feststellungen des Kollegen Hirsch. Gemeinsamen Verfassungskommission dazu hören (Beifall bei der PDS/Linke Liste) - müssen: Um dem Staat seine Grenzen zu zeigen, ihn davor zu bewahren, sich selbst zu überheben, sich absolut zu setzen, darum müsse ihm so etwas wie Transzendenz, eine Chiffre des Absoluten und was Vizepräsident Helmuth Becker: Nächster Redner ist unser Kollege Dr. Wolfgang Ullmann. nicht alles gegenübergesetzt werden. Aber was tun Sie jetzt? Gerade do rt, wo das Grund- gesetz wegen unseres gemeinsamen Bekenntnisses Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu unveräußerlichen Menschenrechten eine Grenze NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die zieht, wo es ein unveräußerliches individuelles Bundesrepublik Deutschland hat es abgelehnt, Aus- Grundrecht auf Asyl festlegt, da hinde rt keine Tran- richter der großen Menschenrechtskonferenz in die- szendenz, keine Chiffre, kein Absolutum daran, diese sem Sommer zu werden. Grenze nicht zu respektieren, das Asylrecht in ein (Ina Albowitz [F.D.P.]: Sie wissen auch, Abschieberecht zu degradieren, ja zu pervertieren. warum, Herr Kollege!) Nichts hat Sie daran gehindert. Ja, Kollege Schäuble hat sich sogar in die Reihe der Amateurtheologen Was uns jetzt passiert ist, war zu erwarten. Die Sache begeben der Menschenrechte holt uns ein, und wir sind in einer Menschenrechtsdebatte in der zugespitztesten Form, (Heiterkeit — Zuruf von der CDU/CSU: Das denn es geht heute um das Menschenrecht der hat Herr Gysi auch schon getan !) Es geht um das Menschenrecht dessen, Flüchtlinge. und gemeint feststellen zu müssen, daß diejenigen, der auf die Solidarität aller Menschen in den verschie- die einen Gottesdienst halten, Gotteslästerung bege- densten Ländern der Erde angewiesen ist. Es geht um hen. Ich wollte zu diesem Gottesdienst gehen, bin das Menschenrecht dessen, der so l ange hilflos ist, wie allerdings mit Gewalt daran gehindert worden. ihm nicht von allen geholfen wird. Die vorliegenden Gesetzentwürfe sind für ihn keine (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ Hilfe. Sie sind kein Beitrag zur Ausgestaltung unseres CSU]: Aber nicht von uns!) deutschen Rechtes im Sinne von Art. 14 der Men- Ich bin befremdet, daß Veranstalter dieses Gottes- schenrechtscharta der UN. Sie sind kein Beitrag zur dienstes immer noch festgenommen sind. Formulierung eines europäischen Asylrechtes; denn nichts steht in ihnen über das Verhältnis des indivi- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Die Rede duellen Asylrechtes zur Flüchtlingsdefinition der haben Sie ihnen geklaut, das merkt man!) Genfer Konvention. Darum sind sie auch kein Beitrag Ich möchte diejenigen, die hier Amateurtheologie zur Anwendung der europäischen Menschenrechts- betreiben, daran erinnern, daß die Tradition, auf die konvention auf unsere ganz neue Situation offener sie sich berufen, nicht danach fragt, wer wann wo in Grenzen und weltweiter Migrationen. welche Kirche gegangen ist, sondern danach, was er Im Gegenteil, diese Gesetze sind ein hochbedenk- einem der Geringsten seiner Brüder oder Schwestern licher Präzedenzfall der Aushöhlung eines Grund- getan hat. Es ist die Tradition dessen, der gesagt hat: rechtes durch Blockade seiner Anwendung. Sie sind Ich war ein Fremdling, und ihr habt mich aufgenom- verfassungswidriges Verfassungsrecht, Vermischung men. von Verfassungsrecht und einfacher Gesetzgebung, ja sie vermischen einfache Gesetzgebung und Ausfüh- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, rungsbestimmungen. bei der SPD und der PDS/Linke Liste) Sie sind vor allem — und das ist mir das Entschei- Deswegen, meine Damen und Herren, wird auf dem dende — kein Beitrag zur Lösung der wirklichen Evangelischen Kirchentag in München darüber zu Probleme unter Bedingungen, wo in den Abschiebe- reden sein, haftanstalten, wie alle Welt weiß, unmenschliche (Ina Albowitz [F.D.P.]: Etwas spät!) Zustände herrschen, wo Selbstmordgefahr und Selbstverstümmelung an der Tagesordnung sind, wo was es denn für Christen bedeutet, daß es in unserem an der ostsächsischen Grenze Chinesen aufgegriffen Land jetzt Gesetze gibt, sogar einen Teil der Verfas- werden und wo im Kreis Zittau unter solchen Bedin- sung, der diesem Grundprinzip christlicher Ethik gungen schierer Willkür natürlich die Kriminalitäts- radikal und diame tral widerspricht. Darüber werden rate um fast 300 % gewachsen ist. wir reden; übrigens in der Zuversicht, daß wir diese Gesetze in Kürze alle neu schreiben müssen. Sie (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Wollen Sie das abschaffen und Kirchensteuer dafür ein werden von denjenigen geschrieben werden, die von setzen, oder wie?) der Sache wirklich etwas verstehen, von Ausländer- beauftragten, von Ausländern selbst, Was in aller Welt, meine Damen und Herren, soll es da helfen, die letzten Barrieren der Rechtsstaatlichkeit (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Und von und der Rechtswegegarantie auch noch zu beseiti- Pastor Ullmann, der die Verfassung abschaf gen? Die Willkür kann nur noch größer werden. fen will!) (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Ihre erste von Vertretern internationaler Menschenrechtsorga- Rede, die Sie geklaut haben, war besser; die nisationen und nicht von den Leuten, die bloß einen war etwas sachlicher!) Parteikompromiß basteln wollen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13557

Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Ull- uns hereinkommen können, die sich auf dieses Recht mann, es gibt noch zwei Wünsche für Fragen. Wollen überhaupt nicht berufen können. Das heißt, diese Sie die noch erfüllen? - grundgesetzliche Norm ist Anlaß für einen massen- haften Mißbrauch unserer Verfassung. Diesen mas- Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- senhaften Mißbrauch unserer Verfassung dürfen wir NEN): Ja. im Interesse der Verfassung nicht länger hinnehmen. Jeder Staat, jede Regierung, jedes Parlament macht Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Herr Kol- sich am Schluß selbst des Verfassungsbruchs schul- lege. dig, wenn es nicht bereit ist, do rt, wo pausenlos Mißbrauch getrieben wird, Einhalt zu gebieten. Des- Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Herr halb müssen wir das Grundgesetz ändern. Ullmann, stimmen Sie mit mir wenigstens darin über- Wir kennen doch die Zahlen. Wir wissen, daß ein, daß die Umstellung der Hilfe von Geld- auf monatlich 40 000 Asylbewerber in unser L and strö- Sachmittel, Naturalien, mit der Bibel überein- men —jedesmal eine Stadt mittlerer Größe — und bei stimmt? uns Bleiberecht haben wollen, Unterkunft suchen. Es braucht gar keine großen mathematischen Kennt- Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das stimmt meines Erachtens überhaupt nicht nisse, um zu wissen und zu erkennen, daß dies mit ihr überein, weil der Übergang von Geld- zu irgendwann zur Katastrophe, zu einer Überfremdung Sachleistungen etwas Degradierendes und Diskrimi- unserer eigenen Bevölkerung führen muß. nierendes hat. (Peter W. Reuschenbach [SPD]: Und Durch rassung auch!) Vizepräsident Helmuth Becker: Eine Zwischenfrage — Dieses Wort habe ich nicht gebraucht. — Ich unseres Kollegen Otto Schily noch. Bitte. wiederhole: zur Überfremdung unserer eigenen Bevölkerung. Otto Schily (SPD): Herr Kollege Ullmann, ich will jetzt nicht den Vorwurf von Ihnen auf mich ziehen, (Peter W. Reuschenbach [SPD]: Auf der glei Amateurtheologe zu sein. Aber glauben Sie nicht, daß chen Linie der Diffamierung!) der Religionsstifter, von dem Sie eben gesprochen — Lieber Herr, seien Sie nicht so aufgeregt und hören haben, dafür plädiert hat, daß wir Barmherzigkeit aus Sie erst einmal zu! Ich weise dies entschieden uns heraus und nicht durch ein einklagbares Recht zurück. üben? (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Ord (Lachen bei der CDU/CSU) nungsruf, Herr Präsident! — Weitere Zurufe des Abg. Peter W. Reuschenbach [SPD]) Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es ist doch einfach eine Frage der Vernunft, zu NEN): Das ist sicherlich richtig, weil Jesus nicht an erkennen, daß dies, wenn dies so weitergeht, wenn unseren Debatten teilgenommen hat. wir keine Änderung herbeiführen, natürlich — — (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie Heiterkeit bei der CDU/CSU) Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Reu- Lieber Herr Schily, daß wir ein einklagbares Indivi- schenbach, ich bitte jetzt wirklich um Ruhe! dualrecht haben, ist eine unter den jetzigen gesell- schaftlichen Bedingungen notwendige Konsequenz Bitte, Herr Kollege Geis. seiner Botschaft. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei Norbert Geis (CDU/CSU): Es ist doch überhaupt der PDS/Linke Liste) nicht zu verkennen, daß es dann, wenn es so weiter- geht — daraus brauchen wir doch überhaupt keine Vizepräsident Helmuth Becker: Nächster Redner ist große Szene zu machen, jeder kann sich das an den jetzt unser Kollege Norbert Geis. fünf Fingern abzählen —, wenn wir nicht den Riegel vorschieben, natürlich zu einer Überfremdung unse- Norbert Geis (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine rer Bevölkerung führen wird. Kein Volk wird eine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU- Überfremdung ohne Konflikt hinnehmen, es kann es Fraktion steht nicht im Verdacht, sie würde bei jeder gar nicht hinnehmen. Warum nicht? Deshalb nicht, Gelegenheit versuchen, wenn es in die politische meine sehr verehrten Damen und Herren, weil jedes Landschaft paßt, das Grundgesetz zu ändern. Volk seine eigene Art zu leben und das Recht darauf (Widerspruch bei der SPD) hat. Das ist ein Naturrecht jedes Volkes. Wir bekommen in der Verfassungskommission sogar (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) den gegenteiligen Vorwurf. Aber in der Frage des Dieses Miteinander-vertraut-Sein gerät — wenn wir Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes haben wir ständig, wo auch immer, fremden Menschen begeg- schon lange die Forderung aufgestellt, daß das Grund- nen — doch in Gefahr; das müssen wir doch erkennen. gesetz geändert werden muß, weil wir diese Normie- Deshalb hat unsere Bevölkerung doch Furcht. rung für eine Fehlkonstruktion halten. Es ist doch klar, warum unsere Bevölkerung Angst (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) hat. Unsere Bevölkerung hat Angst, daß sie eines Sie ist deshalb eine Fehlkonstruktion, weil über das Tages nicht mehr in dem Deutschland lebt, in dem sie Asylrecht, das Grundrecht auf Asyl, das angesichts der gern leben will. Jedes Volk muß aber doch das Recht Verfassungen aller Länder einmalig ist, diejenigen zu haben, in dem Land zu leben, in dem es gern leben 13558 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Norbert Geis will. Deswegen haben wir das Selbstbestimmungs- Norbert Geis (CDU/CSU): Ich lasse keine Zwischen- recht. Was ist denn daran verkehrt? Wie können wir frage zu. unserem Volk daraus einen Vorwurf machen? (Lachen bei der SPD) Es wird uns vorgeworfen, wir seien ausländerfeind- Herr Ullmann, Sie wissen, daß ich Zwischenfragen lich. pausenlos zulasse, in dieser Frage aber nicht. Lassen Sie mich in aller Ruhe meine Ausführungen (Zuruf von der SPD: Haben Sie eigentlich Maastricht zugestimmt?) machen. (Zurufe von der SPD) — Lassen Sie es mich in Ruhe ausführen. — Ich will Herrn Ullmann überhaupt nicht überse- Uns wird Ausländerfeindlichkeit vorgeworfen. Wir hen. haben gerade eine schmerzliche Trennung über 40 Jahre hinter uns. Sie haben vorhin vorgetragen, daß es natürlich eine Christenpflicht ist, (Zuruf von der SPD: Oh Gott, Sie leiden ja!) (Zuruf von der SPD: Das Wort nehmen Sie noch in den Mund?) Man muß uns zubilligen, daß wir nach dem schwieri- gen Prozeß der Einigung erst einmal zu unserer dem Gast Gastrecht zu gewähren und den Fremden eigenen Indentität finden können. Dies mag durchaus aufzunehmen. Ich will nicht verschweigen, daß eine auch dafür ein Motiv in unserer Bevölkerung sein, daß Spannung zwischen dieser Christenpf licht auf der wir natürlich erst einmal zusammenfinden müssen, einen Seite und dem Versuch auf der anderen Seite bevor wir die tägliche Aufgabe der Integration von entsteht, das Asylgrundrecht so zu ändern, daß wir es vielen neuen Bevölkerungsgruppen aus allen Him- handhaben und mit den anderen Völkern gleichge- melsrichtungen auf uns nehmen müssen. stellt werden können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, einige Ich will das gar nicht verschweigen. Aber was sagen, dies alles sei nicht von so großer Bedeutung, wollen wir denn mit der Änderung des Grundgesetzes weil wir doch auf eine multikulturelle Gesellschaft erreichen, nicht nur wir, die CDU/CSU, sondern auch zustreben würden. Jede Kultur kann sich aber nur in der Großteil der SPD? Wir wollen erreichen, daß wir einer Gemeinsamkeit entwickeln. Wo Menschen Stabilität und Frieden im eigenen Land auch in gemeinsam miteinander leben, wo sie sich austau- Zukunft gewährleisten können. Deswegen ändern wir schen und wo sie Miteinander-vertraut-Sein ausbil- doch das Grundgesetz. Wir ändern es doch nicht, um den können, entsteht Kultur. Wenn dies aber elemen- uns gegen Fremde abzuschotten, sondern weil für uns tar gestört wird — nicht durch Minderheiten, sondern Stabilität und Friede in unserem eigenen L and ein durch eine wirklich elementare Überfremdung, die hoher Wert sind, und das ist ebenfalls ein christlicher durch einen ständig neuen und nicht endenden Wert. Zustrom von Asylbewerbern tatsächlich zu befürchten (Beifall bei der CDU/CSU) ist —, dann werden wir überhaupt keine Kultur In dieser Abwägung, meine ich, sollten wir uns nicht entwickeln können, dann kann kein Volk eine Kultur so sehr auf eine Gesinnungsethik verlassen, die in entwickeln. Deswegen ist dieses Gerede von der der Wirklichkeit keinen Boden unter den Füßen multikulturellen Gesellschaft wirklichkeitsfremd. bekommt. Ich glaube also, daß diese Spannung wohl Meine sehr verehrten Damen und Herren, einige da ist; aber ich glaube nicht, daß der, der heute abend sagen, Volk, Staat, eigene Kultur seien Vorstellungen für eine Änderung des Grundgesetzes stimmt, sich aus dem letzten Jahrhundert. Man marschiere auf gegen elementare christliche Grundregeln verhält. eine große Weltordnung zu, mit einer gemeinsamen (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig! — großen Kultur, womöglich noch mit einer großen Zuruf von der SPD: Scheinheilig!) Weltregierung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist irreal. Die Menschen werden sich Noch ein letztes: Wir haben natürlich die Aufgabe, immer voneinander unterscheiden. Sie werden in die Flüchtlingsströme und die Ursache der Flücht- ihrer Unterscheidung immer versuchen, dennoch in lingsströme an ihren Quellen zu bekämpfen. Aber wir Gemeinschaften miteinander zu leben und in Volks- können dies nicht — darauf weise ich ebenfalls hin — gemeinschaften zueinander zu finden, ihre Identität als Deutsche allein tun, sondern wir können es nur im zu finden sowie ihr Selbstbestimmungsrecht geltend Zusammenhang mit allen europäischen Ländern oder zu machen. den westlichen Industriestaaten tun. Die Entwick- Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ein lungshilfe ist eine zentrale Aufgabe unserer Politik, Ausfluß und eine Forderung des Selbstbestimmungs- aber nicht nur unserer Politik, sondern der Politik der rechtes, daß wir uns darüber Gedanken machen, wie ganzen freien Welt. Es ist richtig: Die Menschen wir Art. 16 Grundgesetz so aufbauen und so konstru- kommen zu uns, weil sie nicht das tägliche Brot zum ieren, daß nicht eine Überfremdung unserer eigenen Leben haben. Wir müssen etwas dafür tun, daß wir Bevölkerung tatsächlich Platz greift. diesen Menschen die Not nehmen. Auch dies ist nicht allein unsere Aufgabe, sondern Aufgabe der gesam- ten freien Welt. Wir müssen natürlich auch etwas unternehmen, um Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Geis, die Unterdrückung in den verschiedenen Ländern zu gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten beseitigen, aber doch niemals durch eine kriegerische Ullmann? Intervention, wie das gesagt wird, sondern durch den Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13559

Norbert Gets Versuch — vielleicht ist das eine vornehmliche Auf- zeugt, daß es noch wichtiger ist zu verhindern, daß ein gabe unserer Außenpolitik —, dabei mitzuhelfen, daß Flüchtling, der bei uns Zuflucht vor politischer Verfol- gung sucht, weder hier noch anderswo Schutz fin- in diesen Ländern Verfassungen entstehen, in -denen das Recht des einzelnen auf Leben und auf Würde det. gewahrt bleibt. Das ist eine vornehmliche Aufgabe Daß diejenigen, die ihre Prioritäten beim Flücht- unserer Politik. Der verschreiben wir uns doch schon lingsproblem so setzen, sich heute in der Minderheit seit 40 Jahren. befinden, hat zahlreiche Gründe. Hierzu gehören eine (Beifall bei der CDU/CSU) von vielen Bürgern der Bundesrepublik als bedrohlich Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir empfundene wirtschaftliche Entwicklung, eine wach- müssen uns von dem Gedanken freimachen, daß wir sende Arbeitslosigkeit und der von der Bundesregie- die Not der Welt bei uns lösen können. rung zu verantwortende Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Vor allem aber ist es die öffentliche (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Diskussion, die bewußt und aus politischen Gründen Wir können die Not der Welt nicht hier in Deutschland — und mit verhängnisvollen Folgen — auf eine lösen. Aber Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG verlangt dies, Einschränkung des Asylrechts konzentriert worden strenggenommen, von uns. Dies war eine großartige, ist. noble Geste der Väter und Mütter unserer Verfassung; Parallel dazu sind lange Zeit verfahrenstechnische wir wollen es nicht verschweigen. Es war ein großar- Verbesserungen und Vereinfachungen unzureichend tiges Versprechen, das diese Männer und Frauen umgesetzt, ja teilweise fahrlässig oder sogar bewußt damals abgegeben haben. Aber dieses Versprechen blockiert worden. können wir in dieser Form nicht einhalten, kein Volk auf der Welt kann es einhalten. Deswegen müssen wir (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ eine praktikable Lösung finden, und wir sind auf dem DIE GRÜNEN — Erwin Marschewski [CDU/ besten Weg dazu. CSU]: Nennen Sie ein Beispiel, Herr Kol Allen, die dabei mitgeholfen haben, vor allen Din- lege!) gen auch den Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Der öffentliche Konsens über die Beibehaltung eines die vielleicht einen weiteren Weg als wir gegangen liberalen Asylrechts mußte vor diesem Hintergrund sind, danke ich, daß wir heute hoffentlich zu einer Schaden nehmen. Änderung dieses Mißstandes kommen; denn es ist ein Wenn heute hier eine Minderheit der zur Debatte Mißstand und nichts anderes. stehenden Einschränkung des Asylrechts nicht Danke schön. zustimmen kann, dann gibt es dafür schwerwiegende (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge rechtliche und politische Gründe. Die vorgeschlagene ordneten der F.D.P.) Regelung läuft darauf hinaus, daß künftig in Deutsch- land ein formell aufrechterhaltenes Grundrecht auf Asyl nur noch in besonders gelagerten Fällen wahr- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und genommen werden kann. Herren, der nächste Redner ist unser Kollege Gernot sicheren Drittstaaten Erler. Da alle Nachbarländer zu erklärt werden, gilt jemand, der auf dem Landweg nach Deutschland kommt, per definitionem nicht Gernot Erler (SPD): Herr Präsident! Meine Damen mehr als politisch Verfolgter im Sinne des Grundge- und Herren! Ich möchte meinen Beitrag mit einem setzes. Wer dagegen mit einem gültigen Visum ein- Dank beginnen. Es gibt in Deutschland viele Tausend reist oder sich für eine ausreichende Zeit illegal Menschen, die beruflich in kommunalen Einrichtun- verbirgt — bei einer Einreise über Polen z. B. für sechs gen oder Hilfsorganisationen wie dem Deutschen Monate —, erhält eine Ch ance zum Zugang zum Roten Kreuz, der AWO, der Caritas und anderen deutschen Asylverfahren. Einrichtungen oder ehrenamtlich in Asylhelferkreisen Schon diese Sortierung läßt erkennen: Tatsächlich oder Bürgerinitiativen als engagierte Anwälte oder als politisch Verfolgte, die selten über das Privileg eines einzelne Bürger Flüchtlingen, die in unser Land Visums verfügen oder zu illegalen Aktionen bereit kommen, helfen. Sie haben einen schweren Beruf. Sie sind, werden es in Zukunft besonders schwer haben, opfern ihre Freizeit. Sie helfen uneigennützig. Sie in das deutsche Asylverfahren auch nur einen Zugang lassen sich auf das Einzelschicksal ein. All diese zu erhalten. Frauen und Männer, die das tun, sind Botschafter eines nicht fremdenfeindlichen Deutschland. Ihnen (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich D ank und DIE GRÜNEN) Anerkennung aussprechen. Bereits diese Folge des Asylkompromisses ist schwer (Beifall bei der SPD) erträglich. Ich tue dies im Namen einer Minderheit in diesem Schwerer aber noch wiegt, daß Flüchtlinge, die über

Haus von knapp 100 Abgeordneten der SPD - Bundes- einen Nachbarstaat nach Deutschland kommen, tagsfraktion und einigen anderen Kolleginnen und keine Chance haben sollen, im Einzelfall eine Gefähr- Kollegen, die für sich ebenso wie die eben angespro- dung vorzutragen, die sich aus ihrem Rückschub in chenen Helfer eine klare Priorität gesetzt haben. Wir das „sichere Drittland" ergibt, und daß nicht einmal sind entschlossen, die schweren Lasten zu mindern, Gerichte das Recht haben sollen, die Abschiebung die für unsere Gesellschaft durch massenhafte dieser Flüchtlinge aufzuhalten. Hier entsteht nach- Zuwanderung entstehen. Wir sind aber davon über weislich die Gefahr, daß tatsächlich politisch Ver- 13560 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Gernot Erler folgte letztlich ihren Verfolgern ausgeliefert wer- der SPD werden die heutigen Beschlüsse das Asyl- den. recht in Deutschland partiell abschaffen, und dazu Diese Gefahr läßt sich an den mit Polen -vereinbar- werden wir unsere Hand nicht reichen. ten Regelungen belegen. In der Polnischen Republik (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie werden große und anerkennenswerte Anstrengungen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) unternommen, um die Vorschriften der Genfer Flücht- lingskonvention und der Europäischen Menschen- Eine weitere ernsthafte Sorge betrifft die politi- rechtskonvention einzuhalten. Aber unser Nachbar- schen Folgen der deutschen Asylrechtsänderung land ist bisher auf die Bearbeitung einer größeren Zahl durch die mit ihnen verbundenen bilateralen Abkom- von Asylanträgen in keiner Weise vorbereitet. men, von denen bisher nur das mit der Republik Polen auf dem Tisch liegt. Es geht dabei um das Ausmaß und Das polnische „Amt für Migration und Flüchtlings- die Geschwindigkeit, mit der bisherige deutsche wesen" beschäftigt bisher 36 Mitarbeiter, davon vier Lasten auf unsere östlichen Nachbarn verlagert wer- Entscheider. den sollen. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das müs Zwar ist vorgesehen, daß Bonn mit 120 Millionen sen wir aber nicht verantworten; das müssen DM Warschau unterstützt — eine interessante Zahl, die Polen schon regeln!) wenn man sie zu den 35 Milliarden DM in Beziehung Bisher mußte man nie mehr als 1 500 Flüchtlinge setzt, die bei uns angeblich die Jahreskosten zur unterbringen. Nach dem Regierungsabkommen vom Bewältigung der Zuwanderung ausmachen 7. Mai 1993 kann die Bundesrepublik noch in diesem (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Machen Jahr bis zu 10 000 Personen nach Polen zurückschie- Sie eigentlich deutsche Politik oder polni ben, und ab dem nächsten Jahr gibt es dann keine sche? Sie sind im Deutschen Bundestag! — Obergrenze. Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Nicht Es ist völlig klar, daß ein Land, das mitten in einer angeblich!) äußerst komplizierten gesellschaftlichen Transforma- — ja, dann geben Sie es ja zu —, aber auch eine tion steckt, das unter einer Zahl von 2,5 Millionen großzügigere Unterstützung würde nichts daran Arbeitslosen und an vier Millionen fehlenden Woh- ändern, daß Polen und Tschechen auf Sicht keine nungen leidet, gar nicht anders kann, als seinerseits Alternative dazu haben, als ihre Ost- und Südostgren- den größten Teil der Flüchtlinge weiterzuschieben. zen undurchlässiger zu machen. Entsprechende Rücknahmeverträge hat Warschau bereits mit der Tschechischen Republik und der Der polnische Europaminister Bielecki hat resignie- Slowakischen Republik sowie mit der Ukraine ausge- rend festgestellt, wenn denn der Preis für eine offene handelt; Gespräche laufen mit Ungarn, Bulgarien und Westgrenze eine geschlossene Ostgrenze sei, dann Rumänien. Warum sollte Polen auch nicht dem deut- müsse man ihn eben zahlen. schen Beispiel folgen und seine Lasten durch eine Schon hat man die Einladungsvorschriften für Besu- „Sichere-Drittstaaten-Konzeption" mindern? cher aus dem Osten verschärft. Mit deutscher Hilfe So entsteht aber ein Kettenschub von Flüchtlingen, wird man die Sicherung der Staatsgrenzen Polens bei dem ein tatsächlich politisch Verfolgter unverse- technisch verbessern. Auf diese Weise entsteht hens in den Händen seiner Verfolger landen kann; zwangsläufig eine neue Ostgrenze Europas. Über sie denn immer wieder gibt es — auch der Kollege entscheidet nicht etwa die Gemeinschaft der europäi- Schmude hat darauf hingewiesen — besondere Bezie- schen Länder, sondern das deutsche Asylrecht. hungen eines solchen Transitlandes zum Herkunfts- Erste Opfer sind mehrere osteuropäische Staaten, land oder Besonderheiten der örtlichen Asylpraxis, in denen politische Besucher aus Bonn gerne über die dem Flüchtling dann zum Verhängnis werden europäische Perspektiven reden, so die baltischen können. Staaten, Belarus, die Ukraine, Rußland, aber auch Beispielsweise erkennt Ungarn bis heute im Zuge Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Auf dem Gebiet einer anerkannten Ausnahmeregel keine Flüchtlinge der ehemaligen Tschechoslowakei wird diese neue aus außereuropäischen Ländern an. Ein verfolgter Ostgrenze Europas sogar mitten zwischen Tschechen Iraker zum Beispiel, dessen Fluchtweg über Budapest und Slowaken verlaufen. und Prag nach Deutschland ging, könnte ohne weite- Diese Wiederaufrichtung von Zäunen hinter dem res zum Opfer des Systems sicherer Drittstaaten wer- Glacis der zentraleuropäischen Wohlstandsregion, den, ohne daß eines der beteiligten Länder gegen vor der Festung Europa, von einigen Kommentatoren seine internationalen Verpflichtungen verstieße. bereits mit einer Renaissance des Eisernen Vorhangs Gegen solche Gefahren hilft nur eine Handhabung verglichen, wird aber vor allen Dingen katastrophale der Drittstaatenregelung, bei der ein Flüchtling solche ökonomische Folgen für ganz Osteuropa haben. besonderen Gefährdungsumstände vortragen kann Wir als Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft und eine richterliche Überprüfung der Abschiebung haben in Westeuropa die Grenzen aufgemacht, weil ermöglicht wird. wir die wirtschaftliche Bedeutung des freien Verkehrs Solange genau diese Möglichkeit in dem vorliegen- von Menschen, Waren, Kapital und Dienstleistungen den Gesetzespaket nicht enthalten ist, bleibt der Satz erkannt haben. Unseren osteuropäischen Nachbarn „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" ein nicht handeln wir aber Vereinbarungen ab, die sie zur eingehaltenes Versprechen. Ohne nicht wenigstens Betonierung eines gestaffelten Grenzsystems gegen die Annahme des vorliegenden Änderungsantrages Wanderungen aus Osten und Süden zwingt. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13561

Gernot Erler Deswegen hat die polnische Seite immer um Was ist denn der eigentliche Schutzzweck des Gewährung von Zeit gebeten, wenn es um ihre Hilfe Asylartikels im Grundgesetz? Doch wohl nicht, unge- bei dem deutschen Flüchtlingsproblem ging.- Die hinderten Zugang für alle Ausländer zu erreichen. deutschen Unterhändler waren stark genug, sich über diese Bitten hinwegzusetzen. Ab 1. Juli soll schon der (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ massenweise Rückschub über die polnischen Gren- CSU]: Sehr richtig!) zen beginnen. Die Bundesregierung versichert, daß Schutzzweck ist auch nicht, jedem, der zu uns kom- das gleiche Ziel mit Prag bald erreicht wird. men will, ein auf Dauer ausgerichtetes und rechtlich Von einer Rücksichtnahme auf die Auswirkungen abgesichertes Aufenthalts- oder Bleiberecht zu dieser deutschen Entlastung, die zu massiv und ruck- gewähren. Schutzzweck ist, und zwar ausschließlich, artig kommt, auf die Zukunftschancen des Wi rt der Schutz vor politischer Verfolgung. kann-schaftslebens bei unseren Nachbarn im Osten keine Rede sein. Die Langzeitkosten dieser Rück- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sichtslosigkeit können erheblich sein, für Deutschland und für ganz Europa. Wenn aber ein Bewerber aus einem anderen siche- Ich komme zusammenfassend zum Schluß. Das sind ren Drittland bei uns um Asyl nachsucht, dann hat er bereits woanders Schutz vor Verfolgung gefunden. die beiden Hauptgründe, daß heute über 100 Abge- ordnete den vorgeschlagenen Asylrechtsänderungen Meine Damen und Herren, wer aus anderen Gründen nicht zustimmen können: Sie entziehen tatsächlich als politischer Verfolgung zu uns kommen will, hat im verfolgten politischen Flüchtlingen in einer nicht Asylverfahren nichts zu suchen. abschätzbaren Zahl von Einzelfällen den Schutz, und Bei der gesamten, notwendigerweise kontroversen sie behindern den Chancenausgleich zwischen dem Diskussion ist allerdings besorgniserregend, daß wir Westen und dem Osten dieses Kontinents. es in zunehmendem Maße mit einer Polarisierung der (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ politischen Auseinandersetzung zu tun haben. Auch CSU]: Eine Chance vertan!) bei der heutigen Änderung des Asylrechts geht es Wir werden hier heute in der Minderheit bleiben. eben nicht darum, was der Staat vorrangig zu gewähr- Aber wir gehen nicht ohne Hoffnung aus dieser leisten hat — Freiheit oder Sicherheit —; Freiheit und Debatte. Wir setzen darauf, daß dieses Haus die Kraft Sicherheit sind eng miteinander verknüpft. haben wird, Korrekturen an dem jetzt eingeschlage- Unsere demokratische Grundordnung ist auf Aus- nen Weg zu beschließen, wenn sich zeigt, daß wir die gleich angelegt. Deshalb kann auch bei der Änderung humanitären Risiken und die politischen Schadens- des Asylrechts nicht in der Polarisierung — hier wirkungen des neuen deutschen Asylrechts richtig Freiheit, da Sicherheit — die Lösung liegen. Beides erkannt und beschrieben haben. muß zugleich gesichert werden. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/ CDU/CSU) DIE GRÜNEN) Die überlegene Lebenskraft unseres demokrati- schen Systems gegenüber totalitären Systemen liegt, Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und wie sagte, in seiner Ausgleichs- und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Manfred Erneuerungsfähigkeit. Wir dürfen und wir werden Richter das Wort. deswegen nicht hinnehmen, daß sich in unserer Gesellschaft unkontrollierbare Zentrifugalkräfte frei- setzen. Das ist unser eigentlicher demokratischer Manfred Richter (Bremerhaven) (F.D.P.): Herr Prä- Auftrag in einem liberalen Rechtsstaat. sident! Meine Damen und Herren! Das Ziel, das wir mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzespaket (Vorsitz: Vizepräsident H ans Klein) verfolgen, läßt sich mit zwei Punkten beschreiben. Erstens. Die Lasten in Europa durch Zuwanderer, die Meine Damen und Herren, mit der heutigen Ände sich zu Unrecht auf politisches Asyl berufen, sollen rung des Asylrechts bleibt das Recht auf politisches gleichmäßiger verteilt werden. Es kann nicht dabei Asyl erhalten. Es geht aber kein Weg daran vorbei, bleiben, daß Deutschland die übergroße Zahl an daß wir es auf den engen Anwendungsbereich der Asylbewerbern aufnimmt. Zweitens. Gleichzeitig soll wirklich politisch Verfolgten beschränken und vor gesichert bleiben, daß diejenigen, die tatsächlich allem praktizierbar machen müssen. Es geht nicht, politisch verfolgt werden, auch weiterhin in Deutsch- wie hier mehrfach der Eindruck erweckt wurde, um land Asyl finden können. Machen wir uns nichts vor: Abschottung. Nur wenn wir das erste Problem lösen, wird das zweite Ziel erreichbar sein. (Beifall des Abg. Jochen Feilcke [CDU/ CSU]) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) Es geht nicht darum, die Bundesrepublik Deutschl and Besonders dort, wo die Belastungen übergroß wer- mit einer Mauer zu umgeben. Es geht ausschließlich den, droht die generelle Akzeptanz für ein vernünfti- um ein geordnetes Verfahren, mit dem eine gerech- ges Miteinander von Deutschen und Ausländern ver- tere Lastenverteilung der Wanderungsbewegungen lorenzugehen. Jeder frage einmal insbesondere in nach Europa und in Europa erreicht werden soll. Wir den Kommunen bei den Verantwortlichen nach. denken dabei auch an diejenigen, die mit falschen 13562 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Manfred Richter (Bremerhaven) Versprechungen zu uns gelockt und geschleppt wer- wegen ihres Geschlechts eine Verfolgung widerfährt, den. das Menschenrecht auf Asyl? (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU- Die Einführung des Art. 16a des Grundgesetzes ist sowie bei der Abg. Renate Schmidt [Nürn keine Ergänzung des Asylrechts, sondern seine end- berg] [SPD]) gültige Abschaffung. Es ist bezeichnend für die Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht das Para- gegenwärtige politische Situation in der Bundesrepu- dies auf Erden, in dem eine wundersame Mehrung des blik, daß CDU/CSU und Teile der SPD darum wettei- Wohlstands stattfindet. Wir können ganz gewiß nicht fern, wer das effektivere Konzept zur Eindämmung alle Probleme der Welt allein lösen. Aber gerade der Asylantenströme, zur möglichst kurzfristigen und deshalb müssen wir eine europäische Lösung anstre- konzentrierten Unterbringung der Asylbewerberin- ben, und für diese europäische Lösung schaffen wir nen und Asylbewerber und zu ihrer schnellstmögli- heute die Voraussetzungen. chen Abschiebung besitzt? War noch vor einem Jahr der Art Vielen Dank. . 16 ein Stück sozialdemokratischer Identität, so wird jetzt behauptet, ein weiterer Rechtsruck der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Gesellschaft könne nur dann aufgehalten werden, sowie bei Abgeordneten der SPD) wenn die Forderungen der Rechtsextremisten nach Einschränkung bzw. Abschaffung des Asylrechts vor- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Petra Bläss, auseilend zu den eigenen gemacht werden. Sie haben das Wort. Für problematisch halte ich auch die Idee eines Einwanderungsgesetzes, mit dem dann rechtsstaat- Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! lich zwischen erwünschten — also „guten" — und Meine Damen und Herren! Mehr als 10 Millionen unerwünschten — also „schlechten" — Ausländerin- Frauen sind in dieser Stunde weltweit auf der Flucht. nen und Ausländern je nach wirtschaftlicher Notwen- Sie fliehen vor dem Verhungern, vor Krieg, Folter und digkeit unterschieden werden kann. Solche Ansätze Mord, vor Gewalt in der eigenen Familie oder der des zur Einteilung von Flüchtlingen nach ökonomischen Mannes. Die meisten von ihnen fliehen mit ihren und politischen Kriterien ist im Kern nicht weniger Kindern, für die sie allein sorgen und verantwortlich rassistisch als die offene Propagierung der Festung sind. Die Umstände ihrer Flucht sind oft grausam. Die Europa. Auch hier sind die Opfer schutzlose Men- wenigsten von ihnen gelangen nach Westeuropa. Die schen, insbesondere Frauen. allermeisten leben unter menschenunwürdigen Be- Vor allem meine Abgeordneten-Kolleginnen dingungen in Flüchtlingslagern in den benachbarten möchte ich bitten: Sehen Sie der weltweiten Verfol- armen Staaten des Trikont. Die, die asylsuchend in die gung von Frauen nicht tatenlos zu. Machen sie nicht reichen Länder der sogenannten Ersten Welt gelan- gemeinsame Sache mit den Männergesellschaften, in gen, werden in Ermangelung einer nachweisbaren denen Würde und Leben von Frauen nichts gelten. politischen Verfolgung abgewiesen. Sorgen Sie durch Ihr heutiges Nein zur Grundgesetz- In der von den Regierenden sorgfältig geplanten änderung auch dafür, daß verfolgte Frauen in der und hektisch inszenierten Diskussion über die soge- Bundesrepublik künftig Aufnahme finden. nannte Asylantenschwemme, die drohende „ Durch- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. rassung " oder das „überfüllte Boot" ist die Tatsache, (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei daß vor allem Frauen von einer Grundgesetzänderung Abgeordneten der SPD) und den Asylbegleitgesetzen be troffen sind, bisher unter den Tisch gefallen. Über drei Viertel aller Flüchtlinge sind Frauen. In wie vielen der in Listen Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Dr. Alfred erfaßten sogenannten sicheren Drittstaaten und der Dregger, ich erteile Ihnen das Wort. Nichtverfolgerstaaten werden sie wegen ihres Ge- schlechts diskriminiert oder verfolgt? Spielte dieses Kriterium bei der Festlegung dieser Länder überhaupt Dr. Alfred Dregger (CDU/CSU): Herr Präsident! eine Rolle? Wohl kaum. Dieses Problem wird in Meine Damen und Herren! Worum geht es bei der unserer Männergesellschaft wohlweislich negiert. Entscheidung, die wir heute abend zu treffen haben? Nach meinem Dafürhalten geht es darum, einen Ich frage deshalb Sie, die mit Listen von Verfolger- schweren Fehler und ein großes Versagen in der und Nichtverfolgerstaaten Einwanderungsquoten Vergangenheit zu korrigieren. Voll wiedergutzuma- und mehr oder weniger rechtsstaatlichen Anhörungs- chen ist es ohnehin nicht. Ich bin der Meinung, es ist verfahren ihr schlechtes Gewissen wegen der ein schwerer Fehler und ein schlimmes Versagen Abschaffung des Asylrechts zu verdrängen suchen: gewesen, daß es dem Deutschen Bundestag in andert- Würden Sie einer von marodierendem Militär verge- halb Jahrzehnten nicht gelungen ist, ein vernünftiges waltigten Peruanerin raten, auf die Beseitigung der Asylrecht zu beschließen, das für unser Volk akzepta- Fluchtursache Krieg in einer sehr fernen Zukunft zu bel ist. warten? Würden Sie einer im Nichtverfolgerstaat Mexiko lesbisch lebenden Frau, der wegen ihrer (Beifall bei der CDU/CSU) sexuellen Orientierung eine Haftstrafe oder die Ein- Akzeptabel ist es, wenn es die tatsächlich politisch weisung in eine psychiatrische Klinik droht, empfeh- Verfolgten schützt — bei uns oder anderswo. Es ist ja len, sie solle darauf vertrauen, daß irgendwann einmal nicht so — diesen Eindruck kann man manchmal in alle Lebensformen gleichberechtigt vor Diskriminie- den Debatten bekommen —, daß die Bundesrepublik rung oder Verfolgung geschützt werden? Mit wel- Deutschland der einzige Rechtsstaat wäre, der Asyl chem Recht verwehren Sie Frauen, denen allein gewähren könnte oder müßte. Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13563

Dr. Alfred Dregger Ferner: Das Asylrecht darf unseren Bestrebungen unsrige — ist zuerst für seine eigenen Bürger da und und Hilfsmaßnahmen für Osteuropa und die Dritte erst dann für den Rest der Welt. Welt nicht entgegenwirken, sondern sollte sie eher (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der fördern. Ich werde zum Schluß meiner Rede noch CDU/CSU: So ist es!) darauf eingehen. Viele unserer Bürgerinnen und Bürger zweifeln inzwi- Schließlich: Das neue Asylrecht sollte den jetzigen schen daran, daß wir in Bonn diese bare Selbstver- Massenmißbrauch des deutschen Asylrechts, wenn es ständlichkeit beherzigen und danach handeln. Das ist ihn schon nicht beendet, doch wesentlich eindäm- schlimm. Unsere Mitbürger fragen — teilweise mit men. Anzeichen tiefer Resignation und sti ller Verzweif- (Beifall bei der CDU/CSU) lung —, ob denn die hochmögenden Politiker in Land Ich habe den Eindruck, daß mit dem Asylkompro- und Bund das alles nicht wissen, was geschieht, die miß, den die Fraktions- und Parteiführungen uns Unglaublichkeiten und Provokationen, von denen vorgelegt haben, diese Ziele erreichbar sind. Deshalb Polizisten und Mitarbeiter von Asylbehörden und So- möchte ich Sie alle bitten, dem zuzustimmen. Diese zialämtern in ihrem Bekanntenkreis erzählen. Bitte richte ich insbesondere an die Kolleginnen und Die Einzelinformationen führen zu dem weitver- Kollegen der SPD, die ja schon zu verantworten breiteten Gefühl, Fremde, die zu über 90 % das Wo rt haben, daß diese Neuregelung erst heute verabschie- Asyl als täuschenden Vorwand nutzen, um nach det werden kann, weil sie sich allzu lange dieser Deutschland zu kommen, würden hier besser behan- Aufgabe entzogen haben. delt als deutsche Staatsbürger. Auch dieses Gefühl ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — schlimm. Wir müssen dem energisch entgegenwir- Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wie lange sind Sie ken. eigentlich schon an der Regierung?) Hätte der Deutsche Bundestag den Massenmiß- Meine Damen und Herren, in einem Augenblick, in brauch des Asylrechts rechtzeitig beendet, dann wäre dem der Konsens gefragt ist, sage ich das ungern, aber dieses Gefühl gar nicht erst entstanden. Wenn die ich spreche dies aus, weil unsere Bürger und Bürge- große Mehrheit der Asylbewerber tatsächlich aus rinnen draußen im Lande gar nicht mehr bereit sind, politisch Verfolgten bestünde, dann würde ihre Not die Unterschiede zwischen den verschiedenen Frak- spürbarer sein. Dann würden sich einige von ihnen tionen des Deutschen Bundestages wahrzunehmen. wahrscheinlich nicht so provozierend verhalten, wie es zur Zeit der Fall ist. Darm würde so gut wie kein (Widerspruch bei der SPD) Mitbürger — davon bin ich überzeugt — den Asylbe- Das ist deshalb schlimm, weil dies zu Vertrauens- werbern mit Abneigung begegnen, sondern im verlust führt, zu Resignation, zur Abwendung von der Gegenteil mit Mitgefühl und Achtung. Politik, Meine Damen und Herren, ich erinnere an die Zeit (Freimut Duve [SPD]: Machen Sie mal Ihr — Sie werden sich auch erinnern —, als die ersten Profil klar!) Vietnamflüchtlinge von den deutschen Ländern auf- genommen wurden. Ihnen ist mit tiefem Mitgefühl womit die Radikalen eine Chance erhalten, die sie begegnet worden, weil ihre Not offensichtlich war. sonst nicht haben würden. Denn sie waren Not und Tod entronnen. Die Herausforderung ist also groß. Wenn Koalition Aber heute, wenn Jahr für Jahr Hunderttausende und Opposition — das Erfordernis der Zweidrittel- Asylbewerber in unser Land kommen, ohne politi- mehrheit zwingt uns zusammen — nicht umgehend scher Gefahr unterworfen zu sein Abhilfe schaffen, dann wird das Asylproblem zu einer tiefen Entfremdung und zu einer Vertrauenskrise (Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS/Linke Liste]: zwischen unserem Volk und seinen demokratischen Doch in Not!) Parteien führen. und im allgemeinen in einer guten Verfassung, dann Meine Damen und Herren, ich habe in den letzten ist das etwas völlig anderes und führt auch zu völlig Wochen diese Vertrauenskrise zu analysieren ver- anderen Reaktionen, als es damals bei den Vietnam- sucht. Ich habe in meinem Wahlkreis mit vielen flüchtlingen der Fall war. Bürgerinnen und Bürgern und insbesondere auch mit (Beifall bei der CDU/CSU) Bürgermeistern gesprochen. Was ich gehört habe, mag nicht in jedem Fall einer Nachprüfung standhal- Meine Damen und Herren, auch andere Völker ten, aber — ich konnte selbst nicht alles überprüfen — würden nicht ertragen, was zur Zeit dem deutschen was unsere Bürger und Wähler denken, ist in jedem Volk zugemutet wird. Falle wichtig und wert, hier vor dem Forum der Nation (Zuruf von der SPD: Vor allem, was Sie uns erörtert zu werden. zumuten!) Mein Eindruck ist, daß sich das Versagen in der Die Asylbewerberzahlen bei uns steigen wie eine Asylpolitik auf das politische Bewußtsein unserer Rakete in den Himmel. 1992 waren es 438 191. Das ist Mitbürger verheerend ausgewirkt hat. die Einwohnerzahl von vier Großstädten. In diesem Jahr werden es voraussichtlich 30 % mehr sein. Das (Beifall bei der CDU/CSU) veranlaßt mich zu der Zwischenfrage: Wo sollen sie Um die Dinge vor der deutschen Öffentlichkeit eigentlich bleiben? Deutschland kann doch nicht zum zurechtzurücken, will ich gleich zu Beginn sagen: Jedermannsland werden. Während bei uns die Asyl- Jeder Staat — auch ein so weltoffener Staat wie der bewerberzahlen permanent steigen, werden sie in 13564 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Alfred Dregger den anderen europäischen Ländern zurückgeführt: in nommen haben als alle anderen zusammengenom- Großbritannien z. B. von nur 44 000 in 1991 auf 21 000 men. in 1992. Ich frage mich, was sich die Blockierer- einer Für viele Mitbürger wird unter diesen Umständen Neuregelung eigentlich denken, um ihr Verhalten der Slogan der SPD, sie sei die Schutzmacht der rechtfertigen zu können. kleinen Leute, unglaubwürdig, ja absurd. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Beifall bei der CDU/CSU) ordneten der F.D.P.) Diese Mitbürger wären schon zufrieden — das gilt Was wir Abgeordneten in abstrakten Zahlen zur insbesondere für solche mit geringem Einkommen, Kenntnis nehmen, erleben viele unserer Mitbürger die die Asylbewerber natürlich auch als Konkurrenten hautnah. Dabei mag hin und wieder der Neid eine um eine Wohnung und später um einen Arbeitsplatz Rolle spielen. Das beginnt bei der Krankenfürsorge: empfinden —, wenn sie von der SPD wenigstens eine Für Asylbewerber ist sie nach den Regeln des Sozial- ähnliche Aufgeschlossenheit erwarten könnten, wie hilferechts absolut kostenlos. Es geht weiter über die diese sie allen anderen Gruppen entgegenbringt. Wohnungsunterbringung, an der manche deutschen Vermieter auf Kosten der Gemeinden — mit Verlaub Meine Damen und Herren, auch der hohe Finanz- — ein Schweinegeld verdienen. aufwand für ständig steigende Asylbewerberzahlen erweckt Anstoß. In einer Zeit großer Staatsverschul- (Zuruf von der SPD: Deutsche Vermieter! dung erscheint es vielen unserer Mitbürger als nicht Keine Ausländer!) vertretbar, die Staatsausgaben zu erhöhen, nur um Das setzt sich in der Kindergartenbelegung fort: eine in der Welt einmalige, inzwischen von den Asylsuchende Frauen mit viel Zeit bringen ihre Kinder meisten als verfehlt erkannte Rechtskonstruktion wie zu Lasten von berufstätigen deutschen Müttern unter. das deutsche Asylrecht aufrechtzuerhalten. Man mag Es endet bei der Kriminalität. Gerade letzteres zeitigt das unterschiedlich bewerten. Unbes treitbar ist natürlich Reaktionen. jedoch, daß wir für die Finanzierung des Massenmiß- Daß sich manche Asylbewerber bei uns unange- brauchs unseres Asylrechts mehr Geld ausgeben als paßt, anmaßend, in Einzelfällen auch kriminell ver- für die gesamte öffentliche Entwicklungshilfe. Meine halten, steht im Gegegensatz zu allem, was der Damen und Herren, das ist das Gegenteil von Ver- Durchschnittsdeutsche über das Verhalten in einem nunft und Humanität. Gastland gelernt hat und daher glaubt erwarten zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge können. Daß auch mehrfache Straftaten und damit ein ordneten der F.D.P.) eklatanter Verstoß gegen das von einem Gast zu erwartende Verhalten häufig nicht zu sofortiger Aus- Wir helfen damit weder den Armen in der Dritten weisung führen, ist für viele unserer Mitbürger unbe- Welt noch ihren Ländern. Im Gegenteil, wir schaden greiflich. ihnen massiv, indem wir ihnen die aktivsten Kräfte entziehen. Die Asylbewerber, die zu uns kommen, Ein Zweites kommt hinzu. Unsere Mitbürger sind könnten viel für den Aufbau ihrer Länder tun. Sie sind empört, wenn sie von manchen Politikern und Medien im besten Alter. Sie gehören bestimmt nicht zu den der Ausländerfeindlichkeit verdächtigt werden, wäh- Ärmsten, sonst hätten sie die Reise und irgendwelche rend sie doch lediglich versuchen, sich aus ihren Gebühren von Schlepperbanden nicht bezahlen kön- handgreiflichen Erfahrungen ein Urteil zu bilden. Das nen. Sie sind nach allem, was wir wissen, eher besser verstört und verletzt die Menschen. Manchmal ent- ausgebildet als der Durchschnitt der Bevölkerung in steht bei ihnen sogar der Verdacht, daß das undiffe- ihrer Heimat. renziert ausgesprochene Wort „Ausländerfeindlich- keit" von der Politik als Kampfbegriff zur Ruhigstel- (Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS/Linke Liste]: Das lung des eigenen Volkes verwendet wird. Ich kann gilt auch für die Aussiedler!) nur warnen, meine Damen und Herren. Es wäre Diese Leute locken wir nun, wenngleich nicht besser, wenn wir zugeben würden: Nicht das deutsche vorsätzlich, durch unser Asylrecht zu uns, wo sie hohe Volk hat in der Asylfrage versagt, sondern die deut- Kosten verursachen und ihre Zeit völlig unproduktiv sche Politik hat in der Asylfrage versagt, verschwenden. Ich wiederhole: Das ist das Gegenteil (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge von Humanität und Vernunft. Es ist ideologisch moti- ordneten der F.D.P.) vierter Unsinn, weil sie nicht in der Lage war, mit der notwendigen (Beifall bei der CDU/CSU) Zweidrittelmehrheit ein vernünftiges Asylrecht zu Unsinn, der jeden ärgert, dem unsere Zusammenar- beschließen. Ich nehme an, daß Sie mir nicht wider- beit mit der Dritten Welt wirklich am Herzen liegt. sprechen werden, wenn ich sage: Und nicht nur das. Der jetzige staatlich geduldete (Rudolf Bindig [SPD]: Gucken Sie mal den Massenmißbrauch des Asylrechts führt dazu, daß Innenminister an!) Achtung und Loyalität gegenüber unserem Staat Das deutsche Volk ist nicht ausländerfeindlich. Das immer mehr beschädigt werden. Seien wir uns klar Gegenteil ist richtig. Wer als Ausländer hier lebt und darüber: Man kann Politiker nicht mögen, die die Angst und Sorge der eigenen Menschen vor dieser arbeitet, wird von der ganz großen Mehrheit der Deutschen akzeptiert. Das gilt selbstverständlich auch Entwicklung ignorieren oder mißachten. für solche Ausländer, die tatsächlich politisch verfolgt Dieses ärgerliche Verdrängen eines realen Pro- wurden, und es gilt ebenso für die Bürgerkriegsflücht- blems in Kombination mit der unablässigen Selbsther- linge aus Jugoslawien, von denen wir mehr aufge absetzung und Selbstbeschuldigung des deutschen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13565

Dr. Alfred Dregger Volkes durch einige Publizisten und Politiker hat Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kollege — davon bin ich überzeugt — den Republikanern Dr. Klaus-Dieter Feige. genutzt. Es mag ja den einen oder anderen- mit Schadenfreude erfüllen, wenn das Versagen in der Asylpolitik zu Stimmeneinbrüchen bei den großen Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Parteien führt. Aber nicht nur diese, sondern auch NEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen unsere stabile Demokratie sind dann gefährdet. Eines und Herren! Viele Politiker — eben gerade wieder steht doch außer Frage: Die großen Parteien, die in Herr Dregger — haben sich in den letzten Tagen unserer jungen Demokratie die bisherigen Kanzler hinter dem vorgeblichen Wunsch der Wählerinnen gestellt haben, tragen doch nicht nur für sich selbst und Wähler versteckt, die angeblich alle die heute Verantwortung, sondern für das Ganze, für unseren vorgeschlagenen gesetzlichen Regelungen und Staat. Grundgesetzänderungen verlangen. Besonders bemerkenswert war in den letzten Tagen Vizepräsident Hans Klein: Herr Dr. Dregger, gestat- aber die Äußerung eines Kollegen der SPD, von Herrn ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Blunck? Struck, der mit diesem Wählervotum drohend die letzten Abweichler in den eigenen Reihen zur Zustim- mung zum sogenannten Asylkompromiß zwingen (CDU/CSU): Bitte. Dr. Alfred Dregger wollte. (Zuruf von der SPD: Sie lügen!) Lieselott Blunck (Uetersen) (SPD): Aus tiefer Betrof- fenheit heraus, Herr Dregger, möchte ich Sie fragen, Offenbar sind ihm nicht mehr allzu viele auf den Leim ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß auch eine gegangen. solche Rede mit den Inhalten, wie Sie sie halten, den (Weitere Zurufe von der SPD) rechtsextremistischen Parteien nutzt. — Ich habe das so deutlich im Fernsehen gehört. — (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Aber ich glaube, daß gerade das Umkippen des 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Dagmar Abgeordneten Vogel für die SPD symptomatisch Enkelmann [PDS/Linke Liste] — Wider erscheint, und zwar für einen zunehmenden Opportu- spruch bei der CDU/CSU) nismus in dieser Partei. (Zuruf von der CDU/CSU: Vogel-Strauß Dr. Alfred Dregger (CDU/CSU): Meine Dame, die Politik!) Wahrheit zu sagen und für unsere Mitbürger und die Angesichts derartigen massiven erpresserischen in- eigenen Wähler einzutreten ist unsere vornehmste nerparteilichen Drucks werden Sie — das garantiere Pflicht. Wenn wir das tun, haben die Republikaner ich Ihnen — nicht nur Mitglieder, sondern auch keine Chance. Wählerinnen und Wähler verlieren. Die Mehrheit der (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU sowie SPD-Fraktion sollte den Flügel ihrer Partei, dem sie Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) angehören, in „Meteorologische Partei Deutsch- lands " umbenennen; Wegen der besonderen Verantwortung der großen Parteien für unseren Staat und die Stabilität unserer (Zuruf von der CDU/CSU: Oder Vogel Demokratie möchte ich die Kolleginnen und Kollegen Strauß-Politiker!) der SPD bitten: denn mehr, als Sie es gegenwärtig tun, kann m an sich (Dr. Karl-Heinz Klejdzinski [SPD]: Erst nicht nach dem Wind drehen. Und die Eigenschaft beschimpfen Sie uns, jetzt bitten Sie!) „sozial" sollten diejenigen, die heute diesem Paket Betrachten Sie sich in dieser Frage doch nicht als zustimmen, nicht mehr für sich in Anspruch neh- Schulmeister des deutschen Volkes, sondern als seine men. Vertreter. Ignorieren Sie nicht seinen Mehrheitswillen Die SPD hat die nächste Bundestagswahl aber nicht in dieser wichtigen Frage, der doch durchaus vernünf- etwa gestern in ihrer Fraktionssitzung verloren, son- tig ist und nichts Unangemessenes verlangt. dern sie hat sich bereits beerdigt, als ihr der ehemalige Meine Damen und Herren, diesmal ist nicht Mut zu Vorsitzende Engholm den Petersberger Strick um den unpopulären Maßnahmen, sondern Mut zu populären Hals gelegt hat. Maßnahmen gefordert. Es gibt Leute, die bei so etwas (Unruhe bei der SPD) mißtrauisch werden — ich nicht. Denn unser Volk ist weder dumm noch in unangemessener Weise ego- Dabei hätten Sie eine wunderbare Ch ance gehabt, istisch, in diesen Fragen schon gar nicht. Es ist daher sich mit dem Vorsitzenden auch gleich des konserva- gewiß nicht unsere Aufgabe, seinen Willen zu mißach- tiven Zopfes in der eigenen Politik zu entledigen. Nur, ten. so, wie sich die SPD jetzt gibt, werden sie die Wähle- rinnen und Wähler von der CDU nicht mehr unter- (Zuruf von der SPD: Sie spalten!) scheiden können. Dann können sie — und da gebe ich Die Verantwortung tragen jedenfalls wir, niemand Herrn Dregger völlig recht — auch gleich das O riginal sonst. Wir, die gewählten Vertreter des deutschen wählen. Volkes, dürfen unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger Mein Wahlkreis liegt in der Nähe der Stadt Rostock in dieser wichtigen Frage nicht enttäuschen. in Mecklenburg-Vorpommern. Mir sind leider noch zu (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU sowie sehr die Tage und besonders die Nächte im August Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) vergangenen Jahres im Stadtteil Lichtenhagen mit 13566 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Klaus-Dieter Feige den abscheulichen Gewalttaten gegen die do rt Hilfe jedes zurückgewiesenen minderjährigen Flüchtlings suchenden Ausländer in Erinnerung. schuldig. - Von der CDU/CSU-Koalition hätte ich nichts ande- res erwartet. Meinen Respekt haben Kollegen wie Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Feige, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Klejd- Frau Schmalz-Jacobsen, Herr Hirsch, Herr Baum und zinski? andere von der F.D.P., die das genauso sehen wie wir. Aber angesichts dieser SPD habe ich heute wirklich jede Hoffnung verloren, daß die Mehrheit bei ihr Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- — die Minderheit mag die Hoffnung vielleicht nicht NEN): Nein. Ich möchte heute auch einmal etwas aufgeben — in diesem Lande wirklich etwas ändern sagen können, auch zur SPD. will, vielleicht abgesehen von der Verteilung der Machtpositionen in diesem Land. (Widerspruch bei der SPD) Sie werden mit der heutigen Änderung des Grund- Ich war entsetzt über den Beifall einiger hundert gesetzes in diesem Land Wind säen, aber einen Sturm Bewohner des Rostocker Stadtteils, aber es sind genau des Widerstandes gegen den Demokratieabbau ern- die Argumente dieser randalierenden und beifallklat- ten. schenden Minderheiten, die Sie heute verwenden, um ein Gesetz zu verabschieden, das die gesamte deut- (Beifall bei Abgeordneten der PDS/Linke sche Geschichte auf den Kopf stellt. Und für mich ist es Liste) kein Zufall, daß genau an dem Tag, an dem dieses Ich glaube, man kann an diesem Grundgesetz viel Gesetzespaket verabschiedet werden soll, der erste ändern, aber Art. 16 auf keinen Fall. Republikaner im Deutschen Bundestag sprechen wird. Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Freimut Duve [SPD]: Da hat die SPD auch (Beifall bei der PDS/Linke Liste) schuld?) — Nein, er ist eindeutig aus den Reihen der Christ- demokraten hervorgegangen. Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile der Kollegin Sie verwenden die gleichen dummen Argumente, Renate Schmidt das Wort. die die Geschäftsbesitzer verwenden, die etwa in Rostock oder anderswo Besen gegen die Sinti und Roma in die Schaufenster hängen. Genau mit diesen Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD): Herr Präsident! machen Sie hier heute in großer Koalition gemein- Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Herr Dr. Feige, same Sache. ich möchte hier für uns alle mit aller Entschiedenheit Herr Dregger, Sie hätten genau hinhören müssen, erklären: In unserer Fraktion ist niemand erpreßt was Ihre Wählerinnen und Wähler zumindest in den worden, weder opportunis tisch noch sonst irgend- neuen Bundesländern — die haben Sie ja mitge- wie, wählt — wirklich wollen. Da ruft keiner nach einer Änderung des Grundgesetzes, weil er sich an Leib und (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolf Leben bedroht fühlt. Wenn Sie wirklich hinhören gang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]) würden, was die Mehrheit der Bürgerinnen und sondern wir haben alle in unserer Verantwortung als Bürger in diesem Land sucht, dann würden Sie fest- frei gewählte Abgeordnete versucht, die Entschei- stellen, daß ihre Sorge mehr der Unfähigkeit der dung zu treffen, die wir für richtig halten. verantwortlichen Politiker gilt, die wirtschaftlichen Für viele von uns war das ein schwieriger Diskus- und sozialen Fragen in der Bundesrepublik selbst zu sionprozeß. Ich kritisiere niemanden, der zu einer lösen. Es ist die Angst, daß diejenigen, denen sie bei anderen Entscheidung kommt als ich selbst, und ich den letzten Wahlen die Regierungsgewalt in die spreche Ihnen das Recht ab, uns in dieser Art und Hände gelegt haben, dieses Land noch tiefer in den Weise hier herunterzumachen. Das werden wir nicht Sumpf des Einigungsvertrages hineinreiten und daß akzeptieren. es sie mitreißt. (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ Mein besonderes Mitgefühl gehört an diesem CSU: Die Wahrheit tut weh, nicht?) schwarzen Mittwoch den vielen sogenannten unbe- gleiteten minderjährigen Flüchtlingen in unserem Denn in dieser Debatte sollten wir den Versuch Land. In vielen Ländern, die Sie auf Ihrer Liste der unternehmen, eine Kontroverse, die allen politischen angeblich verfolgungsfreien Drittstaaten haben, sind Parteien, allen demokratischen Parteien zum Schaden elternlose Kinder Tag für Tag Opfer von Gewalt. In gereichte und, was schlimmer ist, über die unsere manchem angeblich sicheren Drittland sind diese Demokratie Schaden zu nehmen drohte und die unmündigen Opfer von Armut, die auch durch die unsere Gesellschaft spaltete, so zu beenden, daß sie Bundesrepublik mitverschuldet ist, als schwächste zur Befriedung beiträgt. Glieder der Gesellschaft — auch wenn Sie es nicht Dies wird — und das ist mein Wunsch und mein wahrhaben wollen — grundsätzlich Tag für Tag an Appell an alle Kollegen und Kolleginnen — nicht mit Leib und Leben bedroht. Auch diese Kinder fallen Rechthaberei, nicht mit gegenseitigen Schuldzuwei- genau unter diese Grundgesetzänderung. sungen, Herr Dr. Dregger, nicht mit dem Schüren von Alle, die heute diesen unsäglichen Gesetzen Ängsten gehen können und vor allen Dingen nicht zustimmen werden, machen sich am weiteren Elend damit, daß wir je nach Standpunkt, den wir vertreten, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13567

Renate Schmidt (Nürnberg) unseren jeweiligen Anhängern nach dem Munde unsere Antworten darauf. Es geht, und das sollten wir reden. nie vergessen, um politisch verfolgte, von Folter (Beifall bei der SPD) - bedrohte und entwürdigte Menschen, die nach Europa kommen und hier Zuflucht suchen. Ich weiß, Und, Herr Dr. Dregger, Sie haben gerade genau das ein nur geringer Prozentsatz! getan. Sie haben hier einen vorhandenen Teil der Wirklichkeit geschildert und damit Emotionen ge- (Zuruf von der CDU/CSU: 4 %!) schürt, statt zur Aufklärung beizutragen. — Ich weiß es ja, aber es sind konkrete Menschen, die (Beifall bei der SPD) in dieser Situation sind. Das ist das, was wir nicht länger tun dürfen. Ich hätte mir gewünscht, und ich hoffe, ich höre es noch, daß der Herr Bundeskanzler anläßlich seines (Dr. Alfred Dregger [CDU/CSU]: Die Wahr Besuches in der Türkei deutlichere Worte und öffent- heit hat eben wehgetan! — Zuruf von der liche Worte gefunden hätte gegen Folter und Verlet- CDU/CSU: Das ist eine einfache Logik!) zung von Menschenrechten. Ich sehe schon den nächsten Punkt, der jetzt hier an (Beifall bei der SPD) die Wand gemalt wird: die Länge der Zeit, die diese Entscheidung gebraucht hat. Und jetzt sind die Sozial- Denn wo Menschenrechte verletzt werden, dürfen wir demokraten daran schuld! nicht auch noch Waffen liefern. Auch dieses unser opportunistisches Verhalten trägt zu den Fluchtursa- (Zurufe von der CDU/CSU: Jawohl! — Wer chen bei, und auch dadurch werden wir mitschul- denn sonst?) dig. Sie werden damit nicht durchkommen. Wenn Sie (Beifall bei der SPD) glauben, daß Sie Ihr Süppchen wieder mit diesem Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, es geht auch um Thema kochen können, werden Sie damit scheitern. Menschen, die vor Armut und Hunger flüchten. Sie (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ sind zwar nicht politisch verfolgt, aber diejenigen, die CSU: Nicht wieder, schon lange!) diese Menschen als „Wirtschaftsflüchtlinge" bezeich- nen, frage ich, was sie denn eigentlich täten — und ob Das wird nicht mehr gehen. wir denn diese Phantasie verloren haben —, wenn sie Ich sage Ihnen: Es waren andere Verhältnisse seit in Kosovo lebten, drei Kinder hätten und nicht wüßten, 1990, es waren andere Zahlen seit 1990. Wir haben was sie diesen Kindern am nächsten Tag zu essen einfach zur Kenntnis zu nehmen, daß auch manche geben sollen und was sie an allen nächsten Tagen den von uns seit Jahren und nicht erst, Herr Dr. Feige, seit Kindern zu essen geben sollten. Ich würde mein Petersberg, gewußt haben, daß Sie das mit den Bündel schnüren und dorthin gehen, wo meine Kinder bisherigen Regelungen nicht weiter tun können. überleben können. (Dr. Alfred Dregger [CDU/CSU]: Wie war das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS mit Herrn Wehner?) 90/DIE GRÜNEN) — Herr Dr. Dregger, wenn wir über Zeit und Dauer Ich weiß das, und dennoch weiß ich genausogut, daß von Entscheidungen und Dauer von Handeln reden, diese vor Armut und Not flüchtenden Menschen nicht sollten wir auch mal darüber reden, wie lange es alle zu uns kommen können. Für uns, für viele von uns gedauert hat, bis Sie den ersten Kompromiß, den wir war es ein schmerzlicher Prozeß, lernen zu müssen, miteinander vereinbart haben, in die Tat umgesetzt daß wir in unserer Solidarität Prioritäten setzen müs- haben: Erst seit 1. April dieses Jahres. sen, wenn sie nicht zu einer leeren Worthülse verkom- men soll. Für viele von uns war und ist es ein (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ schmerzlicher Prozeß, lernen zu müssen, daß wir CSU: Das ist in den SPD-regierten Ländern unser Mitleid mit diesen unseren nächsten Menschen verhindert worden!) sortieren müssen, wenn wir aus unserem Mitgefühl Da richten sich — das will ich in aller Deutlichkeit konkretes Helfen machen wollen, daß ein uneinge- sagen — die Vorwürfe nicht nur an diejenigen, die auf schränktes Hilfsangebot an alle, wie es unsere Verfas- der . Regierungsbank jetzt in unzureichender Zahl sung derzeit bietet, zur Hilfe für niemanden zu ver- sitzen, sondern auch an die, die hier auf der Bundes- kommen droht. ratsbank überhaupt nicht sitzen, auch an diejeni- Es geht schließlich auch, liebe Kollegen und liebe gen, Kolleginnen, um Menschen, die, von skrupellosen (Beifall bei der SPD) Geschäftemachern verführt, das wenige, was sie die meiner Partei angehören, weil ich glaube, wenn haben, verkaufen, ihre Heimat verlassen, mit dem wir jetzt nicht endlich ehrlich miteinander umgehen, Versprechen einer angeblich goldenen Zukunft zu wird aus dieser ganzen Sache nichts werden. uns gelockt werden, dann aber in überfüllten Asylbe- werberunterkünften und in der Folge nicht selten in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kriminalität enden. Und, liebe Kollegen, liebe Kolle- der F.D.P.) ginnen, es geht um Menschen, die hier bei uns selbst Es geht und ging bei unserem S treit um mögliche in bedrängten Verhältnissen leben und all dem aus- Wege zur Linderung des Flüchtlingsproblems nicht an gesetzt sind, Mitbürger und Mitbürgerinnen, die erster Stelle um juristische Fragen, und es geht nicht Urteile und Vorurteile, berechtigte und unberechtigte um abstrakte Zahlen, sondern es geht um konkrete Ängste haben, deren Kinder in Hauptschulklassen mit Menschen, um ihre Ängste und Hoffnungen und um acht bis zehn Nationalitäten gehen, die in der 13568 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Renate Schmidt (Nürnberg) Schlange der Wohnungsuchenden nicht nach vorn europäischen Regelung des Flüchtlingsproblems ist. rücken, deren Hoffnungslosigkeit, Frust und Zorn Freilich wird sich weniger ändern, als manchem lieb immer größer werden. Es geht um Bürgermeister- und ist und als andere befürchten, die jetzt gegen diesen Landräte, die nicht mehr ein noch aus wissen, weil sie Kompromiß demonstrieren. überall zum Sparen gezwungen sind Ich sage dazu noch einmal in aller Deutlichkeit: Wer (Zuruf von der CDU/CSU: Die sind damit für Menschenrechte und Flüchtlinge demonstriert, belastet!) muß das gewaltfrei tun. Das, was sich in der Nähe und gleichzeitig immer größere Beträge für die Unter- unseres Hauses abspielt, spottet jeder Beschreibung bringung von Flüchtlingen aufbringen müssen. und kann so nicht hingenommen werden. Natürlich sind nicht die Asylsuchenden an Woh- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der nungsnot und Spekulantentum schuld, nicht an Schul- F.D.P.) problemen, nicht an Arbeitslosigkeit, nicht an Lei- stungskürzungen. Daran ist eine verfehlte Regie- Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, nein, die Bun- rungspolitik schuld und sonst gar nichts. desrepublik wird kein anderer Staat. Nein, dadurch wird nicht die Wende rückwärts eingeleitet. Nein, (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gerd dadurch wird nicht Deutschl and als Weltmacht einge- Poppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) leitet, wie es absurd in manchen Demonstrationsauf- Aber genauso richtig ist, daß die immer enger gewor- rufen heißt. finanziellen Spielräume der Städte durch die denen Ich fürchte, mit einer solchen Agita tion werden große Zahl der Zufluchtsuchenden weiter beschnitten kaum weniger irrationale Ängste geschürt wie durch werden. jene unsäglichen Entgleisungen von Sprachextremi- Meine sehr geehrten Herren und Damen, liebe sten, die von „Wirtschaftsschmarotzern" oder „durch Kollegen, liebe Kolleginnen, all dies — und nicht nur rasster Gesellschaft" sprechen. ein Teil davon — gehört zur Realität. Das sind unter- schiedliche Realitäten und unterschiedliche Wahr- Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich warne auch nehmungen davon. Alle sind ein Teil der Wahrheit, davor, in deutscher Überheblichkeit unsere bisheri- und keiner ist die ganze Wahrheit. gen Regelungen für die einzig möglichen, einzig humanen, einzig demokratischen und damit zu den Wenn wir diese Debatte als Chance zur Bef riedung allein richtigen zu erklären. Unsere europäischen begreifen und sie nutzen wollen, müssen wir diejeni- Nachbarn, die ja vielleicht auch ein bißchen demokra- gen, die unseren Standpunkt teilen, mit den von ihnen tische Erfahrung haben, die allesamt auch vernünftige nicht erkannten oder nicht akzeptierten Realitäten Regeln und geordnete Verfahren haben, konfrontieren. Wir müssen gemeinsam sowohl gegen wohlfeile Sprüche an Stammtischen als auch gegen (Zuruf von der CDU/CSU: Aber Sie stellen sie moralisch überhöhte, aber dennoch unwahre Panik- in Frage!) mache antreten. Das müssen wir gemeinsam tun und nicht immer nur den einen Teil übernehmen. die eher dem heute zu verabschiedenden Asylbe- schluß ähneln, verwahren sich zu Recht gegen eine (Beifall bei der SPD) solche Abqualifizierung ihres Umgangs mit Flüchtlin- Und wir müssen die Wahrheit sagen. Die Wahrheit ist, gen. daß dieser aus der Not der großen Flüchtlingszahlen (Beifall bei der SPD und der F.D.P.) geborene Asylkompromiß nicht die Lösung des Wir dürfen in Europa nicht stehenbleiben. Es müssen Flüchtlingsproblems ist; denn diese Patentlösung gibt weitere Schritte folgen. Wir brauchen eine moderne, es nicht. vernünftige Zuwanderungspolitik. Dazu ist es not- (Beifall des Abg. Freimut Duve [SPD]) wendig, ideologische Scheuklappen abzulegen und bei der Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik nicht Es stimmt eben weder „Keiner kommt mehr rein" destruktiv zu mauern, sondern konstruktiv zu bauen. noch „Nichts wird sich ändern". Ich sage das besonders an die Adresse des Kollegen Kollege Hirsch, wenn ich Ihnen glauben würde Stoiber. — ich glaube Ihnen eigentlich meistens —, wenn ich das so sehen würde, wie Sie es sehen, könnte ich (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Aber doch diesem Kompromiß nicht zustimmen. Sie haben das nicht hier und heute!) hier vereinfacht dargestellt. Es stimmt eben nicht, daß — Ich kann Ihnen ja einmal sagen, was er so alles in wir Menschen in ihre Herkunftsländer, wo sie Folter der letzten Zeit gesagt hat. und Tod ausgesetzt sind, zurückschieben, sondern in einen sicheren Drittstaat. Wenn er das nicht gewähr- (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfg ang Freiherr leisten kann, dann ist er kein sicherer Drittstaat mehr. von Stetten [CDU/CSU]: Der will Minister Dies ist für mich das Kriterium der Zustimmung, und präsident werden!) nichts anderes. Erstens. Das Thema der Flüchtlingspolitik muß (Beifall bei der SPD und der F.D.P.) endlich an die erste Stelle der Tagesordnung in der Zur Wahrheit gehört, daß Zufluchtsuchende nach Europäischen Gemeinschaft gesetzt werden. Wir wie vor zu uns kommen werden. Dennoch wird sich haben eine Lastenteilung mit unseren osteuropäi- etwas ändern, weil dieser Asylkompromiß nach dem schen Nachbarn vereinbart. Jetzt muß endlich auch Schengener Abkommen ein zweiter Schritt zu einer mit unseren reicheren westeuropäischen Nachbarn Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13569

Renate Schmidt (Nürnberg) eine solidarische Lastenverteilung erreicht werden. Zweitens kann ich sagen, daß diese Debatte einen So kann es nicht weitergehen. völlig normalen Verlauf nimmt — ganz im Gegenteil zu dem, was sich diejenigen, die sie verhindern (Beifall bei der SPD) wollten, gewünscht haben. Zweitens. Wir brauchen ein Zuwanderungsgesetz, Drittens. Zu dem normalen Verlauf gehört auch, daß das sowohl die Interessen der Zuwanderungswilligen es gelegentlich Schärfen gibt. Eine solche Schärfe gab und ihrer Herkunftsländer berücksichtigt als auch es heute, als Kollege Gysi formulierte: unsere Situation und unsere Interessen. Wer Mauern an den Grenzen errichtet, egal, ob Drittens. Wir brauchen die Möglichkeit von Doppel- sie aus Infrarotstrahlen oder aus Beton bestehen, staatsbürgerschaften. Sie sind überfällig. der wird auch die Bereitschaft zum Schießen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) aufbringen müssen, damit solche Mauern einen Sinn machen, und Sie werden es noch erleben: Sie wären ein versöhnliches Zeichen — nicht nur den Wer heute der faktischen Abschaffung des Asyl- vielen in der Ausländer- und Flüchtlingsarbeit Enga- rechts zustimmt, muß wissen, daß er Mitverant- gierten gegenüber, sondern vor allem auch gegen- wortung trägt, wenn eines Tages an den Grenzen über den seit langen bei uns lebenden Ausländern. Ich auf Flüchtlinge geschossen wird. hoffe, daß das, was der Herr Bundeskanzler für möglich hält, jetzt endlich auch in die Tat umgesetzt Auf diese beiden Feststellungen hat Herr Kollege wird. Marschewski den Zwischenruf „Mauerschütze" ge- (Beifall bei der SPD) macht. Nun sind die Feststellungen von großer Schärfe gewesen; der Zwischenruf, Herr Kollege Mar- Viertens. Wir brauchen ein Staatsbürgerschafts- schewski, zielte dann aber auf eine Person. Sie kennen recht, das vor allem nicht auf das Abstammungs-, meine Abneigung gegen Ordnungsrufe. Ich habe in sondern auf das Geburtsland Deutschl and abstellt. meiner Amtszeit erst einen einzigen erteilt, und das (Beifall des Abg. Freimut Duve [SPD]) auch nur, weil der Kollege unbedingt darauf bestand, diese Beleidigung geäußert zu haben. Dieses wäre ein wichtiger Beitrag zur Integration der hier lebenden ausländischen Mitbürgerinnen und (Heiterkeit) Mitbürger. Herr Kollege Marschewski — vorausgesetzt, daß Kollege Gysi das annimmt —, ich frage Sie: Sind Sie Fünftens. Das kommunale Wahlrecht für alle hier bereit, das zurückzunehmen, sich zu entschuldigen, länger lebenden Ausländer und Ausländerinnen ist ein entsprechendes Wo rt zu dem Kollegen Gysi zu ebenfalls überfällig. sagen? Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, bisher haben Sie, die CDU und insbesondere die CSU, die objektive Unmöglichkeit, das Problem der Zuwanderung gänz- Erwin Marschewski (CDU/CSU): Herr Präsident! lich zu lösen, der SPD in die Schuhe schieben können. Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Das werden Sie nach dem heutigen Tag nicht mehr Dr. Gysi, ich habe das, was ich da gesagt habe, nicht in schaffen. bezug auf Sie persönlich gemeint. Ich habe dies allgemein auf das DDR-Regime bezogen, und diese (Zuruf von der CDU/CSU: Es ist sehr viel Zeit Damen und Herren waren nun wirk lich Mauerschüt- verlorengegangen!) zen. Wir werden, meine Damen und Herren von der Union, (Zuruf von der SPD: Vorsicht!) wie in anderen demokratischen Ländern auch (Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS/Linke Liste] gemeinsam versuchen müssen, das Lösbare zu lösen begibt sich zu einem Saalmikrofon) und das nicht Lösbare zu lindern und zu erklären, und wir werden lernen müssen, damit zu leben. Es muß Schluß sein, mit der Not und den Ängsten von Men- Vizepräsident Hans Klein: Verzeihung, Herr Kol- schen Politik gegen den politischen Gegner machen lege Gysi, bitte jetzt keinen Debattenbeitrag, sondern zu wollen und zu machen. nur eine Reaktion! (Beifall bei der SPD) Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Es war eine Wenn wir dazu imstande sind, ist dieser Asylkom- persönliche Ansprache dabei, irgend etwas mit „Du promiß mehr als ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu Mauerschütze". Insofern mußte ich das auf mich einer umfassenden Zuwanderungspolitik und kann zu beziehen. Wenn Sie das jetzt richtigstellen und sagen, einem Ausgangspunkt auf dem Weg zu einer neuen daß Sie mich nicht gemeint haben, nehme ich das zur politischen Streitkultur werden. Dies würde unserem Kenntnis, und damit ist das für mich erledigt. Was den Land, seinen Bürgerinnen und Bürgern, unserer Rest betrifft, so können wir später mal darüber strei- Demokratie nur nützen. ten. (Anhaltender Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen Ulrich Irmer das Wort. Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- ren, zunächst darf ich sagen, daß alle Redner, die noch auf der Liste stehen, selbstverständlich ihre Reden Ulrich Irmer (F.D.P.): Vielen Dank, Herr Präsident! auch zu Protokoll geben können. Daß ausgerechnet die Kollegen Marschewski und 13570 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Ulrich Irmer Gysi sich duzen sollten, würde mich äußerst verblüf- möglich gewesen, durch Beschleunigung der Verfah- fen. ren zu vernünftigen Lösungen zu kommen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU- (Beifall bei der F.D.P. und der SPD) sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der SPD) Ich bitte darum, auch hier keine neuen Legenden in die Welt zu setzen, sondern damit aufzuhören. Ein weiteres Mißverständnis, eine weitere Legende: Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Irmer, ich Die Bürger bei uns in Deutschland, die die bisherigen glaube, da hat sich Kollege Gysi verlesen. Es steht Mißverhältnisse und Mißstände nicht länger zu „Sie" drin, wenn ich das richtig sehe. akzeptieren bereit sind, seien samt und sonders aus- (Dr. Gregor Gysi [PDS/Linke Liste]: Jetzt will länderfeindlich. Auch dies ist nicht wahr. Die Millio- ich es ganz korrekt machen! Es steht da nen Menschen, die mit Lichtern in den Händen auf die schlimm: „Der Mauerschütze", und das muß Straße gegangen sind, um für die Ausländer und für ich schon persönlich nehmen! Wenn Sie die Toleranz zu demonstrieren, haben dies, glaube sagen, es sollte mir nicht gelten, ist es damit ich, sehr eindrucksvoll gezeigt. erledigt!) (Beifall bei der F.D.P.) Eine weitere Legende: Wir drohten einer Überfrem- Ulrich Irmer (F.D.P.): Wie dem auch sei, wir haben dung anheimzufallen. Meine Damen und Herren, das eben erlebt: Der bayerische Wahlkampf wirft seine deutsche Volk hat im Laufe seiner Geschichte derart Schatten voraus. Damit wollte ich nicht die Kollegin viel ausländische, fremdländische Einflüsse absor- Schmidt oder auch den Kollegen Stoiber als Schatten biert, verarbeitet, verkraftet — meistens nicht zu bezeichnen. Dazu sind beide viel zu putzmunter. seinem Nachteil —, daß ich weit und breit keine Gefahr der Überfremdung sehe. Manchmal wundert Meine Damen und Herren, die Kollegin Schmidt hat es mich, daß dies Leute sagen, die sich sonst soviel auf in vielem recht. Sie hat vor allem darin recht, daß wir die Kraft und die Stärke der eigenen Kultur und der jetzt nach der sehr sachlichen Debatte hier im Hause, Eigenart zugute halten. Ich meine, wer soviel Angst von Ausnahmen abgesehen, von der hochemotiona- vor Überfremdung hat, hat kein Vertrauen in seine len Art von Auseinandersetzungen, wie wir sie in den eigene Kultur und die eigene Kraft seiner Wesensart letzten Jahren in Parteiversammlungen und an und der Wesensart des eigenen Volks. Auch damit Stammtischen erlebt haben, wegkommen sollten. Es sollten wir Schluß machen. ist an der Zeit — und ich glaube, der heutige Tag mit der Verabschiedung der neuen Gesetzgebung gibt Eine weitere Legende: Wir würden das Asylrecht dazu eine gute Chance —, endlich zu einem sachli- abschaffen. Dies stimmt nicht. Ich stimme dem Kolle- chen Ton zurückzukehren und mit Vorurteilen und gen Hirsch hier ausdrücklich nicht zu. Legenden, die sich eingeschlichen haben, aufzuräu- Zum Schluß: Wir sollten der Legende entgegentre- men. ten, als ob diejenigen, die sich gegen die vorgeschla- Ein Vorurteil: Alle Wirtschaftsflüchtlinge seien gene Gesetzesänderungen aussprechen, die einzig Schmarotzer. Ich nehme es niemandem übel, der wahren Menschenfreunde seien, diejenigen aber, die seine Familie zu Hause nicht mehr ernähren kann, für diese Gesetze sind, die herzlosen Opportunisten wenn er in ein anderes Land geht, wo er sich eher eine seien. So ist es doch nicht. wirtschaftliche Zukunft verspricht als zu Hause. Mil- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne lionen Deutsche haben das im Laufe von Jahrhunder- ten der CDU/CSU) ten getan. Wir sollten nicht diese Leute verächtlich Jeder hier im Haus wird sich seine Entscheidung nicht machen, sollten aber klar sagen, daß wir nicht alle leichtgemacht haben oder noch in der Zukunft nicht Mühseligen und Beladenen dieser Welt aufnehmen leichtmachen. Ich gestehe jedem zu, der gegen diese können. Gesetze stimmt, daß er eine sehr ernsthafte Gewis- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sensentscheidung getroffen hat. Ich nehme aber auch Zweite Legende: Unser bisheriges Asylrecht sei das für mich und die anderen, die zustimmen, in großherzigste und großzügigste, das es auf der weiten Anspruch, daß wir in Sorge um die Flüchtlinge, aber Welt gebe. Das kann schon deshalb nicht richtig sein, auch in Sorge um den Frieden in unserem Land eine weil die Zahl der anerkannten Asylbewerber immer Gewissensentscheidung ge troffen haben. wesentlich niedriger gewesen ist als die Zahl derjeni- Ich danke Ihnen. gen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention hier- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der bleiben durften, ohne politisch anerkannt zu werden. SPD) Insofern trifft die Behauptung, unser Asylrecht in der Ausprägung durch die Verfahrensgesetze und die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Dr. Dagmar das beste und großherzigste der Welt gewesen, nicht Enkelmann, Sie haben das Wort. zu. Ich möchte jetzt auch etwas sagen, was manchen Dr. Dagmar Enkelmann (PDS/Linke Liste): Herr schmerzt. Ich halte es nicht für gut, jetzt zu sagen, die Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß sehr späte Lösung, die wir jetzt finden, sei darauf zurück- wohl, daß ich hier im Hohen Hause und nicht auf zuführen, daß sich die Parteien hier und meine eigene einem Tribunal bin. Dennoch: Ich klage die Bundes- vernünftigen Lösungen bisher versagt hätten. Es wäre regierung an, Fremdenhaß und Ausländerfeindlich- mindestens bis 1990 ohne Grundgesetzänderung keit zu schüren. Ich klage die Bundesregierung der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13571

Dr. Dagmar Enkelmann geistigen Vergewaltigung vor allem junger Menschen Nase, während die Kommunen nicht wissen, wie sie an. die Kosten aufbringen sollen. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das darf- (Zuruf von der CDU/CSU: Eben nicht reinlas doch wohl nicht wahr sein!) sen!) Um von sozialen Problemen wie Arbeitslosigkeit, Die real vorhandenen, im Osten drastisch zunehmen- Wohnungsnot, fehlenden Lehrstellen und Perspektiv- den Probleme mit Obdachlosigkeit und Wohnungs- losigkeit abzulenken, werden Ausländerinnen und not aber sind hausgemacht und Folge einer verfehlten Ausländer zu Sündenböcken der Nation abgestem- Wohnungspolitik der Bundesregierung, die die Kom- pelt. Gebetsmühlenartig werden immer wieder die munen auszubaden haben. gleichen Vorurteile bemüht: Ausländer nehmen Deut- Entgegen landläufigen Vermutungen liegt die Kri- schen die Arbeit weg, sie belegen den ohnehin minalitätsrate bei Ausländerinnen und Ausländern knappen Wohnraum, Ausländer klauen, vergewalti- nicht höher als bei Deutschen. gen deutsche Mädchen usw., usf. Von hier ist es dann nicht weit bis zur Behauptung, daß Deutsche etwas (Widerspruch bei der CDU/CSU) Besonderes, eben die Auserwählten seien, wogegen Dort, wo man sich tiefgründiger mit den gängigen Ausländer als minderwertig verachtet werden — Her- Vorurteilen gegen Flüchtlinge auseinandersetzt, er- renmenschenideologie aus längst bewäl tigt geglaub- lebt man überall Oberflächlichkeit und Hilflosigkeit. ten Zeiten. Viel zu wenig wird aber von seiten der Bundesregie- Ich spreche nicht von organisierten Rechtsradika- rung getan, um die Bedingungen für ein gleichberech- len, ich spreche nicht von den Herren Geis und tigtes Zusammenleben von deutschen und ausländi- Dregger, die hier ein Lehrstück für Fremdenfeindlich- schen Bürgerinnen und Bürgern zu schaffen. Und keit geliefert haben, genau das ist der Knackpunkt, daß die Kommunen von der Bundesregierung im S tich gelassen werden. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist Genau hier erwarten die Bürgerinnen und Bürger ein unverschämt!) deutliches Zeichen und deutliche Hilfe. sondern ich spreche von meinen Erlebnissen u. a. mit Das Gegenteil passiert. Eindeutig erschwerend wir- ganz normalen Schülerinnen und Schülern normaler ken sich hier z. B. Massenunterkünfte in kleinen zehnter Klassen ganz normaler Schulen im Land Gemeinden oder die Tatsache aus, daß viele Heime Brandenburg. Ich verurteile nicht die Schüler. Sie nur Zwischenstationen sind. Die restriktive Kontin- geben nur das wieder, was sie von verantwortungslo- gentierung auf der Länderebene verhindert teilweise sen Politikerinnen und Politikern, die Zusammenführung von Flüchtlingsfamilien und wirkt sich nachteilig auf deren soziale Integra tion (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ aus. CSU]: Dazu gehören Sie!) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wissen Sie „Bild"-Zeitung, „Super-Illu" tagtäglich lesen und überhaupt, wovon Sie reden?) hören können. Besonders erschreckend ist für mich aber die Tatsache, daß bei vielen Jugendlichen die — Ich habe mich in der Kommune umgesehen. Das Vorurteile bereits so tief sitzen und sie für dem würde ich auch Ihnen raten. entgegenstehende Tatsachen kaum zugänglich sind. (Zuruf von der CDU/CSU: Wo haben Sie Genau das meine ich mit geistiger Vergewaltigung denn Ihren Wahlkreis?) Jugendlicher. Die Verantwortung dafür trägt die Bun- desregierung. Die Realität nämlich — das wissen Sie Drastisch verschärft werden die Probleme in den sehr genau — ist anders. nächsten Monaten auch durch das Auslaufen zahlrei- cher ABM-Projekte, deren Arbeitsaufgabe in der Arbeitslosigkeit gab es im Osten bereits, als noch sozialen Betreuung und Integration von Flüchtlingen nicht ein Asylbewerber dort war. Im Kreis Bernau, bestand. Im Aussiedlerheim in Ahrensfelde, L and Land Brandenburg, z. B. wurde bisher kein einziger Brandenburg, z. B. sollen u. a. die Stellen von drei Arbeitsplatz vom Arbeitsamt an Asylberechtigte ver- Sozialpädagogen mit Sprachkenntnissen, einer Kran- geben. Hier werden die äußerst restriktiven Vorgaben kenschwester und zwei Kindergärtnerinnen wegfal- — zuerst müssen Deutsche und andere EG-Angehö- len. Damit können 260 sogenannte Kontingentflücht- rige ein Angebot abgelehnt haben — auch künftig linge nicht mehr wie bisher betreut werden. angesichts der katastrophalen Lage auf dem Arbeits- Nein, meine Damen und Herren, was heute not tut, markt die Vermittlung von Asylberechtigten stark beschränken. Ausländerinnen und Ausländer erledi- ist nicht eine Gesetzesänderung mit der heißen Nadel, die ohnehin die Zuwanderung nicht einschränken gen außerdem die Drecksarbeit, zu denen kaum ein wird. So jedenfalls war es gestern in „West 3" vom Deutscher bereit ist. Kollegen Zeitlmann und vom Kollegen Wiefelspütz Sieht man sich wirklich einmal an, unter welchen von der SPD einmütig bestätigt worden. Die Kommu- Bedingungen Asylbewerberinnen und -bewerber in nen, die zweifelsohne vor Problemen stehen, brau- manchen Kommunen leben müssen, zusammenge- chen wirksame finanzielle und personelle Hilfe für pfercht in Turnhallen und überfüllten Massenunter- eine tatsächliche soziale Integra tion von Flüchtlingen. künften oder in Zeltlagern ohne ausreichende sani- Die Bundesregierung muß endlich, statt über Presse- täre Voraussetzungen, dann möchte wohl kaum einer zensur zu debattieren, ihrer Pflicht zur umfassenden von uns mit ihnen tauschen. Vielerorts verdienen sich und wahrheitsgemäßen Informa tion der Menschen gar private Betreiber von Unterkünften eine goldene über Gründe für weltweite Migration, über die 13572 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Dagmar Enkelmann Lebensbedingungen von Flüchtlingen in deren Hei- Was soll man aber von einem Politiker sagen, der matländern und über ihr Leben in der Bundesrepublik angesichts der ökologischen und sozialen Verwüstun- nachkommen. gen in der Welt, die vor allem durch das ungehemmte - Ich danke Ihnen. Wohlstandswachstum in den Industriegesellschaften hervorgerufen wurden, ausgerechnet den Anschluß (Beifall bei der PDS/Linke Liste) an ein gesellschaftliches Auslaufmodell fordert? Zum verantwortlichen Umgang mit der Wahrheit gehört es, endlich zu sagen, daß nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus auch die unkittbaren Risse in der Vizepräsident Hans Klein: Als nächste hat das Wort Marktwirtschaftsgesellschaft sichtbar geworden die Kollegin Vera Wollenberger. sind. 40 Jahre lang hatte der Westen Angst, daß die Osteuropäer mit ihren Panzern kommen. Jetzt drohen Vera Wollenberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sie, Westeuropa mit ihren Koffern zu erobern. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heu- Deutschland, das mit wenigen hunderttausend tige Debatte zählt keineswegs zu den Sternstunden Flüchtlingen schon sichtbar überfordert ist, wird den dieses Parlaments. Das hat nicht nur mit den Belage- Ansturm von Millionen nicht verkraften können, es sei rungsbedingungen zu tun, unter denen wir heute denn, die Deutschen und die Westeuropäer lernten es, beraten, und das hat nicht nur mit den Tönen zu tun, ihr Besitzstandsdenken aufzugeben, und sie wagten die streckenweise in diesem Plenum angeschlagen es, sich einzugestehen, daß ihre scheinbar erfolgrei- wurden. Nein, wir führen eine verfehlte Debatte zur che, im Ost-West-Vergleich sogar siegreiche Gesell- falschen Zeit. schaft nicht in der Lage ist, die auf uns zuwandernden Probleme zu lösen. Dies könnte nur geschehen, wenn Nach der Vereinigung hätte sich das deutsche Volk, man eine grundlegende Neustrukturierung der wie es die Mütter und Väter des Grundgesetzes Gesellschaft wagte. Leider läßt die heutige Debatte vorgeschlagen hatten, eine neue Verfassung geben wenig Hoffnung auf den notwendigen Umdenkungs- sollen. Es hätte, wie bei der Erarbeitung des Grund- prozeß zu. gesetzes, nach den Erfahrungen mit der Nazi-Diktatur die Lehre aus dem Zusammenbruch der Ost-West Ich lehne deshalb und aus den Gründen, die meine Konfrontation in einer Erweiterung und Fortentwick- Kollegen schon angeführt haben, diesen Asylkompro- lung demokratischer Grundrechte verarbeitet werden miß ab. müssen. Statt dessen wird immer neue Flickarbeit am (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Grundgesetz geleistet, die einer Zerstückelung näherkommt als einer Erneuerung. Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kollege Merkwürdigerweise gehen die fortgesetzten Klaus-Heiner Lehne. Grundgesetzänderungsanträge von der Regierungs- koalition aus, die noch vor drei Jahren erklärt hat, am Klaus-Heiner Lehne (CDU/CSU): Herr Präsident! Grundgesetz gebe es nichts zu rütteln. Die Befürwor- Meine Damen und Herren! Wir befassen uns heute in ter einer neuen Verfassung verteidigen heute das zweiter und dritter Lesung mit der Novellierung des Grundgesetz gegen seine Aushöhlung. Allein diese Asylrechtes und einer damit verbundenen Änderung Tatsache beweist, daß sich das Land nicht in einer des Art. 16 des Grundgesetzes, der bisher ein absolu- guten Verfassung befindet. Das ist die Wahrheit, die tes Grundrecht auf Asyl statuiert hat. Wir tun dies vor Herr Schäuble heute beschworen hat. dem Hintergrund der Tatsache, daß die Entwicklung Wahr ist, daß niemand weiß, ob der sogenannte der Asylbewerberzahlen in den letzten Jahren in Asylkompromiß nur ein einziges Problem lösen wird. einem dramatischen Umfang zugenommen hat, der Deshalb hätte es zum verantwortungsvollen Umgang geeignet gewesen ist, den sozialen Frieden in unse- mit der Wahrheit, der heute beschworen wurde, rem Land zu bedrohen. gehört, in der Öffentlichkeit nicht den Eindruck zu Noch im Jahre 1982 gab es ca. 37 000 Asylbewerber, erwecken, der Asylkompromiß könnte das Flücht- im Jahre 1989 bereits ca. 121 000, im Jahre 1990 ca. lingsproblem auch nur in einigermaßen erträgliche 198 000, im Jahre 1991 ca. 256 000 und im Jahre 1992 Bahnen lenken. Was heute beschlossen werden soll, ca. 440 000. Die dramatische Entwicklung in diesem kann niemals wirklich umgesetzt werden. Dazu fehlt Jahr läßt befürchten, daß die Zahl der Asylbewerber es schon an den elementarsten Voraussetzungen der dann, wenn unsererseits nichts getan wird, in diesem Exekutive. Es hat bestenfalls — oder besser gesagt: Jahr noch bis auf 600 000 steigen könnte. In unseren schlimmstenfalls — eine abschreckende Wirkung. Städten und Gemeinden führt dies zu unerträglichen Herr Klose hat vorhin richtig betont, daß uns das Zuständen. Containerlager entstehen, Schulhöfe wer- Zuwanderungsproblem in den nächsten Jahren den zweckentfremdet, Turnhallen belegt, und eine beschäftigen wird. Das ist wahr. Herr Klose irrt aber, gewaltige Antragslawine rollt über unsere völlig über- wenn er hinzufügt, daß die wirksamste Bekämpfung forderte Bürokratie und die Ge richte hinweg. der Fluchtursachen darin bestünde, daß der arme Das Ergebnis sind zunehmende Fremdenfeindlich- Süden Anschluß an den reichen Norden finden müßte. keit, Wahlerfolge für rechtsradikale Parteien wie die Meiner Kollegin Köppe wurde heute Naivität vorge- Republikaner, Partei- und Politikverdrossenheit und worfen, als sie den Vorschlag machte, zur Minderung immense Kosten, zuletzt geschätzt auf ca. 14 Milliar- der Spannung zwischen den Demonstr anten und dem den DM per annum. Diese eskalierende Entwicklung Parlament die Bannmeile aufzuheben. hat die Bundesrepublik Deutschl and über viele Jahre Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13573

Klaus-Heiner Lehne hingenommen, obwohl nachweislich nur ein minima- zahlreicher SPD-Bürgermeister, die die praktischen ler Prozentsatz der Asylbewerberanträge gerechtfer- Probleme vor Ort zu ertragen hatten, um ein Umden- tigt gewesen ist und es sich bei der Masse der ken der Opposition zu bewirken. Asylbewerber um reine Wirtschaftsflüchtlinge han- Ich begrüße dies ausdrücklich, muß jedoch an dieser delt. Mit Fug und Recht muß deshalb festgestellt Stelle noch einmal sagen: Wir hätten dies alles, wenn werden, daß der massenhafte Mißbrauch des Asyl- man uns gefolgt wäre, sehr viel früher haben können rechtes über lange Zeit von diesem Staat trotz einer und damit einen großen Teil der problematischen damit einhergehenden erheblichen Schädigung hin- Entwicklung, die unser Land in den letzten Jahren genommen wurde. Verbunden damit war auch eine belastet hat, vermeiden können. inhaltliche Abwertung des eigentlichen Asylrechtes für wirklich politisch Verfolgte, was mit gutem Grund (Beifall bei der CDU/CSU) von den Vätern unserer Verfassung in das Grundge- Es hätte nicht so weit kommen müssen, wie es jetzt setz aufgenommen wurde. gekommen ist. Wenn man nicht lange Zeit die Augen Die wirklich politisch Verfolgten sind heute vor den Realitäten verschlossen hätte und Vernunft zwangsläufig in einer Situation, in der sie von unserer statt Ideologie hätte walten lassen, wäre unserem Gesellschaft zunächst einmal als Wirtschaftsflücht- Land nicht nur eine übergroße Zuwanderung, sondern auch manche Zerreißprobe erspart geblieben. linge angesehen werden. Die Situation ist inzwischen so dramatisch geworden, daß eigentlich niemand Ich denke bei diesem neuen Asylrecht gerade auch mehr, der Verantwortung trägt, die Augen vor den an das Schicksal vieler, die als Wirtschaftsflüchtlinge Realitäten weiterhin verschließen kann und Handeln zu uns kommen. Ihre Illusion ist von Schleppern, unbedingt erforderlich ist. Kriminellen mißbraucht worden. Sie sind die eigentli- chen Opfer dieser Entwicklung, die wir über Jahre Aus diesem Grunde begrüße ich den hier vorge- hinweg geduldet haben. Im Glauben an ein besseres schlagenen Asylkompromiß. Er gibt die Möglichkeit, Leben in unserem Lande sind sie von mafiaähnlichen endlich wirksam zwischen politisch Verfolgten und Schlepperorganisationen dazu verführt worden, die Wirtschaftsflüchtlingen zu unterscheiden ungewisse Reise in unser L and anzutreten. Hier kom- men sie in eine Situation, die weder für sie noch für die (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Sehr Bürger unseres Landes als besonders angenehm richtig!) betrachtet werden kann. und den Mißbrauch des Asylrechts als Einwande- Dabei ist für den größten Teil von ihnen der Aufent- rungsrecht zu beenden. halt in der Bundesrepublik nur vorübergehend. Sie werden unser Land nach Ablehnung ihres Asylan- Ich begrüße es außerordentlich, daß auch die SPD trags in der Regel wieder verlassen müssen. Gewon- — zumindest zu großen Teilen — und deren politische nen haben sie damit nichts, aber verloren alles. Ich Führung endlich zu dem Ergebnis gekommen sind, begrüße es deshalb auch, daß insbesondere diesen das heute hier auf dem Tisch liegt, und einer Lösung verbrecherischen Schlepperorganisationen das dieses Problems nicht länger im Wege stehen. Handwerk gelegt werden soll. Es gibt jedoch einen großen Wermutstropfen. Wir Es hat in den letzten Tagen und Wochen noch hätten das ganze Problem unter Vermeidung eines einzelne Diskussionen über bestimmte Teile des Asyl- großen Teils der Probleme, die später entstanden sind, kompromisses gegeben. So wurde von Teilen der SPD viel früher lösen können. Bereits auf dem Bundespar- verlangt, die Möglichkeit des einstweiligen Rechts- teitag 1989 in Bremen hat meine Partei, die CDU, die schutzes für Flüchtlinge aus sicheren Drittstaaten Notwendigkeit einer Änderung des Grundgesetzes wieder aufzunehmen. Ich glaube, es wäre ein schwer- zur Vermeidung des Asylrechtsmißbrauchs und zur wiegender Fehler, wenn wir dies täten. Dieser Asyl- Sicherung des Rechts auf politisches Asyl festgestellt. kompromiß ist, so wie er gefunden wurde, ein taugli- Entsprechende politische Initiativen meiner Fraktion ches Instrument, um die Flüchtlingsströme nach sind seitdem von der politischen Opposition, deren Deutschland wirksam zu kontrollieren. Es könnte uns Zustimmung für eine Änderung des Grundgesetzes nichts Schlimmeres passieren, als einen Asylkompro- bekanntermaßen erforderlich ist, abgeblockt wor- miß zu verabschieden, von dem unsere Bevölkerung den. glaubt, er könne das Problem lösen, der es im Ergebnis (Beifall bei der CDU/CSU) aber nicht tut. Nachdem die Situation im Laufe der Zeit — die Zahlen Würden wir in dieser wesentlichen Frage des einst- habe ich genannt — immer unerträglicher wurde und weiligen Rechtsschutzes eine Öffnungsklausel ein- mit einer weiteren Verschärfung der Entwicklung zu bauen, so hätte dies zur Konsequenz, daß wir nicht nur rechnen war, sah sich meine Fraktion deshalb genö- eine Hintertür, sondern regelrecht ein Scheunentor tigt, Anfang 1992 im Alleingang mit einem eigenen schaffen würden, durch das der Mißbrauch schlagar- Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes im tig wieder möglich würde. Parlament vorstellig zu werden. Auch dieser Gesetz- (Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ entwurf ist trotz der dramatischen Entwicklung von CSU]: Sehr wahr!) der Opposition zunächst einmal pauschal verworfen worden. Es bedurfte noch vieler weiterer Monate, So würde der Konsens zum Nonsens und die ohnehin einer weiteren Verschärfung der Situation, mehrerer angeschlagene Glaubwürdigkeit der Politik in unse- SPD-Bundesparteitage, zähester Verhandlungen und rem Lande weiter substantiell getroffen. Deshalb muß — ich sage auch dies ganz deutlich — des Drucks auf solche Regelungsinstrumente verzichtet und das 13574 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Klaus-Heiner Lehne in sich schlüssige System dieses Asylkompromisses wendiger Schritt, um ein Handlungsinstrumentarium durchgehalten werden. zu schaffen, mit dem die Zuwanderung nach Deutsch- Ich bitte Sie um Zustimmung zu dem gemeinsamen- land besser gesteuert, ich will hier auch deutlich Gesetzentwurf der Fraktionen. sagen: mit dem die Zuwanderung spürbar verringert werden kann. Danke schön. Das Grundgesetz hat in unserem Land mit Recht (Beifall bei der CDU/CSU) einen besonderen Rang. Ein Grundrecht zu ändern darf niemanden gleichgültig lassen. Ich wi ll hier Vizepräsident Hans Klein: Als nächstem erteile ich deutlich sagen: Ich bin stolz darauf, Mitglied einer unserem Kollegen Dieter Wiefelspütz das Wort. Fraktion, Mitglied einer Partei zu sein, die sich das verdammt schwermacht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dieter Wiefelspütz (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen Debatte Dies ist Ausdruck einer Rechtsgesinnung, die die mit den heutigen Entscheidungen versucht der Bun- Grundlage unserer Bundesrepublik ist. Ich frage mich, destag, eine langerwartete Antwort auf drängende welches Rechtsbewußtsein diejenigen haben, die lok- Fragen im Bereich von Asyl und Zuwanderung zu ker vom Hocker bereit sind, ein Grundrecht beiseite geben. zu räumen. Ich will an dieser Stelle zum Ausdruck bringen, daß (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zuruf ich mich über das Selbstbewußtsein — oder soll ich von der CDU/CSU: Wer will das denn?) sagen: die Selbstherrlichkeit? — mancher Kollegen Ich denke, es ehrt jeden, der sich die Entscheidung und Diskussionsteilnehmer wundere, die schon schwermacht, und es ehrt jeden, dem sie Gewissens- immer gewußt haben, wie man das zu machen hat. qualen bereitet. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich habe einen großen Respekt vor dem, der nach Wir wissen doch im Grunde alle: Wir haben ein langer Diskussion sagt: Ich kann einer Grundgesetz- säkulares Ereignis, ein Jahrhundertereignis, mit dem änderung im Bereich des Art. 16 meine Stimme nicht Niedergang des realen Sozialismus in Osteuropa, mit geben. Das ist nicht meine Auffassung, aber der der Aufhebung der Teilung Europas, mit der Aufhe- Respekt gebührt den Kollegen und Kolleginnen, die bung der Teilung Deutschlands. das so sehen. Die großen sozialen, politischen, kulturellen und Wegen tiefgreifend veränderter Verhältnisse muß ethnischen Widersprüche in den Regionen Osteuro- nach meiner Überzeugung unser Asyl- und Flücht- pas und Südosteuropas haben zu Wanderungsbewe- lingsrecht geändert werden. gungen geführt, seitdem die eiserne Klammer, der Ich will hier allerdings nochmals darauf hinweisen eiserne Deckel des realen Sozialismus nicht mehr auf — ich habe das mehrfach getan —, daß nicht die diesen Regionen lastet. Diese Wanderungsbewegun- 25 000 Menschen, die jährlich als nachweislich poli- gen kennen wir seit zwei, drei Jahren. Sie werden tisch Verfolgte anerkannt werden, ein Problem in möglicherweise weiter anwachsen. Wir werden die Deutschland darstellen könnten. Wir könnten in unse- Probleme weiterhin haben. rem Lande eher mehr politisch Verfolgten Schutz und Nun, wer glaubt, schon in den 80er Jahren Grund Zuflucht gewähren. für Verfassungsänderungen gehabt zu haben, weiß Nein, nicht die politisch Verfolgten sind das Pro- meines Erachtens nicht, wovon er redet. blem, sondern es ist die urgesteuerte, gegenwärtig (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des zahlenmäßig zu große Zuwanderung nach Deutsch- Abg. Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]) land. Das Grundrecht auf Asyl wird inzwischen hun- Alle Fachleute — da will ich Herrn Irmer ausdrücklich derttausendfach als Einwanderungsrecht oder Ein- recht geben, der das hier betont hat — wissen, daß dies reiserecht nach Deutschl and genutzt. Dies wird auf alles mit einer konsequenten Beschleunigung bis zum Dauer nicht zu halten sein. Jahre 1989 zu machen gewesen wäre. Über den Inhalt und die Wirkungsweise des Grund- Wir haben heute eine andere Lage; das sollten wir rechts auf Asyl herrscht vielfach Unkenntnis. Die ehrlich bekennen. Wir müssen allerdings dieser Voraussetzungen, die vorliegen müssen, damit m an in gewandelten Lage Rechnung tragen und versuchen, Deutschland als politisch Verfolgter anerkannt wer- auf diese durchgreifend gewandelte Lage auch Ant- den kann, sind durchaus streng, sehr streng. Sie sind worten zu finden. so streng wie in Frankreich, in den Niederlanden oder in Dänemark. Wir anerkennen nur 20 000 oder 25 000 Wir ändern heute ein Grundrecht, indem wir es spürbar einschränken. Auch hier gebietet es die politisch Verfolgte im Jahr, obwohl fast 500 000 Men- Ehrlichkeit, daß wir das deutlich sagen und nicht so schen kommen. tun, als würde die Welt nach diesem Tag die gleiche Unser Grundrecht auf Asyl verspricht aber einen sein. völlig schrankenlosen Zutritt zum Gebiet der Bundes- Die Kompromißstruktur des Gesetzespaketes, das republik Deutschland. Allein und nicht mehr als das wir heute beschließen wollen, ist leicht zu erkennen. Stichwort Asyl genügt, um den Zutritt, ein Bleiberecht Die Widersprüche und Unvollkommenheiten, auch bis zur ersten Gerichtsentscheidung und eine notwen- das Halbherzige sind unschwer auszumachen. dige Alimentation beanspruchen zu können. Gleichwohl ist nach meiner Überzeugung dieses Im Klartext und mit schonungsloser Ehrlichkeit: Gesetzeswerk ein unverzichtbarer, ein dringend not Dieses gutgemeinte Versprechen der Verfassung kön- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13575

Dieter Wiefelspütz nen und wollen wir nicht einlösen angesichts funda- lingskonvention. Wir brauchen eine verbesserte euro- mental veränderter Verhältnisse in Europa und in der päische Gerichtsbarkeit in diesem Bereich. Wir brau- Welt. Vor allem, weil unsere Verfassung nicht mehr chen dringend Zuwanderungsquoten, damit eine versprechen darf, als wir halten können oder- halten gerechte, faire Lastenverteilung im reichen europäi- wollen, weil insbesondere das Grundgesetz glaub- schen Westen sichergestellt werden kann. würdig bleiben muß, muß das Grundrecht auf Asyl Lassen Sie mich hier einmal einen Gedanken anfüh- verändert werden. Der Feind des Guten ist das ledig- ren. Wenn es richtig ist, liebe Kolleginnen und Kolle- lich Gutgemeinte. gen, daß die Roma vielleicht gar nicht in Rumänien Ich will hier darauf aufmerksam machen, liebe oder in Jugoslawien, sondern in ganz Europa zu Kolleginnen und Kollegen, daß wir den Stellenwert Hause sind, müßten wir uns dann nicht einmal über- der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäi- legen — ich habe da noch keine perfekten Antworten, schen Menschenrechtskonvention nicht geringschät- wie könnte ich —, einen europäischen Status für diese zen sollten. Auch dies ist gelegentlich hier heute schon Menschen zu schaffen? erwähnt worden. Diese beiden Konventionen schüt- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) zen mehr Menschen als das Grundrecht auf Asyl. Das Wäre es nicht einen Versuch wert, einmal darüber wird vielfach verkannt. Diese beiden Konventionen nachzudenken, ob das gelingen kann? sind nach meiner festen Überzeugung der Kern des Ich will deutlich sagen, daß wir, die SPD-Fraktion, europäischen Flüchtlingsrechts der Gegenwart und der Zukunft. uns in dem Kompromiß nur zu einem Teil wiederer- kennen. Ich denke, es ist ein besonders großer M an (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des tion der in-gel, daß wir zuwenig für die Integra Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.]) Deutschland lebenden Ausländer tun. Dies ist ausbaufähig und muß ausgebaut werden. Wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD) müssen die Bundesregierung auffordern, dazu beizu- Da gibt es viele, viele Möglichkeiten. Wir sind nicht tragen, daß daraus mehr Inhalt wird, mehr Verfah- auf der Höhe unserer Möglichkeiten. Eines der S tich- rensgarantie. Wir brauchen eine Stärkung der euro- worte heißt: Hinnahme der doppelten Staatsangehö- päischen Gerichtsbarkeit, damit solche Dinge wie in rigkeit. Sogar der Bundeskanzler scheint inzwischen Italien nicht sanktionslos geschehen können, damit ja in eine vernünftige Richtung auf die Reise gegan- wir Sicherheit in der Rechtsanwendung haben. Da gen zu sein. Wir begrüßen das. Das sollte m an gibt es einiges zu tun. Bitte lassen Sie uns diese durchaus prüfen. Wir haben Gesetzentwürfe dazu Konventionen nicht unterschätzen. Sie bleiben unver- vorgelegt. Dazu gehört auch das kommunale Auslän- ändert, sie sind das Rückgrat unseres europäischen derwahlrecht für alle Ausländer, nicht nur für die Flüchtlingsrechts. EG-Ausländer. Ich denke, der Asylkompromiß in seiner nicht zu übersehenden Widersprüchlichkeit eröffnet durchaus Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Wiefels- Perspektiven. Seitdem wir diesen Asylkompromiß in pütz, Sie sind schon ein gutes Stück über Ihre Rede- Deutschland diskutieren, sind unsere Nachbarn im zeit. Osten bereit, mit uns über das zu reden, was heute, morgen und in der Zukunft geschehen könnte. Die ersten Schritte sind eingeleitet. Wir sollten nicht Dieter Wiefelspütz (SPD): Ja, ich komme zum klüger sein als die polnische Regierung, wenn es um Schluß, obwohl uns alle das Thema sehr bewegt. die Bewertung des deutsch-polnischen Vertrages geht. Ich denke, das ist ein fairer Vertrag. Er ist ausgewogen, er ist ein Modell für weitere Verabre- Vizepräsident Hans Klein: Ja, aber das wird dem dungen, die ge troffen werden müssen. Er ist ein Kollegen Waltemathe von der Redezeit abgezogen. wichtiger Anfang. Wir stecken — und das ist das Widersprüchliche Dieter Wiefelspütz (SPD): Ich will dem Kollegen unserer Politik — immer noch in der Phase, die sich Waltemathe keine Redezeit wegnehmen, weil er eine folgendermaßen kennzeichnen läßt: Wir versuchen, wichtige Rede zu halten hat. auf eine große internationale Herausforderung — Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns denn das ist diese Wanderungsbewegung — immer gemeinsam den Versuch unternehmen, mit dem uns noch mit völlig unvollkommenen nationalen Mitteln alle sehr bewegenden Problem der Zuwanderung und zu reagieren. Das wird bestenfalls zu Teilerfolgen des Asyls verantwortungsbewußt umzugehen, führen. Deswegen müssen wir die europäische Karte viel, viel stärker in den Vordergrund spielen. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Trotzdem müssen wir heute abstimmen!) Es wird nicht möglich sein, zu erträglichen Bedin- und zwar verantwortungsbewußter, als es in der gungen mit dieser Wanderungsbewegung hum an, Vergangenheit der Fall war. Der Asylkompromiß ist, vernünftig und zukunftsweisend umzugehen, wenn wie ich finde, eine geeignete und durchaus solide es nicht gelingt, die Europäische Gemeinschaft dazu Grundlage; er ist ein erster Schritt in die richtige zu bringen, daß endlich mehr Solidarität, mehr Richtung. gemeinsame Konzeption im Zusammenhang mit den Wanderungsbewegungen in Europa Geltung und Herzlichen D ank für Ihre Aufmerksamkeit. Anwendung finden. Es gibt da eine Reihe von Mög- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lichkeiten: Wir brauchen eine europäische Flücht der F.D.P.) 13576 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile der Bundesmi- tiefster Überzeugung wollen — auch in Erinnerung an nisterin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenber- unsere Geschichte — und dessen Einschränkungen ger, das Wort. wir nun mittragen. Wir reden hier aber nicht über eine Abschaffung des Grundrechts auf Asyl für politisch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesmi- Verfolgte. nisterin der Justiz: Herr Präsident! Meine Damen und Die Forderung, Verfahren schnell abzuschließen, Herren! Wir ringen um einen Weg, unseren humani- gilt in besonderer Weise bei Asylbewerbern, deren tären Vorstellungen, politisch Verfolgten, Menschen Antrag offensichtlich unbegründet ist. Eine gestei- in Hunger und Not zu helfen, nachzukommen. Wir tun gerte Mitwirkungspflicht des Asylsuchenden ist nicht dies auch in der heutigen Debatte, und zwar sehr nur zumutbar, sondern auch gerecht, geht es doch sachlich und, so meine ich, auch verantwortungsbe- darum, daß der Ausländer ein Recht in Anspruch wußt. nehmen will. Dem entspricht die Pflicht, die Voraus- Wir sollten die Gelegenheit nutzen, mögliche Äng- setzungen dieses Anspruches darzulegen und im ste und Unsicherheiten der Bürgerinnen und Bürger Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten am Verfah- mit dieser Debatte abbauen zu helfen. Dazu gehört ren mitzuwirken. auch ein verantwortungsbewußter Umgang mit unse- (Beifall bei der F.D.P.) rer Sprache, mit Begriffen wie — sie sind heute auch schon gefallen — „Wirtschaftsschmarotzer", „Miß- Lassen Sie mich noch einige Worte zu den Vorschrif- brauchsasylanten". Es wird das drohende Bild einer ten über das gerichtliche Verfahren sagen, die heute Überfremdung in Deutschland, das ja nicht zutrifft, hier noch nicht besonders im Mittelpunkt der Debatte gemalt. Wir sind eine pluralistische Gesellschaft in standen: Die ursprünglichen Vorschläge sind teil- einer repräsentativen Demokratie, und wir sind stolz weise auf massive Ablehnung — insbesondere in der darauf. Expertenanhörung — gestoßen. Wir haben die Kritik (Beifall bei der F.D.P.) sehr ernst genommen und die Entwürfe während des Gesetzgebungsverfahrens in einer Reihe von Punkten Wir waren uns bei den langen Beratungen über den geändert. Aber bei allem Verständnis für die beson- Kompromiß trotz unterschiedlicher Ausgangsvorstel- ders auch von Richtern vorgetragene Kritik an den lungen darüber einig, daß angesichts der ständig Änderungen der prozessualen Vorschriften: Bei rein wachsenden Zahl der Asylbewerber eine Änderung kosmetischen Korrekturen im Prozeßrecht konnte es des bisherigen Asylrechts notwendig ist. An dieser nicht bleiben. 4,2 Monate durchschnittliche Verfah- Situation hat sich auch nach dem 6. Dezember letzten rensdauer für die Erledigung von Verfahren des Jahres nichts geändert. Dies zeigt ein Blick auf die vorläufigen Rechtschutzes sind nicht akzeptabel. monatliche Asylstatistik. Aber ein Versagen deut- Unverzichtbar ist deshalb vor allem der verstärkte scher Politik in den letzten 15 Jahren liegt nicht vor. Einzelrichtereinsatz, der nach unseren Erkenntnissen Ich glaube, auch gegenseitige Schuldzuweisungen in aller Regel auch zu einer schnelleren Erledigung führen nicht zu mehr Akzeptanz hinsichtlich der von Verfahren beiträgt. In Verfahren des vorläufigen Regelungen, über die wir jetzt beraten. Rechtschutzes soll die Kammerentscheidung der Aus- (Beifall bei der F.D.P.) nahmefall werden. Ich stehe zu dem am 6. Dezember geschlossenen Weiter werden die gerichtsverfassungsrechtlichen Kompromiß, auch wenn mir — ich habe nie ein Hehl Voraussetzungen dafür geschaffen, daß gerichtliche daraus gemacht — die Zustimmung zu einzelnen Asylverfahren ortsnah durchgeführt und von Richtern Punkten der Gesetzentwürfe nicht leichtgefallen ist. entschieden werden, die zumindest überwiegend mit Aber es liegt im Wesen eines Kompromisses, daß jede diesen Sachen befaßt sind. Auch der Asylbewerber Seite Zugeständnisse macht und auch Abstriche von wird stärker in die Pflicht genommen. Die sehr hohen ihren bisherigen Positionen hinnehmen muß. Ich sage Prüfungsanforderungen an das Ge richt sollen auf der dies im Hinblick auf die Regelung über die sicheren Grundlage des hier zur Beratung stehenden Art. 16 a und den damit verbundenen Drittstaaten Ausschluß GG auf ein vernünftiges Maß reduziert werden. des vorläufigen Rechtsschutzes im Inland. Ich habe Verständnis für diejenigen, die sich mit der Mit dem Rechtsbehelf gewonnene zusätzliche vier Zustimmung schwertun, und ich respektiere ihr Rin- Monate Bleiberecht sind ein verständlicher — aller- gen um eine faire, tragbare Regelung. Dennoch: Der dings nicht schützenswerter — Anreiz, von ihm auch Kompromiß verdient in seiner Gesamtheit Zustim- in offensichtlich unbegründeten Fällen Gebrauch zu mung. Ich bitte die Andersdenkenden, dies auch zu machen. Wenn es gelingt, diese Zeit erheblich zu respektieren. verkürzen, was ich hoffe, verlieren auch die entspre- chenden Anträge an Attraktivität, und dann kann die Der Bürger erwartet vom Parlament zu Recht Ent- Zahl der Verfahren und die Belastung der Ge richte scheidungen und Regelungen, die eine schnellere spürbar vermindert werden. und effektivere Durchführung der Asylverfahren gewährleisten. Es wäre deshalb zum jetzigen Zeit- Die Durchführung der neuen Gesetze wird erhebli- punkt nicht vertretbar, den Kompromiß als Gesamtpa- che Anstrengungen von Bund und Ländern, gerade ket an Bedenken gegen einzelne Punkte scheitern zu was das gerichtliche Verfahren angeht, erfordern. Es lassen, um so mehr, als dann auch wieder das gefähr- kann nicht richtig sein, im Verfahrensrecht immer det würde, was aus meiner Sicht und auch nach wieder die Frage zu stellen: Wie weit kann der Auffassung der meisten Beteiligten des Parteienkom- Gesetzgeber bei dem durch die Verfassung vorgege- promisses bewahrt werden muß, nämlich das Grund- benen Rahmen noch gehen, wenn sich bei Gericht recht des politisch Verfolgten auf Asyl, das wir aus — aus welchen Gründen auch immer — die Akten Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13577

Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger stapeln? Hier müssen gerade von den Ländern die versucht sein könnten, einem dubiosen Zeitgeist zu organisatorischen, personellen und sächlichen Vor- folgen und aus angeblich zwingenden sachlichen Gründen verfassungsrechtlich garantierte Grundre- aussetzungen geschaffen werden. Besonders- gefor- dert — ich sage das hier ganz bewußt — sind auch die geln über Bord zu werfen: Richterinnen und Richter, die die neuen Bestimmun- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gen anwenden müssen, auch wenn sie derzeit mit ihnen nicht in vollem Umfang einverstanden sind; heute das individuelle Schutzrecht für politisch Ver- denn sie tragen eine ganz besondere Verantwortung. folgte, morgen das Recht auf Unverletzlichkeit der Ich glaube, wir haben eine gute Chance, damit zu Wohnung. Wer weiß, was danach kommt. In der alten einer Verkürzung und Vereinfachung der Asylverfah- Bundesrepublik, also im westlichen Teil unseres Lan ren zu gelangen und dahin zu kommen, daß den -des, wurden diejenigen als Verfassungsfeinde titu- politisch Verfolgten auch tatsächlich Asyl in Deutsch- liert, die nicht zu den Werten unserer freiheitlich land gewährt werden kann. demokratischen Grundordnung standen, zu der ja wohl in erster Linie die in den Art. 1 bis 20 des Lassen Sie mich zum Schluß noch sagen: Eine Grundgesetzes festgeschriebenen Grundrechte gehö- Neuregelung des Asylrechts allein wird die generelle ren. Zuwanderungsproblematik nicht beseitigen. Das ist hier schon mehrmals angesprochen worden. Im damaligen innenpolitischen Kampf um Mehrhei- Die vielfältigen Probleme im Zusammenhang mit ten wurde beschworen, die Bundesrepublik Deutsch- der weltweiten Flüchtlingsbewegung — ca. 17 Millio- land habe die beste Verfassung, die es jemals auf nen Menschen sind auf der Wanderung von ihrem deutschem Boden gegeben habe. Heimatland in ein anderes, und zusätzlich sind über (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) 20 Millionen Menschen in ihrem Heimatland auf der Heute aber wird suggeriert: Wer die Verfassung nicht Flucht — lassen sich nicht allein mit den Mitteln des ändern will, der gefährdet Konsens und Mehrhei- Asylrechts lösen. Deshalb nützt es auf Dauer wenig, wenn wir die tatsächlich vorhandene Zuwanderungs- ten. problematik auf die Frage des Asylrechts reduzieren Vielleicht müssen wir ja die Worte vom alten Kaiser und uns durch immer neue Gesetzesänderungen in Wilhelm neu interpretieren: diesem Bereich zu schützen versuchen. Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Wir brauchen vielmehr ein umfassendes Konzept noch Deutsche. der Zuwanderungssteuerung und -begrenzung. Ich teile die Auffassung des Herrn Wiefelspütz voll, daß Für die gilt dann: Die Würde der Menschen ist unantastbar, für andere nur noch ein ganz kleines das in eine gemeinsame europäische Regelung ein- bißchen. Wer in der Asyldebatte dem Zeitgeist folgt, gebunden sein muß. Dazu gehört auch die Bekämp- fung der Fluchtursachen durch gezielte Hilfen in den der will in Wahrheit eine andere Republik, und das ist Herkunftsländern. All das können wir allein nicht eine schlechtere. leisten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) SPD) Es muß wohl so gewesen sein, daß die Frauen und Die Parteienvereinbarung vom 6. Dezember des Männer des Parlamentarischen Rates noch in der vergangenen Jahres erwähnt auch diesen Punkt und frischen Erinnerung an den Mißbrauch von Idealen, weist in diese Richtung. Es gilt nun, nach Beratung an Unterdrückung, Verfolgung, Entrechtung, staatli- und Verabschiedung des Asylpakets auch diese chen Mord und Krieg standen und daraus die Konse- Dinge zügig in Angriff zu nehmen und nicht auf die quenz zogen, Vorsorge für ein starkes, demokrati- lange Bank zu schieben. sches und grundwertorientiertes Grundgesetz zu tref- Vielen Dank. fen. Dieses Grundgesetz war nicht nur für Schönwet- terlagen gedacht. Seine Bewährungsprobe hat es jetzt (Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei zu bestehen, in einer Zeit des Umbruchs der Welt — Abgeordneten der CDU/CSU) und auch der Werteordnung. Probleme, die wir heute haben, müssen deshalb im Geiste der freiheitlichen Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat unser Kol- Demokratie und unter Wahrung des Grundgesetzes lege Ernst Waltemathe. gelöst werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ernst Waltemathe (SPD): Herr Präsident! Meine DIE GRÜNEN) sehr verehrten Damen und Herren! Ist Deutschland Meine Damen und Herren, im Herbst vergangenen inzwischen wirklich schon in so schlechter Verfas- Jahres hat hier in diesem Saal eine Debatte des sung, daß wir dieselbe in ihren Grundrechten abän- Bundestages über das Schicksal von Walter Benjamin dern oder gar abschaffen müssen? Haben uns die stattgefunden, der sich am 26. September 1940 im Frauen und Männer des Parlamentarischen Rates französisch-spanischen Grenzort Port Bou das Leben 1949 in Zeiten größter Not wirklich ein Grundgesetz genommen hatte, als es für ihn keine Aussicht gab, aus vorgeschlagen, das in seinen wesentlichen Festlegun- dem unsicher gewordenen Drittland eine sichere gen nicht mehr haltbar ist? Zuflucht vor der Naziverfolgung zu finden. Für andere Das, meine Damen und Herren, sind weder rhetori- Verfolgte konnte es manchmal lebensrettend sein, sche noch gar polemisch gemeinte Fragestellungen, gefälschte Papiere zu haben, um aus dem L and sondern das ist mein Ausdruck der Besorgnis, daß wir herauszukommen und in ein anderes hineinzukom- 13578 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Ernst Waltemathe men. Es mag ja sein — und das ist kein Vorwurf, weil Erstens. Der seinerzeitige Bundesminister des es auch kein Vorzug derjenigen ist, bei denen es Innern, Schäuble, forderte 1991, an Art. 16 Abs. 2 anders ist —, daß es nur noch wenige Abgeordnete Satz 2 einen Satz 3 anzuhängen: „Das Nähere regelt - gibt, die persönlich wissen, was Verfolgung wirklich ein Bundesgesetz." oder: „Das Nähere regeln die bedeutet. Jedenfalls hätten in den 40er Jahren mehr Bundesgesetze." Die SPD lehnte das ab. Aber statt Menschen in Europa gerettet werden können, wenn dessen wurde am 10. Oktober 1991 eine Novelle zum europäische und außereuropäische Staaten nicht Asylverfahrensgesetz vereinbart, die im Juni 1992 fast bürokratisch und hartherzig gewesen wären. einmütig verabschiedet wurde, deren Inkrafttreten aber gar nicht erst abgewartet worden ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Zweitens. Schon im Anschluß an den Kompromiß F.D.P.) vom 10. Oktober 1991 forderte die CDU/CSU, es sollten Länderlisten sogenannter sicherer Drittstaaten Und, meine Damen und Herren: Die, die entkommen eingeführt werden. „Undenkbar", sagte u. a. auch die konnten, sind wie auch ich nach wie vor dankbar SPD. Ich habe allerdings heute morgen im Deutsch- dafür, daß es in sehr vielen Zufluchtsländern namen- landfunk auch Herrn Kinkel als damaligen Justizmi- lose Heldinnen und Helden gab, die unter Eingehung nister im O-Ton gehört. eigener Gefahr fremdes Menschenleben vor dem Zugriff staatlich befohlener Folterer und Mörder Drittens. Die SPD bot an, das Staatsangehörigkeits- gerettet haben. recht neu zu regeln, für deutschstämmige Aussiedler eine Gesetzesregelung mit Zuzugsbeschränkung zu (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. F ried vereinbaren und ein Kriegsflüchtlingsrecht zu schaf- bert Pflüger [CDU/CSU]) fen. Mit diesen Vorstellungen hat sie sich aber nur Menschlichkeit verlangt nach Zivilcourage und nicht teilweise durchgesetzt. A lle, die die jetzige Grundge- nach feigem Egoismus. setzänderung mittragen wollen, sind verpflichtet, dar- zulegen, was sich eigentlich an den Zuwanderungs- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) zahlen konkret ändern wird und welche Ausrede sie Vor diesen Hintergründen ist unser Asylrecht zu bringen werden, wenn das zahlenmäßig nicht allzu- sehen. Die vier schlichten Worte „Politisch Verfolgte viel ist. Denn noch einmal kann m an ja das Grundge- genießen Asylrecht" bedeuten auch, daß politisch setz in diesem Punkt nicht ändern, wenn man die nicht Verfolgte keinen individuellen Anspruch auf Regelungen heute praktisch abschafft. Asylgewährung haben. Das heißt, wir haben die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS politische Pflicht, Gesetze für diejenigen zu machen, 90/DIE GRÜNEN) die nicht politisch Verfolgte im Sinne des Asylrechts sind. Diejenigen aber, die — wie ich — diese Grundge- setzänderung nicht mittragen, sondern hoffen, daß sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hier keine Zweidrittelmehrheit bekommt, sind nicht des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) etwa Boykotteure, die die Probleme nicht sehen

Da es an solchen Gesetzen mangelt oder gemangelt wollen. Wenn das zusammenwachsende EG - Europa hat, ist den Zuwanderern doch nicht der Vorwurf zu — das sage ich nun wirklich für mich — mit einem machen, daß sie „Asyl" rufen, um vorläufig aufge- Grundrecht auf Gewährung von Asyl für Verfolgte nommen zu werden. Der Vorwurf richtet sich gegen zusammenhängende Regelungen als übergeordnetes uns, wenn ein Grundrecht massenhaft mißbraucht Recht schafft, mag der bisherige Art. 16 Abs. 2 Satz 2 werden kann. Die Konsequenz von Mißbrauch kann um einen entsprechenden Passus ergänzt werden. aber gerade nicht heißen, dann das ganze Grundrecht Auch ich bin nicht dafür, daß jemand einen Anspruch abzuschaffen. geltend machen kann, für den rechtskräftig in einem Schengen-Dublin-Staat festgestellt wurde, er sei gar (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ kein Verfolgter. Dies läßt sich regeln, ohne gleich das DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Grundgesetz in diesem Teil abzuschaffen. F.D.P.) (Zustimmung bei der SPD — Siegf ried Hor Dabei, meine Damen und Herren, bezweifelt nie- nung [CDU/CSU]: Wer schafft es denn ab?) mand, daß wir zu hohe Zuwandererzahlen haben und daß davon viele Menschen sich eben nicht auf politi- Ich hätte auch keine Probleme damit, Asylbewer- sche Verfolgung berufen können. bern für den kurzen Zeitraum der Prüfung, der behördlichen Bescheidung und der richterlichen Die Parteien sollen an der politischen Willensbil- Überprüfung Brot, Bett und Bad, also Naturalleistun- dung des Volkes mitwirken. In Wahrheit haben sie gen, zu gewähren — wie dies die Niederländer mit mehr zur Vernebelung der Beg riffe beigetragen als einem härteren Zuwanderungsrecht tun, die aber zur Problemlösung. trotzdem einen Zuwanderungssaldo von 60 000 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS haben —, allerdings mit einer F rist für die Verwal- 90/DIE GRÜNEN) tungsentscheidung von bis zu zwei Monaten und So wird betont, die wirklich politisch Verfolgten sollen einem weiteren Monat für die richterliche Überprü- fung. nach wie vor einen individuellen Anspruch auf Asyl- recht behalten. Lediglich die CSU hat von einer Es ist für mich aber unerträglich, wenn nach dem sogenannten institutionellen Garantie gesprochen. Mehrheitswillen künftig erst gar nicht geprüft wird, ob Wie aber haben die anderen Parteien in den letzten jemand Verfolgter ist, sondern nur, von wo er einge- anderthalb Jahren reagiert? reist ist oder aus welchem sicheren Herkunftsland er Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13579

Ernst Waltemathe stammt. Daß Deutschland sich anmaßt, sozusagen von schicksalhafter Bedeutung ist; denn mit dem heutigen Verfassungs wegen festzulegen, welche Staaten die- Tage müssen wir beweisen, daß sich unsere Demo- ser Erde sicher und verfolgungsfrei sind, ist etwas kratie in Krisensituationen bewähren kann. Wir Abenteuerliches. Im Falle Chile hätte die deutsche Abgeordneten sind gefordert, durch Entscheidungs- Diplomatie bereits 1973/74 behauptet, Deutschland willen und durch Entscheidungsfähigkeit die uner- brauche keine Verfolgten von dort aufzunehmen, da träglichen Zustände im Schatten des Asylrechts zu sie entweder nicht verfolgt seien oder durch Flucht in begrenzen und den Mißbrauch dieses Grundrechts eine Botschaft bereits ein sicheres Drittland gefunden einzudämmen. Schaffen wir das nicht, sehr geehrte hätten. Allerdings blieb die deutsche Botschaft Kolleginnen und Kollegen, dann gnade diesem Lande zunächst geschlossen. Gott. Und ich wähle mit Bedacht diese Worte; denn ich bin davon überzeugt, dann wird es schrecklich wer- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Walte- den. mathe — — Am vergangenen Sonntag hatte das Grundgesetz seinen 44. Geburtstag. Ein Blick zurück in die Ernst Waltemathe (SPD): Ich komme zu meinem Entste- letzten Satz. hungsgeschichte dieses Gesetzeswerkes muß auch diejenigen nachdenklich machen, die sich bisher immer noch nicht dazu entschließen können, einer Vizepräsident Hans Klein: Aber vor dem letzten Satz Verdeutlichung des Art. 16 zuzustimmen. würde der Herr Kollege Köhler Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen. Wie sah es denn im Mai 1949 in diesem Lande tatsächlich aus? Die sozialen und die wi rtschaftlichen Ernst Waltemathe (SPD): Selbstverständlich beant- Bedingungen waren düster, und die Zukunftsper- worte ich die Zwischenfrage. spektiven waren ausgesprochen ungewiß. Ganze Städte lagen zu diesem Zeitpunkt noch in Schutt und Dr. Volkmar Köhler (Wolfsburg) (CDU/CSU): Herr Asche, und nur Unkraut hat in diesem Frühlingsmonat Kollege Waltemathe, nur im Interesse der historischen 1949 die Narben des Krieges gnädig verdeckt. Not, Wahrheit — Sie wissen, wie sehr ich sonst Ihre meine Damen und Herren, gab es landauf, landab in Auffassungen schätze —: Sie können sich doch noch Deutschland in Hülle und Fülle. Die Menschen im erinnern, daß im Januar und im Februar 1974 die Lande waren ausgemergelt von Kriegs- und von deutsche Residenz in Santiago de Chile bis unter das Hungerjahren. Dach mit Asilados gefüllt war? All das müssen wir uns heute in Erinnerung rufen, wenn wir über diesen Artikel entscheiden; denn Ernst Waltemathe (SPD): Herr Köhler, schönen genau unter diesen Rahmenbedingungen formulier- Dank. — Ich habe gesagt: Zunächst einmal war die ten und manifestierten die Schöpfer des Verfassungs- deutsche Botschaft geschlossen. Die schwedische und werkes ethische und juristische Normen als Grund- die niederländische Botschaft und auch andere Bot- lage für einen menschlicheren Staat als den, der zuvor schaften waren geöffnet. A lle, die sich dort aufhielten, bestanden hatte. befanden sich völkerrechtlich gesehen in einem siche- ren Drittland. Wir hätten gar keinen aufzunehmen „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" — so heißt brauchen. Nur darauf wollte ich hinweisen. es in Art. 16 Abs. 2. Und die bittere Erfahrung, daß Menschen, die unter der Ich bin ein Mensch, der keiner Religionsgemein- nationalsozialistischen Dik- schaft angehört, aber Respekt vor dem Glauben ande- tatur hier im Lande um Leib und Leben gebracht rer hat. Als Nichtreligiöser kann ich nicht beurteilen, wurden, weil sie woanders häufig keine Zuflucht ob diejenigen, die Verfolgung leiden, selig sind. Was finden konnten, schlug sich in diesem Grundrecht ich aber definitiv weiß, ist, daß Verfolgte unseres nieder. An Armutswanderer und an Wirtschafts- Schutzes und unseres Beistands bedürfen. flüchtlinge war mit Sicherheit damals nicht gedacht, ja, daran konnte überhaupt nicht gedacht sein, denn (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Armut und Elend gab es in Deutschland von Nord bis DIE GRÜNEN) Süd, von Ost bis West. Die hier zur Abstimmung gestellte Grundgesetzän- derung ist ein Rückschritt in eine gewisse Rechtlosig- Mit dem wachsenden Wohlstand Deutschlands keit wirklich politisch verfolgter Menschen. Dafür ist stieg die Zahl derer, die sich unter dem Vorwand der meine Stimme allerdings nicht zu haben. Asylbedürftigkeit den Weg hierher erschlichen haben, von Jahr zu Jahr dramatischer an. Und all Vielen Dank. diejenigen, die trotz der erschreckenden Entwicklung (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ auch heute immer noch Zweifel daran haben, ob das DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Burkhard Grundgesetz in dieser Frage geändert werden dürfe, Hirsch [F.D.P.] und Dr. Uwe-Jens Heuer mögen sich doch selbst einmal folgende Fragen vor- [PDS/Linke Liste]) legen:

Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Erika Erstens. Ist denn die Verfassungsinterpretation des Steinbach-Hermann, Sie haben das Wo rt. Art. 16 von den Verfassungsvätern und -müttern so überhaupt vorausgesehen und auch gewollt gewe- sen? Erika Steinbach-Hermann (CDU/CSU): Herr Präsi- dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute Zweitens. Würde der Parlamentarische Rat vor dem haben wir eine Entscheidung zu treffen, die für die Hintergrund der heutigen Situation eine Formulie- Zukunft unseres demokratischen Vaterlandes von rung wie die vorliegende so — genau so und nicht 13580 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Erika Steinbach-Hermann anders — wieder beschließen und in die Verfassung schon früher dazu entschließen können, unserem aufnehmen? Land — — - Als dritte Frage legen Sie sich bitte vor: Hätten die (Unruhe im Saal — Glocke des Präsiden Väter und Mütter des Grundgesetzes gewollt, daß ten) Art. 16 GG als Umgehungstor für unsere gesetzlichen Zuwanderungsbeschränkungen mißbraucht wird? Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, darf ich Sie eine Sekunde unterbrechen. — Meine Damen und Ich sage Ihnen, alle drei Fragen sind mit Nein zu Herren, es gibt eine Form der Unruhe — ich habe das beantworten. Die dramatisch wachsenden Wande- schon oft gesagt —, die den Redner unter Umständen rungsströme nach Deutschland unter dem Vorwand sogar beflügelt. Aber es gibt auch eine Form der der Asylbedürftigkeit bringen unseren Landfrieden Unruhe, die Desinteresse zeigt und aus unzähligen mehr und mehr in Gefahr. Die Ängste und die Aggres- kleinen Gesprächen besteht; der drohen wir im sionen nehmen zu, und unser friedliches Zusammen- Augenblick zum Opfer zu fallen. Ich bitte Sie, der leben mit Ausländern wird Stück um Stück unter- Rednerin Aufmerksamkeit zu schenken. höhlt. Bitte, fahren Sie fo rt. Wir als Volksvertreter tragen eine ganz besondere Verantwortung dafür, die Ursachen zu beseitigen. Erika Steinbach-Hermann (CDU/CSU): Hätten Sie sich, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schon früher dazu entschließen können, unserem 80 % aller in Europa Asyl Suchenden kommen nach Lande wäre manches Bittere erspart geblieben. Deutschland. Das hat wirtschaftliche Gründe. Unsere Und eines ist für mich wie auch für viele Bürger Leistungen sind einfach die üppigsten, und das ent- bedrückend, zu sehen: Nicht wenige Kollegen des faltet magnetische Anziehungskraft. Deshalb ist es Hauses kümmern sich sehr engagiert und ganz rüh- folgerichtig, auch hier einzuschneiden. rend um das Wohlergehen anderer Länder und Men- schen anderer Länder im Zusammenhang mit der Glücklicherweise sind wir nicht das einzige Land Asylfrage. Das Wohl des eigenen Landes, das Wohl auf dieser Erde, das sich Menschenrechtsnormen der eigenen Bürger aber wird von ihnen kalten verpflichtet fühlt und sich durch Verträge entspre- Herzens ignoriert. chend gebunden hat. Auch in anderen Ländern wer- (Widerspruch bei der SPD) den Asylbewerber menschenwürdig behandelt, und deshalb ist mir die Diskussion um sichere Drittstaaten Ich sage Ihnen: Das wird ungute Früchte tragen! — irgend jemand nannte Belgien — oder sichere Wer so denkt und wer so handelt, der vergißt, daß nur Herkunftsstaaten — Indien z. B. wird in Zweifel ein im Inneren stabiles Deutschland auch Hilfe nach gestellt — völlig unverständlich. Sie ist schlicht über- außen leisten kann. heblich — anders kann ich es nicht empfinden—, oder (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der sie ist ein Vorwand für die Entscheidungsverweige- CDU/CSU: Die Wahrheit wollen die nicht rung. hören!) Wer Deutschland vor politischen Verwerfungen Meine Damen und Herren, keiner, dem die Zukunft und das Wohl Deutschlands am Herzen liegen, kann ungeahnten Ausmaßes bewahren will, der muß bereit sein, sich in dieser Frage unabdingbar erforderlichen es verantworten, unser Land und unsere Bürger in dieser Frage noch länger völlig unzumutbar zu über- Lösungen nicht zu verschließen. fordern. Wir dürfen auch nicht länger machtlos zuse- Ich appelliere an alle, die sich noch nicht entschei- hen, wie kriminelle Schlepper und Schlepperbanden den konnten — nein, ich appelliere nicht, ich an wirtschaftlicher Not anderer fürstlich verdienen. beschwöre alle —: Stimmen Sie dem Asylkompromiß zu! Wir stehen an einem dramatischen Scheideweg für (Beifall bei der CDU/CSU) unser demokratisches Deutschland. Dem ist nur mit einer Gesetzesänderung der Nähr- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) boden zu entziehen. CDU und CSU wollen das seit langem. Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kollege Dr. Uwe-Jens Heuer. Wir müssen unser Asylrecht wieder handhabbar machen; Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS/Linke Liste): Herr Präsi- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr dent! Meine Damen und Herren! Ich finde es nicht gut wahr!) für die Atmosphäre dieses Hauses, die heute mehrfach beschworen wurde, daß meine Vorrednerin ihre Rede denn nur so ist es in seiner Substanz überhaupt zu mit den Worten begonnen hat: Gnade uns Gott, wenn erhalten. Seien Sie sich, meine Damen und Herren, eine andere Ansicht hier heute durchkommt als die bitte dessen ganz genau und sorgfältig bewußt. meine. — Das, finde ich, ist keine demokratische Position. Ich begrüße ausdrücklich, daß die SPD-Fraktion in ihrer Mehrheit endlich — endlich — bereit ist, den (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Schritt in die richtige Richtung mit uns zu gehen. Ebenfalls finde ich nicht gut, daß sie am Schluß gesagt Allerdings — und das ist ein Gebot der Wahrhaftig- hat, diejenigen, die anderer Ansicht sind als sie, keit, das muß ich leider hinzufügen —: Hätten Sie sich seien kalten Herzens und nicht bereit, deutsche Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13581

Dr. Uwe-Jens Heuer Interessen zu vertreten. Ich finde es schlimm, wenn immer dafür gewesen. Es ist etwas sehr Ernstes, wenn hier so mit der Minderheit umgegangen wird. ein Grundrecht in dieser Weise beseitigt wird. - (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei Hier ist viel über die „sicheren Drittstaaten" Abgeordneten der SPD — Siegfried Hornung gesprochen worden. Es ist gesagt worden, wir belei- [CDU/CSU]: Sie müssen genauer zuhören!) digen gleichsam ein Land, wenn dieses Problem — Ich habe genau zugehört. Sie aber machen Zwi- aufgeworfen wird. Herr Hintze hat gesagt, das sei eine schenrufe, ohne genau zuzuhören. Beleidigung für unsere Nachbarstaaten. Andere haben gesagt, das seien doch alles Rechtsstaaten, und Ich möchte an das anknüpfen, was die Frau Justiz- man kränke sie. ministerin zum verantwortungsbewußten Umgang mit der Sprache gesagt hat. Ich finde folgendes nicht Dann wurde auf den hervorragenden Vertrag mit gut. Heute früh ist mehrmals von der „Straße" die Polen hingewiesen. In der „Frankfurter Allgemeinen Rede gewesen. Herr Dregger hat gesagt, das „Volk" Zeitung", von der man durchaus sagen kann, daß sie denke so und so. Es ist die Straße auf der einen der irgendwo im rechten Spektrum beheimatet ist, hieß es Polizei auf der anderen Seite gegenübergestellt wor- am 10. Mai 1993 über dieses Abkommen unter der den. Ich meine, auch die f riedlichen Demonstranten Überschrift, es sei gut für Deutschland, schlecht für von heute früh gehören zum Volk, genauso wie das Polen: Publikum von Herrn Dregger. Viele Polen fürchten jedoch, ihr Land könne von (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Wo leben einem Transitland in nicht allzu ferner Zukunft Sie denn! Sie wissen nicht, wovon die Rede zum Zielland für Flüchtlinge aus a ller Welt wer- ist!) den. Für diesen Fall ist Polen völlig unzureichend gerüstet. Wir sollten den friedlichen Demonstranten, die für das Grundgesetz demonstriert haben, und den friedlichen Es wird also etwas vorgespiegelt. Polen kommt in Polizisten danken. Das wäre nach meiner Meinung eine schwierige Situation und das hat mit der Charak- eine richtige Position. terisierung als Rechtsstaat nichts zu tun. Ich meine, von seiten der Bundesregierung ist auf Polen Druck (Widerspruch bei der CDU/CSU) ausgeübt worden. Das wird hinter vorgehaltener — Ich trage meine Meinung vor; Sie schreien Ihre Hand von sehr vielen gesagt. Es ist also kein fairer Meinung. Sie haben viel Redezeit; lassen Sie auch Vertrag. Es ist ein Vertrag, in dem ein Land zu etwas mich ein bißchen reden! gebracht wurde, was seinen Interessen widersp richt; aber es mußte sich dem beugen. Man sollte das (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Es ehrlicherweise zugeben. kommt eh nichts heraus, wenn Sie reden!) In der Anhörung des Rechtsausschusses und des (V o r sitz : Vizepräsident Dieter-Julius Cro Innenausschusses sind sehr harte Worte über die nenberg) mangelnde juristische Qualität dieses Asylkompro- Zur Frage der Verfassung und der Haltung zum misses gefallen. Herr Badura sagte, der Kompromiß Recht. Hier ist heute gesagt worden, es gehe nicht in sei jetzt endgültig zum Gegenstand der Verfassungs- erster Linie um juristische Fragen. Herr Kleinert hat in theorie geworden. Nach Heilbronner handelt es sich seiner unnachahmlichen Art gesagt, es sei sehr gut, nicht um Verfassungsrecht, sondern um Gesetzes- wenn alle Menschen gastfrei seien, denn dann recht. Herr Schlinck sprach sogar von Verordnungs- brauchten wir keine rechtlichen Regeln. Das war recht, Schmidt-Jortzig von einer rechtlichen Tages- vielleicht doch nicht ganz ernst gemeint oder nicht kladde. ganz ernst zu nehmen. Wir brauchen schon rechtliche Was wir hier machen, ist im Grund die Beseitigung Regeln und müssen uns über unsere Verfassung eines Grundrechts. Es wäre ehrlicher gewesen, das zu Gedanken machen. sagen. Es ist nicht gesagt worden. Es ist eine ernste Frage, ob man das Grundgesetz in (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Wir wissen einer so prinzipiellen Frage heute ändert. Hier ist doch, daß Sie spinnen!) schon mehrmals gesagt worden, daß das Asylrecht des Art. 16 die Konkretisierung der Achtung der Men- Ich glaube, das sagen zu können. Wir sollten innehal- schenwürde war. Es war die Entscheidung eines ten und noch einmal überlegen. Hier ist sehr vieles relativ armen, vom Kriege ausgebluteten Landes gesagt worden, was alles noch danach geschehen soll, gegen das egoistische Interesse. Wenn die Mehrheit welche Maßnahmen im folgenden ergriffen werden heute für den neuen Art. 16a stimmt, wäre dies die müssen, um die wirklichen Probleme dieser Welt zu Entscheidung eines reichen Landes far Egoismus und lösen. gegen solidarische Hilfe für die Verfolgten in der Welt. Ich finde es schlimm, daß keine einzige dieser Maßnahmen hier vorher zur Diskussion gestellt wor- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was haben den ist. Ich wiederhole: keine einzige dieser Maßnah- Sie für dieses reiche Land getan?) men. Es kommt nur dieser Schritt. Das halte ich für das eigentlich schwerwiegende Problem unserer De- Ich glaube, die meisten hier wissen, daß das Grund- batte. recht auf Asyl heute in seiner Substanz aufgehoben wird. Das ist von einigen gesagt worden, und alle (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wir müssen wissen es. Manche sagen ja auch, sie seien sowieso endlich etwas tun!) 13582 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Uwe-Jens Heuer Ich danke für die Aufmerksamkeit. Ich empfinde es für mich wirklich nicht als sehr gut, (Beifall bei der PDS/Linke Liste) daß ich mich durch fremde Gärten und über Böschun- - gen hinauf in die Bannmeilenzone hereinstehlen mußte. Ich muß Ihnen ganz offen sagen; ich empfand Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile das als meiner nicht unbedingt würdig. Aber wir dem Abgeordneten Joachim Clemens das Wort. haben es geschafft, und dann waren wir glücklich. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Der stellt alles (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — richtig!) Freimut Duve [SPD]: „Wer zu spät kommt ..."!) — Nein, das hat mit dem Spruch „Wer zu spät Joachim Clemens (CDU/CSU): Herr Präsident! kommt ... " nichts zu tun. Ich war sehr früh unterwegs. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Das erwähne ich nur nebenbei. Helier, Sie haben sich soeben beschwert, die PDS sei Herr Weiß, ich würde jetzt ganz gern noch einmal zu schlecht mit der Redezeit weggekommen. Ich habe Frau Köppe ansprechen, weil sie heute so sehr dafür mich gerade informiert. Sie hatten schon um zwölf eingetreten ist, die Bannmeile aufzuheben. Wissen Minuten überzogen. Addiert man Ihre fünf Minuten, Sie: Wenn man den Druck der Straße auf der anderen so ergibt sich eine Überziehung von 17 Minuten. Seite beschwört, dann muß ich Ihrer Kollegin folgen- (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Viel zu des vorhalten. Sie ist vorhin aus dem Bundestag zu viel!) einer Podiumsdiskussion gegangen. Dort hat sie Wir sind also ausgesprochen minderheitenfreundlich gesagt, sie komme aus dem Bundestag. Dann hat sie — um Ihnen das einmal vorweg zu sagen. erklärt, der Bundestag nehme diese ganze Demon- stration nicht zur Kenntnis. Weiter hat sie gesagt: Das In der heutigen Asylrechtsdebatte ist von einer dürft ihr euch nicht gefallen lassen. Vielzahl von Rednern sehr facettenreich die drin- gende Notwendigkeit einer Änderung des A rt. 16 des (Michael von Schmude [CDU/CSU]: Das ist Grundgesetzes herausgestellt worden. Ich kann das ja unglaublich! Unerhört!) nur wiederholen und darf erneut auf zwei Zahlen Wenn das eine Abgeordnete tut, dann frage ich mich hinweisen, weil immer wieder gesagt worden ist, wir erneut: Wo bleibt das Demokratieverständnis? Ich würden das Asylrecht abschaffen. finde das unmöglich. Wir haben im Jahr 1992 die Rekordzahl von knapp (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge 450 000 Asylbewerbern bei einer Anerkennungs- ordneten der F.D.P.) quote von 4,3 % gehabt. Wir haben in den ersten vier Monaten dieses Jahres allein schon über 160 000 Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- Asylbewerber bei einer Anerkennungsquote von geordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzu- 1,9%. lassen? (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das nimmt überhaupt schon niemand mehr wahr!) Joachim Clemens (CDU/CSU): Ja. Wie kann man sich denn nun hinstellen und sagen, hier werde das Asylrecht abgeschafft? Ich kann nur Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- feststellen, daß das Asylrecht massenhaft — auch geordneter Weiß, Sie haben die Möglichkeit zu fra- wenn vielen dieser Ausdruck mißfällt — mißbraucht gen. worden ist. An dieser Situation kommen wir nicht vorbei. Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der CDU/CSU) Vielen Dank. Herr Kollege, haben Sie aber auch die Auch in einem reichen Land wie der Bundesrepu- Worte von Frau Köppe wahrgenommen, als sie gesagt blik Deutschland — ich bin jetzt ein bißchen vorsich- hat, daß sie ganz eindeutig — ebenso wie das BÜND- tiger, weil ich weiß, daß wir den Wiederaufbau Ost NIS 90/DIE GRÜNEN insgesamt — die Gewalt verur bewältigen müssen und damit einige Probleme teilt haben; das wissen wir alle; aber diese Probleme haben (Lachen bei der CDU/CSU — Jochen Feilcke wir im übrigen gemeinsam — ist die Aufnahmekapa- [CDU/CSU]: Das waren doch Krokodilsträ zität natürlich beschränkt. Insofern kann m an die nen! — Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Augen nicht davor verschließen, daß hier eine große, Gesagt hat sie das!) breite Mehrheit — 90 % unserer Bevölkerung — eine erhebliche Eindämmung der Asylbewerberzahlen und ausschließlich für gewaltfreie Aktionen ein- will. steht? Eines verstehe ich bei der PDS und auch bei Frau (CDU/CSU): Herr Weiß, wissen Köppe nicht. Frau Köppe hat hier heute mehrfach Joachim Clemens Sie, ich kann über diese Frage nur lachen. beschworen, wir wichen dem Druck der Straße. Wenn aber 90 % der Bevölkerung für eine Änderung sind, (Zurufe von der SPD — Zuruf von der PDS/ dann kann man wirklich nicht davon reden, daß man Linke Liste: So witzig ist das aber nicht!) dem Druck der Straße gewichen sei. Das ist für mich Erst heizt man die Demons tranten an, und dann sagt ein eigenartiges Demokratieverständnis. Den Druck man: Wir sind aber gegen Gewalt. Das paßt doch der Straße haben wir heute morgen erlebt. nicht. Das ist genau das, was wir nicht wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13583

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- Franz Heinrich Krey (CDU/CSU): Herr Kollege, sind geordneter Weiß möchte noch eine Zusatzfrage stel- Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß vielfache len. ich glaube, wir nehmen die zuerst; danach kommt Versuche — nicht nur von Abgeordneten, sondern - der Herr Abgeordnete Peter. Ich habe die Uhr ange- auch von friedlichen Passanten, die des Weges halten, Herr Abgeordneter Clemens. Sie brauchen kamen — mit dem Ziel, in einen vernünftigen Dialog keine Sorge zu haben. — Herr Abgeordneter Weiß. mit den Demons tranten zu kommen, gescheitert sind und daß im Gegenteil beim Auftauchen eines Men- Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schen, der so aussah, wie ein Abgeordneter oder eine Herr Kollege, sind Sie auch bereit, zur Kenntnis zu Abgeordnete aussehen könnte, der Ruf erscholl: „Ein nehmen, daß von den vielen tausend Demons tranten, Abgeordneter! " , und daß es dann drauf oder hinterher die heute hier rund um die Bannmeile ihrer Meinung ging? Ausdruck geben, so wie es ihr Grundrecht ist, dies nur wenige hundert, vielleicht 300 oder 400, mit Gewalt getan haben? Joachim Clemens (CDU/CSU): Ich nehme das alles (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das zur Kenntnis. Das bestätigt nur meine Meinung dazu. reicht!) Ich habe heute noch einiges mehr erlebt; das war wirklich alles andere als fein, und es war unser aller Joachim Clemens (CDU/CSU): Herr Weiß, ich muß nicht würdig. Ihnen sagen: Ich habe ganz bestimmt nichts gegen Nun lassen Sie mich in dieser Diskussion fortfahren. Demonstrationen; ich befürworte sie. Aber wenn die Es ist etwas schwierig; die meisten Argumente sind Zugangsstraßen hermetisch abgeriegelt werden, ausgetauscht, aber eines will ich dennoch sagen, auch wenn Demonstranten hinter den Abgeordneten her- zu Frau Schmidt. Liebe Frau Schmidt, bei allem gelaufen sind, um Löcher zu finden, durch die sie noch Wohlwollen: Sie haben sich vorhin bei der für meine hätten durchschlüpfen können, dann werden Sie mir, Begriffe ausgezeichneten Rede von Alfred Dregger, bitte, nicht sagen wollen: Das war eine ganz f riedliche der hier einiges aufgearbeitet hat — und das muß Demonstration! Ich glaube, darauf können wir uns gestattet sein; auch wenn das sicherlich nicht Ihren einigen. Zuspruch findet — beschwert und haben dargelegt, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge die SPD habe nie gefehlt. ordneten der F.D.P.) (Renate Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Genau das habe ich nicht gesagt!) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun spricht der Abgeordnete Peter (Kassel). Ich will Ihnen sagen: Ich sitze seit vielen Jahren im (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Nicht zu Innenausschuß, und ich möchte behaupten, daß wir viele Fragen! Dadurch geht die Rede seit etwa vier Jahren, wenn es nach den Kollegen der kaputt!) CDU/CSU im Innenausschuß und der großen Zahl der Kollegen in der Fraktion gegangen wäre, eine Ände- Horst Peter (Kassel) (SPD): Herr Kollege Clemens, rung des Grundrechtes hätten. Wir haben es nicht sind Sie bereit, meine Erfahrung von heute vormittag bekommen können. Warum? Weil Sie nicht mitge- zur Kenntnis zu nehmen, daß unter denjenigen, die spielt haben. das Gespräch mit Abgeordneten gesucht haben, keine Wir wollen uns doch bitte nichts vormachen: Die gewaltbereiten Teilnehmer waren letzte Regelung des Asylverfahrensrechts, bei der Sie (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Warum zugesagt haben, Sie wollten in den Ländern genü- sind dann unsere Mitarbeiterinnen zu Boden gend Räumlichkeiten zur Verfügung stellen, haben gegangen?) die Länder nicht eingehalten. Das war der eine und daß im Ergebnis — damit hier im Saal auch etwas Punkt. Positives gesagt wird — auf den Hinweis der Demon- Der zweite Punkt: Sie haben behauptet, innerhalb stranten, sie seien friedlich, von sechs Wochen könnten Asylbewerberverfahren durchgeführt werden. Auch das war nicht möglich, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- und das wußte man vorher. Es war eigentlich ein geordneter, bitte verwechseln Sie die Frage nicht mit Entgegenkommen der CDU/CSU an Sie, daß man einer Kurzintervention. solange gewartet hat. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es!) Horst Peter (Kassel) (SPD): — die dort stationierte Polizei ihre Helme abgelegt und danebengelegt hat Das mag uns jetzt als Fehler angelastet werden; aber und die Situation völlig spannungsfrei war? Sie waren es, die es verzögert haben. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist die Joachim Clemens (CDU/CSU): Herr Peter, ich Wahrheit!) nehme das zur Kenntnis; aber Sie waschen damit die Handlungsweise von Frau Köppe nicht rein. Der Wahrheit die Ehre! Das muß man einmal deutlich sagen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich lasse (Beifall bei der CDU/CSU) jetzt noch die Frage des Abgeordneten Krey — Herr Ich wollte — ich habe nur noch zwei Minuten — ein Clemens, wenn Sie sie beantworten wollen —, dann Argument vorbringen, bei dem Sie mir zustimmen aber keine Fragen mehr zu, damit nicht am Schluß die werden — da bin ich ziemlich sicher —: Wir müssen Zeit für die Beantwortung länger ist als Ihre Gesamt- dafür sorgen, daß die Grundgesetzänderung jetzt redezeit. — Herr Abgeordneter Krey. beschlossen wird, und dann müssen wir dafür sorgen, 13584 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Joachim Clemens daß der gefundene Kompromiß letzten Endes das Ich habe weiterhin gesagt, daß das, was lange bewirkt, was wir erwarten, nämlich in der Tat die gedauert hat, nicht nur ein Teil unseres Verschuldens Asylbewerberzahlen herunterzufahren. Dazu ist es ist, sondern auch ein Teil des Verschuldens dieser - logischerweise notwendig, daß wir uns auch um die Bundesregierung und der sie tragenden Koalitions- Durchsetzung kümmern. Ich erinnere an die Grenze parteien. im Osten und Südosten; das ist zu Polen und der Ich habe dann — ich habe dies zum ersten Kompro- Tschechischen Volksrepublik. miß wörtlich gesagt; das können Sie im Protokoll (Eckart Kuhlwein [SPD]: Die gibt es nicht nachlesen — darauf hingewiesen, daß das wiederum mehr! — Erwin Marschewski [CDU/CSU]: nicht nur an der Bundesregierung lag, sondern auch Der „Tschechischen Republik" ! ) an dieser Bank — auf der niemand saß —, und habe eine Handbewegung zu Herrn Weiß gemacht. Für Der Tschechischen Volksrepublik. Ich sage das so. — diese Äußerung habe ich, Herr Kollege Clemens, — Wir haben in diesem Bereich große Probleme, die sogar noch von Teilen Ihrer Fraktion Beifall bekom- Grenze zu sichern. Wir haben so große Probleme, weil, men. Vielleicht sollte man ein bißchen zuhören. gestützt durch Schlepperunwesen, hier eine Un- menge von illegal Einreisenden in das Landesinnere Etwas ist mir bei Ihrer Rede allerdings aufgefallen, kommen. Ich sage Ihnen ganz offen: Wir können die Herr Kollege Clemens. Dies betrifft genau das, was Drittstaatenregelung letzten Endes nur dann zu dem wir versuchen sollten künftig zu vermeiden. Wir bringen, was sie sein soll, wenn es uns gelingt, diese sollten, auch wenn wir wichtige Inhalte wählen, illegal die Grenze Übertretenden beim Grenzübertritt vielleicht ein bißchen auf unsere Sprache achten. Ein aufzugreifen, um sie dann zurückzuüberstellen. Wenn Ausdruck wie der Ihre, daß es darum gehe, „Asylbe- wir das nicht machen und sie schon im Landesinnern werberzahlen herunterzufahren", wird dem Thema, sind, ist es problematisch; dann ist der Nachweis nicht bei dem es sich nämlich um Menschen handelt, nicht mehr zu führen. Sie alle wissen, da gibt es erheblichen gerecht. Mißbrauch. Oft hat man dann keine Pässe mehr. Das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bedeutet letzten Endes, daß man die Drittstaatenrege- DIE GRÜNEN — Bartholomäus Kalb [CDU/ lung nicht durchsetzen kann. CSU]: Haben Sie auch bei Ihrem Parteitag Der letzte Satz. Deswegen möchte ich dafür werben auf die Sprache geachtet?) — der Finanzminister ist nicht da —, den Bundes- grenzschutz erheblich besser zu besolden. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr rich hat nunmehr der Abgeordnete Freimut Duve. tig! Sehr wahr! Sehr nötig!) Wir brauchen weitaus mehr Personalverstärkung. Mit Freimut Duve (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolle- Blick auf den Bundesinnenminister muß ich sagen: Er gen! Ich glaube, wir sollten heute abend in zwei hat hier schon einiges getan. Wir müssen aber noch Punkten wirklich einig bleiben. viel mehr tun. Sonst ist unser Asylbeschluß heute Der erste ist: Bonn muß auch weiterhin ein Ort für leider nicht das, was wir uns von ihm erhoffen. Demonstrationen sein können. Wir werden es immer Danke schön. begrüßen, wenn viele Menschen nach Bonn kommen, um uns ihre Meinung kundzutun. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der Abgeordneten der SPD) Der zweite Punkt ist: Niemals mehr in Deutschland Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zu einer dürfen Abgeordnete am Betreten eines Parlaments in Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Frau irgendeiner Form gehindert werden. Renate Schmidt das Wort. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ist heute geschehen!) Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD): Kollege Cle- Wir müssen auch bitten, daß die Organisatoren der mens, ich weiß, es ist bei stundenlangen Diskussionen Demonstrationen diese Frage untereinander noch manchmal ein bißchen schwierig, immer konzentriert einmal sehr, sehr ernsthaft diskutieren. In Deutsch- zuzuhören. Ich könnte jetzt nicht referieren, was Sie land müssen Abgeordnete und ihre Mitarbeiter zu eigentlich gesagt haben. ihrer Arbeit gehen können, ohne daß irgendeine (Erwin Marschweski [CDU/CSU]: Sie sind Gruppe, auch nicht der Staat, sie daran hindert. doch noch jung! Sie müssen doch noch ein (Beifall der Abgeordneten Gerlinde Häm gutes Gedächtnis haben!) merle [SPD] — Erwin Marschewski [CDU/ — Ich bin bereits Großmutter, Kollege Marschewski, CSU]: Sehr richtig!) und so jung nicht mehr. — Insoweit würde ich Ihnen, Das ist die Voraussetzung. Unsere ungehinderte Kollege Clemens, zugestehen, daß Sie nicht gehört Arbeit ist das Zentrum unseres verfassungsrechtli- haben, was ich gesagt habe. chen Auftrags. Ich habe vorhin gesagt, daß es zu lange gedauert hat (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der und daß das auch an uns in der SPD lag, daß es aber F.D.P.) nicht 15 Jahre zu lange gedauert hat, sondern daß seit Liebe Kollegen, es gibt wohl kein Thema, bei dem es 1990 andere Verhältnisse eingekehrt sind. leichter ist, auf die Ungerechtigkeit der Verhältnisse (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und zugleich auf die Hilflosigkeit der Handelnden Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13585

Freimut Duve hinzuweisen, wie bei dem Thema Einwanderung und Es war richtig, langfristig auf die Erfolge der Ostpo- Weltwanderung. Es gibt nur wenige Themen, bei litik und des Helsinki-Prozesses zu bauen. Es wäre denen es leichter fällt, die Eindeutigkeit der eigenen falsch gewesen, den Art. 16, d. h. die Asylgewährung, Haltung und die Zweideutigkeit der Handelnden zum obersten Prinzip, damals etwa bei dem Austausch herauszustellen; denn die wirk liche Tragödie unserer von Botschaften in Osteuropa, zu machen. Das haben Welt ist die Täuschung, es gebe dabei einen Weg, der wir nicht getan. Wir haben an diesen Botschaften von globaler Vernunft bestimmt sein wird. Daneben Dinge akzeptiert, die mit dem Art. 16 nicht in Einklang gibt es dann die bittere Erkenntnis, es gibt — Warten- zu bringen sind — in Moskau, in Budapest und in berg hat das heute sehr trefflich gesagt — keine Warschau —, nämlich den Polizisten unmittelbar an wirkliche Lösung, die mit dem globalen Anspruch der Tür. Aber es war richtig. Genau darum gibt es eine unserer Humanität in Einklang steht, wenn Millionen wirkliche Zäsur mit dem Fall der Mauer. Darum ist es Menschen auf Dauer ihre Heimat verlassen wollen falsch, was Dregger und Schäuble heute gesagt oder müssen. haben: „Wir haben schon seit 15 Jahren ...". Nein, diese neue Lage ist mit dem Fa ll der Mauer, dem Fall Die Bilder von der Armut der Welt und die Bilder des Eisernen Vorhangs, entstanden. vom Reichtum bei uns stecken uns im Kopf, auch uns allen, die wir hier sitzen. Kein Asylrecht der Welt kann Es war davor, nicht nur, was die Zahlen anbelangt, rtikels als diese tiefe Ungerechtigkeit in Gerechtigkeit verwan- sondern auch, was die Nutzung des A Einwanderungschance anbelangt, eine in der Qualität deln. Wir haben auch hier im Haus oft über ein Wort von Günter Gaus — ich muß daran erinnern, daß es andere Situation. Ich warne Sie davor, diese 15 Jahre sozusagen zu einem neuen Mythos zu machen. Das von Günter Gaus ist und nicht vom Bundeskanzler — diskutiert, über das Wort von „der Gnade der späten haben ja nicht alle Redner der Union gemacht, aber einige. Tun Sie das nicht; lassen Sie das! Geburt" . Auch die Menschen, die heute demonstrie- ren, auch uns selbst ist schmerzlich bewußt, daß wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten alle jetzt in dieser Weltlage in der Gnade des besseren der F.D.P.) Geburtsorts leben. Das konnte und kann der Art. 16 in unserer Verfassung nie und nimmer ausgleichen. Das Wir wollen nie wieder erleben, daß eine der Parteien kann überhaupt kein Rechtssystem ausgleichen. mit dem Asylrecht und den vermeintlichen Versäum- Wenn jemand daran leidet, dann muß man es, glaube nissen der jeweils anderen Wahlkampf macht. Das ich, sehr ernst nehmen. wollen wir nicht noch einmal erleben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Deutschen haben nach Terrordiktatur und der F.D.P.) Krieg zum erstenmal — ähnlich wie die Franzosen nach ihrer Revolution und die Amerikaner — einen Das hat Lothar Späth — ich muß das hier sagen —im visionären Auftrag der Aufklärung in ihr Grundgesetz Jahre 1978 in Baden-Württemberg getan. Das war übernommen: die Chance für alle Bürger der Welt, falsch. Damals ging es um die Eritreer in Baden- einen Rechtsanspruch anzumelden, in das Land zu Württemberg. Es handelte sich um eine bestimmte kommen und in das Asylverfahren. Zahl. Die meisten sind jetzt nach Eritrea zurückgegan- gen; sie haben ein unabhängiges L and. Sie sind nicht Es ist von der Leuchtkraft dieses Artikels als der mehr in Baden-Württemberg. Aber damals waren Freiheitsstatue, Herr Hirsch, unserer Verfassung diese Eritreer der Anlaß für Lothar Späth, sie im gesprochen worden. Vielleicht haben wir es alle in Wahlkampf als Thema zu benutzen. Wir wollen es in den 40 Jahren zu wenig beachtet. Wir sollten heute diesem Land nicht mehr haben, Menschen, die nicht daran erinnern: Das Leuchtzeichen stand in diesen selber wählen können, für Wahlkampfvorteile zu 40 Jahren nie am offenen Meer, sondern am geschlos- benutzen. Ich hoffe sehr, daß der heutige Tag wenig- senen Vorhang aus Eisen. In Wahrheit war der Art. 16 stens dieses Signal in die Bundesrepublik Deutsch- vierzig Jahre lang ein so stark leuchtendes Zeichen, land sendet, vor allem für das nächste Wahljahr. weil wir alle — ich meine auch mich — oft zornig, oft verzweifelt wußten: Stalin und seine Nachfolger wer- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) den schon dafür sorgen, daß als politischer Flüchtling Für demokratische Parteien dürfen die Menschen, die kaum jemand die kahlen Landschaften zwischen aus dem Ausland zu uns kommen, nie wieder Material Wandlitz und Wladiwostok verlassen konnte. Welche für Wahlkämpfe sein. Sensation, als Solschenizyn sein erstes Asylobdach bei Jeder hier im Saal weiß tief im Innern — das wissen Heinrich Böll in der Eifel gefunden hatte! Ich erinnere mich noch sehr genau. auch die Demonstranten; das wissen auch die Kom- mentatoren —: Der Art. 16 ohne Ergänzung ließe Die universale Ethik des Art. 16 war immer schon unserem Land nur die Chance — ich glaube, daß sie der geographischen und politischen Wirklichkeit besteht; ich halte sie nur für falsch —, nach s treng unseres Landes unterworfen; immer schon, all die rechtsstaatlichen Regeln ein immer härter werdender 40 Jahre. Und wir hatten oft nur allzu gern diese Abschiebestaat zu werden. Auch wenn wir sozusagen Wahrheit weggeguckt. Die Mauer hatte Deutschland den Anlockcharakter des Art. 16 unverändert behal- künstlich zur geopolitischen Halbinsel gemacht. Wer ten, kann man mit einem rechtsstaatlichen Verfahren sich zum moralischen Richter unserer asylrechtlichen sehr viel machen, sehr viel beschleunigen. Aber wir Zukunft macht, der muß auch unsere eigene Vergan- werden ein Abschiebestaat. Unsere Gesellschaft hält genheit genau betrachten. das massenhafte Abschieben nicht aus. Das ist der Grund, warum ich mich für diese Ergänzung ein- (Beifall bei der SPD) setze. 13586 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Freimut Duve Jetzt wird der Versuch unternommen, eine Abwei- Die Angst der Menschen nichtdeutscher Herkunft severeinbarung mit Osteuropa zustande zu bringen, in unserem Lande vor dem rechten Terror muß von die uns in dem Zwang zur Begrenzung weiterhilft, ein uns allen sehr, sehr ernst genommen werden. Diese Versuch, der mich wie viele meiner Kollegen frösteln Angst hat inzwischen viele der 6 Millionen Menschen, macht — ich sage das ganz deutlich —, so wie mich die bei uns leben, erfaßt. Deutschland kann nicht aber auch die in diesem Jahr entstandene Lage leben, wenn in Deutschland keine Ausländer leben Europas frösteln macht. Dieses Europa hat gerade den können. Die Demokratie der Deutschen kann nicht Versuch des Völkermords in Bosnien an der einzigen leben, wenn in ihr und mit ihr keine Ausländer mehr europäischen muslimischen Minderheit geschehen leben können. Das ist das Motiv, warum ich für die lassen. Aus dieser Situation heraus werden sicher Ergänzung stimme. noch sehr viele sogenannte Bürgerkriegseinwanderer (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des kommen. Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.]) Ich stimme also mit großem Trennungsschmerz zu; aber ich bin zutiefst überzeugt, daß wir auf den Orkan des Wandels, in dem sich Europa nach dem Fall der Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort Mauer befindet, reagieren müssen. Osteuropa hat nur hat nunmehr der Abgeordnete Wolfgang Lüder. eine Chance, wenn Westeuropa in diesem Orkan Anker bleibt und nicht selber zum Treibsand wird. (Beifall bei der SPD) Wolfgang Lüder (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen Diese Gefahr ist bei der Rezession, in der wir sind, und und Kollegen! Mein Fraktionsvorsitzender hat heute bei den vielen anderen Grundfragen nicht von der morgen dargelegt, daß es in unserer Fraktion einige Hand zu weisen. Kollegen gibt, die den Verfassungsänderungen nicht Die Väter des Grundgesetzes haben mit diesem zustimmen werden. Art. 16 eine aus dem Leid und dem Terror geborene (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Weil Ihnen die Vision in die Verfassung geschrieben. Sie war auf Wähler nicht so wichtig sind!) gerechte Weise so wohl nie einlösbar. Ich begründe für einige dieser Kollegen diese Posi- Die Entscheidung heute wird keine neue Vision tion. schaffen. Aber meine Partei und ich könnten an ihr „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. " — Dieser nicht mitwirken, wenn von hier nicht neue Perspekti- schlichte Satz der Verfassung wird hier tangiert. ven, vielleicht auch visionäre Perspektiven, für unsere Dieser Satz wird historisch in einer Weise in Frage eigene zivile und liberale Zukunft ausgingen. Die gestellt, die ich nicht verifizieren kann. Es wird gesagt, einzelnen Punkte solcher Perspektiven hat mein Kol- die Mütter und Väter des Grundgesetzes hätten nicht lege Wiefelspütz hier genannt. Darum kann ich es mir daran gedacht, daß es Massen von Flüchtlingen, schenken, sie noch einmal aufzunehmen. Massen von Asylbewerbern geben könnte. Wer nach- Ich möchte mich darauf konzentrieren: Wir müssen liest, was im Parlamentarischen Rat gesagt worden ist, für Bürgerkriegsflüchtlinge offen bleiben. wird das Gegenteil feststellen. (Beifall des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist in diesem Kompromiß angelegt; denn der Wir haben heute die Sorge — ich nehme die Zahlen Vertreibungsterror wird eines der Mittel der Politik in des Innenministeriums —, daß bis zu 20 Millionen manchen Regionen Osteuropas werden. Europäer möglicherweise bereit sind, auf die Flucht in den Westen Europas zu gehen. Als das Grundgesetz Ich stimme also der Änderung des Artikels aus sehr geschaffen wurde, hatte man noch in Erinnerung, daß grundsätzlichen Überlegungen zu. Ich habe es mir bis 1943 30 Millionen Europäer auf der Flucht vor wahrlich nicht leicht gemacht und habe darüber Verfolgung, auf der Suche nach Asyl, nach einem — viele meiner Freunde wissen das — sehr lange neuen Unterkommen, nach einer neuen Heimat nachgedacht und mich dazu geäußert. waren. Das waren nicht alles politisch Verfolgte, aber Ich werde den Kompromiß zur Rechtsschutzgaran- diese 30 Millionen Flüchtlinge haben die Väter und tie nicht mittragen können. In der Einzelabstimmung Mütter des Grundgesetzes veranlaßt, den schlichten werde ich die gesetzliche Fixierung sicherer Her- Satz zu schreiben: „Politisch Verfolgte genießen Asyl- kunftsländer aus außenpolitischen Gründen ableh- recht. " nen. Ich denke, es muß für diese Feststellung andere (Beifall des Abg. Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.] Formen geben können als eine gesetzliche Fixie- und der SPD sowie bei Abgeordneten der rung. PDS/Linke Liste und des BÜNDNISSES 90/ Mein wichtigstes Motiv, mein eigener Kompromiß DIE GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: dabei ist: Die Furcht vor den Millionen, die angeblich Das ist mit Sicherheit falsch!) morgen kommen — beide Seiten arbeiten manchmal Heute wie damals gab es die große Sorge vor diesem mit dieser Millionenzahl —, darf den Frieden mit Problem. jenen, die hier sind, die zum Teil seit Jahrzehnten bei Mein zweiter Gedanke. Ich bin als Liberaler groß- uns sind, nicht beschädigen, nicht zerstören. Das ist mein oberstes Motiv. geworden mit dem Gedanken, den mir Thomas Deh- ler und andere gesagt haben: Eher lasse ich 99 Schul- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des dige laufen, als das ich einen Unschuldigen inhaftiere. Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.]) Auf das Asylrecht angewendet heißt dies: Eher prüfe Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13587

Wolfgang Lüder ich 99 unberechtigte Asylanträge, als daß ich einen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile ohne Prüfung zurücklaufen lasse. nunmehr dem Abgeordneten Michael Stübgen das Wort. (Beifall des Abg. Burkhard Hirsch [F.D.P.] und der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste und des BÜNDNISSES 90/ Michael Stübgen (CDU/CSU): Herr Präsident! DIE GRÜNEN) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kol- lege Lüder, ich achte Sie als Kollegen im Innenaus- Ich weiß um die Ernsthaftigkeit der Bemühungen, schuß, und ich achte auch Ihr Wort, weil es für meine und ich respektiere die Kolleginnen und Kollegen, die Meinungsbildung wichtig ist. Aber gerade deshalb in SPD, CDU/CSU und F.D.P. den Kompromiß gesucht erlaube ich mir, meine Haltung darzustellen. haben. Ich sehe jedoch die Gefahr, daß die Freiheits- Ich glaube, Ihre Argumentation bezüglich des fackel des Grundgesetzes, zu der wir Art. 16 erklärt neuen Art. 16a des Grundgesetzes ist falsch. Es wird haben, zwar nicht erlöschen, aber so eingemauert auch zukünftig in Art. 16 a stehen: „Politisch Verfolgte wird, daß sie niemandem mehr Wegweisung geben genießen Asylrecht. " kann. Wir legen einen „Cordon asylaire" um die Bundesrepublik, und niemand mehr kann dieses (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr! Recht in Anspruch nehmen, wenn er legal zu uns — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das hat kommen will. Wir zwingen Asylbewerber in die Ille- der Kollege übersehen!) galität, wenn wir ihre Gründe rechtlich prüfen wollen. Alles, was in den nachfolgenden Sätzen steht, ist Dieses Verfahren vermag ich nicht mitzumachen. lediglich eine Konkretisierung der Definition: Was ist eigentlich Asylrecht, und was ist ein politisch, rassisch (Beifall des Abg. Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.] und religiös Verfolgter? An keiner einzigen Stelle der sowie bei Abgeordneten der SPD, der PDS/ darauffolgenden Sätze gibt es eine materielle Ein- Linke Liste und des BÜNDNISSES 90/DIE schränkung des Asylrechtes, sondern es gibt lediglich GRÜNEN) eine verfahrensrechtliche Konkretisierung. Walter Koisser, der Vertreter des UN-Flüchtlings- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr gut kommissars in Deutschland, hat nachdrücklich auf gesagt!) die Probleme, Sorgen und Aufgaben der Vereinten Das ist für mich sehr wichtig. Sonst würde ich nicht Nationen aufmerksam gemacht. Er hat morgen zu zustimmen. Ich glaube, Sie haben da einen falschen seinem Abschiedsempfang eingeladen und wird Ansatz. Abschied von Deutschland nehmen. Ich möchte die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gelegenheit nutzen, um Walter Koisser für sein vor- bildliches Engagement bis zum heutigen Interview in Ich möchte auch zu diesem späten Zeitpunkt der der „Süddeutschen Zeitung " herzlich zu danken. Debatte noch einmal versuchen, Sinn und Zweck dieser Änderungen, die wir heute beschließen wollen, (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der deutlich hervorzuheben. Die zur Debatte stehenden CDU/CSU sowie bei der SPD und dem Rechtsänderungen verfolgen dem Grunde nach einen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) einzigen Zweck: die Wiedereinrichtung des am Ver- folgerstatus orientierten materiellen Asylrechts, den Wenn alle Vertreter der Vereinten Nationen ihr Enga- umfassenden Schutz der tatsächlich Verfolgten in der gement für die Vereinten Nationen mit so viel Herz- Bundesrepublik Deutschland. Denn wenn, wie wir es blut für verfolgte Menschen erfüllen würden wie schon häufig gehört haben, eine Anerkennungsquote dieser Vertreter der Vereinten Nationen, dann stünde von lediglich 4 % vorhanden ist, dann kann doch es besser um die Welt. niemand mehr sagen, daß die Verfahrensweise unse- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der rer Asylrechtsbestimmung richtig ist. SPD) Die ungeheuren Zuwanderungsströme hauptsäch- lich aus dem osteuropäischen Teil der Erde stellen uns Meine Damen und Herren, ein letzter Gedanke: Ich vor große Probleme, deren Ursachen vielfältig und kann nicht verschweigen, daß ich die Asylrechtsde- keineswegs leicht zu beheben sind. Der Einwande- batte heute auch unter dem Gesichtspunkt sehe, daß rungsdruck auf Europa, der derzeit schon bei 1 Mil- demnächst ein weiteres Grundrecht zur Debatte ste- lion legaler Einwanderer und nochmals geschätzt hen wird, nämlich das auf Privatheit in der Wohnung. 1 Million illegaler Einwanderer jährlich liegt — mög- Wir sind auf dem Wege, Grundrechte zu hinterfragen licherweise sind es 2 Millionen, weil man sich bei den — ich will das ganz vorsichtig sagen —, d. h. zu fragen, Schätzungen nicht auf feste Daten berufen kann —, ob wir sie einhalten können, wenn es eine Gefahr gibt. steigt weiter. Nein, Grundrechte müssen der Gefahr widerstehen. Zum allergrößten Teil handelt es sich bei diesen (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Aber wir Einwanderern — dies wurde von den Gegnern der haben auch eine Pflicht gegenüber unseren Asylrechtsänderung nicht ausreichend auseinander- Bürgern!) gehalten — eben nicht um Asylbewerber, nicht um politisch, rassisch und religiös Verfolgte, sondern um Deswegen widerstehe ich der Verfassungsänderung Einwanderer. hier. Ein wirklicher Schutz der Verfolgten dieser Erde (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. sowie umfaßt nicht nur deren Unterbringung und Verpfle- bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem gung, sondern auch deren Integration in unserer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gesellschaft. Da haben wir doch zur Zeit die allergröß- 13588 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Michael Stübgen ten Probleme. Diese Integration der wirklich Verfolg- gefüllt hat. Dies hat bei vielen Bürgern den Eindruck ten kann derzeit von den damit be trauten Kommunen erweckt, die Staatsmacht sei unfähig, Probleme zu auf Grund der hohen Anzahl der Wirtschaftsflücht- lösen. Wie wir alle wissen, führt eine echte oder linge — der Einwanderer, sage ich besser — nicht vermeintliche Ohnmacht des Staates zu erhöhter mehr geleistet werden. Bürger und Kommunalpoliti- Bereitschaft, Selbstjustiz zu üben, wie wir es in den ker, gleich welcher Partei sie angehören, haben kei- letzten Monaten im Bereich der Kriminalität von nerlei Verständnis dafür, daß in den letzten Jahren Deutschen, meistens jugendlichen, gegenüber Aus- einerseits die Zahl der Asylbewerber ständig gestie- länder erleben mußten. gen ist, andererseits die Anerkennungsquote ständig gesunken ist und wir in Bonn bisher nicht in der Lage Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- waren, die Belastungen, die durch die große Zahl von geordneter Stübgen, sind Sie bereit, eine Zwischen- Asylbewerbern mit offensichtlich unbegründeten frage des Abgeordneten Weiß zuzulassen? Anträgen entstehen, wirksam einzuschränken. Michael Stübgen (CDU/CSU): Ja, wenn Sie die Uhr (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wobei das anhalten. hier ein bißchen einseitig formuliert ist!) Ich meine, wir müssen als Bundespolitiker auch Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das habe selbstkritisch feststellen, daß die in Deutschland ent- ich schon getan. brannte Diskussion zum Asylrecht in der Bevölkerung zu einer diffusen Vermischung der verschiedenen Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Begrifflichkeiten dieses Problemkreises geführt hat Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, und wir bis heute nicht in der Lage waren, die daß außer dem BÜNDNIS 90 und der von Ihnen Vermischung dieser verschiedenen Begrifflichkeiten zitierten PDS zahlreiche Verfassungsrechtler und deutlich zu machen. In einigen Redebeiträgen vom Rechtspraktiker bei den Anhörungen, die wir zu BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS/Linke Liste diesen Gesetzentwürfen im Deutschen Bundestag ist wieder massiv versucht worden, mit der Vernebe- durchgeführt haben, genau mit denselben Argumen- lung der differenzierten Begrifflichkeit in diesem ten, wie wir sie heute vorgetragen haben, argumen- Bereich eigentlich Demagogik zu betreiben. tiert haben und das sich unsere Argumentation durch- aus auf verfassungsrechtlichem Boden bewegt und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nicht nur etwas mit Dummheit zu tun hat, wie Sie Es ist gesagt worden, es gehe heute um die De- unterstellt haben? facto-Abschaffung des Asylrechtes. Dazu muß ich sagen: Entweder sind die, die das gesagt haben, Michael Stübgen (CDU/CSU): Ich habe das durch- strohdumm, oder sie wollen wirklich bloß Demagogik aus in der Anhörung zur Kenntnis genommen, Herr betreiben. Kollege Weiß. Aber bitte verfolgen Sie meine Argu- mentation. Ich habe gesagt und begründet: Alles , was (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Beides ist wir heute an Grundgesetzergänzungen beschließen schlimm!) wollen, orientiert sich peinlich genau an den interna- tionalen Vorgaben der Genfer Flüchtlingskonvention Wenn Sie sich wirklich durchgelesen haben, was wir und der Europäischen Menschenrechtskonvention. heute beschließen wollen, können Sie deutlich sehen, daß wir uns mit den Änderungen peinlich genau (Ludwig Stiegler [SPD]: Der UNHCR sagt einerseits an die Regelungen der Genfer Flüchtlings- etwas anderes!) konvention und andererseits an die der Europäischen Wenn Sie sagen, daß wir mit dieser Orientierung und Menschenrechtskonvention halten und daß wir in Annäherung an diese beiden Konventionen das Asyl- einigen Teilen einen höheren Rechtsschutz für Asyl- recht faktisch aufheben würden, unterstellen Sie, daß bewerber gewähren, als es die Genfer Flüchtlings- alle Rechtsstaaten auf dieser Welt, die sich dieser konvention eigentlich vorschreibt. Ich finde das auch Genfer Konvention angeschlossen haben, eben kein richtig, und wir wollen es so beschließen. Asylrecht gewähren. Gegen diese Unterstellung werde ich mich entschieden zur Wehr setzen. Wenn Sie aber Ihre Behauptung aufrechterhalten, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wir würden mit diesen Regelungen, die sich an den internationalen Kriterien orientieren, das Asylrecht Sind Sie abschaffen, müssen Sie gleichzeitig auch sagen, daß Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: auch bereit, eine Frage des Abgeordneten Reuschen- nach Ihrer Überzeugung der UNHCR, die gesamte bach zu beantworten? UNO und alle Rechtsstaaten dieser Welt außer Deutschland kein materielles Asylrecht gewähren. Das sollten Sie dann auch deutlich tun, damit andere Michael Stübgen (CDU/CSU): Ja. Leute mitbekommen, wie Sie eigentlich denken. Das ist auch eine Art von Nationalismus; ich würde sagen: Peter W. Reuschenbach (SPD): Herr Kollege, wenn linksgestrickter Nationalismus. Nationalismus hat das alles so toll ist und voll den Flüchtlingskonventio- Deutschland noch nie etwas gebracht. nen der verschiedenen Art entspricht, können Sie mir dann erklären, wieso der deutsche Vertreter des Im Gegenteil meine ich, daß die unerträglich lange UNO-Flüchtlingssekretariats ein vernichtendes Urteil Verschleppung eines Lösungsansatzes, der seit Jah- über das, was heute beschlossen wird, abgegeben und ren nötig ist und wie wir ihn heute beschließen hinzugefügt hat: „Das ist der Anfang des Zusammen- werden, die Reihen der Rechtsradikalen prächtig bruchs der europäischen Flüchtlingskonvention"? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13589

Michael Stübgen (CDU/CSU): Ich muß Ihnen geste- wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörig- hen, daß ich diese Stellungnahme nicht kenne. Ich keit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten habe mich an den Text der Genfer Flüchtlingskonven- sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen tion, an dem Heftchen, das vom Bundesanzeiger Überzeugung bedroht sein würde. herausgegeben worden ist, und an Kommentaren Genau dieses Gebot wird in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 des dazu orientiert. Wenn ich diese Stellungnahme gele- Grundgesetzes, wie wir ihn heute beschließen, beach- sen hätte, könnte ich Ihnen eine Antwort auf Ihre tet. Frage geben. Ausdrücklich ist nochmals darauf hinzuweisen, daß Ich möchte allerdings weiterreden. Dann werden als Drittstaaten nur solche Länder in Frage kommen, Sie merken, daß ich keineswegs alles so toll und fein die als absolut verfolgungssicher gelten. Ich möchte finde, was wir heute machen. Ganz im Gegenteil: Es darüber hinaus daran erinnern, daß das Ziel eines geht auch uns Unionschristen so, daß wir nicht locker Asylantrages immer die Sicherheit vor der Verfolgung vom Hocker irgend etwas beschließen und sagen: Das im Heimatland ist und nicht dem Grunde nach die alles ist richtig. Auch wir haben wirklich unsere Verbesserung der wirtschaftlichen Situation beinhal- Probleme damit. Aber ich will Ihnen sagen, warum wir tet. glauben, daß wir so vorgehen müssen. Darüber hinaus begrüße ich die Verkürzung der Die vorliegenden Gesetzentwürfe orientieren sich Verfahren für diejenigen Asylbewerber, die aus peinlich genau an inte rnational anerkannten Richtli- einem sicheren Herkunftsstaat stammen und keine nien, u. a. an dem Abkommen über die Rechtsstellung Tatsachen oder Beweismittel vortragen, die eine Ver- der Flüchtlinge und an der Konvention zum Schutz der folgung wahrscheinlich erscheinen lassen. An der Menschenrechte. Dies sind auch die Grundlagen des Verfolgungssicherheit der Staaten, die in Anlage II zu Asylrechts in den Mitgliedstaaten der Europäischen § 29 a des Asylverfahrensgesetzes genannt sind, Gemeinschaft. bestehen keine Zweifel. Auch hierbei handelt es sich Einige meiner Vorredner haben auf die Notwendig- nicht um eine materiell-rechtliche Einschränkung des keit einer gesamteuropäischen Asyllösung hingewie- Grundrechtes auf Asyl, sondern lediglich um eine sen. Dies möchte ich ausdrücklich unterstreichen. verfahrensrechtliche, bloß antizipierte Tatsachenwür- Kein Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ist digung. in der Lage, die durch den großen Zuwanderungs- Selbstverständlich — das ist wichtig in Zukunft — strom entstehenden Probleme alleine zu lösen. Daher gilt es, die Situation in diesen von uns als verfolgungs- ist die Harmonisierung des europäischen Asylrechts freie Herkunftsländer eingestuften Staaten aufmerk- unabdingbar. Dies wiederum bedeutet für die Bun- sam zu beobachten, um schnell reagieren zu können, desrepublik Deutschl and die Notwendigkeit einer wenn dort Situationen auftreten, die es eben nicht Angleichung an internationale Standards. mehr gerechtfertigt erscheinen lassen, sie als verfol- Die hierzu vorgetragenen Bedenken sind grundlos. gungsfrei zu klassifizieren. Ich möchte darauf hinwei- Niemand in diesem Hause wird unseren europäischen sen, daß auch hier eine gesamteuropäische Lösung Nachbarn wirklich unterstellen, daß sie tatsächlich anzustreben ist. Verfolgten keinen Schutz gewähren. Ich meine die Um die vorliegenden gesetzlichen Grundlagen in Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft, die die Tat umzusetzen, werden insbesondere die Mit- EFTA-Länder und auch — das Vertrauen habe ich gliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, die allerdings — die Länder des ehemaligen Ostblocks Außengrenzen haben, einen hohen personellen und Polen und die Tschechische Republik. finanziellen Aufwand be treiben müssen. Hierbei Bisher war es der Bundesrepublik nicht möglich, denke ich nicht nur an Maßnahmen innerhalb der EG, internationale Vereinbarungen zum Asylrecht unein- sondern auch an die sicheren Drittstaaten, insbeson- geschränkt umzusetzen. Erinnert sei hier nur an das dere die ehemaligen Ostblockstaaten, die ohne Schengener Abkommen, wonach Asylbewerber, die unsere Hilfe eine Rücknahme der durch ihr L and über ein sicheres Drittland einreisen, in dieses zurück- gereisten Flüchtlinge nicht garantieren können. Dies geschickt werden können. Der bisherige Art. 16 Abs. 2 haben die erst kürzlich erfolgten Verhandlungen mit Satz 2 des Grundgesetzes verhinderte eine solche der Volksrepublik Polen gezeigt. Vorgehensweise in Deutschland. Dies behindert eine gerechte Verteilung der Asylbewerber auf alle west- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- europäischen Staaten. Ich sehe gemäß der Genfer geordneter, ich muß Sie an die Bedeutung des roten Flüchtlingskonvention keinen Grund, warum ein Lichtes erinnern. Asylbewerber, der sich bereits in einem verfolgungs- sicheren Staat befindet, nicht auch in diesem um Asyl bitten soll, solange gewährleistet ist, daß in diesem Michael Stübgen (CDU/CSU): Ja, ich sehe das schon Staat die Grundlagen der Konvention und der Euro- die ganze Zeit. Ich bin gleich fertig. päischen Menschenrechtskonvention anerkannt (Heiterkeit) sind. Folgende Gedanken möchte ich noch formulieren, Art. 33 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention weil das heute noch nicht ausgeführt worden ist: Die in besagt, daß den Maastrichter Verträgen vorgegebene Asylrechts- keiner der vertragschließenden Staaten einen harmonisierung kommt einer Verpflichtung der Flüchtling auf irgendeine Weise über die Gren- gesamten EG-Staaten gleich, die Nachbarländer, die zen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen als Nichtverfolgerstaaten eingestuft werden, finanzi- wird, in denen sein Leben oder seine Freiheit ell zu unterstützen. Wir haben heute schon einige 13590 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Michael Stübgen Male gehört, daß in der Osteuropahilfe Deutschl and ment eine breite Unterstützung hat. Sie hat die Unter- allein 70 % der Gesamthilfe ausgibt. Wenn sich hier in stützung von Frauen aller Bundestagsfraktionen. Zukunft nichts ändert — denn die Herausforderung - Der Staatssekretär des Bundesinnenministeriums der Immigration ist eine europäische Herausforde- hat hierzu im Innenausschuß lediglich folgende Erklä- rung —, wird natürlich nichts zu erreichen sein. rung abgegeben — ich zitiere —: Es wird Aufgabe der Bundesregierung und auch Der Bundesminister des Innern erklärt, daß nach unseres Parlamentes sein, die EG-Mitgliedstaaten in seiner Auffassung geschlechtsspezifische Verfol- diesem Bereich an ihre Pflicht zu erinnern. Nur wenn gungen dann Ausdruck von politischer Verfol- wir in den Ländern, aus denen jetzt die Flüchtlings- gung sind, wenn sie vom Staat veranlaßt werden ströme kommen, die politische und wirtschaftliche oder in dem Staat zurechenbarerweise als Mittel Situation mit unserer Hilfe stabilisieren können, wer- politischer Unterdrückung erfolgen, etwa im Rah- den wir den Flüchtlingsstrom eindämmen könne. Nur men einer auf das äußerste zu verurteilenden das kann eine Lösung der jetzigen Problematik völkerrechtswidrigen, absolut inhumanen soge- sein. nannten ethnischen Säuberung. Der Bundesmini- Ich bedanke mich für die Geduld des Präsidenten ster des Innern hat das Bundesamt für die Aner- und für Ihre Aufmerksamkeit. kennung ausländischer Flüchtlinge über seine (Beifall bei der CDU/CSU) Rechtsauffassung unterrichtet. Ich begrüße diese Protokollnotiz als einen ersten Schritt. Damit läßt sich immerhin eine Sensibilisierung Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort derjenigen erreichen, die über Asylanträge zu ent- hat nunmehr die Frau Abgeordnete Ulla Schmidt scheiden haben. Aber Rechtssicherheit für alle betrof- (Aachen). fenen Frauen läßt sich auf diesem Wege nicht herstel- len. (Beifall bei der SPD) Ursula Schmidt (Aachen) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich Meine Fraktion wird daher nach Abschluß des hier nach fast neunstündiger Debatte einen Punkt anspre- zur Debatte stehenden Asylverfahrensgesetzes in chen, der nicht nur heute, sondern leider auch in den Kürze dieses Anliegen in einem neuen Gesetzge- Beratungen über den Asylkompromiß und die bungsverfahren wieder aufgreifen. Ich hoffe dabei auf Gesetze, die wir heute beschließen, zu kurz gekom- Ihre Zustimmung und auf die breite Unterstützung, men ist. die wir zumindest in den Diskussionen vorher hatten, aber auch auf die Einhaltung eines Beschlusses, den Wir alle wissen, daß in allen Regionen der Erde dieser Deutsche Bundestag schon einmal gefaßt hat. schwere Menschenrechtsverletzungen an Frauen begangen werden. Frauen erleben politische Verfol- Vielen Dank. gung vielfach anders, zum Teil auch schwerer als (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Männer. Oft sind sie Opfer von Vergewaltigungen DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der und sexuell gefärbten Foltermethoden. Für sie gelten PDS/Linke Liste und des Abg. Erwin Mar vielfach andere Normen, nur weil sie Frauen sind. So schewski [CDU/CSU]) werden, wie Sie wissen, in islamischen Ländern angebliche Ehebrecherinnen nicht nur ausgepeitscht und gesteinigt, sondern auch mit Todesstrafe Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zu einer bedroht. Kurzintervention erteile ich dem Grafen von Schön- Frauen gelten immer als menschliche Kriegsbeute. burg-Glauchau das Wort. Das jüngste und widerlichste Beispiel, über das auch oft in diesem Parlament diskutiert wurde, ist die systematische Vergewaltigung moslemischer Frauen Joachim Graf von Schönburg-Glauchau (CDU/ im ehemaligen Jugoslawien, die wir alle nur hilflos CSU): Pane President! Kohanie Kolege! Moja matka, zur Kenntnis nehmen. moja ukohana matka, biela polka. Ich darf auf deutsch Um so bedauerlicher ist es, daß im jetzigen Asylver- fortfahren: Meine Mutter war Polin, meine Großmüt- fahrensgesetz die Entschließung des Deutschen Bun- ter haben die urdeutschen Namen Kotek und Kurinski destages vom 31. Oktober 1990 nicht umgesetzt gehabt. Folglich bin ich der Ausländerfeindlichkeit wurde. Damals wurde in diesem Parlament einstim- nicht nur deswegen nicht verdächtig, sondern auch mig beschlossen, daß in das Asylverfahrensgesetz deshalb, weil ich die meiste Zeit meines Lebens selber eine ausdrückliche Klarstellung aufgenommen wer- Fremder oder Ausländer war. den soll, wonach auch wegen ihres Geschlechts oder Ich bin darüber hinaus von Kindesbeinen an not- ihrer sexuellen Orientierung verfolgte Frauen Asyl gedrungen Spezialist für Aufenthaltsgenehmigun- genießen. gen, Dauervisa und Arbeitsgenehmigungen gewor- In zahlreichen Eingaben von Frauenorganisatio- den, für alles, was in diesem Bereich stattfindet. Ich nen, Verbänden, Gewerkschaften, der Humanisti- möchte — wenn auch ohne Mandat — mit dem Gefühl schen Union und Amnesty International sowie Kir- der Verantwortung für diesen Menschenkreis sagen: chen — sie alle haben sie auch erhalten — ist gefordert Wir müssen das Asylrecht retten. Wir werden es nur worden, geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe retten, wenn wir es ergänzen. in die Gesetzgebung aufzunehmen. Dies ist nicht (Beifall des Abg. Jochen Feilcke [CDU/ geschehen, obwohl diese Forderung in diesem Parla CSU] ) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13591

Joachim Graf von Schönburg-Glauchau Liebe Kollegen, wir können lange darüber debattie- Versprechungen und hohem Gewinn bringen Schlep- ren. Aber glauben Sie mir meine Erfahrung: Die per weit mehr als die Hälfte aller illegal Einreisenden in die Bundesrepublik Deutschland. Auf Grund der Fehlasylanten, die Scheinasylanten dürfen nicht- die Amtsstuben und die Herzen unserer Mitbürger ver- bisher gezahlten Sozialleistungen gelten dann die stopfen, die die ganzen Jahre über rührend bereit eingeschleusten Menschen sehr oft als kreditwürdig. waren, Flüchtlinge, DPs, Vertriebene und Verfolgte Wir wollen jetzt mit der Neuregelung auch — aber aufzunehmen. Ich sehe die Gefahr, daß die unechten nicht allein aus diesem Grunde haben wir die Ände- Asylanten die Herzen für die echten verstopfen. Ich rung vorgenommen — den üblen Praktiken dieses bitte Sie daher, den Kompromiß, auch wenn er Men- international organisierten Verbrechertums so weit schenwerk ist, auch wenn er seine Schwäche haben wie möglich einen Riegel vorschieben. wird, als einen richtigen Schritt auf dem richtigen Weg zu unterstützen. Eine weitere in den vergangenen Wochen disku- tierte Frage ist die nach dem Respekt vor der Würde Danke schön. auch der Menschen, die zu Unrecht unter Berufung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge auf das Asylrecht nach Deutschl and kommen. Entge- ordneten der F.D.P. und der SPD) gen manchem Gerede sehe ich in den vorgesehenen Maßnahmen und Leistungen eindeutig keinen Ver- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile stoß gegen die Menschenwürde. nunmehr der Bundesministerin für Familie und Senio- ren, Frau Hannelore Rönsch, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Menschenwürde hat meiner Auffassung nach Hannelore Rönsch, Bundesministerin für Familie erstens zum Inhalt, daß Ausländer in der Zeit, in der sie und Senioren: Herr Präsident! Meine sehr geehrten sich hier aufhalten können, eine ausreichende Exi- Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- stenzgrundlage haben, zweitens, daß eine solche gen! Wir diskutieren heute über die Fragen der Existenzsicherung in gerechter Weise zwischen den Grundrechte auf Zuwanderung, auf Asyl in der Bun- unterschiedlichen Gruppen von Ausländern differen- desrepublik Deutschland. Wir berühren damit einen ziert, und drittens, daß die Leistungen in einem zentralen Nerv unseres politischen Selbstverständnis- einfachen, aber auch in einem durchaus durchschau- ses und unserer demokratischen Grundordnung. baren Verfahren gewährt werden. Ich denke, das gilt auch für die Art und Weise der Dem entsprechen die Lösungen, die im Entwurf des Behandlung der zu uns kommenden Menschen und Asylbewerberleistungsgesetzes enthalten sind. Das ihrer Versorgung. Mit dem Asylbewerberleistungsge- Leistungsrecht für Asylbewerber und geduldete Aus- setz haben wir hierauf eine angemessene und, wie ich länder wird förmlich aus dem Bundessozialhilfe- glaube, auch eine gerechte Antwort gefunden. Sie gesetz herausgelöst. Die jeweilige Leistungsberechti- unterscheidet sich in ihrem gedanklichen Ansatz wie gung knüpft an dem jeweiligen eindeutigen auslän- in der Form ihrer Leistungsgewährung deutlich von derrechtlichen Status an. der Sozialhilfe. Sozialhilfe ist — lassen Sie mich die Begründung aus dem Jahre 1961 zitieren — „Ausfall- Das vorrangige Leistungsprinzip im Asylbewerber- bürge für die Fälle sozialer Notlage". leistungsgesetz ist — anders, als wir es in der Sozial- Sozialhilfe knüpft also grundsätzlich an einen vor- hilfe geregelt haben — die unmittelbare Sachleistung. her erreichten, den hiesigen gesellschaftlichen Ver- Hierzu erfolgt eine pauschalierte und generelle hältnissen entsprechenden Lebensstandard an. Bemessung der Bedarfe zur Deckung des Grundbe- Ebenso eindeutig besteht das maßgebende Ziel der dürfnisses. Auch hierin hebt sich dieses Gesetz von Sozialhilfe in der Eingliederung des Hilfeempfängers dem viel differenzierteren und dem Individualprinzip in die Gemeinschaft. Das gilt bei allem Wandel für die verpflichteten Leistungsgesetz der Sozialhilfe ab. Für Sozialhilfe auch heute noch, ja ich möchte sagen: die Bezahlung notwendiger Dinge des täglichen gerade heute ganz besonders. Lebens wird den Asylbewerbern ein Barbetrag zur Das trifft jedoch nicht auf die Menschen zu, die aus Verfügung gestellt. Ich sage, es ist ein bescheidener ganz anderen Lebensverhältnissen kommen und die Barbetrag. Nur in bestimmten Fällen und unter aus öffentlichen Mitteln versorgt werden, damit sie bestimmten Voraussetzungen kann von dem Sachlei- überhaupt und nur für eine kurze Zeit hierbleiben stungsprinzip abgewichen werden. Auch wenn dies können. Lassen Sie es mich etwas grundsätzlicher nicht im Ermessen der zuständigen Behörde steht, sagen. Der Versuch, Menschen, die aus ganz anderen kann damit dennoch den notwendigen Erfordernissen Lebensumständen kommen und in aller Regel in vor Ort Rechnung getragen werden. Kürze auch wieder dorthin zurückkehren werden, zu Selbstverständlich werden alle medizinischen Hil- einer gesellschaftlichen Eingliederung hier zu moti- fen geleistet: bei Krankheit, bei Schwangerschaft, bei vieren, würde ihnen nur zum Nachteil gereichen. Geburten. Niemand soll im Fall einer akuten Erkran- Denn nach der Rückkehr in ihre Heimat fiele ihnen kung oder bei Schmerzen ärztliche Versorgung ver- eine Reintegration in ihr kulturelles und ihr soziales missen müssen. Umfeld sicher viel schwerer. Ich glaube, daß wir ihnen damit keinen Gefallen tun würden. Schließlich sind Asylbewerber verpflichtet, wäh- Ich halte es darüber hinaus für ausgesprochen rend der Dauer des Verfahrens ihre Arbeitskraft für inhuman, Leistungen in einer Höhe und in einer Form gemeinnützige Zwecke zur Verfügung zu stellen. zu erbringen, die es erlauben, die Forderungen von Eine Aufwandsentschädigung von 2 DM je Stunde soll Schlepperorganisationen abzustottern. Mit falschen dann gewährt werden. 13592 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Bundesministerin Hannelore Rönsch Verfügen Asylbewerber über ein Einkommen und Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich Vermögen, so ist dieses zuerst aufzubrauchen. Das von dieser Stelle aus auch noch einmal an alle war bisher auch nicht klar; wir haben es jetzt geregelt. Mitglieder des Deutschen Bundestages appellieren, Die Kosten für die Sachleistungen in den Einrichtun- dem interfraktionellen Kompromiß zu Asyl und gen sind durch feste Pauschalsätze oder Pauschalrah- Zuwanderung, aber auch dem Asylbewerberlei- mensätze vom Asylbewerber, der dazu in der Lage ist, stungsgesetz zuzustimmen. Ein Scheitern dieses Kom- zu erstatten. promisses wäre sicherlich nicht zu verantworten; es wäre nicht zu verantworten für die unmittelbar Betrof- Zuständig für die Durchführung des Gesetzes sind fenen, und es wäre nicht zu verantworten für die die Lander. Auch tragen sie wie bisher weitgehend Bürger unseres Landes. die Kosten dafür. Sie können in einem vereinfachten Verfahren die zuständigen Behörden und die Kosten- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) träger im Lande bestimmen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr noch einmal die Kernpunkte dieses neuen Gesetzes spricht die Abgeordnete Frau Christel Hanewinckel. aufgelistet, und ich bin überzeugt, daß sich dieses Gesetz als ein praktikables Instrument erweisen wird. Christel Hanewinckel (SPD): Herr Präsident! Meine Es enthält — ich glaube, das ist ebenso wichtig — Damen und Herren! Flüchtllinge, Asylbewerber, die Lösungen, die von den Betroffenen, aber auch von nach Deutschland kommen, müssen etwas zum Leben unserer Bevölkerung akzeptiert werden können. haben. In Deutschland gilt der Grundsatz, daß das nach dem Bundessozialhilfegesetz zu geschehen hat. (Beifall bei der CDU/CSU) In § 1 Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes ist formu- Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir muß- liert: „Aufgabe der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger ten allerdings auf Wunsch der Opposition noch einen der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, § 1 a einfügen und haben einen Kompromiß gefunden, das der Würde des Menschen entspricht." der mir — das gestehe ich offen ein — heute noch Im November 1992 hatte die Koalition einen Gesetz- etwas Kopfzerbrechen bereitet. Danach sollen Asyl- entwurf eingebracht, der eine Kürzung des Regelsat- bewerber, wenn das Verfahren nach zwölf Monaten zes nach dem Bundessozialhilfegesetz um 25 % vor- noch nicht unanfechtbar entschieden ist, und gedul- sah. Meine Kollegin Brigitte Lange hat schon damals dete Ausländer, die den Grund der Duldung nicht auf die grundsätzliche Problematik hingewiesen, daß selbst zu vertreten haben, zwar leistungsberechtigt eine generelle Kürzung des Regelsatzes für Asylbe- nach dem Gesetz bleiben; Höhe und Form der Lei- werber dem Individualisierungsgebot des Bundesso- stung sowie das weitere Verfahren sollen sich dann zialhilfegesetzes widersp richt. jedoch aus entsprechenden Anwendungen des Bun- Das Parlament ist heute dabei, eine Neuregelung zu dessozialhilfegesetzes ergeben. verabschieden, die außerhalb des Bundessozialhilfe- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden hier gesetzes in einem eigenständigen Gesetz Leistungen ganz genau verfolgen müssen, wie das Gesetz insge- für Asylbewerber regeln soll. Das ist im Parteienkom- samt durchgeführt wird und wie sich die jetzt vorge- promiß vom 6. Dezember 1992 so vorgesehen. Außer- schlagenen Lösungen entwickeln und sich dann auch dem ist in diesem Kompromiß festgeschrieben, daß für die Betroffenen auswirken. eine deutliche Absenkung der bisherigen Leistungen erfolgt, daß bei Aufenthalten in zentralen Anlaufstel- Selbstverständlich ist die Regelung nach § 1 a in len oder Gemeinschaftsunterkünften grundsätzlich diese kritische Überprüfung mit eingeschlossen. Ich Sachleistungen zu gewähren sind und daß bei Aufent- denke, daß wir gerade an dieser Stelle besonders halten in zentralen Anlaufstellen — sprich: Gemein- aufpassen müssen, daß sich nachher keine Fehlent- schaftsunterkünften — ein Vorrang für Sachleistun- wicklungen einstellen. Ich wünsche es nicht, halte es gen gilt. Nach einer positiven Entscheidung im Ver- aber durchaus für möglich, daß wir uns gerade bei waltungsverfahren oder einer positiven Entscheidung dieser Regelung in absehbarer Zeit noch einmal über ein Bleiberecht werden Leistungen nach dem treffen und darüber neu verhandeln müssen. Bundessozialhilfegesetz gewährt. Viel wird davon abhängen, daß das Ausländer- und Der Gesetzentwurf, der von der Koalition vorgelegt Asylrecht in der neuen Fassung wie auch das Asylbe- wurde, ging an vielen Stellen über den soeben zitier- werberleistungsgesetz strikt angewandt werden. Ich ten Kompromiß hinaus. Verhandlungen waren nötig. fordere auch von dieser Stelle alle, die nachher für die Sie waren schwierig und problematisch; problema- Umsetzung zuständig sind, auf, dieses Gesetz, wie es tisch deshalb, weil die Koalition weder von sozialpo- in der Praxis jetzt schon möglich wäre, dann, wenn es litischen Aspekten noch von den Art. 3 und Art. 1 des beschlossen ist, umgehend umzusetzen, damit wir zu Grundgesetzes ausging. Sie wollte das Leistungsge- den Möglichkeiten und Ergebnissen kommen, die wir setz als Instrument einer Politik der Begrenzung und uns von diesem Gesetz versprechen. Steuerung von Zuwanderung durch Abschreckung benutzen. Sie hatte außerdem die Absicht, dem Miß- (Zustimmung bei der CDU/CSU) brauch entgegenzusteuern, und hat dabei übersehen, Hier stehen die Länder und die Kommunen in der daß sie die Flüchtlinge bestrafen wollte, statt die zu Verantwortung, damit die bisher von Deutschland strafen bzw. zu stellen, die für den Mißbrauch verant- ausgehende Sogwirkung auf Asylbewerber ohne poli- wortlich sind, nämlich die Schlepperorganisationen. tische, rassische oder religiöse Verfolgung vermindert Für die SPD-Bundestagsfraktion war es nach drei wird. Verhandlungsrunden nicht möglich, den Gesetzent- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13593

Christel Hanewinckel wurf in erster Lesung am 3. März 1993 mit einzubrin- Sanktionen im Bereich der Barleistungen erdulden gen. Die SPD war der Meinung, daß Menschen in müssen. diesem Land unter unseren Bedingungen das zum Es ist auch nicht hinzunehmen, daß es in § 10 keine Leben Unerläßliche benötigen, unabhängig davon, Regelung gibt — ein neuer Abs. 1 wäre da notwendig welcher Hautfarbe oder welchen Geschlechts sie sind, gewesen —, die sicherstellt, daß Beratung für Asylbe- welcher Nationalität oder welcher Gesellschaft sie werber und Ausländer finanziert wird. Die Inan- angehören. spruchnahme entsprechender Hilfen setzt eben nicht Die Beschränkung auf deutlich abgesenkte Lei- nur eine Information z. B. über Weiterwanderungs- stungssätze ist sozialpolitisch nur dann vertretbar, programme, sondern auch Beratung zur Entschei- wenn der Zeitraum des Leistungsbezuges begrenzt ist dungshilfe voraus. Mit diesem Gesetz wird diese und die generelle Gewährung von Sachleistungen Beratung nicht mehr finanziert. nur für zentrale Aufnahmestellen gilt. Zu allen vier Punkten gab es Änderungsvorschläge der SPD, die die Koalition abgelehnt hat. Inzwischen haben die Verhandlungen erhebliche Verbesserungen dieses Gesetzes gebracht. Die SPD Für einen Teil meiner Kolleginnen und Kollegen gilt zum anderen die grundsätzliche Ablehnung dieses hat erreicht, daß der Zeitraum, in dem Asylbewerber an abgesenkte Leistungen erhalten, auf zwölf Monate Leistungsgesetzes, und zwar deshalb, weil sie sich an Art. 1 des Grundgesetzes gebunden fühlen, der uns begrenzt ist. Die Koalition wollte die gekürzten Lei- bindet, stungen unbegrenzt lassen und alle schon jetzt in der Unantastbarkeit der Würde des Menschen die und weil mit der Ausgliederung des Leistungsgeset- Bundesrepublik lebenden Asylbewerber auf die abgesenkten Sätze verweisen. Durch die Begrenzung zes für Asylbewerber aus dem BSHG dieses Gesetz dem Obersatz des Sozialhilferechts nicht mehr ver- des Leistungszeitraums auf zwölf Monate ist auch eine pflichtet ist. Altfallregelung getroffen, die vorher nicht vorgese- hen war. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS/Linke Liste) Außerdem hatte die Koalition vor, Asylbewerber, deren Verfahren nach über zwölf Monaten negativ Ich zitiere diesen Satz noch einmal. Er lautet: entschieden wird und die danach Rechtsmittel einle- Aufgabe der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger gen, ab diesem Zeitpunkt mit abgesenkten Leistun- der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermögli- gen zu bestrafen. Es war einige Mühe notwendig, der chen, das der Würde des Menschen entspricht. Koalition klarzumachen, daß das Beschreiten des Die Sorge dieses Teils der SPD-Fraktion ist, daß der Rechtsweges in diesem Lande noch Gültigkeit hat und in Teilen der Bevölkerung herrschende Eindruck, nicht mit geminderten Leistungen bestraft werden Asylbewerber kämen nur wegen unseres Geldes, kann. durch diese Gesetzesvorlage bestätigt wird. Wir haben weiterhin erreicht, daß Geduldete nach Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz wird erst- Abschluß ihres Verfahrens nicht weitere sechs mals ein Leistungsniveau zur Sicherung des Lebens- Monate abgesenkte Leistungen bekommen, sondern unterhalts unterhalb des BSHG festgeschrieben. sofort in den Geltungsbereich des BSHG gelangen, Damit werden erstmals seit der Einführung des BSHG daß Geld- und Sachleistungen nicht unter das zum ordnungs- und polizeirechtliche Überlegungen wie- Leben Unerläßliche gekürzt werden — der Trend in der zu bestimmenden Elementen sozialrechtlichen der CDU war, auf 50 % des Regelsatzes zu kürzen — Handelns. Es ist nicht gerechtfertigt, die soziale und daß der Leistungszeitraum auf 12 Monate Grundsicherung des BSHG zu einem Instrument der begrenzt worden ist. Ausländer- und Asylpolitik zu machen und sie damit faktisch auszuhöhlen. Es ist weiterhin die Beibehaltung der sogenannten Härtefallklausel, eine teilweise Öffnung des Sachlei- Aus all diesen zuletzt genannten Gründen wird es stungsprinzips für dezentrale Unterkünfte und eine einem großen Teil der SPD-Fraktion nicht möglich Sollvorschrift für persönliche Auszahlung der Geld- sein, diesem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustim- beträge erreicht worden. Die beiden zuletzt genann- men. Ich gehöre auch zu diesem Teil der Bundestags- ten Punkte sind Vorschriften, die vor allen Dingen für fraktion, der dem Asylkompromiß und auch diesem Gesetz nicht zustimmen kann. die Praktikabilität dieses Gesetzes sprechen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei Die Veränderung und damit die deutliche Verbes- der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS serung dieses Gesetzes hat es für die Mehrheit der 90/DIE GRÜNEN) SPD-Fraktion zustimmungsfähig gemacht. Für den anderen Teil der SPD-Fraktion ist dieses Gesetz nicht zustimmungsfähig, und zwar zum einen deshalb, weil Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort andere notwendige Nachbesserungen von der Koali- hat nunmehr der Abgeordnete Herbert Werner. taion abgelehnt wurden. Zum Beispiel können in § 3 die Leistungen im (Ulm) (CDU/CSU): Herr Präsident! Krankheitsfall so nicht akzeptiert werden. Asylbewer- Herbert Werner ber können nach dem jetztigen Text von bestimmten Meine Damen und Herren! Unser humaner, auf Behandlungen ausgenommen sein. Menschlichkeit und Menschenrecht ausgerichteter Rechtsstaat hat unter anderem zum Inhalt, daß jeder In § 4 ist nicht akzeptabel, daß Asylbewerber zu Mensch, der sich vorübergehend oder dauernd auf Arbeiten verpflichtet werden und, wenn sie ablehnen, seinem Territorium befindet, sein Existenzminimum, 13594 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Herbert Werner (Ulm) also das, was er absolut notwendig zum Überleben standes in den Mittelpunkt gestellt, eben gerade weil braucht, vom Staat gewährleistet erhält. wir wissen, daß hinter einem jeden einzelnen Antrag Dieser Grundsatz gilt selbstverständlich auch- für ein menschliches Schicksal mit all seinem Elend, mit aller Hilflosigkeit, Ohnmacht und Entwürdigung ste- Asylbewerber. Nach annähernd 440 000 Neubewer- bern im vergangenen Jahr werden es in diesem Jahr hen kann. voraussichtlich ebenso viele sein, und für diesen Aber wir wissen eben auch, daß in Anbetracht der Personenkreis haben Länder und Gemeinden 1992 zahlreichen mißbräuchlichen Antragstellungen ein annähernd 9 Milliarden DM ausgegeben. hohes Maß an mißbräuchlicher Inanspruchnahme und Dieser Kostendruck und die Schwierigkeiten bei Erlangung von Leistungen nach dem bisherigen der Unterbringung der Bewerber haben ja die BSHG-Recht durch Asylbewerber stattgefunden hat. Gemeinden dazu gebracht, von uns, dem Gesetzge- Ich mache dies nicht den Bewerbern persönlich zum ber, energisch die Reduzierung der Kosten und die Vorwurf, sondern richte an uns, den Gesetzgeber, Verbesserung der Möglichkeiten der Unterbringung einfach die Frage, ob dies denn so automatisch auch in zu verlangen. Zukunft sein muß. Es nimmt eigentlich nicht wunder, daß in den Wir haben gehört, daß wir in den Ausschußberatun- letzten Monaten vermehrt SPD-Kommunalpolitiker gen den Zeitraum der Leistungsgewährung auf zwölf im Gegensatz zu ihrer Parteiführung, meine Damen Monate ausgeweitet haben. Es ist richtig, Frau Hane- und Herren, gefordert haben, daß wir auch in diesem winckel, daß Sie darauf hingewiesen haben, dies sei Bereich Veränderungen durchführen. absolut notwendig. Wir sind hier entgegengekom- men, weil wir sagten: Wenigstens bis zu dem Zeit- Mit diesem Asylbewerberleistungsgesetz, das punkt, bis innerhalb wenigstens der ersten zwölf heute vorliegt, wird in der Tat der Kreis der Asylbe- Monate unanfechtbar entschieden ist, wollen wir werber im Hinblick auf die Inanspruchnahme von mitgehen, aber nicht darüber hinaus. Leistungen aus dem Bereich des BSHG herausgenom- men. Dies ist meines Erachtens aber auch richtig so Ich gebe zu, es wäre uns das liebste gewesen, wenn und vertretbar. für den ganzen Prüfungszeitraum, für die ganze Ver- fahrensdauer dieses Asylbewerberleistungsgesetz Wenn wir soeben gehört haben, Frau Hanewinckel, Geltung bekommen hätte. Aber wir haben mitge- daß damit angeblich der Asylbewerber unter das macht, weil wir davon ausgehen müssen, daß jetzt des BSHG-Beziehers vergleichbare Lebensniveau endlich auch die Länder aktiv mitwirken, so daß abfalle, wenn wir soeben von Ihnen gehört haben, daß innerhalb von zwölf Monaten dem Asylbewerber ein damit die Würde des Menschen tangiert würde, dann unanfechtbarer Bescheid zugestellt werden kann. muß ich Ihnen sagen, da kann ich Ihnen in diesen beiden Punkten absolut nicht zustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Wir wissen auch, daß wir, wenn wir vorrangig auf ordneten der F.D.P.) das Sachleistungsprinzip umstellen, dem Asylbewer- Denn es ist zweifelsohne so, meine Damen und ber natürlich manche Belastung zumuten müssen. Herren, daß der deutsche Sozialhilfeempfänger eine Aber wir glauben, wenn m an einmal die Situation mit Fülle von Leistungen zunächst einmal nicht automa- der im Herkunftsland der Mehrzahl der Bewerber tisch erhält, die der Asylbewerber als gleichsam vergleicht, ist es zumutbar, zu Beginn in einem Auf- selbstverständlich vom ersten Tag seines Aufenthaltes nahmelager und danach in einer Sammelunterkunft an hier zur Verfügung gestellt bekommt. untergebracht zu werden. Wir haben ausdrücklich darauf hingewiesen, Frau Hanewinckel, daß wir Es ist andererseits auch, glaube ich, wohl einsichtig: Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme Wenn wir davon ausgehen können, daß in Anbetracht anbieten wollen. Ich füge hinzu: Wir sind uns auch der der Beschleunigung der Verfahren die Asylbewerber Tatsache bewußt, daß der nächste Schritt eigentlich durchschnittlich einen insgesamt kürzeren Zeitraum auf EG-Ebene folgen muß, nämlich EG-weit den hier verweilen werden, daß die große Mehrzahl der Herkunftsländern dieser Asylbewerber in größerem Asylbewerber zunächst einmal hierherkommt und Umfang Infrastrukturförderungsprogramme anzubie- nachher einen ablehnenden Bescheid erhält, daß ten. diese also in Anbetracht dieses kurzen Zeitraums hier (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge am sozio-kulturellen Leben auch gar nicht teilneh- ordneten der F.D.P.) men, gar nicht teilnehmen können — wegen der Sprachbarrieren und anderen Hindernissen —, dann Meine Damen und Herren, wenn wir die Situation in läßt sich auch eine geringfügige Absenkung der den Gemeinden be trachten, müssen wir durchaus Leistungssätze durchaus rechtfertigen. auch auf die Frage eingehen: Können wir in jedem Fall das Sachleistungsprinzip durchstehen? Wir sehen die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge vielfältigen Schwierigkeiten in den Gemeinden, und ordneten der F.D.P.) wir haben deswegen gesagt: Jawohl, dort, wo notwen- Deswegen ist diese Absenkung, verehrte Kollegin dig, werden Wertgutscheine ausgestellt, und zwar Hanewinckel, nichts, was zu Lasten der Menschen- beim Haushaltsvorstand bis zu einer Größenordnung würde dieser betroffenen Asylbewerber geht. von 360 DM. Dieser Wertgutschein sollte aber zunächst einmal die Ausnahme sein. Wir gingen, nicht (Zuruf von der PDS/Linke Liste: Doch!) zuletzt auf Grund der gründlichen Darstellung seitens Wir haben in allen Diskussionen und Ausschußbe- unserer Regierung, sogar so weit zu sagen, daß dort, ratungen eine sachbezogene Behandlung des Gegen wo es in einer kleinen Ortschaft absolut nicht möglich Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13595

Herbert Werner (Ulm) ist, Wertgutscheine umzusetzen, an den Mann — an Ich komme zum Schluß. Das, was wir soeben aus den Kaufmann, an die Kauffrau — zu bringen, im den Worten der verehrten Kollegin Hanewinckel Ausnahmefall sogar eine geldliche Leistung -daraus gehört haben, stimmt mich eigentlich traurig; werden kann. Wenn Sie den Wert der Wertgutscheine (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) und der von Frau Minister bereits angesprochenen Bargeldleistung dazunehmen, werden Sie feststellen, denn wir hatten in den Ausschußberatungen eine daß wir im Vergleich zum BSHG-Satz von 510 DM in recht offene, eine recht faire, wenn auch harte Diskus- diesem fahr die Summe beim Haushaltsvorstand um sion. In den Ausschußberatungen haben wir seitens 18 % und bei einem Kind um 14 % absenken. Da der Unionsparteien und seitens der F.D.P. wiederholt macht mir niemand vor, daß diese Menschen damit Ihnen, meine Damen und Herren, nachgegeben und unter das Existenzminimum fallen; denn sie bekom- sind Ihnen entgegengekommen, um eine möglichst men alle zusätzlich zu diesen Leistungen Wohnung, breite Basis zu finden. Heizung und Hausrat zur Verfügung gestellt. (Norbert Eimer [Fürth] [F.D.P.]: Genauso war es!) (Zuruf von der CDU/CSU : Ganz richtig! — Leider haben Sie gerade do rt, wo wir Ihnen vor dem Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord Hintergrund der Allparteienabsprache vom Dezem- neten der F.D.P.) ber entgegengekommen waren, fast Punkt für Punkt Es komme mir also bitte niemand und sage, daß sie für den Rückzug angetreten. deswegen hier darben und untergehen müssen, (Widerspruch bei der SPD) meine Damen und Herren. Dies meine Damen und Herren, stimmt uns traurig. Wir haben im Gesetz sogar zusätzlich die Möglich- Ganz unverständlich ist das, was Sie, verehrte keit vorgesehen, daß Erwerbstätigkeit aufgenommen Kollegin, zum Schluß anführten. Sie wiesen nämlich werden kann. Allerdings — das ist doch auch nur recht darauf hin, daß die große Mehrzahl von Ihnen im und billig — sehen wir für diesen Fall vor, daß nach zuständigen Fachausschuß nur mit dem Hinweis Abzug eines geringfügigen Betrages für den Eigenbe- zugestimmt hat, hier im Plenum ablehnen zu wollen. halt in entsprechender Weise die in der Sammelunter- Dies ist eine Schizophrenie, die ich nicht mehr verste- kunft anfallenden Kosten, angefangen beim Nah- hen kann. rungsanteil bis hin zu den Sachleistungen, eben vom (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Verdienst bezahlt werden müssen. Denn es kann ordneten der F.D.P.) natürlich nicht so sein, daß der Asylbewerber neben- Meine Damen und Herren, dieses Ihr Verhalten ist her eine Arbeitstätigkeit aufnimmt und daneben die ein erneuter Beitrag Ihrerseits zur Parteienverdros- Sachleistungen — Unterkunft und Heizung usw. — senheit in diesem Staat. Deswegen appelliere ich an gratis gestellt bekommt. Sie: Stimmen Sie uns doch noch in letzter Stunde zu! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ordneten der F.D.P.)

Weil dies so ist, meine Damen und Herren, brauchen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr wir uns den Schuh nicht anzuziehen, den Sie uns hat der Abgeordnete Norbert Eimer das Wo rt. immer anziehen möchten, indem Sie sagen, wir gin- gen mit den Asylbewerbern unbarmherzig und herz- los um. Auch wenn dieser Vorwurf aus kirchlichen Norbert Eimer (Fürth) (F.D.P.): Herr Präsident! Kreisen kommen sollte, ist er genauso falsch, wie Meine Damen und Herren! Kein Abgeordneter der wenn Sie ihn erheben. F.D.P. empfindet das, was wir heute tun müssen, als sehr angenehm, und den Kollegen von den anderen (Beifall bei der CDU/CSU) Parteien geht es ja ganz offensichtlich nicht anders. Aber angesichts von ca. 17 Millionen Flüchtlingen im Meine Damen und Herren, wir wissen natürlich, daß Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und ca. wir diese acht bis neun Milliarden DM jetzt nicht 500 Millionen Hungerflüchtlingen auf der Welt muß plötzlich den Gemeinden abnehmen können. Wir man erkennen, daß selbst alle reichen Staaten des wissen, daß die Einsparungen in einer Größenord- Westens nicht die Kapazität haben, nicht in der Lage nung von 2 bis maximal 2,5 Milliarden DM, die sich für sind, alle Flüchtlinge aufzunehmen. die Länder und die Gemeinden ergeben werden, vergleichsweise gering sind und hinter den Erwartun- Auch wir sind dazu nicht in der Lage, nehmen wir gen, die auch viele von uns ursprünglich hatten, doch jetzt bereits 70 % der Flüchtlinge in der Europäi- zurückzubleiben. Aber es ist dies ein wichtiger erster schen Gemeinschaft bei uns auf. Wir sind auch gar Anfang. Es ist wichtig, daß die Gemeinden erkennen, nicht in der Lage, für 400 000 bis 500 000 Personen pro daß wir ihre Nöte sehen. Allerdings ist es genauso Jahr allein die Wohnungen zu bauen; und es werden wichtig, daß die Gemeinden jetzt aktiv und zielstrebig täglich mehr Bewerber. dieses Gesetz anwenden und umsetzen, damit die Meine Kollegen, der Unterschied zwischen Gesin- teilweise schwierigen Unterbringungssituationen be- nungsethik und Verantwortungsethik, wie er von seitigt werden. Max Weber formuliert wurde, läßt sich am Beispiel Asyl sehr gut darstellen. Sich für Verfolgte und für (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Hungerflüchtlinge einzusetzen ist die eine Seite. Wer ordneten der F.D.P.) könnte dagegen sein? 13596 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Norbert Eimer (Fürth) Die Verantwortung für die Eingliederung zu über- auf die Höhe der Sozialhilfe kommt, und das halten nehmen und von den Bürgern dafür Opfer zu verlan- wir für kontraproduktiv. gen, das ist die andere Seite. Wir reden vom- Teilen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne unseres Reichtums, von mehr Entwicklungshilfe, von ten der CDU/CSU) Auslandsinvestitionen und vom Schuldenerlaß. Wenn es ernst wird, wenn uns z. B. Arbeitsplätze in der Wir hätten weniger Probleme mit diesem Gesetz Dritten Welt Konkurrenz machen — etwa im Stahlbe- gehabt, wenn auch hier eine Mißbrauchsregelung reich oder in der Textilindustrie —, dann wird ebenso vorgesehen wäre. Das hat die SPD nicht mitge- heftig demonstriert und debattiert wie heute. macht. Bei den Verhandlungen sind am ursprünglichen Moral ist nicht etwas Abstraktes. Die Folgen von Gesetzentwurf eine Reihe von Verbesserungen vor- moralischen Entscheidungen müssen auch in ihrer genommen worden, die sich zum Teil auch mit der moralischen Tragweite gesehen werden. SPD ergeben haben. Die heute von uns zu beschließenden Maßnahmen Unerfreulich ist für mich aber, daß sich die SPD in gliedern sich in zwei Bereiche: zum einen in den unserem Ausschuß nicht an die Abmachungen gehal- administrativen Teil und zum zweiten in den Lei- ten hat. stungsteil, über den ich vor allem sprechen möchte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Faktum ist, daß die Mehrzahl derer, die zu uns In mühsamen Beratungen zu diesem Gesetz sind wir kommen, nicht asylberechtigt sind. 1992 lag die Aner- Kompromisse eingegangen, die in dieser Form dann kennungsquote bei 4,3 %. Die Einreise erfolgt über von der Koalition eingebracht worden sind. Die SPD Schlepperorganisationen, obwohl die Asylbewerber brachte entgegen den Absprachen weitere Ände- mit Abschiebung rechnen müssen. Bei uns sind die rungsanträge ein, und ich frage mich: Was wäre Leistungen nach dem Sozialhilfegesetz für die mei- passiert, wenn wir uns auch so verhalten hätten? sten Asylbewerber so hoch, daß auch ein begrenzter (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Aufenthalt in Deutschland lukrativ ist, und zwar so ordneten der F.D.P.) lukrativ, daß sogar zusätzlich Zahlungen an Schlep- Das ist das Ende von Kompromissen im Parlament. Ich perorganisationen möglich sind. Alle administrativen hoffe — und die Reden der Mehrzahl der SPD- Maßnahmen, meine Kollegen, werden nicht helfen, Abgeordneten haben es mir gezeigt —, daß m an wohl also auch nicht die Grundgesetzänderung und das wieder zu dem üblichen Verfahren zurückkommen Verfahrensrecht nicht, wenn nicht der materielle wird und daß in Zukunft solche Absprachen wohl Anreiz für nicht Berechtigte abgebaut wird, und dazu besser halten können als in der Vergangenheit. soll dieses Gesetz dienen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) So ist — erstens — vorgesehen, an Asylbewerber nicht Sozialhilfe zu zahlen, sondern einen niedrigeren Betrag nach diesem Gesetz. Der Sozialhilfesatz ent- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Es spricht hält einen sogenannten soziokulturellen Anteil, der nunmehr die Abgeordnete Frau Dr. Barbara Höll. an Asylbewerber nicht gezahlt werden muß. Die soziale Eingliederung soll nämlich erst dann erfolgen, wenn die betreffenen Personen auch in Deutschland Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! eine Bleibeberechtigung haben. Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Grund- gesetzänderung schaffen Sie praktisch das Grund- Zweitens. Wir wollen in erster Linie Sachleistungen recht auf Asyl ab und lassen den Flüchtling wieder an Asylbewerber geben, also nicht mehr Geldleistun- zum Objekt des Staates werden. gen, weil damit das verfügbare Geld in den Händen (Zuruf von der CDU/CSU: Sie wissen, daß Sie der Asylbewerber geringer und das Geschäft für Quatsch reden!) Schlepperorganisationen unattraktiver wird. Was bleibt, ist nur ein restriktives Gnadenrecht für Dieses Gesetz — drittens — vor, daß die niedrigen Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge. Leistungen nur solange gewährt werden, bis die erste (Jochen Feilcke [CDU/CSU): Entweder sind positive Anerkennung vorliegt. Das heißt, jeder Asyl- Sie böse, oder Sie können nicht lesen, und bewerber wird ein Interesse daran haben, daß dieses beides ist für das Parlament ungeeignet!) Verfahren möglichst zügig abläuft und nicht durch Bei der Aufstellung dieses neuen Feindbildes geht Verfahrenstricks verlängert wird. Wenn die Bundes- es wie immer darum, den Feind zu entmenschlichen regierung gegen einen positiven Entscheid klagt, so und zu entrechtlichen. geht das nicht zum Schaden und Nachteil des Asylbe- werbers. Regierung, Koalition und leider auch die Mehrheit der SPD benutzen die Not von Frauen, Männern und Leider hat die SPD im Rahmen der Beratungen Kindern, die aus verschiedensten Gründen aus ihrer einen Änderungsantrag eingebracht und auch durch- Heimat flüchten müssen, um Rechts- und Sozialstaat- gesetzt, den wir für kontraproduktiv und schlecht lichkeit in Deutschland abzubauen, ob bewußt oder halten. So soll die Leistung nach diesem Gesetz in der unbewußt. Sie haben Unwissenheit und insbesondere Höhe maximal auf ein Jahr begrenzt werden. Das soziale Ängste eines Teils der deutschen Bevölkerung bedeutet, daß derjenige, der den ersten negativen gegen den angeblichen Feind Asylbewerber kanali- Entscheid bekommt, ein Interesse hat, das Verfahren siert und mißbraucht, um von den Fehlern Ihrer Politik so lange hinauszuzögern, bis er nach diesem Gesetz und der bewußten massiven Umverteilung des gesell- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13597

Dr. Barbara Höll schaftlichen Reichtums von unten nach oben abzulen- zu Sozialabbau und ökonomischem Ausverkauf und ken. Sie scheuen sich auch nicht, trotz Ratifizierung werfen den verarmten Menschen vor, daß sie Elend, der UN-Kinderrechtskonvention gegen fast alle ihre Hunger und Tod zu entfliehen versuchen. Das deut- Artikel zu verstoßen. sche Kapital ist an der beispiellosen Ausplünderung der Länder der Dritten Welt beteiligt, und Politiker Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz soll eine kriminalisieren dann in treuer Gefolgschaft die betrof- deutliche Absenkung der bisherigen Leistungen erfolgen. Es geht um eine fragliche Einsparung von fenen Menschen, die einen individuellen Ausweg suchen, als Wirtschaftsflüchtlinge oder Scheinasylan- 2 Milliarden DM pro Jahr. Morgen wird dann mit dem Föderalen Konsolidierungsprogramm u. a. über die ten. Senkung der Spitzensteuersätze beschlossen werden, In Ihrer Liste der sicheren „Herkunftsländer", in den gut Betuchten dieses Landes ab 1994 ein Steuer- denen es also a priori keine politische Verfolgung gibt, geschenk von über 7,8 Milliarden DM pro Jahr zu haben Sie z. B. Polen und Rumänien aufgenommen. machen. Für die angebliche Ersparnis von 2 Milliar- Doch haben Sie sich jemals Gedanken darüber den DM, die selbst nach Einschätzung von u. a. gemacht, was eine Abschiebung auch in sogenannte kommunalen Vertretern und der Bundeskonferenz sichere Drittländer für Menschen bedeutet, die in der Ausländerbeauftragten von Bund, Ländern und ihren Heimatländern verfolgt werden, weil sie les- Gemeinden durch Sachleistungsprinzip und Wertgut- bisch oder schwul sind? Auch und gerade in den scheine einen hohen Verwaltungs- und Kostenauf- „sicheren" Herkunftsstaaten, wie Polen oder Rumä- wand verursacht, sind Sie, meine Damen und Herren, nien, werden Lesben und Schwule gesetzlich verfolgt bereit, grundgesetzwidrig zu handeln. und ins Gefängnis geworfen. „Die Würde des Menschen ist unantastbar.", Art. 1 Dazu ein Beispiel: In einer kleinen rumänischen des Grundgesetzes, „Alle Menschen sind vor dem Stadt in der Nähe von Timisoara wurden Ende Januar Gesetz gleich.", Art. 3 des Grundgesetzes. dieses Jahres zwei Männer verhaftet, weil sie in einer homosexuellen Beziehung zusammenlebten. Die offi- Art. 1, 2 und 3 können oder trauen Sie sich noch zielle Zeitung der rumänischen Polizei „Tim-Polis" nicht zu ändern. Wenn alle Menschen vor dem Gesetz bezeichnete dies als „Gefahr für die Gesellschaft". gleich sind, müssen Sie also verschiedene Gesetze für Beiden droht eine Haftstrafe von fünf bis sieben verschiedene Menschen machen. Entgegen A rt. 3 Jahren. Amnesty International berichtete, daß beide Abs. 3 des Grundgesetzes unterteilen Sie die Men- in der Polizeihaft mißhandelt und gefoltert wurden. schen nach Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat Dies nur ein Beispiel aus Europa. und Herkunft. Das ist Rassismus. Zu der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Das Asylbewerberleistungsgesetz grenzt eine Familie und Senioren heißt es dann: Gruppe von Menschen aus der allgemeinen sozial- Das Recht auf Asyl müsse aber für diejenigen voll rechtlichen Versorgung des Bundessozialhilfegeset- wirksam bleiben, die verfolgt würden und des- zes, das geschaffen wurde, um entehrende Armut zu halb des Schutzes bedürften. verhindern und allen Menschen, die in der Bundesre- Das ist menschenverachtender Zynismus. publik Deutschland leben, die Führung eines Lebens Ich möchte mit einem Zitat eines Verfolgten schlie- zu ermöglichen, das der Würde des Menschen ent- ßen: spricht, aus; im übrigen jetzt eine Gruppe, andere werden folgen, und dann trifft es Deutsche. Die Das Asylrecht verwandelte sich zuerst in ein Leistungen werden wesentlich gemindert und nur als Aufenthaltsrecht unter einem Ausnahmezustand, Sachleistungen ausgegeben, die medizinische Ver- dann in das Recht auf eine ärztliche Behandlung sorgung wird gesundheitsgefährdend unterboten, und schließlich in das Recht auf den Friedhof. Das jegliche minimale Besitzstandswahrung z. B. an bedeutete aber, daß ich erst als Leiche die Vor- ererbten Schmuckstücken und Mindestgeldbeträgen züge der Demokratie in vollem Umfang schätzen wie bei deutschen Sozialhilfeempfängern werden gelernt haben würde. aufgehoben. Das Recht auf selbstbestimmte Schwan- So Leo Trotzki nach seinem vergeblichen Versuch, gerschaft der Asylbewerberinnen ist trotz Nachfrage 1929 in Deutschland unter der sozialdemokratischen ausdrücklich nicht geregelt. Die besondere Situa tion Regierung Asyl zu erhalten. von Flüchtlingen, die Verarbeitung der Flucht, wer- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) den einfach ignoriert. Mögen auch Politikerinnen und Politiker dieses Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile Hauses am 8. November 1992 in Berlin unter dem nunmehr der Abgeordneten Frau Vera Wollenberger Thema „Die Würde des Menschen ist unantastbar" das Wort. demonstriert haben, mit Ihrer heutigen Ja-Stimme überführen Sie sich selbst der Heuchelei. Vera Wollenberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Asylbewerberleistungsgesetz soll die wirt- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der schaftlichen Anreize, nach Deutschland zu kommen, Kürzung von Sozialhilfeleistungen an Flüchtlinge soll mindern und verlagert nur ein Problem — das der Abschreckungspolitik gemacht werden. Von der Schlepper — auf die Gutscheinwäscherei, so die Öffentlichkeit fast unbemerkt, haben die Bundestags- Einschätzung der Bundeskonferenz der Ausländerbe- fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. im März 1993 auftragten. einen Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Über internationale Organisationen wie Weltbank Leistungen an Asylbewerber in den Bundestag einge- und IWF zwingen Sie ganze Länderregionen der Welt bracht, mit dem Leistungen der Sozialhilfe für Asylsu- 13598 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Vera Wollenberger chende geändert werden sollen. Während bisher die Integrative Leistungen, die der Regelsatz für Deutsche Sozialhilfe für Asylsuchende durch das Bundessozial- enthalte, seien für Asylsuchende nicht erforderlich. So hilfegesetz geregelt war, wird nun für diesen Perso- gebe es etwa keinen Bedarf an Bildung. nenkreis ein eigenes Gesetz geschaffen. Darin ist eine Schon heute wird die Sozialhilfe für Asylsuchende deutliche Absenkung der bisherigen Leistungen für oftmals bis zu 20 % gekürzt, weil ein sogenannter Asylsuchende vorgesehen. geringerer Ernährungsbedarf angenommen wird oder „Aufgabe der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger der weil die Regelsätze der Sozialhilfe um den Anteil für Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das kulturelle und kommunikative Zwecke herabgesetzt der Würde des Menschen entspricht", so § 1 Abs. 2 werden ganz nach dem Motto: Ausländer brauchen Satz 1 des Bundessozialhilfegesetzes. Dieser Auftrag nicht so viel wie Deutsche. Darüber hinaus kursieren wird jedoch durch die Sozialhilfepraxis tagtäglich in Vorschläge, die Sozialhilfe an Asylbewerber prinzi- Frage gestellt. So reicht beispielsweise die Höhe der piell nur noch in Form von Sachleistungen auszuge- Regelsätze nicht aus, um die materielle und die ben; dies ist besonders demütigend. kulturelle Existenzsicherung zu gewährleisten. Auch Die Regierungskoalition und Teile der SPD schei- das unerträgliche Verfahren der Bedürftigkeitsprü- nen der fatalen Ansicht zu sein, die Menschenwürde troffenen fung ist mit dem Anspruch, die Würde der Be von Asylbewerbern sei weniger schutzwürdig als die zu schützen, unvereinbar. der deutschen Bürger. Dies steht im offenen Wider- Ausgehend von diesem völlig unzureichenden Sta- spruch zum Grundgesetz, der Unantastbarkeit und tus quo sollen nun weitere Abstriche bei den Leistun- folglich der Unteilbarkeit der Menschenwürde. gen der Sozialhilfe gemacht werden. Nicht zufällig Nach Auffassung der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE wird gerade bei den Asylsuchenden massiv der Rot- GRÜNEN läßt sich dieser Grundsatz mit den in der stift angesetzt. Novellierung vorgesehenen Maßnahmen nicht ver- Durch die stufenweise Rücknahme von Soziallei- einbaren. Die Bundesregierung beabsichtigt darin stungen, so auch mit der von der Bundesregierung erhebliche Kürzungen der Sozialleistungen und gra- vorgelegten Novellierung des Gesetzes über Leistun- vierende Einschränkungen der medizinischen Ver- gen der Sozialhilfe an Flüchtlinge und Asylsuchende, sorgung. Das Asylbewerberleistungsgesetz stellt eine wird die angestrebte Gleichstellung der Flüchtlinge eklatante Verschlechterung der medizinischen Ver- gefährdet. Den Asylsuchenden soll u. a. die Sozial- sorgung einer großen Gruppe von Asylsuchenden hilfe um den Betrag pauschal gekürzt werden, der die innerhalb des ersten Halbjahres ihres Aufenthaltes in Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen Deutschland dar. soll. Auf diese Weise werden Asylsuchende noch mehr In bezug auf die medizinische Versorgung gibt es ghettoisiert und den Augen der Öffentlichkeit entzo- viele kritische Punkte der Ärzte. Hier einige Beispiele gen. von der Gruppe „Asyl" der Pax Christi: Die medizini- Sozialhilfe ist eine staatliche Leistung, auf die sche Leistungslegende im Asylbewerberleistungsge- Menschen in Not einen Anspruch haben, Menschen, setz orientiert sich nicht an der gebotenen Notwendig- die sich nicht aus eigener Kraft und mit eigenen keit, Kranken im Einzelfall die wie den Deutschen Mitteln helfen können. Sozialhilfe soll dem Hilfeemp- zugestandene Hilfe zur Gesundung zu gewähren. Sie fänger die Führung eines Lebens ermöglichen, das der macht diese Hilfe vielmehr von der vermuteten Auf- Würde des Menschen entspricht. enthaltsdauer des Kranken in Deutschland und von dem Ziel abhängig, den Kommunen soviel wie mög- Ich finde es sehr bezeichnend, daß die Regierungs- lich Kosten zu ersparen. Asylsuchenden wird eine koalition, wenn von solchen Sachen die Rede ist, nicht medizinische Versorgung auf niedrigstem Niveau rieren Sie, was Sie von der zuhört. Damit demonst zugemutet, möglicherweise in der Nähe des Lei- Würde der Asylsuchenden halten. stungsstandards ihrer Herkunftsländer. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Sind sie denn Die medizinischen Leistungen erstrecken sich in Asylsuchende?) diesem Zeitraum nur noch auf akute Erkrankungen Mit dem Sinn der Sozialhilfe wird in Art. 1 des und akute Schmerzzustände. Die bei weitem größere Grundgesetzes angeknüpft. Er ist Orientierungsmaß- Anzahl nichtakuter, jedoch die Lebensqualität stark stab für die Sozialhilfe. Der Standard des Menschen- einschränkender Erkrankungen bleibt unversorgt. würdigen darf nicht unterschritten werden. Bei der Die freie Arztwahl ist für Asylsuchende im ersten Gewährung von Sozialhilfe ist jeweils vom aktuellen Halbjahr abgeschafft. Damit wird die freie Berufsaus- Bedarf auszugehen, unabhängig von den Gründen, übung eingeschränkt. Ärzte werden durch das Gesetz die zu diesem geführt haben. in den Konflikt gebracht, ihr Wissen und Können selektiv einzusetzen und ihrem Gelöbnis untreu zu In der Begründung des Gesetzentwurfes tauchen werden, bei der Ausübung ihres Berufes keinen Argumente auf, die in ähnlicher Form seit Jahren Unterschied zu machen, weder nach Religion, Natio- angeführt werden: Zum Beispiel sollen durch die nalität oder Rasse noch nach Parteizugehörigkeit oder Leistungskürzung Kosten in Höhe von etwa 2 Milliar- sozialer Stellung. Das Gesetz hat diskriminierenden den DM eingespart werden können. Mit der Neu- Charakter, verletzt die Würde von Menschen und strukturierung der Sozialhilfe entfalle ein Anreiz für ihren im Grundgesetz verankerten Anspruch auf kör- andere Ausländer, nach Deutschland zu kommen, perliche Unversehrtheit. weil die Attraktivität der Geldleistungen entfalle. Solche Kürzungen seien angemessen, weil der Auf- Darüber hinaus gibt es viele Kritikpunkte von DGB, enthalt von Asylbewerbern nur übergangsweise sei. Pro Asyl und von vielen anderen sozialen Organisa- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13599

Vera Wollenberger tionen und Wohlfahrtsverbänden. Dazu einige von geben. Deshalb fordere ich im besonderen die Sozial- diesen Kritikpunkten: demokraten auf, diesem Gesetz nicht zuzustimmen. Erstens. Die Herausnahme des Bereichs der Sozial- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. leistungen für Asylbewerber aus dem Bundessozial- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hilfegesetz zerstört die Einheit des Sozialhilferechts, das eine der großen Errungenschaften unseres sozia- Ich erteile len Staates ist. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: nunmehr dem Abgeordneten Ortwin Lowack das Zweitens. Er eröffnet die Möglichkeit, weitere Wort. Gruppen der Bevölkerung aus der einheitlichen Grundsicherung und menschlichen Existenz auszu- (fraktionslos): Herr Präsident! schließen. Ortwin Lowack Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen im Drittens. Er schafft verschiedene Klassen von Men- Deutschen Bundestag! Meine Damen und Herren! Ich schen, obwohl die Würde des Menschen unteilbar werde im Endergebnis dem hier vorgelegten Kompro- ist. miß in der Unionsfassung zustimmen, obwohl er Viertens. Asylbewerber haben das gleiche Recht schwerwiegende Mängel aufweist und neue Pro- auf ein Existenzminimum, das sich an den Lebensver- bleme schaffen wird, denen gegenüber Wackersdorf hältnissen in der Bundesrepublik und nicht an denen möglicherweise nur ein Kinderspiel war. Eine Kost- in den Herkunftsländern mißt. probe hat der Deutsche Bundestag heute früh Fünftens. Art. 5 des Grundgesetzes garantiert die erlebt. freie Entfaltung der Persönlichkeit. Der generelle Auch ich habe das Problem gehabt, sowohl als nicht Vorrang von Sachleistungen und Wertgutscheinen erkannter Abgeordneter als auch erst recht als verträgt sich nicht mit einem Mindestmaß einer selb- erkannter in den Deutschen Bundestag zu kommen. ständigen und eigenverantwortlichen Lebensgestal- Dabei war für mich bemerkenswert, daß meine Iden- tung. tifizierung durch einen Chinesen und nicht durch Sechstens. Eine Gemeinschaftsverpflegung, die einen Deutschen erfolgte. Es gibt also hier eine nicht auf die kulturellen Essensgewohnheiten von internationale Zusammenarbeit. Menschen Rücksicht nimmt und nehmen kann, oder „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Dieser auch die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln birgt Grundsatz in Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes gesundheitliche und psychische Gefahren. Für ist und bleibt richtig. Es wäre fatal, wenn der Eindruck Frauen und Mütter bedeutet sie überdies einen Auf- erweckt würde, daß sich dies ändern sollte. Die gabenverlust, was zu seelischen Schäden führen kann Versäumnisse der Vergangenheit mögen diesen Ein- und ihre Isolation erhöht. druck fördern. Aber das Problem ist, daß sich die alte Politik als unfähig erwiesen hat, den Asylmißbrauch zu stoppen, d. h. diejenigen herauszulösen und zu Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Wol- bestrafen, die aus dieser Regelung ein mieses lenberger, es tut mir schrecklich leid: Ich muß Sie Geschäft und eine Ausbeutung der öffentlichen Kas- daran erinnern, daß Sie Ihre Zeit überschritten haben. sen gemacht haben, zum Nachteil des Standorts Ich habe bis jetzt ganz großzügig darüber hinwegge- Deutschland, über den wir dann morgen debattieren sehen. wollen. Auch die nunmehr nach langem Parteienstreit — und zwar nicht nur, wie hier suggeriert wurde, Vera Wollenberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zwischen Koalition und Opposition, sondern lange Wenn die PDS die ihr zugeteilte Redezeit um zwölf Zeit ja auch innerhalb der Koalition — vorgelegte Minuten überschreitet, dann darf ich meine Rede Regelung ist in vielen Punkten nur Kosmetik. Mit der vielleicht noch zu Ende bringen. Ich brauche noch Drittstaaten-Regelung ist sie im übrigen nicht ohne eine halbe Minute. Zynismus und vor allem nicht ohne Unmenschlichkeit Siebentens. Auch Wertgutscheine schränken die gegenüber den wirklichen Asylanten, was vor dem persönliche Dispositionsfähigkeit übermäßig ein. Sie Hintergrund der Balkanpolitik der Bundesregierung nehmen den Flüchtlingen die Möglichkeit, preisver- und der Europäischen Gemeinschaft leider nichts gleichend und preiswert einzukaufen. Sie diskrimi- anderes als Verachtung, Entsetzen und schon Sarkas- nieren Menschen und machen sie über die Hautfarbe mus verdient. Das Problem ist, daß Sie hier keine hinaus zu Objekten der Fremdenfeindlichkeit, wenn koordinierte Politik, auch nicht der deutschen Außen- die umständliche Einlösung an der Kasse Warte- politik und der deutschen Innenpolitik, be treiben. schlangen auslöst, so daß der Unmut von Kassiererin- Der ganze Zynismus, die menschliche Unfähigkeit nen und Kunden geweckt wird. dieser Politik zeigen sich daran — meine sehr verehr- Insgesamt wird durch dieses Gesetz der Asylsu- ten Damen und Herren, wir können das nicht ausspa- chende als Mensch zweiter Klasse definiert, der ren in dieser Zeit —, daß die Verfolgten, die Gefolter- hauptsächlich des Geldes wegen in die Bundesrepu- ten, die Vergewaltigten, die Vertriebenen, die blik kommt, den Sozialstaat ausnimmt und die Bun- Beraubten, diejenigen in Bosnien, deren Habe m an desrepublik wirtschaftlich überfordert. Einer Kürzung zerschossen, verbrannt, ausgeplündert hat, jetzt sogar der Leistung für Asylsuchende wird die Gruppe beschimpft werden, wenn sie sich auf ihr Recht zu BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht zustimmen. Mit leben, ihr Recht, Geraubtes zurückzuverlangen, ihr großer Skepsis beurteilen wir auch die Bestrebungen, Recht, nicht bestialisch behandelt zu werden, ihre Sachleistungen den Vorrang vor Finanzleistungen zu Hoffnung auf Europa und seine Grundwerte berufen. 13600 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Ortwin Lowack Sie sollen die Perspektive von Reservaten oder Kon- nicht auch noch in irgendeiner Weise zutragen? Der zentrationslagern haben, wie es Senator Biden vor vorliegende Entwurf enthält hierzu sträflicherweise 14 Tagen in einem Antrag an den amerikanischen- nichts. Außenminister dargestellt hat. Darüber hinaus ist ein Mangel des vorliegenden Der Feige neigt zur Grausamkeit, weil er seine Regelungskonglomerats, daß auch in Zukunft Asylbe- Feigheit nicht eingestehen und den starken Mann werber völlig unzureichend einer sozialen Kontrolle, spielen will. Dies ist die Haltung der Bundesregierung Erfassung und Arbeitsbetreuung unterworfen sind. heute. Das Ergebnis kennen wir. Es zeigt sich in der uns gerade vorgelegten Kriminalstatistik. Vor allem der Auch die bisherige Haltung gegenüber den 95 %, Anteil junger erwachsener Asylbewerber an Strafta- 96 % Asylbetrügern oder Asylverführten erinnert an ten in Deutschland ist erschreckend hoch. Bitte lesen das Billigen von Straftaten, ihr Herunterspielen und Sie sich die letzte Statistik durch: Bei Jugendlichen manchmal sogar ihre Verteidigung, weil man selbst und jungen Heranwachsenden liegt der Anteil der unfähig ist, die Probleme in den Griff zu bekommen. Straftaten von Ausländern heute bei 43 %; einen Wenn die Bevölkerung dann zu Recht verärgert ist, großen Anteil daran haben die Asylbewerber. was ja nun mit ideologischer Fremdenfeindlichkeit Hier zeigt sich, daß das Einbauen einer sozialen überhaupt nichts zu tun hat, reagiert die Politik Kontrolle im Augenblick tatsächlich noch nicht statt- zunächst mit zynischer Selbstgerechtigkeit, indem sie gefunden hat. Ein Staat, der hiervor die Augen ver- auf den Büttel einer hochstilisierten angeblichen schließt, versündigt sich nicht nur an den Betroffenen, Fremdenfeindlichkeit in Deutschl and einschlägt. Erst er stellt auch den Rechtsstaat in Frage. Er wird selber muß die Angst um den Machtverlust kommen, bevor Verursacher von Straffälligkeit und Verwahrlosung. Bewegung in das Verfahren gerät. Die Sorge in unserer Bevölkerung wird bleiben. Sie Es ist in meinen Augen natürlich lächerlich, wenn glaubt, es geht heute hier nur um Augenwischerei. Es Wolfgang Schäuble hier Geschichtsklitterung be- fehlt das Vertrauen. Es fehlen glaubhafte Vorbilder. treibt, indem er sagt, man habe in der Vergangenheit Es fehlt der glaubhafte Appell, gemeinsam Probleme alles versucht, die Probleme ohne Grundgesetzände- in Deutschland als eine große gemeinschaftliche Auf- rung zu lösen. gabe zu lösen. (Zurufe von der CDU/CSU) Die heutige Debatte kann deshalb nur Anfang einer weit umfassenderen Regelung sein. Sonst heißt es in Er weiß ganz genau, daß das nicht geschehen ist. Die Zukunft nicht, wir hätten italienische Zustände — Ita- Tatsache, daß er das zweimal wiederholt hat, ist bei lien ist auf dem besten Weg, in einer unglaublichen ihm ein klassischer Hinweis darauf. Kraftanstrengung seine inte rnen Probleme zu lö- Da hat der Kollege Detlef Kleinert, der gesagt hat, es sen —, sondern es würde in Zukunft von deutschen gehe um Probleme, denen wir zu entkommen ver- Zuständen gesprochen werden, wenn es um das suchten, schon eher recht. Aber spiegelt das nicht Versagen des Rechtsstaats, Prinzipienlosigkeit und gerade das Drama der alten Politik in Deutschland politische Unfähigkeit geht. wider, daß man statt aktiv, rechtzeitig und glaubwür- dig zu handeln, nur noch aus der Reaktion, auf Druck hin und dann auch noch unzureichend und unglaub- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr würdig handelt? erteile ich dem Abgeordneten Dr. Ul rich Briefs das Ich bleibe dabei: Ohne die Schaffung eines Straftat- Wort. bestandes des Asylbetrugs wird es uns nicht gelingen, (Unruhe) Menschen davon abzuhalten, ihr L and unsinniger — Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen außer- weise zu verlassen, sich und ihre Familie ungeheuren ordentlich verbunden, wenn Sie auch jetzt mit der Strapazen auszusetzen und andere mit hineinzurei- nötigen Ruhe, ich sage nicht: dies ertragen, sondern ßen, oft genug ihre wirtschaftliche und mentale Exi- zuhören würden. stenz völlig aufs Spiel zu setzen, um hier auf Kosten der Leistungskraft und der Wirtschaftskraft anderer zu leben. Es wird nicht gelingen, völlig falsche Hoffnun- gen rechtzeitig zu bekämpfen. Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heutige Tag ist für- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wahr kein Ruhmestag dieses Parlaments. Ein Grund- vor allem müßten wir uns alle eigentlich darüber einig recht, das Recht auf Asyl als persönliches, individuel- sein, daß das Schlepperunwesen bekämpft werden les Menschenrecht, wird in der wiedervereinigten muß, und zwar mit allen Mitteln des Rechtsstaates. Für Bundesrepublik heute beseitigt. mich sind das Verbrecher, die falsch begründete Hoffnungen in schändlichster Weise ausnutzen, Es wird beseitigt trotz der ungeheuren historischen menschliche Existenzen zerstören und das Elend oft Schuld Deutschlands, trotz der Tatsache, daß ein lebenslanger Entwurzelung billigend hinnehmen. Großteil der politischen Klasse Deutschlands und der Gerade dies könnte aber nur im Rahmen einer Rege- beginnenden Bundesrepublik nur überleben konnte, lung des Asylbetrugs mit einem besonderen Strafrah- weil NS-Verfolgte in Ost und West, in Nord und Süd men als Verbrechen geahndet werden. Warum soll die Asyl erhalten haben. Mindeststrafe nicht bei fünf Jahren liegen, damit Es wird beseitigt, obwohl die Bundesrepublik als deutlich ist, daß wir diesen Banden von Staats wegen führendes westliches Industrieland maßgeblich an der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13601

Dr. Ulrich Briefs offenen und verdeckten Ausplünderung vieler armer Die phantasielosen Bürokraten, die meinen, mit der Länder, aus denen immer mehr Flüchtlinge und Asyl- Grundrechtsbeseitigung und den Asylbegleitgeset- bewerber zu uns kommen, beteiligt ist. - zen das Problem der Zuwanderung zu lösen, sind offensichtlich unfähig zu sehen, daß sie womöglich Es wird beseitigt, obwohl dieses Land durchaus in eine Lawine los treten, die letzten Endes auch sie unter der Lage ist, Flüchtlinge in großer Zahl aus dem Süden einer neuen mächtigen Welle von Nationalismus, und aus dem Osten aufzunehmen. Rassismus und Faschismus begraben wird. Die Chao- Die viel kleineren und dichter besiedelten Nieder- ten, die wirklichen Chaoten, lande jedenfalls sind bereit, in einem Zeitraum von (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Am Redner weiteren 30 Jahren fünf Millionen zusätzlicher Men- pult! — Zuruf von der CDU/CSU: Haben wir schen, vor allem Flüchtlinge und Emigranten, aufzu- heute erlebt!) nehmen. Auf die wiedervereinigte Bundesrepublik übertragen, hieße das, wir könnten und müßten noch diejenigen, die die Stabilität dieser Gesellschaft — über 20 Millionen Flüchtlinge und Einwanderer auf- was immer das sein mag — beseitigen wollen, die nehmen. Inhumanität in jede Pore des gesellschaftlichen Lebens bringen wollen, sitzen hier auf der rechten Gerade gegenüber Flüchtlingen aus Jugoslawien Seite des Hauses. Es sind die aktiven, engagierten stehen wir in der Pflicht. Schließlich haben Deutsch- Betreiber des sogenannten Asylkompromisses. land und die Deutschen im Zweiten Weltkrieg den kroatischen Faschisten die Blaupausen auch für ihre (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Herr Präsident, heutigen Verbrechen geliefert. Auch die furchtbaren ist das zulässig? Sie sind gerade als Chaot ethnischen Säuberungen der Serben stehen irgend- bezeichnet worden!) wie in der Tradi tion des Ungeistes deutschnationalen Hoffnungen muß man angesichts dieser Gefahren Völkermordes. insbesondere auf die Kirchen und auf das Kirchenasyl Aber nicht nur die moralische Qualität dieses Staa- setzen, auf diejenigen, die Fluchtburgen und Schutz tes und dieser Gesellschaft steht auf dem Spiel. Mit der für illegale Flüchtlinge zu organisieren bereit sind, auf Beseitigung des Asylrechts soll vielmehr auch die den bürger- und zivilrechtlichen aktiven und tätigen über fast vier Jahrzehnte im Westen Deutschlands Widerstand in der Zukunft. Dazu gehört — das sage praktizierte Öffnung zu einer westeuropäisch libera- ich in aller Klarheit und Offenheit — auch der weitaus len zivilgesellschaftlichen Praxis und Tradi tion besei- überwiegende Teil der Demonstranten, die hier heute tigt werden. gegen die Asylrechtsbeseitigung demonstrieren. Die Asylrechtsbeseitigung sät neue Gewalt. Sie Noch einmal: Diese Grundrechtsbeseitigung be- wird zur Illegalisierung und Kriminalisierung von deutet den Anfang vom Ende der bei weitem noch Einwanderern und Asylflüchtlingen führen. Der Staat nicht vollendeten Entwicklung hin zu einer offenen, wird inmitten der Gesellschaft einen bisher nicht liberalen, von sozialem Verständnis für die Not der gekannten Verfolgungs- und Repressionsapparat auf- Mitmenschen geprägten Gesellschaft. Sie ist ein bauen müssen. Das ist aber nur ein Teil der Gefah- bewußter Schlag rechter Kräfte, die zunehmend, wie ren. der Fall Krause (Bonese) — er wird nach mir spre- (Unruhe) chen — zeigt, — Ich, weiß, das paßt Ihnen auf der rechten Seite nicht (Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/ in den Kram. CSU]: Er spricht als dein Hausarzt? — Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Aber in seiner Eigen (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ schaft als Arzt!) CSU]: Wir hören überhaupt nicht zu!) nach rechtsaußen ausfransen. — Sie hören sehr genau zu, Herr von Stetten. Das zeigen Ihre unqualifizierten Zwischenrufe. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Sie fransen nach innen aus!) (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Haben Sie eigentlich schon einmal frei gesprochen?) Sie ist ein Schlag gegen die multikulturelle Gesell- schaft, gegen das Einwanderungsland Deutschland, Hinzu kommt: Deutschland und der überwiegende und das, obwohl wir längst in einer multikulturellen Teil der deutschen Bevölkerung kennt nicht jene Gesellschaft und in einem Einwanderungsland leben Einstellung des Leben-und-Lebenlassens, die z. B. in und auch in Zukunft leben werden. Es ist vor diesem den Niederlanden und Frankreich gegenüber illega- Hintergrund außerordentlich zu bedauern, daß die len Einwanderern praktiziert wird. SPD, die politisch nur im Exil und gestützt auf das in Mit der Asylrechtsbeseitigung werden die Weichen zahlreichen Ländern gewährte Asyl überleben für neue Pogrome gestellt. Deutsche Spießer, Geset- konnte, an diesem Punkt nicht entschieden und zes- und Ordnungsfanatiker und leider auch die geschlossen Widerstand geleistet hat. Ohne sie würde Behörden werden Jagd auf illegale Einwanderer es diese Grundrechtsbeseitigung mit ihren absehba- machen, wie jüngst in Köln im Falle der Roma Nidar ren chaotischen Folgen nicht geben. Sie hätte statt Pampurova geschehen. Wie in Rostock, Hoyers- dessen die Vision einer offenen Gesellschaft, die z. B. werda, Quedlinburg und an vielen anderen Orten, vor mindestens in dem Maße für Flüchtlinge offen ist wie allem im Osten, werden deutsche Bürgerinnen und etwa Schweden, entwickeln sollen. Sie hätte ein Paket Bürger Beifall klatschen, wenn Kinder, Frauen und aus potenzierter Hilfe für die armen Länder der Dritten Männer, die aus Not in dieses Land geflüchtet sind, Welt — die geringe deutsche Entwicklungshilfe ist ein angegriffen, verstümmelt, verletzt, getötet werden. Skandal —, sie hätte ein Paket aus konsequenter 13602 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Ulrich Briefs Menschenrechtspolitik, z. B. gegenüber der Türkei, der Wahrheit. Soweit mir bekannt ist, denkt die aus der viele politisch Verfolgte zu uns fliehen, sie überwiegende Mehrheit unseres deutschen Volkes hätte ein Paket aus umfangreicher humanitärer- Hilfe so. in internationalen Konfliktfällen und insbesondere ein Es ist heute sehr viel von Rechten gesprochen Paket aus der Gewährleistung eines druckfreien, worden. Ich möchte deshalb, obwohl das zum Teil würdigen, sozial abgesicherten Lebens für Flücht- auch schon gesagt worden ist, von Pflichten sprechen. linge und eines entsprechenden Zusammenlebens mit Ein einklagbares Recht ist für einen anderen immer den Flüchtlingen in diesem Land schnüren und dafür eine einklagbare Pflicht. Wenn sich ein Leistungsbe- politisch werben sollen. rechtigter aussuchen darf, wer für ihn zahlungspflich- Ich denke, die SPD ist in ihrer Mehrheit dabei, eine tig ist, dann kann das doch wohl nicht wahr sein. Das große Chance zu vergeben. Das Stammtischgemurre kann doch wohl nicht Recht bleiben. deutscher Spießer hätte sie ge trost in Kauf nehmen Ich freue mich auch über die ehrlichen Zahlen, die sollen. Die Stimmen des umfangreichen rechten Sumpfes in diesem Lande erhält die Sozialdemokratie Sie, Herr Klose, genannt haben. Ich weiß, daß das sehr eh nie. Wer solchen Stimmen und Stimmungen nach- mutig ist und daß Sie deswegen auch diffamiert geht und nachgibt, verzichtet auf eine vorwärtswei- werden. sende politische Führungs- und Prägungsrolle. Wenn ich in einem Satz zusammenfassen darf, was Die Auseinandersetzungen in der Fraktion und in heute an Positivem gesagt wurde, dann ist es dies: der Partei und die starke Gegenfraktion in der SPD- gleiche Rechte und gleiche Pflichten auch in der Fraktion lassen mich jedoch hoffen --das sage ich Asylfrage in ganz Europa. Da ich bisher weniger die ganz offen —, daß es in Zukunft gelingt, die beängsti- Menschen in der Partei der Republikaner als vielmehr gende Rechtsentwicklung in diesem Land aufzuhal- das Programm dieser Partei kenne, muß ich sagen: ten und zu stoppen. Hier besteht eine Übereinstimmung zwischen glei- chen Rechten und gleichen Pflichten in Europa. Gegen eine hinreichende Minderheit — auch wenn sie lange eine Minderheit bleibt — können solch Ich möchte noch weitergehen: Wenn wir einen einschneidende Veränderungen, wie sie die Rechte Leistungskatalog mit absolut gleichen Sachleistun- und die extreme Rechte in diesem Hause demnächst gen — egal in welchem Land Europas — hätten, dann offenbar systematisch gewährleisten wollen, nicht wäre der Drang, nach Deutschl and zu kommen, nicht durchgesetzt werden. Das ist u. a. die Lehre aus der so groß. Viele, die französisch sprechen, würden dann Anti-AKW-Bewegung und aus dem sogenannten lieber in Frankreich sein. Diejenigen, die aus eng- Energiekonsens. Ich denke, insofern haben wir in lischsprachigen Ländern kommen, wären lieber in dieser Debatte sehr viele, sehr klare und sehr begrün- England. Man darf natürlich nicht klatschen, wenn es dete Befürchtungen zu äußern, aber es gibt auch ein politisch Gleichgesinnter ist, der das falsche Par- Punkte, bei denen wir für den weiteren Widerstand teibuch hat. Ich habe Verständnis dafür, obwohl auch und für die weitere Entwicklung durchaus Hoffnung das zum verantwortlichen Umgang mit der Wahrheit haben können. gehört. Herr Präsident, ich danke Ihnen. Herr Gysi ist nicht anwesend. Er hat eine Tatsachen- behauptung aufgestellt. Er hat gesagt, daß das, was im Asylbewerberleistungsgesetz stehe, mit dem Pro- Meine Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: gramm der Republikaner übereinstimme. Wer sich Damen und Herren, ich möchte Sie herzlich bitten, davon überzeugen will, ob diese seine Behauptung den Geräuschpegel ein wenig zu senken, damit stimmt, der muß es lesen. Aber ich muß ihm beschei- wenigstens diejenigen, die zuhören wollen, die Mög- nigen: Er hat es sehr genau gelesen, es stimmt. lichkeit dazu haben. (Zurufe von der CDU/CSU: Will ja keiner!) Ich habe mich auch über das gefreut, was der Kollege de With gesagt hat: Die Welt hat sich verän- Der Abgeordnete Dr. Rudolf Krause hat das Wort. dert. Die Regelungen müssen dem angepaßt werden. (Eine große Zahl von SPD-Abgeordneten — Ja, ich gebe als freier Abgeordneter dem recht, der 'verläßt den Saal — Zuruf von der SPD: Rechtes gesagt hat, egal wo er sitzt. Ich zitiere: wenn Neonazis raus aus dem Parlament! — Wei schon Maastricht, dann Zusammenarbeit nicht nur auf tere Zurufe von der SPD: Pfui!) wirtschaftlichem, sondern auch auf humanitärem Gebiet. — Wir brauchen eine Gleichbehandlung auch hinsichtlich der Pflichten. Welcher Maßstab gewählt Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) (fraktionslos): Herr wird — ob das Bruttosozialprodukt oder die Einwoh- Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nerzahl —, ist im einzelnen verhandelbar. Aber es mich an das halten, was Herr Schäuble hier gesagt hat: kommt darauf an, daß gleiche Rechte und Pflichten verantwortlicher Umgang mit der Wahrheit. bestehen. Dann wird die Politik auch wieder so (Zurufe von der SPD) glaubwürdig, daß wir eine Wahlbeteiligung von 80 — Hören Sie mich erst einmal an, bevor Sie Vorver- oder 90 % haben. urteilungen aussprechen! Lassen Sie mich bitte mit drei Sätzen von Herrn Diejenigen, die sich im letzten halben Jahr an mich Dr. Dregger, dem ich voll zustimme — das werden Sie gewandt haben, haben im Prinzip das ausgesprochen, ja nicht anders erwartet haben —, schließen: Nicht das was — ich muß das um der Wahrheit willen sagen — deutsche Volk, sondern die deutsche Politik hat in der Herr Dr. Dregger, Herr Dr. Schäuble und auch der Asylfrage versagt. — Ich bekräftige, daß nach allen Herr Innenminister hier gesagt haben. Ich bleibe bei meßbaren Ergebnissen das deutsche Volk eines der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13603

Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) ausländerfreundlichsten Völker der Welt ist, denn Ich habe im zurückliegenden Jahr erleben müssen, sonst würde es nicht soviel spenden, sonst würde es wie mir in Gesprächen etwa mit Anwohnern der überfüllten zentralen Aufnahmestelle für Asylbewer- nicht so viele Opfer bringen, und sonst hätte- auch nicht eine so breite Zustimmung in dieser Frage ber in Schleswig-Holstein meine eigenen, bislang als bestanden. Wieviel Auswanderung und Einwande- richtig empfundenen Argumente schal im Mund wur- rung kann man verkraften? — Als Naturwissenschaft- den. ler möchte ich mich auf eine Zahl festlegen. Ich Ich habe auch heute noch großes Verständnis für glaube, daß innerhalb einer Generation eine Emigra- alle, die von ihrer alten Position keinen Deut abrük- tion und Immigration von 5 % assimilierbar, verkraft- ken, aber mir fehlt da die echte und schlüssige bar ist. Dazu werde ich auch stehen: 5 % in einer Alternative, die Antwort auf die Frage, wie wir sonst Generation — nicht in einem Jahr — sind verkraft- die Zuwanderung steuern sollen. Nein sagen mag bar. eine Haltung sein, es ist aber keine Gestaltung von Der Volksvertreter, wie ich ihn verstehe, ist nicht Politik. der Schulmeister seiner Wähler, sondern ihr Vertreter. Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen aus der Chef und Souverän ist das Volk. Wir haben nur das zu Union, haben keinen Anlaß zur Genugtuung über die machen, was unsere Wähler von uns verlangen. langen und zermürbenden Diskussionen, die vor Noch eine letzte Bemerkung, wobei ich wieder allem in meiner Partei vorausgegangen sind. Sie zitiere: haben schon gar keinen Grund zur Selbstgerechtig- Die Wahrheit zu sagen und für unsere Mitbürger keit. einzutreten ist unsere vornehmste Pflicht. Sie haben ein sehr vielschichtiges Problem, nämlich (V o r s i t z : Vizepräsidentin Renate Schmidt) die gegenwärtige Migration unzulässig lange auf das Meine Damen und Herren, ich werde mich als Einzel Pro und Kontra zum Art. 16 verengt. Sie haben durch kämpfer daran halten. Sie werden mir verzeihen, eine sozial ungerechte Politik und sträfliche Vernach- wenn ich sage: Ich hoffe, daß sich ab 1994 eine hier lässigung des Wohnungsbaus gesellschaftlichen sitzende Fraktion auch an diesen Satz halten wird. Sprengsatz gelegt. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Zuruf von der CDU/CSU: Wen meinen Sie, (Zuruf von der SPD: Heil!) die SPD-Länder?) — Das war unpassend. Viele von Ihnen haben Emotionen geschürt. Ich bedauere sehr, daß etwa der Kollege Dregger heute diese unselige Tradition wieder hat aufleben lassen. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächste hat (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ unsere Kollegin Frau Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast CSU: Was hat er denn gemacht?) das Wort. - Das hat er getan. Ich sage dennoch, sowie die Dinge liegen: Es reicht (SPD): Ich will mei- Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast heute nicht, die Bekämpfung der Fluchtursachen nem Vorredner nicht zuviel Beachtung schenken, anzumahnen, und es reicht leider auch nicht, die aber ich finde es traurig und beschämend, daß in Wohnungsnot anzuprangern. Das ist richtig und wich- dieses Parlament der Bazillus der Republikaner hin- tig, aber die Mißstände sind heute da. Selbst bei einer eingetragen worden ist. sofortigen gründlichen Kehrtwende in der Woh- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nungs- wie in der Entwicklungspolitik, die ich absolut der CDU/CSU und der F.D.P.) für dringend halte, werden wir den Wettlauf mit der Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein Zeit nicht bestehen können. Beitrag richtet sich vor allem an die Vertreter von Deswegen richte ich auch einen Appell an die Kirchen, Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisa- Gegner der Gesetzesänderungen: Nehmen Sie und tionen und an die vielen, die mit hohem persönlichen nehmen wir Abschied von der Vorstellung, wir Deut- Engagement jegliche Änderung unseres Asylrechts sche allein könnten in Europa ein hum anes Asylver- ablehnen. Seit ich Mitglied des Bundestages bin, habe fahren gewährleisten. Es ist ein Zeichen von Hochmut. ich mit vielen von ihnen diskutiert und mich lange mit Niemand und nichts gibt uns das Recht auf den ihnen einig gewußt in der historisch begründeten Alleinvertretungsanspruch bei der Wahrung von Überzeugung, daß unser Art. 16 die allein gültige Menschenrechten. Hören Sie bitte auf, den Befürwor- Anwort auf die großen Wanderungsbewegungen auf tern der Grundgesetzänderung vorzuhalten, sie hät- dieser Welt sei. ten sich dem Geschrei der Rechtsextremen gebeugt. Ich habe Abschied nehmen müssen von einer Illu- (Beifall des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD]) sion. Die neue Migration ist verständlich, sie ist legitim, sie ist Ausdruck der großen Ungerechtigkei- Die vielen Bürgermeister, die Kommunalpolitiker, die ten im Gefälle zwischen Nord und Süd, zwischen West Sozialdezernenten, die die jetzige Lage für untragbar und Ost. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, sie ist hielten, sind keine rechtsgerichteten Schreihälse. eben nicht mehr allein mit dem Begriff der politischen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der zu fassen. Wer sich das nicht eingesteht, Verfolgung CDU/CSU) wird bei dem Versuch, den Menschen heute eine schlüssige Lösung des Problems anzubieten, alsbald Sie verdienen unser Verständnis, und sie verdienen scheitern. auch unsere Solidarität. 13604 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir heute wenn er anerkannt ist oder arbeitet, alle Rechte in beschließen, ist nicht das Ende. Es ist nur das Ende Deutschland erhalten. einer Etappe. Wir werden uns sehr bald daranmachen Ich warne auch davor, daß sogenannte selbster- müssen, mehr für ein fortschrittliches und humanes nannte Asylexperten mit solchen Parolen in die Gesamtkonzept der Flüchtlings- und Zuwanderungs- Asylantenheime gehen. Sie sind dann für Unruhen bei politik, für europäisch einheitliche St andards, für der Einführung von Naturalverpflegung mit all den wirklich wirksame Hilfen in den Herkunftsländern der daraus resultierenden Folgen verantwortlich. Gerade Flüchtlinge, für konsequente Menschenrechtspolitik, nämlich die Naturalverpflegung ist ein wirksames für die erleichterte Einbürgerung und für die doppelte Mittel gegen Asylmißbrauch, weil mit Würstchen und Staatsbürgerschaft zu tun. Brot keine kriminellen Schlepperbanden bezahlt wer- In all diesen Bereichen, meine Damen und Herren den können. von der Koalition, müssen Sie gehörig umdenken und (Beifall bei der CDU/CSU) sehr viel nachholen. Wenn der Geist des alten Art. 16 Abs. 2 Satz 2 (Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ beschworen wird, muß auch an die Zeit von 1948/49 CSU]: Sie auch!) gedacht werden. Damals war nicht im entferntesten Tun Sie es bitte bald! an Mißbrauch zu denken. Wer hätte schon den Weg in (Beifall bei der SPD) das zerbombte, von 12 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen übervölkerte Deutschl and gewählt, wenn nicht aus dringenden Gründen politischer Ver- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster folgung? spricht der Kollege Dr. Wolfgang von Stetten. Die Zeiten haben sich geändert, Gott sei Dank. Aus dem Trümmerhaufen wurde ein blühendes Land mit Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Frau der gesteigerten Begehrlichkeit als Aufenthalts- und Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- Wohnort. Was früher, in den fünfziger Jahren, das ren! Kolleginnen und Kollegen! Zauberwort California war, wurde durch das Wort Die Würde des Menschen ist unantastbar. Schlaraffia-Deutschland abgelöst. Dem Mißbrauch Das schreibt Art. 1 des Grundgesetzes fest. Damit war Tür und Tor geöffnet, mit all den begleitenden schützt das deutsche Grundgesetz nicht nur die Würde Auswirkungen. der Deutschen, sondern aller in Deutschland Leben- Die notwendige Änderung des Grundgesetzes den; auch der Asylbewerber. Weil aber durch den kommt spät, aber nicht zu spät. Damit wird der massenhaften Mißbrauch die Gefahr bestand, daß die Mißbrauch zum Teil unterbunden, um weiterhin wirk- Würde sowohl der Asylsuchenden als auch der Bürger lich politisches Asyl gewähren zu können. unseres Landes nicht mehr gewährleistet wird, mußte (Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE dringend Abhilfe geschaffen werden. Wir tun das GRÜNEN]: Sie sind ein Träumer!) heute. — Wir werden sehen, was wir damit machen können. Wir hätten uns bei rechtzeitiger Einsicht der Mehr- Sie werden auch sehen, daß wir damit Erfolg haben. heit dieses Hauses viel Unheil ersparen können. Der Wenn wir das heute so verabschieden, hat sich die Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit wäre vermieden Demokratie trotz erheblicher Schwierigkeiten, ich worden. Dieser Vorwurf ist übrigens absurd. möchte sagen: mehr links von mir und trotz Sand im In kein Land der Erde sind in den letzten Jahren Getriebe bewährt, und die Abgeordneten haben sich so viele Menschen freiwillig hineingeströmt wie zu verantwortungsvoll verhalten und ihre Pflicht get an. uns nach Deutschland — doch wohl kaum wegen der Danke schön. angeblichen Ausländerfeindlichkeit. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die Millionen sind gekommen, weil (Beifall bei der CDU/CSU) sie nirgends auf der Welt so großzügig empfangen und versorgt werden wie bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist die Tatsache, unabhängig von Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht der einzelnen Auswüchsen einiger irrer und wirrer Kollege Dieter Maaß. Jugendlicher und Verblendeter. (Beifall bei der CDU/CSU) Dieter Maaß (Herne) (SPD): Frau Präsidentin! Meine Es ist nicht unwürdig und erst recht nicht unchrist- Damen und Herren! Um sein Ja oder Nein zum lich, mit Naturalien statt mit Geld versorgt zu werden. vorliegenden Antrag auf Änderung des Art. 16 des Wer aus politischen, religiösen oder rassischen Grün- Grundgesetzes zu begründen, hat jeder Abgeordnete den verfolgt wird, ist dankbar, das rettende Ufer der seine guten und wichtigen Argumente. Die einge- Bundesrepublik Deutschland erreicht zu haben, und nommenen Positionen entsprechen den unterschiedli- wird auch für ein warmes und trockenes Dach, groß- chen Wahrnehmungen und Beziehungen zum Pro- zügiges Essen und Trinken und dazu ein Taschengeld blem ungeregelter Zuwanderung in unser Land. Die- in einer Größenordnung dankbar sein, von dem in ses Problem sieht der Verfassungsjurist und Völker- seinem Herkunftsland eine ganze Familie leben rechtler sicher anders als der Außen- oder Innenpoli- muß. tiker. Doch es gibt auch die Erkenntnisse und Erfah- Wer das als unwürdig bezeichnet, verhöhnt Millio- rungen derer, die auf kommunaler Ebene mit den nen und Abermillionen in Armut und Hunger leben- sozialen Auswirkungen der Zuwanderung zu tun der Menschen auf der ganzen Welt. Zusätzlich wird er, haben. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13605

Dieter Maaß (Herne) Ich habe leider nicht die Redezeit, um die Verhält- tischen Traditionen. Auch nach der Zustimmung zum nisse in meiner Heimatstadt Herne näher zu beschrei- vorliegenden Kompromiß genießen politisch Ver- ben, die auch für andere Städte in unseren Bundes-- folgte uneingeschränktes Recht auf Asyl. ländern zutreffen. In einer finanzschwachen Ruhrge- (Beifall bei der SPD) bietsstadt mit fast 180 000 Einwohnern, etwa 3 300 auf jedem Quadratkilometer, mit einer Arbeitslosenquote von 13,9 %, einem Ausländeranteil von über 11 % Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster hat werden die Probleme immer größer. Die Asylbewer- der Kollege Hans-Joachim Fuchtel das Wort. ber sind in zwei, bald drei großen Containerdörfern, drei Wohnschiffen auf dem Rhein-Herne-Kanal und vielen kleinen Asylbewerberunterkünften sowie ei- Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU): Frau Präsiden- ner in der Innenstadt gelegenen Abschiebehaftanstalt tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht untergebracht. wenigen geht der gefundene Kompromiß eigentlich nicht weit genug. Trotzdem werden wir von der Union Die Vorbehalte in der Bevölkerung gegen jegliche heute zustimmen, und zwar geschlossen zustimmen. Art von Zuwanderung nehmen ständig zu, vor allem Dies unterscheidet uns eben von der SPD: Während bei denen, die durch ihre Arbeitsleistung die Kosten Sie weiterhin streiten, sind wir uns einig. Da zeigt sich, hierfür zu tragen haben. wer regierungsfähig ist und wer auch weiterhin in die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Opposition gehört. Darunter befinden sich viele lange bei uns lebende (Beifall bei der CDU/CSU — Uwe Lambinus und arbeitende Ausländer. Schon deshalb hat dies in [SPD]: Traurig, traurig!) der Regel nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun. Mein zweiter Punkt betrifft die amtierende Frau Als Betriebsratsvorsitzender eines metallverarbei- Präsidentin, die sich im Augenblick leider nicht weh- tenden Betriebes kenne ich ein wenig die Stimmung ren kann; aber ich habe sie nicht da oben hingesetzt. von Industriearbeitern. Viele von ihnen müssen um Wenn heute gesagt wird, seit 1990 habe sich die den Erhalt ihrer Arbeitsplätze fürchten. Sie erwarten Situation geändert, möchte ich dem entgegenhalten: von mir, daß ich dem vorliegenden Kompromiß Wenn Herbert Wehner dies hören würde, würde er zustimme, was ich auch tun werde. sich im Grabe umdrehen, denn er hat schon 1972 gesagt, daß etwas geschehen muß. Nur: Sie wollen das Die Grundgesetzänderung ist eine notwendige nicht wahrhaben, weil Sie im Bummelzug gefahren Voraussetzung, um die Zuwanderung in unser Land sind, anstatt mit uns in den Schnellzug einzustei- sozial verträglich zu regeln, damit die Toleranz der gen. Menschen hier erhalten bleibt. Wer glaubt, daß in unserem Land alljährlich eine Million Menschen Auf- (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der nahme finden können bei steigender Arbeitslosigkeit SPD — Uwe Lambinus [SPD]: Der in die und Wohnungsnot, wer meint, unser soziales Netz falsche Richtung fährt! Es kommt nicht auf hielte das aus, der irrt. Jetzt sollen sogar die Kranken die Geschwindigkeit an, sondern auf die die Pflegeversicherung finanzieren. Schon jetzt wird Richtung!) dieses Netz von der amtierenden Bundesregierung Ich möchte mich jetzt an diejenigen wenden, die immer grober geknüpft, immer mehr Bürgerinnen und sich mit einer Zustimmung so schwertun, und noch- Bürger fallen durch seine Maschen, die Armut nimmt mals an sie appellieren, doch zuzustimmen. Nicht zu. wenige, die sich hier zu Wort gemeldet haben, sind ansonsten diejenigen, die es ganz besonders mit dem Vor diesem Hintergrund kann es keine Perspektive kleinen Mann haben. Ich frage Sie ganz einfach: Wie für Menschen sein, die ihr Land überwiegend aus Not erklären Sie es eigentlich diesem sogenannten klei- und Armut verlassen, bei uns in Containern unterge- nen Mann, daß, während dieser ein Leben lang hart bracht zu werden. Die meist jungen Frauen und gearbeitet hat und mit seiner Rente gerade über die Männer sind jahrelang arbeitslos oder sind in ungesi- Runden kommt, andere hierherkommen und soviel cherten Arbeitsverhältnissen zu Niedriglohnbedin- erhalten, daß sie davon sogar Schlepperorganisatio- gungen beschäftigt. Wie können sie unter solchen nen bezahlen können? Verhältnissen unseren Staat, seine demokratischen Strukturen, seine Rechts- und Sozialordnung begrei- (Uwe Lambinus [SPD]: Das ist übel, was Sie fen und akzeptieren? Auch aus dieser Sicht müssen da machen!) wir die Zuwanderung steuern. — Das muß Ihnen gesagt werden. Ich weise alle Wir müssen darüber hinaus endlich Maßnahmen Wortmeldungen zurück, die sich gegen unseren Kol- einleiten, um die Fluchtursachen zu beseitigen. Die legen Dregger wenden. Er hat den Finger in die Projekte, die das Land Nordrhein-Westfalen mit meh- Wunde gelegt, die Ihnen weh tut, aber er hat die reren Ländern, z. B. Rumänien, Nordirak, Beloruß- Wahrheit gesagt. land, begonnen hat, könnten beispielgebend sein. (Beifall bei der CDU/CSU — Uwe Lambinus Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten [SPD]: Das sind Töne, die eigentlich der stimmen heute nicht einheitlich ab. Die ernsthaften Vergangenheit angehören sollten!) Gründe hierfür wurden bereits genannt bzw. werden Wie wollen Sie einer Kriegerwitwe in die Augen noch genannt. Ich stimme den vorliegenden Anträgen sehen, die sich scheut, zum Sozialamt zu gehen, zur Änderung von Art. 16 des Grundgesetzes zu. In während andere nicht einmal ihre Wohnung sauber- seinem Inhalt besteht er alle Vergleiche mit den halten? Was sagen Sie den Alleinerziehenden, die Bestimmungen anderer Staaten mit langen demokra keine Wohnungen bekommen, weil die Zahl der 13606 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Hans-Joachim Fuchtel Asylbewerber so hoch ist und die Verfahren zu lange Ludwig Stiegler (SPD): Frau Präsidentin! Meine dauern? Damen und Herren! Es ist typisch für die Union, (Zurufe von der SPD) - während des ganzen Tages die Solidarität der Demo- Solche Dinge berühren das Gerechtigkeitsempfin- kraten zu beschwören und hier dann die Stammtisch den unserer Menschen aufs tiefste. Sie berühren runde loszulassen. unsere Menschen nicht zu Unrecht, denn sie fühlen (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und sich vom Staat alleingelassen. Dies müssen wir beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ändern. Das muß heute auf die richtige Bahn gebracht Das ist diese berühmte Gemeinsamkeit. Wir wissen, werden. was wir davon zu halten haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, es hätte dieser Debatte Wenn ein beachtlicher Teil der SPD-Fraktion auch besser angestanden, und es hätte ihr mehr Glaubwür- heute nicht zustimmen will, so zeigt dies, daß Sie das digkeit gegeben, wenn wir am Vormittag darüber überhaupt noch nicht verstanden haben. beraten hätten, wie wir mit einem Marshallplan Ost (Lachen bei der SPD — Konrad Weiß [Berlin] die Fluchtursachen wirklich bekämpfen, statt hier nur [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erklären Sie über Absperrungen zu reden. es doch einmal!) (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS Es zeigt, wie wenig Sie noch im Volk verankert sind, 90/DIE GRÜNEN) denn es geht nicht um die Stammtischparolen, die Sie hier dauernd hochhalten, sondern um die Frage, ob Es hätte uns gutgetan, darüber nachzudenken, wie das Gerechtigkeitsempfinden von uns Politikern rich- wir gemeinsam die Grenze nach Osten aufgemacht tig aufgenommen und in eine politische Linie umge- haben. Ich war mit dabei, als der Bundesaußenmini- setzt wird, die wieder Zukunft zeigt. ster Genscher mit Herrn Dienstbier an der tschechi- schen Grenze den Grenzzaun abgezwickt hat. Heute Müssen erst eine Million Asylbewerber kommen, müssen wir befürchten, daß er demnächst an der bevor auch Sie klug werden? Oder müssen erst 20 % Grenze zur Slowakei wiederverwendet wird. rechtsradikale Stimmen kommen, bevor Sie aufwa- chen? Es hätte uns gut angestanden, wirklich über die Fluchtursachen nachzudenken und nicht zu glauben, (Uwe Lambinus [SPD]: Sie sind der Wegbe wir könnten die Rolläden herunterziehen, und alle reiter!) Probleme wären gelöst. Wir müssen auch wieder eine Meine Damen und Herren, Sie haben jetzt noch die Stunde der Wahrheit gegenüber der Bevölkerung Chance, Ihre Meinung entsprechend einzubringen. haben und ihr sagen, daß wir hier in Westeuropa keine Ruhe finden werden, wenn nicht andere Menschen (Abg. Peter Conradi [SPD] meldet sich zu Hoffnung zum Bleiben daheim bekommen. Das ist die einer Zwischenfrage) eigentliche Alternative, vor der wir stehen. —Herr Conradi, Sie haben jetzt gerade keine Ch ance, (Beifall bei der SPD) Sie haben Sendepause. Sie haben schon viel zuviel Unsinn hier in diesem Parlament geredet. Frau Vizepräsidentin Schmidt hat in ihrer Rede die Situation junger Menschen sehr deutlich gemacht. (Peter Conradi [SPD]: Hier spricht der zweite Alle, die hier sitzen, würden sich, wenn sie in den 20er, Republikaner! Das wird der zweite Republi 30er Jahren wären und in Osteuropa leben müßten, kaner hier im Hause!) auf den Weg machen. Sol ange wir es mit unseren Ich möchte hier ganz klar sagen: Bitte stimmen Sie Partnern nicht schaffen, diesen Menschen Hoffnung diesem Kompromiß zu. Wir, die wir uns mit dem zum Bleiben zu geben, werden wir hier mit Sperrmau- Kompromiß schwertun, stimmen auch zu. Wir können ern allein keine Ruhe bekommen, meine Damen und von Ihnen erwarten, daß Sie hier mitstimmen. Herren. Schönen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU — Peter Conradi Wir waren am Montag bei der Europäischen Kom- [SPD]: Republikanergeschwätz ist das! — mission in Brüssel: Dort hat man uns dasselbe für den Weitere Zurufe von der SPD: Pfui Teufel! — Süden gesagt. Man hat uns deutlich gemacht, wie Uwe Lambinus [SPD]: Wegbereiter der wichtig es ist, daß die Lebensumstände für die Men- Republikaner sind Sie! Pfui Teufel!) schen besser werden, damit es keine neue Völker- wanderung gibt. Ich erinnere m anche an den Film „Der Marsch", der vielleicht dem einen oder anderen noch in Erinnerung ist, damit er sieht, was auf uns Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Fuchtel, zukommt, wenn wir hier nicht anderswo Hoffnung hätten Sie eine Zwischenfrage zugelassen? zum Bleiben schaffen. (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Nein!) Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist Nein. der verfehlte rechtspolitische Weg. Meine Damen und Herren, es ist das erste Gesetz, das sich anmaßt, die (Zurufe von der SPD: Pfui! — Uwe Lambinus Wirklichkeit zu bestimmen. Normalerweise schafft [SPD]: Wegbereiter der Republikaner sind der Gesetzgeber Tatbestände, und der Richter oder Sie!) der Verwaltungsbeamte prüft, ob die entsprechenden Als Nächster hat der Kollege Ludwig Stiegler das Tatsachen vorliegen. Wir maßen uns im Wiederauf- Wort. greifen alter, unseliger rechtspositivistischer Traditio- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13607

Ludwig Stiegler nen an, als Gesetzgeber zu bestimmen, was die Wir im Ruhrgebiet sind seit Generationen ein Wirklichkeit ist. Welche Verhöhnung der Wirklich- Schmelztiegel der verschiedensten Menschen, der keit! Die Konzeption der Länderlisten und die Kon- verschiedenen Rassen, der verschiedenen Völker. zeption der „sicheren Herkunftsstaaten" ist mit unse- Wenn man in die Betriebe des Bergbaues geht, wenn rem Rechtsstaatsverständnis nicht zu vereinbaren. man in die Stahlindustrie schaut, wenn man in alte (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS Gießereien geht und bestimmte Betriebe besichtigt, 90/DIE GRÜNEN) dann trifft man dort 80 bis 90 % ausländische Arbeit- nehmer an, seit Generationen. Es ist nicht Sache des Gesetzgebers, darüber zu entscheiden, ob Tatsachen vorliegen. Das muß täglich In Gefahr gerät die seit Jahrzehnten gewachsene entschieden werden. Sie werden es erleben, daß jeder gute Zusammenarbeit in Hunderttausenden von Richter, dem man vorträgt, daß die Lage, die der Betrieben durch die Zuwanderung nicht; denn die Gesetzgeber unterstellt, nicht zutrifft, beim Bundes- Ursachen liegen am wenigsten bei der Zuwanderung. verfassungsgericht in Karlsruhe vorlegen muß, weil er Sie sind in der wirtschaftlichen Krisensituation mit sonst sehenden Auges ein nichtiges Gesetz anwen- Massenarbeitslosigkeit, Wohnungsnot, zunehmen- det. den Arbeits- und sozialen Ängsten, sozialen Zukunfts- ängsten begründet. In diesen Bereichen müßte von Meine Damen und Herren, ich empfehle gerade den der Bundesregierung endlich die politische Verant- Kollegen der Union, wieder einmal Hans Welzels wortung übernommen werden, für Problemlösungen Aufsatz „Naturrecht und Rechtspositivismus" nachzu- gesorgt und ein wirklich echter Solidarpakt geschlos- lesen. Da werden Sie feststellen, wie weit Sie in die Weimarer Tradition zurückgelaufen sind. Sie meinen, sen werden, statt weitere Demontagen anzukündi- der Gesetzgeber könne alles. Demnächst werden Sie gen. auch noch durch das Gesetz bestimmen, wer Frau und (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste) wer Marin ist, meine Damen und Herren. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Der Ausländerhaß und der zunehmende Rechtsextre- mismus haben dort ihren schrecklichsten Nährbo- Ich sage deshalb nein zu diesem Gesetz, weil es die den. wahren Probleme nicht löst, weil es den Menschen nicht die Wahrheit sagt und die Illusion erweckt, als Mit der heutigen Entscheidung wird das Asylrecht würden wir die Sorgen, die wir alle haben, los. Ich faktisch umgekehrt zum Recht auf Abschiebung und sage nein, weil diese Verfassungsänderung unserer Abschottung. rechtsstaatlichen Tradition nicht entspricht, und ich sage nein, weil die Überschrift „Politisch Verfolgte Meine Damen und Herren, niemals dürfen wir haben Asylrecht" durch das Kleingedruckte wieder vergessen, daß dieses Grundrecht als Konsequenz der zurückgenommen wird. Das würde, wenn wir Ver- nationalsozialistischen Schreckensherrschaft formu- braucherschutzmaßstäbe anlegen würden, unter den liert und festgeschrieben wurde. Tausende unserer Begriff „Mogelpackung" fallen. Vorfahren, Zehntausende, Großeltern, Eltern, Juden, Künstler, Christen, Gewerkschafter, Antifaschisten, (Beifall bei der SPD) Demokraten, deren Leben durch die faschistische Meine Damen und Herren, so können wir das Diktatur bedroht wurde, konnten sich nur retten, weil Problem nicht lösen. Lassen Sie uns deshalb wirklich Nachbarländer ihnen Zuflucht und auch Asyl gewährt intensiv die Fluchtursachen angehen, lassen Sie uns haben. den Menschen im bedrängten Osteuropa, von denen wir immer wollten, daß sie wandern können, gemein- Sie sind es auch heute, die mahnen und uns auffor- sam Hoffnung zum Bleiben geben und nicht glauben, dern, nicht für eine Grundgesetzänderung zu stim- wir könnten sie aussperren! men. Der Zentralrat der Juden, die Kirchen, die Gewerkschaften, die Betriebsräte und viele Personal- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und räte haben das in Tausenden von Resolutionen und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Versammlungen bekundet und eine eindeutige Posi- tion bezogen, mit der Mahnung: Ändert das Grund- recht auf Asyl nicht! Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster hat der Kollege Adolf Ostertag das Wort. Dennoch, ich weiß, weite Bevölkerungskreise erwarten, wir Politiker müssen das Zuwanderungs- problem lösen. Dabei ist nicht das Grundrecht auf Adolf Ostertag (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! politisches Asyl das Kernproblem, sondern die über- Meine Damen und Herren! Die Entscheidungen zur lange Verfahrensdauer, die unbegründete Asylan- Asylrechtsänderung sind für mich die schwierigsten in träge geradezu prämiert und eine Sogwirkung hat. den zweieinhalb Jahren meiner Abgeordnetentätig- an keit. Es wird sicherlich vielen so gehen. Diese Bundesregierung ist seit über zehn Jahren der Macht, der politischen Macht, und trägt mit ihren Ich weiß, in der Frage der Zuwanderung muß Koalitionsparteien die politische Verantwortung. Sie gehandelt werden. Mir ist bewußt, mit den steigenden hat diese Zeit nicht genutzt, sogar im Gegenteil; ihre Zuwanderungszahlen sind die Sorgen vor Ort erheb- Hinhalte- und Verzögerungspolitik hat die Probleme lich angewachsen. Die Probleme der Kommunen bei letztlich verschärft. der Unterbringung der Menschen, die Belastung der öffentlichen Haushalte sind inzwischen für manche (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ Kommune besorgniserregend, auch bei mir. DIE GRÜNEN) 13608 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Adolf Ostertag Hunderttausende von Anträgen wurden in Zirndorf Wolfgang Ehlers (CDU/CSU): Frau Präsidentin! nicht bearbeitet. Das Asylverfahrensbeschleuni- Meine Damen und Herren! Die heutige Asylrechtsde- gungsgesetz ist nocht nicht richtig in Kraft und schon batte ist aus meiner Sicht eine längst überfällige - wieder überholt. Es wurde ganz, ganz zögerlich Reaktion auf die berechtigten Wünsche und Forde- umgesetzt. Die Frage der sogenannten Scheinasylan- rungen der Bürgerinnen und Bürger. Sie ist aus ten, der vielen Personen, die aus ganz anderen Grün- meiner Sicht demzufolge kein Ergebnis der schlim- den als wegen politischer Verfolgung zu uns kommen, men Fälle von Ausländerhaß und Ausschreitungen ist nicht mit einer Scheinlösung zu regeln. Auch nach gegen Asylbewerber, leider auch in Mecklenburg einer Grundgesetzänderung werden die Armuts- Vorpommern. flüchtlinge und die Bürgerkriegsflüchtlinge zu uns In zahlreichen Gesprächen in meinem Wahlkreis kommen. Das sollten wir unseren Bürgerinnen und Schwerin-Hagenow, insbesondere in Städten mit sehr Bürgern ehrlicherweise sagen. Das gehört zur politi- viel Asylbewerbern, wurde ich immer wieder drin- schen Glaubwürdigkeit. gend gebeten, für Änderungen im Asylrecht Sorge zu (Beifall bei der SPD) tragen. Politische Versäumnisse bei der Bekämpfung von (Peter W. Reuschenbach [SPD]: Für mehr Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot sowie der Wirtschafts- Wohnungen zu sorgen wäre gescheiter!) krise und Zurückweichen vor einem drohenden Die Menschen, die mit mir sprachen, waren keine Rechtsruck in der Bevölkerung sind keine hinreichen- gewaltbereiten Bürger, sondern ganz normale Men- den Gründe für eine Verfassungsänderung. Deswe- schen wie Sie und ich. Mit den heutigen Beschlüssen gen kann ich aus grundsätzlichen Überlegungen und folgt also der Gesetzgeber — wenn wir die Mehrheit aus persönlicher Überzeugung diesem Asylkompro- erhalten — dem Willen der überwiegenden Mehrheit miß nicht zustimmen. der Bevölkerung. Die vorgeschlagene Drittstaatenregelung setzt das Bevor ich zur Beantwortung der Frage komme, individuelle Asylrecht außer Kraft. Mit ihr ist das weshalb die Stimmungslage in der Bevölkerung so ist, Hauptkriterium zur Asylaufnahme der Fluchtweg und nicht der Fluchtgrund. möchte ich zwei Grundauffassungen nennen, die ich zu Hause immer wieder höre. Darüber hinaus brauchen wir ein System von Hilfen, um die Fluchtursachen bekämpfen zu können, um Erstens: Die Deutschen, auch unsere Bürgerinnen den Menschen ein Verbleiben in ihrer Heimat zu und Bürger in Mecklenburg-Vorpommern, sind nicht ermöglichen. Wir brauchen ein Gesamtkonzept, das ausländerfeindlich. Sind sind für ein freundschaftli- differenziert auf die verschiedenen Fluchtgründe ant- ches Miteinander von Deutschen und Ausländern. wortet, nach meiner Meinung am sinnvollsten mit Zweitens. Die Bürgerinnen und Bürger sind dafür, einem Zuwanderungsgesetz. daß auch in Zukunft wirklich politisch Verfolgten ein (Norbert Geis [CDU/CSU]: Für ein Zuwande gesetzlich garantiertes Recht auf Asyl gewährt wird. rungsgesetz brauchen wir erst eine Verfas Die Menschen sind logischerweise aber gegen den sungsänderung!) derzeitigen ungezügelten Mißbrauch unseres großzü- giges Asylrechts. Dieser Mißbrauch führt meiner Mei- Genausowenig brauchen wir ein Asylbewerberlei- nung nach leider dazu, daß die Ausländer zunehmend stungsgesetz, das die Asylbewerber sozialpolitisch undifferenziert betrachtet werden und schließlich zu degradiert. Jeder Mensch in Deutschland soll ein verurteilende Übergriffe nicht ausbleiben. Leben in Würde führen können. Wenn für Flüchtlinge ein geringerer Bedarf zur Führung eines menschen- Gerade in den neuen Bundesländern, meine Damen würdigen Lebens festgesetzt wird, greift dies tief in die und Herren, ist der Umgang mit dem massenhaften Grundwerte unserer Verfassung ein. Es würde bedeu- Zustrom von Asylbewerbern vollkommen ungewohnt. ten, daß die Würde des Menschen teilbar ist. Allein in Mecklenburg-Vorpommern waren es im vergangenen Jahr über 13 000 zugewiesene Perso- Schließlich sieht der Asylkompromiß die politische nen. Aber nicht nur diese ungeheure Anzahl von Integration der bei uns dauerhaft lebenden Ausländer Asylbewerbern bewegt die Menschen. Hinzu kommt, nicht vor. Nötig ist aber die Erleichterung der Einbür- daß sich viele Asylbewerber nicht so verhalten, wie es gerung, die doppelte Staatsbürgerschaft und das in Deutschland üblich ist; auch Recht und Gesetz Kommunalwahlrecht für unsere ausländischen Mit- werden mitunter nicht beachtet. bürgerinnen und Mitbürger, die lange hier leben. Aus diesen Gründen wächst bei vielen Bürgern die Diese Schritte, meine Damen und Herren, würden Angst vor Überfällen und Diebstählen, und diese zu Stabilität und Demokratie, zu gutnachbarlichen Angst ist, wie zahlreiche Beispiele leider belegen, Beziehungen und zur Steuerung der Wanderungsbe- nicht unbegründet. Darunter leidet natürlich die wegung mehr beitragen als diese Grundgesetzände- Akzeptanz der Asylbewerber unter der Bevölkerung, rung. auch derjenigen, die wirklich, auch in Zukunft, Auf- Vielen Dank. nahme finden müssen. (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und (Zuruf von der SPD) dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn ein Gast — das sagen mir meine Wähler zu Hause — schon ungebeten kommt, dann kann man als Gastgeber doch mindestens erwarten, daß er sich Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht der ordentlich, entsprechend den Gesetzen, die in Kollege Wolfgang Ehlers. Deutschland bestehen, verhält. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13609

Wolfgang Ehlers Hierbei taucht für mich die Frage auf, weshalb der Dennoch, meine Damen und Herren, liebe Kollegin- Asylbewerber nach Deutschland gekommen ist. Ich nen und Kollegen, müssen sich alle Parlamentarier vertrete auch in Gesprächen im Wahlkreis die feste fragen, ob unser 1949 in Kraft ge tretenes Grundgesetz Überzeugung, daß sich Menschen, die in ihrem- Hei- mit dem bisherigen Art. 16 Abs. 2 noch eine zeitge- matland tatsächlich verfolgt werden, in Deutschland mäße Antwort auf das Phänomen der Zuwanderung, vernünftig verhalten. Sie sind nämlich froh, endlich in der weltweiten Bevölkerungsentwicklung und der einem freien L and leben zu können, und sie werden Asylbewerber darstellt. hier wie alle anderen Mitbürger wohnen und arbeiten Es ist richtig, was hier mehrfach gesagt wurde, daß wollen. Ich kann mir in solchen Fällen ein genauso bereits vor dem Zusammenbruch des Kommunismus ungestörtes Zusammenleben wie mit den zahlreichen in Europa die Zahl der Ausreisewilligen, der Aussied- ausländischen Mitbürgern, die schon seit Jahren hier ler und der Asylsuchenden kontinuierlich angestie- leben und arbeiten, vorstellen. gen ist. Es ist auch richtig, daß schon vor 1989 die Ein weiterer Fakt, der die Bürgerinnen und Bürger Städte und Landkreise, da sie die Pflicht zur Unter- verärgert, besteht in dem Ausnutzen der großzügigen bringung, Betreuung und Finanzausstattung der Hil- Sozialleistungen unseres Staates. Daß manch ein fesuchenden in unserem Sozialstaat nun einmal tra- Asylbewerber nur dieses Ziel verfolgt, wurde in letzter gen, gemahnt haben — jene Landkreise und Städte, Zeit auch in Mecklenburg-Vorpommern sehr deut- deren Sozialämter seit Mitte der 80er Jahre durch eine lich. Die Entscheidung unseres Landesinnenmini- falsche Politik der Bundesregierung ständig mit Ober- sters, Sozialhilfe mit Ausnahme des Taschengelds in proportionalen Sozialausgaben zu kämpfen hatten; Sachleistungen zu gewähren, führte bei einer Reihe denn zu den Zuwanderern kamen die Pflegekosten für von Asylbewerbern zum Zurückziehen ihres Asylan- ältere und behinderte Menschen sowie die wach- trags. sende Zahl der Langzeitarbeitslosen und Sozialhil- Ich stelle mir die Frage: Würden sich so wirklich feempfänger. Ich darf gerade Kollegen aus Nieder- Verfolgte verhalten? Meiner Meinung nach waren es sachsen erinnern, daß der Ministerpräsident Albrecht auch keine Verfolgten, die in meinem Bundesland in dieses Phänomen der wachsenden Kosten mehrfach den letzten Monaten mehrfach Sozialhilfe abkassiert angesprochen hat. haben. Schon 1988 mußten gerade Städte feststellen, daß Mit der Änderung des Grundgesetzes und mit der sie keinen ausreichenden Wohnraum mehr zur Verfü- Verabschiedung von begleitenden Gesetzen werden gung hatten, daß ihnen Kindergartenplätze fehlten wir den Asylbewerberstrom stark reduzieren können. und daß auch soziale Einrichtungen der Altenbetreu- Wenn dann nur noch eine ganz geringe Anzahl von ung nicht vorhanden waren. Sie hatten auch nicht wirklich Verfolgten nach Deutschl and kommen wird, mehr das Geld, Abhilfe zu schaffen, weil eine ver- sehe auch ich persönlich keinerlei Probleme mehr fehlte Wohnungspolitik behauptete, wir hätten genü- hinsichtlich eines geordneten Zusammenlebens zwi- gend Wohnraum in Westdeutschland. schen Deutschen und diesen Asylbewerbern. Ich bin (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mir ebenso sicher, daß dann auch die Gewalt ganz Aber, meine Damen und Herren — und das möchte entscheidend abnehmen und eines Tages hoffentlich ich jetzt auch an meine Kollegen sagen —, auch wir wieder ganz verschwinden wird. müssen zur Kenntnis nehmen, daß es 1982 37 430 Schönen Dank. Asylsuchende waren und daß es zehn Jahre später (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge eben 438 191 sind. Auch wir müssen zur Kenntnis ordneten der F.D.P.) nehmen, daß sich nach der Öffnung der Mauer die Zahl der Zuwanderer nach Deutschl and exorbitant erhöhte, daß — ich will wegen der Zeit nicht im Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächstes hat einzelnen darauf hinweisen —, wenn m an die Abwan- die Kollegin Brigitte Schulte das Wort. derer, diejenigen, die fortziehen, abzieht, de facto sowohl 1989 wie 1990 wie 1991 wie 1992 in den alten Bundesländern jeweils eine Million Menschen mehr Brigitte Schulte (Hameln) (SPD): Frau Präsidentin! bei uns blieben. Das heißt, für 4 Millionen Menschen Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte des mußten mehr Wohnungen, mußten mehr Arbeits- Deutschen Bundestages hat eine besondere Bedeu- plätze, mußten mehr Vorsorgeeinrichtungen geschaf- tung, denn die Einschränkung des Grundrechts auf fen werden. Asyl ist nach unserer Geschichte, nach dem Terror der Das war der Grund, warum die kommunalen Spit- Nationalsozialisten, für viele Kolleginnen und Kolle- zenverbände gefordert haben, das Asylrecht zu gen eine Gewissensfrage — auch für mich, zumal viele ändern. Ich will ehrlicherweise darauf hinweisen: Die von uns noch Freunde haben, die dieses L and verlas- meisten der Oberbürgermeister waren sozialdemo- sen mußten, und andere, von denen wir wissen, daß kratische Oberbürgermeister; das liegt an den Wahl- sie nicht mehr rechtzeitig das Land verlassen konnten ergebnissen. Sie wollten nicht, das Asylsuchende und dafür eben dann in Gefängnissen dem Terror des einfach in andere Länder gehen mußten, aber sie Nationalsozialismus ausgesetzt waren. sahen, daß sie mit den Problemen, den Folgen nicht Ich hätte mir deshalb gewünscht, daß eine ganze fertigwurden. Reihe von CDU/CSU-Kollegen nicht verführt gewe- Eines, meine Damen und Herren, muß hier festge- sen wären, die Gründe derjenigen, die glauben, heute stellt werden: Auch viele der Menschen, die heute aus nicht zustimmen zu können, so abzutun. wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen, wären eine (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bereicherung für unser Land, kämen sie nicht alle 13610 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Brigitte Schulte (Hameln) gleichzeitig und kämen sie nicht in einer Zeit sozialer habe schon oft geirrt. Die leidvolle Geschichte unseres Schwierigkeiten. Landes gab ihm recht. Aus Jubel wurden Tränen. 60 % der Bevölkerung wollen, angestachelt von pathologi- Aber es muß auch erwähnt werden, daß die- Sozial- ämter und Ausländerbehörden mit den Problemen schen Verführern, auf Biegen und Brechen jetzt eine nicht mehr fertigwunden und daß sie es waren, die uns Lösung. Es kommt darauf an — lassen Sie mich dies baten, eine Änderung vorzunehmen. Die traurigen hinzufügen —jener Hyste rie klar und unmißverständ- Höhepunkte der gewalttätigen Ausschreitungen blei- lich entgegenzusetzen: So nicht! ben uns ja wohl allen in Erinnerung und haben dazu (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und geführt, daß wir handeln müssen. dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bin nur der Meinung, daß die CDU/CSU, die es Ich sage zu Ihnen, Herr Fuchtel als kleinem Dregger sich z. B. als niedersächsische CDU im Kommunal- und zu dem andern Herrn Dregger: So nicht! Die Zeit wahlkampf 1991 nicht verkneifen konnte, mit einem der Volksverdummung ist vorbei. miesen Wahlkampf gegen die Asylsuchenden und (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und gegen die Sozialdemokraten anzutreten, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der CDU/CSU: Für ein gutes Asylgesetz!) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Kollegin eine sehr unangenehme Rolle gespielt hat. Gott sei Leonhard, würden Sie eine Zwischenfrage gestat- Dank hat der Bürger in Niedersachsen Ihnen damals ten? die Quittung dafür gegeben. (Zuruf von der CDU/CSU: Das war ein Feh ler!) Dr. Elke Leonhard-Schmid (SPD): Nein, nicht. — Richtig ist: Die Verhältnisse sind unhaltbar, nicht Lassen Sie mich mit dem Hinweis abschließen, daß selten unerträglich. Eine Lösung ist notwendig. ich glaube, daß auch der heutige Asylkompromiß nur Gerade deshalb sind Tragweite und Erfolgsaussicht ein Schritt ist, um ein f riedliches Zusammenleben der anstehenden Entscheidung genau zu untersu- zwischen Deutschen und Ausländern zu gewährlei- chen. sten. Um die innere Stabilität unseres Staates zu sichern, kann ich dieser Gesetzesänderung und der Meine Damen und Herren, machen wir uns bewußt, auch wenn es eine Binsenweisheit zu sein scheint: Zur Grundgesetzänderung zustimmen. Diskussion steht nicht die Novellierung einer beliebi- Wer aber in Europa offene Grenze erhalten will, der gen Regelung, sondern die einschneidende Änderung muß mit unseren Nachbarn gemeinsame Spielregeln eines Grundrechts, das seinen Ursprung in den bitte- vereinbaren, und eben dies hat Deutschland noch ren Erfahrungen der deutschen Geschichte hat. nicht erreicht. Ein unkontrollierter Zuzug von Men- schen aus anderen Ländern und Kontinenten würde (Beifall bei der SPD) auch die Staaten der EG destabilisieren und am Ende Zahllose Menschen, die im Deutschland des national- unsere Demokratien gefährden. sozialistischen Terrors erniedrigt wurden, um Leib (Beifall bei der SPD) und Leben bangen mußten, fanden dankenswerter- weise in vielen Ländern der Erde Zuflucht, nicht selten eine Heimat. Diese Möglichkeit auch jenen zu gewäh- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat die Kolle- ren, die heute in den zahlreichen Krisenregionen der gin Dr. Elke Leonhard-Schmid das Wort. Erde Verfolgung und Unterdrückung ausgesetzt sind, ist Sinn des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes — nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dr. Elke Leonhard-Schmid (SPD): Frau Präsidentin! Auch dies ist Realität: Wir sind nicht Frankreich. Wir Meine Damen und Herren! Meine Sympathie gehört sind auch nicht Großbritannien. Nein, wir sind ein an diesem Tage zahlreichen Gläubigen der Kirchen, Land, das die eigene Geschichte weder vergessen der jüdischen Gemeinden, den Schriftstellern, die noch verdrängen darf. aufklärten, und den vielen jungen Menschen, deren gewaltloses — ich wiederhole: gewaltloses — Enga- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und gement in dieser Frage Anlaß zur Hoffnung gibt. dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ (Beifall bei der SPD, der F.D.P. und dem CSU]: Was hat das mit dem Asylrecht zu BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tun?) Mein Respekt gilt auch jenen meiner Partei und auch Aus diesem Bewußtsein und in dieser Haltung auf dieser Seite, die ernsthaft an der Lösung des erwuchs die Stärke der vergangenen 40 Jahre. Zuwanderungsproblems zu arbeiten versucht ha- ben. Neben jenem historischen und moralischen Aspekt ist es der außenpolitische und außenwirtschaftliche Die Masse, meine Damen und Herren, will eine Aspekt der Entscheidung, der mich in seiner Konse- Lösung; aber machen wir uns nichts vor: Hier ist eine quenz nachdenklich und besorgt macht. Ohne die gefährliche Energie am Werk, und hier sind Instru- Drittstaatendebatte wiederholen zu wollen — alle mentarien gefragt, die von Gesetzesänderung und Argumente sind auf dem Tisch —: Es grenzt an Bürokratie weit entfernt sein sollten. Großmannssucht, zu glauben, die globalen Probleme Sigmund Freud analysierte während der Zeit des lösen zu können, indem wir die Lasten der giganti- nationalsozialistischen Massenterrors treffend, der schen Völkerbewegung auf unsere schwachen Nach- sogenannte gesunde Menschenverstand der Masse barn abwälzen. Es ist mehr als fahrlässig, die jungen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13611

Dr. Elke Leonhard-Schmid Demokratien des Ostens mit diesen Problemen zu Ärzte unter dem Vorwand, politisch verfolgt zu sein, in konfrontieren und sie damit tief zu erschüttern. der Bundesrepublik Asyl suchen. (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Hört! dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hört!) Nach zähem Kampf um Demokratie und ersten Stabi- Wer dies unterstützt, schadet den armen Völkern. Es lisierungserfolgen wäre dies ein Sargnagel, den wir ist eine völlig falsche Schlachtordnung, so zu tun, als verantworten müssen — ich wiederhole: den wir mit wollten diejenigen, die das verhindern wollen, jenen der heutigen Entscheidung verantworten müssen. schaden. Ganz im Gegenteil, wir wollen jenen Men- schen helfen, die notwendig Hilfe brauchen. (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Vereinigten Staaten von Amerika haben im vergangenen Jahr 30 000 Akademiker aus Brasilien Bei allem Respekt vor den Verhandlungspartnern aufgenommen. Dieser „brain-drain" führt dazu, daß des vorliegenden Kompromisses kann und darf nicht die Entwicklung in Brasilien zurückgefahren wird. übersehen werden, daß das von Innenpolitikern für Wir, die Industriestaaten, sollten dies nicht unterstüt- Innenpolitik gemachte Konzepte weder außenpoli- zen. Wir sollten im Gegenteil eine Politik betreiben, tisch noch außenwirtschaftlich konsequent durch- die den Menschen vor Ort hilft und sie nicht hierher, in dacht ist. Bleibt die Frage: Kann angesichts der die Bundesrepublik, lockt. elenden Lage in weiten Teilen der Welt unsere (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Antwort auf die Zuwanderung tatsächlich eine Fe- Zuruf von der SPD: Nicht nur reden, sondern stung Deutschland sein? Eine Komödie, wenn nicht die Tragik des Schicksals Tausender dahinterstünde, auch handeln!) Tausender, die, von Not und Hunger getrieben, so Lassen Sie mich hier eine letzte Bemerkung lange kommen werden, wie Armut unvorstellbaren machen: In meinem eigenen Wahlkreis hat eine Ausmaßes in der Mehrzahl der Länder dieser Erde achtköpfige Asylbewerberfamilie aus Rumänien in herrscht! 14 Monaten — so lange dauerte das Verfahren — 74 800 DM aus öffentlichen Kassen empfangen. Zur brachte die Konsequenz dieses John F. Kennedy selben Zeit wurde im gleichen Ort ein Betrieb einer Mechanismus treffend auf den Punkt: großen deutschen Schuhfirma geschlossen, weil die Wenn jene Gesellschaft nicht den vielen helfen Betriebsanlagen genau in das Land verlegt wurden, kann, die arm sind, dann kann sie niemals jene aus dem die Asylbewerber kamen. Die deutschen wenigen retten, die reich sind. Arbeitslosen bekamen nur ein Drittel dessen, was die Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, abschlie- asylsuchende Familie bekommen hat. ßend die Worte John F. Kennedys in abgewandelter (Zurufe von der SPD) Form zu einem Appell umformulieren: Wenn die Das können Sie der Bevölkerung in Deutschland nicht Weltwirtschaft nicht endlich Instrumentarien schafft, mehr klarmachen. die den vielen Ländern auf die Beine hilft, die arm sind, dann wird sie auch nicht jene wenigen retten können, die reich sind. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Mül- ler, zur Geschäftsordnung: Eine Kurzintervention Ich danke Ihnen. sollte sich — ich will kein Zwiegespräch, sondern (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und Ihnen nur einen Hinweis geben — im Regelfall auf dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) konkrete Aussagen des Vorredners, in der ersten Runde meinetwegen auch auf die des Vorvorredners beziehen. Diesen Bezug habe ich nicht ganz erkennen können. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Günther Müller. Außerdem sollte sie maximal zwei Minuten dauern, nicht zweieinhalb Minuten. Als nächster hat nun der Kollege Otto Schily das Wort. Dr. Günther Müller (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade nach dem, was meine Vorrednerin gesagt hat, möchte ich bitte Otto Schily (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen wieder etwas auf die Realität zurückführen und auf- und Herren! Ein juristisches Gesamtkunstwerk ist zeigen, um was es eigentlich geht. dieser verzwickte und vielfach verschraubte Asyl- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) kompromiß wahrlich nicht. Zur Kritik allerdings sind am wenigsten jene legitimiert, denen bisher nichts Ich habe vor wenigen Wochen einen Besuch in Besseres eingefallen ist, als reichlich realitätsfern Bulgarien gemacht. Der dortige Staatspräsident und offene Grenzen zu propagieren. der Innenminister hatten eine Delegation der WEU empfangen. Sie hatten die deutschen Kollegen drin- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gend gebeten, etwas zu tun, damit der Tatbestand, der F.D.P.) daß mit die meisten der Asylsuchenden in der Bun- Der Asylkompromiß ist der mühsame Versuch, desrepublik aus Bulgarien kommen, etwas einge- ethische und rechtsstaatliche Prinzipien den Notwen- schränkt wird. Der Grund dafür ist, daß das soziale und digkeiten der alltäglichen Praxis anzunähern. Dabei medizinische Versorgungssystem in Bulgarien zu- darf jedoch der jahrzehntelange Konsens, den wir sammenbricht, weil vor allem Krankenpfleger und gemeinsam gepflegt haben, daß politisch Verfolgte 13612 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Otto Schily bei uns Zuflucht erhalten müssen, auf keinen Fall Gebot der Moral, des Anstands und der Nächsten- verlorengehen. Deshalb sollte diese Debatte niemand liebe. als moralischen Wettbewerb mißdeuten. (Zuruf von der SPD: Und der Willkür!) Bei nüchterner Prüfung der psychologisch-soziolo- Bei vorurteilsfreier Betrachtung kann nicht bestrit- gischen Hintergründe ist die Akzeptanz für Asylge- ten werden, daß die gegenwärtige Verfassung und währung deutlich höher, wenn sie als Erfüllung einer Rechtslage Zuwanderern, die nicht politisch verfolgt moralischen und verfassungsrechtlichen, freiwillig sind, sondern aus verständlichen sozialen, wirtschaft- übernommenen Pflicht der Gesellschaft verstanden lichen und sonstigen Gründen nach Deutschland wird und nicht als einklagbares Recht des Asylsuchen- kommen, die Möglichkeit bietet, unter Vorwand von den. Jedoch hieße die Ersetzung des individuellen Asylgründen einen länger dauernden Aufenthalt, die Grundrechts auf Asyl durch eine institutionelle Zuweisung einer Unterkunft und die Gewährung von Garantie nicht, staatliches Wohlverhalten von jeder Sozialhilfe zu erzwingen. Kontrolle freizustellen und die Asylgewährung admi- nistrativer Willkür zu überlassen. Angesichts dieses Sachverhalts erweist sich die ursprüngliche Fassung des Art. 16 des Grundgesetzes Bei Ersetzung des individuellen Grundrechts durch als unglückliche Fehlkonstruktion, die für die Lebens- eine institutionelle Garantie müßten innerhalb des wirklichkeit unserer Zeit nicht mehr tauglich ist. Die Staats- und Gesellschaftsgefüges zusätzliche Kon- Schwierigkeit mit dem individuellen Grundrecht auf trollinstanzen geschaffen werden, die darauf achten, Asyl, das in Art. 16 verbürgt ist, liegt nicht in seinem daß die Selbstbindung des Staates eingehalten wird. materiellen Gehalt, sondern in seinen verfahrens- Aufgaben und Befugnisse solcher Kontrollinstanzen rechtlichen Auswirkungen. müßten verfassungsrechtlich abgesichert werden. Das könnte beispielsweise dadurch geschehen, daß Wer das individuelle Grundrecht auf Asyl beibe- eine unabhängige Bundesbeauftragte für Flüchtlings- halten will, gleichzeitig aber prozedurale Beschrän- fragen eingesetzt und mit weitreichenden Befugnis- kungen vornimmt, um die Überfüllung der Asylver- sen ausgestattet wird. Diese neue Institu tion sollte fahren zu verhindern, sollte sich nicht wundern, wenn Flüchtlingsorganisationen wie Amnesty Interna tional am Ende nur noch die Fassade des individuellen und Pro Asyl ein umfassendes Mitspracherecht ein- Grundrechts übrigbleibt. räumen. Ich weiß, daß dafür im Moment wenig Verständnis Dabei sollte vor allem nicht übersehen werden, daß zu erlangen ist. Das ist nämlich ein grundlegend die zahlreichen Beschleunigungsgesetze, die dem anderer Ansatz, um die Richtigkeitsgewähr für Asylkompromiß vorausgegangen sind, das individu- Asylentscheidungen zu verbessern und das Verfahren elle Grundrecht längst beträchtlich ausgehöhlt haben. flexibler, aber auch zugleich plausibler zu gestalten. Die Verfechter eines Individualgrundrechts können Vielleicht wäre es ein Einstieg in diese neue Denk- daher für sich nicht in Anspruch nehmen, daß ihre weise, die natürlich einem sehr verrechtlichen Den- Auffassung in größtmöglichem Umfang die uneinge- ken fremd sein muß, wenn wir beispielsweise den schränkte Gewährleistung des Asyls für politisch christlichen Kirchen das autonome Recht zusprechen Verfolgte sicherstellt. Im Gegenteil: Paradoxerweise würden, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen, die nach führt die Schrankenlosigkeit des individuellen ihrer Einschätzung als Asylsuchende schutzbedürftig Grundrechts nach Art. 16 zu einer Minderung des sind. Asylschutzes. Ich werde schweren Herzens der Verfassungsände- Die Gewährleistung des Asyls in Form eines indivi- rung zustimmen, allerdings einer verfassungswidri- duellen Grundrechts gehört nicht zu den elementaren gen Regelung in § 34 a Abs. 2 meine Zustimmung nicht Bestandteilen der Verfassungsstruktur des Grundge- geben. setzes. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Ernst Waltemathe [SPD]: Was ist das denn? Unhistorisch!) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächste hat die Kollegin Sigrid Skarpelis-Sperk das Wort. Dem Verfassungsgesetzgeber steht es frei, auch eine andere Form zu wählen, die das Asyl sicherstellt. Nach meiner Überzeugung ist die institutionelle Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Liebe Kollegin- Garantie des Asyls ehrlicher und dem individuellen nen und Kollegen! Frau Präsidentin! Vor knapp Grundrecht vorzuziehen. Allerdings müßte in einer 30 Jahren erhielt eine Schülerin in der Reifeprüfung institutionellen Garantie der besondere hohe morali- einen Dialog des Philosophen Platon zur Übersetzung sche Rang der verfassungsmäßigen Pflicht des Staates und Interpretation. Der Text schilderte eine Ge- zur Aufnahme politischer Flüchtlinge deutlich zum schichte aus dem Leben des Athener Bürgers Sokrates Ausdruck kommen. während der Zeit der Tyrannei der Dreißig. Sokrates, so erzählt der Dialog, wurde neben einigen anderen in Mit einem solchen Verfassungsartikel würde sich das Rathaus bestellt. Dort wurden sie angewiesen, auf der Staat eine Selbstverpflichtung auferlegen, die für eine Nachbarinsel zu gehen, um geflohene Anhänger das gesamte staatliche Handeln bindend wäre. der athenischen Demokratie zu töten, die dort Asyl Grundsätzlich ist in einem Rechtsstaat nicht in jedem gefunden hatten. Der Schlußsatz des Dialogs ist mir Fall eine staatliche Verpflichtung mit einem subjekti- bis heute im Gedächtnis geblieben: Die anderen ven Recht verkoppelt. Von seinem Ursprung her ist gingen nach Salamis, ich aber ging nach Haus. — Im das Asyl sowieso ähnlich der Gastfreundschaft ein Jahre 399 vor Christus wurde Sokrates wegen Gottlo- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13613

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk sigkeit zum Tode verurteilt. Er floh nicht. Er wollte und dies in einer Zeit zunehmender Barbarei und nicht als alter Mann in einem anderen Land um Asyl Verfolgung weltweit und vor unserer europäischen bitten und wurde hingerichtet. Haustür. - Zur Zeit der griechischen Militärjunta sammelte ich Drei Dinge sind es, die mich im Laufe unseres als Frau eines politisch Verfolgten persönliche Erfah- Entscheidungsprozesses besonders bestürzen: Wir rungen, und heute noch werden schreckliche Bilder in schaffen ein Grundrecht ab, ohne die Ursachen der mir wach: das im Polizeiverhör gräßlich zerschlagene Armutswanderung zu beseitigen oder die Immigra- Gesicht eines Mannes, der eines Nachts übermüdet, tion in der Realität auch nur zu begrenzen. abgerissen, mittellos und ohne Papiere verzweifelt vor (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke der Tür stand; der Unterarm eines anderen Mannes Liste) mit kaum verheilten Brandwunden, Male durch aus- Wir produzieren eine Scheinlösung, wie bald sichtbar gedrückte Zigaretten, Folge von Verhören durch die werden wird. Dadurch, daß wir die Zuwanderung auf griechische Geheimpolizei, sein angstvolles Zusam- dem Gesetzespapier abschaffen, verschieben wir die menzucken bei jedem Anzünden einer Zigarette; Probleme nur in die Illegalität mit der unausweichli- schließlich das Wehelächeln meiner Freundin Katja, chen Folge steigender Kriminalität. als sie Jahre später meine Tochter auf meinem Arm sah. Sie selbst war als Schwangere so bestialisch (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und gefoltert worden, daß sie ihr Kind verlor und nie dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wieder ein Kind empfangen konnte. Wir wissen das aus anderen Ländern, die kein Asyl- recht in unserem Sinne, keine Sozialhilfe kennen. Aber es gab in dieser Zeit auch viel Positives, die Wozu die Zuwanderung Illegaler in den USA, aber überwältigende Solidarität mit dem Freiheitskampf auch in Griechenland führt, können wir sehen: zu im Geburtsland der Demokratie, Freundschaften über mehr Kriminalität und zu nichts anderem. Parteien hinweg, die sich in diesen Zeiten unter den Verfolgten auf deutschem Boden und mit uns Deut- Ein drittes ist uns im Entscheidungsprozeß um das schen bildeten. Der größte Teil der politischen Füh- politische Asyl verlorengegangen: das gemeinsame rung aller Parteien Griechenlands suchte und fand Suchen und Finden von praktischen und politischen Asyl in Deutschland, in Europa und in den USA. Lösungen für die neuen Probleme, Herausforderun- gen aller Institutionen und politischen Ebenen. Wir sollten bei unserer Debatte also nicht vergessen, daß die Gewährung von Zuflucht für Verfolgte nicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nur eine Last für das Gastland ist, sondern auch und nicht zuletzt eine Chance für mehr Freiheit und Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Kollegin, Demokratie, darf ich Sie bitte an die Zeit erinnern? Die Redezeit ist schon mehr als eine Minute überschritten. (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste, beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des (SPD): Im Grunde wissen Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]) Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk alle, daß wir auch deswegen vor so großen Problemen eine Chance für mehr Freiheit und Demokratie in der stehen, weil in einer unver antwortlichen Mischung Welt, aber auch für ein positives Deutschlandbild. aus stets zu geringem Organisationsaufwand, stets (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste, zu spät bewilligtem Personal, schlecht geregelten beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Gemeinden Abgeordneten der CDU/CSU) und Finanzierungstricks bei den Bürgerkriegsflücht- lingen ein Verwaltungs- und Rechtsprechungsnot- Heute entscheiden wir als Gesetzgeber darüber, ob stand entstanden ist, über den sich alle zu Recht das Recht auf Asyl für politisch, religiös und rassisch erregen. Verfolgte in Deutschland faktisch noch in Anspruch genommen werden kann oder nur mehr als ein Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Kollegin, ich bedeutungsloser Merksatz in Art. 16 des Grundgeset- hatte das ernst gemeint. zes verbleibt. Wir entscheiden, ob wir ein uraltes Recht — in primitiven Völkern war es ein religiöses Tabu, und in zivilisierten Völkern, Otto Schily, hieß es Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Diesen Notstand abzuschaffen wäre unsere Aufgabe als Gesetzgeber, Gastrecht und nicht Gastgnade — , nicht, Grundrechte zu ändern. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Anhaltender Beifall bei Abgeordneten der DIE GRÜNEN) SPD sowie bei der PDS/Linke Liste und dem ein Recht, das in zivilisierten Völkern lange vor der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Antike selbstverständlich war, jetzt noch gewährlei- sten wollen. Es geht darum, ob wir die ethischen Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster Grundlagen unserer Zivilisation, den Zusammen spricht der Kollege Dr. Walter Hitschler. klang von christlichen, liberalen und sozialistischen Grundwerten, die den breitgetragenen gesellschaftli- (F.D.P.): Frau Präsidentin! chen Konsens des Staatswesens Bundesrepublik Dr. Walter Hitschler Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Deutschland ausmachen, den ersten größeren wirt- Debatte um die Erhaltung des Grundrechts auf poli- schaftlichen und politischen Schwierigkeiten der tisches Asyl und die Abwehr eines ungehinderten Nachkriegsgeschichte opfern wollen, Zustroms von Scheinasylanten muß darauf hingewie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sen werden, daß die praktischen Folgen eines solchen 13614 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Walter Hitschler ungehemmten Zuzugs letztlich den echten Asylbe- Gunter Weißgerber (SPD): Frau Präsidentin! Ver- werbern die Asylgrundlage entziehen. ehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Welt ist seit 1989 für einen großen Teil der Menschheit freier, jedoch Keine Volkswirtschaft ist in der Lage, monatlich- die trielle Norden Zuwanderung einer mittleren Kreisstadt mit nicht sicherer geworden. Da der indus 40 000 Einwohnern zu verkraften. In dieser Situation es bisher nicht verstand, die Probleme des Südens lösen zu helfen, ist anzunehmen, daß ihm dies mit der befinden wir uns heute, und das ist der falsche gegenwärtigen wirtschaftlichen Talfahrt noch viel Weg. weniger gelingt. Der Druck der Einwanderung nach Die Wohnraumversorgung bereitet den Kommu- Europa und Deutschland wird also zunehmen. Die nen immer größere Schwierigkeiten, weil natürlich Einwanderungswilligen treffen aber gerade in Ost- die Nachfrage in dem Segment preiswerter Wohnun- deutschland — ich spreche hier als Ostdeutscher — gen im Altbestand so außerordentlich stark gestiegen auf Menschen, die durch den Zusammenbruch ihrer ist, daß ein eklatanter Wohnraummangel insbeson- bisherigen scheinsicheren Welt verängstigt sind, die dere in den Ballungsgebieten entstanden ist. ihre neue Umwelt erst lernen müssen. Dies sind Viele Bürgermeister wissen sich nicht mehr zu Menschen, denen wir Zeit geben müssen, Zeit, die helfen. Leider sind bisher auch die evangelischen andere in Europa reichlich zur Verfügung hatten. Pfarrhäuser den Asylbewerbern verschlossen geblie- ben, wo man noch am ehesten eine mitbrüderliche Die in Deutschland lebenden Bürgerinnen und Aufnahme hätte erwarten können. Bürger erwarten von uns Politikern Taten, welche ihre eigene Lage sicherer machen. Angst um Arbeits- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) plätze, Angst um geringer werdende Sozialleistungen Ein weiterer unkon trollierter Massenzuzug ist und die Realität von knappem und oft unbezahlbarem daher von der Kapazität unserer Wohnungsmärkte Wohnraum schaffen kein Vertrauen Fremden gegen- her nicht mehr zu bewältigen. über. Dies ist bedrückend, trotzdem aber real. In vielen Fällen führt die Situation dazu, daß deut- Im Osten Deutschlands ist Massenarbeitslosigkeit sche Wohnungssuchende beispielsweise deshalb die beklemmende Normalität. In Sachsen, meiner keine Wohnung mehr finden, weil Asylbewerber, die engeren Heimat, bleibt vom industriellen Schaffen auf Grund ihrer Einkommenssituation einen Dring- allenfalls der frühere Ruf. Dies erzeugt kein Klima von lichkeitsschein für den Sozialwohnungsbezug erhal- Weltoffenheit. Weltoffenheit hat etwas mit Selbstsi- ten, bevorzugte Berücksichtigung finden. Die Pro- cherheit, nichts aber mit ungelösten Problemen zu tun. bleme der Obdachlosigkeit unserer eigenen Mitbür- Wir müssen den Menschen Gelegenheit zum Sich ger werden erheblich verstärkt. Zurechtfinden in ungewohnten Verhältnissen geben. All dies dient sicherlich nicht dem sozialen Frieden Diesem Zweck dient aus meiner Sicht der sogenannte und der Akzeptanz von Ausländern allgemein, auf die Asylkompromiß. wir in vielen Bereichen dringend angewiesen sind. An einer Überforderung der hier lebenden Bürger Wir brauchen deshalb eine praktikable Regelung, kann uns nicht gelegen sein. Wir verschaffen uns aber die den Zuzug von Scheinasylanten hemmt und die lediglich Luft zum Handeln im eigenen Land. Wehe, geordnete Zuwanderung ermöglicht. Wer die Augen wir lassen diese Chance verstreichen! vor diesen praktischen Problemen der Lebenswirk- lichkeit verschließt und sich auf den Standpunkt Allerdings — dies sage ich ganz deutlich — löst die zurückzieht: „fiat iustitia, pereat mundus", der über- Grundgesetzänderung die eigentlichen Probleme sieht, daß wir in unserer volkswirtschaftlichen Lei- nicht. Solange Armut und Unterdrückung auf dieser stungsfähigkeit überfordert werden. Es ist objektiv Erde eine Heimstatt haben, werden Menschen plau- unmöglich, alle Armutsflüchtlinge aufzunehmen. Er sible Gründe für Auswanderung finden. Die Deut- übersieht vor allem, daß unsere parlamentarische schen werden mit gesteuerter Einwanderung leben Demokratie Schaden nimmt, weil sich die Bürger von müssen, und dies mit Sicherheit nicht zu ihrem Scha- den demokratischen Parteien zu den radikalen Kräf- den. ten hinwenden, die ihnen Gewaltlösungen anbie- ten. Es ist ehrenhaft, das Schicksal sämtlicher Notlei- Unsere Demokratie muß sich daher wirksam vor dender in der Welt zu bedenken, doch werden wir dem Mißbrauch des Asylrechts schützen. Wir müssen Verbesserungen in anderen Weltteilen nur gemein- unsere Bürger vor unzumutbaren Belastungen schüt- sam mit unserer Bevölkerung, nicht gegen diese zen und eine Zuwanderungsregelung finden, wie es erreichen. sie auch in anderen Ländern gibt, die es ermöglicht, die ausländerfreundliche Grundhaltung unserer Mit- Die Zukunft dieses Gemeinwesens steht auf dem bürger zu bewahren. Spiel. Im Osten spüren wir dies möglicherweise stär- ker als im Westen unseres L andes. Ich werde für den Vielen Dank. Asylkompromiß stimmen und hoffe, damit dem (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Gemeinwesen tatsächlich zu dienen. ten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster Eine abgewählte Demokratie in diesem Land ver- spricht der Kollege Gunter Weißgerber. mag niemandem mehr zu helfen. In diesem Sinn bitte Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13615

Gunter Weißgerber ich alle Kolleginnen und Kollegen, der Grundgesetz- Der Kollege Stiegler hat nicht verächtlich von den änderung zuzustimmen. Massen, sondern von den Stammtischparolen gere- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, bei der- det. Dabei hat er zunächst einmal geschickt ver- CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der schwiegen, daß er sich an den Stammtischen sehr F.D.P.) wohlfühlt; ich kenne ihn nämlich. Den vom differenzierten Verhalten meiner Partei (Norbert Geis [CDU/CSU]: Da hat er an sich Enttäuschten sage ich: Der Streit ging um die best- gedacht!) mögliche Erhaltung von Menschenrechten. Dieser Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, auch ich Streit für Menschlichkeit ist ein sehr ehrenvoller halte manches, was dort geredet wird, für sehr dumm, Disput. Dafür müssen wir Sozialdemokraten uns aber ich warne den Kollegen Stiegler, das Pauschalur- weder schämen noch entschuldigen. teil einiger Bildungsbürger — bezogen auf die Stamm- Danke. tischleute — zu übernehmen. Das sind Bildungsbür- ger, die in tollen Villenvierteln wohnen. Sie laufen (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ natürlich überhaupt kein Risiko, daß in ihrer Straße CSU und der F.D.P.) ein Asylantenheim eingerichtet wird. Der Herr Psy- chologieprofessor hat natürlich überhaupt keine Angst, daß ihm ein Asylant nach zwei Jahren den Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster Arbeitsplatz abnimmt. Darum versteht er die Stamm- spricht der Kollege Dr. Gerhard F riedrich. tischleute überhaupt nicht, und er ist nicht in der Lage, das Vernünftige an den Stammtischparolen zu erken- nen. Dr. Gerhard Fried rich (CDU/CSU): Frau Präsiden- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tin! Meine Damen und Herren! Ich möchte dem Noch eine letzte Anmerkung zu meinen Vorred- Vorredner herzlich für seine sachliche Rede danken, nern. Das ist relativ einfach; ich kann es nicht im Detail aber ihn um Verständnis dafür bitten, daß ich mich begründen. Es ist gesagt worden, der Parlamentari- jetzt nicht mit ihm, sondern mit den Neinsagern in sche Rat habe Art. 16 des Grundgesetzes unter dem seiner Fraktion beschäftigen möchte. Eindruck von Millionen von Flüchtlingen beschlos- (Dr. Günther Müller [CDU/CSU]: Das ist sen. Ich weiß nicht mehr, wer das gesagt hat, aber er auch wichtiger! — Norbert Geis [CDU/CSU]: hat keine Ahnung vom Asylrecht. Diese Vertriebenen Die sind auch gefährlicher!) und Kriegsflüchtlinge sind doch keine politisch Ver- Ich beginne mit Frau Skarpelis-Sperk, die hier in folgten. einer sehr beeindruckenden Weise persönliche (Uwe Lambinus [SPD]: Ihr werft doch immer Schicksale geschildert hat. Dann kam eine Aussage alles in einen Topf!) zur Bedeutung des Asylrechts in der Geschichte, und Derjenige, der das gesagt hat, sollte wirklich einmal die war völlig falsch. Ich werde Ihnen Unterlagen nachlesen, worum es bei Art. 16 des Grundgesetzes zuschicken, in denen Sie nachlesen können, daß geht. Asylrecht historisch immer ein Recht des asylgewäh- renden Staates und keine Pflicht dieses Staates und kein Anspruch des Flüchtlings war. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Friedrich, Ansonsten haben Sie gesagt, wir schafften das wie steht es denn nun mit der Zwischenfrage? Asylrecht faktisch ab. Damit haben Sie einen Denk- fehler gemacht. Sie lesen in Abs. 2 z. B., wen wir Dr. Gerhard Friedrich (CDU/CSU): Ich bin jetzt abschieben können. Sie übersehen, daß wir nicht bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen, Herr Kollege jeden abschieben wollen, den wir nach Abs. 2 Ullmann. abschieben können. Lesen Sie den Vertrag mit Polen! Sie übersehen weiter, daß wir manche abschieben Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- können, daß wir aber niemanden finden, der sie uns NEN): Ich bin vielleicht ein Bildungsbürger, obwohl abnimmt. Deshalb wird das Asylrecht eine viel grö- ich nicht in einer Villa wohne, aber ich erlaube mir, ßere Bedeutung haben, als Sie glauben. eine kleine Frage zu Ihrem historischen Exkurs zu stellen. (Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwi (Ina Albowitz [F.D.P.]: Eine Frage stellen, schenfrage) keine Kurzintervention!) — Ich möchte noch kurz auf zwei Redner eingehen. Lieber Herr Kollege Fried rich, halten Sie die Bischöfe Dann, Herr Kollege Ullmann, bin ich gerne bereit, zur Zeit der Kaiser Theodosius, Valentinian III. und Fragen zu beantworten. Justinian, die das Asylrecht wahrnahmen, für Staats- beamte? Ich halte es nämlich für unbedingt notwendig, auf das einzugehen, was die Frau Leonhard-Schmid gesagt hat. Es war für mich schon interessant, zu Dr. Gerhard Friedrich (CDU/CSU): Historisch bin hören, wie arrogant eine Sozialistin über die Massen ich nicht so bewandert. redet. Das war eine unerträgliche Arroganz einer (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P. Vertreterin einer Volkspartei. — Lachen bei der SPD und dem BÜND (Zurufe von der SPD) NIS 90/DIE GRÜNEN) 13616 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Gerhard Friedrich Herr Kollege Ullmann, ich lese einiges nach, und dann kann. Ich bin nämlich der Überzeugung, gerade in lade ich Sie zum Abendessen ein. einer solchen Institution wird viel schneller evident, (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.- wer politisch Verfolgter ist und wer aus anderen — Lachen bei der SPD und beim BÜND- Gründen kommt. Eine solche Differenzierung kann NIS 90/DIE GRÜNEN — Rudolf Bindig [SPD]: dort viel schneller vorgenommen werden. Wenn wir An den Stammtisch! —Uwe Lambinus [SPD]: uns so einigen könnten, bin ich zu Gesprächen in Jeder blamiert sich so gut, wie er kann!) dieser Richtung selbstverständlich bereit. Ich mache jetzt noch einen kurzen Versuch, aufzu- zeigen, warum der Asylkompromiß aus meiner Sicht Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zu einer kurzen gar nicht so toll ist. Ich danke dem Kollegen Schily Erwiderung hat der Kollege F riedrich das Wort. — er wird es jetzt als Bösartigkeit auslegen —, daß er lupenrein das Stoiber-Konzept vorgetragen hat. Dr. Gerhard Friedrich (CDU/CSU): Es langt ein Satz. (Lachen bei der SPD) Der Kollege Schily hat jetzt das Stoiber-Konzept etwas — Lupenrein! — Herr Schily, ich weiß, das bringt Sie in ausführlicher dargestellt. Ich schicke Ihnen das zu. Schwierigkeiten. Das ist aus meiner Sicht ein Lob; (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) denn Stoiber schätze ich fast so hoch wie meinen Parteivorsitzenden ein. Das war ein Lob. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächste hat (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Lachen bei die Kollegin Margitta Terborg das Wort. der SPD) — Es war ein Lob, Herr Schily. Margitta Terborg (SPD): Frau Präsidentin! Meine (Zurufe von der SPD) verehrten Kolleginnen und Kollegen! Diesen Tag Ich sage Ihnen jetzt ganz kurz, weshalb der Kollege empfinde ich nicht als eine Sternstunde des Parla- Schily recht hatte, als er auf die Mängel des Kompro- ments. misses hingewiesen hat. Lesen Sie die Ausführungen (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ der Sachverständigen nach. CSU]: Ihr Fehler!) Erstens. Die Verfassungsregelung ist viel zu kom- Und vor dieser Rede fürchte ich mich auch ein pliziert. Wir werden bestimmte Lücken nicht erken- bißchen. Ich werde vermutlich nicht die Kraft haben, nen und von so mancher Auslegung überrascht sein. die Mehrheit in diesem Hause umzustimmen. Es wird Wir werden es tief bereuen, daß die Korrektur nur mir nicht einmal gelingen, einen Teil der Mitglieder durch den Verfassungsgesetzgeber erfolgen kann meiner Fraktion von meiner Haltung zu überzeu- und nicht durch den einfachen Gesetzgeber. gen. Zweitens. In Abs. 5 fehlt die Möglichkeit, daß wir Darauf allerdings kann ich keine Rücksicht neh- uns einem materiellen europäischen Asylrecht men, wenn ein Grundrecht unserer Verfassung fak- anschließen. Wir können nur harmonisieren, wenn wir tisch zu Grabe ge tragen wird. Ich kann nicht taktische die Verfassung nochmals ändern. Überlegungen walten lassen, wenn ich davon über- Dritter Mangel: In Abs. 2 nehmen wir Bezug auf zeugt bin, daß Sie mit der faktischen Aushebelung der zwei internationale Verträge. Diese sind fürchterlich Rechtswegegarantie ein weiteres Grundrecht ver- kompliziert. Jeder in der Welt wendet sie anders an, stümmeln. und fast jeder in der Welt legt sie anders aus. Diese Und ich kann mich schon gar nicht an der kollekti- Auslegungsprobleme werden jetzt zu Auslegungs- ven Schwindelei beteiligen, mit einer Verfassungsän- problemen unserer Verfassung. Das Bundesverfas- derung ließen sich die Armutsströme der Welt an sungsgericht wird sich damit quälen. Es ist überfor- unseren Grenzen stoppen. dert, den Weltgerichtshof zu spielen. Ich kann meine Stimme nicht dazu hergeben, daß Vielen Dank. Sie die Asylproblematik über unsere östlichen Gren- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge zen exportieren, und ich kann die kollektive Heuche- ordneten der F.D.P.) lei von den angeblich sicheren Drittstaaten, die man sicher — „leider" jetzt noch nicht, aber künftig nach Belieben — aussuchen wird, nicht mitmachen. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun erhält der Es schmerzt mich wirklich, das in dieser Deutlich- Kollege Otto Schily das Wort zu einer Kurzinterven- keit sagen zu müssen und dennoch zu wissen, daß tion von maximal zwei Minuten. keines meiner Worte Ihr Ohr, schon gar nicht Ihr Herz erreicht. Ich werde daher die „Ergänzung" des Otto Schily (SPD): Herr Kollege F riedrich, es ist in Art. 16a des Grundgesetzes nicht mittragen. der Tat richtig, daß auch Herr Stoiber für eine institu- Ich werde den Entwurf des Gesetzes zur Änderung tionelle Garantie eintritt. Das hat er hier auch schon asylverfahrensrechtlicher Vorschriften wegen ein- im Bundestag erklärt. Ich würde mich mit Herrn zelner gravierender Bestimmungen ablehnen. Denn Stoiber auch ohne weiteres einigen können, wenn er Sie wollen beispielsweise in § 34a Abs. 2 Asylverfah- die zweite Komponente einer solchen institutionellen rensgesetz Asylbewerbern ein weiteres Grundrecht, Garantie akzeptieren würde, nämlich daß es, einen das Recht auf richterliches Gehör und auf die aufschie- unabhängigen Bundesbeauftragten gibt, der Ent- bende Wirkung richterlicher Entscheidungen, ver- scheidungen unter Einbeziehung des Rates von Pro weigern. Schon vorher ist das ganze Verfahren ziem- Asyl und von amnesty international souverän treffen lich „wackelig" geworden. Das ist nach meinem Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13617

Margitta Terborg Verständnis schlicht verfassungswidrig. Dazu gebe aufgetaucht. Dabei tut es uns gut, daran zu denken, ich mich nicht her. daß es in der Tat Menschen sind, die von uns etwas Was Sie heute beschließen wollen — nicht mit erwarten, und zwar Unterschiedliches. meiner Stimme —, treibt künftige Asylbewerber von Wir stehen vor der Schwierigkeit, daß die Menschen vornherein in die Illegalität, befördert das Geschäft bei unserer heutigen Entscheidung mit ihren unter- der Schlepperbanden und ist die zweitmiserabelste schiedlichen Erwartungen mit uns leben müssen. Das Antwort auf die Frage, wie Sie denn die Armutswan- gilt im Prinzip für Gegner wie für Befürworter der derung an unseren Grenzen wirklich stoppen wol- Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes. Ausnahmen len. sind diejenigen, die versucht haben, uns mit Gewalt- Die miserabelste Antwort — aber vermutlich auch androhungen unter Zwang zu setzen. Ich möchte hier die wirksamste — wäre, eine neue Mauer, einen meine persönliche Erfahrung nennen: Ich fand es neuen Eisernen Vorhang zu errichten. Sie sind nicht nicht gut, daß ich Morddrohungen von rechts erhalten mehr so weit von diesem Gedanken entfernt. habe. Ich finde es allerdings noch schlimmer, daß in .(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: So den Medien nur von Morddrohungen und Gewaltan- ein Quatsch!) drohungen von links geredet worden ist und nicht von rechts, obwohl dort der Kern der Gewalt in dieser Sie nutzen schon jetzt die Grenzsperrtechniken der Gesellschaft sitzt. weiland DDR. Sie werden sie mit deutscher Gründ- lichkeit verfeinern, bis irgendwann jemand den ersten (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ Schritt wagt und erklärt, ein Eiserner Vorhang sei zur CSU]: Das ist doch nicht wahr!) Rettung unserer Verfassung vonnöten. Auch diese Ich möchte ein Beispiel nennen: Ich bin heute reale Vision erschreckt mich am heutigen Tage, macht morgen zwar in den Saal gegangen, aber ich bin dann mich betroffen und zwingt mich, den ersten Schritt auch wieder hinausgegangen, weil ich gedacht habe: zum Unmenschlichen nicht mitzutun. Deshalb — vor Es kann doch nicht sein, daß wir von Einzelinforma- allem deshalb — werde ich mich verweigern. tionen über das, was vor dem Bundestag außerhalb (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste der Bannmeile passiert, leben müssen, die natürlich sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES den Charakter von Polizeiberichten haben. Ich habe 90/DIE GRÜNEN) anderthalb Stunden lang dort mit Demons tranten geredet und festgestellt: Viele, die mit Asylbewerbern und Asylbewerberinnen, Ausländern und Auslände- Als nächster Vizepräsidentin Renate Schmidt: rinnen arbeiten, sind dort gewesen und haben auf spricht der Kollege Horst Peter. Gespräche mit dem Parlament gehofft. Sie haben diese Gespräche nicht erhalten, sondern sind in vielen Horst Peter (Kassel) (SPD): Frau Präsidentin! Meine Beiträgen hier mit denjenigen in einen Topf geworfen Damen und Herren! Wir haben eine Debatte hinter worden, die mit Provokationen auch Gewalt erzeugt uns, in der wir viele beachtenswerte Beiträge sowohl haben; sie sind da mit untergemischt worden. Wenn von Befürwortern als auch von Gegnern des Asylkom- das im Parlament, im Deutschen Bundestag geschieht, promisses gehört haben. Ich bin dennoch mit der ist das nicht richtig, sondern falsch und führt zur Debatte und mit dem Verfahren, das zu dieser Debatte Entfremdung von Politik. Ich meine, das sollte man geführt hat, zutiefst unzufrieden. Ich glaube, Verfah- nicht mitmachen. ren und Debatte haben darunter gelitten, daß ein Teil der Menschen, die es angeht, außerhalb des Parla- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ments geblieben sind, obwohl ständig über sie gere- Für uns stellt sich die Frage, wie wir bei dieser det wurde. Das heißt, bei dieser Debatte hat sich Unterschiedlichkeit mit Problemen umgehen. Ich gezeigt, daß wir im Deutschen Bundestag in wichti- meine, die einzige mögliche Antwort ist, daß wir den gen, an den Kern, an die Substanz der Gesellschaft Bürgerinnen und Bürgern deutlich machen, daß wir gehenden Fragen nicht den richtigen Weg kennen Abwägungen treffen. Ich habe viele Abwägungen mit und nicht wissen, wie wir miteinander diskutieren unterschiedlichem Ergebnis gehört. Für mich ist die sollen. entscheidende Abwägung: Welche Richtung schlägt (Zuruf des Abg. Bartholomäus Kalb [CDU/ die deutsche Demokratie mit diesen Entscheidungen CSU]) mittelfristig ein? An dieser Stelle — ich habe es auch in meinem Ich glaube, eine Entscheidung, die Abschreckung Redemanuskript stehen — pflegt der Abgeordnete und Abschottung zum Prinzip erhoben hat, wird im Pfeffermann — er ist heute nicht da — dazwischenzu- Ergebnis, wenn sie nicht erfolgreich ist, weitere rufen: Oberlehrer. Diesmal hat das der Kollege Kalb Abschottung und weitere Abschreckung zur Folge gemacht. Ich kann damit leben. haben. Und das gefährdet die Demokratie in diesem Die vielen Menschen, die uns mit ihren Argumen- Lande. ten, mit ihren Ängsten, mit ihren Überforderungen Die zweite Abwägung, die ich treffe, ist: Wenn man und mit ihren Wünschen angesprochen haben, um die Überforderung der Gesellschaft in die schwäche- sich demokratisch einzumischen, sind politisch „ver- ren Länder und Staaten, nach Osteuropa exportiert, wertet" und nicht als Subjekte einbezogen worden. Es dann ist das nicht der Beginn einer Europäisierung, wurde von der „Straße", es wurde vom „Volk" gere- sondern eine Osteuropäisierung mit gleichzeitig det. Viele der Experten, die im Verfahren gesagt damit verbundenem Wiedererwecken von Nationalis- haben: So wie es vorgesehen ist, geht das nicht, sind in mus in den westlichen, starken Industriestaaten. Das dem, was heute zur Abstimmung steht, nicht wieder ist die falsche Richtung. Wir brauchen die umgekehrte 13618 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Horst Peter (Kassel) Richtung: Nach Westen brauchen wir dieses, wie es Abend gilt — es war ein schwieriger Tag —, der Polizei auf neudeutsch heißt, burden-sharing. zu danken. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der DIE GRÜNEN) SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann Leider hat die Bundesregierung versäumt, das bei den [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Verhandlungen von Maastricht einzubringen. Es gab auf seiten der Polizei 14 Verletzte. Meine Damen und Herren, wenn wir an die Zukunft Es gibt vier oder fünf Leichtverletzte bei den denken, dann sollten wir die heutige Auseinanderset- Demonstranten; das war vorhin noch nicht ganz genau zung nicht in den kommenden Bundestagswahlkampf bekannt. hinein verlängern. Herr Kollege Schäuble und Herr Kollege Hintze, was ich heute von Ihnen gehört habe, Ich denke, wir hätten heute ohne den Polizeieinsatz klang mir sehr stark danach, als ob Sie dabei seien, die nicht ungestört debattieren können; das gleiche gilt Startposition für den kommenden Bundestagswahl- für unsere unmittelbar bevorstehende Entschei- kampf zu graben. Das wäre dann der unredliche Ton. dung. Das haben weder die Asylbewerber noch die Bürger (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der dieses Landes verdient. Da werden wir nicht mitma- SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann chen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD) Ich hätte mir für den heutigen Tag auch gewünscht, daß nicht erneut Bilder um die Welt gehen, die im Zusammenhang mit dieser Asyldebatte gewalttätige Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Peter, Sie haben Ihre Redezeit weit überzogen. Ich Auseinandersetzungen im Umfeld des Deutschen würde bitten, daß Sie jetzt wirk lich den letzten Satz Bundestages mit einer Blockade des Regierungsvier- tels zeigen. sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD) Horst Peter (Kassel) (SPD): Der letzte Satz lautet: Ich Das hat unsere Demokratie nicht verdient; auch das begrüße, daß diese Abwägungen zu unterschiedli- füge ich hinzu. chen Entscheidungen bei der Sozialdemokratischen Partei und bei der Freien Demokratischen Partei (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. geführt haben. Ich bedauere, daß bisher nicht erkenn- sowie bei Abgeordneten der SPD) bar war, daß in den Reihen der Union auch abgewo- Lassen Sie mich weiter sagen: Ich glaube nicht, daß gen worden ist. Da wußte man offensichtlich alles es irgend jemandem von uns dient, wenn jetzt die vorher schon besser. einen sagen, die CDU/CSU hat es sich leichtgemacht, Danke schön. während die anderen für sich in Anspruch nehmen, es (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und sich schwergemacht zu haben. Nehmen Sie allen dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Abgeordneten ab — jeder sicherlich in unterschiedli- cher Sichtweise —, daß sich niemand die Entschei- dung leichtgemacht hat, daß eine Grundgesetzände- rung überhaupt keine leichte Sache ist, sondern sehr Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun erhält das Wort die Kollegin Frau Professor Dr. Rita Süssmuth. verantwortlich vorgenommen werden muß. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Abg. Gerlinde Hämmerle [SPD]) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Dr. Rita Süssmuth Eines möchte ich weder in die Bundesrepublik noch Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und ins Ausland verbreitet wissen: Da fragen die einen, Herren! Wenn ich kurz das Wort ergreife, dann schiebt ihr jetzt nach Verabschiedung des Gesetzes möchte ich hier doch noch einmal klarstellen: Wir alle gleich 600 000 ab, werdet ihr eine totale Festung sein? hätten uns heute eine Parlamentsdebatte gewünscht, Andererseits hört man, daß ebenso hohe Zahlen über ohne daß wir die Polizei hätten einsetzen müssen. zukünftige Einwanderungen — auch illegale — (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der genannt werden. Ich glaube, wir alle erweisen uns SPD) keinen Dienst, wenn wir die jetzt notwendige Steue- Ich glaube, für die allermeisten hier im Hause sagen rung der Zuwanderung als „Festung Bundesrepu- zu können, daß wir sehr wohl unterscheiden zwischen blik" ausgeben und erklären: Es gibt zwar noch friedlichen Demonstr anten und denjenigen, die sie politisches Asyl, aber nicht mehr in Deutschl and. durch ihre Gewalttätigkeit in Mißkredit bringen. (Zustimmung bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Deswegen möchte ich hier klar sagen: Meine SPD) Zustimmung gilt einer notwendigen Änderung des Ich füge hinzu — ob es sich nun um Polizeiberichte, Grundgesetzes, mit allen Schwierigkeiten, die darin Berichte von Abgeordneten, Mitarbeitern oder Bür- stecken, weil wir anders nicht verantwortlich handeln gern und Bürgerinnen handelt —, an einer Wahrheit können — so sehe ich es; andere sehen es anders —; geht kein Weg vorbei: Es ist heute zu üblen Gewalt- denn ich habe mich in der heutigen Debatte beim tätigkeiten gegen Personen und zu Sachbeschädigun- Zuhören immer wieder gefragt: Was ist die Alterna- gen gekommen. Ich sage dies, weil es an diesem tive? Hier sind zwar Alternativen entwickelt worden, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13619

Dr. Rita Süssmuth aber bei vielen mache ich ein großes Fragezeichen, ob dung und die mit Zweifeln kämpfen, aber nicht wir damit das Grundrecht auf politisches Asyl noch deswegen, weil das Kompromisse eben so an sich lange werden halten können. - haben. Das Gewissen ist berührt, die Gesinnung, die Ich wehre mich auch noch einmal dagegen, daß wir Moral, und betroffen sind die Schicksale von Hundert- von „der Straße" sprechen. Gewiß gibt es Stammtisch- tausenden von Menschen. gespräche, aber wir haben die Bürgerinnen und Die Drittstaatenregelung ist rechtsstaatlich unter Bürger mit ihren und mindestens so Sorgen Ängsten der Voraussetzung, daß wir in das Gesetz die richtigen ernst zu nehmen wie unsere eigenen Sorgen und Staaten hineinschreiben. Das Problem besteht ja Ängste. zusätzlich darin, daß wir eben aus unserem Herzen (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der heraus, aus unserer Gesinnung, aus den Gründen der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann Nächstenliebe im Grunde genommen nicht nur dieje- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nigen schützen wollen, die politisch oder religiös Viele haben zu Recht gesagt: Do rt, wo die Wohnun- verfolgt sind, sondern auch diejenigen, die wegen der gen nicht vorhanden sind, wo die schulischen Verhält- Kriegsgefahr, wegen der Bürgerkriege, wegen allge- nisse Spannungen hervorbringen, wo die Arbeits- meiner schwerwiegender Verletzungen der Men- plätze nicht zur Verfügung stehen, wo Unruhe in der schenrechte, wegen schwerwiegender Diskriminie- Umgebung entsteht, können Bürgermeister, Kirchen- rung, z. B. weil sie Frauen sind, weil sie einem gemeinden und viele, die für Asylsuchende eine bestimmten Volk angehören, oder aus ökologischen Menge getan haben, ihr Bestes tun, aber auch sie Gründen in ihrer Existenz bedroht werden. stoßen an Grenzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich füge hier hinzu: Wir haben unsere Bürgerinnen und Bürger zu einem erheblichen Teil nicht unterfor- Dazu kommen diejenigen, die hungern. Wir führen dert, sondern überfordert. — Damit meine ich über- diese Diskussion auf dem Hintergrund der Tatsache, haupt nicht jene Stammtischgespräche, denen wir daß Rumänien, das derzeitige Hauptherkunftsland entgegenzuwirken haben. — Ich glaube, die Überfor- der Asylbewerber, gemessen am Bruttosozialprodukt derung müssen wir ebenfalls sehen und sie ernst pro Kopf, 31mal ärmer ist als die Bundesrepublik nehmen. Deutschland. Deswegen meine Bitte: Heute abend wird entschie- den. Tragen wir gemeinsam dafür Sorge, daß unser Ersparen Sie mir, heute abend noch einmal das Land ein gutes Miteinander mit den hier seit langem globale Elend zu schildern. Ein Viertel der Weltbevöl- lebenden Ausländern, mit den Fremden beibehält! kerung lebt ohne festes Obdach oder wohnt in Elends- quartieren, um nur diese eine Zahl zu nennen. Viele haben heute von den Bürgerkriegsflüchtlin- gen gesprochen. Ich sage abschließend noch einmal: Aber es liegt auf der Hand — und das braucht m an Ich habe kein schlechtes Gefühl, wenn ich daran nicht weiter zu begründen —, daß wir dieses Elend denke, was dieses Land — nicht nur die Regierungen und diese globale Not nicht auf den Sozialämtern in auf Bundes- und Länderebene, sondern auch die Bonn oder in Lübeck oder in Dresden lösen können. Bürger und Bürgerinnen — für Menschen in Bedräng- Aber die Vorboten dieser aufziehenden globalen nis tut. sozialen und ökologischen Revolution klopfen an die (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Türen unserer Sozialämter und unserer Flüchtlings- SPD) ämter. Wir haben heute noch nicht einmal die Mög- Dabei ist der Appell wichtig: Wir brauchen eine lichkeit, dort nach der Schwere der Not zu entschei- gemeinsame europäische Lösung, die gerade die den, sondern die Zuwanderung vollzieht sich unge jungen Demokratien mit einbindet. Sie dürfen sich steuert und willkürlich, und zwar über Artikel 16 des von uns nicht ausgegrenzt fühlen, sie dürfen uns nicht Grundgesetzes. Das ist die Situa tion. als Festung sehen. Was wir heute machen, das ist kein Gesamtkonzept Wenn wir daran gemeinsam arbeiten, dann, glaube zur Beantwortung dieser Herausforderungen, son- ich, können wir uns in unseren Beschlüssen heute dem lediglich die rechtliche Neuordnung eines klei- abend respektieren. Ich persönlich möchte sagen: Ich nen Teils dieses Problems, nämlich des Asylrechts für halte diese Entscheidung für eine Änderung des politisch und religiös Verfolgte, damit wenigstens Grundgesetzes für notwendig und werde auch ent- diese Verfolgten rechtsstaatlich einwandfrei zu ihrem sprechend stimmen. Recht kommen können, was wir glauben und hoffen. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie Beifall bei Abgeordneten der Wer aber den Eindruck erweckt, das damit das SPD) globale Flüchtlingsproblem gelöst wäre, der würde unser Volk täuschen. Wir brauchen eine Gesamtkon- zeption, innerhalb derer die Asylrechtsfrage ein Teil Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Kol- ist. Ihre Lösung allerdings ist die Voraussetzung dafür, lege Dr. Heiner Geißler das Wo rt. daß wir die moralische und politische Kraft und auch die Zeit bekommen, um die Bekämpfung der Migra- Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Frau Präsidentin! tionsursachen, die Regelungen für eine gesteuerte Meine Damen und Herren! Ich bekenne, daß ich mit und sachlich richtige Zuwanderung und die Änderun- dem Fraktionsvorsitzenden der SPD zu denjenigen gen und Verbesserung unseres Einbürgerungsrechts gehöre, die — wie er gesagt hat — nicht ungeteilt zu erreichen. Wer diesen Asylkompromiß scheitern glücklich sind über die heute zu treffende Entschei läßt, verhindert diese Gesamtkonzeption und verlän- 13620 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Heiner Geißler gert das politische Elend, in dem wir uns alle mitein- Wer diesen Asylkompromiß heute scheitern läßt, ander in der Ausländerfrage befinden. der nimmt auch in Kauf, daß der unselige Streit vor allem zwischen der Union (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.- zwischen den Parteien, und der SPD, weitergeht, und er schafft geradezu die sowie bei Abgeordneten der SPD) Voraussetzungen dafür, daß die Ausländerpolitik, die Der Parteitagsbeschluß der Sozialdemokraten vom Asylpolitik — was die Rechtsradikalen ja wollen — Oktober 1992 kam spät, aber nicht zu spät. Es war eine zum Gegenstand der Wahlkämpfe des Jahres 1994 Entscheidung für eine sinnvolle Verständigung mit gemacht wird. Er lenkte reißende Ströme auf die den anderen Parteien. Und die Entscheidung der Mühlen der Rechtsradikalen. Union für die Beibehaltung des Asylrechts als Indivi- dualrecht war die Basis für eine große Verfassungs- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge koalition der Verantwortung und der Vernunft zur ordneten der F.D.P. und der SPD) Regelung des Asylrechts. Man kann nur mit Schrecken etwa an den August und an den September 1991 denken. Das Asylproblem Wenn es nach den Zweifeln, von denen ich vorhin wurde zum erstenmal in der Wahlkampfgeschichte zu geredet habe, und nach den Gesinnungen vieler in einem Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht. allen drei Parteien gegangen wäre, dann wäre nicht Massenblätter erschienen mit handbreiten Schlagzei- die Verfassungskoalition, sondern eine Verfassungs- len. blockade das Ergebnis gewesen. Es ist nicht das erste Mal und wird auch nicht das letzte Mal sein, daß wir in unserer Verantwortung als Herr Dr. Geißler, Abgeordnete nicht in erster Linie nach unserer Gesin- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten nung und nach dem entscheiden dürfen, was wir mit Freimut Duve? unserem Herzen möchten, sondern nach dem, was uns die Verantwortung für das Gemeinwohl und die Güterabwägung hinsichtlich der Folgen unserer Ent- scheidungen auferlegen. Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Jetzt lieber nicht. Auch meine Fraktion hat solche Zerreißproben Hier in Bonn — ich schäme mich heute noch, daß wir schon bestehen müssen. Am 17. Mai 1972 hat sich die das unwidersprochen haben durchgehen lassen — ist Unionsfraktion bei der Verabschiedung der Ostver- das Asylproblem in mannshohen Leuchtreklamen an träge der Stimme enthalten. 238 Enthaltungen und den Omnibushaltestellen dramatisiert worden. Wo- 10 Nein-Stimmen standen gegen 248 Ja-Stimmen. chenblätter haben mehrmals mit solchen Titelge- Hätte die Unionsfraktion mit Nein gestimmt, wären schichten aufgemacht. Das Ergebnis war verheerend. die Ostverträge damals gescheitert. Kurt Georg Kie- Am 17. September begannen die Krawalle in Hoyers- singer sagte damals, daß diese Haltung der Fraktion werda. Danach stieg die Zahl der Brand- und Mordan- der Union das Ziel habe, ein Scheitern der Ostverträge schläge sprunghaft. Die Zahl der Brand- und Mordan- zu vermeiden und eine möglichst große Zustimmung schläge war in den letzten drei Monaten des Jahres für eine gemeinsame Entschließung aller Parteien zu um ein Vielfaches höher als in den Monaten zuvor. ermöglichen. Was im Jahre 1992 geschah, weiß jedermann. Was wäre denn passiert, wenn die Union 1972 ihren Seit Mölln hat sich das Klima allerdings verändert; Gefühlen, ihrer Gesinnung, ihren Emotionen und das ist richtig. Aber wie ist es eigentlich um die ihrem Rechtsempfinden allein und nicht auch ihrer Bewußtseinslage einer Gesellschaft bestellt, die drei politischen Gesamtverantwortung gefolgt wäre? — Morde braucht, um aufzuwachen? Willy Brandt sagte damals: Die Weltgeschichte ist kein (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Amtsgericht. — Die seinerzeitige Entscheidung der F.D.P. und der SPD) Union hat uns jahrelang belastet und für einen Streit gesorgt, der eigentlich erst mit der Einheit Deutsch- Müssen drei Türkinnen verbrennen, damit es Lichter- lands zu seinem Ende kam. ketten gibt? Für das Klima in einem Land, auch Ausländern Heute stehen Sie, die Sozialdemokraten, in einer gegenüber, Asylbewerbern gegenüber, sind nicht in ähnlichen Auseinandersetzung zwischen Verantwor- erster Linie die Ausländer und Asylbewerber selber, tung und Gesinnung, Realpolitik und Wunschdenken, sondern diejenigen verantwortlich, die über die Vernunft und Gefühl. Macht der Entscheidung und die Macht des Wortes So wie die Union damals muß die SPD heute die verfügen. Folgen abwägen und werten, wenn dieser Kompromiß Manche sagen, dieser Asylkompromiß sei lediglich scheiterte. Und das Ergebnis ist für mich eindeutig: die angsterfüllte Reaktion auf dumpfe Stammtischpa- Unionsparteien, SPD und F.D.P. stehen vor einer der rolen und rechtsradikale Aggressionen. Das haben größten Bewährungsproben der letzten Jahrzehnte. wir auch heute gehört. In Wirklichkeit beendet dieser (V o r s i t z: Präsidentin Dr. Rita Süssmuth) Asylkompromiß die unselige Eskalation der Ausein- Ich greife jetzt nicht zu hoch: Ein Scheitern würde zu andersetzung zwischen den großen demokratischen einer Staatskrise führen. Auf dem Spiel steht die Parteien. Ich hoffe es sehr. Die Bürgerinnen und Fähigkeit der politischen Parteien, in einer zentralen Bürger jedenfalls erwarten dies von uns. Frage ihre Entscheidungsfähigkeit zu beweisen und Es gab heute und in den vergangenen Monaten damit auch das Vorurteil von Inkompetenz und Kon- Anmerkungen und Töne, z. B. derart, daß man sich zeptlosigkeit zu widerlegen. angesichts der großen Zahl von Asylbewerbern nicht Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13621

Dr. Heiner Geißler wundern dürfe, wenn das Volk reagiere. Es gab Wir sollten sie zum Anlaß nehmen, auch in dieser schlimme Äußerungen. Frage über die Parteigrenzen hinweg aufeinander zuzugehen. (Beifall der Abg. Lieselott Blunck [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der Ich will dazu folgendes feststellen. Wenn im letzten SPD) Jahr statt 400 000 Asylbewerbern 500 000 oder Aber diese Möglichkeiten können wir, wenn dieser 600 000 zu uns gekommen wären, dann könnte auch Kompromiß scheitert, ebenso abschreiben, wie eine dies in einer zivilisierten Kulturnation niemals in vernünftige Aufgabenteilung innerhalb der europäi- irgendeiner Form begründen und rechtfertigen, daß schen Lander. „Wir sind nicht nur verantwortlich für andere Menschen, nur weil sie eine andere Hautfarbe, das, was wir tun", hat Molière einmal gesagt, „son- Herkunft oder Muttersprache haben, abgefackelt und dern auch für das, was wir unterlassen." ihnen die Dächer über dem Kopf angezündet wer- den. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. (Beifall im ganzen Hause) sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nur darf diese richtige moralische Position von uns Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster hat der allen nicht dazu führen, alles so zu lassen, wie es ist. Kollege Hans Gottfried Bernrath das Wort. Den rechtsradikalen Sumpf können wir nur dadurch austrocknen, daß wir, die überwiegende Mehrheit Hans Gottfried Bemrath (SPD): Frau Präsidentin! dieses Parlaments, durch unsere Entscheidungsfähig- Verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Niemand hier keit und den Nachweis kompetenter Lösungen ein im Raum, glaube ich, gibt sich der Illusion hin, die politisches und gesellschaftliches Klima schaffen, in Zuwanderung nach Deutschland wäre mit den heute dem die Menschen wieder Vertrauen in die Politik zu verabschiedenden Gesetzen schon gemeistert. und das Parlament gewinnen können. Eine Begrenzung der Zuwanderung — insonderheit die Eindämmung der mißbräuchlichen Inanspruch- Eine verantwortungsethische Abwägung der Fol- nahme des Asylrechts — ist allerdings zum allerwe- gen unserer heutigen Entscheidung zwingt uns aber nigsten ein rechtspolitisches Problem. Alle Bemühun- auch, fair miteinander umzugehen, d. h. den ganzen gen der vergangenen 15 Jahre beweisen das eindeu- Kompromiß zu bejahen. Das ist für mich eine wichtige tig. Sämtliche acht Initiativen des Bundes seit 1978 Voraussetzung dafür, der Änderung des Grundgeset- haben Symptome korrigiert, nicht aber den Kern des zes zuzustimmen. Problems getroffen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn dieser Kompromiß scheitert, dann scheitert Dafür brauchen wir ohnehin ein in sich geschlossenes mehr als die Änderung des Grundgesetzes. Dann Einwanderungs-, Ausländer- und Staatsangehörig- scheitern die grundsätzliche Herausnahme der Bür- keitsrecht. gerkriegsflüchtlinge aus dem Asylverfahren, die ein- vernehmliche Erleichterung der Einbürgerung und (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der die Ablösung des aus dem wilhelminischen Kaiser- F.D.P.) reich stammenden Staatsangehörigkeitsrechts. Flüchtlinge aus Asien und Afrika, dem Mittleren und dem Fernen Osten, neuerdings und zunehmend Glaubt denn jemand im Ernst, daß bei einem aus Ost- und Südosteuropa machen sich auch heute in Scheitern des Kompromisses und der Fortführung der wachsender Zahl auf den Weg in die reichen Indu- unseligen Auseinandersetzungen über dieses Thema striestaaten, weil es sie in ihren Ländern nicht mehr wir alle miteinander noch die politische Kraft besäßen, hält. Sie haben meist triftige Gründe, ihre Heimat, ihre uns auf unsere Hauptaufgabe zu besinnen, nämlich gewohnte Umgebung, ihren Kulturkreis zu verlassen. die Ursachen der Migrationsbewegung zu bekämp- Politische Gründe aber sind es überwiegend nicht. fen, wenn nicht gar zu beseitigen? Wie sollen wir denn Nach wie vor gibt es Zehntausende, ja Hunderttau- die Zeit und die politische Kraft behalten, die gewal- sende unerledigte Anträge auf Gewährung von Asyl. tigen Anstrengungen zu machen, die Kräfte zu mobi- Behörden sind mit der gebotenen Einzelfallprüfung lisieren, um diese neue internationale soziale Frage zu überfordert. Die Verwaltungsgerichte für alle Strei- lösen und daran mitzuwirken, die Bürgerkriege zu tigkeiten mit öffentlich-rechtlichem Streitstoff, zu- beenden? ständig mit insgesamt nur 1 800 Richtern, sind ohne- hin überfordert. Wird bei einem Scheitern des Asylkompromisses Wie schon früher verschiedentlich geht es darum das friedliche Zusammenleben von 74 Millionen immer wieder um Billigkeitsregelungen für diese Deutschen und 6,5 Millionen Ausländern erschwert vielen einstweilen ungeklärten Einzelschicksale von oder erleichtert? Sind wir dann noch in der Lage, mehr Personen, die seit Jahren im ungewissen darüber sind, für die Integration der hier lebenden ausländischen ob sie bleiben dürfen oder nicht. Die Bürokratie und Mitbürger zu tun? ihr folgend die Politik sprechen dann von Altfallrege- lungen, mit denen wir uns zunächst sehr schwertun, Wir haben die Äußerung des Bundeskanzlers zur die aber doch irgendwie gelöst werden müssen. Wie doppelten Staatsangehörigkeit gehört. bisher, trotz der in der Zwischenzeit vorgenommenen zahlreichen Rechtsänderungen, werden Städte und (Abg. Lieselott Blunck [SPD]: Ja! Ja!) Gemeinden die ganz besondere Last der Zuwande- 13622 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Hans Gottfried Bernrath rung zu tragen haben, und sie werden immer mehr Die GRÜNEN, auch in der Vergangenheit häufig in und immer häufiger auf die Rechtslage, die geändert weltenfernem Schwarm kompetent, möchten am lieb- werden müsse — — sten die ganze Menschheit, so sie es wollte, in (Unruhe) Deutschland aufnehmen, möglichst rückwirkend, wenn es ginge. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Bernrath, darf ich kurz unterbrechen. Ich finde, Sie haben es ver- In Gesprächen mit Andersdenkenden aber sind sie dient, daß Ihnen zugehört wird. — auch und besonders in den Kommunen — selten präsent und werden sie in der Bürgerschaft vermißt. (Beifall im ganzen Hause) Wie bisher schon wird von der einen Seite sozusa- gen als Positivum hervorgehoben werden, wie wich tig Hans Gottfried Bemrath (SPD): Die Gemeinden der Beitrag der fremden Gäste für unser Gemeinwe- werden immer wieder auf ihre Lasten hinweisen. sen sei, beispielsweise für den Arbeitsmarkt, bei- Dabei werden die einen mehr auf die Rechtslage, die spielsweise für die Sicherung der Renten, beispiels- geändert werden müsse, verweisen, die anderen wer- weise für die kulturelle Entwicklung und natürlich der den mehr den ungeliebten Bund oder die politisch demographischen Unebenheiten wegen. Alles Egois- mißliebige Landesregierung im Visier haben, je nach men! politischem Standort. Wie früher schon, aber verstärkt in den letzten Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Dr. Bernrath, Jahren, werden, wenn wir nicht handeln, jene sich des gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Themas annehmen, die schon den Holocaust nicht Konrad Weiß? wahrhaben wollen, ihn insgeheim für von den Opfern selbst verschuldet erklären, für die Heldentum und Krieg nur einander bedingende Größen sind, die Hans Gottfried Bernrath (SPD): Ja. Einen Moment! „Deutsch" wieder ganz groß oder doch jedenfalls — Die andere Folge der unkontrollierten Einwande- wesentlich größer schreiben wollen, die Sauberkeit, rung aber wird wie bisher verschwiegen, zumindest Anstand und Ordnung mystifizieren, ohne sich selber nicht bedacht. Die Beschwernisse des Integrierens, daran zu halten, die Ausländern gegenüber in ihren Angelegenheiten des grauen Alltags, werden meist billigen Vorurteilen verharren. Dürfen wir dem durch denen zugemutet, die es ohnehin schwerer im Leben Untätigkeit Vorschub leisten? Wie sehen das unsere haben als andere; denn, um im Beispiel zu bleiben, in Mitbürgerinnen und Mitbürger? den Arbeiterwohnvierteln werden meist die Unter- künfte für Fremde eingerichtet. Die Kirchen beispielsweise, so meinen viele, sind auch hier zuständig für guten Rat, auch für die Moral. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Sie haben sich auch beim Asyl nachhaltig zu Wort Dies gilt auch für die kleineren Gemeinden und die gemeldet; aber sie haben Gedanken darüber vermis- Dörfer. Das hat Folgen für die Kindergartenplätze, für sen lassen, daß Zuwanderung in diesem Umfang auch den Unterricht an Grundschulen beispielsweise, für ausgehalten werden muß und daß die Lasten von Wohnraum — nicht zu vergessen — und, dem folgend, denen getragen werden müssen, die ohnehin nicht zu für die Mieten. den Starken in unserer Gesellschaft gehören. Übri- Die dort lebenden Einheimischen wollen endlich gens — das darf ich am Rande sagen — im neuen entlastet werden, können und wollen nicht allein Katechismus, doch wohl einer Lebenshilfe und Orien- diese Lasten tragen, haben auch alles andere verdient, tierung für Katholiken, gibt es kein Stichwort zu Asyl, als mit ihren Besorgnissen allein gelassen zu werden zu Flucht, zu Flüchtlingen oder zu Verfolgung. Dort und auch noch gewissermaßen zum Ausgleich mit finden wir keinen Rat. Schmähvokabeln wie „ausländerfeindlich" bedacht Die Bürger beurteilen uns. Sie sehen die christli- zu werden, chen Parteien, etwa die CDU/CSU, anders, eher (Beifall bei der SPD) konservativ, ohne daß sie sich auch in diesen Fragen Menschen im übrigen, die überwiegend schon von den Fesseln bisheriger Symbolpolitik erkennbar gefühlsmäßig von sich aus Menschen in Not in bewun- befreien könnte, und ohne in der Lage zu sein, die dernswürdiger Weise helfen. offene Flanke rechts bef riedigend zu schließen, stän- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der dig in der Gefahr, von rechts infiziert und okkupiert zu CDU/CSU) werden. Daraus ergibt sich die in diesem Sinne oft verständlich starre Haltung in den Verhandlungen. Die SPD verkörpert beides, so meinen die Leute: Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Weiß. den Willen zu praktischen Lösungen, die nie vollkom- men sein können, und das Beharren auf Prinzipien mit Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bisweilen missionarischen Zügen, ständig in der Herr Kollege Bernrath, darf ich Sie daran erinnern, Gefahr, dem zu erliegen, aber auch in der Gefahr, daß wir — BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — nicht die ohne befreienden politischen Ausweg zu bleiben. Das ganze Welt nach Deutschland einladen wollen, son- enttäuscht unsere Mitbürger. dern daß wir ein Einwanderungsgesetz vorgelegt Die F.D.P. bewertet die Fragen der Migration aus haben, über das Sie und alle anderen Abgeordneten der Sicht ihrer einseitigen Klientel und nicht aus der dieses Hohen Hauses heute abend auch entscheiden ihres Kollegen Hirsch und weniger seiner engeren werden, in dem es Quoten für eine Begrenzung der Freunde. Ihre Haltung ist darum widersprüchlich. Einwanderung gibt? 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Hans Gottfried Bernrath (SPD): Eine löbliche Forde- lautstarkes Rufen nach Rechtsänderungen weggere- rung! Aber sie ist unrealistisch, weil dieser Antrag auf det werden. Ihrem Parteitag abgelehnt worden ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE CDU/CSU) GRÜNEN): Stimmt ja nicht!) Eine so praktizierte politische und administrative Es hilft diesen Menschen bei den Tatsachen, denen Konsequenz darf allerdings nicht den Blick dafür wir gegenüberstehen, wenig, wenn sich manche verstellen, daß damit die Ursachen der Flucht nicht öffentlich unserer Asylpolitik wegen besorgt zeigen, behoben werden und daß wir gemeinsam mit den aber ebenso nachhaltig protestieren oder gar fehlen, anderen Ländern auch im eigenen Interesse die Behe- wenn es um die Einrichtung von Fremdenunterkünf- bung der Fluchtursachen als vorrangige eigene Auf- ten ganz in ihrer Nähe geht und wenn wir sie gabe begreifen und praktizieren müssen. Denn kein bräuchten, um diese Notwendigkeit unseren Mitbür- Abwehrrecht der Welt wird halten, wenn sich Millio- gern gegenüber zu vertreten. nen, von Not, Panik und Hunger getrieben, nach Westen auf den Weg machen und hier vor der Tür Eben wurden in diesem Zusammenhang — ich stehen. Die einzige Antwort darauf wären ein Grenz- möchte das unterstreichen — auch die leerstehenden sicherungssystem, Mauer und Stacheldraht an der Pfarrhäuser erwähnt. In jeder Gemeinde ein großes Ost- und Südostgrenze, wo wir entgegen unseren Ärgernis: Sie kommen zum Bürgermeister, zu den politischen Zielsetzungen heute schon nicht mehr auf Pfarrgemeinderäten und verlangen Sorge um die Grenzkontrollen verzichten können. Das können wir aufzunehmenden Flüchtlinge, aber ihrerseits sind sie, ernstlich nicht wollen. Das dürfen wir auch nicht jedenfalls überwiegend, nicht bereit, diese Menschen zulassen. in ihre Liegenschaften aufzunehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin der Überzeugung, daß ein Wert der heute zu Das ist im übrigen kommunaler Alltag. Die Arbeitstei- verabschiedenden Vorlage auch darin besteht, daß lung, daß die einen die Moral predigen und die die Parteien in zentralen Fragen überwiegend noch anderen sie zu exekutieren haben, kann nicht aufge- gemeinsam handlungsfähig sind. Aber die eigentliche hen, Bewährung einer solchen Zusammenarbeit wird erst (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie kommen, wenn wir Geld, Sachmittel, personelle Hilfe bei Abgeordneten der F.D.P.) für die Länder, aus denen die Flüchtlinge kommen, hier ebenfalls beschließen müssen. auch dann nicht, wenn sich beide Seiten darüber einig sein dürften, daß an allem die Politiker schuld seien. (Beifall des Abg. Siegfried Vergin [SPD]) Das ist, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle- Ich bin der Überzeugung, daß wir es schaffen. Ich gen, ein brüchiger Steg. Den Flüchtlingen kann beim bin mir aber auch bewußt, daß mit dem heute vorlie- Gehen über diesen Steg nicht geholfen werden. genden Ergebnis nur ein Teilaspekt der zugrunde Was ist zu tun? Wir müssen mehr als bisher den Sinn liegenden Anlässe berührt wird. Ich weiß, daß manche für politische Realitäten wecken. Das heißt, daß sich Regeln sehr kompliziert und — wenn wir die Randbe- Deutschland als größter Staat Zentraleuropas mit über dingungen nicht verbessern — auf ein in der Sache 4 500 km Landgrenzen nicht von der Flüchtlingsbe- untaugliches Arbeitsbeschaffungsprogramm für An- wegung freihalten kann. Daraus folgt umgekehrt aber wälte, Richter und Verwaltungsbeamte hinauslaufen könnten. auch, daß Deutschland nicht stellvertretend für Europa das Flüchtlingsproblem allein lösen kann. Mir ist durchaus geläufig, daß einige Vorschriften verfassungsrechtliche Diskussionen ausgelöst haben, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ die nicht einfach vom Tisch zu wischen sind. Sie sind CSU und der F.D.P.) allerdings um so ernster zu nehmen, je weniger sie auf Da unsere Partnerländer dies überwiegend anders eine Verknüpfung mit der unveränderbaren Fassung sehen möchten und wir durch Beharren auf inner- des Art. 1 unserer Verfassung aus sind. Ich akzeptiere staatlichen Rechtsprinzipien dazu beitragen, müssen auch, daß das Zuwanderungsproblem politisch dem- wir über die Schaffung eines gesamteuropäischen nächst wieder auf der Tagesordnung stehen kann. Flüchtlingsraums daran gehen, Verteilungsverfahren Es wäre nicht schmählich für die heute zu verab- für die europäischen Mitgliedstaaten etwa nach dem schiedenden Gesetze, wenn sie nur einige Zeit hülfen. Vorbild unserer innerstaatlichen Regelungen durch- Andere Länder haben bereits ähnliche Erfahrungen zusetzen. gemacht, beispielsweise die Niederlande, Dänemark, Es muß auch durchgesetzt werden — das gehört auch Schweden, nicht zu vergessen Frankreich, die im zum Asylrecht unverbrüchlich —, daß diejenigen, die übrigen allesamt ungleich selbstsicherer mit dieser auf Dauer nicht bleiben dürfen, zurückkehren müs- politischen Frage umgehen als wir, was nicht zu sen. Gewiß, dabei können starre Verfahrensregelun- schaden braucht und sich im übrigen immer innerhalb gen helfen. Viel entscheidender aber wird es sein, daß der Genfer Flüchtlingskonvention vollzogen hat. die Rückführung tatsächlich stattfindet. Sonst wird es So richtig es ist, daß gerade bei der Zuwanderung so kommen wie bisher: Die Zahl der Abschiebungen verantwortungsbewußtes Handeln geboten ist, so entspricht nicht annähernd der Zahl aussichtsloser unabweisbar muß die Einsicht sein, daß es die mathe- Asylbegehren. Diese unbestrittenen Schwächen der matische Lösung für diese Frage nicht gibt. Wir haben Exekutive der Länder können nicht durch noch so die Pflicht, und wir sind es unseren Mitbürgerinnen 13624 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Hans Gottfried Bernrath und Mitbürgern und auch den mit uns lebenden der SPD-Führung und der Mehrheit der SPD-Frak- Ausländern schuldig, sorgsam mit diesen Fragen tion. umzugehen, nicht zuletzt weil es um menschliche- Schicksale und auch um den Sinn für das Asylrecht bei Ich glaube durchaus, daß es ihr schwergefallen ist, uns allgemein und damit um gegenseitiges Vertrauen ja zu sagen. Ich glaube durchaus, daß Sie versucht haben, abzuwägen. Aber gleichzeitig erschreckt mich geht. und meine Gruppe zutiefst, mit welcher Argumenta- Gegen die Sucht nach nationaler Verengung müs- tion über die Zweifel hinweggegangen wird und wie sen wir eine Brandmauer errichten. Deshalb darf der im Grunde genommen einer Staatsräson das Wort Dialog besonders mit den Partnerstaaten in Europa geredet wird, ohne letztlich die Zweifel, die immerhin nie abreißen; er muß eher verstärkt werden. die Schicksale von Menschen betreffen, wirklich zur (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Grundlage einer Gewissensentscheidung zu ma- der CDU/CSU) chen. Denn eines ist gewiß: National hätte auf Dauer kein (Beifall der Abg. Christina Schenk [BÜND Staat in Europa eine Ch ance, mit der Migration allein NIS 90/DIE GRÜNEN]) fertig zu werden. Es war heute die Rede vom Frösteln; ich glaube, der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kollege Duve sprach davon. Es war bei vielen Redne- der CDU/CSU) rinnen und Rednern, die ihr Ja begründet haben, die Darum ist es richtig, das individuelle Recht auf Asyl Rede von größten verfassungsrechtlichen Bedenken. zu erhalten, die Verfahrensregeln aber so zu ändern, Es wird ständig geäußert — soeben schon wieder —, daß wir nicht zuletzt auf diese Weise zu einer engeren daß die bestehenden Probleme, was Migration anbe- europäischen Zusammenarbeit kommen. langt, was die Frage des inneren Friedens auch in diesem Lande anbelangt, mit diesen Maßnahmen Deutschland wird auch nach einem Beschluß dieser nicht gelöst werden können. Um welchen Preis um Gesetze noch die liberalsten Asylgesetze und das Himmels willen und aus welcher Räson können Sie nobelste Asylangebot in Europa haben. einen dermaßen tiefen Einschnitt in diese Gesell- Danke schön. schaft, einen solchen Demokratieabbau und die (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Abschaffung von Rechtsschutz für Menschen be- F.D.P.) stimmter Nationalität in Kauf nehmen? Was nützen den Flüchtlingen diese Bedenken, wenn sie an den Grenzen zurückgehalten und in den Flughäfen fest- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht gehalten werden, um dann wieder abgeschoben zu die Abgeordnete Andrea Lederer. werden? (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- Wie lautet da Ihre Argumentation? Sie bauen doch tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundeskanzler Luftschlösser auf, indem Sie suggerieren: Wir schie- ist 1982 mit dem Versprechen einer ben nur in sichere Staaten ab. Abgesehen davon, daß geistig-moralischen Wende in diesem Land angetre- das nicht stimmt, ist es so, daß Sie die Last — heute war ten. Er hat sie spätestens heute mit der Entscheidung oft von Last die Rede, was schrecklich genug ist — in — wenn sie so fällt, wie es beabsichtigt ist — durch- andere Länder abschieben, bis durch den ökonomi- gesetzt, und er wird sie weiter mit einer Beteiligung schen Druck in diesen Ländern die Menschen letztlich der Bundeswehr an internationalen Kampfeinsätzen vermutlich wieder in ihren Herkunftsländern lan- zu zementieren versuchen. den. Das ist eine Wende zutiefst reaktionärer Art — in Wo sind die von Ihnen versprochenen Paketleistun- humanistischer, in demokratischer und in liberaler gen? Sie haben versprochen: Eine Änderung der Hinsicht. Diese Wende wird heute übrigens — zumin- Verfassung gibt es nur, wenn es im Gegenzug weitaus dest in einem Abstimmungsbündnis — erstmals mit liberalere Regelungen bei der Staatsbürgerschaft, einem Abgeordneten, der den Republikanern ange- hinsichtlich der doppelten Staatsbürgerschaft, hin- hört, durchgeführt. sichtlich der Rechtswegegarantie und hinsichtlich des (Peter Conradi [SPD]: Einem?) Sonderstatus für Bürgerkriegsflüchtlinge gibt. Wo Wir haben von dieser Bundesregierung allerdings sind all diese Regelungen? Übriggeblieben ist ein nichts anderes erwartet, wenngleich wir auch weiter- überaus mickriger Änderungsantrag zu § 34 a, wozu hin dagegen angehen werden, gemeinsam mit ande- uns selbst die Enthaltung schwerfällt, weil an Rechts- ren, die diese Wende verhindern bzw. zurückschrau- schutz für diese Menschen wirklich fast nichts übrig- ben wollen. geblieben ist. Viel schlimmer ist aber folgendes: Dieser Schritt (Beifall bei Abgeordneten der PDS/Linke hätte heute tatsächlich verhindert werden können, Liste) und zwar durch die Stimmen der SPD. Ich drücke an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich unseren Am allerschlimmsten finde ich, wenn in Interviews Respekt vor denjenigen aus, die aus guten Gründen auch noch durchsickert, daß die Zustimmung zu bei ihrem „Nein" geblieben sind; das geht sowohl an diesem sogenannten Kompromiß, der keiner ist, zur die Kollegen in der SPD-Fraktion als auch an die Wiederherstellung der Politik- und Handlungsfähig- Kollegen in der F.D.P.-Fraktion. Aber das ist an keit der SPD führen soll. Das ist makaber. Das kann diesem heutigen Tag die historische Verantwortung keinem Menschen irgend etwas nützen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13625

Andrea Lederer Warum bringt die SPD in einer Zeit, in der die Natürlich — darüber gibt es keinen Zweifel — sind allgemeine Rechtsentwicklung auch ihr den Boden bei weitem nicht alle Demonstr anten gewaltbereit. Ich unter den Füßen wegzieht, nicht wenigstens das respektiere viele Argumente der Kritiker des Asyl- Rückgrat auf, in diesen Kardinalfragen der Politik der kompromisses innerhalb und außerhalb dieses Hau- Bundesregierung wirklich Einhalt zu gebieten? Was ses. Ich respektiere auch alle Kolleginnen und Kolle- haben wir angesichts dieses Opportunismus künftig gen, die nachher aus Gewissensgründen mit Nein zu erwarten, wenn es noch drastischer als heute um stimmen werden. Aber auch diejenigen, die nach die Frage von Krieg und Frieden geht? sorgfältiger Gewissensprüfung für die Annahme des Ich appelliere noch einmal an Sie, Ihre berechtigten Asylpaketes entscheiden werden, haben Anspruch Zweifel an dieser Verfassungsänderung inklusive all darauf, geachtet und nicht verunglimpft zu werden. dieser Folgen voranzustellen und sie zur Grundlage Jeder von uns macht von seinem individuellen Gewis- Ihrer Entscheidung zu machen. Die Folgen der heuti- sen Gebrauch. gen Entscheidung sind so gravierend, daß sie keiner- (Beifall bei der F.D.P.) lei taktisches Kalkül zulassen. Sie sind prinzipieller Wir beugen uns mitnichten dem Druck der Straße, Natur. Vor allem sind sie irreversibel für die Men- sondern wir halten angesichts der dramatischen Ent- schen, die von diesen Regelungen betroffen sein wicklung bei den Asylbewerberzahlen und bei den werden. Deswegen kann es heute nur eine Antwort Unterbringungsproblemen das vorgesehene Maß- geben: die rote Karte, ein Nein. nahmenpaket für ethisch vertretbar und für politisch (Beifall bei der PDS/Linke Liste) geboten. Für diese unsere Auffassung sehen wir uns heute Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht leider zum wiederholten Male seitens einiger Kolle- der Abgeordnete Hans-Joachim Otto. gen von der linken Seite des Raumes und von vielen Demonstranten dem Vorwurf des Rassismus und des Populismus ausgesetzt. Diese Vorwürfe möchte ich Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (F.D.P.): Frau Kolle- zum Ende der heutigen Debatte nochmals mit allem gin Lederer, wenn ich mir Ihre Reden anhöre, dann Nachdruck, ja sogar mit Leidenschaft zurückweisen. frage ich mich wirklich, in welcher Welt Sie leben. Sie sind ehrabschneidend, und sie sind objektiv unbe- (Beifall bei der F.D.P.) gründet. Sie hätten sich wenigstens einmal an dem Kollegen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Bernrath ein Beispiel nehmen können. Bei seiner Rede konnte man nämlich die Wirkung der vernunfttrei- Der Verlauf der heutigen Debatte beweist doch, daß benden Realitätskontakte eines Kommunalpolitikers sich keiner seine Entscheidung leichtgemacht hat. merken. Meine Damen und Herren, Sie sehen, daß die Ich möchte aber im übrigen davor warnen, an den PDS den tatsächlichen Problemen, vor denen wir in heute zu treffenden Asylbeschluß zu hohe Erwartun- Deutschland stehen, sehr weit entrückt ist. gen — seien es Hoffnungen, seien es Befürchtungen Wir haben heute hier eine engagierte, kontroverse — zu knüpfen. Mit der heutigen Entscheidung wird und — bis auf die Beiträge der PDS — auch sachliche weder das Grundrecht abgeschafft, noch wird und sensible Debatte geführt. Deutschland total abgeschottet oder gar die demokra- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der tische Substanz unseres L andes verändert, wie dies CDU/CSU) einige Vorredner behauptet haben. Es ist z. B. total Die Behandlung des Asylthemas hier im Hause wurde unsinnig zu behaupten, daß Deutschl and jetzt zu einer der vielschichtigen Problematik weit besser gerecht Festung ausgebaut werde und nur noch mit dem als der chaotische Mummenschanz, den einige der Paddelboot oder dem Fallschirm von Flüchtlingen zu sogenannten Demonstranten rund ums Parlaments- erreichen sei. Ich prophezeie Ihnen: Auch in Zukunft viertel abgezogen haben. wird es mit Sicherheit nicht zu wenige, sondern immer noch zu viele Asylbewerber geben. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU) Die beabsichtigten Auswirkungen des Asylkompro- misses lassen sich auf zwei zentrale Punkte konzen- Mit ihrer gewaltsamen Blockadeaktion, mit ihren trieren. Erstens. Es soll endlich eine faire und ausge- Angriffen auf Abgeordnete, Mitarbeiter, Journalisten wogene Verteilung der Flüchtlingsströme, also ein und Polizeibeamte haben sie auch dem von ihnen burden sharing, in Europa stattfinden. Es war doch selbst verfolgten Anliegen mit Sicherheit geschadet. bisher ein untragbarer Zustand, daß die Bundesrepu- Mich beschleicht das ungute Gefühl, daß m anche das blik Deutschl and doppelt so viele Asylbewerber Asylrecht für völlig andere Zwecke instrumentalisie- unterzubringen hatte wie alle übrigen elf EG-Partner ren. zusammen. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU) (Peter W. Reuschenbach [SPD]: Das ändert Bei den heutigen gewalttätigen Aktionen sind lei- sich doch gar nicht!) der auch einige Polizeibeamte leicht verletzt worden. Mit der Drittstaatenregelung übernehmen wir den Wir wünschen ihnen von hier aus gute Besserung. Wir Grundgedanken des Schengener Abkommens. Auch danken allen Beamten dafür, daß sie unter schwieri- in Zukunft werden wir Deutschen selbstverständlich gen Bedingungen unsere freie Willensbetätigung tatsächlich Verfolgten Asyl gewähren. Aber wir kön- heute geschützt haben. nen nicht — darauf haben viele Vorredner, insbeson- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dere auch Herr Dr. Geißler, hingewiesen — die Ar- 13626 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Hans-Joachim Otto mutsproblmee in Osteuropa und in der Dritten Welt Zwischenstation, keinesfalls aber den Zielpunkt. Sie allein schultern. bedeutet — wie Johannes Rau es gestern formuliert Zweitens. Gerade den offenkundigen Mißbrauchs- hat — einen schweren Schritt auf einem richtigen fällen kann mit dem Asylkompromiß in Zukunft wir- Weg. kungsvoller begegnet werden. Es kann doch z. B. Unser langfristiges Ziel als Liberale ist es, die bisher wirklich nicht angehen, daß auf Anweisung skrupel- ungeregelte Zuwanderung unter Mißbrauch des Asyl- loser Schlepperbanden bisher über 90 % aller auf dem rechts durch ein umfassendes europäisches Einwan- Luftwege einreisenden Asylbewerber ihre Pässe ver- derungs- und Integrationskonzept zu ersetzen. Alle nichtet oder verfälscht haben und wir ihnen dennoch Experten bestätigen uns: Deutschl and bleibt auf den die Einreise genehmigen mußten mit der häufigen Zuzug von Menschen dauerhaft angewiesen. Wir Folge, sie später nie wieder abschieben zu können. wollen jedoch, daß dies in einem geordneten Verfah- Solche zunehmenden Mißbrauchsfälle haben das ren und unter konkreten Auswahlkriterien ge- Asylrecht und die wenigen tatsächlich politisch Ver- schieht. folgten diskreditiert. Ich möchte deshalb die Forderung des Fraktionsvor- Wenn es uns jetzt gelingt, zumindest den Anreiz für sitzenden Dr. Solms nach einem Einwanderungsge- die schlimmsten Mißbrauchsversuche zu beseitigen setz, aber auch nach einer grundlegenden Reform des und damit die Gesamtzahl der Asylbewerber zu sen- Staatsangehörigkeitsgesetzes unterstreichen. Wir Li- ken, so dient dies nicht zuletzt gerade den wirklich beralen wollen dazu beitragen, daß hier die notwen- Asylberechtigten. Das beschleunigte Verfahren dient digen Entscheidungen kurzfristig ge troffen werden ja nicht nur dazu, unberechtigte Anträge schneller können. ablehnen zu können, sondern auch dazu, berechtigte Meine Damen und Herren, wenn wir jetzt, wie ich Anträge schneller anerkennen zu können. Wenn hoffe, das Gesetzespaket mit der erforderlichen Mehr- somit für Hunderttausende von Flüchtlingen und ihre heit annehmen und in Kraft setzen, so beweist dies die Familien die Zeitspanne quälender Ungewißheit und Handlungs- und Konsensfähigkeit der demokrati- häufig auch menschenunwürdiger Unterbringung schen Parteien Deutschlands. spürbar verkürzt werden kann, so ist das keinesfalls (Unruhe) ein Akt der Unmenschlichkeit, sondern ganz im Gegenteil ein Gebot der Humanität. Präsidentin Rita Süssmuth: Ich bin nicht bereit, die (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne letzten Redner vor so einem lärmenden Haus reden zu ten der CDU/CSU) lassen. Ich finde, diese paar Minuten — es ist spät am Geben wir uns dennoch keiner Selbsttäuschung Abend — sollten wir jetzt noch durchhalten. Es muß hin. Ebenso wie Herr Klose und auch Herr Geißler noch der Redner lauter sein als das Haus selbst. eben empfinden wir Liberalen kein Glücksgefühl bei der Verabschiedung dieses allzu komplizierten und, Hans Joachim Otto (Frankfurt) (SPD): Danke, Frau wie Herr Schily gesagt hat, verschraubten Gesetzes- Präsidentin. werkes. Es besteht beileibe kein Anlaß zu satter Im Interesse unseres L andes und seiner Bürgerin- Selbstzufriedenheit. Wir sind uns der Schwächen und nen und Bürger ist es gelungen, über Fraktionsgren- wir sind uns auch der Probleme dieses Gesetzeswer- zen hinweg einen umfassenden Kompromiß zu erzie- kes voll bewußt. len. Die Kompromißsuche war lang, streckenweise Ich möchte auch nicht bestreiten, daß ich z. B. ein quälend. Aber wir haben uns letztlich zu einem verfassungsrechtliches Restrisiko sehe, soweit Be- gemeinsamen Ergebnis durchringen können. werbern aus sicheren Drittstaaten nach § 34 a der Wir wissen, daß dies insbesondere für Ul rich Klose Rechtsweg abgeschnitten wird. Da wir aber die poli- und manche aus der SPD-Fraktion besonders schwie- tische Notwendigkeit dieser Drittstaatenregelung rig war. Diese Leistung verdient Respekt, denn die sehen und anerkennen, hätten wir uns eine entspre- fraktionsübergreifende Entscheidungsfähigkeit ist chende Klarstellung in Art. 16a des Grundgesetzes ein hoffnungserweckendes Signal für weitere wich- gewünscht. Dies war leider wegen der fehlenden tige Entscheidungen von nationaler Bedeutung, die Zustimmung der SPD-Fraktion nicht möglich. jetzt anstehen. Wir sind uns auch dessen bewußt, daß die Drittstaa- Meine Damen und Herren, die Bürgerinnen und tenregelung in gewissem Umfang die illegale Zuwan- Bürger unseres Landes erwarten von uns Abgeordne- derung prämiert, weil sie den Illegalen zumindest ein ten jetzt eine Entscheidung. Mit der heutigen Verab- verkürztes Verfahren einräumt. Dies ist aber nicht schiedung der Asylrechtsänderung wird der Deutsche etwa, wie manche Vorredner behauptet haben, eine Bundestag seiner Verantwortung gerecht. Unsinnigkeit dieses Gesetzeswerkes, sondern das ist Ich danke Ihnen. die notwendige Folge der Genfer Flüchtlingskonven- tion, die — was die Kritiker häufig verschweigen — (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) unverändert ebenso fortgilt wie die Europäische Men- schenrechtskonvention. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als letzter Redner in Viele Vorredner haben es bereits unterstrichen: Mit dieser Debatte spricht der Abgeordnete Werner dem neuen Asylrecht können nicht die Ursachen der Schulz. weltweiten Armutswanderung bekämpft werden. Dies hat aber auch niemand behauptet. Die heutige Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Entscheidung bildet deshalb nur eine notwendige NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13627

Werner Schulz (Berlin) Ich bitte Sie nur noch um fünf Minuten Aufmerksam- lorengeht. Das halte ich wirklich für eine Katastro- keit. phe. (Zurufe von der CDU/CSU: Drei!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - sowie bei Abgeordneten der SPD und der — Wenn Sie mich ausreden lassen, mache ich es auch PDS/Linke Liste) in drei Minuten. Natürlich brauchen wir eine europäische Asylrege- Wir haben heute viel davon gehört, daß die vorlie- lung; das ist überhaupt keine Frage. Der polnische gende Grundgesetzänderung die Garantie für den Präsident Walesa, mit dem wir übrigens auch im inneren Frieden bedeute, als wäre der innere Frieden Gespräch sind und den wir schon sehr lange kennen, schon ein Wert an sich und würde alles besagen. Herr glaubt, daß man sich damit eine Ruhe vor dem Sturm Schäuble und Herr Seiters, ich muß Ihnen sagen: Ich erkauft. Er hält es für eine sehr fragile Lösung. habe einen inneren Frieden erlebt, der fürchterlich Glauben Sie nicht, daß der so l ange den Grenzwächter war. für unsere Probleme spielen wird. Da täuschen Sie (Zurufe von der CDU/CSU) sich.

Wir haben in diesem Parlamentsviertel heute einen Ich habe wie Sie auch, Herr Seiters, auf dem Balkon Frieden, der, glaube ich, viel mehr Symbolkraft hat, der Prager Botschaft erlebt, wie ein System zusam- als uns wahrscheinlich lieb und Ihnen, uns allen menbricht, das vermeintlich fest ist. Im Grunde wünschenswert ist. Ich befürchte, daß wir momentan genommen sind nur die Leute auf die Straße gegan- auf einen komfortablen Frieden zugehen, den wir uns gen und haben dieses System erschüttert. Ich habe im durch Abschottung erkaufen, der aber überhaupt Moment den Eindruck, daß die Völker auf der Straße nichts mit der Realität auf diesem Kontinent, mit der sind und dieses schöne Schengen-Land, was konstru- Realität auf dieser Welt zu tun hat. iert wurde, auch erschüttern, und zwar relativ rasant. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich stimme Ihnen in einem Punkt zu: Wir brauchen Wir haben heute viel davon gehört, daß der eine eine Grundgesetzergänzung — das ist überhaupt oder andere die Wahrheit verbreitet haben möchte, keine Frage —, weil man natürlich der Zuwanderung die heute aus diesem Haus herausgehen soll. Wir nach Deutschland mit der gegenwärtigen Regelung wissen alle, daß es nicht die Wahrheit gibt. Sie haben nicht gerecht wird. Aber warum kann denn dort nicht sie nicht, ich habe sie nicht, sie ist nicht absolut. dieser einfache Satz stehen: Die Einwanderung und die Aufnahme von Flüchtlingen wird durch Gesetz (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Aber geregelt? Das hat mir in dieser Debatte keiner ver- die Unwahrheit kann man schon definie ständlich machen können. ren!) (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Aber na — Wir können sicher auch über Unwahrheiten strei- türlich, sofort!) ten. Darin sind Sie Meister, Herr Schäuble. — Daß Sie sich da empören, ist mir klar. — Aber ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN glaube, aus Ihnen spricht die Unsicherheit, daß Sie vor sowie bei Abgeordneten der SPD — Claus einer ziemlich radikalen Forderung des Jesus von Jäger [CDU/CSU]: Unverschämtheit!) Nazareth stehen, die Sie erfüllen müssen.

— Nein. Ich glaube, hier geht es um politische Eines macht mich allerdings betroffen. Herr Klose Ansichten. Sie haben die politische Ansicht, hier — Sie winken ab, aber Sie haben heute Ihre Unsicher- werde eine Grundgesetzänderung verabschiedet, die heit zum Ausdruck gebracht —, Sie sagten, die innere eine vernünftige Regelung der Zuwanderung biete. Stimmung in der SPD ist anders als das, was heute zum Ich sage: Das glatte Gegenteil ist der Fall. Ausdruck gebracht wird. Ich frage Sie: Warum gehor- chen Sie denn nicht Ihrer inneren Stimme? Warum Es ist Ihnen gelungen, den einfachen Satz „Politisch sagen Sie denn nicht, daß das überhaupt kein Kom- Verfolgte genießen Asylrecht" stehenzulassen, aber promiß ist? er ist ein Placebo geworden. Er ist sinnentleert und wirkungslos. Es ist ein Wortgebirge davorgestellt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN worden, das normalerweise nur in Kommentaren und sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Erläuterungsteilen zur Verfassung vorkommt, was Liste) dort überhaupt nichts zu suchen hat. Aber auch das ist symbolisch. Was haben Sie denn erreicht? Sie haben kein Einwan- derungsgesetz, kein Flüchtlingsgesetz, kein Staats- Wir sind sicherlich das Land, das die großzügigste bürgerschaftsgesetz, kein kommunales Wahlrecht für Regelung im Asylrecht hat. Dafür gibt es aber auch Ausländer erreicht. Jetzt rennen Sie diesen Sachen einen Grund. Lieber Kollege Otto, denn wir haben durch Zeitungsartikel hinterher. Sie werden sie nicht nicht die Last der Dritten Welt auf unsere Schultern bekommen. Die Schlacht im Wahlkampf werden Sie geladen, sondern wir haben die Schuld des Dritten bekommen. Das ist Ihnen heute doch schon angedeu- Reiches abzutragen. Das ist ein Schuldanerkenntnis tet worden. Das ist der Lohn für Ihr Zugeständnis. und eine Wiedergutmachung. Ich habe die Sorge, daß das drei Jahre nach der deutschen Vereinigung ver (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13628 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Werner Schulz (Berlin) Ich sage Ihnen eines: Wenn dieses Asylpaket heute nen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der durchgeht, verliert das erste gesamtdeutsche Parla- namentlichen Schlußabstimmung über den Gesetz- ment für meine Begriffe seine politische Unschuld.- entwurf zur Änderung der Art. 16 und 18 des Grund- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gesetzes auf den Drucksachen 12/4152 und 12/4984 'sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste bekannt. Abgegebene Stimmen: 654, davon ungültige — Zurufe von der CDU/CSU) Stimmen: keine. Mit Ja gestimmt haben 521, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich schließe die Aussprache. mit Nein 132. Enthaltungen: eine. Wir kommen zu den Abstimmungen. Es ist folgende Damit ist der Gesetzentwurf mit der erforderlichen Reihenfolge vorgesehen. Wir beginnen mit der Ände- Mehrheit angenommen. rung des Grundgesetzes. Es folgen die einfachen Gesetze, nämlich das Verfahrensgesetz und das Lei- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. stungsgesetz, sodann die weiteren in der Tagesord- sowie bei Abgeordneten der SPD) nung genannten Vorlagen. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstim- Wir werden vier namentliche Abstimmungen mung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, durchführen. SPD und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung asylverfahrens-, ausländer- und staatsan- Wir stimmen zunächst über den Gesetzentwurf der gehörigkeitsrechtlicher Vorschriften auf den Druck- Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zur Ände- sachen 12/4450 und 12/4984 Nr. 2. Dazu liegt ein rung der Art. 16 und 18 des Grundgesetzes auf den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksa- Drucksachen 12/4152 und 12/4984 Nr. 1 ab. che 12/5019 vor, über den später namentlich abge- Die Fraktion der SPD wünscht zu einem Absatz von stimmt werden soll. Art. 16a Grundgesetz getrennte Abstimmung. Außerdem wird von der Fraktion der SPD für eine Ich rufe zunächst Art. 1 Nr. 1 sowie Nr. 2 des Reihe von Vorschriften getrennte Abstimmung Gesetzentwurfs — hier Art. 16a Abs. 1 des Grundge- gewünscht. setzes — auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. —Wer stimmt dagegen? Ich rufe Art. 1 Nr. 1 bis 14 a in der Ausschußfassung — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um sind angenommen. das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthal- Ich rufe Art. 16a Abs. 2 des Grundgesetzes auf. Ich tungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Hand- Gegenstimmen und ohne Enthaltungen angenom- zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — men. Auch Art. 16a Abs. 2 ist bei Gegenstimmen und Ich rufe Art. 1 Nr. 15, hier: § 26 a Abs. 1 Asylverfah- Enthaltungen angenommen. rensgesetz, auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen Ich rufe Art. 16a Abs. 3 bis 5 Grundgesetz in der wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dage- Ausschußfassung sowie Nr. 3 und Art. 2, Einleitung gen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift und Überschrift des Gesetzentwurfs auf. Ich bitte ist bei Gegenstimmen angenommen. diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzei- Ich rufe § 26 a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz mit der chen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — in Bezug genommenen Anlage I in der Ausschußfas- Die aufgerufenen Vorschriften sind bei Gegenstim- sung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, men und einer Enthaltung angenommen. um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Damit ist der Gesetzentwurf in der Ausschußfas- Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist bei sung in zweiter Beratung insgesamt angenommen. Gegenstimmen angenommen. Wir treten in die Ich rufe § 26 a Abs. 3 Asylverfahrensgesetz auf. Ich dritte Beratung bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das H and- zeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — ein und kommen zur Schlußabstimmung. Hierzu ist § 26 a Abs. 3 ist bei Gegenstimmen und zwei Enthal- interfraktionell namentliche Abstimmung verlangt. tungen angenommen. Ich weise darauf hin, daß zur Annahme des Gesetz- entwurfs nach Art. 79 Abs. 2 des Grundgesetzes die Ich rufe Art. 1 Nr. 16 und 17 des Gesetzentwurfs in Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die Bundestages — das sind 442 Stimmen — erforderlich zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegen- ist. stimmen? — Enthaltungen? — Art. 1 Nr. 16 und 17 sind bei Gegenstimmen angenommen. Ich eröffne die Abstimmung. — Haben alle ihre Stimmkarte abgegeben? — Das Ich rufe Art. 1 Nr. 18, hier: § 29a Abs. 1 Asylverfah- scheint der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung rensgesetz, in der Ausschußfassung auf. Ich bitte und unterbreche die Sitzung für etwa 10 Minuten. diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzei- chen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — (Unterbrechung von 21.55 bis 22.03 Uhr) Die aufgerufene Vorschrift ist bei Gegenstimmen angenommen. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Die Sitzung ist Ich rufe § 29 a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz mit der in wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführerin Bezug genommenen Anlage II in der Ausschußfas- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13629

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth sung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, Haben alle Ihre Stimmzettel abgegeben? — Dann um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthal- schließe ich die Abstimmung und unterbreche kurz, tungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist bei Gegen- bis wir das Ergebnis haben. stimmen angenommen. (Unterbrechung von 22.30 bis 22.38 Uhr) Ich rufe § 29a Abs. 3 Asylverfahrensgesetz auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. — Gegenstimmen? —Enthaltungen? — § 29 a Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und Abs. 3 ist bei Gegenstimmen und drei Enthaltungen Herren, ich bitte Sie, wieder Platz zu nehmen. angenommen. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Ich rufe Art. 1 Nr. 19 bis 22 des Gesetzentwurfs in der Schriftführer ermittelte Ergebnis der nament lichen Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustim- Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen: 656, men wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften gestimmt: 497, mit Nein haben gestimmt: 158, Enthal- sind bei Gegenstimmen und einer Enthaltung ange- tungen: 1. Damit ist der Gesetzentwurf angenom- nommen. men. Ich rufe Art. 1 Nr. 23, hier: § 34 a Asylverfahrensge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) setz, auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/5019 vor, mit dem Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstim- zugleich ein Art. 2 b eingefügt werden soll. Wir mung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und stimmen zunächst über diesen Änderungsantrag ab. F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich eröffne Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber auf die Abstimmung. — den Drucksachen 12/4451 und 12/5008 Nr. 1. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuß- Hat jeder seine Stimme abgegeben? — Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung, und wir fassung zuzustimmen wünschen, um das Handzei- — unterbrechen kurz die Sitzung, bis das Ergebnis chen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei bekannt ist. Der zahlreichen Gegenstimmen und einigen Enthaltun- (Unterbrechung von 22.16 bis 22.23 Uhr) gen angenommen. Wir treten in die

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und dritte Beratung Herren, das von den Schriftführerinnen und Schrift- ein und kommen zur Schlußabstimmung. Auch hier ist führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- namentliche Abstimmung verlangt. mung über den Änderungsantrag der Fraktion der Ich eröffne die Abstimmung. SPD zur zweiten Beratung des Gesetzentwurfs zur Änderung asylverfahrens-, ausländer- und staatsan- Haben alle ihre Stimmen abgegeben? gehörigkeitsrechtlicher Vorschriften liegt vor. (Widerspruch)) Abgegebene Stimmen: 655, ungültige Stimmen: Wir setzen die Abstimmungen fort. Das Ergebnis keine. Mit Ja haben gestimmt: 233, mit Nein haben wird erst später bekanntgegeben. gestimmt: 391, Enthaltungen: 31. Der Antrag ist somit abgelehnt. Haben alle ihre Stimme abgegeben? — Ich schließe die namentliche Abstimmung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich setze unter Nr. 3 der Beschlußempfehlung fort. Ich setze die Abstimmung fort: Auf Drucksache 12/4984 empfiehlt der Innenaus- Wer stimmt für Art. 1 Nr. 23, § 34 a Asylverfahrens- schuß, den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU gesetz, in der Ausschußfassung? — Die Gegen- auf Drucksache 12/2112 für erledigt zu erklären. Wer probe! — Enthaltungen? — § 34 a ist in der Ausschuß- stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegen- fassung bei einer Enthaltung und vielen Gegenstim- probe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung men angenommen. ist bei einigen Enthaltungen angenommen. Ich rufe Art. 1 Nr. 24 bis 46 des Gesetzentwurfs Der Ausschuß für Familie und Senioren empfiehlt sowie Art. 2 bis 5, Einleitung und Überschrift in der unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksa- Ausschußfassung, auf. Ich bitte diejenigen, die che 12/5008, den Gesetzentwurf der Fraktionen der zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 12/3686 für stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufe- erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluß- nen Vorschriften sind bei zahlreichen Gegenstimmen empfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die und einer Enthaltung angenommen. Damit ist der Beschlußempfehlung ist bei einigen Enthaltungen Gesetzentwurf in zweiter Beratung insgesamt ange- angenommen. nommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- Wir treten in die wurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur dritte Beratung Regelung der Rechte von niederlassungsberechtigten Einwanderinnen und Einwanderern auf Drucksache ein und kommen zur Schlußabstimmung. Hier ist 12/1714. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksa- interfraktionell namentliche Abstimmung verlangt. che 12/4984 unter Nr. 4, den Gesetzentwurf abzuleh- Ich eröffne die Abstimmung. nen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Gruppe 13630 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/1714 unserer Geschäftsordnung abgegeben worden sind abstimmen. und daß diese Erklärungen zu Protokoll gegeben werden. * ) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- men wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt Jetzt warten wir noch auf das Abstimmungsergeb- dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist nis, und dann sind wir fertig. in zweiter Beratung bei einigen Enthaltungen und den Da ich sehe, daß nicht alle auf das Abstimmungser- Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt. gebnis warten wollen, möchte ich Ihnen sagen: Sie Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die können jetzt, wie gewohnt, die Wagen bestellen. Die weitere Beratung. Polizei hat uns mitgeteilt, daß die Ausfahrtwege frei Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- sind. wurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über die Liebe noch anwesende Kolleginnen und Kollegen, Rechtsstellung von Flüchtlingen auf Drucksache ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift- 12/2089. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksa- führern ermittelte Ergebnis der letzten nament lichen che 12/4984 unter Nr. 5, den Gesetzentwurf abzuleh- Abstimmung bekannt. Es handelt sich um die Schluß- nen. abstimmung über den Gesetzentwurf zur Neurege- Ich lasse über den Gesetzentwurf der Gruppe lung der Leistungen an Asylbewerber auf Drucksache BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/2089 12/4451 und die Beschlußempfehlung des Ausschus- abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- ses für Familie und Senioren auf Drucksache 12/5008: wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer Abgegebene Stimmen: 651, davon ungültige Stim- stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzent- men: keine. Mit Ja haben gestimmt: 540 Abgeordnete, wurf ist in zweiter Beratung bei einigen Enthaltungen mit Nein haben gestimmt: 98 Abgeordnete, Enthal- abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsord- tungen: 13. Der Gesetzentwurf ist damit angenom- nung die weitere Beratung. men. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache Ich danke bei dieser Gelegenheit den Schriftführern 12/4984 unter Nr. 6 weiterhin, den Antrag der Gruppe für das schnelle Auszählen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Unverzichtbarkeit des Asylrechtes abzulehnen. Wer stimmt für diese (Beifall) Beschlußempfehlung? — Gegenprobe? — Enthaltun- und ich danke allen, die mitgeholfen haben, daß die gen? — Die Beschlußempfehlung ist bei Gegenstim- heutige Sitzung so abgehalten werden konnte. men und einer Enthaltung angenommen. Ich schließe unsere heutige Tagesordnung und Unter Nr. 7 seiner Beschlußempfehlung schließlich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundesta- empfiehlt der Innenausschuß, den Antrag der Gruppe ges auf morgen, 27. Mai 1993, 9 Uhr, ein. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/1216 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Be- Ich wünsche noch einen guten Restabend. schlußempfehlung? — Gegenprobe? — Enthaltun- Die Sitzung ist geschlossen. gen? — Die Beschlußempfehlung ist bei Gegenstim- men und einer Enthaltung angenommen. (Schluß der Sitzung: 22.53 Uhr)

Damit komme ich zum Schluß der Abstimmung. Ich *) Werden in einem Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll abge- stelle fest, daß weit über 100 Erklärungen nach § 31 druckt. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13631*

Anlage zum Stenographischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Gerster (Mainz), CDU/CSU 26. 5. 93 Johannes Dr. Matterne, Dietmar SPD 26. 5. 93 Dr. Modrow, Hans PDS/Linke 26. 5. 93 Liste Neumann (Bramsche), SPD 26. 5. 93 Volker Oesinghaus, Günther SPD 26. 5. 93 Rappe (Hildesheim), SPD 26. 5. 93 Hermann

Nachtrag zum Plenarprotokoll 12/160

Deutscher

Nachtrag zum Stenographischen Bericht

160. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Inhalt:

Anlage 2 Regina Schmidt-Zadel SPD 13658* B Zu Protokoll gegebene Reden zu den Wolfgang Schulhoff CDU/CSU 13659* A Tagesordnungspunkten 1 bis 4 (Änderung Dr. R. Werner Schuster SPD 13660* A des Grundgesetzes — Artikel 16 und 18 — Horst Sielaff SPD 13661* A u. a.) Bärbel Sothmann CDU/CSU 13661* D Ingrid Becker-Inglau SPD 13633* A Uta Titze-Stecher SPD 13662* D Rudolf Bindig SPD 13633 * C Wolfgang Weiermann SPD 13663* C Lieselott Blunck (Uetersen) SPD 13635* A Matthias Weisheit SPD 13664* B Dr. Ulrich Böhme (Unna) SPD 13635* C Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD 13666* B Hans Martin Bury SPD 13636* B Jochen Welt SPD 13666* D Georg Brunnhuber CDU/CSU 13636* D Berthold Wittich SPD 13668* C Dr. Marliese Dobberthien SPD 13638* A Anlage 3 Dr. Konrad Elmer SPD 13639* C Erklärungen nach § 31 GO zur Abstim- Gerlinde Hämmerle SPD 13640* D mung fiber die in den Tagesordnungs- Dr. Uwe Holtz SPD 13641* C punkten 1 bis 4 aufgeführten Vorlagen Renate Jäger SPD 13643* B (Änderung des Grundgesetzes — Arti- kel 16 und 18 — u. a.) Karin Jeltsch CDU/CSU 13644 * B Robert Antretter SPD 13669* B Dr. Uwe Jens SPD 13645* A Jürgen Augustinowitz CDU/CSU 13669 * D Dr. Egon Jüttner CDU/CSU 13645* D Dr. Michaela Blunk (Lübeck) F.D.P. 13670* B Heide Mattischeck SPD 13646* C Dr. Eberhard Brecht SPD 13671 * A SPD 13647* A Peter Conradi SPD 13671* D Ulrike Mehl SPD 13648* A Carl Ewen SPD 13672* C Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 13649* C Horst Eylmann CDU/CSU 13673* A Alfons Müller (Wesseling) CDU/CSU 13650* A Katrin Fuchs (Verl), Dr. Diet rich Sperling und weitere Abgeordnete der Fraktion der Peter Paterna SPD 13651* A SPD 13673* C Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU 13653* C Günter Graf SPD 13676* D Bernd Reuter SPD 13654* C Dr. Renate Hellwig CDU/CSU 13677* C Heinz Rother CDU/CSU 13655 * D Reinhold Hiller (Lübeck) SPD 13679* A Roland Sauer (Stuttgart) CDU/CSU 13656 * D Stephan Hilsberg SPD 13679* D Ortrun Schätzle CDU/CSU 13657* C Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste 13690* B

II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Birgit Homburger F.D.P. 13681 * B Dr. Hans-Jochen Vogel SPD 13696* A Ilse Janz SPD 13682* B Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 13696* C Horst Jaunich SPD 13682* D Hans Wallow SPD 13697* A Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 13683* B Dr. Konstanze Wegner SPD 13697 * B Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P. 13683* C Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD 13697* D Walter Kolbow, Susanne Kastner, Verena Hanna Wolf SPD 13698* C Wohlleben SPD 13684 * A Jürgen Koppelin F.D.P. 13684 * D Anlage 4 Hans Koschnick SPD 13685* D Endgültiges Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Dr. Klaus Kübler SPD 13686* B Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes Hinrich Kuessner SPD 13686* D (Artikel 16 und 18) (Drucksachen 12/4152, 12/4984 Nr. 1) 13699* Editha Limbach CDU/CSU 13687* A Heinrich Lummer CDU/CSU 13687 * B Anlage 5 Michael Müller (Düsseldorf) SPD 13687 * D Endgültiges Ergebnis der namentlichen Margot von Renesse SPD 13688* A Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD (Drucksache Peter W. Reuschenbach SPD 13688* C 12/5019) 13702* Dr. Hermann Scheer SPD 13689* B Anlage 6 Siegfried Scheffler SPD 13690* A Endgültiges Ergebnis der namentlichen Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. 13691 * A Abstimmung über den Entwurf eines Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD 13691 * C Gesetzes zur Änderung asylverfahrens-, Dr. Christoph Schnittler F.D.P. 13692* B ausländer- und staatsangehörigkeitsrecht- licher Vorschriften (Drucksachen 12/4450, Dr. Rudolf Schöfberger, Hans Büttner (In- 12/4984, 12/4996) 13705* golstadt) und weitere Abgeordnete der Fraktion der SPD 13693* A Anlage 7 Antje-Marie Steen SPD 13694 * C Endgültiges Ergebnis der namentlichen Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU 13695* A Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen Joachim Tappe SPD 13695* A an Asylbewerber (Drucksachen 12/4451, Dr. Cornelia von Teichman F.D.P. 13695* C 12/5008 Nr. 1) 13708* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13633*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 2 - Rudolf Bindig (SPD): Unser Grundgesetz sieht vor, daß „Politisch Verfolgte" Asylrecht genießen. Dies bedeutet zugleich, daß denjenigen, welche aus Grün- Zu Protokoll gegebene Reden den der Armut oder wirtschaftlicher Erwartungen zu den Tagesordnungspunkten 1 bis 4 kommen, kein „Asylrecht" zusteht. Die zu lösende (Änderung des Grundgesetzes politische Aufgabe besteht darin, in einem effektiven — Artikel 16 und 18 — u. a.) rechtsstaatlichen Verfahren Entscheidungen darüber zu fällen, wer zu der einen und wer zu der anderen Gruppe gehört. Ingrid Becker-Inglau (SPD): Wir haben heute eine Entscheidung zu treffen, die weit über das Maß der Diese Aufgabe wahrzunehmen und dafür die recht- Entscheidungen, die wir Abgeordneten in unserer lichen, finanziellen und politischen Voraussetzungen alltäglichen Parlamentsarbeit zu treffen haben, hin- zu schaffen ist in erster Linie Aufgabe des Bundesge- ausgeht. Das 1949 im Grundgesetz in Artikel 16 Abs. 2 setzgebers, der Bundesregierung und hier speziell des ohne Zusätze festgelegte Grundrecht auf Asyl für Bundesinnenministers. Es ist festzustellen, daß die politisch Verfolgte ist damals aus den noch frischen Bundesregierung dieser von ihr wahrzunehmenden Erfahrungen der Menschen, die das Dritte Reich Aufgabe viele Jahre lang nicht im möglichen Umfang erlebt haben, formuliert worden. Ich möchte, daß nachgekommen ist. Statt das Verfahren zwar rechts- dieses Grundrecht für politisch Verfolgte nicht ange- staatlich, aber effektiv zu gestalten, haben die Bun- tastet wird. desregierung und die sie tragenden Parteien im Bun- destag zugelassen, daß ein an Umständlichkeit und Im vergangenen Jahr haben wir nach langen und Kompliziertheit kaum zu überbietendes Verfahren zähen Diskussionen ein Asylverfahrensbeschleuni- zwischen Ausländeramt und Bundesamt für die Aner- gungsgesetz verabschiedet; diesem habe ich auch kennung ausländischer Flüchtlinge zu durchlaufen l 1993 ist es in Kraft. Eine zugestimmt. Seit Ap ri war, wobei die Akten nicht nur von verschiedenen Erfahrung mit dem Gesetz ist nicht abgewartet wor- Sachbearbeitern bearbeitet wurden, sondern auch mit den. Ebenso ist ein lange nötiges und auf die realisti- langen Transportwegen verschickt werden mußten. tion bei uns ausgerichtetes Einwanderungs- sche Situa Insbesondere das Bundesamt für die Anerkennung gesetz von den Sozialdemokraten gefordert, aber von ausländischer Flüchtlinge, für welches die Bundesre- der Bundesregierung nicht realisiert, auch für die gierung zuständig ist, war lange Zeit mit Personal und Zukunft nicht geplant. Sachmitteln vollkommen unzureichend ausgestattet. Ebenso hätte ich erwartet, daß bei einer Neurege- Mit einfacher Mehrheit — ohne Grundgesetzände- lung des Asylrechts wenigstens der Mißbrauch des rung — hätten die Regierungsparteien schon lange bisherigen Asylrechts durch die Kommunen im Falle dieses Verfahren verändern und straffen können, wie der Bürgerkriegs- und Kriegsflüchtlinge geregelt wor- es erst in der jüngsten Zeit geschehen ist. den wäre. Diese notwendigen finanziellen Rege- lungen für die Kommunen fehlen. Die Bewäl tigung Die Bundestagsmehrheit und die Bundesregierung der Unterbringung, d. h. Versorgung mit Woh- haben jedoch geradezu eine Rechtssetzungsverwei- nung, Lebensunterhalt und Arbeit, verbleibt weiter- gerung und Rechtsanwendungsverweigerung betrie- hin ohne besondere Unterstützung bei den Kom- ben, statt ein effektives, rechtsstaatliches Entschei- munen. Das bedeutet, daß die Hoffnungen der Städte dungsverfahren zu schaffen. Diese Misere im Verfah- und Kommunen sehenden Auges nicht erfüllt wer- rensbereich hat immer neue Probleme geschaffen, da den. durch die langwierigen und schleppenden Verfahren auch in unbegründeten Fällen langfristige Aufent- Das neue Asylrecht wird in meinen Augen keinen haltsmöglichkeiten bestanden, ohne daß mit baldiger abhalten, der sich vorgenommen hat, in die Bundes- Entscheidung und gegebenenfalls Ablehnung des republik zu fliehen. Er wird den Weg in die Illegalität Antrags zu rechnen war. Dies — und weitere günstige suchen und damit die nicht ausgereifte Drittstaatenre- Regelungen — hat wiederum Wirtschaftsflüchtlinge gelung aushebeln. Nur demjenigen, der wirklich geradezu angelockt, was die Zahl der unerledigten politisches Asyl sucht, wird der Weg in die Bundesre- Anträge weiter nach oben getrieben hat. Das Verwal- publik erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Ich tungsproblem hat so zum Teil das Zugangsproblem frage, wer wird in einem Land, aus dem er wegen der großen Zahl selbst mitgeschaffen. Die Nichtschaf- Verfolgung geflohen ist und nun zurückgeschoben fung und Nichtausschöpfung der rechtlichen Mög- wird, die Chance haben, seine Verfolgung von dort lichkeiten, zügige Entscheidungen und gegebenen- aus nachzuweisen. Ich prophezeie Ihnen, kaum einer, falls anschließende Rechtsverfahren abzuwickeln, um nicht zu sagen: niemand. hat, verstärkt durch die Entwicklung nach dem Fall der Mauer, zu dem Berg von über 400 000 unerledig- Ich lehne den Asylkompromiß ab, weil ich das ten Anträgen geführt. Asylrecht für politisch Verfolgte in Art. 16a für eine Formulierung halte, die ich durch die folgenden Aus der langen Verschleppung von Entscheidun- Sätze b, c, d in ihrer Wesensart wieder aufgehoben gen und der Tatsache, daß damit letztlich Nichtasyl sehe, und weil ich die notwendig zu lösenden Pro- berechtigte die Möglichkeit hatten, sich zum Teil bleme der zunehmenden Zuwanderung nicht gelöst jahrelang in der Bundesrepublik Deutschl and aufzu- sehe. halten, ist die „Mißbrauchsdiskussion" entstanden. 13634* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Diese erfuhr dadurch Verstärkung, daß wiederum holt, so daß im April 1993 erstmals seit Jahren wieder durch Nichtausschöpfung möglicher identitätsver- mehr Fälle entschieden werden konnten, als es gleichender Möglichkeiten einige Asylbewerber- Zugänge gab. Effektive und schnelle Entscheidungen Mehrfachleistungen erhielten. Sicherlich ist der Ver- haben zudem umgekehrt wie schleppende Behand- such der Betroffenen, sich so Vorteile zu verschaffen, lungen, die zu einem Anlockeffekt führen, eine Ver- Mißbrauch; aber der eigentliche Skandal besteht stärkungswirkung auf einen Rückgang der Bewerber- darin, daß der Innenminister und die Mehrheitspar- zahlen. Insbesondere Schlepperorganisationen wird teien im Bundestag diesen Mißbrauch so lange zuge- der Boden entzogen, wenn sich herumspricht, daß lassen haben, obwohl sie ihn — ohne Grundgesetzän- Flüchtlinge bei unbegründeten Fällen durch schnelle derung — hätten abschaffen können. Entscheidungen im Verwaltungs- und gegebenenfalls im Rechtsverfahren bald wieder ausreisen müssen. Aus einer Mischung von Unvermögen und bewuß- Da es andere Wege einer wirksamen Begrenzungs- tem Schleifenlassen hat die Bundesregierung das regelung gegeben hätte und hat als durch eine Grund- Asylproblem immer weiter wachsen lassen. Dabei hat gesetzänderung, welche auch für wirklich politisch sicherlich auch die parteipolitisch-strategische Ab- Verfolgte die Gefahr eines nicht ausreichenden Schut- sicht mitgespielt, dieses Thema als innenpolitisches zes beinhaltet, werde ich dieser Form der Grundge- und parteipolitisches Kampfmittel einzusetzen, da setzänderung nicht zustimmen. Die Gefahr eines bekannt war und ist, daß Sozialdemokraten, welche in Abbaues von Schutzrechten für wirklich Verfolgte ihrer Geschichte selbst das Schicksal politischer Ver- liegt vor allem darin, daß jetzt mit einfacher Mehrheit folgung und Unterdrückung haben erleiden müssen, die Zahl der angeblichen Nichtverfolgerstaaten durch sensibel auf Einschränkung oder Abschaffung des einfachgesetzliche Möglichkeiten auch auf Problem- Schutzrechtes für politisch Verfolgte reagieren. Mit länder ausgedehnt werden kann. Die Diskussion um der Nichtschaffung von wirksamen Auswahl- und die Aufnahme Rumäniens, Indiens und der Türkei Entscheidungsverfahren ließ sich wegen der so immer zeigt, in welche Richtung die Demontage des hohen größer werdenden Zahl der „Mißbrauchsfälle" der Rechtsgutes „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" Unmut in Teilen der Bevölkerung so weit steigern, daß laufen kann. Eine Grundgesetzänderung, welche eine schließlich von diesen nur noch in der Grundgesetzän- Angleichung des Rechtsstandards auf hohem Niveau derung mit weitgehender Einschränkung des von den auf europäischer Ebene erlauben und erleichtern Konservativen ungeliebten „Grundrechts auf Asyl" würde, könnte zu einer besseren Lastenverteilung des eine Lösung der Asylproblematik, d. h. einer wirksa- Flüchtlingsproblems in Europa beitragen, eine solche men Begrenzungsregelung, gesehen wurde. Grundgesetzänderung wäre vertretbar und würde von mir mitgetragen. Der Bund konnte sich das Treibenlassen des Asyl- problems auch deshalb leisten, weil er zwar für die Gänzlich unakzeptabel ist die vorgesehene Rege- Schaffung neuer Regelungen und Verfahren rechtlich lung des § 34 a (Rechtsschutz im Asylverfahren), zuständig war, aber die Nichtwahrnehmung seiner wonach zum ersten Mal in der bundesdeutschen Aufgaben von ihm finanziell nicht zu tragen war, da Rechtsgeschichte Ge richten ein Eingreifen vor Voll- die Kosten der Unterbringung und für Sozialhilfelei- zug einer Verwaltungsentscheidung untersagt wer- stungen von den Ländern und vor allem den Kreisen den soll. Dies ist mit Artikel 20 GG nicht vereinbar. und Gemeinden aufzubringen waren. Der Bund hat Wenn die Mehrheit der Koalitionsfraktionen des Bun- den Städten und Gemeinden jahrelang enorme finan- destages bereit ist, einer offensichtlich verfassungs- zielle Opfer abverlangt, ohne selbst an der entschei- widrigen Gesetzesregelung im Bundestag die Zustim- denden Stelle, beim Bundesamt für die Anerkennung mung zu geben, macht dieses deutlich, wie weit die ausländischer Flüchtlinge, die notwendige finanzielle Hemmschwellen gegen die Verletzung des Rechts- und vor allem personelle Ausstattung zu schaffen. staatsprinzips bei CDU/CSU und in der F.D.P. in der Durch die Nichtschaffung eines Sonderstatus für Bür- Asylfrage bereits abgebaut sind. Selbst wenn ziemlich gerkriegsflüchtlinge wurden aus Kostenverteilungs- sicher ist, daß diese Norm vor dem Bundesverfas- gründen zudem Hunderttausende von Bürgerkriegs- sungsgericht keinen Bestand haben wird und so flüchtlingen in das Asylverfahren geradezu hineinge- — hoffentlich — Be troffenen keinen Schaden zufügen drängt. Auch dadurch wurden die Zugangszahlen für wird, macht dieser Fall der bewußten Verabschiedung Asylbewerber künstlich nach oben getrieben. einer verfassungswidrigen Regelung deutlich, wie schwer ein Abbau des hohen Rechtsschutzstandards Eine Bereitschaft zur Änderung der Strategie des im Asylbereich durch einschränkende Grundgesetz- Treibenlassens trat erst ein, als sich abzeichnete, daß änderungen wiegen kann. Die Alternative für mich das politische Kalkül, der SPD die Asylmisere anzula- wäre gewesen und bleibt, den hohen Standard des sten, nicht in erwarteter Weise aufging, sondern daß Schutzes wirklich politisch Verfolgter beizubehalten sich diese Praxis durch Erstarken des Rechtsradikalis- und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, effektiv und mus und der Republikaner gegen die CDU/CSU selbst rechtsstaatlich zu entscheiden, wem Asylrecht und zu richten begann. Nach dem Machtverlust der allei- gegebenenfalls ein Bleiberecht nach der Genfer nigen Mehrheit in. Baden-Württemberg war plötzlich Flüchtlingskonvention zusteht und wem nicht. Dies in kurzer Zeit ein Asylverfahrensbeschleunigungsge- schließt in Fällen von Nichtberechtigung die wirk- setz möglich, welches, Jahre vorher geschaffen und same Umsetzung aufenthaltsbeendender Maßnah- umgesetzt, das „Asylproblem" in den bekannten men ein. Ausmaßen gar nicht hätte entstehen lassen. Jetzt erst Die Notwendigkeit, Regelungen im Asylbereich zu wurden jahrelange Versäumnisse der Ausstattung mit treffen, darf den Blick zudem nicht verstellen, daß die Personal und Sachmitteln beim Bundesamt nachge eigentliche politische Aufgabe darin besteht, die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13635*

Gründe zu bekämpfen, weshalb Menschen ihre Hei- wird. Sie werden die Zunahme der illegalen Einwan- mat als politisch Verfolgte oder als Armutsflüchtlinge derer, die Zunahme an Kriminalität wahrnehmen. Ich oder wegen wirtschaftlicher Hoffnungslosigkeit- ver- glaube, die Probleme der Bürger und Bürgerinnen lassen oder verlassen müssen. Dieser Aufgabe gilt es, werden nicht abnehmen, im Gegenteil, sie werden sich verstärkt zuzuwenden. zunehmen. Ich würde mich freuen, wenn ich unrecht hätte.

Lieselott Blunck (Uetersen) (SPD): Die Glaubwür Die Menschen werden den Parteien wegen ihrer digkeit der Politik — und damit das Vertrauen der Unaufrichtigkeit die Politikfähigkeit absprechen. Da- Bürger und Bürgerinnen in Politiker/Politikerinnen — gegen hilft nur Ehrlichkeit. Und ehrlich ist es, den bemißt sich nicht nach der Anzahl der verabschiede- Menschen zu sagen: Wir können den Zustrom nicht ten Gesetze, nicht nach dem opportunistischen Drauf begrenzen; wir können nur versuchen zu kanalisie- springen und Hinterherlaufen der vermeintlichen ren. Und das wird mit dieser Grundgesetz-Änderung Mehrheitsmeinung. eher erschwert denn erleichtert. Die Glaubwürdigkeit bemißt sich auch nicht an der Sofortige Behördenkontakte sind ein minimales Fähigkeit, populistisch andere Probleme — wie die Hemmnis, sofort in die Kriminalität abzuwandern. Die Finanzierung der deutschen Einheit, Wohnungsnot, Grundgesetz-Änderung läßt uns die Menschen steigende Kriminalität — oder eigene Verfehlungen, abschieben, und sie werden illegal wieder herein- z. B. Wahllügen, zu verdrängen und auf die bei uns um kommen. Asyl bittenden Menschen zu reduzieren, sie zu den Aber unterhalb der Verfassungsänderung können eigentlichen Sündenböcken abzustempeln. wir eine Menge mehr tun. Dazu bin ich bereit und Herr Schäuble ist ein Meister darin, aber auch werde selbst für unpopuläre Maßnahmen meinen andere aus den Regierungsparteien stehen ihm nur Kopf hinhalten. Diese Änderung des Grundgesetzes wenig nach. Das gipfelt in der Diffamierungskam- kann ich allerdings nicht mittragen. pagne gegen meine Partei: „Jeder Asylant — ein SPD-Asylant", so tönte Herr Rühe. Und all dies nur, (Unna) (SPD): „Die Würde des weil Sozialdemokraten nun einmal nicht so leichtfer- Dr. Ulrich Böhme Menschen ist unantastbar" , dieses Grundrecht steht in tig das Grundgesetz ändern wollten. unserer Verfassung an erster Stelle. Uns allen wird Die Verfassung ändern Sozialdemokraten nicht so damit die Verpflichtung auferlegt, die Würde des en passant, nicht ohne zu wissen „wie" und nicht ohne Menschen zu achten und zu schützen. zumindest den Versuch zu unternehmen, die Auswir- Eine Änderung des Grundgesetzes, die weder das kungen in ihrer ganzen Tragweite abzuschätzen. individuelle Grundrecht auf Asyl noch die Rechtswe- Allerdings sind auch Sozialdemokraten nicht gefeit gegarantie ausreichend beachtet, ist deshalb mit mei- gegen die ständigen Anwürfe der Straße. Nicht zuletzt nem demokratischen und christlichen Weltbild nicht die entsetzlichen Wahlerfolge der extremistischen vereinbar. Parteien, aber auch die klammheimliche Freude der Illegale Einwanderung mit Hilfe von kriminellen Biedermänner beim Zusehen der Gewalttaten Ju- Schlepperorganisationen, welche den ohnehin armen gendlicher hat zu der Überlegung geführt, ob nicht Flüchtlingen noch den letzten Rest ihrer Habe rauben, doch eine Änderung des Grundgesetzes die Exzesse lehne ich entschieden ab. Diesen Kriminellen, die aus beenden hilft. dem Elend der Menschen noch Nutzen ziehen, muß Ich will nicht mißverstanden werden: Ich sehe die das Handwerk gelegt werden. Not der Kommunen; ich sehe die Wut der Alleinerzie- Ich möchte auch nicht, daß der soziale Frieden henden, wenn sie keine Wohnung bezahlen kann und durch unerträglich hohe Einwanderung gefährdet hört, wieviel Geld für die Hotelunterbringung eines wird, aber: Asylbewerbers aufgebracht wird. Ich sehe auch die Not der Armutsflüchtlinge, die hier für sich und ihre Dies alles hat nichts mit dem Menschenrecht auf Familien ein besseres Leben erhoffen. Ich erkenne die Schutz von Leib und Leben jedes einzelnen zu tun, wie Unsinnigkeit, die darin besteht, daß hier in der Bun- dies in Artikel 3 unseres Grundgesetzes festgeschrie- desrepublik jemandem ein Geldbetrag in Form von ben ist. Demnach darf niemand „wegen seines Sozialhilfe gezahlt wird, von dem in seinem Heimat- Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, sei- land mindestens 10 Menschen überleben könnten. ner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschau- Mit Recht erwarten die Menschen von uns Taten! ungen benachteiligt", also diskriminiert, verfolgt oder Aber Taten können nicht sich darin beschränken, — wie in vielen Ländern dieser Welt noch immer — nach dem Strohhalm Grundgesetz-Änderung zu grei- sogar getötet werden. fen, ohne die eigentlichen Ursachen der Migra tion zumindest anzugehen. Und Taten dürfen sich auch Dies betrifft auch die große Gruppe der Bürger- nicht darin erschöpfen, nur Symbole vor sich herzu- kriegsflüchtlinge, die besonders rasche und unbüro- tragen — die Menschen müssen die Taten in ihrem kratische Hilfe brauchen. täglichen Leben erkennen. Würden nicht auch wir alles daran setzen, ein L and Meine Überzeugung ist, die Menschen in der Bun- zu verlassen, in dem Armut, Hunger, Krankheit und desrepublik werden spätestens in einem halben Jahr Tod herrschen? Ist es überhaupt möglich, in einem erfahren, daß der Zustrom an Fremden nicht begrenzt solchen Land noch ein menschenwürdiges Leben zu 13636* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 führen? Dies möchte ich vor allem denjenigen zu einen gesellschaftlichen Konsens wieder, der Solida- bedenken geben, die gegen die sogenannten „Wirt- rität als Grundvoraussetzung für Gemeinschaft bein- schaftsflüchtlinge" meinen ins Feld ziehen zu müs- haltet, oder die Debatte über die Frage, wer in dieser sen. Gesellschaft leben darf, ist ohnehin sinnlos. Dies möchte ich diejenigen fragen, die sich noch nie Es ist ohne Zweifel berechtigt, sogar notwendig, daß die Mühe gemacht haben, sich in einen Gefolterten, in ein Staat auch regelt, wen er aufnimmt. Zuwande- eine vergewaltigte Frau, in ein verwundetes Kind rungspolitik ist also angesichts weltweiter Wande- hineinzuversetzen. rungsbewegungen unabdingbar. Und dies möchte ich denjenigen in unserer Repu- Doch eine ehrliche Zuwanderungspolitik vermeidet blik ins Gesicht schreien, die im Faschismus geistigen die Mehrheit dieses Hauses. Statt dessen wird denje- Rückhalt suchen, die Brandsätze gegen hilflose Men- nigen, über deren Aufnahme es in der Bevölkerung schen werfen, die Ausländer zusammenschlagen und keine Auseinandersetzung gibt, erschwert, zum Teil die einem neuen Nationalismus das Wort reden. faktisch unmöglich gemacht, in Deutschland Schutz All diejenigen in unser Land zu holen, die Schmerz, vor ihren Mördern und Folterern zu bekommen. Unterdrückung und Elend erfahren müssen, ist keine Obwohl angeblich weitere Zuwanderung nicht zu Lösung. verkraften ist, sollen aber andere noch siebzig Jahre lang in die Bundesrepublik kommen können, nur weil Ich fordere deshalb die Regierungsparteien auf, sich ihre Vorfahren einmal deutsche Vorfahren hatten. mehr in der Entwicklungspoli tik zu engagieren, sich stärker für den Aufbau einer funktionierenden Wirt- Der heute debattierte Kompromiß ist der Gipfel der schaft in den Ländern der Dritten und Vie rten Welt Verlogenheit in einer an Lügen nicht gerade armen einzusetzen, also die Gründe für Flucht und Vertrei- Zeit. Und wenn der Bundesminister des Innern von bung zu beseitigen. einem Zeichen internationaler Solidarität spricht, Für diejenigen Männer und Frauen, die sich bis in wenn er einen Kontrakt über die Abschiebung von unser Land durchschlagen konnten, fordere ich eines- Menschen abschließt, markiert dies die Perversion des teils eine rasche Entscheidung darüber, ob sie nach Denkens. geltendem Recht Asyl erhalten können oder nicht; für Diese Bundesregierung fördert oder duldet sti ll die anerkannten Asylbewerber fordere ich Maßnah- -schweigend die Exporteure des Todes und miß- men zur raschen Integra tion und eine politische braucht dann die Opfer für eine Militarisierung der Öffentlichkeitsarbeit, die dem faschistischen Slogan Politik und eine Abschottung unseres L andes. Im „Deutschland den Deutschen" unmißverständlich ehemaligen Jugoslawien morden alle Kriegsparteien Artikel 1 Abs. 3 GG entgegenhält, der sagt: „Das mit deutschen Maschinenpistolen, und die Bundesre- Deutsche Volk bekennt sich (...) zu unverletzlichen gierung tut nichts, um Lieferwege und Verantwortung und unveräußerlichen Menschenrechten als Grund- zu klären. Im Gegenteil, sie nährt durch Nichtstun und lage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens Verschweigen den Verdacht, mit den Waffenhändlern und der Gerechtigkeit in der Welt." unter einer Decke zu stecken. Zu diesen unverletzlichen und unveräußerlichen Wenn wir dazu beitragen wollen, Fluchtursachen zu Menschenrechten gehört auch das Recht auf Asyl, das mindern, dann müssen wir z. B. dafür sorgen, daß die Recht auf Schutz vor Verfolgung, Folter und Mord. Mörder und Verfolger keine Waffen mehr von uns Aus dieser Überzeugung heraus lehne ich die beab- bekommen. Den SPD-Antrag, ein Rüstungsexportver- sichtigte Änderung des Asylrechts in der vorliegen- bot im Grundgesetz zu verankern, haben CDU/CSU den Form ab. und FDP aber abgelehnt. Wenn wir dazu beitragen wollen, Fluchtursachen zu Hans Martin Bury (SPD): Unsere Demokratie wird mindern, dann müssen wir z. B. dafür sorgen, daß nicht bedroht durch sogenannte Scheinasylanten, Menschen in ihren Ländern eine Perspektive haben. sondern durch Scheinpolitiker, die Placebos fertigen, Den SPD-Antrag, die Entwicklungshilfemittel konti- Beruhigungsmittel, die sie mit dem Namen Grundge- nuierlich zu erhöhen, haben CDU/CSU und FDP aber setzänderung unter die Bevölkerung streuen wie abgelehnt. Unsere Initiativen für eine andere Sand in die Augen. Umwelt-, insbesondere Energiepolitik, die Umwelt- Dabei brauchen wir alles andere als Beruhigung. katastrophen vermeidet, lehnen sie ab. Unruhe müßte sich ausbreiten unter Demokraten Machen wir uns keine Illusionen. Die Menschen, angesichts der Politik des Scheins. die sich von Politik abwenden, gewinnen wir nur mit Weltweit sind Menschen auf der Flucht und ein Teil Politik zurück. Nicht mit halbherzigem, herzlosem von ihnen kommt hierher und erinnert uns an unsere Ersatz für unterlassenes Handeln. Verantwortung. Wir haben zum Aufbau unseres Wohlstandes die Fundamente des Lebens anderer Dieser Kompromiß bringt vielleicht manche über Völker und kommender Generationen als Steinbruch die nächste Wahlhürde. Aber ihr Sieg wäre ein Verlust mißbraucht. Die Menschen ahnen längst, daß die an Zukunftschancen für uns alle. Politik des „Weiter so" in die Sackgasse führt. Die geistig-moralische Wende rückwärts, die nur Georg Brunnhuber (CDU/CSU): Unsere ganze noch Werte übrigließ, die sich in konvertibler Wäh- Debatte zur Änderung des Art. 16 hat schon etwas rung messen lassen, ist am Ende. Entweder wir finden Gespenstisches, wenn m an die Fakten betrachtet. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 1363*

Nach der Überflutung unseres Landes mit Zuwan- Wer will eigentlich ernsthaft Einwände erheben, daß derern im Jahr 1992 haben wir jetzt schon wieder eine Asylgewährung grundsätzlich ausgeschlossen Monatsquoten von 36 000 im Januar, 38 000- im sein muß, wenn auf Grund völkerrechtlicher Verträge Februar und in März/April je 43 000 — macht zusam- ein anderer Staat für die Durchführung des Asylver- men 161 324 — erreicht. Es ist das gute Recht von fahrens zuständig ist und dieser die Genfer Flücht- Parteien, Interessenverbänden und einzelnen Abge- lingskonvention beachtet? . Und wo sind ernsthafte ordneten und Bürgern, differenziert oder pauschal Argumente dagegen, daß unter Beachtung der Genfer gegen die Reform des Asylrechts zu protestieren; auch Flüchtlingskonvention in einem verkürzten und ver- der Einsatz von Polemik als Mittel der politischen einfachten Verfahren beschieden wird, wer aus einem Auseinandersetzung ist sicherlich im Vorfeld erlaubt. verfolgungsfreien Herkunftsland oder aus einem Aber nun ist der Zeitpunkt gekommen, endlich eine sicheren Drittstaat kommt oder aus einem L and, in Entscheidung zu treffen, die dazu geeignet ist, das dem er in einem rechtsstaatlichen Verfahren und nach lange verschleppte Problem zu lösen. Unsere Bürger den Maßstäben der Genfer Flüchtlingskonvention haben kein Verständnis für weitere Verzögerungen. bereits als Asylbewerber abgelehnt worden ist? Ich Zu viel Zeit ist bereits ins Land gegangen, ohne daß kann solche Argumente nicht finden. Ich halte es nicht etwas Substantielles bewegt wurde. Insgesamt zehn für vertretbar, wenn auf die Dauer Politik gegen den Novellen zur Beschleunigung der Asylverfahren wur- erkennbaren Willen der Mehrheit unserer Bevölke- den seit 1978 beschlossen, und dennoch sind die rung gemacht wird. Die Gegner der Grundgesetzän- Asylbewerberzahlen ständig gestiegen. derung sollten sich in ihren Wahlkreisen einmal genauer oder ehrlicher umschauen. Die Belastungen Wir haben uns diese Entwicklung selber zuzu- durch die Hunderttausende von Asylbewerbern sind schreiben: In keinem anderen Land wird das Krite- in den Kommunen gewaltig. Ich erhalte seit Monaten rium des politischen Asyls so weit ausgelegt und so Briefe von Gemeinderäten und Bürgermeistern, die liberal gehandhabt wie bei uns. In keinem unserer wahrlich nicht alle der CDU angehören, mit Klagen Nachbarländer ist ein vergleichbarer Standard der über Unterbringungs- und Ordnungsprobleme und finanziellen Leistungen an Asylbewerber zu beobach- auch mit Hinweisen auf die Stimmung in der Bevöl- ten. Kein anderes Land macht sich in derar tig eviden- kerung gegenüber den Asylbewerbern. Behaupten ter Weise attraktiv für Wirtschafts- und Armutsflücht- Sie nicht, daß man sich seit dem Asylkompromiß im linge aus aller Welt. Unsere europäischen Nachbar- Lande beruhigt habe. Im Vertrauen darauf, daß der staaten, die ebenso wie wir die Genfer Flüchtlings- Bundestag eine schnelle und greifende Lösung verab- konventionen übernommen haben, gewähren poli- schiedet, war es tatsächlich etwas stiller geworden. tisch Verfolgten auch Asyl. Sie stehen mit Erfolg und Aber das ist nur als Abwarten zu we rten. ohne in den Geruch der Fremdenfeindlichkeit zu geraten, auf dem Standpunkt, daß die Gewährung des Bei einer Ablehnung der Vorschläge wird die Unge- Asylrechts doch nur dann geboten ist, wenn der duld und der Verdruß in der Bevölkerung doppelt Asylbewerber tatsächlich schutzbedürftig ist und ausbrechen und der Ärger über das Unvermögen des nicht nur unterstützungsbedürftig oder einfach besser Parlaments, zu brauchbaren Lösungen zu gelangen, leben will. die dem Wohlergehen der Bevölkerung dienen sollen, auf uns alle zurückschlagen. Wer sich aus den bürger- Was jetzt als Ausländerfeindlichkeit bezeichnet lichen Parteien gegen die Grundgesetzänderung und wird, ist Ausdruck des Unbehagens über den jahre- die Begleitgesetze stemmt, der verstößt in meinen langen Mißbrauch des Asylrechts. Es ist das Mißfallen Augen gegen seinen Auftrag als Abgeordneter — über großzügige Alimentation aus Steuergeldern von nämlich im Sinne und zum Wohle der Wähler zu Scheinasylanten, deren Auftreten besonders in klei- handeln. Die Wählermeinung ist bei diesem Thema neren Gemeinden sicherlich auch Unverständnis über m-eindeutig, das belegen alle Umfragen und die Sti deren Andersartigkeit, Ärger über die völlig verfehlte men der kommunalen Verwaltungen in den Wahl- Abschiebungspraxis, die sich hinter scheinhumanitä- kreisen. Diejenigen, die gegen die vorgegebene ren Argumenten versteckt, und auch Furcht wegen Lösung sind, haben keine Kenntnis von Bürgermei- der hohen Kriminalitätsrate. Aber solange den Ursa- nung und Stimmungslage im Lande. Sie laufen viel- chen nicht Rechnung getragen wird, besteht auch mehr Gefahr, daß die Antihaltung gegen Asylbewer- keine Chance auf eine Besserung der Stimmung und ber weiter bedrohliche Formen annehmen wird und auf mehr Verständnis in der Bevölkerung. sich generell gegen Ausländer richtet. Wer davon die Fremdenfeindlichkeit kann auch herbeigeredet Nutznießer sind, braucht wohl nicht weiter erörtert zu werden. Man soll sich nicht einbilden, daß die Bevöl- werden. kerung eine multikulturelle Gesellschaft will. Jedes Aber noch ein Gedanke: Spekulationen hin, Pro- Volk, auch in einer größer werdenden europäischen gnosen her — die längerfristigen Tendenzen sind Gemeinschaft, will noch seine eigene Identität erken- erkennbar. Die heutigen Versäumnisse werden einen nen können. Wir werden es auf Dauer auch nicht hohen Preis haben; unsere Nachfahren werden ihn durchhalten, beim Asylrecht einen europäischen Son- begleichen müssen. Die Hypotheken, die wir unseren derweg zu gehen — schon gar nicht gegen den Willen Kindern und nachfolgenden Generationen hinter- unserer Bevölkerung. lassen, sind mit Händen zu greifen, Hypotheken wie Die Maßnahmen, die getroffen werden müssen, ethnische und soziale Spannungen, das Hauptcharak- richten sich nicht gegen politisch Verfolgte. Da wir ja teristikum der vielbesungenen Multikultur auf dicht wollen, daß politisch Verfolgte im Sinne der Genfer besiedeltem Raum. Deshalb ist unverzichtbar, daß die Flüchtlingskonvention auch weiterhin in Deutschland Grundgesetzänderung sowie die damit zusammen- als Asylberechtigte anerkannt werden, frage ich mich: hängenden weiteren Änderungen des Ausländer- und 13638* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Asylverfahrensrechts sowie das Asylbewerberlei- Deutschland, trotz geringerer Einwohnerzahl und stungsgesetz so rasch wie möglich in Kraft gesetzt Wirtschaftskraft. Bei Vergleichen Flüchtlinge pro werden. - Kopf der Bevölkerung erreicht die Bundesrepublik einen wenig schmeichelhaften 13. Platz, weit abge- Dr. Marliese Dobberthien (SPD): Weltweit sind mehr schlagen hinter Hungerleiderländern wie Sudan, als 18 Millionen Menschen auf der Flucht. Von ihnen Malaysia, Malavi, Honduras (laut Globale Trends erreichen 5 % die westeuropäischen Länder und nur 1991, S. 101f.). 2 % bis 2,5 % die Bundesrepublik Deutschland. Die Zweifelsohne ist der Versorgungsstandard der Menschen fliehen vor Hunger, Terror, Folter, Krieg Flüchtlinge in den Armutsländern zwangsläufig dürf- und Bürgerkrieg, vor Verfolgung und Vergewalti- tiger als bei uns. Jene Auswüchse an Haß, Diskrimi- gung, vor Not, Elend und Aussichtslosigkeit. In hun- nierung und Gewalt, die Asylbewerbern hierzulande dert Ländern dieser Welt wird gefoltert, in 26 Ländern entgegengebracht werden, sind jedoch viel beschä- verschwinden Menschen spurlos, in 45 Ländern gibt mender als jene ärmliche Versorgung dort. Beschä- es Hinrichtungen ohne Prozesse; in 33 Ländern wer- mend vor allem in einem Land, das erschütternde den Todesurteile vollstreckt, berichtet amnesty inter- Flüchtlingsschicksale aus der Zeit der eigenen national. Geschichte nur allzugut kennt. Diese historische Zwischen der Verletzung von Menschenrechten Erfahrung darf niemals vergessen werden! und großen Flüchtlingsbewegungen besteht ein In unserer Verfassung steht, daß die Würde des enger Zusammenhang. Das war vor hundert Jahren Menschen unantastbar ist. Nirgends aber steht, daß nicht anders als heute. Wer in seinen/ihren elementa- dieser Satz nur für die deutschen Menschen gilt. ren Grundrechten verletzt wird, wer Verfolgung, Dieselben, die heute davon träumen, daß Deutschl and Diskriminierung, Unterdrückung und Not nicht mehr wieder eine „wichtigere Rolle" in der Welt einnehmen erträgt, verläßt sein/ihr L and, wenn sich nur eine möge, dieselben, die eine „neue Verantwortung" Gelegenheit bietet. Wer sein/ihr Heimatland verläßt, wünschen, könnten diese statt durch Militäreinsätze trifft eine schwere Entscheidung. Denn wer geht, viel besser durch eine kluge, neue, hum ane Flücht- verliert auch seinen/ihren Kulturkreis, die Kommuni- lingspolitik beweisen. Denn während für Wirtschafts- kation in der eigenen Sprache, Freunde, Verwandte und Währungsfragen ein hoher Grad der Organisiert und muß sich einlassen auf das Unbekannte, Ferne, oft heit in der internationalen Politik besteht, ist die Feindliche. Die Erfahrungen in der Fremde sind nicht Migration und Fluchtursachenbekämpfung bis heute immer erfreulich. Die Sprache ist verräterisch. Im so gut wie kein Thema der internationalen Diplomatie Mittelalter war die Wanderung in die Fremde gleich- und Koordination geworden. Sie wird meist Hilfsorga- bedeutend mit der Wanderung ins Elend. Kaum nisationen überlassen, ist aber nicht Gegenstand jemand geht gern oder freudig in die Fremde. Die internationaler oder zumindest EG-weiter Konferen- Zustände in der eigenen Heimat müssen schon uner- zen. Dabei hat sich gegenüber den globalen Migra- träglich sein, bevor man/frau sich zu einem solchen tionsströmen die nationale Abschottungspolitik bisher Schritt entschließt. Glaubensverfolgung und Exi- als wenig wirksam erwiesen. Darum bezweifle ich, ob stenznot waren die wichtigsten Auswanderungsmo- der Weg, den die Bundesrepublik Deutschland heute tive der Siedler des „wilden Westens". Menschen- einschlagen will, das erwünschte Ergebnis bringen rechtsverletzungen und wi rtschaftliche Not sind auch wird. Wer kann denn ernsthaft prognostizieren, daß heute zentrale Motive, der eigenen Heimat den Rük- die Flüchtlingsströme künftig abebben werden? Im ken zu kehren. Die Not muß schon gewaltig sein, Gegenteil: viele erwarten zusätzliche Flüchtlings- wenn selbst die Bilder von brennenden Asylbewer- ströme aus den zerfallenden früheren Ostblockstaa- berheimen und ermordeten Opfern die Wanderungs- ten, wenn die Wucht von überwunden geglaubten bewegung nicht abschwächen. Auch die furchterre- nationalistischen Konflikten den Bruder/die Schwe- genden Bilder von irregeleiteten, fanatisierten und ster zum Feind werden läßt. gewalttätigen Jugendlichen schrecken die Elenden und Verzweifelten nicht ab, Aufnahme in unserem Wer glaubt denn, daß all diese Menschen geduldig Land zu erbitten. in ihrer Heimat ausharren, bis eine Kugel auch sie und ihre Kinder erwischt? Wer glaubt denn ernsthaft, daß In unserem Land aber heißt es, „das Boot ist voll". die vielen Schlepper die Liquida Auch die anderen westeuropäischen Länder beklagen tion ihrer Firmen beantragen, nur weil die legale Einreise in unser L lautstark ein „Zuviel". Die Klage übertüncht die and für den Flüchtling erschwert wird? Werden nicht Tatsache, daß Europa keinesfalls die Masse aller vielmehr die Schlepper nunmehr die Gebühren erhö- Flüchtlinge und Arbeitsimmigranten aufgenommen hen? Wird nicht der illegale Grenzübertritt über die hat. Rund 20 Millionen Ausländer/Ausländerinnen leben derzeit in Europa. Doch nur ein Drittel von ihnen grüne Grenze im Osten Hochkonjunktur bekommen? Denn wer dann zu uns gekommen ist, braucht nur stammt aus den Entwicklungsländern. Aufnahme in Westeuropa haben nur eine Million Flüchtlinge sechs Monate sich verborgen zu halten und seinen gefunden. Die Mehrzahl der Flüchtlinge ist dort Fluchtweg zu verschweigen. Danach kann er/sie als sogenannter „Altfall" nicht mehr in sein/ihr Einreise- geblieben, wo sie entstanden sind: in der dritten Welt. land abgeschoben werden. 4 Millionen blieben in Asien, 4,9 Millionen in Nahost und 4,8 Millionen in Afrika. Nach Angaben des Die Bereitschaft, von unseren Freunden zu lernen, UNHCR hat das bitterarme Malavi fünfmal mehr ist nicht sehr entwickelt. Die USA, die nur handverle- Flüchtlinge aufgenommen als die reiche Bundesrepu- sen Einwanderer hineinlassen, die mit hohen und blik Deutschland und das arme Pakistan gewährte gar breiten Zäunen vor den elenden und armseligen 20mal mehr Menschen Schutz als die Bundesrepublik Nachbarn aus dem Süden abschotten konnten, ken- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13639* nen gewaltige Zahlen illegaler Zuwanderer. Jüngst derlande. Statt so etwas wie die „Festung Europa" sind gar zwei designierte Ministerinnen darüber durch Abschottung zu bauen, sollten wir allen klugen Sach- und Fachverstand zusammenführen, um ein gestürzt, der Beschäftigung dieser Illegalen Vorschub- geleistet zu haben. Darum frage ich, woher denn die humanes und sozialverträgliches Konzept einer Zuversicht stammt, daß eine solche Entwicklung bei Flüchtlings- und Migrationspolitik zu entwickeln uns nicht eintreten würde? Ich komme aus Hamburg, inclusive der Fluchtursachenbekämpfung. wo in Massenunterkünften auch Flüchtlinge leben, Wer heute die Verfassung ändert, dem/der sei die zum neunten Mal dort eingewiesen wurden, trotz bewußt, daß es voraussichtlich nie wieder eine Zwei- vertraglicher Rücknahmeverpflichtung ihres Her- drittelmehrheit für die Wiederherstellung des alten kunftslandes. Ihnen wird schon nach geltendem Artikels 16 gibt. Wer heute die Rechtswegegarantie Gesetz kein Bleiberecht eingeräumt, und sie werden der Verfassung mit einem § 34 a wesentlich ein- zügig abgeschoben. Trotzdem kommen sie wieder schränkt, nimmt die Präzedenzwirkung und damit die und wieder, bis sie vielleicht einen Job finden, ein grundlegenden Veränderungen des Rechtstaates in paar Sprachbrocken beherrschen und halbwegs leid- Kauf. Wir brauchen Konzepte und Perspektiven, nicht lich Fuß fassen können — allemal besser als in ihrer Abschottung und keinesfalls den asylrechtlichen Heimat, die ihnen weder Arbeit noch Brot, weder Overkill. Menschenrecht noch Perspektiven gewähren. Und wer von diesen Elenden legal nicht mehr einreisen darf, wird es illegal versuchen. Wer vom Staat nicht Dr. Konrad Elmer (SPD): Daß es in den 80iger Jahren mehr alimentiert wird, wer kein Obdach findet und in der DDR wachsende Oppositionsbewegungen gab, keine Hygiene, wird sich auf andere Weise Unterkunft lag nicht zuletzt auch daran, daß wir wußten: das und Brot beschaffen müssen. Ich fürchte, mit der Schlimmste, was uns passieren kann, ist, daß wir nach geplanten Abschottungspolitik beginnen wir die einigen Jahren Gefängnis nach Westdeutschland Augen vor dem Problem des Verschiebebahnhofs von abgeschoben und dort ein sicheres Zuhause finden der Legalität zu der Illegalität zu verschließen. Und werden. Das hat uns zusammen mit anderen Umstän- wir verdecken unsere eigene Ratlosigkeit. Und ich den den Mut gegeben, im Frühherbst 1989 auf die befürchte, es werden in der Bevölkerung Illusionen Straße zu gehen bzw. im Untergrund die sozialdemo- über die vorgebliche Wirksamkeit der Maßnahmen kratische Partei in der DDR zu gründen. Denn entwe- erzeugt. Was sagen wir aber, wenn die Flüchtlings- der würden wir die Wende schaffen oder, nach zeitlich ströme weiter anwachsen? Was werden wir dann tun? begrenzter Haft, gesicherte Aufnahme in der Bundes- Werden die Ostgrenzen geschlossen, werden elektro- republik finden. nische Überwachungsanlagen und Metallzäune er- Auch wenn diese Realität auf anderer Grundlage als richtet? Dabei waren wir doch eigentlich stolz auf dem Asylrecht basierte, gilt muta tis mutandis ein unser europäisches Haus, das wir gerade bauen, und ähnlicher Zusammenhang für die Oppositionellen in auf seine offenen Grenzen. Diktaturen rund um die Welt. Wer weiß, daß es im Ernstfall für ihn einen Staat gibt, in dem er gesicherte Soll alles keinen Bestand mehr haben, nur weil es Zuflucht findet, der kann mutiger agieren. Das Asyl- zweifelsohne vorhandene Probleme gibt? Und so recht für politisch Verfolgte ist nicht nur die gebotene frage ich: wie konnte es überhaupt dazu kommen, daß Beachtung eines Menschenrechts, sondern zugleich 500 000 sogenannte Altfälle sich über Jahre aufsum- ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Unterstüt- mierten? Wieso konnten Miethaie sich mit dem zung der Demokratisierung in vielen Staaten der Welt. Flüchtlingselend und zu Lasten des Steuerzahlers Weil ich möchte, daß es dabei bleibt, werde ich gegen goldene Wasserhähne verdienen? Warum mußten diesen Asylkompromiß stimmen. Asylbewerber immer wieder in jenen Stadtteilen untergebracht werden, die selber genug Sozialpro- Ich betone, „diesen" Asylkompromiß. Auch ich bin bleme hatten? Ich kann es nachvollziehen, daß die um der politisch Verfolgten willen bereit, die Armuts- Integrationskraft von Eltern und Schulen erschöpft ist, flüchtlinge zurückzuschicken, auch ich bin bereit, im wenn in manchen Grundschulen 70 % der Kinder Rahmen eines burden sharings einen Teil der Arbeit ausländischer Herkunft sind. Verhehlen möchte ich des Unterscheidens beider Fluchtmotive im Asylver- auch nicht, daß unsere Aufnahmekapazitäten nicht fahren an unsere Nachbarstaaten, entsprechend unbegrenzt sind. Aber Abschottung, Ausgrenzung, ihrem Aufnahmevermögen, zu delegieren. die Errichtung neuer äußerer oder innerer Mauern Ich bin aber nicht bereit — wie jetzt vorgesehen — darf nicht die Antwort sein. von vornherein und ohne die Möglichkeit richterli- chen Einspruchs für besonders gefährdete Personen, Was mehr denn je erforderlich ist, ist eine interna- alle Flüchtlinge, sofern wir ihren Fluchtweg wissen, tionale Migrationspolitik, welche die Bewegung von aus Deutschland zu verweisen. Denn es kann einen im Menschenströmen regeln könnte. Dazu gehört auch, allgemeinen sicheren Drittstaat geben, der dennoch daß der Aufklärung entstammende Verständnis der für einen konkreten Flüchtling unsicher ist, weil dort politischen Verfolgung von der staatlichen Repression z. B. besonders freundschaftliche Beziehungen zum zu modernisieren. Zum Beispiel muß auch die patriar- Verfolgerstaat bestehen. Ein Flüchtling, der das vor chalische Unterdrückung und Verfolgung auf Grund einem deutschen Verwaltungsgericht belegen kann, von Geschlecht endlich als Fluchtgrund anerkannt muß bei uns ins Asylverfahren kommen können. werden und nicht nur die staatliche Repression. Wir Ostdeutschen haben 40 Jahre lang erlebt, was Die Idee, schlüssige Gesamtkonzepte zu entwik- es heißt, in einem Land ohne Einspruchsmöglichkei- keln, gewinnt international an Auftrieb. Die Schweiz ten bei unabhängigen Gerichten leben zu müssen. Wir und Schweden legten Konzepte vor, ebenso die Nie haben in der Wendezeit nicht so vieles riskiert, um nun 13640* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

die Unfehlbarkeit von Beamten in einem lebensge- Flüchtlingen aus diesen Ländern bei uns ins Asylver- fährlichen Bereich einzuführen. Freilich, ich nehme fahren nehmen. So würde zugleich dem berechtigten zur Kenntnis, daß die meisten meiner ostdeutschen Vorwurf, daß kein Flüchtling mehr auf ehrliche Weise Kolleginnen und Kollegen das offenbar nur allzu politisches Asyl in Deutschland finden könne, entge- schnell vergessen haben. gengewirkt. Als Mitglied in der Gemeinsamen Verfassungskom- Ich habe zu DDR-Zeiten den Wehrdienst verwei- mission meine ich, daß wir die Einklagbarkeit unserer gert, weil ich den gewaltsamen Tod von Menschen Grundrechte wegen Art. 1 in Verbindung mit der nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Schon Ewigkeitsklausel Art. 79,3 nicht an fremde Staaten deshalb werde ich heute nicht einem Gesetz zustim- delegieren dürfen, da diese dem Geltungsbereich des men, welches das Asylverfahren so regelt, daß mögli- Grundgesetzes und der Kontrolle unseres Verfas- cherweise einzelne politisch Verfolgte über Kettenab- sungsgerichts entzogen sind. Unsere Grundrechte schiebungen zurück in die Hände ihrer Häscher könnten allenfalls durch eine entsprechende Verfas- befördert werden, weil unseren Verwaltungsgerich- sung der Europäischen Union im Hegel'schen Sinne ten, trotz überzeugender Hinweise der Be troffenen, „aufgehoben" werden. Wenn m an es dennoch tut, verfassungsrechtlich die Hände gebunden sind. Ich dürfte zumindestens der Delegierungsakt, die Fest- kann es nicht, weil jeder Mensch einen unendlichen stellung eines sicheren Drittstaates, nur mit einer Wert hat, der nicht gegen anderes „verrechnet" verfassungsändernden Mehrheit, also nur mit Zustim- werden kann, auch nicht, fa lls es zu keiner Neurege- mung von Teilen der Opposition möglich sein. Zwar ist lung kommt, gegen eine Bedrohung von rechts. unsere Beteiligung im Moment durch die Mehrheit im Bundesrat gesichert, aber das kann sich ändern, und Es muß und wird nach einer Ablehnung zu anderen dann könnte die einfache Mehrheit — welcher Regie- Regelungen kommen, die dem Kompromiß weithin rung auch immer — diese Feststellung weiterer siche- folgen könnten, nur daß ein Teil dieser Asylverfahren rer Drittstaaten ohne Rücksicht auf gegenteilige Argu- auch weiterhin in Deutschland stattfinden müßten. mente der Opposition beschließen. Auch dies ein Auch ich bin zur Veränderung des Asylrechts bereit. Grund, warum ich hier Bedenken habe. Aber nicht zur Inkraftsetzung eines Verfahrens, das, wenn auch nur in begrenzten Fällen, zum Töten von Weiterhin halte ich die Größe der Belastung, die in Menschen führen kann, die bei uns Schutz vor Todes- diesem Zusammenhang auf unsere östlichen Nach- ängsten suchten. barn zukommt, für unverantwortlich. Man stelle sich vor, nach der Wende wäre die Einheit Deutschlands Wenn der jetzige Kompromiß Gesetz wird, wird nicht vollzogen worden und die neuen Bundesländer Deutschland für politische Flüchtlinge kein sicherer befänden sich in der Lage der Polen: nämlich aus Drittstaat mehr sein. Statt dessen hätten wir in Sachen eigenen Kräften einen demokratischen Rechtsstaat Asyl den europäischen Schäbigkeitswettbewerb ge- aufbauen zu müssen, mit den alten Ju risten und nur wonnen. Warum müssen wir Deutschen nur immer wenig neuen, die für so vieles andere gebraucht von einem Extrem ins andere fa llen? werden. Wo ständen wir heute, und was würde es Kombinieren wir die vorgesehene Asyl-Wirklich- bedeuten, eine solche Last aufgebürdet zu bekom- keit mit dem jüdischen Staat des Jahres 33. Jesus von men! Ich befürchte, dies wäre unser Ende gewesen. Nazareth wäre seinen Häschern noch einmal entkom- Der frühere polnische Ministerpräsident Rakowski men, über Syrien, die Türkei, Bulgarien, Rumänien sagte vor wenigen Tagen nach Abschluß des Abkom- und Polen nach Deutschland gelangt. Es gäbe Indi- mens über die Rückführung von Asylbewerbern aus zien, daß Polen als sicherer Drittstaat den Juden Jesus der Bundesrepublik nach Polen: „In Polen wird kriti- auf Grund neuer positiver polnisch-jüdischer Bezie- siert, daß Deutschland seine Probleme auf Kosten hungen wie eine „heiße Kartoffel" ohne Verfahren Dritter lösen will. Leider müssen wir uns damit abfin- weiter nach Rumänien schicke, weil Polen wiederum den, weil die Deutschen sehr viel stärker sind .. . Rumänien zum sicheren Drittstaat erklärt habe. Die Deutschland läuft Gefahr, als ein wirtschaftlich und Rumänen würden ihn nach Bulgarien abschieben. politisch starkes Land betrachtet zu werden, das Von dort käme er in die Türkei, von dort nach Syrien, anfängt, den anderen Ländern seine Gesetze aufzu- und die Syrier würden sich mit seiner Auslieferung zwingen. Das wird antideutsche Gefühle wecken, von einen Verhandlungsvorteil am Golan erkaufen. So denen bisher nichts mehr zu spüren war." wäre für den Flüchtling Jesus die ganze Flucht nur ein Polen hat für die Bewältigung seiner Asylverfahren verlängerter Weg zum römischen Galgen gewesen. z. Z. 36 Bedienstete, darunter 4 Entscheider, die Wollen Sie wirklich für ein ähnliches Szenario verant- jährlich etwa 500 Verfahren bearbeiten. Noch in wortlich zeichnen nach dem nur zu bekannten diesem Jahr sollen nun zehntausend Flüchtlinge nach Schema: „Es ist besser, wenn da vielleicht einmal ein Polen zurückgeschickt werden, und wenn dann im politischer Flüchtling durch Kettenabschiebung nächsten Jahr auch diese Begrenzung noch entfällt, sterbe, als daß das ganze Volk verderbe" (vgl. weiß ich nicht, wer das mit gutem Gewissen verant- Joh. 11,50). Ich kann und will das nicht, sondern worten will. Ich kann mir nur denken, in den Verhand- fordere einen besseren Kompromiß. lungen wurde rücksichtslos ausgenutzt, daß Polen Mitglied der Europäischen Gemeinschaft werden Gerlinde Hämmerle (SPD): Niemand, der heute am möchte. Bei solchen Zahlen sind m. E. kaum geprüfte, Rednerpult des Deutschen Bundestages spricht, und schnelle Abschiebungen gar nicht auszuschließen. niemand, der seine Stimme abgibt, hat sich seine Stattdessen sollten wir für eine längere Übergangs- Entscheidung leicht gemacht. Viele haben sich, wie zeit von 5 bis 10 Jahren weiterhin einen Teil an ich, in schweren Gewissensnöten befunden und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13641* haben sich monatelang in schwierigen Diskussionen bringt mich zu Vorstellungen über die Regelung der intensiv und verantwortlich mit allen Details befaßt. Zuwanderung, die ich kurz darstellen will: Für mich handelt es sich heute um eine der vielleicht — Bekämpfung der Fluchtursachen, ganz wenigen Gewissensentscheidungen, die mir in — europäische Lösung über Quoten, meinem politischen Leben abverlangt werden. Nach — ein gut durchdachtes Einwanderungsgesetz, Abwägen aller Gesichtspunkte habe ich mich ent- — doppelte Staatsangehörigkeit, schieden, dem Kompromiß zuzustimmen. Denn mein — Erleichterung der Einbürgerung, Gewissen sagt mir, daß der Schutz politisch Verfolgter — verstärkte Integrationsbemühungen, nur dann möglich ist, wenn der innere Friede gewahrt — Ausländerwahlrecht ist. Ist dieses nicht der Fall, dann kann das Parlament Ich bin davon überzeugt, daß jeder Zuwanderer, der beschließen, was es will; die Bevölkerung wird es zu uns kommt, für seine Entscheidung einen subjektiv nicht mehr akzeptieren. wichtigen Grund hat. Die wenigsten Menschen ver- Der weit überwiegende Teil der Bevölkerung wi ll lassen ihre Heimat leichtfertig, um mit ihren Familien eine Regelung der Zuwanderung, dies müssen wir in der Welt herumzuwandern. Dies ist unbes treitbar. berücksichtigen. Die Lage spitzt sich dramatisch zu. Aber die Anerkennungsquoten, die sehr gering sind, Viele unserer Gemeinden sind nicht mehr in der Lage, müssen uns doch dazu veranlassen, darüber nachzu- die Zuwanderer unterzubringen. Beschlüsse, nieman- denken, ob der subjektive Fluchtgrund des einzelnen den mehr aufzunehmen, werden gefaßt, nicht aus der objektive Anerkennungsgrund für den Staat sein Bösartigkeit, sondern aus blanker Not. Natürlich wol- kann, der dann das Bleiben ermöglichen muß. Not, len die Bürger und ihre Stadt- und Gemeinderäte den Elend, Hunger und Kriege werden immer wieder politisch Verfolgten helfen — aber sie können es oft Menschen aus ihrer Heimat vertreiben. Immer wieder nicht mehr. werden sie Schutz und eine neue Lebensperspektive in anderen Ländern suchen. So auch bei uns. Deshalb Die Zuwanderung muß geregelt werden, und die ist es so wichtig, daß der Satz „Politisch Verfolgte politisch Verantwortlichen müssen den Mut dazu genießen Asylrecht" erhalten bleibt. Erhalten bleibt haben. aber auch die Verpflichtung, in verstärktem Maße Ein Kompromiß ist normalerweise der kleinste dazu beizutragen, daß die genannten Fluchtgründe gemeinsame Nenner, und jeder muß nachgeben. vermindert und einmal ganz beseitigt werden. Niemals kann eine Seite dabei ihre Maximalforderun- gen durchsetzen, so auch nicht die SPD. Wir täten gut daran, uns diese einfache Tatsache gelegentlich vor Dr. Uwe Holtz (SPD): Das Asylthema stellt uns vor Augen zu halten. ein Dilemma: Natürlich habe ich Bedenken bei der vorgesehenen Einerseits müssen und wollen wir aus moralischer Regelung des § 34 a Abs. 2. Aber es war nichts anderes Überzeugung und historischer Verantwortung den in erreichbar. Ich stimme dennoch zu, weil die SPD- Artikel 16 des Grundgesetzes verankerten Asylrechts- Fraktion ihren eigenen Antrag dazu in namentlicher anspruch für politisch Verfolgte bewahren, anderer- Abstimmung nicht durchsetzen konnte und weil ich seits erkennen wir angesichts steigender Zuwande- sicher bin, daß der mögliche Weg zum Verfassungs- rer- und Asylbewerberzahlen, sich erschöpfender gericht die Be troffenen vor Schaden bewah rt. Ob Unterbringungsmöglichkeiten, sinkender Akzeptanz dieser Weg praktikabel ist, wird sich zeigen. Ist er es in der Bevölkerung und einer von dieser Bundesregie- nicht, wird das Parlament eine Änderung vornehmen rung wesentlich mitzuverantwortenden prekärer wer- müssen. denden sozialen und wirtschaftlichen Lage im verei- nigten Deutschland, daß die bisherige Asylpraxis Die Drittstaatenregelung halte ich für vertretbar, da — und auch die für Aussiedler — nicht wie bisher sie einen ersten Schritt auf dem Weg zur europäischen weitergeführt werden kann. Regelung darstellt, die ich nach wie vor für richtig halte. Für mich heißt das Schutz vor Verfolgung in Westdeutschland hat zwischen 1988 und 1991 einem sicheren Lind, das die Menschenrechte und zusätzlich 3,6 Millionen Menschen unterschiedlich- Genfer Flüchtlingskonvention anerkennt. ster Herkunft aufgenommen. Die Asylbewerberzah- len haben sich explosionsartig entwickelt: 1987 waren Mein politischer und beruflicher Hintergrund es 57 000, 1988 103 000, 1989 121 000, 1990 193 000, — 25 Jahre Berufsschullehrerin und stellvertretende 1991 256 000, und 1992 waren es 438 191. Schulleiterin einer beruflichen Schule mit bis zu 60 % ausländischen Jugendlichen, Zur Erinnerung: Nach den mir vorliegenden Zahlen — mehrere Klassen im Berufsvorbereitungsjahr für der 256 000 Asylantragsteller im Jahre 1991 wurden ausländische Jugendliche, darunter viele Mäd- 6,9 % als Asylbewerber anerkannt, ca. 8 % stellten chen aus Eritrea, die schreckliche Fluchtschicksale einen Folgeantrag, ca. 17 % wurden geduldet, 34 % hinter sich hatten, hatten ein Bleiberecht nach der Genfer Flüchtlings- — die zentrale Aufnahmestelle in meiner Heimat- konvention, d. h. über 50 % aller abgelehnten Asylan- stadt Karlsruhe, wo ich 15 Jahre im Stadtrat und tragsteller hatten ein Bleiberecht oder wurden von uns 5 Jahre davon Fraktionsvorsitzende war, geduldet, ca. 15 % reisten wieder aus, ca. 6 %wurden — Stellvertretende Bundesvorsitzende der Arbeiter- abgeschoben, bei ca. 18 % war der Verbleib unge- wohlfahrt, die sich wie die anderen Spitzenver- klärt. Offensichtlich berufen sich Zehntausende zu bände der freien Wohlfahrtspflege sehr intensiv Unrecht auf unser großzügiges Asylrecht. Sie riskie- mit Ausländerfragen befaßt, ren damit eine Beschädigung des Asylrechts für wirk- 13642 * Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

lich politisch Verfolgte und die Solidarität mit scheitert an der ideologischen Festgefahrenheit der ihnen. Union. Im Maastrichter Vertragswerk werden die Asylpoli- Zu restriktiv ist die Regierung auch in anderen tik und die Einwanderungspolitik als „Angelegenhei- Bereichen, z. B. der Bekämpfung von Fluchtursa- ten von gemeinsamem Interesse" bezeichnet, und in chen. einer Erklärung zur Asylfrage ist die Aufforderung Für viele ist das Wort „Asyl" lediglich der Einlaß aus enthalten, „eine gemeinsame Aktion zur Harmonisie- einer armen in eine bessere Welt. Die Armutsproble- rung" der Asylpolitik zu beschließen. Nach meinem me der Welt lassen sich nicht über das Asylrecht bei Kenntnisstand ist nicht davon auszugehen, daß sich uns lösen. Deshalb muß die Bundesrepublik und auch nur ein Land der Europäischen Gemeinschaft müssen die reichen Industrieländer endlich gegen- der äußerst großzügigen, liberalen, ja zum Mißbrauch über den Entwicklungsländern, Osteuropa und den einladenden Asylpolitik der Bundesrepublik Deutsch- Nachfolgestaaten der Sowjetunion sinnvolle Beiträge land anschließen wird. Deshalb: Wer eine gemein- zur Bekämpfung der Fluchtursachen leisten. same Asylpolitik in Europa will — und dies will ich, auch aus Gründen einer gerechten Verteilung der Asyl und Entwicklung sind oft zwei Seiten einer damit verbundenen Probleme —, der muß zu einer Medaille. Asylpolitik hat Weltmaßstab. Sie kann nicht Regelung bereit sein, die unter dem hohen St andard einfach von den Ursachen von Flucht abgekoppelt des Grundgesetzes liegt, aber zumindest als Grund- werden. Man hat aber den Eindruck, als ob die lage die Genfer Flüchtlingskonvention haben wird. Bundesregierung gerade dies wollte, um nicht in eine größere außen- und entwicklungspolitische Verant- Allein 1992 betrug die Gesamtzuwanderung nach wortung genommen zu werden. Die Asyldebatte wird Deutschland (Asylbewerber, Aussiedler, Angehörige von ihr so geführt, als sei Asylpolitik primär Asyl- anderer EG-Staaten, Ausländer im Rahmen der Fami- rechtspolitik und damit ein mit innen- und rechtspoli- lienzusammenführung und von Werkverträgen, Ille- tischen Mitteln zu lösendes Problem. Das aber ist der gale, Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien) Kardinalfehler der deutschen Asylpolitik: ihre Ursa- ca. 1,5 Millionen Menschen. Legt man eine geschätzte chenblindheit. Die Zuwanderungsproblematik kann Zahl der Fortzüge von rund 500 000 (1991: 497 476) nur gelöst werden, wenn sie in eine Politik der zugrunde, so summiert sich der positive Wanderungs- Fluchtursachenbekämpfung eingebunden ist, die auf saldo auf rund 1 Million Zuwanderer. die Schaffung einer nachhaltigen Entwicklung in den In einer solchen Situation bin ich der Auffassung, Fluchtländern selbst zielt. daß die Zuwanderung insgesamt gesteuert und Als Entwicklungspolitiker war ich enttäuscht, daß begrenzt werden muß. Die Asylfrage stellt dabei nur die Regierungsfraktionen den von mir mitinitiierten ein Teilproblem, wenn auch ein wichtiges, dar. und mitgestalteten SPD-Antrag zur „Bekämpfung von Die Asyldiskussion im vereinten Deutschland findet Fluchtursachen" abgelehnt haben. Wir haben darin unter schwierigen sozialen und wirtschaftlichen unter anderem eine präventive Entwicklungspolitik, Bedingungen statt. Das trübt bei manchen den Blick die auf eine nachhaltige, menschenwürdige Entwick- für die politischen Wirklichkeiten und Notwendigkei- lung ausgerichtet ist, eine aktivere Friedenspolitik ten. Existenzangst und sozialer Neid machen auch durch Verbot von Rüstungsexporten außerhalb der anfällig für fremdenfeindliche Kopfverdreher und NATO, eine konsequentere Menschenrechtspolitik, Volksverführer. eine international koordinierte Weltordnungspolitik, einen fairen Nord-Süd-Ausgleich und eine massive Flüchtlinge dürfen nicht zu Sündenböcken für eine Erhöhung der Entwicklungshilfe gefordert. Für mich auf wichtigen Feldern verfehlte Politik — insbeson- stellt es ein grobes Mißverhältnis dar, wenn für dere Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot — gemacht Asylbewerber in der Bundesrepublik rund 35 Milliar- werden. Es sind nicht die Flüchtlinge, die Menschen den DM ausgegeben werden, jedoch für Beiträge zur hier arbeitslos machen, es ist eine falsche Politik. Beseitigung von Not und Armut in mehr als 100 Ent- Das Asylproblem ist kompliziert, weil seine Ursa- wicklungsländern nur 12 Milliarden. Die Regierungs- chen komplex sind. Schwierige Probleme kann man fraktionen haben diesen Antrag, der auch zu einer aber nicht mit simplen Antworten lösen. Wer das neuen wirtschaftlichen und sozialen Entspannungs- vorgibt zu können, der ist entweder ein Tor, oder er politik zwischen Arm und Reich aufruft, am 14. Januar lügt und führt Böses im Schilde. Es gibt keine Patent- dieses Jahres im Bundestag abgelehnt. Diese Ableh- lösungen, deshalb tun sich viele von uns mit dem nung macht deutlich, daß zwischen den auch in der vorliegenden Asylkompromiß schwer. heutigen Debatte anklingenden Bekenntnissen zu Eine Zustimmung zum vorliegenden Änderungs- einer besseren Fluchtursachenpolitik und den Taten kompromiß von Artikel 16 des Grundgesetzes fällt auf Regierungsseite eine weite Kluft besteht. Offen- u. a. deshalb schwer, weil sich die Union in eine der sichtlich gibt es kein wei treichendes Gesamtkonzept. ernsten Sache nicht angemessene und bis heute Auch deshalb wird einem die Zustimmung zur Asyl- andauernde Entscheidungsunwilligkeit hineingebis- rechtsänderung so schwer gemacht. sen hat. Weder beim Aussiedlerzuzug noch bei der Die meisten Asylbewerber kommen nicht aus Lust Erleichterung der Staatsangehörigkeit oder bei Inte- und Laune nach Deutschl and oder Europa, sondern grationserleichterungen insgesamt war wirkliches weil Krieg und Verfolgung, Hunger und Not, Perspek- Entgegenkommen zu erkennen. Auch die Möglich- tivlosigkeit und Existenzangst sie aus ihren Ländern keit von Rechtsmitteln in extremen Ausnahmefällen treiben, oft verstärkt durch die trügerische Hoffnung, gegen die stante pede erfolgende Abschiebung von im goldenen Westen ein freies, gesichertes und wür- Asylbewerbern aus sicher erscheinenden Drittstaaten diges Leben führen zu können. Viele Asylbewerber Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13643* wissen nichts von den wachsenden Problemen hier — Doch der Wegfall von Mauern und Stacheldraht und die ja auch, gemessen an den Problemen vieler der Zusammenbruch der diktatorischen unfreien Herkunftsländer, noch eher bescheiden sind. Systeme bewirkten grandiose Veränderungen auf unserem Kontinent. Diese brachten uns die Einheit Man sollte sich darüber im klaren sein: Eine andere mit all ihren Umstrukturierungsproblemen für die Gesetzeslage wird die Situation nur relativ, im Sinne neuen Länder und mit so manchen, sich wahrschein- besserer Kontrolle verändern. Der Migrationsdruck lich noch verstärkenden wohlstandsbeschränkenden wird bleiben. Deshalb dürfen letztlich nicht die Auswirkungen auf die alten Länder. Flüchtlinge hier, sondern müssen die Fluchtursachen vor Ort, d. h. in Osteuropa und den Entwicklungslän- Und in dieser für Deutschland so schwierigen Wirk- dern, bekämpft werden. lichkeit stieg die Zuwanderung so rapide an, daß m an von einer sprunghaft entstandenen neuen Qualität Meine Entscheidung ist mir sehr schwer gefallen. sprechen muß. Eine neue Qualität erfordert einen Auf Grund der Diskussionen in meinem Wahlkreis, anderen Umgang mit der jeweiligen Erscheinung — der Entscheidung des SPD-Bundesparteitags vom dies lehren uns die Erfahrungen der Geschichte. So ist November vergangenen Jahres, vieler Zuschriften auch eine andere Herangehensweise an die Regelung sowohl in Pro- als auch in Contra-Richtung, der des Zuwanderungsproblems notwendig. öffentlich geführten Debatte, der Diskussionen im Bundestag und in der SPD-Fraktion selbst sowie Natürlich wäre es für mich einfacher und bequemer, eigener Überzeugungen komme ich nach quälenden weniger quälend gewesen, am uneingeschränkten Überlegungen zu folgendem Ergebnis: Asylgrundrecht festzuhalten. Angesichts der neuen Realitäten in Europa und in den Krisenregionen der Den auf Drucksache 12/4450 vorliegenden Ände- Welt erweist sich dieses Grundrecht jedoch als ände- rungen zum Asylverfahrensgesetz werde ich nicht rungsbedürftig. Daher kann ich es mit meinem Gewis- zustimmen, insbesondere wegen der bedenklichen sen nicht vereinbaren, seine inhaltliche Konkretisie- Abschiebungsmöglichkeiten in sogenannte sichere rung abzulehnen. Drittstaaten und wegen der sehr problematischen Zweifelsohne ist der heute zu beschließende Kom- Gleichstellung von z. B. dem Europaratsstaat Ungarn promiß nicht die bestmögliche und gerechteste und dem in einem fragilen Übergangsstadium zur Lösung. Ich mache mir auch keine Illusion darüber, Demokratie befindlichen Ghana, die beide unter der daß eine deutsche Asylrechtsregelung die Flücht- Rubrik „Sichere Herkunftsstaaten" firmieren. lingsbewegungen in der Welt aufhalten könnte. Glo- Der Grundgesetzänderung, die eine einschrän- bale Probleme können immer nur über Teillösungen kende Ergänzung des Asylrechts bedeutet, werde ich schrittweise angegangen werden. Und eine solche schweren Herzens und trotz der zuvor formulierten kann dieser Kompromiß nur sein. Aber in einem bin Bedenken meine Zustimmung nicht versagen, und ich mir sicher: Wenn der Zustrom von Zuwanderern zwar vor allem aus folgenden Gründen: nach Deutschland ungebremst anhält, besteht Gefahr für die Stabilität des Landes. Es besteht Gefahr für die Wir können in Deutschland nicht alle Verfolgten Demokratie. Wenn vorerst Verwaltungen und Ge- und Hungernden der Welt aufnehmen. Die Armutsdi- richte so überlastet sind, daß wirklich Verfolgten nicht mension dieser Welt würde selbst ein reiches Land wie geholfen werden kann, ist das Grundrecht auf Asyl (ie Bundesrepublik zermalmen und wohl auch das wesentlich eingeschränkt. Bei Weiterentwicklung Asylrecht insgesamt gefährden. Am Ende stünde dieses Zuwanderungsprozesses könnte auch dieser vermutlich die Zerstörung der Demokratie — die ja eine Qualitätsveränderung im System hervorbringen, vom Wohl und Wehe ihrer Wählerinnen und Wähler die nicht nur das Asylrecht gänzlich beseitigt, sondern abhängt. die Rechtsstaatlichkeit generell in Frage stellt. Eine Änderung des bisher geltenden Asylrechts Ein weiterer Gesichtspunkt ist dabei für mich wich- muß auch aus Gründen einer europäischen Lastenver- tig: Der Flüchtlingsstrom nach Europa, der zu zwei teilung erfolgen. Es muß zu einem gemeinsamen Dritteln nach Deutschl and kommt, bürdet Deutsch- europäischen Asylrecht und einer gemeinsamen Asyl- land auch die meisten Lasten auf. Die Fluchtursache politik kommen. ist jedoch eine Folge des Armutsgefälles in der Welt, des Armutsgefälles zwischen Nord und Süd genauso Das neue Asylrecht kann nur einen Einstieg in eine wie zwischen West und Ost. Dieses ist historisch umfassendere Zuwanderungsregelung bedeuten. gesehen, vielfach von den einstigen Kolonialländern mit zu verantworten. Auch die heutigen Industriestaa- ten Europas wurden und werden ihrer Verantwortung Renate Jäger (SPD): Natürlich ist es für viele SPD-Mitglieder schwer, dem Asylkompromiß zuzu- für eine gleichberechtigte Partnerschaft mit den stimmen, weil sie als Mitglieder einer auf die soziale armen Ländern der Welt in verschiedener Hinsicht Komponente orientierten Partei dem Schutz der nicht gerecht. Deshalb sollten auch unter ihrer Ver- Schwachen und damit der Verfolgten einen besonde- antwortung die Lasten gemeinschaftlich getragen ren Wert beimessen. Die Regelung, die die Väter des werden. Die lange erhobene Forderung nach einer Grundgesetzes zum Asyl erarbeitet hatten, ist als eine europäischen Zuwanderungspolitik ist daher mehr als unmittelbare Reaktion auf die schlimmen Erfahrun- legitim. gen in der NS-Zeit zu sehen, und sie wurde als eine der Nur ist die Situation so, daß die anderen Länder liberalsten Asylrechtsregelungen in Europa ausge- bisher keinerlei Notwendigkeit sahen, freiwillig Ver- staltet. Auch in der Praxis hatte sich diese Regelung teilungslasten zu übernehmen. Selbst wenn die Dritt- über viele Jahre hinweg bewährt. staatenregelung für meine Beg riffe noch Unzuläng- 13644* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 lichkeiten aufweist, so stellt sie einen Schritt für erhoffen, sind jedoch zum Problem für unser Asylrecht europäische Regelungen dar, die praktisch von den geworden. Dieses Asylrecht, das allein den politisch Interessen unseres Landes her — sagen wir -es klar — Verfolgten Schutz und Sicherheit gewähren sollte, erzwungen werden. Ich finde dies richtig, weil dies zur wurde zu einem Ins trument unkontrollierter Zuwan- gerechteren Verteilung von Verantwortlichkeiten derung. Die hohe Zahl der Asylbewerber, die die und Belastungen führt und weil in einer jeden Völker- Voraussetzungen für eine Anerkennung nicht erfül- gemeinschaft jedes Land seine berechtigten Interes- len, geht zu Lasten der politisch Verfolgten. Das sen muß äußern und vertreten können. Asylrecht ist ein Recht zum Schutz vor politischer Verfolgung, es kann kein Recht zur Beseitigung Der Vertrag mit Polen könnte als eine Art Muster- sozialer Notlagen sein. Die wi rtschaftlichen Probleme vertrag mit Pilotwirkung Vorbild für Abkommen mit der Welt können nicht in der Bundesrepublik gelöst anderen Ländern wie z. B. der Tschechischen und werden. Slowakischen Republik, Ungarn, Österreich oder der Schweiz werden. Das Besondere an ihm sind nicht nur Der Ansatzpunkt für eine Lösung der Flüchtlings- die Hilfen an diese Länder, sondern auch die Über- problematik muß deshalb langfristig in der Entwick- nahmeverpflichtungen von Asylbewerbern durch lung von Lebensperspektiven in den Heimatländern Deutschland, die das Argument, keiner könne mehr in derer liegen, die heute ihr Lebensglück bei uns Deutschland Asyl finden, schon von daher hinrei- suchen. Mit einer vernünftigen Politik der Fluchtursa- chend entkräften. Deutschl and hat nach wie vor das chenbekämpfung vor Ort kann zu einer Verringerung Individualrecht auf Asyl. Die Einschränkung bedeu- des Asylbewerberdrucks bei uns beigetragen werden. tet, daß Asylsuchende nicht mehr selbst festlegen Konkret bedeutet dies: Unterstützung der gesell- können, in welchem L and ihnen Schutz gewährt wird. schaftlichen und ökonomischen Reformprozesse in In den jetzt festgelegten sicheren Drittstaaten gelten den Staaten Mittel- und Osteuropas sowie in den die Genfer Flüchtlingskonvention sowie die Europäi- Entwicklungsländern des Südens durch Wirtschafts- sche Menschenrechtskonvention. hilfe und Verstärkung der Entwicklungszusammenar- Gestern wurde ich gefragt, ob die SPD, wenn sie beit. Denn Menschen flüchten nicht von dort, wo diesem Kompromiß mehrheitlich zustimmt, weiter Wirtschaftsordnungen Raum für Eigeninitiative las- nach rechts gerückt wäre. M an hätte auch fragen sen, wo Rechtssicherheit herrscht, wo die Menschen können, ob Deutschland durch diesen Kompromiß, an politischen Prozessen beteiligt werden, wo Men- wenn wir ihn denn beschließen, weiter nach rechts schenrechte geachtet werden. rückt. Dazu sage ich: durch diesen Beschluß trifft ganz sicher beides nicht zu. Niemand käme auf die Idee, die Die große Zahl der Wirtschaftsflüchtlinge, die das Asylrecht zum Mittel der Einwanderung von Hundert- anderen europäischen Länder, die in ihren Verfassun- gen kein Grundrecht auf Asyl verankert haben, stün- tausenden machen, erzeugen bei der Bevölkerung eine ablehnende Haltung gegenüber allen Auslän- den weiter rechts als Deutschland. dern. Sie bringen auch diejenigen in Mißkredit, für die Abschließend möchte ich bemerken, daß wir sicher das Asylrecht geschaffen wurde: die wirk lich politisch darin sein sollten, daß der heute vorgelegte Kompro- Verfolgten. Die große Mehrheit der Bürger unseres miß im Laufe der Zeit Nachbesserungen erforderlich Landes sagt „ja " zum Asylrecht für politisch Verfolgte, machen wird. Halten wir uns offen für notwendige aber „nein" zum Mißbrauch des Asylrechts. Veränderungen, die den Verfolgten besseren Schutz gewähren, die die Armut in der Welt vermindern und Wir müssen in der Bevölkerung das Bewußtsein die Fluchtursachen bekämpfen helfen. dafür wachhalten, daß in vielen Ländern der Welt gefoltert wird, daß politische Gefangene ohne Gerichtsverfahren in Kerkern verschwinden, daß Karin Jeltsch (CDU/CSU): Viele Argumente wur Angehörige von Minderheiten wegen ihrer ethni- den im Laufe dieser Debatte und der langwierigen schen Herkunft diskriminiert werden. Beratungen um die Neuregelung des Asylrechts aus- getauscht, mit Zahlen wurde hantiert. Lassen Sie mich Für Menschen, die auf Grund krasser Formen von als Entwicklungspolitikerin das Augenmerk auf Menschenrechtsverletzungen aus blanker Angst um einige Aspekte lenken, die in der Diskussion meiner ihr Leben aus ihrer Heimat flüchten, darf und wird das Meinung nach zu wenig Beachtung fanden. Grundrecht auf Asyl nicht angetastet werden. Bei den Allein im Monat April 1993 hat das Bundesamt für Entwürfen, die heute zur Abstimmung anstehen, geht die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge über es um die Verhinderung von Asylmißbrauch, nicht um 43 000 Asylbewerber registriert. An der Spitze der die Einschränkung des politischen Rechts auf Asyl. Es Herkunftsländer steht Rumänien mit über 12 500 geht um Verfahrensfragen und es geht darum, Spiel- Asylsuchenden. Auf die Staaten Ost- und Südosteuro- raum zu schaffen für Menschen, die wirklich in Not pas entfielen im letzten Monat über 73 % aller Asyl- und Bedrängnis sind und unseres Schutzes bedürfen. bewerber. Das ist die kurzfristige Lösung des Problems, die längerfristig durch Ursachenbekämpfung flankiert Sicher, hinter diesen Zahlen verbergen sich sein muß. menschliche Einzelschicksale. Der Grund für die Flucht liegt in der großen Mehrheit der Fälle in der Meine Damen und Herren, weil die Probleme jetzt Suche nach besseren wirtschaftlichen Lebensbedin- drängen und wir jetzt h andeln müssen, appelliere ich gungen. Die verständlichen Mo tive derer, die aus an Sie: Verweigern Sie sich der Lösung nicht, zu der es wirtschaftlichen Gründen in die Bundesrepublik kom- in der akuten Situa tion keine wirkliche Alternative men möchten, weil sie sich dort ein besseres Schicksal gibt. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13645*

Dr. Uwe Jens (SPD): Ich gehe davon aus, es ging Mit der Aussetzung der Verwaltungsgerichtsord- Ihnen allen so: Es gab nur wenige Gesetzesentschei- nung gem. § 34a Abs. 2 hat die CDU den Rubikon für dungen, die mich persönlich so stark bewegt und mich endgültig überschritten und das Asylrecht in der belastet haben wie die heutige Abstimmung über das Bundesrepublik Deutschland abgeschafft. Wer nach- Asylrecht, den Art. 16 GG. Es gab aber auch nur weisen kann, daß er nicht aus einem Drittstaat kommt, wenige Entscheidungen, die von den Bürgerinnen in den man ihn zurückschicken wi ll, hat nicht die und Bürgern so differenziert beurteilt wurden wie die Möglichkeit, gegen diesen hoheitlichen Akt vor anstehende Entscheidung des Deutschen Bundesta- einem Verwaltungsgericht zu klagen. Die Möglich- ges. keit einer Klage vom Ausland vor dem Bundesverfas- Schließlich geht es heute nicht nur um irgendein sungsgericht ist eine Farce. Gesetz, das bei anderen Mehrheitsverhältnissen Dennoch wird die Neuerung, die von der CDU/CSU schnell geändert werden könnte. Es geht auch nicht mit Brachialgewalt und aus meiner Sicht mit jeder um einen beliebigen Paragraphen; es geht um ein Raffinesse durchgesetzt wurde, das Problem kaum Grundrecht, das unsere Verfassungsväter in ihrem verändern, geschweige denn lösen. Die Armutsflücht- Wesensgehalt als unantastbar bewertet haben. Selten linge werden jetzt entweder nicht mehr Asyl beantra- ist eine Abstimmung auch deshalb für mich so zu einer gen, oder sie verschweigen, woher sie kommen. Sie Gewissensfrage geworden wie diese. Ich stelle mir werden durch unser neues Recht gewissermaßen zum manchmal vor, daß dieses Rest-Asylrecht, das Lügen gezwungen. Da unsere Grenze nicht durch geschaffen werden soll, in ganz Europa gelten könnte. einen „eisernen Vorhang" wieder geschlossen wer- Mein Onkel, der 1935 Deutschland verlassen hat, weil den kann, werden die Armutsflüchtlinge zum Teil er jüdischen Glaubens war, wäre unter diesen Bedin- ohne jede Verwaltungskontrolle auf den schwarzen gungen nicht aus Deutschland herausgekommen. Die Arbeitsmarkt gedrängt, um sich do rt für einen Nied- Rechtsprechung in den Niederlanden weist zum Teil rigstlohn wie in den Vereinigten Staaten zu verdin- aus, daß selbst dort 1936 politische Verfolgung in gen. Deutschland noch nicht anerkannt wurde. 1943 wurde Aus diesen und vielen anderen Gründen kann ich mein Onkel, der in den Niederlanden Asyl bekommen persönlich nicht der Änderung des Asylrechts und der hatte, doch noch von den nationalsozialistischen Einfügung des Art. 16a ins Grundgesetz zustimmen. Schergen abgeholt und in Auschwitz ermordet. Manchmal kann man sich des Gefühls nicht erwehren, Die Freiheit, die unser Land ausgezeichnet hat, daß wir uns zu einem Nationalstaat zurückentwickeln, stirbt scheibchenweise; sie wird nicht von heute auf und bestimmte politische Kräfte in dieser Republik morgen durch einen Glockenschlag vom Kirchturm wollen das auch. Dieser Weg muß jedoch in die Irre abgeschafft. Aber dieses L and unserer Väter wird führen. Deutschland ist in die Europäische Gemein- durch die heutige Entscheidung wohl ein anderes schaft fest integriert, und die deutsche Wirtschaft ist werden. Die Gewalt eskaliert, und die Toleranz geht ein Teil der Weltwirtschaft geworden. Wer diese immer mehr verloren. Die innenpolitische Entwick- Entwicklung bejaht und unterstützt, hätte die Einfüh- lung scheint in eine falsche Richtung zu d riften. Die rung einer doppelten Staatsbürgerschaft und ein Ein- Behauptung, Bonn sei „gleich Weimar" , ist falsch. wanderungsgesetz befürworten müssen. Aber selbst Aber die Parallelen werden häufiger, und das politi- diese kleinsten Schritte in die richtige Richtung stehen sche Fehlverhalten der Verantwortlichen ist manch- heute nicht auf der Tagesordnung. Der konservative mal unübersehbar. Rückschritt, der mit der Abschaffung des liberalen Mit der sog. Drittstaatenregelung wird aus meiner Asylrechts aus meiner Sicht verbunden ist, führt in die Sicht de facto, nicht de jure das Recht für politisch falsche Richtung. Er wird unserem Land langfristig Verfolgte, Asyl zu beantragen, in unserem Lande mehr Schaden zufügen als kurzfristig Nutzen bringen. abgeschafft. Selbstverständlich erkenne ich, daß es Das Problem des zunehmenden Rechtsradikalismus zur Zeit in den Ländern um uns herum keine politische wird auf diese Weise nicht gelöst, sondern neuen Verfolgung gibt. Aber die Verhältnisse können sich Auftrieb bekommen. ändern. Und sie ändern sich auch in der Bundesrepu- blik Deutschland. Grundrechte dürfen nach meiner Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU): Unser Land kann es Meinung aber nicht zur Disposi tion des Gesetzgebers sich nicht länger leisten, daß jährlich eine halbe stehen, nur weil es die jeweiligen politischen, sozialen Million Menschen aus wirtschaftlichen Gründen Auf- und/oder wirtschaftlichen Verhältnisse erfordern. Es nahme bei uns sucht — bei allem menschlichen gibt und gab weniger einschneidende Maßnahmen. Verständnis für das Schicksal der betroffenen Men- Die wirksame Verminderung des Problemes wäre schen. Es ist deshalb höchste Zeit, daß wir heute aus meiner Sicht auch ohne Änderung des Grundge- gesetzliche Maßnahmen gegen den massenhaften setzes möglich gewesen. Die Abschiebung des Pro- Mißbrauch des Asylrechts ergreifen und daß wir dem blems auf die Städte und Gemeinden durch die schrankenlosen Zutritt hunderttausender Wirtschafts- Bundesregierung wurde in einigen Ortsteilen zur asylanten in unser Land einen Riegel vorschieben. Der unerträglichen Belastung. Als Ausweg wäre für mich dramatisch voranschreitende Mißbrauch führt nicht das „niederländische Modell" ein effektiver Weg nur zu einer Radikalisierung weiter Bevölkerungs- gewesen; aber dafür hätte die Bundesregierung die kreise. Er gefährdet auch die politische Stabilität Verantwortung übernehmen müssen. In den Nieder- Deutschlands, das in der ganzen Welt das großzügig- landen ist das Problem jedenfalls ohne öffentlichen ste und liberalste Asylgesetz hat — ein Gesetz, das in Streit zwischen den großen Parteien auf anständige einer Zeit verabschiedet worden ist, zu der niemand Art und nicht zu Lasten der Flüchtlinge nachweisbar die heutige Situation in Europa und in der Welt deutlich vermindert worden. voraussehen konnte. 13646* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Alle bisherigen Maßnahmen zur Einschränkung sächlich politisch verfolgt sind. Der Mißbrauch des des hunderttausendfachen Asylmißbrauchs haben Gesetzes aber muß endlich aufhören. nicht zu einer Erleichterung der Situa tion geführt.- Im Gegenteil — wenn wir das Asylgesetz jetzt nicht ändern oder ergänzen, müssen wir befürchten, daß Heide Mattischeck (SPD): Asylrechtsdiskussionen bald eine Entwicklung eintritt, die wir nicht mehr im sind nicht neu. Besonders die CSU hat das Thema Asyl Griff haben, eine Entwicklung, welche die Existenz bereits in den Landtagswahlkämpfen der Jahre 1982, unseres Staates gefährdet. 1986 und 1990 instrumentalisiert, um Ängste zu schü- ren und Vorurteile zu wecken oder zu verstärken. Diejenigen, die einer unbegrenzten Aufnahme von Nach Ende der Wahlkämpfe verschwand das Thema Asylbewerbern das Wo rt reden, müssen wissen, daß dann regelmäßig wieder in der Schublade. wir damit nicht die Probleme lösen, die es in den Entwicklungsländern und nun nach dem Umbruch in Anders seit 1991: Die Diskussion wird seitdem Europa auch in den Ländern der ehemaligen Sowjet- ununterbrochen angeheizt. Die Wortwahl ist verräte- union gibt. Das Wirtschaftschaos und die ethnischen risch und menschenverachtend: Beg riffe wie „Asylan- Probleme in diesen Ländern schließen vielmehr eine tenflut" , „Flüchtlingsschwemme" , „Asylmißbrauch" , künftige massenhafte Wanderungsbewegung in die „Überfremdung", „Ausländerkriminalität" und Industrieländer der Europäischen Gemeinschaft nicht „Durchrassung" haben mit dazu beigetragen, ein aus. Um so wichtiger ist es deshalb, daß wir jetzt Klima der Wut und des Hasses zu erzeugen. Ein Klima, handeln, bevor es zu spät ist. Das erwarten die Bürger in dem gewalttätige Übergriffe und Mordanschläge von uns, und die Bürger haben auch ein Recht darauf, gegen und an Ausländerinnen und Ausländern zu daß wir Politiker handeln und die notwendigen Ent- einer schrecklichen Realität in unserem Lande wur- scheidungen treffen. Und absolut notwendig ist die den. Änderung des Grundgesetzes, damit der ungebrem- Eine zweite Ursache für die Gewalttätigkeit in der ste Zustrom von Wirtschaftsasylanten unterbunden Bundesrepublik, die ich in dieser Form nicht mehr für wird. möglich gehalten hätte, liegt in den Auswirkungen der „geistig-moralischen Wendepolitik" seit 1982. Der Asylkompromiß eröffnet uns die Perspektive, die Problematik der ungezügelten Zuwanderung in Diese Politik der sozialen Kälte hat zu einer rigorosen Umverteilung von unten nach oben, zu massivem den Griff zu bekommen. Und gleichzeitig stellt er sicher, daß die wirklich Verfolgten auch künftig Sozialabbau, zu Wohnungsnot, zu Arbeitslosigkeit, zu Schutz bei uns finden, daß tatsächlich politisch Ver- Ausgrenzung statt Solidarität gegenüber Schwäche- folgte auch in Zukunft einen Rechtsanspruch auf Asyl ren geführt. haben und daß nur unbegründete Asylbegehren Zuwanderung muß immer auch gesellschaftlich abgelehnt werden. akzeptiert sein, das ist unbestritten. Es besteht durch- aus Handlungsbedarf: Denn seit 1989 ist der Zuwan- Ein Vergleich der Asylbewerberzahlen in der Euro- derungsdruck insbesondere aus Osteuropa in unser päischen Gemeinschaft zeigt deutlich eine einseitige Land ganz erheblich gestiegen. Hinzu kommt eine Lastenverteilung. Während in Großbritannien, Frank- große Zahl von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem reich und Italien relativ wenige Asylbewerber Auf- ehemaligen Jugoslawien. nahme finden, trägt Deutschland mit zuletzt ca. 440 000 Asylbewerbern im Jahre 1992 bei einer Aner- Eine Änderung des Art. 16 löst kein einziges dieser kennungsquote von 4,3 % die Hauptlast. 70 % aller Probleme und schafft kein geeignetes Instrumenta- nach Europa kommenden Asylbewerber begehren rium zur Lenkung von Einwanderung. Die beabsich- Zutritt nach Deutschl and. Wir müssen deshalb drin- tigte Grundgesetzänderung ist eine Politik der gend zu einer Harmonisierung unseres Asylrechts mit Abwehr und der Abschottung. Von Politikerinnen und dem Recht der übrigen europäischen Länder kom- Politikern wird zu Recht erwartet, daß sie reale Ent- men. Nur eine gemeinsame europäische Regelung wicklungen zur Kenntnis nehmen und daraus garantiert eine gerechte Aufteilung der Lasten. zukunftsorientierte Politik gestalten. Diese Bedingun- gen erfüllt die Aushöhlung des A rt. 16 nicht! Gleichzeitig müssen wir die gezielte Bekämpfung der Fluchtursachen in den Herkunftsländern verstär- Richtig wäre es gewesen, für eine humane Zuwan- ken. Wir müssen — gemeinsam mit den Staaten der derungspolitik einen möglichst breiten Konsens auch Europäischen Gemeinschaft, mit Japan und den in der Bevölkerung herzustellen, anstatt Angst und USA — alle Anstrengungen unternehmen, Armut und Abwehr zu erzeugen. Die Lichterketten, an denen sich ineffektive Wirtschaftsst rukturen in den Ländern zu Hunderttausende von Menschen in unserem Land bekämpfen, aus denen die Asylbewerber kommen. beteiligt haben, sind für mich ein hoffnungsvolles Zeichen gewesen. Als Abgeordnete haben wir für das Wohl unseres Landes zu sorgen. Wir haben gegenüber unserem Für die Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik muß Land und seinen Menschen eine besondere Verant- ein Gesamtkonzept im europäischen Rahmen gefun- wortung, die uns verpflichtet, Schaden vom deutschen den werden. Daraus entstehende Belastungen dürfen Volk abzuhalten. Ich werde deshalb der Änderung aber nicht ausschließlich von der geographischen des Grundgesetzes zustimmen in dem Bewußtsein, Lage einzelner Länder abhängig sein. Unter europäi- daß auch nach der Änderung des Grundgesetzes dort scher Regelung verstehe ich insbesondere nicht, daß weiterhin der Satz steht: Politisch Verfolgte genießen wir uns mit einem Ring sicherer Drittstaaten umge- Asyl. Das heißt: Auch nach dieser Grundgesetzände- ben. Denn damit bürden wir wesentlich ärmeren rung kann all denen Asyl gewährt werden, die tat Staaten wie Polen und der Tschechischen Republik Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13647* diejenigen Lasten auf, die wir meinen nicht mehr — und gerade den Polen und Tschechen bei der tragen zu können. Lösung der Probleme, die das für sie bedeutet, helfen. Das könnte ein Einstieg in künftige multilaterale Ein Gesamtkonzept für Zuwanderung muß politisch Abkommen sein, die hinführen zu europäischen Quo- Verfolgten ohne Einschränkung Zuflucht geben. Es tierungen, die den übergroßen Stau von Flüchtlingen muß Bürgerkriegsflüchtlingen für die Dauer der in Deutschland abbauen. Insbesondere aber brauchen Fluchtursache Aufenthalt gewähren. Es muß sozial wir eine große gemeinsame Kraftanstrengung aller und ökonomisch begründeten weltweiten Wande- westeuropäischen Staaten, um mitzuhelfen, daß die rungsbewegungen gerecht werden. Menschen in ihren Herkunftsländern wieder eine Unverzichtbare Eckpfeiler dazu sind eine gerechte Perspektive haben können. Weltwirtschaftsordnung, verstärkte Entwicklungs- Doch was ist das Problem an der hier heute in hilfe, keine Waffenexporte, ein Einwanderungsge- Aussicht genommenen Regelung? Unsere östlichen setz, die Neuregelung des Staatsangehörigenrechts Nachbarn haben in dem schwierigen Transforma- und der Staatsbürgerschaft und das kommunale Aus- tionsprozeß, in dem sie sich nach dem Zusammenbre- länderwahlrecht. chen des Kommunismus befinden, große Schwierig- Das Asylrecht bleibt zwar mit der geplanten Ände- keiten, mit den großen Flüchtlingsströmen fertig zu rung formal erhalten. Faktisch jedoch wird es abge- werden. Es fehlen weitgehend sowohl die administra- schafft, weil seine Inanspruchnahme weitgehend ver- tiven wie justiziellen Möglichkeiten, die nun mit hindert wird. Illegale Zuwanderung mit all ihren großer Anstrengung aufgebaut und entwickelt wer- Folgen wird das Ergebnis sein. den müssen. Dazu kommt eine labile innenpolitische Situation, die leicht durch nationalistische Strömun- Ich lehne deshalb die vorliegenden Gesetzentwürfe gen ins Wanken kommen kann, woran wir als unmit- sowie die Grundgesetzänderung ab. telbare westliche Nachbarn gewiß kein Interesse haben können. Polen hat im letzten Jahr 560 Anträge Markus Meckel (SPD): Endlich, sagt man im Land, für einen Flüchtlingsstatus bearbeitet, die Tschechi- endlich einigen sich die Parteien, um den Zustrom von sche Republik 2 000. Über Polen aber kamen 1992 Ausländern nach Deutschland zu begrenzen und zu schätzungsweise 100 000 Menschen nach Deutsch- steuern! Nicht wenige sagen auch: um das Ausländer- land. Selbst wenn mit deutscher Hilfe sehr schnell problem zu lösen. Ich halte letztere Formulierung Administrationen und Unterkünfte aufgebaut werden zwar für falsch, denn es werden sich immer Menschen und eine entsprechende Asylgesetzgebung verab- auf den Weg machen, wenn sie bei sich zu Hause schiedet wird, wird es Jahre dauern, bis für zehn- oder politisch verfolgt sind oder eben auch einfach nur gar hunderttausende Flüchtlinge solche Möglichkei- keine Perspektive mehr sehen. Doch klar ist: Wir ten geschaffen werden können, wie sie von der Genfer müssen etwas tun. Wir wollen, daß wirklich politisch Flüchtlingskonvention gefordert werden. In Aussicht Verfolgte bei uns Zuflucht finden können, doch kön- genommene Übergangsregelungen sind aber so nen wir nicht alle aufnehmen, denen es zu Hause unverbindlich und vage, daß sie die deutsche Politik in schlecht geht. So ist das Wichtigste, das wir leisten Zukunft vor sehr problematische Alternativen stellen müssen, diese Unterscheidungsfindung zu vereinfa- werden. chen: Wer ist politisch verfolgt — und wir wissen, daß Wenn wir in Deutschland eine spürbare Entlastung das nur eine kleine Minderheit ist von denen, die zu haben wollen, müßten wir möglichst schnell möglichst uns kommen — und wer will bei uns einfach besser viele der — ich bleibe bei Polen und den Zahlen von leben, was für die meisten nun einfach nicht geht? 1992 — 100 000 über Polen Gekommenen dorthin Deshalb müssen sie nach schneller Entscheidung zurückschicken, wobei sie von dort entweder selbst konsequent abgeschoben werden. Wie das alles zu heimkehren oder abgeschoben werden, falls sie nicht machen ist, darüber ist den letzten Jahren viel gestrit- dort einen Asylantrag stellen. Keiner kann heute ten worden — und es wurde von den Verantwortlichen wissen, wie viele von ihnen was tun werden. Nun in Bund und manchen Ländern viel versäumt, was gehört es zur Defini tion eines sicheren Drittstaates, schon längst zu machen war. Alle hoffen nun auf eine daß in diesem Land die Genfer Flüchtlingskonvention Grundgesetzänderung, durch die das Problem gelöst nicht nur auf dem Papier steht, sondern auch prakti- oder zumindest weitgehend entlastet wird. ziert werden kann und wird („in dem die Anwendung Genau das aber muß ich angesichts dieses Kompro- des Abkommens über die Rechtsstellung der Flücht- misses grundlegend bezweifeln. Gewiß, die Westeu- linge und der Konvention zum Schutz der Menschen- ropäer haben uns mit dem Problem der Zuwanderung rechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist" GG neu bisher schmählich alleingelassen. Was wir brauchen, Art. 16a [2]). Polen und die anderen östlichen Nach- ist aber ein gemeinsames Herangehen aller europäi- barn werden dazu bei so hohen Flüchtlingszahlen schen Staaten an dieses zumindest europäische Pro- jedoch sobald nicht in der Lage sein. Schieben wir blem und eine entsprechende europäische Lastenver- aber trotzdem — entsprechend unserem innenpoliti- teilung. Eine na tionale Lösung kann es nicht geben. schen Druck — mehr Flüchtlinge dorthin zurück, als Deshalb ist es gut, wenn jetzt durch das Abkommen sie verkraften können, entsteht eine doppelte Gefahr: mit Polen und — wie geplant — ein entsprechendes Zum einen, davon sprach ich schon, könnte es zu einer mit den Tschechen Regelungen in Angriff genommen gefährlichen Instabilisierung der innenpolitischen werden, die auch unsere östlichen Nachbarn in die Lage in diesen Ländern kommen, zum anderen wider- Pflicht nehmen. Wir müssen mit ihnen und den spräche es unserem Grundgesetz auch in der ver- Westeuropäern gemeinsam das Problem der Wande- änderten Fassung, und durch eine Klage vor dem rungsbewegung von Ost nach West in Angriff nehmen Verfassungsgericht würde die ganze Regelung außer 13648* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Kraft gesetzt (am Rückschub der Flüchtlinge nach von Entlastung spüren. Im Gegenteil, die Belastungen Polen und in die Tschechische Republik liegt ja der werden zunehmen, und damit wird auch der Unmut in ganze erhoffte Effekt). Will man diese Gefahren- ver- der Bevölkerung weiter wachsen. Während wir mona- meiden und schiebt nur in dem verantwortbaren telang über eine von der CDU/CSU gewollte Grund- Maße in diese Länder zurück, wie sie die Möglichkei- gesetzänderung diskutierten, verging kostbare Zeit, ten dafür geschaffen haben, wird es in Deutschland Behörden und Vorschriften für Verfahren leistungsfä- kaum eine Entlastung geben. Das heißt, der vorlie- higer zu gestalten. gende Kompromiß ist eine auf Hoffnung gebaute Ursachen für die enorm emotionale Asyldiskussion Scheinlösung, die unseren Problemen vor Ort nicht in der Öffentlichkeit sind doch im wesentlichen fol- hilft. gende: Heute will, wie ich glaube, die Mehrheit der Bevöl- Wir haben seit etlichen Jahren einen drastischen kerung eine Einigung der Parteien auf eine Rechtsän- — derung, die die Probleme wirklich lösen hilft und die Wohnungsmangel. oft ungeheuren Belastungen vor Ort mindert. Ich kann — Unser Wohlstandssystem hat seine ökologischen, die erwartete und erhoffte Problemlösung oder zumin- wahrscheinlich auch ökonomischen Grenzen er- dest Problemminderung in dem vorliegenden Kom- reicht, was durch die deutsche Einheit verschärft promiß nicht sehen und ihm deshalb nicht zustimmen. wurde. Jetzt muß Wohlstand abgebaut werden. Ich befürchte sehr, daß die heutige Entscheidung in Dies allein ist schon Sprengstoff genug. Verkennung der Lage zwar heute begrüßt wird, sie — Der Abstand zwischen Arm und Reich hat sich in aber schon nach wenigen Monaten in ganz Deutsch- den vergangenen zehn Jahren dramatisch ver- land, besonders aber im Osten Deutschlands, zu schärft, wir sind eine Zwei-Drittel-Gesellschaft großen Enttäuschungen führen wird. Die Menschen geworden. werden sich getäuscht vorkommen, was die Politik- verdrossenheit nur verstärkt und die Demokratie — Der Ostblock ist, was ja alle gewünscht haben, schwächt. zusammengebrochen, und in der Folge sind unsere Ostgrenzen relativ offen. Ulrike Mehl (SPD): Die Diskussion über die Ände Besondere Bitterkeit in die Diskussion hat die Tat- rung des Grundgesetzes in Sachen Asyl ist lang und sache hineingebracht, daß die Kommunen für einen facettenreich. Ich habe mich manchmal gefragt, was großen Teil der Kosten der Unterbringung von Asyl- hier eigentlich tatsächlich diskutiert wird. Geht es bewerbern aufkommen müssen, und dies in einer Zeit, darum, ein Problem zu lösen oder wenigstens abzu- in der immer mehr kostenträchtige Aufgaben den mildern, oder geht es um eine politische Kraft- Kommunen aufgeladen werden. probe? Es geht in der politischen und öffentlichen Diskus- Tatsache ist, daß die CDU/CSU im Bundestag in den sion längst nicht mehr darum, daß ein wesentlicher 2 1/2 Jahren, die ich diesem Hause angehöre, nichts Engpass die Wohnungsnot ist und wir klären müssen, anderes getan hat, als eine Änderung im Grundgesetz wie dies abzustellen ist, ob wirklich zu viele Asylbe- zu fordern, und dies, obwohl sie weiß, daß diese werber im Lande sind und wie wir ihre Begehren nach Änderung keinesfalls den gewünschten Effekt der Asyl schnell überprüfen können. Zuwanderungsverminderung bringen wird. Alle Vor- schläge, die tatsächlich die Kommunen entlasten Die Bundesregierung hat sich nicht bemüßigt können, z. B. eine massive Beschleunigung der Aner- gefühlt, die Kommunen durch entsprechende Verfah- kennungsverfahren, kamen von der SPD. ren zu entlasten, sondern sie wollte als einziges Ziel das Grundgesetz ändern und die SPD in die Knie Ich glaube, daß die Entscheidung, die heute getrof- zwingen. fen werden soll, nicht mehr viel mit den eigentlichen Inhalten des Zuwanderungsproblemes zu tun hat. Dabei weiß sie genau, daß diese Änderung den Vielmehr hat insbesondere die CDU/CSU ein öffent- Zuwanderungsdrang aus armen Ländern nicht ver- liches Diskussionsfeuer entfacht, das sie selbst nicht mindern wird, weil kein Asylbewerber, der sich im mehr zu bändigen weiß, und jetzt geht es nur noch Inland meldet, gezwungen werden kann zu sagen, darum, dieses Thema vom Tisch zu kriegen. woher er kommt. Er kann also auch nicht abgeschoben Daß vor diesem irrationalen Hintergrund inzwi- werden und ist somit im Verfahren und von Kommu- schen viele um den Bestand unserer Demokratie nen unterzubringen. fürchten, kann ich durchaus nachvollziehen. Ich achte Sie weiß genau, daß ein großes Problem in der ihre Motive, wenn sie sich heute für ein Ja entschei- Dauer der Verfahren liegt. Es ist durchaus normal, daß den. Für mich ist bei einer solchen Entscheidung aber ein Asylbewerber erst nach einem Jahr zur ersten grundlegend wichtig, ob sie geeignet ist, das anste- Anhörung geladen wird. hende Problem zu lösen oder wenigstens in dieser Sie weiß genau, daß der Zustrom aus dem Osten Richtung deutlich zu wirken. Wenn ich mich dazu nicht zu stoppen ist, sondern die Menschen wahr- entschließe, mir bisher wichtige Positionen aufzuge- scheinlich in großer Zahl in die Illegalität marschieren ben, weil die Menschen in den Kommunen hier eine und damit das Problem auf die Polizei verschoben Lösung wollen, dann kann ich doch nur etwas zur Entscheidung anbieten, was die Kommunen und wird. damit die Menschen vor Ort entlastet. Genau dies Warum hat sich die Bundesregierung nicht bemü- sehe ich bei der heute zu entscheidenden Grundge- ßigt gefühlt, eigene Vorschläge zur Verfahrensbe- setzänderung nicht. Die Kommunen werden morgen, schleunigung zu entwickeln und sich endlich mal mit nächsten Monat und auch in einigen Monaten nichts dem Problem der Schlepperorganisationen auseinan- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13649* derzusetzen, statt seelenruhig zu warten, bis es an der Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Mit einer größeren Basis kocht? Gruppe von SPD-Abgeordneten lehne ich den „ Asyl- kompromiß " ab, „weil er die Gefahr in sich birgt, daß Die SPD muß sich allerdings fragen lassen, warum tatsächlich politisch verfolgte Menschen in Zukunft sie den Bundesparteitagsbeschluß, nämlich wirklich keinen Schutz mehr bei uns finden werden". Die auch ein Gesetzespaket mit Doppelstaatsangehörigkeit von mir unterzeichnete „Erklärung zur Abstimmung und Option auf ein Zuwanderungsgesetz, unter dem über die Änderung des Ar tikels 16 Grundgesetz" will Druck der Verhandlungen nicht durchsetzen ich hier nicht wiederholen. Ich möchte aber auf zwei konnte. verfassungsrechtliche Aspekte hinweisen, die in der bisherigen Diskussion nur unzureichend beachtet Stattdessen stehen wir heute vor einem vermeintli- worden sind. chen Paket, das eigentlich keines ist, das versucht, unsere Probleme auf Länder mit noch wackeligen Vielfach wird angenommen, die Drittstaatenrege- Demokratien, nämlich Polen und die Tschechische lung des vorgesehenen Art. 16 a Abs. 2 GG gelte nicht Republik, abzuwälzen, das unsere Kommunen nicht ohne weiteres für diejenigen Asylbewerber, die per im notwendigen Maß entlasten wird, das noch nicht Schiff oder Flugzeug in die Bundesrepublik einreisen, einmal die Frage der Finanzierung von Kriegsflücht- jedenfalls dann nicht, wenn der Reiseweg nicht fest- lingen klärt. gestellt werden kann. Diese Auffassung hält nach meiner Überzeugung einer rechtlichen Prüfung nicht Stattdessen wird im ehemaligen Jugoslawien miß- stand. Denn Schiffe und Flugzeuge sind nach gelten- handelten und vergewaltigten Frauen erklärt, ihre dem Völkerrecht Teil des Ter ritoriums des Flaggen- Situation sei kein Grund für Asyl, und desertierte staates, was sich unmittelbar auf die Feststellung der Soldaten werden zurückgeschickt, obwohl man sich Strafgewalt auf Schiffen oder in Flugzeugen nach ausmalen kann, was denen blüht, und man sich internationalem Strafrecht auswirkt. Deshalb kommt eigentlich über jeden, der nicht mehr mitschießen will, ein Asylbewerber, der auf einem Schiff mit polnischer freuen müßte. Flagge oder in einem russischem Flugzeug einreist, unmittelbar über Polen bzw. über Rußland in die Wir öffnen die Grenzen mit Freude Richtung Bundesrepublik, ohne daß es der Feststellung des Westen, weil wir davon profitieren, im Osten dürfen Reiseweges bedürfte. Die behauptete Lücke im neuen dagegen nun die Polen und Tschechen versuchen, „Asylrecht" gibt es also in Wahrheit nicht. Dieses ist ihre Grenzen abzuschotten. Wenn dann ein politisch wasserdicht. verfolgter Russe seinen Verfolgern in die Hände fällt, weil in Polen die Uhren noch etwas anders gehen, tut Mit meinem zweiten Hinweis beziehe ich mich auf uns das dann zwar leid, im Ergebnis hat der Be troffene die Auseinandersetzung um die Verfassungsmäßig- aber Pech gehabt. Während wir uns hier jahrelang keit des vorgesehenen Paragraph 34a Abs. 2 des darüber streiten, ob die Flüchtlinge menschenwürdig Asylverfahrensgesetzes. Zutreffend hat mein Frak- untergebracht sind, fragt keiner mehr danach, ob dies tionskollege Dr. Hans-Jochen Vogel bei verschiede- in Polen der Fall sein wird. nen Gelegenheiten und zuletzt in einer gemäß Para- graph 31 der Geschäftsordnung abgegebenen Erklä- Ich weiß, daß wir auf unserem Boden nicht die rung darauf hingewiesen, daß die vorgesehene Rege- Probleme dieser Welt lösen können. Ich weiß auch, lung verfassungswidrig ist. Auch nach meiner Über- daß die Bereitschaft unserer Bevölkerung diesen zeugung ist es mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Trend mitzumachen begrenzt ist. Das muß und will ich GG unvereinbar, den Ge richten die vorläufige Aus- ernst nehmen. Aber ebenso muß ich den Menschen setzung von Verwaltungsakten, die im Falle ihres auch klarmachen, daß diese Änderung im Grundge- Vollzugs in zentrale Rechtsgüter eines Menschen setz genausowenig die Migrationsbewegung der Welt eingreifen, ausnahmslos, also auch dann zu verbieten, aufhalten wird. wenn die Abschiebung offensichtlich rechtswidrig ist, weil der Be treffende entgegen der Feststellung der Ich halte das Grundgesetz durchaus nicht in allen Verwaltungsbehörde nachweisbar nicht über einen Punkten für unantastbar. Wenn eine Grundgesetz sicheren Drittstaat eingereist ist oder weil ihm im nderung Probleme lösen könnte, wäre ich -Äbereit, konkreten Fall ausnahmsweise im Drittstaat oder in darüber zu reden. Aber in diesem Fall versuchen die einem Staate, in den er weiter abgeschoben werden reichen Westeuropäer ihre ureigensten Probleme, kann, politische Verfolgung, insbesondere Folter oder statt sie zu lösen, in Richtung Osten weiterzuschieben. eine sonstige unmenschliche Behandlung, droht. Alle Sollen doch die die Mauern bauen, und im übrigen Versuche der SPD-Verhandlungsführer, in Gesprä- wollen die ja auch mal irgendwann in die EG. chen mit dem CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Dr. Schäuble und zuletzt auch mit Bundeskanzler Ich habe die große Befürchtung, daß unsere Kom- Dr. Kohl eine Änderung des Paragraph 34 a Abs. 2 zu munen auch weiterhin unverändert vor den alten erreichen, blieben ergebnislos. Problemen, wie der Unterbringung ausländischer Mitbürger, stehen werden und die Bevölkerung Für die verfassungsrechtliche Beurteilung dieses erkennen muß, daß hier lediglich ein riesiger politi- Vorganges scheint mir bedeutsam, daß diesem Kon- scher Machtkampf sein Ende gefunden hat. Wie sich flikt eine diametral entgegengesetzte Auslegung des dann der Unmut der Bürgerinnen und Bürger aus- vorgesehenen Grundgesetzartikels 16a Abs. 2 Satz 3 drücken wird, ist wohl nicht kalkulierbar. zugrunde liegt. Dieser lautet: „In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen Ich werde dieser Grundgesetzänderung nicht unabhängig von einem hiergegen eingelegten zustimmen. Rechtsbehelf vollzogen werden" . Die SPD versteht 13650* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 diesen Satz so, daß er nur erlaubt, daß aufenthalts- Hinzu kommt, daß Deutschland bislang die meisten beendende Maßnahmen unabhängig von einem hier- Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien gegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen- werden, aufgenommen hat und weiter aufnimmt. Im Vergleich keineswegs aber gebietet, daß solche Maßnahmen zu den anderen Nachbarländern haben wir am mei- nicht im Einzelfall von den Gerichten ausgesetzt sten geholfen. werden können. Im Gegensatz dazu hat Dr. Schäuble Ich habe immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß unter Überreichung eines gutachtlichen Vermerks jeder Mensch auf der Welt, der im Sinne von Art. 16 gegenüber dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Hans GG aus politischen, rassischen oder religiösen Grün- Ulrich Klose die Auffassung vertreten, die einfach- den verfolgt wird und Gefahr für Leib und Leben zu rechtliche Norm des Paragraphen 34 a Abs. 2 Asylver- befürchten hat, bei uns in Deutschland Schutz und fahrensgesetz werde durch den neuen Artikel 16 a Unterkunft finden muß. Abs. 2 Satz 3 GG abgedeckt. Damit steht fest, daß der vorgesehene Artikel 16 a GG in einem zentralen Punkt Dieses Grundrecht bleibt auch nach der heute zu von der Regierungskoalition einerseits und der SPD- beschließenden Grundgesetzänderung erhalten. Wir Fraktion andererseits völlig unterschiedlich verstan- können aber nicht länger das ganze Elend dieser Welt, den wird. Die scheinbare Einigung über den Wortlaut vor allem Armut und materielle Not, bei uns in des neuen Grundgesetzartikels ändert also nichts Deutschland lösen. Wenn über 90 % aller asylsuchen- daran, daß über dessen Inhalt ausweislich des vorlie- den Menschen, ohne verfolgt zu sein, zu uns kommen, genden Schriftwechsels ein offener Dissens besteht. da sie bei uns eine bessere Lebensperspektive sehen, Einer Grundgesetzänderung, über deren Inhalt die so ist das zwar menschlich verständlich, überfordert beiden größten Bundestagsfraktionen in einem ent- jedoch total unsere wirtschaft lichen und sozialen scheidenden Punkt uneinig sind kann ich nicht Möglichkeiten. zustimmen. Gerade weil wir das Asylrecht in seinem Kern erhalten wollen, müssen wir eine Überforderung unserer Hilfsmöglichkeiten unbedingt vermeiden. Es Alfons Müller (Wesseling) (CDU/CSU): Um es gleich kann auch nicht richtig sein, daß Menschen in großer vorweg deutlich zu machen: Ich werde heute für die Zahl ihre Heimat verlassen müssen, um anderswo und Ergänzung des Grundgesetzes stimmen. Nach meiner außerhalb ihres Kulturkreises besser leben zu kön- Erfahrung — besonders als langjähriger Bürgermei- nen. ster der Stadt Wesseling — kann es nicht länger bei der bisherigen Praxis bleiben, wonach in immer Unsere Aufgabe muß es sein, die Fluchtursachen zu größerer Zahl Asylbewerber unberechtigt und unkon- beseitigen helfen. Mit aller Konsequenz müssen wir trolliert in unser Land strömen. uns darum bemühen, — die Achtung der Menschenrechte in allen Ländern Als langjähriger ausländerpolitischer Sprecher der Welt zu fördern, der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, — zur Beendigung kriegerischer Auseinandersetzun- CDA, von 1980 bis 1990, habe ich mich immer wieder gen beizutragen, für eine rationale und ethisch verantwortbare Asylpo- — mitzuhelfen, durch gezielte Entwicklungspolitik litik eingesetzt. Die unter meiner Leitung verfaßten Armut und materielle Not zu überwinden. Diskussionspapiere, ausländerpolitischen Leitsätze und Vorschläge zur Änderung des Ausländerrechts Deutschland hat auf Grund seiner Erfahrungen aus machen das ebenso deutlich wie meine Reden im der Zeit des Nationalsozialismus das liberalste Asyl- Deutschen Bundestag. recht der ganzen Welt. Es kann aber nicht länger sein, daß 70 % aller Flüchtlinge Aufnahme bei uns suchen In den vergangenen 12 Jahren war sicherlich die und bislang auch finden. Diskussion der Flüchtlingsprobleme und die Flücht- Kriminelle Schlepperbanden beuten oft schamlos lingspolitik auf Bundes- und Landesebene oft zu sehr die Not der armen Flüchtlinge aus und bringen die von kurzfristigen Reaktionen auf einzelne Probleme Menschen in unver antwortlicher Weise in unser und Entwicklungen geprägt. Land. Viele von uns haben lange Zeit geglaubt, man Die Folge ist, daß die hoffnungslos überforderten könne mit Einzelmaßnahmen dem schwierigen Pro- Kommunen gar nicht mehr in der Lage sind, die blem der Asyl- und Flüchtlingspolitik gerecht werden. betroffenen Menschen menschenwürdig unterzubrin- Das hat sich leider als ein Trugschluß erwiesen. Auch gen. Ich schäme mich für die Verhältnisse in manchen ich habe über Jahre hinweg geglaubt, wir würden Notunterkünften. Das ist oft unmenschlich und hat mit ohne Grundgesetzänderung den Zustrom sozial ver- unseren christlich-sozialen Grundsätzen nichts mehr antwortlich steuern können. zu tun. Spätestens jedoch seit dem Zerfall des Kommunis- Es muß ganz besonders Aufgabe der Unionspar- mus ist die Zahl der nicht begründeten Asylsuchenden teien mit ihrer Bindung an das christliche Verständnis so sprunghaft angestiegen, daß selbst unser L and, das vom Menschen sein, durch eine rationale und ethische mit Recht als eines der reichsten und leistungsstarken verantwortbare Flüchtlingspolitik die in den vergan- Industrieländer gilt, mehr und mehr überfordert wird. genen Jahren aufgetretenen scheinbaren Widersprü- In der oft emotional geführten Debatte wird gern che zwischen ethischen Grundsätzen und christlicher übersehen, daß wir neben den fast 500 000 Asylbe- Nächstenliebe einerseits sowie praktisch-politischen werbern weitere hunderttausende Übersiedler aus Erfordernissen andererseits zu überwinden. Jede den ehemaligen Ostblockländern Jahr für Jahr auf- andere Politik läßt nicht nur die Probleme ungelöst nehmen. und führt zu einer Spaltung unserer Gesellschaft, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13651* sondern trägt auch zu einer weiteren Aushöhlung In dieser psychologischen Situation wären die Par- christlicher Wertvorstellungen im Bewußtsein der teien zwar schlecht beraten gewesen, die Sorgen und Bevölkerung und damit zu einer Verschärfung der Ängste der Bevölkerung nicht ernst zu nehmen und Sinn- und Wertkrise in unserer Gesellschaft bei. das Problem zu verniedlichen. Niemand kann eine ständig wachsende Zuwanderung unbegrenzt einfach Ich stehe uneingeschränkt zum Asylkompromiß hinnehmen und verantworten. Es wäre aber erforder- und gebe den heute zu beschließenden Gesetzen lich gewesen und ist weiterhin erforderlich, die Pro- meine Zustimmung. blembeschreibung zu versachlichen sowie die H and- lungsmöglichkeiten und deren Grenzen nüchtern zu Peter Paterna (SPD): Der Parteienkompromiß der definieren. Dazu gehören folgende Tatsachen: SPD mit den Koalitionsfraktionen vom 6. Dezember — Deutschland hätte die Bestimmungen der Genfer 1992, für uns ergänzt durch den Parteiratsbeschluß Flüchtlingskonvention, der UN-Menschenrechts- vom 14. Dezember, ließ grundlegende Veränderun- konvention und anderer völkerrechtlich bindender gen in den letzten 5 Monaten weder vor Einbringung Verträge auch dann zu beachten, wenn es ein der Gesetze noch in den Einzelberatungen zu. Auch Grundrecht auf Asyl bei uns gar nicht gäbe. die Sachverständigen konnten in den Anhörungen mit ihren Einwänden und Anregungen keinen prägenden — Jeder Versuch, den Großteil der nach Deutschland Einfluß auf die Gesetzgebung mehr nehmen. Ich habe strebenden Flüchtlinge bereits an den Grenzen großen Respekt davor, mit welcher Gründlichkeit und aufzuhalten, ist unrealistisch (offene Grenzen in Hartnäckigkeit unsere Verhandlungsführer in der der EG; 1 100 km „grüne Grenze" mit Polen und Zwischenzeit gearbeitet haben. Die wesentlichen der Tschechischen Republik). Gründe für meine Ablehnung liegen aber nicht in den — Wer seine Gesundheit und sein Leben und das Details, die heute zur Beschlußfassung anstehen, seiner Kinder nicht durch politische Verfolgung, sondern bereits im „Parteienkompromiß" von Anfang sondern aus wirtschaftlicher Not bedroht sieht und Dezember und seiner Vorgeschichte. deshalb seine Heimat verläßt, handelt nicht unmo- CDU und CSU haben nachweisbar die Asylproble- ralisch und verwerflich. matik angeheizt und demagogisch verkürzt. Am ent- — Wer über das Asylrecht einen Aufenthalt in larvendsten ist für mich das Zitat des früheren CDU- Deutschland zu erreichen versucht, tut dies auch Landesvorsitzenden von Niedersachsen, Stock, der an deshalb, weil ihm anders als in anderen Ländern einem Wahlabend sagte: „Das Thema Asyl hat uns legale Alternativen nicht angeboten werden. gutgetan." Auch die „SPD-Asylanten" des damaligen CDU-Generalsekretärs Rühe sind noch in Erinnerung. — Nicht jeder, dem im Verwaltungsverfahren die Auch mit Begriffen wie „Asyl-Tourismus", „Schein- Anerkennung als Asylbewerber verweigert wird, asylanten", „multikriminelle Gesellschaft" und ähnli- hält sich anschließend rechtswidrig und miß- chen Formulierungen ist in der Bevölkerung das bräuchlich in Deutschl and auf. Die geringe Aner- kennungsquote, mit der Stimmung gemacht wird, Klima aufgeheizt und geistig vergiftet worden. Die Wortwahl hat einen Eindruck erzeugt, als bräche eine wäre um ein Mehrfaches derjenigen zu ergänzen, existenzbedrohende Naturkatastrophe über uns her- die sich auf Grund anschließender Gerichtsbe- ein. Gleichzeitig führte die CDU/CSU eine Debatte schlüsse und insbesondere eines Bleiberechts aus um den Art. 16 GG, in der sie den Eindruck erweckte, diversen anderen Gründen legal bei uns aufhal- sie verfüge über Patentrezepte, wie wirksame Dämme ten. gegen diese Naturkatastrophe gebaut werden könn- — Wer mit Zuwanderungszahlen politischen H and- ten, wenn nur die SPD zu einer Grundgesetzänderung lungsdruck erzeugt, sollte fair genug sein, auch die bereit wäre. Für mich besonders ärgerlich ist, daß sich Abwanderungszahlen von Ausländern zu nen- die SPD diese Debatte in dieser Form hat aufzwingen nen. lassen, statt alles daranzusetzen, die Demagogie die- — Wer die Problematik der stark wachsenden Zahlen ser Kampagne zu entlarven. Statt dessen haben wir der Asylbewerber insbesondere auf dem Hinter- uns in eine abstrakte Diskussion über die Frage grund mangelnden preiswerten Wohnraums, ho- verwickeln lassen, ob wir bereit wären, Art. 16 GG zu her Arbeitslosigkeit und knapper Sozialhilfemittel ändern oder nicht, ohne daß über viele Monate die betrachtet, muß Abstand davon nehmen, allein Koalition in der Lage gewesen wäre, überhaupt einen eine Reform des Asylrechts zum Allheilmittel zu konkreten Änderungsvorschlag zu präsentieren. erklären. Gefordert wäre vielmehr eine umfas- Wer immer welchen Teil der Verantwortung für sende Kriegsfolgen-Schlußgesetzgebung ein- wachsende Ausländerfeindlichkeit in unserem Land schließlich der Revision eines völlig überholten zu tragen hat: Für mich sind am erschreckendsten Artikels- 116 GG, ein zeitgemäßes Einbürgerungs nicht die wenigen tausend potentiellen Täter, die und Zuwanderungsrecht. aktiv zu Mord und Mordversuch bereit sind. Viel — Eine objektive Grenze dafür, wann „das Boot voll" erschreckender ist, daß diese potentiellen Mörder sich ist, gibt es nicht. Sie liegt in der subjektiven als Erfüllungsgehilfen einer dumpfen Ausländer- sozialen Befindlichkeit der Einheimischen: Für feindlichkeit in wachsenden Teilen der Bevölkerung viele Menschen in den neuen Bundesländern war achten können, die diese Exzesse zwar verurteilt, betr ein Ausländeranteil von 1 % schon zu hoch. unseren demokratischen Rechtsstaat aber für zu schlapp hält, mit diesem als Existenzbedrohung emp- — Es muß immer wieder bewußt gemacht werden, fundenen Problem fertig zu werden, und für rechtsra- daß ständig 500 Millionen Menschen auf der Welt dikale Angriffe auf „das System" empfänglich wird. mit steigender Tendenz auf der Flucht sind, weil 13652* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

ihre Existenz bedroht ist, und daß dazu mindestens — Wenn der wirtschaftliche Wohlstand stagniert oder 15 bis 20 Millionen Menschen gehören, die nach sogar sinkt, schwindet die Hoffnung der Benach- der Definition des Flüchtlingskommissars der Ver- teiligten auf Besserung und wächst die Sorge der einten Nationen politische Flüchtlinge sind. Die Privilegierten und Erfolgreichen um den sicher Frage an Deutschland kann deshalb nicht sein, ob geglaubten Besitzstand. wir überhaupt Flüchtlinge aufzunehmen bereit — Die sozialen Sicherungssysteme werden brüchig, sind, sondern wieviele es unter dem Gesichtspunkt die Produktivität wächst schneller als die Absatz- einer gerechten Lastenverteilung sein müssen und märkte, die Kannibalisierungseffekte im Wettbe- in der jeweiligen ökonomischen Lage sein können. werb der priviligierten Industriestaaten unterein- Es geht also nicht um alles oder nichts, sondern um ander nehmen zu, Billiglohnländer mit industriel- ein vertretbares Maß. lem Know-how gibt es jetzt nicht nur in Fernost, — Wer die Kosten der Zuwanderung addiert, müßte sondern auch in der Nachbarschaft insbesondere fairerweise die Einnahmen gegenüberstellen: Deutschlands. Nach Untersuchungen auch konservativer Wirt- Das sind einige der wahren Gründe, die bei vielen schaftsinstitute unter dem Strich eine posi tive zu Panikreaktionen gegenüber Ausländern führen. Bilanz für die deutsche Volkswirtschaft. Es gibt viele tiefgreifende Ursachen für berechtigte — Es sollte auch der unterschwellige Eindruck ver- Besorgnisse unserer Bürgerinnen und Bürger: mieden werden, als hätten die flüchtenden Men- schen im Grunde selbst schuld. Von vielfältigen — Die immer offensichtlicher werdende Konzeptlo- anderen Ursachen abgesehen, kann uns die Tatsa- sigkeit für eine gerechtere Weltwirtschaftsord- che nicht erspart bleiben, daß viele Fluchtursachen nung und die daraus resultierende Angst vor unbe- insbesondere in der sogenannten Dritten Welt von herrschbar wachsender Weltbevölkerung mit den Industrienationen mit zu verantworten sind. wachsenden Verteilungskämpfen und Flücht- Jedenfalls muß das Bewußtsein dafür gestärkt lingsströmen. werden, daß es in unserem wohlverstandenen — Dazu die wachsende Ahnung, daß wir mit unserer Eigeninteresse liegt, nicht allen Einfallsreichtum Art des Wirtschaftens als Grundlage unseres darauf zu konzentrieren, Flüchtlingsströme an Reichtums die Lebensgrundlagen auf der Erde unseren Grenzen abzuwehren, sondern die Ursa- nicht nur in Entwicklungslände rn, sondern auch chen an den Quellen zu bekämpfen. Auch dies bei uns zerstören. kann nicht zum Nulltarif zu haben sein, sondern fordert Opfer, für deren Bereitschaft die Politik das — Dazu noch vor unserer westeuropäischen Haustür notwendige Verständnis zu vermitteln hat. nicht mehr das simple Erklärungsmuster der Blocksysteme, sondern zusammenbrechende — Außerdem ist immer wieder dafür zu werben, daß Volkswirtschaften mit lange aufgestauten und jetzt man wesentliche Prinzipien eines demokratischen explodierenden ethnischen und religiösen Kon- Rechtsstaates nicht aus Opportunitätsgründen auf- flikten und die Ahnung, daß Somalia, Berg-Kara- geben darf, weil nach einem ersten Mal erfah- bach und Jugoslawien keine einzelnen rasch vor- rungsgemäß die Hemmschwelle für einen zweiten übergehenden Bet riebsunfälle sind, sondern Vor- und dritten Fall herabgesetzt wird, so daß ein boten eines wachsenden Chaos, das unsere Stabi- Erosionsprozeß in Gang gesetzt wird, der später litätsinseln bedroht .. . auch diejenigen treffen kann, die sich zunächst Es gibt also wahrlich genug Grund, sich Sorgen zu einen Vorteil erhofften. machen, Angst zu haben. Nur allzu verständlich, daß Wer diese Tatsachen nicht einer breiten Bevölke- unsere Bevölkerung nach Konzepten, Orientierung, rungsmehrheit bewußt macht, hat keine Ch ance, Lösungskompetenz in der Politik verlangt. Nur allzu akzeptable Lösungen zu finden. Der wird vielmehr verständlich, wenn sie sich enttäuscht von einer von einem als ungenügend empfundenen Eindäm- unfähigen Regierung und einem scheinbar alternativ- mungsversuch zum nächsten getrieben werden. Und losen Mitwursteln der Opposition abwendet. Aber wer solange die CDU/CSU glaubt, mit der Emotionalisie- glaubt, mit einer Zustimmung zu diesem Asylkompro- rung gegen Ausländer parteitaktische Vorteile zu miß neue, positive Signale zu setzen, die Wende zum erringen, kann er noch so willfährige Kompromisse Besseren einzuleiten, die „Politikverdrossenheit" schließen — er wird der nächsten Diffamierung nicht abzubauen, täuscht sich und die Öffentlichkeit, ver- entgehen. schafft sich mal wieder eine kurze Atempause, um anschließend den Niedergang noch zu beschleuni- Am verheerendsten ist, daß das Ausländer- und gen. Asylrecht zum Blitzableiter gemacht wird, um von viel Ich habe Verständnis für die Bevölkerung, die wichtigeren und grundlegenden Fragen abzulenken: Handlungsfähigkeit bewiesen sehen möchte. Aber In den Menschen wächst die Angst um die Zukunft aus wenn die Einigung auf einen Kompromiß zum Selbst- Unsicherheit. zweck wird und die tatsächlichen Inhalte kaum noch — Viele haben konkrete Sorgen wegen wachsender eine Rolle spielen, geht es an die Substanz unseres Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Einsamkeit und Politikverständnisses. Dann wursteln wir von Schein- mangelhafter Versorgung im Alter. lösung zu Scheinlösung, vernebeln die eigentlichen Konfliktursachen, lenken das Interesse statt auf neue — Bindungen an familiäre und soziale Milieus lösen Konzepte auf alte Sündenböcke. Und dabei demontie- sich auf. ren wir um einer medienwirksamen Verschnaufpause Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13653* willen die Grundlage unseres Staates, nämlich die montieren — gegen eine solche Entwicklung ist nach Prinzipien unserer Verfassung: meiner Überzeugung spätestens ab heute im Parla- ment grundsätzlicher Widerstand geboten. — Das Rechtsstaatsprinzip, nach dem a lles Verwal-- tungshandeln von unabhängigen Ge richten über- prüfbar ist, wird aus Opportunitätsgründen für Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Von mehreren bestimmte Fallgruppen außer Kraft gesetzt, ohne Rednern der SPD ist heute mehrfach hervorgehoben den Mut zu haben, diese Demontage offenzulegen worden, daß man es sich nicht leicht gemacht hätte. und Art. 19 Abs. 4 GG zu ändern. Wenn man die Zerstrittenheit in der SPD sieht, so ist das in der Tat richtig. Aber umgekehrt ist es nicht — Gegen die Bestimmung, nach der ein Grundrecht zulässig, aus der großen Einigkeit der Haltung der in seinem Wesensgehalt nicht angetastet werden Union den Schluß zu ziehen, wir hätten es uns darf, wird verstoßen, ohne den Mut zu haben, leichtgemacht. Auch bei uns hat es Debatten gege- Art. 19 Abs. 2 GG zu ändern. ben, z. B. über die Frage, ob es notwendig und sinnvoll — Da bastelt man unter selbst erzeugtem Einigungs- ist, das individuelle Grundrecht auf Asyl durch eine druck einen Art. 16a GG, der unabhängig vom institutionelle Garan tie zu ersetzen. Ich nehme für inhaltlichen Standpunkt nach Auffassung a ller meine Kollegen und mich jedenfalls in Anspruch, daß Verfassungsrechtler eine Mißgeburt ist. wir es uns sehr wohl schwergemacht haben. — Da läuft man zumindest Gefahr, bei der Umsetzung Manchmal habe ich im übrigen während der dieses sogenannten Asylkompromisses gegen Debatte heute den Eindruck gehabt, daß einige Ver- Art. 1 und 2 unserer Verfassung zu verstoßen. treter der Opposi tion es sich zu leicht machen. Es ist (Art. 1 Abs. 1 GG: „Die Würde des Menschen ist nämlich relativ leicht, hohe moralische Ziele gesin- unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist nungsethisch zu vertreten, denen keiner im Prinzip Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Art. 1 widersprechen möchte. Wie schön wäre es, wenn wir Abs. 2 GG: „Das deutsche Volk bekennt sich darin alle Probleme dieser Welt auf unsere Schultern laden zu unverletzlichen und unveräußerlichen Men- könnten! Aber unseren Kräften sind Grenzen gesetzt. schenrechten als Grundlage jeder menschlichen Diese Einsicht ist oft viel schwerer. Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. " Art. 2 Abs. 2 GG: „Jeder hat das Recht Noch schwerer ist die Beantwortung der Frage, wie auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die all die Menschen, die zu uns kommen wollen, hier Freiheit der Person ist unverletzlich.") Arbeit und Wohnung bekommen sollen und wie wir mit ihnen ein friedliches Zusammenleben gestalten. So gesehen ist die Beschlußlage zum Asylrecht am Wie sollen angesichts der großen Probleme in unse- heutigen Tag kein einmaliger Vorgang, sondern hat rem Land auf Dauer die Sozialleistungen finanziert Methode: Erst wird ein objektives Problem von den werden? Die Anerkennung der Wahrheit unserer Konservativen auf Stammtischniveau vereinfacht und begrenzten Kräfte ist die Vorausetzung jeden ethisch gleichzeitig aus parteipolitischem Egoismus in der verantwortlichen Handelns. Bedeutung übertrieben, dann eine Scheinlösung pro- pagiert und die SPD mit öffentlichem Druck zur Es ist moralisch wenig überzeugend, die Forderung angeblich alternativlosen Mittäterschaft verleitet. nach uneingeschänkt offenen Grenzen zu erheben — Und wir lassen uns in immer kürzeren Abständen ohne zu sagen, wie das in der Praxis umgesetzt darauf ein, dem Publikum Regierungs- und Hand- werden soll. Moral muß sich in der Wirklichkeit lungsfähigkeit nach konservativem Strickmuster vor- bewähren. Ihr Kollege Wartenberg hat dazu in der zugaukeln. Debatte vom 4. März 1993 zutreffend ausgeführt: — Früher der Radikalenerlaß, die Antiterrorgesetz- Der universelle individualrechtliche Anspruch gebung, sollte die Bundesrepublik Deutschland deutlich von der Vergangenheit abheben. Auf der anderen — kürzlich die Unterstützung im Golfkrieg, die Seite ist dieser universelle Anspruch immer ein- Scheinlösungen gegen Kriegswaffenexporte, gegrenzt worden. Würde der Anspruch eingelöst, — heute die Demontage des Asylrechts ohne kon- würde das Asylrecht nicht mehr funktionieren .. . struktive Alternativen, Unser Verfassungsartikel hat letzten Endes immer mehr versprochen, als er halten konnte. — morgen die Bundeswehr als bewaffneter Friedens- schaffer ohne Konzept für die Behandlung minde- Was wir heute beschließen, ist nicht die Abschaf- stens 20 weiterer vergleichbarer akuter Krisen- fung, sondern die legitime Einschränkung eines herde, Grundrechtes. Eines der Hauptargumente von Teilen der Opposition gegen den Asylkompromiß besteht in — übermorgen der große Lauschangriff als angeblich der „Drittstaatenregelung". Sie mache es, so lautet wirksame Waffe gegen das organisierte Verbre- das Argument, de facto unmöglich, das Grundrecht chen... auf Asyl wahrzunehmen, da die Bundesrepublik von Gegen diese Methode, durch immer neue Gesetz- sicheren Drittstaaten umgeben ist. In Wahrheit aber ist gebung Handlungsdefizite der Regierung zu vertu- diese Regelung nur ein Versuch, die anderen Staaten schen, durch immer neue Scheinlösungen von den Europas mit in die Verantwortung bei der Bewälti- eigentlichen Ursachen und der Notwendigkeit für gung der Wanderungsbewegung einzubinden. Die neue Konzepte abzulenken und den Regierten unan- Wirksamkeit dieser Regelung, das hat der Kollege genehme Wahrheiten zu ersparen und dabei aus Wartenberg ebenfalls gezeigt, wird schon dadurch Opportunitätsgründen Verfassungsgrundsätze zu de begrenzt, daß der Staat, der einen Asylbewerber 13654* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 abgibt, dem Aufnahmestaat nachweisen muß, daß er Es gibt keinen Putsch gegen das Grundgesetz, es gibt zuständig ist. Schon deshalb wird es keine Abschot- keine Rechtfertigung für sogenannten „Widerstand". tung geben. Im übrigen verweise ich auf die Rede des Heute morgen sind meine beiden Mitarbeiterinnen Kollegen de With vom Vormittag, der sich mit den mit Gewalt daran gehindert worden, unser Büro zu entsprechenden kritischen Anmerkungen des Kolle- erreichen. Wer glaubwürdig für offene Grenzen ein- gen Hirsch eindrucksvoll auseinandergesetzt hat. tritt, darf anderen nicht den Weg versperren. Mit Nötigung und Gewalt läßt sich die Menschenwürde Im übrigen hat es die Opposition versäumt, den nicht verteidigen. Ich will damit nicht die Mehrheit der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland Demonstranten ihre idealistischen Beweggründe ab- und Polen vom 7. Mai 1993 gerecht zu würdigen. Er ist sprechen. Ich achte ihr Engagement für Asylbewer- Beweis dafür, daß wir die Zuwanderungsprobleme ber. Aber ich erwarte von ihnen, daß sie auch meine nicht auf dem Rücken der Nachbarn austragen wol- Gründe respektieren, die mich dazu bringen, dem len, sondern eine faire europäische Lastenteilung Asylkompromiß zuzustimmen. anstreben. Im einzelnen sind vier Punkte hervorzuhe- ben: Erstens. Die Bundesrepublik Deutschland wird Bernd Reuter (SPD): Als ehemaliger Bürgermeister keine Personen rücküberstellen, die vor dem Inkraft- und Stadtrat sowie als Vorsitzender eines Unterbe- treten des neuen deutschen Asylrechts über Polen zirks meiner Partei kenne ich die immensen Probleme nach Deutschland gelangt sind. sehr genau, die durch die große Zahl der Asylbewer- ber bisher entstanden sind und noch entstehen wer- Zweitens. Im Jahre 1993 wird die Zahl der zurück- den. Ich weiß um die fast unerträglichen Zustände in zuführenden Personen auf 10 000 begrenzt. vielen Städten und Gemeinden, die unter der unge- Drittens. Deutschland hat sich verpflichtet, bei rechten Verteilung der Flüchtlinge auf die Kommunen außergewöhnlichen Ereignissen, die zu einem zu leiden haben. Und ich weiß um den sozialen sprunghaften oder massiven Zustrom von Zuwande- Sprengstoff, den der enorme Anstieg der Zuwande- rern auf das Gebiet der Republik Polen führen, rung in sich birgt; fällt er doch zeitlich zusammen mit bestimmten Gruppen dieser Personen die Einreise zu einer wirtschaftlichen Rezession und einer enormen gestatten. Finanzbelastung der öffentlichen Haushalte durch die Vereinigung unseres Landes. Viertens. Deutschland gewährt der Republik Polen in erheblichem Umfang finanzielle Leistungen zum Ich bin keinesfalls der Ansicht, daß im Ausländer- Aufbau von Einrichtungen zur Aufnahme und zum recht und in der Asylfrage alles so bleiben sollte wie Aufenthalt von Flüchtlingen und Asylbewerbern, zur bisher. Aber nach wie vor halte ich eine Grundgesetz- Sicherung der polnischen Grenze sowie zur Durchfüh- änderung für den falschen Weg. Ich kann dem heute rung von Rückführungsmaßnahmen. In den Jahren zur Debatte stehenden Gesetz nicht zustimmen: 1993 und 1994 wird Deutschland der Republik Polen eine Finanzhilfe von insgesamt 120 Millionen DM Zunächst aus historischen Gründen: Die Erfahrun- gewähren. gen, die Deutsche während des nationalsozialisti- schen Unrechtssystems in der Emigration machten, Diese Vereinbarung ist in Polen mehrheitlich als führten dazu, daß sie nach ihrer Rückkehr fest dazu faire Vereinbarung angesehen worden. Die auflagen- entschlossen waren, künftig den politisch Verfolgten stärkste polnische Tageszeitung „gazeta wyborcza" wenigstens in Deutschland einen gesicherten Rechts- hat etwa geschrieben: status zu verschaffen. Die deutsche Hilfe gibt uns die Chance, dieses Um diesen zu sichern, hatten wir uns in der Vergan- Problem auf eine zivilisierte Art und Weise zu genheit auf verschiedene Beschleunigungsgesetze lösen. verständigt; zuletzt im Oktober 1991 einigten wir uns In Polen hat man erkannt, daß die Annäherung an mit der Regierungskoalition auf einen Kompromiß zur Europa auch Pflichten und Lasten mit sich bringt. Daß Beschleunigung der Asylverfahren. Im Februar 1992 die Bewältigung dieser Aufgabe unsere Sensibilität wurde diese Vorlage als Gesetz verabschiedet. Viele und Hilfsbereitschaft in besonderer Weise erfordert, Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stellten ist klar. Bundesminister Seiters ist dafür zu danken, dabei ihre Bedenken gegen dieses Gesetz zurück, daß die Bundesregierung dies erkannt und entspre- weil sie glaubten damit eine Grundgesetzänderung chend gehandelt hat. Auch aus meiner Tätigkeit in der verhindern zu können. Die Strategie der CDU/CSU Deutsch-Polnischen Gesellschaft heraus möchte ich zielte jedoch von Anfang an auf eine solche Grundge- uns alle ermutigen, auch in Zukunft unsere Augen vor setzänderung ab. Ich erinnere mich noch deutlich den Schwierigkeiten in Polen nicht zu verschließen daran, daß die Union unmittelbar nach der am 10. Ok- und die demokratische Stabilität unseres Nachbarlan- tober 1991 getroffenen Vereinbarung erneut die des als hohes Gut in unserem ureigenen Interesse Änderung des Artikels 16 unseres Grundgesetzes anzuerkennen. verlangte, ohne die Auswirkung des neuen Gesetzes abzuwarten. In der „Zeit" hat Martin Klinst die deutsch-polni- sche Übereinkunft als modellhaft gewürdigt: Anstatt den Mißbrauch nachhaltig zu bekämpfen und die vorhandenen gesetzlichen Instrumentarien Der Vertrag zeigt vorbildlich, wie künftig eine sinnvoll anzuwenden, soll nun ein Grundrecht fak- europäische Lastenverteilung aussehen könnte. tisch abgeschafft werden. Unser Grundgesetz wird Was wir also heute tun, das verdient nicht die zum Steinbruch! Niemand käme doch auf die Idee, aufgeregten Aktivitäten von Gruppen vom Vormittag. wegen einer Zunahme der Zahl von Eigentumsdelik- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13655* ten, anstatt den Diebstahl zu bekämpfen, das Eigen- lichen Integration der dauerhaft bei uns lebenden tum abzuschaffen. Ausländer. Außerdem sollten auch frauenspezifische Verfolgungsgründe und Verfolgung wegen sexueller Bei der Sachverständigenanhörung am 24.- März Orientierung als Fluchtgründe anerkannt werden. 1993 wurde vom Vertreter des UNHCR anschaulich dargestellt, daß sich Verstöße gegen das „Refoule- Auch wenn wir heute gleichzeitig über zwei weitere ment-Verbot" nicht mit Sicherheit vermeiden lassen. Gesetzesvorlagen in Verbindung mit der Grundge- Für den wirklich politisch Verfolgten bedeutet die setzänderung abstimmen: von einer Paketlösung Drittstaatenregelung Deutschlands eine Abschottung kann wohl kaum die Rede sein. Andererseits mache unseres Landes. ich mir keine Illusionen über ein Einwanderungsge- setz. Jegliche Kontingentierung bedeutet, eine Aus- Die reiche Bundesrepublik Deutschl and wälzt mit wahl vornehmen. Ein Einwanderungsrecht würde der Drittstaatenregelung ihre Probleme auf wirt- aber offiziell der Tatsache Rechnung tragen, daß wir schaftlich wesentlich schwächere Staaten ab. Deren es mit einem globalen Migrationsproblem zu tun Einverständnis wurde durch solch fragwürdige Rege- haben, das wir dringend lösen müssen. lungen wie die 100 000 Werkverträge mit Polen erkauft. Diese Werkverträge sind ein Einfallstor für Erlauben Sie mir abschließend noch ein Wo rt zur Art die illegale Beschäftigung am Bau und bedeuten und Weise, wie die Diskussion, die zur heutigen schlicht „Ausbeutung". Sie gefährden Arbeitsplätze Gesetzesvorlage geführt hat, verlaufen ist. Die Union von zahlreichen Bauhandwerkern und schüren Aus- hat mit ihrer jahrelangen Ausschlachtung des Themas länderfeindlichkeit auf den Baustellen. Höchst Asylrecht für Wahlkampfzwecke, mit der Diffamie- bedenklich erscheint mir auch die Aufstellung einer rung der SPD und mit ihrer in der Öffentlichkeit Liste von verfolgungsfreien Staaten. Es ist bekannt, weitgehend populistischen, vereinfachenden Argu- daß in diesen Staaten zum Teil sehr instabile politische mentationsweise — ändern wir nur schnell das Grund- Verhältnisse herrschen, die jederzeit wieder kippen gesetz, so sind alle Probleme gelöst — zur Schürung können mit der Folge, daß dann aus politischen der Ausländerfeindlichkeit beigetragen. Nötig wäre Gründen Menschen erneut verfolgt werden. Hierbei statt dessen eine breite Aufklärungskampagne gewe- ist auch zu beachten, daß solche Veränderungen der sen, die die Bürgerinnen und Bürger sachlich über die Menschenrechtssituation in diesen Ländern meistens gesamte Asyl- und Ausländerproblematik informiert nur mit Verzögerung festgestellt werden können. hätte. Gehen Sie doch einmal nach draußen und fragen Sie nach dem konkreten Inhalt der Grundge- Warum soviel Aufwand um eine Grundgesetzände- setzänderung und der hierdurch erhofften Wirkung. rung? Ehrlicher wäre es doch gewesen, das Asylrecht Ich bin sicher, das Ergebnis wäre verheerend. Wie die ganz abzuschaffen, anstatt eines zu erhalten, auf das Diskussion um das Asylrecht in der Öffentlichkeit sich kaum noch jemand berufen kann. geführt wurde ist für mich mindestens so erschrek- Ein weiteres Argument gegen die Grundgesetzän- kend wie die Tatsache selbst, daß heute ein Grund- derung ist in meinen Augen eine Gefahr für die recht faktisch abgeschafft werden soll. Glaubwürdigkeit politischer Entscheidungen. Die Probleme, die Kommunen, Kreise und Länder ange- Heinz Rother (CDU/CSU): Ich glaube, zunächst sichts der stark gestiegenen Einwanderung haben, einmal für alle Kolleginnen und Kollegen des Hauses werden jedoch durch die Aushöhlung des Asylrechtes feststellen zu dürfen, daß wir uns in dem Grundanlie- nicht beseitigt sein. Will man keine Mauern um gen alle einig sind, nämlich politisch Verfolgten auch Deutschland bauen, werden noch mehr Menschen als künftig Asyl in Deutschland zu gewähren. Freilich bisher illegal zu uns kommen oder in die Illegalität wird dies in Zukunft nicht mehr in der gleichen Weise abtauchen — das haben auch die Experten bei den geschehen können wie in der Vergangenheit. Die Anhörungen bestätigt. Wie ist es um unsere Glaub- allzu großzügige Handhabung des Asylrechts hat würdigkeit bestellt, wenn sich herausstellt, daß die leider dazu geführt, daß der Mißbrauch dieses Rechts Grundgesetzänderung an den faktischen Einwande- in so eklatanter Weise angeschwollen ist, daß wir rungszahlen nichts ändert? gezwungen sind zu handeln, wenn wir nicht durch Glaubwürdigkeit steht aber insbesondere für uns den weiterhin massenhaften Mißbrauch die Akzep- Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auf dem tanz dieses Grundrechts selbst in Gefahr bringen Spiel: Das Gesetz, das heute beschlossen werden soll, wollen. Wenn von 555 000 Asylbewerbern in der Europäischen Gemeinschaft im vergangenen Jahr widerspricht nach meiner Sicht in wesentlichen Punk- ten den Beschlüssen des Sonderparteitags vom allein 438 000, das sind 80 Prozent, nach Deutschl and November 1992, nicht zu reden von den davor jahre- kommen, so beweist dies einmal mehr, daß in unserem lang gemachten Versprechungen namhafter Sozial- Asylrecht einiges schief läuft. demokraten. Meine Damen und Herren, wer in diesen Tagen mit offenen Augen durch das Land fährt und mit den Die Grundgesetzänderung sollte laut Parteitags- Leuten spricht, der findet mittlerweile kaum noch beschluß begleitet werden von einer Anhebung der Verständnis dafür, daß die Politik nicht in der Lage ist, öffentlichen entwicklungspolitischen Leistungen der dieses Problem zu lösen. Auch dies macht einen Teil Bundesrepublik Deutschland, von weiteren Anstren- der Politikverdrossenheit aus in diesem Land. Deshalb gungen zur Bekämpfung der Ausländerfeindlichkeit müssen wir auf alle Fälle in der Lage sein, dieses und vor allem von einem europäisch abgestimmten Problem hier und heute zu lösen. Einwanderungsrecht sowie von einer Ausweitung des Rechts auf Einbürgerung und der Möglichkeit der Zweitens möchte ich auch betonen, daß es hier nicht Doppelstaatsangehörigkeit zur besseren gesellschaft um die Ausländer bzw. Gastarbeiter geht, die bereits 13656* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 seit Jahren in Deutschland leben und arbeiten und vornherein aussichtsloses Asylverfahren verwendet, deren Fleiß auch zu unserem Wohlstand mit beigetra- könnte man vor Ort eine Vielzahl von Menschenleben gen hat. Diese Bevölkerungsgruppe führt überhaupt - retten. Dies ist um ein Vielfaches humaner, als über nicht zu den Problemen, mit denen wir es momentan den Asylweg sozusagen eine Sozialauswahl zu tref- zu tun haben, wird dadurch aber leider ebenfalls in fen. Deshalb muß unsere Überlebenshilfe auch vor Ort Mißkredit gebracht. ansetzen. Und wir werden nicht umhinkönnen, wenn wir weiterhin ein einigermaßen friedliches Zusam- Daß das ganze Thema Asylmißbrauch die Men- menleben der reichen und der armen L ander sichern schen so bewegt, liegt im übrigen nicht daran, wie wollen, unsere Unterstützung für die Entwicklungs- Teile der Opposition immer glauben machen möch- länder in den nächsten Jahren erheblich zu steigern. ten, daß dies künstlich von einigen Politikern und Dies alles kann aber eben nicht durch unser Asylrecht Medien hochgespielt wird, sondern die Menschen erreicht werden, sondern hier müssen andere Kon- erleben unmittelbar die Folgen vor Ort, z. B. in den zepte entwickelt und erarbeitet werden. Gemeinden, wie die dort Verantwortlichen immer weniger in der Lage sind, der Probleme Herr zu Im übrigen möchte ich in diesem Zusammenhang werden. Jede Gesellschaft hat ihre Integra tions- noch betonen, daß uns auch ein sogenanntes Einwan- grenze, und ich glaube, daß diese mittlerweile bei uns derungsgesetz hier nicht weiterbringen wird, weil sich erreicht ist. Alles was darüber hinaus geht, ist auch erstens auch hier die Frage stellt, wer bestimmt, wer von den sozialen Folgen her nicht mehr verantwort- kommen darf und wer draußen bleiben muß, weil bar. Wir können weder den ausländischen Mitbür- auch jetzt schon abzusehen ist, daß die Nachfrage gern, die hier leben, auf Dauer ein soziales Randda- unsere Möglichkeiten um ein Vielfaches übersteigen sein zumuten, noch den deutschen Mitbürgern die wird. Zweitens werden wir auch ohne Einwande- Auswirkungen dieses Randdaseins, wie z. B. die stei- rungsgesetz in den nächsten Jahren gezwungen sein, gende Kriminalität. Hier sind wir dabei, unsere bis auf Grund der Aussiedlerquote von 220 000 pro Jahr jetzt so stabile Gesellschaft zu überfordern und insta- der Familienzusammenführung von bereits seit länge- bil zu machen. Diese Stabilität ist ohnehin auch ohne rer Zeit hier lebenden Ausländern in Höhe von etwa diese immense Zahl von Asylbewerbern bedroht. Wir nochmals 200 000 bis 250 000 sowie der Aufnahme haben mittlerweile in Deutschland rund 800 000 von wirklich politisch Verfolgten und Bürgerkriegs- Obdachlose, die in unzureichender Weise in Heimen flüchtlingen weit über eine halbe Million Menschen oder in anderen Notunterkünften untergebracht sind. pro Jahr aufzunehmen und in die Gesellschaft zu Die Zahl der registrierten Sozialhilfeempfänger hat integrieren. 1992 die 4,5-Millionen-Grenze überschritten. Die Zahl der Arbeitslosen in Ost und West liegt bei über In Anbetracht dieser Herausforderungen glaube 3 Millionen. Dazu kommen jetzt noch drastische ich, daß durch den vorliegenden Entwurf das richtige Arbeitsplatzreduzierungen insbesondere in den bis- Signal ausgesandt wird, nämlich auch in Zukunft den lang als krisenfest angesehenen Unternehmen. Hinzu wirklich politisch Verfolgten Schutz zu gewähren, kommen die Probleme der Wohnungsnot, steigende aber die sogenannten Armutsflüchtlinge davon abzu- Kriminalität sowie der Staatsverschuldung. halten, sich von den Schleppern auf diesen falschen Weg bringen und ausbeuten zu lassen. Die Bürger erwarten nun zu Recht von uns, daß wir diese Probleme anpacken und lösen und nicht durch Ich werde deshalb der vorgesehenen Änderung einen unkontrollierten Zuzug von Wirtschaftsflücht- zustimmen und danke für Ihre Aufmerksamkeit. lingen noch verschärfen. Im übrigen: Je mehr Pro- bleme dieser Art wir im eigenen Land haben, desto weniger werden wir in der Lage sein, den wirklich Roland Sauer (Stuttgart) (CDU/CSU): Politisch Ver Bedürftigen in den Entwicklungsländern zu helfen. folgte genießen Asylrecht. Diesem Grundsatz fühlte sich die Politik der Kriegs- und Nachkriegszeit in Deshalb müssen wir uns in Deutschland auf das Deutschland besonders verpflichtet. Zu viele Deut- Notwendige beschränken, und d. h., daß wir nur noch sche hatten am eigenen Leib erfahren müssen, was es den durch politische Verfolgung an Leib und Leben bedeutet, politisch verfolgt zu werden. Gerade aus bedrohten Menschen hier Zuflucht gewähren können. diesem Grund schrieben die Väter des Grundgesetzes Genau dieses Ziel soll mit dem vorliegenden Kompro- das Recht auf Asyl in den Grundrechtskatalog unserer miß erreicht werden. Verfassung. Wir können vor allem nicht, wie dies zum Teil Die nun geplante Änderung des Artikels 16 Grund- versucht wird, mit unserem Asylrecht die Hungers- gesetz verkennt diese politische Tradi tion keines- nöte dieser Welt beheben. In der Praxis sieht es doch wegs. so aus, daß sich ohnehin nur die finanziell Besserge- stellten die Reise nach Deutschland leisten können, Im Lichte der Gegenwart wird heute allerdings ganz zu schweigen von den zum Teil enormen Sum- deutlich, daß die Realität die Grundsätze der Vergan- men, die für Menschenschlepper bezahlt werden genheit eingeholt, ja geradezu überrannt hat: Die Zahl müssen. Ich finde es eine absolute Ungerechtigkeit der Asylsuchenden stieg in den letzten Jahren in und eine inhumane Politik, die sozusagen dann die unkontrollierbare Höhen. Waren es 1991 noch Überlebenschance von solchen finanziellen Möglich- 256 000 Antragsteller, so stieg die Zahl 1992 auf keiten abhängig macht, während die Ärmsten der 438 000 an. In den ersten vier Monaten dieses Jahres Armen verhungern müssen, weil sie das Geld für die haben wir fast den Stand des gesamten Jahres '89 Überfahrt oder die Schlepper nicht aufbringen kön- erreicht. Bis Ende 1993 müssen wir also mit einer nen. Für das Geld, welches man hier für ein von halben Million Asylbewerber rechnen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13657*

Dieser gewaltigen Summe steht jedoch eine Aner- kriegsflüchtlinge aus den Balkangebieten auf genom- kennungsquote von nur 7 Prozent gegenüber. Die men wie die Bundesrepublik. Flüchtlinge aus den Bürgerkriegsgebieten des ehe- Wir dürfen in dieser Debatte aber nicht aus den maligen Jugoslawien sind bereits eingerechnet.- Alle Augen verlieren, daß die Flüchtlingsbewegung nur anderen Antragsteller kommen der wirtschaftlichen ein Symptom des Problems ist. Die Krankheit selbst Vorteile wegen. Sie sind Wirtschaftsflüchtlinge und muß in den Ländern kuriert werden, aus denen die mißbrauchen den Artikel 16 Grundgesetz. Die Kosten Flüchtlinge kommen. Ich halte daher eine Entwick- für diesen Mißbrauch tragen nicht nur der Bund und lungspolitik für sinnvoll, die den Menschen Mut die Länder, sondern vor allem die Menschen, die macht, für den Aufbau des eigenen L andes zu arbei- wirklich verfolgt werden: Für sie fehlen die dringend ten. Wer in seiner Heimat eine Zukunft erblickt, der nötigen Unterbringungsmöglichkeiten. Die Versor- braucht nicht aus ihr zu f liehen. gung mit dem Notwendigsten ist für Kommunen und Gemeinden zur finanziellen Zerreißprobe geworden. Als infam empfinde ich es geradezu, wenn ange- Damit muß endlich Schluß sein! sichts des gefundenen Kompromisses noch immer einige Leute meinen, das Grundrecht auf Asyl würde Viele Bundesbürger nehmen es nicht länger hin, völlig abgeschafft. Davon kann keine Rede sein. Jeder daß Turnhallen oder andere öffentliche Gebäude Asylbewerber, der eindeutig nachweisen kann, daß dauerhaft von Asylbewerbern blockiert werden. Kein ihm im eigenen Land Gefahren für Leib und Leben Kommunalpolitiker vermag doch zu erklären, welcher drohen, wird auch künftig in der Bundesrepublik Asyl politischen Verfolgung Rumänen oder Polen heute finden. Die Erweiterung des Artikels 16 Grundgesetz noch ausgesetzt sind. Sie stehen aber an der Spitze des gibt den Behörden erstmals klare Aufnahmekriterien Zuwanderungsstroms. an die Hand. Ein „institutioneller Anspruch" auf Asyl Die Geduld der Bevölkerung ist erschöpft. Es wird besteht weiterhin. jetzt von uns erwartet, endlich die geeigneten Maß- nahmen zu ergreifen, um der Lage Herr zu werden. Ortrun Schätzle (CDU/CSU): Trotz wirtschaftlicher Wer bei der Bewältigung dieses Problems nicht mit- Rezession und gefährdeter Arbeitsplätze hält sich die zieht, der entflammt nicht nur den sozialen Unmut der Asylfrage seit Monaten zäh auf dem ersten Platz der Bevölkerung, sondern riskiert, daß er sich zu einem Themenliste, die die Sorgen der Bevölkerung in Flächenbrand ausweitet. Westdeutschland ausweist. Trotz langjähriger guter Den Krawallmachern von rechts müssen wir dabei Erfahrungen im Zusammenleben mit Ausländern ver- energisch entgegentreten. Demokratie und p rivate langt die Bevölkerung die Drosselung des Asylanten- Gewalt lassen sich nicht miteinander vereinbaren. zustroms. „In der Asylfrage muß end lich politisch Wer mit Wut und Haß auf die Straße geht, um sich dort gehandelt werden" ist Fazit jeden Bürgergesprächs. auszutoben, dem sind offenbar die Argumente ausge- In der Asylfrage wird heute gehandelt. Ohne das gegangen. Dies gilt auch für die Störenfriede am Kernstück, das Grundrecht auf Asyl, anzutasten, wer- heutigen Tag. Dem Druck der Straße wird sich die den neue Zuwanderungskriterien erstellt, Asylverfah- Politik nicht beugen, egal von welcher Seite er rensfragen, Leistungen und Pflichten für Asylbewer- kommt. ber neu geregelt. Der Weg zu dem jetzt gefundenen Kompromiß war Der vorliegende Entwurf des Asylbewerberlei- lange Zeit vom Widerstand der SPD geprägt. Mit dem stungsgesetzes soll darauf abzielen, durch Absen- Verfahrens-Beschleunigungsgesetz allein konnten kung der Unterhaltsleistungen und durch Beschrän- die Flüchtlingswellen aber nicht gestoppt werden. kungen der gesundheitlichen Leistungen auf das Dies bestätigten uns vor allem die Ministerpräsiden- Lebensnotwendige keine Anreize zu schaffen, aus ten der SPD-geführten Länder. Die gerichtlichen Ver- wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland zu kom- fahren zogen sich immer wieder in die Länge. Es men. erscheint mir durchaus angebracht, in diesen Fällen Ich verkenne die Ursachen der Armutswanderun- von einem Rechtsmißbrauch zu sprechen. Sinn und gen keineswegs. Doch ist unser L and nicht in der Zweck der Klagen ist es doch längst nur noch, den Lage, ungebremste Menschenströme aufzunehmen. Aufenthalt in der Bundesrepublik hinauszuzögern. Jeder Gemeindebesuch in meinem Wahlkreis Die Erfahrungen zeigen deutlich: Nur wenn wir an bestätigte mir, daß die Kommunen an die Grenzen dieser Stelle den Hebel ansetzen, bringen wir die ihrer finanziellen und tatsächlichen Aufnahme- und notwendige Kraft auf, um das Problem in den Griff zu Versorgungskapazität gestoßen sind. bekommen: Unbegründete Anträge müssen schnell vom Tisch, der Antragsteller muß unverzüglich Die neue Flut von Algeriern aus Frankreich nach zurückgewiesen werden können! Südbaden fördert darüber hinaus Sorge um Überfrem- dung und Angst vor zunehmender Kleinkriminali- Unsere europäischen Nachbarn haben diesen tät. Schritt bereits getan. Sie haben längst die Genfer Flüchtlingskonvention zur Grundlage ihrer Anerken- Der Gesetzentwurf verfolgt eine zweite Stoßrich- nungsentscheidung gemacht. Unser Anschluß an die- tung: die Umstellung von Geldleistung auf Sachlei- ses System ist überfällig! stung. Sie soll den skrupellos arbeitenden Schlepper- organisationen den Nährboden entziehen. Die Deutschland ist mit nahezu 80 Prozent der Asylbe- erpreßte Schleuserprämie von bis zu 30 000 DM werber in ganz Europa das Auffangbecken des Kon- fördert Verschuldung und Verelendung bis in die tinents. Kein anderes Land hat zudem so viele Bürger Familien hinein. Die Geschleusten werden zu Begleit- 13658* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 und Folgekriminalität, vor allem in den Bereichen immer gradlinigen Weg bis zum vorliegenden Gesetz- Rauschgift, Zigaretten- und Waffenschmuggel, oder entwurf zurückverfolgt; wer sich die leidenschaftli- Prostitution gezwungen, wie wir in der Anhörung- chen Debatten bei den Bürgerinnen und Bürgern, erfahren haben. zwischen den Parteien und vor allem in meiner Partei lles Die Unterstützung von Asylbewerbern im Anerken- selbst ins Gedächtnis ruft; kurz, wer sich dies a nungsverfahren soll zukünftig nicht mehr nach dem noch einmal vergegenwärtigt, der kann den Eindruck BSHG erfolgen, da für Asylbewerber die Zielrichtung gewinnen, als gelte es, sich heute für oder gegen den „Stein der Weisen" zu entscheiden, so als sei die der Sozialhilfe entfällt. Stimme für eine Änderung des Grundgesetzes gleich- Die Herausnahme der Asylanten aus dem BSHG sam Garant für die innere Stabilität der Bundesrepu- bedeutet keine Stigmatisierung; die Qualität eines blik, die Stimme gegen eine Änderung von Ar tikel 16 angemessenen und menschenwürdigen Lebensunter- aber die Kapitulation vor der vielzitierten „Asylanten- haltes bleibt durch das eigene Leistungsgesetz erhal- flut" . ten. Meine Damen und Herren, dera rt verkürzt stellt sich Die Umstellung von Geldleistung auf Sachleistung die Debatte um den Asyl-Kompromiß heute dar. Und soll ebenfalls die Anreizwirkung der Barleistungen es sind nicht gerade die Befürworter des vorliegenden verringern, sowohl für die Asylbewerber als auch für Antrags, die sich um eine differenziertere Sicht der die Schlepperbanden und diejenigen, die von und Dinge bemühen. Im Gegenteil, von ihnen wird der durch Asylanten ganz gute und satte Geschäfte Eindruck oft noch verstärkt, als stünde die Politik in machen. Die Rangfolge von Sachleistungen, Wertgut- einer Sackgasse, mit dem Rücken zur Wand, und nur scheinen und nur ausnahmsweisen Geldleistungen die Grundgesetzänderung gar antiere den Ausweg. abzuwägen und umzusetzen obliegt dem Leistungs- träger vor Ort. Kolleginnen und Kollegen, wenn wir in der Asyl- frage in einer Sackgasse stecken, dann nur deshalb, Neben der zentralen muß auch die dezentrale und weil wir uns selbst dort hineinmanövriert haben, weil individuelle Versorgung, vorrangig im ländlichen von Beginn der Debatte an der Weg zur Aushöhlung Raum, gewährleistet sein. des Asyl-Grundrechtes vorgezeichnet wurde und Das Leistungsgesetz beschränkt die Leistungen auf andere Wege zum Ziel nur halbherzig oder gar nicht 12 Monate des durch Asylantrag bedingten Aufent- ernsthaft geprüft wurden. Es ist letztlich die Fixierung halts der Asylbewerber. Dauert der Aufenthalt z. B. auf diesen einen Weg und die beängstigende Eigen- durch ein längeres Asylverfahren an, wird das BSHG dynamik bei seiner Verfolgung die mich erschrecken. ganz und ohne weitere Einschränkungen angewandt. So einfach darf man sich den Umgang mit einem Die 12-Monats-Begrenzung war ein Kompromiß, den Grundrecht nicht machen. unsere Fraktion eingegangen ist. Leider wird die Leistungskürzung durch die zwölfmonatige Begren- Neben der Art und Weise, wie dieser Asyl-Kompro- zung aufgeweicht. Dennoch trägt unsere Fraktion miß letztlich zustande gekommen ist, kann auch diesen Kompromiß mit, so wie wir m anchen Kompro- dessen Inhalt nicht überzeugen. Es ist doch nicht zu miß eingegangen sind, um unseren Kolleginnen und vertreten, vor allem den ärmeren östlichen Nachbarn, Kollegen der SPD die Zustimmung zu diesem Gesetz namentlich Polen und der Tschechischen Republik, zu ermöglichen. Dabei spreche ich die Hoffnung aus, alle Lasten der Armutswanderung aufzubürden. daß die Zustimmung, die der Gesetzentwurf im Aus- Genau dieses Ziel verfolgt aber die sogenannte Dritt- schuß von seiten der SPD erfahren hat, sich heute bei staatenregelung. Die Bundesrepublik reicht ihr der Endabstimmung wiederholt. Zuwanderungsproblem an ihre Nachbarstaaten wei- ter und begeht damit gleich Rechtsverstöße: 1. Nach Ein letzter Gedanke ist mir noch wichtig: Die im Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention ist die Gesetzentwurf aufgenommene Verpflichtung zur Bundesrepublik verpflichtet, in jedem Einzelfall zu Arbeit ist keine Zwangsarbeit, sie ist auch keine prüfen, ob die Voraussetzungen der Flüchtlingsaner- unannehmbare Zumutung! Das gilt meiner Meinung kennung vorliegen. Dies wird durch den geplanten nach sowohl für die häuslichen Arbeiten innerhalb der Artikel 16a Abs. 1 aber verhindert. Damit wird dann Wohnunterkunft wie für Arbeitsgelegenheiten außer 2. auch gegen Artikel 3 des Übereinkommens von Haus. Es wird viel Einsatz, Geduld und Verständnis Dublin verstoßen, in dem sich die Mitgliedstaaten nötig sein, vor Ort Anleitung und Beratung dazu zu verpflichten, gemäß der Genfer Flüchtlingskonven- vermitteln, doch ist es den zuständigen Stellen unbe- tion j eden Asylantrag zu prüfen, den ein Ausländer an nommen, geeignete Mittel und Wege dafür zu fin- den Grenzen oder im Hoheitsgebiet eines Mitglied- den. staates stellt. Und 3. verstößt die geplante Grundge- Das Asylbewerberleistungsgesetz gibt den von der setzänderung gegen A rtikel 19 Abs. 4 Grundgesetz, Bevölkerung erwarteten, neuen Rahmen von Rechten da bei Zurückweisung an der Grenze trotz Berufung und Pflichten der Asylbewerber. Es garantiert ein auf Asyl keine effektiven Rechtschutzmöglichkeiten menschenwürdiges Leben. Es sollte daher die Zustim- gewährleistet sind. mung des gesamten Bundestages erhalten. Ich bitte Im übrigen sollte sich jeder darüber im klaren sein, Sie alle, den Gesetzentwurf anzunehmen. daß das Parlament mit der Zustimmung zur Grundge- setzänderung zumindest bei der Drittstaatenregelung Regina Schmidt-Zadel (SPD): Wer die Diskussion jede zukünftige Regelung vom Belieben der jeweili- im Vorfeld der heutigen abschließenden Beratung des gen Regierungsmehrheit abhängig macht. So sieht sogenannten Asyl-Kompromisses noch einmal be § 26 Abs. 3 des geplanten Asylverfahrensgesetzes vor, trachtet; wer dann den l angen, schwierigen, nicht daß die Bundesregierung per Rechtsverordnung ohne Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13659 *

Zustimmung des Bundesrates bestimmt, „daß ein in Das zeigt: Hunger und Elend allein machen den Anlage I bezeichneter Staat nicht mehr als sicherer Flüchtling nicht zu einem politisch Verfolgten. Das Drittstaat gilt, wenn . " Ähnliches gilt auch für die Asylrecht darf aber nur diesem Verfolgten zustehen, Liste der sogenannten „sicheren Herkunftsländer".- denn Art. 16 Grundgesetz ist nicht das geeignete Hier wird im geplanten Artikel 16a Abs. 3 noch nicht Instrument, um den Auswirkungen des Nord-Süd- einmal Vorsorge dafür ge troffen, daß Staaten von Konflikts zu begegnen. dieser Liste gestrichen werden, wenn dort politische Zweitens. Zunehmend besser organisierte und Verfolgung einsetzt. technisch besser ausgerüstete Schlepperbanden um- Ohnehin scheint mir diese Liste der sicheren Her- werben Hunderttausende in ihrer Heimat, entwurzeln kunftsländer das Bedenklichste an den geplanten sie, um sie in das letztlich chancenlose Asylverfahren Änderungen überhaupt zu sein. Länder wie Bulga- zu treiben. Der SPD Oberbürgermeister von Pforz- rien, Rumänien oder Ghana, aus denen viele Asylbe- heim, Dr. Becker, beziffert die Kosten für das Asyl- werber kommen, können nicht pauschal als verfol- problem in Deutschland mit 35 Milliarden DM. Wenn gungsfrei bezeichnet werden. Ich warte auf den Tag, die Zahl vielleicht auch zu hoch angesetzt sein sollte, an dem die Türkei auf dieser Liste auftaucht und die so handelt es sich doch unstreitig um einen zweistel- ersten politisch verfolgten türkischen Sozialdemokra- ligen Milliardenbetrag. ten an der Grenze zurückgewiesen werden. Ein Bruchteil dieser Mittel — eingesetzt in den Kolleginnen und Kollegen, das Recht auf Asyl ist im Herkunftsländern — würde den Menschen in ihrer Blick auf unsere jüngste Vergangenheit nicht ohne Heimat wieder eine Zukunft geben, indem dort ihre Grund ein politisches Grundrecht. Die uns heute Lebensbedingungen wieder erträglicher würden. vorliegenden Änderungspläne lassen von diesem Die beste Asylpolitik ist eine auf die Bedürfnisse der Grundrecht nicht viel mehr übrig als eine Hülle ohne Individuen in den Herkunftsländern abgestellte Ent- Inhalt. Das Asylrecht wird beschränkt auf Menschen wicklungspolitik. aus wenigen Ländern, die nur noch auf ganz wenigen Drittens. Der Mißbrauch des Asylrechts führt dazu, Wegen bei uns Schutz vor Verfolgung suchen kön- daß der wirklich politisch Verfolgte unter den Folgen nen. des Massenzustroms zu leiden hat. Eine humane Solchen Plänen kann ich meine Zustimmung nicht Unterbringung wird immer schwieriger, gar eine geben. Ich möchte an Sie appellieren, dies ebenfalls Integration unmöglich. Um gerade der Humanität nicht zu tun. wieder Geltung zu verschaffen, ist die Drosselung des Asylbewerberzustroms unumgänglich, so daß derje- nige, der sich für eine Neuregelung ausspricht, sich Wolfgang Schulhoff (CDU/CSU): Die parlamentari den Vorwurf der Inhumanität nicht gefallen zu lassen schen Beratungen zur Neuregelung des Asylrechts braucht. betreffen einen sehr sensiblen Bereich, so daß eine Eher umgekehrt sind die Ausführungen derjenigen, nüchterne und ehrliche Be trachtung der Gesamtpro- die alles so belassen wollen, wie es ist, von kaum zu blematik überlagert wird durch starke emotionale beschreibender Ignoranz — offensichtlich zu weit Hemmnisse. entfernt von den wirklichen Problemen! Niemand kann und darf unsere Vergangenheit Sich in diesen Chor der Rührseligkeit einzureihen, vergessen und das damit verbundene millionenfache anstatt zu handeln, ist für einen Politiker natürlich Elend der Menschen, die aus Deutschland vertrieben, einfacher und bequemer: M an erspart sich eine diffe- vergeblich ihr Leben in andere Länder retten wollten renzierte Abwägung und die nicht einfache Ausein- und letztlich vor verschlossenen Türen standen. Auch andersetzung mit seiner persönlich-moralischen In- darf nicht vergessen werden, daß sich hinter den stanz, denn schließlich verschließt man mit der neuen Begriffen „Asylant" oder „Wirtschaftsflüchtling" Regelung vielen Menschen das Tor zum vermeintli- auch heute noch viele leidvolle Einzelschicksale ver- chen Paradies. bergen. Trotzdem dürfen uns diese Eindrücke nicht dazu verführen, vor der gesamten Tragweite des Der zwischen den Parteien erzielte Asylkompromiß Problems die Augen zu verschließen. stellt einen tragfähigen Konsens dar, wenn er auch zahlreiche Schwächen aufweist: Meines Erachtens Gesinnungsethik ist gut, kann einen selbst aber wäre es ehrlicher gewesen, sich vom subjektiven schuldig werden lassen, wenn verantwortliches Han- Recht auf Asyl nicht nur der Sache, sondern auch der deln unabdingbar gefordert ist. Wie ist denn die Formulierung nach zu trennen und das subjektive Situation? Recht in ein vom Staat garantiertes objektives Recht Erstens. Nach den neuesten, heute schon mehrfach umzuwandeln. Dies hätte die Möglichkeit ergeben, genannten Zahlen haben allein im April 1993 mehr als den Kreis der Antragsberechtigten sehr weit zu fassen 43 000 Menschen in Deutschland Asyl beantragt und und eine Verfahrensverkürzung einzuführen, ohne es ist in diesem Jahr damit zu rechnen, daß erstmals jedoch auf eine Einzelfallprüfung verzichten zu müs- die Grenze von einer halben Million Asylbewerbern sen — eine saubere, sachgerechte Lösung. deutlich überschritten wird. Die Anerkennungsquote Der jetzt vorliegende Entwurf stellt demnach nur des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer die zweitbeste Lösung dar und kann, wie es der Flüchtlinge betrug dabei zuletzt 1,6 %. Das heißt: Konstanzer Jurist Kay Hailbronner ausdrückte, nur als Nach den Erkenntnissen des Bundesamtes liegt die „Drahtseilakt in der Zirkuskuppel" bezeichnet wer- Quote derer, die das Asylrecht unberechtigt für sich in den. Trotz dieser Bedenken stimme ich ihm aber Anspruch nehmen, bei 98 %! dennoch zu, wenn auch die Verabschiedung dieser 13660* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Grundgesetzänderung erst der Auftakt für weitere abzuklopfen und dann zu vergleichen. Das wäre Maßnahmen zur Lösung der Asyl- und Einwande- Professionalität, welche in den zwei Jahren, in denen rungsproblematik sein darf. ich dem Bundestag angehöre, so eklatant zu kurz gekommen ist. Heute aber geht es darum — und wir kommen nicht daran vorbei —, das Asylrecht um der Verfolgten Dabei gibt es eine Vielzahl von sinnvollen Maßnah- willen schnellstens zu ändern. men, welche — parallel vorangetrieben — sehr wohl Der vorliegende Entwurf ist — zumindest vom den Kommunen vieles erleichtern könnten. Ansatz her — geeignet, die unselige Situation zu Da ist das Asylverfahrenbeschleunigungsgesetz entschärfen, wobei es für mich wichtig bleibt festzu- von uns mit großen Erwartungen vor einem knappen halten, daß auch weiterhin der Grundsatz gilt: Poli- Jahr, im Juni 1992, vollmundig verabschiedet worden tisch Verfolgte genießen Asyl in Deutschland! und erst jetzt seit Ap ril voll in Kraft. Trotz unverzeih- licher Reibungsverluste bei der Umsetzung zwischen Dr. R. Werner Schuster (SPD): Warum tun wir das Bund und Ländern scheint es jetzt zum ersten Mal zu Falsche und unterlassen das Notwendige? greifen. Doch an dem Ergebnis sind wir, die Autoren, offensichtlich gar nicht mehr interessiert, zu stark Bitte stellen Sie sich einmal vor, sie würden krank betört von den Sirenenklängen einer Grundgesetzän- werden — ich hoffe dies natürlich nicht. Sie würden derung. deswegen dann Ihren vertrauten Hausarzt aufsuchen. Dieser würde Ihnen eine Arznei verschreiben. Nach Fast ein Drittel der Asylbewerber sind immer noch einiger Zeit müßten Sie feststellen, daß dieses Medi- Bürgerkriegsflüchtlinge. Sie werden auch in Zukunft kament praktisch unwirksam ist, jedoch mit erhebli- von den Kommunen — was bleibt ihnen auch anderes chen Nebenwirkungen verbunden ist. Sie wären zu übrig — wegen des Fehlens eines notwendigen B- recht entrüstet und würden den Hausarzt wechseln. Status mit Finanzierungsregelung in das zeitaufwen- dige Asylverfahren abgeschoben werden. Eine ein- Dieses Bild beschreibt exakt die heutige Situation. vernehmliche Finanzierungsregelung wurde bislang Alle Insider wissen, daß mit dem vorgelegten Asyl- verhindert, und doch werden Bund und Länder im kompromiß zum Artikel 16a das zugrundeliegende Endeffekt bezahlen müssen. Auf eine sinnvolle Maß- Problem der weltweiten Flüchtlingsströme allenfalls nahme wird vorerst verzichtet. Die Retuschierung marginal beeinflußt wird. Selbst Innenminister Seiters eines Grundrechtes ist halt einfacher. geht davon aus, daß auch nach Inkrafttreten dieser Grundgesetzänderung im Jahre 1994 der Zuwande- In den Ländern bestehen nach wie vor erhebliche rungsdruck unverändert bei ca. 500 000 Menschen Organisationsdefizite (auch bei mir in Hessen) bei der bleiben wird. Erstunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften Wie ein Kaninchen auf die Schlange haben große zwischen den zuständigen Kommunal- und Sozialmi- nisterien. Wirkliche Kooperation über Ressortgrenzen Teile dieses Bundestages — auch der SPD — auf die hinweg könnte zu erheblicher Entlastung bei den Änderungen des Artikels 16 gestarrt. Viel Personal- aufwand wurde in Detailregelungen investiert und Kommunen führen, aber es ist einfacher ein Grund- dabei das Denken in Alternativen vernachlässigt. recht zu retuschieren als Verwaltungsstrukturen zu Doch der Zorn der enttäuschten Bürgerinnen und hinterfragen. Bürger wird folgen, weil ihre Erwartungen, daß nach Selbst in den betroffenen Kommunen tut man sich dem 1. Juli 1993 in den Kommunen alles sofort anders, mit einem professionellen Flüchtlingsmanagement besser und einfacher wird, vorhersehbar nicht erfüll- schwer, obwohl es inzwischen vielerorts positive Bei- bar ist. Die eigentliche Not unserer Bürgermeister und spiele hierfür gibt. 7 000 DM kostet allein die Unter- Landräte vor Ort wird nicht gelindert. bringung eines Asylbewerbers pro Jahr — ein gefun- Trotzdem wird die Grundgesetzänderung mit Zwei- denes Fressen für Wohnungsspekulanten. Die Alter- Drittel-Mehrheit heute wahrscheinlich beschlossen native, als Kreis zusammen mit den Kommunen hier werden, damit endlich „Handlungsfähigkeit" quer selbst initiativ zu werden und den Spekulationsge- durch die Parteien und Fraktionen in Bonn demon- winn in Form von notwendiger Sozialbetreuung zu striert wird. reinvestieren, ist immer noch die Ausnahme — leider auch in meinem eigenen Heimatkreis. Das Zusam- Dem „Volk aufs Maul schauen" und Bürgernähe menführen von Ethnien in den Unterkünften, was die praktizieren liegt gefährlich nahe bei populistischem Verständigung und die Konfliktlösungen erheblich Aktionismus. Es lohnt sich, sich bewußt zu werden, erleichtern würde, ist ebenfalls immer noch die Aus- daß bereits in der Bibel das „Hosianna" und das nahme, der Ruf nach Bonn um so einfacher. „Kreuziget ihn" dicht beieinander liegen. Nicht umsonst haben daher unsere Verfassungsväter (und Wir sind uns einig, wir brauchen ein Zuwande- Mütter) im Artikel 38 den unabhängigen Abgeordne- rungsgesetz, um die Migration zu steuern, doch Ver- ten postuliert und nicht ein Rätesystem. wertbares liegt zur Zeit nicht vor, von einer europäi- schen Harmonisierung ganz zu schweigen. Die Beam- Um Mißverständnissen vorzubeugen: Auch ich ten waren zu sehr mit dem Fetisch Artikel 16a halte es weder für denkbar, noch für wünschenswert, beschäftigt. daß die Bundesrepublik der Zufluchtsort aller „Müh- seligen und Beladenen" dieser Erde werden kann. Ich Immer noch 7 % der Asylbewerber kommen aus halte es allerdings für die Pflicht von uns Bundestags- dem NATO-Partnerland Türkei, und wir statten die abgeordneten, alle möglichen Maßnahmen diesbe- Türkei weiterhin mit Rüstungsgegenständen aus, so züglich auf ihre Wirkungen und Nebenwirkungen hin als ob da kein innerer Zusammenhang bestehen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13661* würde. Doch ein Grundrecht zu retuschieren ist halt Viele argumentieren: „Hilfen vor O rt, in den einfacher als konsequente Rüstungsexportkontrolle. Armutsländern sind besser" und „die Bundesrepublik - Deutschland kann nicht alle Probleme der Armut im Es gibt unter den Asylbewerbern inzwischen auch eigenen Lande lösen". Das ist sicherlich richtig, aber Menschen, die bereit wären, unter gewissen Voraus- vermehrte Anstrengungen, um die Armutswanderung setzungen zurückzukehren. Das dürften deutlich einzuschränken, werden kaum unternommen. Nach mehr als 5, wenn nicht gar 10 % sein. Hier gibt es wie vor gehört die Bundesrepublik Deutschland zu Ansätze von Repatriierungsprogrammen, doch diese den Industriestaaten, die die von der UNO einmütig laufen unkoordiniert, vom Ressortegoismus geprägt, beschlossene Steigerung der Entwicklungshilfe auf nebeneinander ab. Die Einrichtung eines Flüchtlings- 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes nicht erfüllt kabinetts als Koordinationsgremium scheint schwieri- hat. ger als die Retuschierung eines Grundrechtes. Die geplante Grundgesetzänderung in der vorlie- Bekämpfung der Fluchtursachen: Diese Forderung genden Form halte ich für das falsche Instrument zur finden Sie in den Programmen aller Parteien. Doch Lösung der Zuwanderungsproblematik. Nur durch eine nachhaltige, kohärente Entwicklungspolitik ist in ein Gesamtpaket, das die Zuwanderung insgesamt allen Fraktionen ein Fremdwort. Entwicklungspolitik — mit vereinbarten Quoten und einvernehmlichen spielt keine ernsthafte Rolle — im Jargon der Bundes- Kriterien — steuert, und mit verstärkten sichtbaren liga heißt das Platz 18! Hilfen in den Armutsländern selbst kann das Problem einigermaßen wirksam und ethisch verantwortlich Für Ärzte gilt der Eid des Hippokrates „Nil nocere" gelöst werden. (unter gar keinen Umständen schaden). Dies habe ich mir auch für meine politische Tätigkeit vorgenom- Die Mehrheit des Hauses ist nicht einmal bereit, die men. Ich kann daher dem heutigen Asylkompromiß von der SPD-Fraktion beantragte Änderung des § 34 nicht zustimmen. Alle Befürworter aber müssen sich Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes und des § 123 bewußt sein, daß sie in einigen Jahren nicht geltend Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung zu beschlie- machen können „denn sie wußten nicht, was sie ßen. Damit ist die automatische Zurückweisung von tun"! Flüchtlingen, die über einen sogenannten Drittstaat nach Deutschland kommen, gegeben. Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird außer Kraft gesetzt. Es ist Horst Sielaff (SPD): Die Asylproblematik ist lange zu befürchten, daß damit die Verfassungsmäßigkeit Zeit verharmlost und die schwindende Akzeptanz des dieser Gesetzesänderung selbst in Frage gestellt Grundrechts bei weiten Teilen der Bevölkerung wird. unterschätzt worden. Zu lange haben wir insbeson- dere die Kommunalpolitiker mit den vielfältigen Pro- Das Problem der Kriegs- und Bürgerkriegsflücht- blemen der Zuwanderung vor Ort allein gelassen. linge wird weiterhin auf die Kommunen abgescho- Damit haben wir zugelassen, daß Asylsuchende und ben. Armutsflüchtlinge zum Sündenbock verfehlter Politik Die Warnungen des UN-Flüchtlingskommissars gemacht wurden. Eine verfehlte Wohnungspolitik, die und die Bedenken vieler anerkannter Verwaltungs- Vernachlässigung des sozialen Wohnungsbaues und richter zu dieser Gesetzesänderung können nicht der Abbau von Arbeitsplätzen verschärften Aggres- einfach übergangen werden. Es ist bedauerlich, daß sionen gegen Asylsuchende. die vielen Bedenken und Einwände beim Experten Hearing des Deutschen Bundestages zur Asylrechts- Ich bin überzeugt, die gesamte Problematik der änderung kaum berücksichtigt wurden. Zuwanderung in unserem Land wird durch die Ände- rung des Asylrechts in keiner Weise gelöst. Es könnte Ich werde deshalb der Änderung des Artikels 16 des sich die Verärgerung gegen uns Politiker und die Grundgesetzes, des Asylrechts, in der vorliegenden Aggressivität gegen zu uns kommende Ausländer Form nicht zustimmen. sogar noch verstärken, wenn der erhoffte Effekt, die Zuwanderung massiv zu reduzieren, nicht eintritt. Bärbel Sothmann (CDU/CSU): In Deutschland Leider sind auch bisher gemeinsam beschlossene leben zur Zeit rund 600 000 Asylbewerber, insgesamt Maßnahmen wie die Beschleunigung der Asylverfah- rund 1,5 Millionen Flüchtlinge mit oder ohne Flücht- ren, die Abarbeitung der sogenannten „Altfälle" in lingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Zirndorf und die Einrichtung von Sammelunterkünf- 60 Prozent aller Asylbewerber, die in Europa Auf- ten zur Unterbringung bis zur Asylentscheidung nicht nahme suchen, kommen nach Deutschland und hat- entschlossen umgesetzt worden. Bevor diese be- ten bisher Anspruch auf umfangreiche Sozialleistun- schlossenen Maßnahmen überhaupt greifen konnten, gen. Der Asylmißbrauch ist entsprechend hoch. Die wurde schon an neuen Gesetzesänderungen des Asyl- Zahl der Ausländer, die unsere Zuzugsbeschränkun- rechts gebastelt. gen unter Berufung auf ihre politische Verfolgung Kommunalpolitiker, die noch vor wenigen Monaten umgehen, steigt ständig an. Allein im letzten Jahr darum baten, sich für das Bleiben von abgewiesenen waren es über 400 000 Fälle. In der Regel können rund Asylbewerbern aus S ri Lanka oder Äthiopien einzu- 90 Prozent aller Asylanträge mangels Voraussetzun- setzen, fordern heute die Änderung des Asylrechtes. gen nicht anerkannt werden. Egal, was ihr beschließt, beschließt nur etwas, damit Dieser Zustand ist unhaltbar. Er belastet unsere die Menschen den Eindruck haben, es geschieht Städte und Gemeinden, unseren Wohnungs- und etwas — dies ist weit verbreitete Meinung und drückt Arbeitsmarkt, unseren sozialen Frieden. Unser Sozial- die Hilflosigkeit vieler Verantwortlicher aus. system wird bei weiterhin ungehinderter Zuwande- 13662* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 rung nicht mehr finanzierbar sein. Das von verschie- Hilfsbedürftiger, wie z. B. den Kriegs- und Bürger- denen Seiten geforderte Einwanderungsgesetz würde kriegsflüchtlingen, genutzt werden. Durch die Neure- die Probleme nicht lösen. Deutschland ist kein Ein- gelung der Sozialleistungen an Asylbewerber, die wanderungsland. demnächst vorrangig als Sachleistungen erfolgen sol- len, werden die Kommunen zusätzlich bis zu zwei Wir können nicht alle Notleidenden dieser Welt in Milliarden DM jährlich einsparen können. Die der Bundesrepublik aufnehmen. Wer nicht politisch gekürzten Sozialleistungen sind für die Asylbewerber verfolgt wird, muß wissen, daß er in Deutschland nach meiner Auffassung für eine vorübergehende Zeit keine Chance auf ein Bleiberecht hat. Der von CDU/ — die Zeit, in der der Asylantrag geprüft wird — CSU, F.D.P. und SPD ausgehandelte Asylkompromiß zumutbar und werden ihnen auch weiterhin ein men- muß deshalb heute im Bundestag verabschiedet wer- schenwürdiges Leben ermöglichen. den. Damit wird unser Asylrecht endlich „europafähig". Die Kürzung von Sozialleistungen, die Straffung Es ermöglicht zukünftig eine gerechtere Verteilung und Beschleunigung der Verwaltungs- und Gerichts- des Asylbewerberzustroms auf alle EG-Mitgliedstaa- verfahren kommt auch den Armutsflüchtlingen ten und kommt allen Betroffenen zugute, den politisch zugute. Das bisherige, oft jahrelange Warten auf den Verfolgten, unseren Städten und Gemeinden und den Abschluß eines Asylverfahrens brachte diese Flücht- Armuts- oder Wirtschaftsflüchtlingen. linge bei uns bisher nur in eine noch größere Perspek- tivlosigkeit. Auch den Schlepperbanden wird damit Ausschlaggebend für mich ist, daß das individuelle endlich der Nährboden weitgehend entzogen. Grundrecht auf politisches Asyl durch den Asylkom- promiß weitgehend erhalten bleibt, der Asylmiß- Weltweit sind über 17 Millionen Flüchtlinge unter- brauch jedoch gleichzeitig erheblich eingeschränkt wegs. Unser neues Asylrecht wird uns nur kurze Zeit werden kann. In Artikel 16a des Grundgesetzes wird entlasten, wenn wir nicht auch das Problem der weiterhin garantiert: „Politisch Verfolgte genießen Armutswanderung unverzüglich angehen. Vor allem Asylrecht". Durch die Einführung einer Länderliste gilt es, die wirtschaftlichen Fluchtursachen vor Ort, wird eine rasche Unterscheidung zwischen politisch z. B. in Rumänien, Bulgarien, im ehemaligen Jugosla- Verfolgten und Armutsflüchtlingen ermöglicht. wien und in den Entwicklungsländern, zu bekämpfen. Wenn es gelingt, potentiellen Auswanderern eine Den wirklich politisch Verfolgten kann dadurch wirtschaftliche Existenz in ihren Heimatländern zu besserer Schutz und eine bessere Zukunftsperspek- ermöglichen, leisten wir zugleich Aufbauhilfe für tive in Deutschland geboten werden. Asylbewerber, diese Staaten. Die durch die Reform des Asylrechts die aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat freiwerdenden Finanzmittel — nach jüngsten Schät- oder Drittstaat — beispielsweise aus Polen — einrei- zungen rund sieben bis zehn Milliarden DM jähr- sen, können dagegen bereits an der Grenze zurück- lich — sollten nach meiner Überzeugung grundsätz- gewiesen bzw. abgeschoben werden. Die Sorge, daß lich für diese Aufbauhilfe zur Verfügung gestellt auch politisch Verfolgte aufgrund der Länderlisten an werden. unseren Grenzen abgewiesen werden könnten, ist nach meiner Überzeugung unbegründet. Die Einstu- fung als sicherer Herkunftsstaat ist sehr sorgfältig Uta Titze-Stecher (SPD): Ich möchte heute, und nach einem umfangreichen Kriterienkatalog vorge- zwar bewußt im Rahmen der Debatte um eine Ände- nommen worden, der u. a. die Höhe der Anerken- rung des Grundrechtes auf Asyl, auf Probleme einer nungsquote, die allgemeine politische Lage, die Ach- ethnischen und kulturellen Minderheit aufmerksam tung der Menschenrechte, die Stabilität und die machen, die größte Schwierigkeiten mit der Inan- Bereitschaft des Herkunftslandes umfaßt, unabhängi- spruchnahme des Asylrechtes hatte, hat und, sofern gen internationalen Organisationen zur Überwa- der Asylkompromiß beschlossen wird, in verstärktem chung der Menschenrechtslage den Zutritt zu seinem Maße in Zukunft haben wird: Ich spreche hier für die Gebiet zu gewähren. Das kürzlich geschlossene Zigeuner, wie sie sich seit einiger Zeit wieder selbst- Abkommen mit Polen über die Zusammenarbeit hin- bewußt nennen. sichtlich der Auswirkungen von Wanderungsbewe- Dieses staatenlose Volk hat keine Lobby, hat nur gungen ist im Zusammenhang mit der Drittstaatenre- einige wenige Fürsprecher, letztere sicher nur in gelung beispielgebend für die Verwirklichung einer Spurenelementen im parlamentarischen Raum vor- gemeinsamen europäischen Lösung. Sollte die SPD handen. den Asylkompromiß mehrheitlich wegen der Dritt- staatenregelung ablehnen, würde er damit praktisch Erschwerend kommen hinzu diverse Vorurteile und wirkungslos. Damit öffnet sie dem Rechtsextremismus irrationale Ängste — nicht nur in den Köpfen und Tür und Tor. Dies wird katastrophale Auswirkungen Bäuchen der Bevölkerung, sondern auch in uns selbst für uns alle haben, und das nicht nur bis zur nächsten als deren Vertreter. Bundestagswahl. Zugegeben, es gab und gibt sicher Erfahrungen (ich Das neue Asylrecht dagegen wird die Kommunen erinnere an die schwierige, alle Seiten belastende und die Bürgerinnen und Bürger bald spürbar entla- Situation auf den Containerschiffen im Hamburger sten. Den Städten und Gemeinden bereitet vor allem Hafen), die Ängste und Aggressionen scheinbar recht- die Frage der Unterbringung die größten Probleme, fertigen. Aber wir wissen doch alle, daß da, wo denn ständig werden ihnen neue Asylbewerber zuge- Menschen, noch dazu solche verschiedenster Her- wiesen. Die freiwerdenden Asylunterkünfte und das kunft, Sprache und Kultur, in dr angvoller Enge und Verwaltungs- und Betreuungspersonal können künf- ohne Perspektive miteinander auszukommen ge- tig besser für die Aufnahme und Be treuung wirklich zwungen sind, Konflikte an der Tagesordnung sind. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13663*

Auch die vielfach unterstellte oder meinethalben b) Gewährung eines gesicherten Bleiberechtes für sogar zu beobachtende Unfähigkeit und/oder Unwil- Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien im Rahmen ligkeit zur Anpassung an unsere Art, zu leben und zu einer einmaligen humanitären Aktion, arbeiten, darf nicht der Maßstab dafür sein, die c) Anliegen einer Volksgruppe pauschal abzulehnen Einstellung der Finanzierung der für Roma errich- und die Menschen selbst als unerwünscht zu betrach- teten Unterkünfte in den Ghettos osteuropäischer ten und zu behandeln. Genau das aber geschieht zur Staaten, solange deren politische Strukturen instabil Zeit im Umgang mit Zigeunern, speziell mit Roma, sind; statt dessen Förderung der kulturellen Eigen- ständigkeit der Zigeuner, und mit deren Asylanträgen — obwohl die Betroffe- nen größtenteils aus dem Kriegsgebiet des ehemali- d) Behandlung der Roma-Flüchtlinge entsprechend gen Jugoslawien geflüchtet sind. der Genfer Konvention von 1956 und Ausstellung von Erlauben Sie mir aus aktuellem Anlaß zwei Bemer- Flüchtlingspässen für sie, kungen, um mein Engagement gerade für diese e) konkrete Umsetzung der bisherigen europäi- ethnische Minderheit zu begründen: schen Resolutionen und Empfehlungen durch beson- 1. Die Benachteiligung der Roma (Zigeuner aus dem dere Maßnahmen für Zigeuner, südosteuropäischen Raum), die im letzten Jahrhun- f) Unterzeichnung der Resolution 65 der Menschen- dert ihren Anfang nahm, erreichte mit der Besetzung rechtskommission der Vereinten Nationen vom Jugoslawiens durch die Nazis im Jahre 1941 ihren 5. März 1992 mit dem Titel „Schutz der Roma" Höhepunkt: Roma (aber auch Sinti) wurden depor- — angesichts der demnächst in Wien stattfindenden tiert, in Konzentrations- und Arbeitslager verschleppt, Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen für Zwangsarbeit eingesetzt, zwangssterilisiert, er- von höchster Dringlichkeit! —, mordet; Roma waren, zusammen mit Juden, die ersten Opfer bei Geisel-Erschießungen. Insgesamt fielen g) keine Vergabe von deutscher Hilfe an Staaten, dem Naziterror rund eine halbe Million Zigeuner zum die ständig Menschenrechtsverletzungen an Roma Opfer. Bis heute aber lehnt die Bundesregierung jede begehen; statt dessen Unterstützung von Maßnahmen Wiedergutmachung für die aus Jugoslawien hierher zur Stabilisierung demokratischer Strukturen. geflüchteten Roma ab. Ich denke, hier müssen wir unsere Hausaufgaben schleunigst nachholen, in Wolfgang Weiermann (SPD): Der Gesetzentwurf zur Anerkennung der besonderen Verantwortung des Änderung des Asylrechts soll unter die Diskussion deutschen Volkes gegenüber den Roma und Sinti, die einen Schlußstrich ziehen, auf welche Art und Weise den Holocaust überlebt haben. das enorme Problem der Zuwanderung zu regulieren 2. Ich komme aus Dachau, der Stadt, die die Bürde ist. trägt, Ort des ersten von Hitler errichteten KZ's zu In unser Land kommen einerseits Menschen, die in sein. Daher auch mein Mut, Sie mit dem aktuellen ihren Herkunftsländern politisch verfolgt werden, Problem in Dachau zu konfrontieren: In der evangeli- zum anderen Menschen, die versuchen, der Hungers- schen Versöhnungskirche, auf dem Gelände der KZ- not zu entrinnen, und wiederum andere, die vor den Gedenkstätte, haben seit Mitte Mai rund 40 Zigeuner Kriegswirren in ihrer Heimat zu uns flüchten. (Roma) Zuflucht gefunden vor der drohenden Abschiebung in die Kriegsgebiete des ehemaligen Das Verfahrensbeschleunigungsgesetz, das seit Jugoslawien und nach Mazedonien, wo ethnische dem 1. April 1993 gilt, droht zu scheitern, wenn die Verfolgung bis hin zu Massakern stattfindet — aller- Verfahrenswege nicht deutlich verkürzt werden. dings nicht in den Augen der Bundesregierung. Aus- Z. B. in Nordrhein-Westfalen müssen durchschnitt- gelöst durch den Hungerstreik der Schriftstellerin lich sechs Wochen in den landeseigenen Unterkünf- Anita Geigges für die Anliegen der Roma, haben sich ten Plätze für die Asylbewerber bereitgehalten wer- diese selbst nach Dachau aufgemacht, um öffentlich den, deren Anträge als offensichtlich unbegründet zu demonstrieren und zu informieren. Die Dachauer eingestuft sind und die auf die definitive Entschei- Aktion ist Teil einer europaweiten Aktion des Roma dung warten. Es kommen mehr Menschen als erwar- National Congress (RNC). Eine der Auftaktveranstal- tet — etwa 37 % plus kamen bereits im ersten Quartal tungen des Evangelischen Kirchentages wird auf dem 1993. Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau in Anwesen- heit von höchster politischer Prominenz stattfinden. Die vorhandenen Plätze sind relativ schnell belegt, Dabei sollen die Zigeuner Gelegenheit erhalten, ihre und es muß ad hoc eine Verteilung der Asyl-Bewerber Situation und ihre Forderungen einer breiten Öffent- auf die Kommunen vorgenommen werden. Ohne ein lichkeit vorzustellen. neues Asylgesetz ist ein Fiasko nicht zu verhindern. Ich für meinen Teil habe das heutige Forum dazu Die Anerkennungsquote für Bewerber aus Rumä- ausgewählt, Sie um Verständnis und Hilfe für die nien liegt bei 0,5 %, oder anders ausgedrückt: 7 500 berechtigten Anliegen dieser von allen Seiten verfolg- der 7 559 Menschen können nicht anerkannt werden, ten und unterdrückten ethnischen Minderheit zu obwohl sie in langwierigen Verfahren verbleiben. bitten. Insbesondere bitte ich Sie um Unterstützung folgender Forderungen: Wenn die Landespolitik angesichts sinkender Steu- ereinnahmen Einschnitte in dreistelliger Millionen- a) Anerkennung der Zigeuner als ethnische und höhe trotz guten Willens nicht vermeiden kann, aber kulturelle Minderheit vor dem Hintergrund der gleichzeitig Mehrausgaben in zweistelliger Millio- besonderen Verantwortung des deutschen Volkes nenhöhe für den Bau von Übergangsheimen für Asyl- gegenüber den Überlebenden des Holocaust, bewerber zu bestreiten hat, dann weiß ich nicht, wie 13664* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 man diese Diskrepanzen den Bürgern verantwortlich den für die zunehmende Zahl von Asylanträgen erklären kann. auseinanderzusetzen und im Wortsinne radikale — an - die Wurzel gehende — Lösungen zu überlegen, wurde Es ist für uns aber leider nicht möglich, alle diese von ihnen und zahlreichen Massenmedien jede Gele- Menschen bei uns aufzunehmen. (In unseren Bal- genheit genützt, das geltende Asylrecht zu diskredi- lungsgebieten, Städten und Gemeinden, fehlt der tieren und die Zielrichtung der zu schaffenden Platz. Wir bringen sie bereits in Turnhallen, Schulen, Gesetze auf die faktische Abschaffung dieses Grund- usw. unter.) rechtes hin zu verengen. Unstreitig ist — und so steht es in unserer Verfas- Seit die ersten Gastarbeiter angeworben wurden, ist sung, und so soll es auch bleiben —: „Politisch die Bundesrepublik aus eigenem Willen, aus wirt- Verfolgte genießen Asylrecht." schaftlicher, inzwischen auch demographischer Not- Aber dieses Recht darf kein Tor für eine allgemeine wendigkeit ein Zuwanderungsland. Was bis heute Zuwanderung derjenigen sein, die nicht politisch fehlt und was auch im vorliegenden Gesetzespaket verfolgt werden. nicht vorliegt, ist eine gesetzliche Regelung der lega- len Zuwanderung für Menschen aus Staaten, die nicht Für mich ist vorrangig, daß der grundsätzlich ver- der EG angehören. Sei es ideologische Verblendung briefte Anspruch auf Asyl erhalten bleibt. Er muß aber oder Angst vor dem Verlust deutschnationalen Wäh- begrenzt werden gegen zwar verständliche, aber für lerpotentials bei Teilen der Union, sie verhindert diese uns nicht erfüllbare Wünsche, vor Not und Elend in ein notwendige Gesetzgebung. Folgerichtig ist das Asyl- wohlhabenderes Land zu flüchten. recht die einzige Möglichkeit, legal in die Bundesre- Das heißt, für mich besteht das Ziel der Neurege- publik zu gelangen, auch wenn die Antragsteller lung darin, den politisch Verfolgten die Möglichkeit ausschließlich in die Bundesrepublik kommen wollen, zu geben, ihnen zu helfen, ihren grundgesetzlichen um zu arbeiten und Geld zu verdienen. Ein Gesetz mit Anspruch auf Asyl schnell und wirksam geltend zu jährlicher Quotierung der Zuwanderung nach wirt- machen. schaftlicher Notwendigkeit und sozialer Verträglich- keit und dem Ausschluß legaler Zuwanderung nach Deshalb ist es andererseits notwendig, den Anteil einem abgelehnten Asylantrag wäre notwendig und der zahlreichen Zuwanderer, die nicht politisch ver- konsequent; aber es ließe die Simplifizierung der folgt werden, sondern aus z. B. wirtschaftlicher Not zu Zuwanderung zur sogenannten Asylproblematik uns kommen, zu begrenzen und ihnen darüber hinaus nicht zu und darf wohl deshalb nicht Gegenstand der Hilfe in ihren Heimatländern zu geben, eine Ursa- heutigen Beratung sein. chenbekämpfung vor Ort vorzunehmen und Entwick- lungshilfe zu veranlassen, die diesen Namen auch Ich behaupte nicht, daß mit einer solchen gesetzli- verdient. chen Regelung allein das Zuwanderungsproblem zu lösen sei. Darüber hinaus ist es unabdingbar, in den Es muß uns klar sein, daß eine Neuregelung des Ländern, aus denen die Zuwanderungswilligen kom- Asylrechts die Ursachen für die Zuwanderung allein men, großzügige Hilfe zu leisten, damit sich die nicht beseitigt. wirtschaftliche Lage so verbessert, daß das Auswan- Nach Abwägung aller Umstände kann und will ich dern in eine ungewisse Zukunft für die Menschen die nicht verhehlen, daß es mir nicht leichtgefallen ist mit schlechtere Alte rnative darstellt. Die zweistelligen meiner Entscheidung, diesen Asyl-Kompromiß mitzu- Millionenbeträge, die Polen vertragsgemäß und ver- tragen. Mir ist bewußt, daß die Grundgesetzänderung mutlich auch der Tschechischen Republik zur Verfü- kein Allheilmittel ist. Eine Lösung der vielfältigen gung gestellt werden, um Asylverfahren durchführen Probleme im Zusammenhang mit der Flüchtlingsbe- zu können und Grenzbefestigungen zu bauen, wären wegung wäre aber ohne sie völlig ausgeschlossen. sinnvoller in wirtschaftlicher Aufbauhilfe angelegt. Die Haushaltsdaten des Ministers für wirtschaft liche Zusammenarbeit lassen auch nicht hoffen, daß der Matthias Weisheit (SPD): Eine ständig steigende Ursachenbekämpfung vor Ort höchste Priorität einge- Zahl zuwanderungswilliger Menschen aus Staaten, räumt wird, statt dessen schickt sich diese Regierung die nicht der EG angehören, stellt die Gesellschaft der an, durch unbegrenzte Militäreinsätze in aller Welt Bundesrepublik Deutschland vor große Probleme. die humane Rolle deutscher Politik zu demonstrieren. Unter besonderem Druck stehen die Kommunen, und Auch die finanziellen Mittel für diese Militarisierung die Forderungen an den Gesetzgeber, tätig zu wer- der deutschen Außenpolitik könnten sinnvoller zur den, bestehen zu Recht. Behebung der Wanderungsursachen eingesetzt wer- Vor der Gesetzgebung sollte allerdings eine gründ- den. liche Analyse der Ursachen dieser modernen Völker- Das Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens, wanderung stehen, es sollte Klarheit geschaffen wer- das seit 1. Juli 1992 das alte Asylverfahrensgesetz den, welche Ziele die Gesetzesänderung verfolgt, und schrittweise ablöste und seit 1. April 1993 in vollem es muß der Bevölkerung gegenüber wahrhaftig argu- Umfang in Kraft ist, dient dem Ziel, in wenigen mentiert werden, was erreichbar ist und was nicht. Die Wochen festzustellen, wer tatsächlich schutzbedürftig vor allem von Politikern der Koalition in den letzten ist und wer nicht. Keine Frage, jahrelange Verfahren beiden Jahren in die Öffentlichkeit ge tragenen sind weder für die be troffenen Asylbewerber noch für Schlagworte wie „Asylantenflut", „massenhafter die Kommunen, die sie unterbringen müssen, auf Asylmißbrauch" usw., haben verhindert, daß eine Dauer erträglich. Aber diesem Gesetz wurde über- angemessene Diskussion der Problematik überhaupt haupt keine Chance gegeben, wirksam zu werden: Bis stattfinden konnte. Statt sich zunächst mit den Grün heute, zwei Monate nach voller vorgesehener Gültig- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13665* keit, sind noch nicht alle genehmigten Stellen besetzt. und der Tschechischen Republik in die Drittstaaten- Ich will nicht von Sabotage reden, aber die Tatsache, regelung machen wir uns der Destabilisierung dieser daß lange bevor das Gesetz überhaupt wirken -konnte, beiden Staaten schuldig! — Ich weiß, wovon ich rede, bereits daran gearbeitet wurde, Artikel 16 Abs. 2 zu mit Menschen beider Nationen verbinden mich seit verändern, stimmt doch sehr nachdenklich. vielen Jahren freundschaftliche Kontakte, und beide Länder kenne ich fernab der regierungsamtlichen Der Anstieg der Asylbewerberzahlen, der angeb- geschonten Wirklichkeit. lich die Wirkungslosigkeit dieses Gesetzes beweist, bevor es überhaupt wirken konnte, hat auch damit zu Die Festlegung verfolgungsfreier Staaten per tun, daß Hundertausende von Flüchtlingen aus dem Gesetz des Deutschen Bundestages und des Bundes- ehemaligen Jugoslawien im Asylverfahren landeten, rates gehört zu den fragwürdigsten Vorhaben dieser obwohl sie gar nichts darin verloren hätten. Erst jetzt Grundgesetzänderung überhaupt. Es gehört schon kommt eine Regelung zustande, die Bürgerkriegs- ein ungeheures Maß nationaler Überheblichkeit dazu, flüchtlinge vom Asylverfahren befreit. Eine Regelung, per Gesetz festlegen zu wollen, in welchen anderen der ich zustimme, wenngleich ihre Wirksamkeit in Staaten dieser Welt die Menschenrechte so zur alltäg- Frage gestellt bleibt, solange die Kommunen mit den lichen politischen Praxis gehören, daß Verfolgung Kosten alleine gelassen werden. grundsätzlich ausgeschlossen ist. Wie schnell ist der bundesdeutsche Gesetzgeber überdies wohl in der Eine EG-Regelung zur gerechten Lastenverteilung Lage, etwa auf einen Militärputsch zu reagieren und bei Asylbewerbern und Flüchtlingen ist überfällig und ein auf der Liste befindliches Land wieder zu strei- eine diesbezügliche Änderung des Grundgesetzes chen? Nimmt man nur die Staaten zur Grundlage, aus nur eine konsequente Weiterentwicklung der euro- denen keine Asylbewerber kommen oder in denen ein päischen Einigung. Ihr könnte ich ebenfalls zustim- Umsturz der Verhältnisse kaum zu erwarten ist, dann men. Sie, ein Zuwanderungsgesetz, wirtschaftliche bewirkt eine solche gesetzliche Liste nichts außer Hilfe vor Ort, die konsequente Umsetzung des Geset- Problemen in der Außenpolitik, und sie ist völlig zes zur Neuregelung des Asylverfahrens und die überflüssig! — Einen Sinn ergibt sie im Zusammen- Herausnahme der Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem hang mit der Asylgesetzgebung doch wohl erst dann, Asylverfahren, genügten meiner festen Überzeugung wenn man Staaten in die Gesetzesliste aufnimmt, aus nach, die Belastungen, die durch A rtikel 16 Abs. 2 denen zahlreiche Asylbewerber kommen. entstehen, auf ein gesellschaftlich akzeptables Maß zu beschränken. Die Erfinder dieser Regelung manövrieren die Bun- desrepublik in eine schwierige außenpolitische Lage, Worüber aber stimmen wir heute ab? Über einen wenn die gesetzlich zu beschließende Liste verfol- neu formulierten Grundgesetzartikel, der vorgibt, gungsfreier Staaten tatsächlich Wirkung auf die Zahl politisch Verfolgte genießen in der Bundesrepublik der Asylanträge erzielen soll. Und sonst wäre sie ja Asylrecht. Durch Gesetz festzulegende sichere Dritt- sinnlos. Wie lange wird sich etwa die Türkei die staaten, die die Bundesrepublik umzingeln, und soge- Diskriminierung gefallen lassen, nicht auf dieser Liste nannte verfolgungsfreie Staaten werden es einem zu stehen? Ich habe die Erinnerung an die verharm- wirklich Schutzbedürftigen sehr schwer machen, in losenden Ausführungen des damaligen CDU-Spitzen- der Bundesrepublik Deutschland überhaupt noch ein politikers Bruno Heck nicht verdrängt, die er über die Asylverfahren zu bekommen. Wer die Bundesrepu- Zustände im Stadion von San tiago de Chile machte, in blik auf dem Landweg erreicht, hat nur eine Chance dem nach dem Militärputsch Tausende Allende auf ein Verfahren, wenn er seinen Reiseweg geschickt Anhänger zusammengepfercht waren. Ist die Ahnung verschleiert. An diesem Grundprinzip ändern auch so unrealistisch, daß mit dieser Grundgesetzänderung die zahlenmäßigen Einschränkungen des mit Polen die Voraussetzung dazu geschaffen werden soll, die ausgehandelten Vertrags nichts; denn Verträge sind von Regierungen kündbar! ganze Welt zur verfolgungsfreien Region zu erklären? — Mit Ausnahme der wenigen noch kommunistischen Unsere polnischen und tschechischen Nachbarn, Staaten, versteht sich. die sich in einer äußerst labilen wirtschaftlichen und In diesem Zusammenhang ist es sicherlich auch gesellschaftspolitischen Phase befinden, weil sie, wie überlegenswert, ob eine deutsche Außenpolitik, die die Menschen in den neuen Bundesländern, aber bei ihren Partnern auf die Einhaltung der Menschen- ohne massive Unterstützung aus der alten Bundesre- rechte drängt und finanzielle Zusagen an tatsächlich publik, das Chaos aus dem Zusammenbruch des überprüfbare und stattfindende Verbesserungen kommunistischen Systems überwinden müssen, ih- knüpft, nicht auch ein geeignetes Mittel wäre, die nen muten wir per Grundgesetzänderung zu, was Zahl der Asylbewerber zu senken! Aber wer die unsere seit Jahrzehnten eingespielte Verwaltung und Berichte über den jüngsten Besuch des Bundeskanz- Justiz scheinbar nicht zu schaffen in der Lage ist: lers studiert hat, kann kaum Hoffnung in eine solche Asylverfahren in angemessener Zeit rechtsstaatlich qualitative Veränderung hegen. durchzuführen. Zwei Nachbarländern, deren Men- schen in großer Zahl legal als Werkarbeitnehmer oder Welche Auswirkungen werden die Grundgesetzän- Saisonarbeiter zu niedrigen Löhnen in der Bundesre- derung und die Begleitgesetze in der Bundesrepublik publik arbeiten und sich, wie wir wissen, illegal von selbst haben? Die Zahl derer, die einen Asylantrag gewissenlosen Unternehmern oder Zuhältern ausbeu- stellen können und deren Antrag in der Bundesrepu- ten lassen, weil die wirtschaftliche Situa tion in ihren blik bearbeitet wird, d. h. der Menschen die weiterhin Ländern trostlos erscheint, diesen Staaten übertragen vorläufig untergebracht und versorgt werden müssen, wir einen großen Teil der Last, die wir zu bewäl tigen wird sinken, ebenso die Zahl derer, die ein Bleiberecht uns außerstande sehen! Mit der Einbeziehung Polens erhalten, die Kommunen werden voraussichtlich Ent- 13666* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 lastung erfahren. Der Preis ist auf dem eingeschlage- Die Dynamik der Wanderungsbewegungen prallt nen Weg die faktische Aufgabe des Grundrechts auf auf die Statik der Nationalstaaten. Ist ihre letzte Asyl und ein weiteres Stück Aufgabe der Rechtswe- Antwort die der Abschottung, dann zwingen sie sich gegarantie. Die Gefahren der Destabilisierung unse- und ihre Nachbarländer zu Grenzregimen, die der rer östlichen Nachbarstaaten und des bewußten Ober- Logik eines Kontinents der offenen Grenzen wider- sehens von Menschenrechtsverletzungen durch ge- sprechen. Das innenpolitisch berechtigte Motiv, der setzlich festgelegte Nichtverfolgerstaaten kommen Asylkompromiß könne die Gefahr nationalistischer hinzu. Dieser Preis ist zu hoch. Bestrebungen im eigenen L and eindämmen, blendet seine außenpolitische Wirkung aus: der Nationalis- Das Gesamtproblem der Zuwanderung wird mit mus in anderen Ländern kann durch ihn befördert diesem Gesetzespaket nicht angepackt, sondern nur werden. auf die eine andere Ebene verschoben. Die Anzie- hungskraft der Bundesrepublik Deutschland auf Men- Weil die osteuropäischen Staaten auf mittlere Sicht schen, die sich einen wirtschaftlichen Vorteil verspre- noch ungefestigt sein werden, müßte Westeuropas chen, wird weiter bestehen. Sie haben zum großen Interesse darauf gerichtet sein, ihre Stabilitätspoten- Teil' bisher das Asylrecht als Eintrittskarte benutzt, tiale zu stärken. Wenn diese aber, als „Cordon sani- weil es eine andere Möglichkeit nicht gab. Der taire" genutzt, ihrerseits einen „silbernen Vorhang" Zugang über das Asylrecht wird zwar eingeschränkt, jeweils weiter östlich verhängen, dann ist zu fürchten, eine legale Zuwanderung jedoch nicht ermöglicht, daß nationalistische Spannungen zunehmen wer- obwohl sie unbestritten notwendig ist und die Asyl- den. problematik hätte entschärfen können. Die Konse- Trotzdem könnten die im Asylkompromiß vorgese- quenz wird sein, daß die Zahl der illegalen Einwan- henen Restriktionen noch hingenommen werden, derer steigt, mit allen gesellschaftspolitischen Folge- wären sie eingebunden in ein Konzept, das die Ein- wirkungen wie Lohndumping, Slums, steigende Kri- wanderung in die Bundesrepublik Deutschland ratio- minalität und erneuter massiver Belastung der Kom- nal regelte und den Zugewanderten erweiterte Ch an munen. Die Erleichterung wird von sehr kurzer Dauer an-cen für die soziale und demokratische Teilhabe sein. Die Menschen in der Bundesrepublik, die eine an ihrer neuen Gesellschaft gäbe. Statt dessen wird Entschärfung des Zuwanderungsproblems insgesamt and sei kein Ein- der Fiktion festgehalten, Deutschl erwarten — und diese Erwartung ist durch die unzu- wanderungsland. Statt dessen bleibt das ethnische lässige Verengung auf den Beg riff Asyl fahrlässig Vorverständnis im wesentlichen erhalten, das der geweckt worden —, werden sich einmal mehr von der deutschen Staatsbürgerschaft anhaftet. Politik getäuscht und enttäuscht sehen. Daher kann der Asylkompromiß meine Zustim- Der Gesetzgeber begibt sich überdies erneut in die mung nicht finden. Eine Logik der Abschottung nach Gefahr, bei der Drittstaatenregelung in der vorliegen- innen und nach außen mag für den illusionären den Form vom Bundesverfassungsgericht ausge- Moment den Blick auf die Wirklichkeit verstellen. Der bremst zu werden. Solidargemeinschaft aller Menschen wäre es jedoch angemessener, gäbe es den Versuch einer gemeinsa- Deshalb und weil dieses Gesetzespaket weder men Antwort und nicht die des für sich operierenden geeignet ist, die Zuwanderungsproblematik ange- Nationalstaates. Immanuel Kant sagt uns in seiner messen zu regeln, noch die Ursachen der Wande- Schrift „Zum ewigen Frieden" : Es ist das „Recht des rungsbewegungen aus Verfolgung oder Armut heraus Fremdlings", „seiner Ankunft auf dem Boden eines zu bekämpfen, noch dem im ersten Satz manifestier- anderen wegen, von diesem nicht feindselig behan- ten Anspruch „politisch Verfolgte genießen Asyl" delt zu werden, ... vermöge des Rechts des gemein- entspricht, stimme ich gegen diese Gesetze. schaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, auf der, als Kugelfläche, (die Menschen) sich nicht ins Unend- Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Im Angesicht liche zerstreuen können, sondern endlich sich doch der Wirklichkeit für hunderte Millionen Flüchtlinge nebeneinander dulden müssen, ursprünglich aber unserer Erde greifen die vorgesehenen Änderungen niemand an einem Ort der Erde zu sein mehr Recht des Artikels 16 des Grundgesetzes ins Leere. Das hat, als der andere." (Imm anuel Kant, Werke, Bd. 9 Internationale Rote Kreuz schätzt die Zahl der Men- (1970), S. 211, 214) schen, die bis zum Ende dieses Jahrzehnts vor Kriegen und Hunger aus ihrer Heimat fliehen werden, auf eine Jochen Welt (SPD): Noch nie in meinem politischen Milliarde. Leben bin ich mit so viel Ängsten, Sorgen und auch politischem Druck konfrontiert worden wie in der Die weltweite Migration kann durch nationale hinter uns liegenden Diskussion um die Änderung des Innenpolitik kaum bewältigt werden. Erst eine Kon- Art. 16. Noch nie habe ich so viele Zuschriften, Anrufe, zeption von Politik, die — interna tional abgestimmt — Unterstützung und auch Bedrohung erhalten wie im die Fluchtursachen wirksam bekämpft und Wande- Rahmen dieser Auseinandersetzung. Bis heute sta- rungsbewegungen ra tional zu steuern beginnt, hat peln sich die B riefe und Karten der Befürworter und eine Aussicht, die globale Wirklichkeit zu gestalten. Gegner des Asylkompromisses. Solange aber der Norden wenig bereit ist, zum Bei- spiel durch eine radikale Kurskorrektur in der Ent- Eine schwere Entscheidung, aber angesichts der wicklungspolitik, die Lebensperspektiven des Südens zunehmenden Probleme in den Gemeinden eben eine zu verbessern, bleiben die wachsenden sozialökono- notwendige Entscheidung. Angesichts eskalierender mischen Gegensätze der einen Erde eine ständige Wohnungsnot, angesichts von Zukunftsängsten, an Quelle der Migration. -gesichts sich selbst organisierender Bürgerwehren in Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13667* den Stadtteilen ist eine Steuerung und Begrenzung Sozialdemokraten haben in der ersten Asylrunde bei des Zuzugs in die Bundesrepublik dringend geboten. Bundeskanzler Helmut Kohl ihre Vorstellungen zur Es wäre verantwortungslos, wenn in der gegenwärti- Verfahrensbeschleunigung durchgesetzt. Schon jetzt gen Situation die Lage und die Hilferufe von Städten wird die Wirksamkeit dieses erst vor einigen Wochen und Gemeinden schlichtweg ignoriert und der ausge- in Kraft getretenen Gesetzes deutlich. Die Zentralstel- handelte Kompromiß wieder zerredet würde. len melden zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte, daß sie die Asylfälle nicht auf Halde Respekt habe ich vor den Kritikern des Asylkompro- produzieren, sondern abarbeiten können. Das ist misses, die aus humanitären und rechtsstaatlichen keine Entwarnung, weil das Beschleunigungsgesetz Überlegungen ihre Bedenken vortragen, aber nach lediglich auf der Grundlage von 300- bis 400 000 wie vor dafür eintreten, die Zuwanderung über den Bewerbern Beschleunigung bringt. Es zeigt aller- Weg des Asyls zu steuern oder zu begrenzen. Ver- dings, daß mit früherem Handeln die bislang aufge- ständnislos stehe ich den Fundamentalisten gegen- laufenen 500 000 Altfälle, eine Unzahl von menschli- über, für die weder das bereits beschlossene Asyl- chen Schicksalen, Anlaß für Streit, Unfrieden und beschleunigungsgesetz noch andere Begrenzungs- Angst in der Bevölkerung hätten vermieden werden vorschläge, noch die jetzt anstehende Grundgesetz- können. Diese Regierung hat nicht gehandelt, entwe- änderung in Frage kommt. Eine solche Haltung ist der weil sie das Problem falsch eingeschätzt hat oder, leichtfertig und gleicht der Mentalität von Lemmin- und das ist noch schlimmer, weil sie unter dem gen, die sich selber — und vor allen Dingen andere — Grauschleier der emotionalisierten Asyldebatte ihre sehenden Auges in das Chaos und in den Abgrund Untätigkeiten in der Arbeitsmarkt-, Wohnungsbau- stürzen. Der Zustrom von Asylbewerbern würde nach und Sozialpolitik zudecken wollte. deren Haltung erst dann begrenzt, wenn Wirtschaft und Gesellschaft instabil wären, wenn ausländer- Wir werden nach der Grundgesetzänderung die feindliche Exzesse sich weiterhin in Gewalt zuspitzen Regierung an ihren gesetzlichen Möglichkeiten mes- und wenn dann die Zuwanderung von Menschen in sen. Grenzsicherung tut not — 6 Beamte auf dem die Bundesrepublik für diese nicht mehr attraktiv oder 45-km-Grenzabschnitt bei Seif-Hennersdorf verhin- gar höchst gefährlich wäre. dern nicht den illegalen Flüchtlingszustrom. Zu Nein, das ist keine Horrorvision, steigende Asylbe- erwartende Zunahme der Illegalität, am Beispiel der werberzahlen, über 500 000 pro Jahr hinaus, sind Vereinigten Staaten handfest zu belegen, muß wirk- absehbar. Das ist nicht mehr in den Gemeinden sam bekämpft werden. Für das fehlende Handeln auf steuerbar, das gefährdet den sozialen 'Frieden, das diesen Feldern gab es bislang und gibt es erst recht macht den gewalttätigen Mob des Rechtsradikalismus nach einer Grundgesetzänderung keine Entschuldi- zu den Handelnden und uns zu Zuschauern. Ich will gung mehr. nicht, daß von diesem rechtsradikalen Mob die Asyl- Ich nehme die Argumente derjenigen sehr ernst, die und Zuwanderungspolitik in diesem Lande gestaltet Sorge darum haben, daß trotz des verbrieften Grund- wird. Ich will Zuwanderung nach sozialen und huma- rechtsartikels ein Individualanspruch auf Asyl durch nen Gesichtspunkten, mit Grenzen und Steuerungs- die praktische Ausformulierung des Grundgesetzes möglichkeiten. Ich will Zuwanderung, die für das und des Asylverfahrensgesetzes nicht umgesetzt wer- Land, die Menschen und für die wirklich Verfolgten den kann. Es stellt sich die Frage, ob es um den Schutz verantwortbar ist. vor Verfolgung für die Betroffenen oder um einen Aber ich will genauso entschlossen, daß dieser asylpolitischen Vorzugsstatus für Deutschl and geht. Regierung endlich die Möglichkeit genommen wird, Geht es mir um den Schutz vor Verfolgung, dann muß sich mit den durch sie selbst verschuldeten Problemen ich akzeptieren, daß auch diejenigen, die über Dritt- der Wohnungsnot, der Verslummung von Stadtteilen, staaten, wie Österreich, Frankreich, Holland, aber der Arbeitslosigkeit und der zunehmenden Armut in auch Polen zu uns kommen, vor politischer Verfol- der Bevölkerung hinter den Asylsuchenden zu ver- gung sicher sind — und nur dieses garantiert unser stecken. Nicht die Asylsuchenden nehmen unseren Grundgesetz. Über den Anspruch auf ein optimales Bürgerinnen und Bürgern die Wohnung weg; die Asyl, mit den im Vergleich zu anderen Staaten besse- leben in Containern, Wohnwagen, Turnhallen, Sam- ren Lebensbedingungen, sagt das Grundgesetz melunterkünften. Nicht die Asylsuchenden besetzen nichts. Von daher ist die europäische Lastenverteilung die nicht vorhandenen Arbeitsplätze. Dafür ist diese in der Flüchtlingsfrage eine dringend notwendige Regierung verantwortlich — Wohnungsnot, Arbeitslo- Aufgabe, die mit dem vorgelegten Asylkompromiß sigkeit, das ist das Ergebnis verfehlter Politik dieser insbesondere dann gefunden wird, wenn bilaterale Regierung. Diese wird sich nach dieser Grundgesetz- Vereinbarungen in Polen auch mit der Tschechei in änderung nicht mehr herausreden können, die nach die Tat umgesetzt werden, wenn insbesondere auch wie vor, vielleicht illegal, zu uns kommenden Flücht- die bislang bestehenden Vereinbarungen mit Öster- linge seien alles „SPD-Asylanten". Sündenbock-Dis- reich und der Schweiz bezüglich der Rückführungs- kussion zählt nicht mehr. fristen modifiziert werden können. Im übrigen war und ist diese Schuldzuweisung Im übrigen überzeugt mich der Hinweis darauf, daß gegenüber den Sozialdemokraten unhaltbar. Diese man nur mit dem U-Boot oder mit dem Fallschirm in Regierung hätte mit einfacher Mehrheit von Christde- die Bundesrepublik als Asylsuchender kommen kann, mokraten und Freidemokraten bei den sich abzeich- nicht. Nach wir vor und wie bisher werden 80 bis 90 % nenden Steigerungen bei den Asylbewerbern zum der Asylsuchenden in die Bundesrepublik einwan- Ende der 80er Jahre eine Asylbeschleunigung dern, ohne sich an den Grenzen zu melden, ohne ihren beschließen können. Sie hat es nicht getan. Erst die Reiseweg anzugeben. Und diese Menschen werden 13668' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 nach wie vor einen Anspruch auf ein verkürztes, aber durch eine gesetzliche Neuregelung eine Gesamtver- rechtsstaatliches Asylverfahren haben. Es ist gleich- antwortung des Bundes, der Länder und der Kommu- sam eine Illusion, den Eindruck zu vermittlen, daß wir nen für die Aufnahme von Flüchtlingen zu garantie- mit Inkrafttreten der Grundgesetzänderung drastisch ren, bleibt die jetzt zu treffende Lösung im Bereich des reduzierte Asylbewerberzahlen hätten. Diesen Ein- Asylrechts ein Einzelfall. Werden nicht in absehbarer druck zu erwecken wäre fahrlässig. Die Menschen auf Zeit die von den Sozialdemokraten eingebrachten der Wanderung werden nach wir vor ihr Glück in der Elemente eines „Gesamtpaketes Zuwanderung", mit Bundesrepublik suchen und in das beschleunigte einer großzügigen Einbürgerungsregelung und dop- Asylverfahren oder in die Illegalität gehen. Der ent- pelter Staatsangehörigkeit, mit einem Einwande- scheidende Vorteil ist, daß wir mit den jetzt vorliegen- rungsgesetz, beschlossen, müssen wir als Politiker uns den gesetzlichen Bestimmungen auf solche Entwick- den Vorwurf gefallen lassen, in einem der Kernberei- lungen schneller reagieren, steuern und auch besser che der politischen Aktualität versagt zu haben. abschieben können. Hier sind der Bund und die jetzige Regierungs- Ein weiterer Schwerpunkt der Asylverfahrensände- koalition in besonderem Maße gefordert. rung interessiert mich als Bürgermeister einer Ruhr- gebietsstadt ganz besonders. Es ist die Situa tion der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge. Durch die Neu- Berthold Wittich (SPD): Mord und Totschlag in allen formulierung des § 32a Ausländergesetz wird nun für Regionen; Molotow-Cocktails gegen Frauen, Kinder diese Flüchtlinge ein eigener Status mit einer befriste- und alte Menschen; Pflastersteine gegen Polizisten ten Aufenthaltsbefugnis geschaffen. Das Herausneh- und Brandsätze gegen Asylbewerberheime — das men dieser Menschen aus dem Asylverfahren ist zu gibt es wieder in Deutschl and! Die geplante Ände- begrüßen. Nicht zufrieden sein kann ich allerdings mit rung des Artikels 16 ist das falsche Signal auf diesen der Tatsache, daß der Bund und damit die jetzige Anschlag gegen Humanität und Menschenwürde. Koalition nicht bereit waren, eine verbindliche Über- Alle Menschen guten Willens sind jetzt in die Pflicht nahme von 50 % der entstehenden Kosten mit in das genommen, ein breites Bündnis gegen den Fremden- Gesetz aufzunehmen. Es kann nicht Sinn einer koope- haß zu organisieren und unsere ausländischen Bürge- rativen Zusammenarbeit von Bund, Ländern und rinnen und Bürger vor gewalttätigen Ausschreitungen Gemeinden sein, wenn der Bund beschließt, die zu schützen. Absage an die Terroristen und Solidarität Länder regeln und die Gemeinden bezahlen. mit den Schwachen — das ist das Gebot der Stunde Ich fordere deshalb die Übernahme gesamtstaatli- und die überzeugende Antwort der Demokraten auf cher Verantwortung in vollkommener Übereinstim- diesen Akt der Barberei. Ja, wir dürfen nicht verges- mung mit dem Deutschen Städtetag und fordere eine sen: Der fanatische Haß der Nazis gegen Juden, konkrete Beteiligung und eine finanzielle Anteil- Ausländer, politische Gegner sowie Männer und nahme des Bundes. An diesem Punkt ist der vorlie- Frauen der Kirchen führte direkt in den Zweiten gende Entwurf ergänzungsbedürftig. Weltkrieg, in den Kessel von Stalingrad und in die Hölle von Auschwitz! Ebenso muß klargestellt sein, welche Flüchtlinge unter den sogenannten B-Status fallen sollen. Es reicht Und gerade die deutsche Sozialdemokratie hat nicht aus, eine Stichtagsregelung alleine im Blick auf allen Grund, sich derer zu erinnern, die ohne Asyl im den Krieg im ehemaligen Jugoslawien festzulegen. Ausland dem Zugriff der Geheimen Staatspolizei Zum Thema Bürgerkriegsflüchtlinge gibt es noch nicht entkommen wären, derer zu gedenken, die an Klärungsbedarf. Insbesondere gehören dazu den Grenzen zu unseren Nachbarn auf verschlossene Türen stießen und deswegen den Weg in die Folter- — ein abgestimmtes Leistungsrecht und Gaskammern der Nazis antreten mußten. — eine gleichmäßige Verteilung der Flüchtlinge nach Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben aus einem einheitlichen Gesamtverteilungsschlüssel diesen leidvollen Erfahrungen der Verfolgten die sowie Konsequenz gezogen und das Asylrecht in der Verfas- — die zügige Regelung der Beteiligung des Bundes sung verankert. Während damals diese Entscheidung an allen entstehenden Kosten. von der breiten Zustimmung a ller politischen Grup- pierungen getragen wurde, haben sich die Parteien, Die Dringlichkeit der Lösung dieser Fragen muß an die das „C" im Namen tragen, inzwischen von diesem dieser Stelle gerade unter Berücksichtigung der aktu- Konsens verabschiedet — nicht zuletzt mit dem Ziel, ellen Lage auf dem Balkan ganz klar betont wer- aus diesem hochsensiblen Thema politisches Kapital den. zu schlagen. Wie schon öfter gefordert, sind auch hier von Seiten Daß Sie, meine Damen und Herren der Union, mit des Bundes bisher keinerlei verbindliche Aktivitäten Ihren Kampfvokabeln „Asylantenstrom", „Asylanten- erfolgt. Auch wenn immer noch sehr viele Bürger flut", „SPD-Asylanten", „durchrasste Gesellschaft" tatkräftig bei der Be treuung der Flüchtlinge helfen, bedenkenlos die Klaviatur der Demogagie gespielt, dürfen sie und die Städte und Gemeinden nicht länger Emotionen geschürt und das Klima unserer Gesell- auf den unplanbaren finanziellen Verpflichtungen schaft vergiftet haben, ist und bleibt ein beispielloser sitzenbleiben. Gerade aber an diesem Bereich wird Skandal. sich auch zeigen, inwieweit die jetzt zu treffenden Beschlüsse nicht nur realisierbar sind, sondern eine Weil ich in meine Entscheidung das Wirken jener spürbare Entlastung für die be troffenen Kommunen einbeziehe, die für die Ideale der deutschen Arbeiter- und Gemeinden bringen. Scheitert der Versuch, bewegung gestritten, gelitten und ihr Leben geopfert Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13669* haben, verweigere ich diesem Gesetzentwurf meine unterschiedlichen Kategorien von Flüchtlingen zu Zustimmung. reagieren. Ich sage nein, weil die Drittstaaten-Regelung- Ich stimme der Gesetzesänderung zu, damit wir rechtsstaatlich bedenklich ist und unser Land abschot- — wie die katholischen Bischöfe es in ihrer Erklärung tet, weil sie den Anspruch auf Rechtsschutz verwei- zur Flüchtlings- und Asylproblematik vom 25. 9. 1992 gert und tatsächlich Verfolgte abschiebt, weil sie formuliert haben — „nicht mehr beschämt Zeuge sein unseren ärmsten Nachbarn im Osten, Polen und der müssen, wie es an vielen Orten in unserem Land zu Tschechischen Republik, unsere Probleme aufbürdet, Gewalttätigkeiten kommt gegen Menschen, die als Ländern also, die zu den ersten Opfern des von Hitler Flüchtlinge bei uns Schutz und Hilfe suchen". Den entfesselten Angriffskrieges gehörten. Ich sage nein, katholischen Bischöfen und der evangelischen Kirche weil durch die Regelungen des sogenannten Asyl- ist zu danken für klare Aussagen dazu, daß sich „am kompromisses das Risiko nicht ausgeschlossen wer- Menschen vergreift, wer Flüchtlingen, Ausländern den kann, daß Flüchtlinge, deren Leben existentiell und Fremden Gewalt antut, und daß sich mitschuldig bedroht ist, an ihre Henker und Folterknechte ausge- macht, wer nachsichtig oder gar beifällig zusieht". liefert werden. Ich sage nein, weil dieser Gesetzent- Ich stimme dem Gesetzentwurf in dem Bewußtsein wurf keine Chance eröffnet, die Fluchtbewegungen zu, daß die wachsende Zahl von Flüchtlingen und durch ein Einwanderungsgesetz zu steuern und die Asylsuchenden bei vielen Menschen Unsicherheit Zahl der Flüchtlinge durch Einwanderungsquoten zu und Ängste auslöst und daß gleichzeitig die verant- begrenzen. wortlichen Kommunalpolitiker und Mitarbeiterinnen Abschließend noch eine kritische Anmerkung: Wir und Mitarbeiter in den sozialen Einrichtungen sich vor dürfen nicht den fatalen Eindruck erwecken, daß die nahezu unlösbare Probleme gestellt sehen, Flücht- Problematik der Flüchtlingsströme eine juristische linge und Asylbewerber menschenwürdig unterzu- Frage sei, die durch die Änderung des Ar tikels 16 bringen. gelöst werden könnte. Sol ange Menschen hungern, Ich stimme dem Kompromiß auch deshalb zu, weil verhungern, obdachlos sind, Menschenrechte mit ich damit die Hoffnung verbinde, daß Bundestag und Stiefeln zertreten werden, so lange werden Frauen Bundesregierung nunmehr ernsthafte Anstrengun- und Männer nach dem Strohhalm greifen und sich auf gen unternehmen, um die Ursachen der Flucht in den die Flucht begeben. Herkunftsländern zu beheben. Dazu gehören eine Ja, wir stehen in der Pflicht, die Fluchtursachen in gerechtere Weltwirtschaftspolitik, die Einhaltung der den Ländern der Dritten Welt zu bekämpfen. Was tun Menschenrechte, der von der Parlamentarischen Ver- wir konkret? Obwohl tagtäglich 40 000 Kinder den sammlung des Europarates beschlossene Minderhei- Hungertod sterben, weigern wir uns, die Entwick- tenschutz und eine konsequente Armutsbekämpfung. lungshilfe-Leistungen von 0,4 Prozent auf 0,7 Prozent Dazu gehört aber auch abgestimmtes H andeln der des Bruttosozialprodukts anzuheben. Das ist fürwahr Europäischen Gemeinschaft und der übrigen europäi- kein Beitrag zur Gerechtigkeit und zur Solidarität mit schen Länder. Die für den europäischen Einigungs- den „Mühseligen und Beladenen" dieser Welt! prozeß unumgängliche Solidarität ist hier vor eine ernste Bewährungsprobe gestellt. Das Asylrecht ist ein Mahnmal der Erinnerung an die Verfolgung, Folterung und Ermordung von Deut- In unserem Land gibt es seit Jahren gute Erfahrun- schen während der Nazizeit. Dieses Asylrecht hat in gen für das Zusammenwirken von Ausländern und vier Jahrzehnten über hunderttausend Flüchtlingen Deutschen, in bestimmten Industriezweigen, im Schutz gewährt und zehntausende vor Folter bewahrt. Dienstleistungsbereich, in Kirchen und Gewerkschaf- Deshalb sollte die Substanz dieses Menschenrechtes ten ebenso wie in Vereinen und bei zahlreichen auch im Zuge einer notwendigen Reform nicht zur Bürgerinitiativen. Die Menschen wissen am besten, Disposition stehen — im Interesse derer, die ohne daß das Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen Heimat und in Not sind, um der Menschen willen, die und Mentalitäten ebensoviel Spannungen und Ent- gequält, vertrieben und verfolgt werden. täuschungen wie Freude und Bereicherung mit sich bringt. Allen, die an der Bewältigung dieser Aufgabe mitarbeiten, schulden wir unseren D ank, weil sie einen unverzichtbaren Friedensdienst leisten. Ich möchte Ihnen diesen D ank heute aussprechen. Anlage 3 Ich wünsche mir, daß in der Folge dieser Grundge- setzänderung Haß und Gewalt gegen ausländische Erklärungen nach § 31 GO Bürgerinnen und Bürger der Vergangenheit angehö- zur Abstimung über die in den Tagesordnungspunk ren werden und die Zukunft geprägt wird von solida- ten 1 bis 4 aufgeführten Vorlagen (Änderung des rischem und verständnisvollem Umgang mit denen, Grundgesetzes — Artikel 16 und 18 — u. a.) die bei uns Schutz suchen.

Robert Antretter (SPD): Ich stimme der Geset Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Die heute zu zesänderung in der Sicherheit zu, daß damit das beschließenden Änderungen des Asylrechts sind ein Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolge erhalten Thema, das den Deutschen Bundestag schon lange bleibt und daß es mit den geplanten Maßnahmen Zeit beschäftigt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion möglich sein wird, angemessener auf die Situation der fordert eine Änderung des Asylrechts bereits seit 13670 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

vielen Jahren. Durch die fortwährende Verweige- zuverlässige Trennung der berechtigten von den rungspolitik der SPD war es jedoch bis heute nicht unberechtigten Asylbewerbern. möglich, die dringend notwendigen Maßnahmen zur Wenn der Staat dieser Anforderung nicht gerecht Bekämpfung des Asylrechtsmißbrauches zu beschlie- werden kann, darf die Lösung nicht darin bestehen, ßen. Durch diese Verweigerungshaltung wurde fast allen Bewerbern den Zugang zu verweigern. Deutschland großer politischer Schaden zugefügt. Angesichts der zahlreichen Konfliktsituationen und Die Gesetzentwürfe von CDU/CSU, F.D.P. und SPD der großen Diskrepanz zwischen Arm und Reich auf zur Neuregelung des Asylrechts basieren auf dem dieser Welt wird die Änderung des Grundgesetzes sogenannten Asylkompromiß vom 6. Dezember 1992. nicht den Zuwanderungsdruck von unserem L Ein Kompromiß zeichnet sich bekanntlich dadurch and nehmen. aus, daß alle beteiligten Seiten Abstriche von ihren Ausgangspositionen machen müssen, um schließlich Die dann einsetzende Wut und Enttäuschung wird zu einem Resultat zu gelangen. Die Gesetzentwürfe die fremdenfeindliche und demokratiekritische Stim- sind sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, mung in der deutschen Bevölkerung noch erheblich enthalten aber wegen der Verweigerungspolitik der verstärken. SPD und auch von Teilen der F.D.P. nicht alle Maß- Es fehlt ein Einwanderungsgesetz, das dem Aufnah- nahmen, die aus meiner Sicht nötig wären, um dem meland die Kontrolle über die Zuwanderung und auch Asylmißbrauch konsequent zu begegnen. den Zuwanderern klare Richtlinien an die Hand Über die genannten Gesetzentwürfe hinaus wären gäbe. folgende Maßnahmen erforderlich gewesen: Es fehlt eine überzeugende Regelung der Einbürge- 1. Eine Umwandlung des bisherigen Individual- rung für bei uns lebende Ausländer. grundrechts auf Asyl in eine institutionelle Gar an tie. Es fehlt ein Flüchtlingsgesetz, das ebenfalls Druck Die Einrichtung Asyl verbliebe dabei unter dem von der Asylfrage nehmen könnte. Schutz der Verfassung, weil Deutschland nach wie vor im Rahmen seiner Möglichkeiten politisch Verfolgten Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ist erst Asyl gewähren will. Die Garantie wäre dann jedoch seit wenigen Wochen in Kraft. Es zeigt posi tive Wir- auf die Ausgestaltung durch den Gesetzgeber ange- kung, ohne daß das Grundgesetz geändert werden wiesen. Individuelle Rechte bestünden nicht mehr auf mußte. Grund der Verfassung, sondern nach Maßgabe des Mit der Änderung des Grundgesetzes ist keine Gesetzes. Lösung der Altfälle verbunden. 2. Verbesserte Möglichkeiten zur konsequenten Die neuen Regelungen zwingen die Menschen, ihre Abschiebung straffällig gewordener Asylbewerber. Reiseroute zu verheimlichen, damit sie überhaupt die 3. Kürzungen der Leistungen an Asylbewerber mit Chance auf ein angemessenes Verfahren erhalten. dem Ziel, wirtschaftliche Anreize zur Beantragung Das kann nicht im Sinne eines Rechtsstaates sein. von Asyl in Deutschland zu verhindern. Eine bi- und multilaterale, nachhaltige und effekti- Der Erfolg der vorgesehenen Reform hängt in vere Bekämpfung der Fluchtursachen in den Her- erheblichem Maße davon ab, daß abgelehnte Asylbe- kunftsländern steht noch aus. Mit 0,34 % des BSP ist werber von den zuständigen Bundesländern auch Deutschland noch weit entfernt von den versproche- konsequent und unverzüglich abgeschoben werden. nen 0,7 %. Bei der Diskussion eines Maßnahmenkataloges zur Reintegrationshilfen werden zu- Recht zögerlich Verhinderung des Mißbrauches des Asylrechts in vergeben, denn Fachleute beurteilen die Erfolgsaus- Deutschland muß deutlich darauf hingewiesen wer- sichten eher skeptisch. den, daß der Beseitigung der Fluchtursachen in den Mit der Drittstaatenregelung lädt Deutschland den Herkunftsländern große Bedeutung beizumessen ist. neuen Demokratien politische Lasten auf, die wir Trotz der erheblichen Anstrengungen, die Deutsch- selber nicht mehr tragen können und wollen. land in dieser Hinsicht bereits unternimmt, halte ich eine weitere Verstärkung unserer Bemühungen auf Trotz materieller Hilfe aus Deutschland werden diesem Gebiet für notwendig. diese Staaten überfordert und der Gefahr einer politi- schen Destabilisierung ausgesetzt. Obwohl ich wegen des Fehlens der genannten Punkte Zweifel habe, daß die derzeitigen Mißstände Deutschland spielt diesen Ländern gegenüber seine im Zusammenhang mit dem Asylrecht befriedigend mit ihrer Hilfe neu gewonnene Stärke in egoistischer beseitigt werden können, stimme ich den Gesetzent- und unverantwortlicher Weise aus. Wir werden die würfen dennoch zu, weil ich sie für einen wich tigen Konsequenzen in Form internationaler Irritationen zu Schritt auf dem Weg zur Lösung des Asylmißbrauchs spüren bekommen. halte. Nachbesserungen im Sinne dieser Erklärung Durch das Abwälzen der Lasten auf die Länder im halte ich jedoch für zwingend erforderlich. Osten außerhalb der EG erzeugen wir zudem nicht den notwendigen Druck auf unsere westlichen Part- Dr. Michaela Blunk (Lübeck) (F.D.P.): Ich stimme ner, mit denen wir nach einer gerechten europäischen aus folgenden Überlegungen gegen eine Änderung Lösung suchen müssen. des Asylrechts: Im Gegenteil, mit der Drittstaatenklausel verstellt „Politisch Verfolgte genießen Asyl" — die Umset- nun Deutschland seinerseits eine gerechte, europäi- zung dieses Grundrechtes erfordert eine schnelle und sche Lösung: Enthält das Grundgesetz erst einmal den Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13671*

Grundsatz, daß kein Asylrecht genießt, wer über einen derartigen Verlust an Rechtsschutz für den einen sicheren Drittstaat einreist, wird sich für eine einzelnen nicht leisten; damit wird sowohl der Asyl- ungünstigere Veränderung möglicherweise keine bewerber als auch der Richter einem nicht vertretba- Zweidrittelmehrheit finden lassen. - ren Automatismus unterworfen. Die verbleibende Möglichkeit eines Antrages auf einstweilige Verfü- Zu einer umfassenden Information über die Asylbe- gung beim Bundesverfassungsgericht ist eine nicht werberfrage gehört es auch, daß regelmäßig die Zahl akzeptabel hohe Hürde für den Asylbewerber. Somit der Ausländer veröffentlicht wird, die Deutschland steht er in der Gefahr, aus dem vermeintlich sicheren auch ohne Änderung des Grundgesetzes verlassen. Drittstaat im Schnellverfahren ebenfalls abgeschoben zu werden. Wie andere Abgeordnete auch denke ich, Dr. Eberhard Brecht (SPD): Wie die meisten ande daß gerade wegen des Paragraphen 34 a das Asylver- ren der heute abgegebenen persönlichen Erklärun- fahrensgesetz einer Prüfung vor dem Bundesverfas- gen zum Abstimmungsverhalten zur Änderung des sungsgericht so nicht standhalten wird. So kann ich Artikels 16 des Grundgesetzes trägt auch meine diesem Gesetz meine Zustimmung dann nicht geben, Äußerung einen entschuldigenden Charakter, wird wenn die Mehrheit des Bundestages den Änderungs- doch das mit dem demokratischen Rechtsstaat Bun- antrag zum Asylverfahrensgesetz der SPD-Bundes- desrepublik Deutschland verbundene, bislang sehr tagsfraktion abweist. großzügig gehandhabte Asylrecht mit spürbaren Begrenzungen versehen. Der Preis für eine vermutlich Gleichzeitig verwahre ich mich aber auch aus- bescheiden ausfallende Begrenzung der Armutswan- drücklich gegen die in der Öffentlichkeit verbreiteten derung aus dem Süden und Osten ist nicht gering. Unterstellungen gegenüber den Befürwortern einer Neuregelung des grundgesetzlich garantierten Asyl- Wenn ich einer Änderung des Grundgesetz-Arti- rechts: Ich jedenfalls treffe meine heutige Entschei- kels 16 zum Asylrecht dennoch zustimme, so aus der dung nicht unter dem Druck des rechtsradikalen Sorge heraus, daß die Grundlagen des demokrati- Terrors in Deutschland. Ich fände es vielmehr bedrük- schen Gemeinwohls neben anderen destabilisieren- kend, wenn wir Vertreter der Legislative unsere den Tendenzen auch durch eine ständig anwach- Entscheidungen vorwiegend als Antithesen zu demo- sende Zuwanderung gefährdet werden. Einerseits kratiefeindlichen Positionen verstehen würden. Da- sind die öffentlichen Haushalte derart verschuldet, mit würde die Bundesrepublik den Rechtsradikalen daß unser Land bei gleichzeitig sinkender Wirt- jenen Gefallen tun, den sie der RAF mit einigem Erfolg schaftskraft eine Netto-Zuwanderung von ca. einer verweigerte. Million Menschen pro Jahr einschließlich der mehr als 400 000 Asylbewerber dauerhaft nicht verkraften Ich treffe meine heutige Entscheidung auch nicht, kann. Zum anderen zeigen die weiter steigenden weil ich an einer Wohlstandsmauer zwischen den Zahlen von Asylbewerbern bei gleichzeitig sinkenden reicheren Industriestaaten und dem armen Süden und Anerkennungsquoten, daß das gegenwärtige Asyl- Osten mitbauen will. Wir Europäer tragen eine Mit- recht nicht paßgerecht zu einer solchen Migration ist, schuld nicht dadurch ab, daß wir die Sekundärwirkun- die vorwiegend durch Armut oder andere wirtschaft- gen der Verelendung durch hunderttausendfache liche Ursachen und nicht durch politische Verfolgung Aufnahme von Armutsflüchtlingen zu heilen suchen, begründet ist. Damit steht das Asylrecht in der Gefahr, sondern indem wir ernsthaftere Bemühungen anstel- angesichts sozialer Ängste bei vielen Menschen mehr len, das wirtschaftliche Nord-Süd-Gefälle abzubauen. und mehr an Akzeptanz zu verlieren. So wurde eine Für dieses Ziel und für den Schutz der natürlichen Neuregelung des Asylrechts erforderlich, die einer- Umwelt werden wir unseren Anspruch auf Wohlstand seits das Recht auf Asyl für politisch Verfolgte unan- spürbar vermindern müssen. Ein solcher Wertewan- getastet läßt, gleichzeitig aber die de-facto-Inan- del steht in unserem L and erst in seinen Anfängen. Wir spruchnahme dieses Rechtes für Armutsflüchtlinge werden ihn nicht befördern durch die Provokation von deutlich einschränkt. Dem gefundenen, mit Mängeln Abwehrmechanismen. behafteten Asylkompromiß stimme ich nur deshalb zu, weil eine realitätstüchtigere europäische Lösung nicht in Sicht ist. Auch die vom UNHCR und anderen Peter Conradi (SPD): Lange, wahrscheinlich zu Organisationen angebotenen Alternativen oder Hilfs- lange, habe ich mich gegen eine Änderung des Art. 16 angebote würden aus meiner Sicht nur zu marginalen Abs. 2 Satz 2 GG „Politisch Verfolgte genießen Veränderungen der derzeitigen Situation beitragen. Asylrecht" gewehrt. Dieser Artikel ist für mich eine große Errungenschaft unserer Verfassung. Meine Bedenken richten sich vor allem gegen den Paragraphen 34 a Absatz 2 des Asylverfahrensgeset- Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der zes, dessen Rechtmäßigkeit mit der neuen Formulie- Öffnung des „Eisernen Vorhangs" haben sich die rung in Artikel 16a Absatz 2 Satz 3 des Grundgesetzes Zahlen der Asylbewerber vervielfacht. Die Gemein- begründet wird. Diese Bestimmung des Asylverfah- den sind bis an den Rand des Zumutbaren belastet. rensgesetzes wird dazu führen, daß der Rechtsschutz Die bisherigen Änderungen des Asylverfahrensrechts abgewiesener Flüchtlinge mangelhaft bis ungenü- drohen das Grundrecht auf Asyl für politisch Ver- gend wird. Es ist zwar richtig, daß von der Möglichkeit folgte auszuhöhlen. Diese Änderungen sind nicht im einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gegen vollen Maß wirksam geworden, weil die Bundesregie- eine bevorstehende Abschiebung vermutlich exzessiv rung und einige Landesregierungen die Vereinbarun- und damit auch vielfach unbegründet Gebrauch gen am 10. Oktober 1991 zur Beschleunigung des gemacht würde, stände dieses rechtliche Instrument Asylverfahrens nicht umgesetzt, sondern sabotiert zur Verfügung. Dennoch kann sich ein Rechtsstaat haben. 13672* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Eine skrupellose Kampagne der CDU/CSU und der Carl Ewen (SPD): Wenn ich den Vorschlägen zur ihr nahestehenden Presse haben das politische Klima Änderung des Grundgesetzes zur Neuordnung des in unserem Land vergiftet. Auch viele Anhänger der Asylrechts mit allen Nebengesetzen nicht zustimme, SPD glauben inzwischen, daß nur eine Änderung des dann nicht deshalb, weil ich die Bedrängnisse unserer Asylrechts die Zuwanderung nach Deutschl and ein- Kommunen wegen der unendlichen Schwierigkeiten schränken kann. Ich fürchte, daß eine weitere bei der Unterbringung von Asylbewerbern, Bürger- Zunahme der Zuwanderung den rechtsextremen Par- kriegsflüchtlingen, Umsiedlern und Zuwanderern teien weiteren Zulauf bringt. gering erachte. Ganz im Gegenteil, ich kenne die Probleme in unseren örtlichen Gemeinschaften, ich Allmählich ist in mir die Einsicht gewachsen, daß weiß um die wachsende Verbitterung unserer Bürge- wir das Asylrecht für politisch Verfolgte im Grundge- rinnen und Bürger über die Tatsache, daß wir alle in setz nur bewahren können, wenn wir es praktikabel Bund und Ländern keine Vorsorge zur rechten Zeit machen. Deshalb habe ich mich im Herbst 1992 im getroffen haben, um auf den rapiden Zugang von Grundsatz für eine Änderung von A rt. 16 Abs. 2 GG ausländischen Schutzsuchenden sachgerecht zu rea- ausgesprochen. Ich werde den nun vorgeschlagenen gieren, sachgerecht im Sinne einer schnellen Ent- Änderungen des Grundgesetzes und des Asylverfah- scheidung über Asylanträge, über die Verkürzung des rensgesetzes jedoch nur zum Teil zustimmen. Rechtsweges, auch über zeitbegrenzte Unterbringung Ich stimme den folgenden Änderungen des Grund- von Flüchtlingen in Sammelunterkünften, nicht gesetzes zu: zuletzt über eine bessere personelle Ausstattung der Bundesdienststellen wie Zirndorf sowie der Verwal- — Ausländer aus verfolgungsfreien Herkunftsstaaten tungsgerichte. Kurz zusammengefaßt: Es wäre unred- sollen nicht mehr als verfolgt gelten, es sei denn, lich, die Schwierigkeiten in unseren Städten und sie tragen Tatsachen vor, aus denen sich ergibt, Gemeinden zu negieren. daß sie entgegen dieser Vermutung politisch ver- Doch gerade weil ich diese Schwierigkeiten nicht folgt werden (Art. 16a Abs. 3 GG). Durch diese verniedliche, sage ich, daß weder die vorgesehene Änderung werden Asylsuchende aus Staaten, in Grundgesetzänderung (mit den Folgegesetzen) noch denen es keine politische Verfolgung gibt, in der der vorgesehene Vertrag mit der polnischen Republik Regel nicht mehr zum Asylverfahren zugelassen. eine für die Bevölkerung wirklich spürbare Änderung — Das GG erlaubt Verträge mit anderen Staaten über bringt. Die Zuwanderung, die legalen wie illegalen die gegenseitige Anerkennung von Asylentschei- Versuche beim Grenzübertritt, formale oder sachlich dungen (Art. 16a Abs. 5 GG). begründete Asylansprüche, auch der Zufluß von Bür- gerkriegsflüchtlingen werden nicht wirklich geringer Ich werde Art. 16a Abs. 2 GG nicht zustimmen. werden. Die Zahlen Obhutsuchender werden sich Flüchtlinge — auch aus Verfolgerstaaten — sollen nicht wesentlich reduzieren; das ist auch die Auffas- allein mit der Begründung, sie seien über ein sicheres sung des stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvor- Drittland nach Deutschland gekommen, vom Asylver- sitzenden Johannes Gerster. Das bedeutet, daß sich fahren ausgeschlossen werden. Diese Änderung ver- eine Grundgesetzänderung zu Artikel 16 GG sehr letzt nach meinem Verfassungsverständnis das bald als Scheinlösung herausstellen wird. Die Enttäu- Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte in seinem schung unserer Bürgerinnen und Bürger gegenüber Wesensgehalt. dieser vorgesehenen Entscheidung ist damit vorpro- grammiert. Die Quittung werden wir alle erhalten! Die Ich werde § 34 a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz nicht Erwartung, daß die angestrebte Lösung einen Einstieg zustimmen. Den Verwaltungsgerichten soll untersagt in eine insgesamt begrüßenswerte europäische werden, die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat Lösung bringt, wird sich ebenfalls nach meiner Mei- auszusetzen. Dies ist nach meinem Verfassungsver- nung als Selbsttäuschung erweisen. ständnis nicht mit der Rechtsweggarantie von Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar. Und für diesen für mich erkennbaren Irrweg sollen wir einen für den Menschenrechtskatalog unseres Ich werde dem Asylverfahrensgesetz in allen ande- Grundgesetzes konstitutiven Pfeiler, „den Schutz der ren Teilen zustimmen, ausgenommen die Regelun- politisch Verfolgten", bis zur Unkenntlichkeit verän- gen, die sich auf Art. 16a Abs. 2 GG beziehen (siehe dern; verändern, nachdem wir bis zum Zusammenbruch oben). Ich werde dem Asylbewerberleistungsgesetz des kommunistischen Staatensystems gerade den im zustimmen. Kern unveränderbaren Grundwertebestand als freiheit- liche Antwort ins Feld führen konnten, in eine Ausein- Soweit mein Abstimmungsverhalten in der 2. Le- andersetzung, in der wir bei den Nachbarn Vertrauen sung. In der 3. Lesung werde ich, sofern nicht getrennt für das andere Deutschland gewannen. über die einzelnen Absätze von A rt. 16a GG abge- stimmt wird, den GG-Änderungen und dem Asylver- Ich bitte aber auch deshalb um Verständnis für mein fahrensgesetz nicht zustimmen, dem Asylbewerber- Abstimmungsverhalten, weil ich mich erinnere, daß leistungsgesetz zustimmen. viele Gegner der nationalsozialistischen Gewaltherr- schaft — darunter viele Sozialdemokraten — nach Ich respektiere die Entscheidungen meiner Abge- 1933 darunter leiden mußten, daß es eben damals ordneten-Kolleginnen und -Kollegen, die sich anders nicht überall im nichtfaschistischen Ausland möglich entscheiden werden. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG: Die war, Schutz zu finden. Besonders schlimm war das für Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes, an unsere jüdischen Mitbürger. Ihnen verweigerte m an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur im westlichen Ausland trotz der weltweit bekannten ihrem Gewissen unterworfen. Verfolgung in Nazi-Deutschland die schützende Auf- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13673* nahme. Nur in beschämend kleiner Zahl wurden sie Zwölf Jahre hat die deutsche Sozialdemokratie diesseits und jenseits des Atlantiks aufgenommen. nach diesen Worten eines ihrer angesehensten Dies alles zusammengenommen läßt meine Zustim- Köpfe gebraucht, um sich zu einer Verfassungsän- mung zu einer Grundgesetzänderung zu Artikel 16 derung zu bequemen. Aber auch jetzt ist sie noch und den Folgegesetzen nicht zu. auf halbem Wege stehengeblieben, indem sie darauf bestand, das Asyl müsse ein individuelles Grundrecht bleiben. Für die oben skizzierten Horst Eylmann (CDU/CSU): Die Neuregelung des Unstimmigkeiten und Risiken, die mit der jetzigen Asylrechts in Art. 16 a GG ist bedenklich. Grundrechte Kompromißregelung verbunden sind, trägt sie sollen dem einfachen Gesetzgeber einen Rahmen somit die alleinige Verantwortung. vorgeben, den er detailliert auszufüllen hat. In der Neufassung des Artikels 16 a GG beschränkt sich aber Trotz dieser Bedenken gegen die Neuregelung des die Verfassung nicht auf das Grundsätzliche, sondern Asylrechts stimme ich den vorliegenden Gesetzesent- regelt das materielle Asylrecht selbst im einzelnen. würfen zu. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Damit wird das Asylrecht zementiert. Dies werden wir Lande erwarten von uns, daß wir nicht länger reden noch unter Schmerzen erfahren, denn ich bin einiger- und streiten, sondern handeln. Dies tun wir mit der maßen sicher, daß sich in den nächsten Jahren Ände- Verabschiedung der heutigen Gesetze. Wir schaffen rungen der jetzt in Artikel 16a GG enthaltenen das politische Asyl nicht ab, wir modifizieren es so, daß Regelungen als notwendig herausstellen werden. die Zuwanderung auf ein für die Deutschen tolerables Maß begrenzt werden kann. Wir handeln damit nach Es wäre besser gewesen, das Asyl zu einer institu- Maßgabe der politischen Vernunft und der humanitä- tionellen Garantie umzuwandeln und ihre nähere ren Verantwortung, von der Zeitler gesprochen hat. Ausgestaltung dem einfachen Gesetzgeber vorzube- Wer sich verweigert, mag in der Gewißheit der eige- halten. Die Neuregelung insgesamt wäre dann in sich nen hohen Moral sein Genügen finden; seiner politi- stimmiger und würde auch jegliche verfassungsrecht- schen Verantwortung wird er nicht gerecht. liche Risiken vermeiden. Wenn kein anderer Staat der Welt Asylbewerbern einen verfassungsmäßig garan- Katrin Fuchs (Verl), Dr. Dietrich Sperling, tierten Individualanspruch auf Asyl einräumt und dies Brigitte Adler, Ingrid Becker-Inglau, auch weder die UN-Menschrechtsdeklaration noch Friedhelm Julius Beucher, Rudolf Bindig, die Europäische Menschenrechtskonvention noch die Lieselott Blunck (Uetersen), Genfer Flüchtlingskonvention gebieten, hätte es auch Dr. Ulrich Böhme (Unna), Dr. Andreas von Bülow, nicht von Verantwortungslosigkeit gegenüber der Hans Büttner (Ingolstadt), Edelgard Bulmahn, eigenen Geschichte und erst recht nicht von Auslän- Ursula Burchardt, Hans Martin Bury, derfeindlichkeit gezeugt, die rechtliche Qualifizie- Wolf-Michael Catenhusen, Peter Conradi, rung des Asyls als Individualrecht zur Disposition zu Dr. Herta Däubler-Gmelin, stellen. Dr. Marliese Dobberthien, Rudolf Dreßler, Nun wissen wir, woran das auch von Innenminister Dr. Peter Eckardt, Dr. Konrad Elmer, Gernot Erler, Seiters verfolgte Ziel gescheitert ist. Die SPD hat sich Elke Ferner, Arne Fuhrmann, Monika Ganseforth, über ein Jahrzehnt hartnäckig geweigert, überhaupt Konrad Gilges, Iris Gleicke, Michael Habermann, einer Änderung des Grundgesetzes näherzutreten. Christel Hanewinckel, Günther Heyenn, (Lübeck), Diese Verweigerungshaltung ist ein um so schwer- Reinhold Hiller Ilse Janz, wiegenderes politisches Versäumnis, als es an war- Dr. Ulrich Janzen, Marianne Klappert, nenden sozialdemokratischen Stimmen nicht gefehlt Siegrun Klemmer, Horst Kubatschka, hat. Als 1980 die Zahl der Asylbewerber auf 100 000 Eckart Kuhlwein, Uwe Lambinus, Brigitte Lange, anstieg, sagte Zeitler, damals Vizepräsident des Bun- Detlev von Larcher, Dr. Elke Leonhard-Schmid, desverfassungsgerichts: Dorle Marx, Ulrike Mascher, Heide Mattischeck, Markus Meckel, Ulrike Mehl, Heute stehen wir vor der Frage, ob das damals Dr. Jürgen Meyer (Ulm), gefundene Konzept Albrecht Müller (Pleisweiler), (Völklingen), — er meinte das Asyl als individue lles Grundrecht in Jutta Müller Müller (Düsseldorf), Dr. Edith Niehuis, Art. 16 GG — Michael Doris Odendahl, Manfred Opel, Adolf Ostertag, noch trägt, ob es der politischen Vernunft, der Horst Peter (Kassel), Dr. Martin Pfaff, ökonomischen Möglichkeit, der humanitären Ver- Renate Rennebach, Bernd Reuter, Günter Rixe, antwortung gerecht wird oder nicht vielmehr die Gudrun Schaich-Walch, gegenteiligen als die gewollten und ihm zuge- Horst Schmidbauer (Nürnberg), dachten Wirkungen erzeugt ... Die derzeit auf Regina Schmidt-Zadel, Dr. Rudolf Schöfberger, dem politischen Markt gehandelten Versuche, mit Ottmar Schreiner, Gisela Schröter, Hilfskonstruktionen auf Verwaltungsebene die Dr. R. Werner Schuster, Ernst Schwanhold, Konsequenzen des geltenden Verfassungs- und Horst Sielaff, Erika Simm, Gesetzesrechts zu unterlaufen, sind rechtlich Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Antje-Marie Steen, kaum haltbar, die künstliche Erzeugung von Ludwig Stiegler, Margitta Terborg, Abschreckungseffekten gegenüber Ausländern Uta Titze-Stecher, Ernst Waltemathe, durch gezielte Verschlechterung ihrer Lebensbe- Dr. Konstanze Wegner, Barbara Weiler, dingungen sind im Ergebnis untauglich und nach Matthias Weisheit, Gert Weisskirchen (Wiesloch), den Maßstäben der von unserem Land in Anspruch Hildegard Wester, Lydia Westrich, genommenen Rechtskultur unwürdig. Dr. Margrit Wetzel, Dr. Norbert Wieczorek, 13674* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Berthold Wittich, Hanna Wolf, Uta Zapf, Lande beruhende Staatsbürgerschaftsrecht ergän- Dr. Christoph Zöpel (alle SPD): zen. Wir, die Unterzeichner, lehnen den „Asylkompro- Statt dessen hat eine Verengung der Debatte auf miß" ab, weil er die Gefahr in sich birgt, daß tatsäch- eine Verfassungsänderung stattgefunden. Erforder- lich politisch verfolgte Menschen in Zukunft keinen lich wäre gewesen und ist es weiterhin, die Problem- Schutz mehr bei uns finden werden. Der Asylkompro- beschreibung zu versachlichen sowie die Handlungs- miß wird nicht dazu führen, die Wanderungsbewe- möglichkeiten und deren Grenzen nüchtern zu defi- gungen der Welt zu stoppen. Wer glaubt, mit einer nieren. Dazu gehört: Zustimmung zu dem Asylkompromiß neue positive - Deutschland hätte die Bestimmungen der Genfer Signale zu setzen, die Politikverdrossenheit abzu- Flüchtlingskonvention, der UN-Menschenrechts- bauen, täuscht sich und die Öffentlichkeit, verschafft konvention und anderer völkerrechtlich bindender sich nur eine kurze Atempause. Verträge auch dann zu beachten, wenn es ein 1. In der Bevölkerung unseres Landes gibt es Grundrecht auf Asyl bei uns gar nicht gäbe. Verunsicherung und Angst, hervorgerufen durch - Jeder Versuch, den Großteil der nach Deutschland einen tiefen Konjunktureinbruch, durch Strukturkri- strebenden Flüchtlinge bereits an den Grenzen sen ganzer Wirtschaftszweige und damit verbundene aufzuhalten, ist unrealistisch. Massenarbeitslosigkeit. Die Bundesregierung hat nichts getan, um die Wohnungsnot zu verringern. - Wer seine Gesundheit und sein Leben und das Obendrein leben wir in einer grundsätzlich veränder- seiner Kinder nicht durch politische Verfolgung, ten außenpolitischen Situation, in der die überkom- sondern aus wirtschaftlicher Not bedroht sieht und menen Denkmuster versagen. deshalb seine Heimat verläßt, handelt nicht unmo- ralisch und verwerflich. In dieser Lage empfinden die Menschen in Deutsch- land die massenhafte Zuwanderung — vor allem aus - Wer aus Zuwanderungszahlen politischen H and- den bisherigen Ostblockländern — als zusätzliche lungsdruck ableitet, sollte auch die Abwande- Bedrohung der eigenen Lebensgrundlagen und als rungszahlen von Ausländern zur Kenntnis neh- Überforderung ihrer Solidarität. men. - Auf der Welt sind 500 Millionen Menschen mit Die CDU/CSU hat versucht, von ihrem Versagen in steigender Tendenz auf der Flucht, weil ihre Exi- der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Wohnungspolitik stenz bedroht ist, und dazu gehören mindestens 15 in einer nur politisch-taktisch gemeinten Debatte um bis 20 Millionen Menschen, die nach der Definition den Asylmißbrauch abzulenken. Sie hat mit der des Flüchtlingskommisars der Vereinten Nationen Debatte um die GG-Änderung nur unerfüllbare Hoff- politische Flüchtlinge sind. Die Frage an Deutsch- nungen geweckt und damit Politikverdrossenheit ver- land kann deshalb nicht sein, ob wir überhaupt stärkt. Flüchtlinge aufzunehmen bereit sind, sondern wie Handeln ist nötig — nicht nur in der Asylrechtspro- viele es unter dem Gesichtspunkt einer gerechten blematik, sondern in allen Bereichen der Zuwande- Lastenverteilung sein müssen und in der jeweili- rung und insbesondere bei der Bekämpfung von gen ökonomischen Lage sein können. Es geht also Wirtschaftskrise und Wohnungsnot. Die Komplexität nicht um alles oder nichts, sondern um ein vertret- dieser Probleme verlangt gemeinsames Handeln der bares Maß. politischen Kräfte. - Wer die Kosten der Zuwanderung addiert, müßte Das war der Grund, weshalb sich die SPD auf ihrem fairerweise die Einnahmen gegenüberstellen: Parteitag dazu durchgerungen hat, zusammen mit den Nach Untersuchungen auch konservativer Wirt- Regierungsparteien nach einer Konsenslösung zu schaftsinstitute ergibt sich unter dem Strich eine suchen, die es ermöglicht, die Zuwanderung insge- positive Bilanz für die deutsche Volkswirtschaft. samt zu regeln, ohne das individuelle Grundrecht auf - Die Hemmschwelle für Verfassungsänderungen politisches Asyl anzutasten. Es hätte die Chance sollte nicht gesenkt werden, weil der Preisgabe bestanden, ein Konzept zu entwickeln, wie mit Mi- eines Grundrechts (Asyl) die Einschränkung eines gration insgesamt umgegangen werden kann, wie wir Rechtsstaatsprinzips (Rechtswegegarantie) auf auf die Fluchtursachen zu reagieren haben, wie wir dem Fuße folgt. Wenn man wesentliche Prinzipien den Rahmen für Armutsflüchtlinge abstecken und wie eines demokratischen Rechtsstaates aus Opportu- wir Flüchtlinge aus Bürgerkriegsregionen aufnehmen nitätsgründen aufgibt, setzt man Erosionsprozesse können. Wir wollten ein Gesamtkonzept, das differen- in Gang, die später auch diejenigen treffen kön- ziert auf die verschiedenen Fluchtgründe antwortet. nen, die sich zunächst einen Vorteil erhofften. Darüber hinaus wollten wir für diejenigen Auslän- 2. Nach den Verhandlungen stehen wir vor dem der und Ausländerinnen, die schon lange bei uns sogenannten Asylkompromiß, der das Asylrecht fak- leben, ein Zeichen der Weltoffenheit und Integra- tisch umkehrt zum Recht auf Abschiebung und tionswilligkeit setzen: mit der Erleichterung der Ein- Abschottung. Waren bisher die Fluchtgründe das bürgerung, mit doppelter Staatsangehörigkeit und ausschlaggebende Aufnahmekriterium, so werden es dem Recht, sich an Kommunalwahlen zu beteiligen. in Zukunft die Fluchtwege sein. Wir wollten außerdem das auf Abstammung beru- Dem Wortlaut nach bleibt es zwar beim individuell hende, überholte deutsche Staatsbürgerschaftsrecht gewährten Grundrecht auf Asyl, also beim morali- durch das international längst übliche auf Geburt im schen Erbe aus schlimmer Zeit, der Erinnerung daran, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13675 daß Zehntausende von Deutschen damals häufig nur 4. Die Notwendigkeit einer geordneten Zuwande- im Asyl überleben konnten, weil ihnen in der Heimat rungspolitik wurde auch mit der Situa tion in den ein Mörderregime nachstellte. Kommunen begründet. Nach dem jetzigen Verfah- rensstand werden die Zustände für die Städte und Betrachtet man allerdings die Ergänzungen des Gemeinden allerdings kaum verbessert. Es kann nicht Artikels 16, wird deutlich, daß die Geltendmachung hingenommen werden, daß die Kommunen mangels des nach wie vor „bestehenden" individuellen Grund- rechts ausgeschlossen ist, wenn der Verfolgte in einer Neuregelung weiterhin für die Kosten für aufkommen „Gebietskontakt" mit einem als „sicher" definierten Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge müssen und sich nicht anders zu helfen wissen, als Drittstaat geriet. Nur die Einreise nach Deutschland diese Menschen in das dafür nicht vorgesehene Asyl- ohne „Gebietskontakt mit einem anderen L and" läßt verfahren zu drängen. Nach amtlichen Schätzungen eine Verwaltungszuständigkeit in Deutschland für befinden sich in der Bundesrepublik ungefähr 700 000 das Grundrecht bestehen. Asylbewerber, aber auch eine sehr hohe Zahl von Flüchtlinge, die über einen der deutschen Nachbar- Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen. staaten eingereist sind und sofort wieder abgeschoben werden sollen, dürfen zwar noch ein Ge richt anrufen, Während die Kommunen bei den Asylbewerbern in aber: Das neue Asylrecht formuliert ausdrücklich, daß erheblichem Umfang ihre Kosten erstattet bekom- das Gericht den Flüchtlingen nicht helfen darf. Die men, fehlt eine entsprechende Regelung für Kriegs- Abschiebung wird nämlich „unabhängig von einem und Bürgerkriegsflüchtlinge völlig. Werden die Kom- eingelegten Rechtsmittel vollzogen" (neuer Arti- munen weiterhin gezwungen, diese Menschen zum kel 16a Absatz 2 Grundgesetz), und eine Eilentschei- puren Selbstschutz in Asylverfahren abzuschieben, dung gegen die Abschiebung wird den Verwaltungs- wird das Asylverfahren völlig überlastet und zweck- gerichten ausdrücklich untersagt (neuer Para- entfremdet. Das Gerangel zwischen Bund und Län- graph 34a Absatz 2 Asylverfahrensgesetz). Das heißt: dern hinsichtlich der Kostenübernahme darf nicht zu nicht einmal in besonderen Gefahrenlagen darf ein Lasten der Kommunen gehen, hierdurch würden nur Asylsuchender in Deutschl and das Verwaltungsge- Verschiebebahnhöfe für Menschen geschaffen. richt anrufen, er wird abgeschoben und kann sich allenfalls von einem Drittstaat aus an deutsche 5. Zur Zeit erreicht uns die größte Zahl von Asylbe- Gerichte wenden. Diese Regelung läßt ihm nur die werbern aus Rumänien und Bulgarien. Neue Flucht- Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht. bewegungen aus Rußland und der Ukraine sind zu befürchten, die ihren Weg durch Polen nehmen wer- Daß diese Regelung dort keinen Bestand haben den. Bei aller Gutwilligkeit der polnischen Regierung wird, geben selbst Befürworter des Asylkompromisses und Gesellschaft sagen uns Kenner der innenpoliti- zu. Der Mangel an Respekt vor dem Bundesverfas- schen Verhältnisse dieses L andes, daß Polen heute sungsgericht zeigt sich darin, daß es auf diese Weise nicht und noch lange nicht in der Lage sei, Zehntau- zum größten Ersatzverwaltungsgericht erster Instanz sende oder gar Hunderttausende von Asylverfahren der Nation degradiert wird. Dies dürfte bei der enor- bewältigen zu können. Es fehlt an Beamten, Richtern, men Belastung dieses Gerichtes und der Notwendig- an Verwaltungsstrukturen, an Erfahrung. Polen unter- keit zügiger Klärung vieler verfassungsrechtlicher nimmt große Anstrengungen, um seine internationa- Fragen höchster Brisanz ein untragbarer Zustand len Verpflichtungen zu erfüllen. Es ist Teil unserer sein. Verantwortung, dies nicht mit zusätzlichen Proble- 3. Der neue Artikel 16a Abs. 3 sieht vor, daß durch men zu belasten. Vor diesem Hintergrund halten wir Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, es für unerträglich, daß die wirtschaft liche „Groß- Listen verfolgungsfreier Staaten festgelegt werden macht" Deutschland Probleme, mit denen sie nicht sollen. Ist dieser Artikel mit der erforderlichen Zwei- fertigzuwerden meint, auf ein schwächeres L and drittelmehrheit verabschiedet — hierfür werden die abwälzt. Sozialdemokraten benötigt —, kann durch einfache Mehrheit, für die Sozialdemokraten nicht gebraucht Vergleichbares gilt für die Tschechische Republik, werden, bestimmt werden, auf welche Länder dieser mit der ein Vertrag ähnlich wie der deutsch-polnische vorgesehen ist. Er wird erzwingen, daß die Tschechi- GG-Artikel Anwendung findet. sche Republik ihre Grenzverhältnisse zur Slowakei Wer will ausschließen, daß die Regierung nicht nach neu ordnen muß. Und diese wiederum muß es mit außenpolitischen Opportunitäten entscheidet, wel- Ungarn tun. Sie alle werden ihre Anrainerstaaten als ches Land als verfolgungsfrei zu gelten hat? sichere Drittstaaten definieren und damit Kettenab- Schon heute wird zum Beispiel Indien von den schiebungen möglich machen. Unionsfraktionen als verfolgungsfreier Staat gehan- Derart entsteht zwangsläufig eine neue Ostgrenze delt, obwohl bekannt ist, daß es dort 25 000 politische Europas. Über sie entscheidet nicht etwa die Gemein- Gefangene gibt, Hunderte von Personen als „Ver- schaft der europäischen Länder, sondern das deutsche schwundene" gelten. In einem Be richt des US-Reprä- Asylrecht. Erste Opfer sind mehrere osteuropäische sentantenhauses heißt es, daß „die Armee und para- Staaten, in denen politische Besucher aus Bonn gerne militärische Polizeikräfte für bedeutende Verletzun- über europäische Perspektiven reden: so die Balti- gen von Menschenrechten verantwortlich" seien. schen Republiken, Belarus, die Ukraine und Rußland. Nach unserer Auffassung kann nur die Prüfung Diese Wiederaufrichtung von Zäunen hinter dem jedes Einzelschicksals gewährleisten, daß es bei der Glacis der zentraleuropäischen Wohlstandsregion, Beurteilung eines Asylbegehrens eine sichere Ent- von einigen Kommentatoren bereits mit einer Renais- scheidungsgrundlage gibt. sance des Eisernen Vorhangs verglichen, wird aber 13676* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 vor allem negative ökonomische Folgen für ganz sind. Wir erwecken den Schein von „Handlungsfähig- Osteuropa haben. keit" und täuschen die Wähler über den rein „symbo- lischen" Charakter unseres Tuns. Wir als Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft heben in Westeuropa die Grenzen auf, weil wir die Wir sind überzeugt davon, daß die Zuwanderung wirtschaftliche Bedeutung des freien Verkehrs von mittel- und langfristig nur einzudämmen ist, wenn den Menschen, Waren, Kapital und Dienstleistungen von Hunger und Elend bedrohten Menschen mit erkannt haben. Unseren osteuropäischen Nachbarn unserer Hilfe ermöglicht wird, dort, wo sie wohnen, handeln wir aber Vereinbarungen ab, die sie zur auf Dauer ein menschenwürdiges Leben aufzubauen. Betonierung eines gestaffelten Grenzsystems gegen Konkrete Schritte zur Bekämpfung von Fluchtursa- Wanderungen aus Osten und Süden zwingt. chen sieht der sog. Asylkompromiß allerdings nicht Diese Regelungen bergen obendrein die Gefahr, vor, unser Anspruch schrumpfte zu einem unverbind- daß tatsächlich politisch Verfolgte in die Hände ihrer lichen „Prüfauftrag". Verfolger abgeschoben werden. Denn beim „ Ketten- Wir wollen, daß Deutschland seine „neue Verant- abschub " von Flüchtlingen können die besonderen wortung" wahrnimmt, indem es dort, wo Not und Beziehungen von Transitländern oder Besonderhei- Schrecken herrschen, mit relativ geringen Mitteln ten der örtlichen Asylpraxis zum Verhängnis werden. hilft, statt dann, wenn die Verzweiflung in Kriege Beispielsweise erkennt Ungarn bis heute im Zuge ausbricht, kurzfristig Millionen und Milliarden zu einer anerkannten Ausnahmeregel keine Flüchtlinge mobilisieren — für militärisches Einschreiten. aus außereuropäischen Ländern an. Ein verfolgter Iraker zum Beispiel, dessen Fluchtweg über Budapest 8. Artikel 1 Grundgesetz lautet: und Wien nach Deutschland ging, könnte ohne wei- (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie teres zum Opfer des Systems sicherer Drittstaaten zu achten und zu schützen ist Verpflichtung a ller werden, ohne daß eines der beteiligten L ander gegen staatlichen Gewalt. seine internationalen Verpflichtungen verstößt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu Gegen solche Gefahren hilft nur eine Handhabung unverletzlichen und unveräußerlichen Men- der Drittstaaten-Regel, bei der ein Flüchtling solche schenrechten als Grundlage jeder menschlichen besonderen Gefährdungsumstände vortragen kann Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtig- und eine richterliche Überprüfung der Abschiebung keit in der Welt. ermöglicht wird. Solange genau diese Möglichkeit in dem vorliegenden Gesetzespaket nicht enthalten ist, Diesem Anspruch wird der Asylkompromiß nicht bleibt der Satz „Politisch Verfolgte genießen Asyl- gerecht. recht" ein nicht eingehaltenes Versprechen.

6. Keine Grundgesetzänderung wird bewirken, daß Günter Graf (SPD): Ich erkläre ausdrücklich, daß ich die tatsächlich stattfindende Völkerwanderung auf der heute zur Debatte stehenden Änderung des Asyl- Erden einen Bogen um Deutschland machen wird. rechtes, wenn auch mit erheblichen Bedenken bezüg- Diejenigen Menschen, die — aus welchen Gründen lich der Regelungen des 34 a Asylverfahrensgesetzes, auch immer — bei uns Zuflucht suchen, werden durch zustimmen werde. die Änderungen im Verfassungstext und deren Begleitgesetze nicht am Kommen gehindert, sondern Ich tue dieses vor dem Hintergrund meiner Erfah- lediglich in die Illegalität gedrängt. Es werden etwa rung als Kommunalpolitiker, der Tag für Tag hautnah die gleichen Zuwandererzahlen bleiben. Allerdings die Probleme erlebt, die sich daraus ergeben, daß ist vermehrte Kriminalität zu erwarten. Und dann verstärkt Asylbewerber, De-facto-Flüchtlinge, Bür- brauchen wir mehr Polizei, verschärfte Kontrollen, gerkriegsflüchtlinge und Aussiedler durch die Kom- verstärkte Obdachlosenfürsorge und den Bau von munen untergebracht werden müssen. Abschiebegefängnissen. Diese Belastungen der Kommunen sind vielfach Die Folge wird verschärfte Fremden- und Auslän- nicht mehr zu bewältigen, so daß es mir notwendig derfeindlichkeit sein, und der Rechtsstaat wird wieder erscheint, Regelungen zu treffen, die zumindest in einmal Schaden nehmen. Teilbereichen dahin gehend wirken, daß wir steuernd in den Prozeß der Zuwanderung eingreifen können. In 7. Noch immer beutet der industriell entwickelte der heute beabsichtigten Änderung des Asylrechts Westen viele jener Länder und Bevölkerungen aus, sehe ich in einem ersten Schritt eine Möglichkeit. von denen die Völkerwanderung des 20. Jahrhun- Aber auch meine persönlichen Erfahrungen, die ich derts ausgeht. Wir tragen die Mitschuld an den anläßlich meiner Besuche an den Grenzen zu Polen, Wirtschafts-, Öko- und Kriegskatastrophen, denen der Tschechei, den Niederlanden und nach Belgien viele entfliehen wollen. Es ist westliche Handelspoli- sowie auf den Flughäfen in Frankfu rt, Hamburg und tik, die vielen Ländern den wirtschaftlichen Lei- Bremen und nicht zuletzt bei meinem Besuch beim stungsaustausch mit Europa und Amerika versperrt. Bundesamt in Zirndorf und durch meine Teilnahme an Der Westen saugt Teile seines Wohlstandes aus dem Verhandlungen der Verwaltungsgerichte gewonnen ärmeren Süden und Osten, und die Menschen folgen habe, haben mich davon überzeugt, daß es notwendig den Wohlstandsgütern, die ihren Ländern in die ist, Steuerungsinstrumente einzuführen. Dieses nicht industrialisierte Welt abgezogen werden. zuletzt vor dem Hintergrund, daß der ganz überwie- Wie reagieren wir? Wir andern das Grundgesetz — gende Teil der bei uns um Asyl nachsuchenden aber nicht die Wirklichkeit, deren Mißstände doch die Menschen aus Armut zu uns kommt und somit im Begründung für die Änderung des Verfassungstextes Grunde nicht als Asylberechtigte. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13677*

Ich denke, es kann nicht sein, daß die Bundesrepu- Hier ist mehr notwendig, wie ich bereits eingangs blik Deutschland in ihrer besonderen geographischen bemerkt habe. Lage das Land ist, das allein die Probleme dieser- Welt, die unbestreitbar, insbesondere in den osteuropäi- Ich bedauere ausdrücklich, daß viele Aussagen schen Staaten und in der Dritten Welt vorhanden sind, einiger Kolleginnen und Kollegen insbesondere der lösen kann. Unionsfraktion dazu geführt haben, daß die Men- schen in unserem Lande glauben gemacht wurden, Hier sind weitaus größere Anstrengungen der Bun- mit einer Änderung des Asylrechts seien die Probleme desrepublik Deutschland, der Europäischen Gemein- gelöst. Dieses war unver antwortlich und sollte bei den schaft, der Vereinigten Staaten aber auch Japans weiteren notwendigen Beratungen zur Lösung der vonnöten, um der Armut auf dieser Welt wirksamer zu Zuwanderungsprobleme von allen mehr bedacht wer- begegnen, als dies bisher geschehen ist. Dieses den, um unserer Demokratie nicht weiteren Schaden bedeutet für mich eine Abkehr von nationaler Ent- zuzufügen. wicklungshilfepolitik, die im Grunde genommen in der Vergangenheit fast ausnahmslos nationalen Inter- essen gedient hat. Vielmehr muß es darauf ankom- Dr. Renate Hellwig (CDU/CSU): Die im neuen men, daß den Menschen aus den Armutsländern eine Art. 16a GG endlich vorgenommene Einschränkung Überlebenschance in ihren Heimatstaaten verschafft des Asylrechtes ist längst überfällig. Es war ein l anger, wird. Dieses bedeutet, daß Entwicklungspoli tik quälender Prozeß: Die CDU/CSU-Fraktion ist seit gebündelt durchgeführt werden muß, um den Men- 1990 geschlossen für die Änderung. Die F.D.P. war seit schen diese Chance langfristig zu geben. 1992 nach den Landtagswahlen in Baden-Württem- berg und Schleswig-Holstein bereit, die Änderung Wenn die Neuregelung des Asylrechtes ihre Wir- mitzumachen. Erst am heutigen Tag ist endlich, end- kung nicht verfehlen soll, dann ist es aber zwingend lich auch die für eine Grundgesetzänderung unerläß- notwendig, daß sich die Bundesregierung verstärkt liche Mehrheit in der SPD-Fraktion, zwar ziemlich der Probleme im Bereich der Grenzüberwachung wacklig, aber immerhin gegeben. Ein ebenfalls wie annimmt. Ich weiß um die Schwierigkeiten, die sich ich direkt gewählter SPD-Kollege aus Nordrhein aus personellen Engpässen, aber auch aus finanziel- Westfalen klagte mir gegenüber, daß es die Listenab- len Gründen ergeben; auch will ich keine neue geordneten in der SPD-Fraktion seien, die immer noch Mauer. Vor diesem Hintergrund wiederhole ich, was nicht wahrnehmen wollten, welche Zustände inzwi- ich in der Vergangenheit bereits mehrfach gefordert schen in unseren Städten und Gemeinden durch den habe: Es muß, wenn wir es mit den Problemen ernst ungehemmten Zuzug von Asylbewerbern herrschten. meinen, und zwar ernst meinen als Europäer, zu Ein direkt gewählter Abgeordneter sucht an jedem gemeinsamen Lösungen mit unseren Nachbarstaaten Wochenende und regelmäßig in den sitzungsfreien kommen. Dieses heißt auch, daß wir im Bereich der Wochen den Kontakt zum Bürger in seinem Wahl- Grenzen gemeinsame Dienststellen mit unseren kreis, ja er muß dies tun, um seine Direktwahl zu Nachbarstaaten errichten müssen, um die auf beiden rechtfertigen. Der Listenabgeordnete verläßt sich vor Seiten vorherrschenden personellen und finanziellen allem nur auf die parteiinternen Gremien, die ihn Probleme günstiger zu gestalten, indem die Dienst- schon wieder auf einem sicheren Listenplatz für die stellen paritätisch mit deutschen Kräften und Kräften nächste Wahl in den Bundestag nominieren werden. der jeweiligen Nachbarstaaten besetzt sind. Dieses Und dann sind parteiinterne Opportunitätsüberlegun- wird auch zur Folge haben, daß die vielen rechtlichen gen wichtiger, als das umzusetzen, was er vom Bürger Probleme, die sich aus der Zusammenarbeit im Grenz- zu hören bekommt. bereich ergeben, wesentlich einfacher und letztlich wirksamer gelöst werden können. In meinem Wahlkreis Neckar/Zaber mit ca. 40 kleineren Ortschaften, dessen größte die 35 000 Ein- Abschließend möchte ich anmerken, daß ich mich wohner zählende Stadt Bietigheim/Bissingen ist, höre mit meiner Frau in den letzten Jahren sehr intensiv um ich landauf landab seit Jahren, ob wir „da oben" in die Unterbringung von ausländischen Mitbürgerin- Bonn blind oder taub seien. Warum wir nicht wahr- nen und Mitbürgern bemüht habe und auch künftig nehmen könnten, welche Folgen die totale Ohnmacht bemühen werde. Wenn ich dem heutigen Asylkom- aller staatlichen Organe gegenüber dem ungehemm- promiß zustimme, dann tue ich dies auch vor dem ten Zuzug habe. Die zornigen Bürger in meinem Hintergrund, um diejenigen in unserem Land zu Wahlkreis haben uns inzwischen alle in einen Topf schützen, die einen tatsächlichen Asylgrund für sich in geworfen und haben uns alle unisono für unfähig Anspruch genommen haben oder in Anspruch neh- erklärt. Das mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit men. Diesen Schutz werden wir auf Dauer nicht wollte niemand akzeptieren. Von Mehrheiten, die die gewähren können, wenn die ungesteuerte Zuwande- Regierung bilden, erwartet der Bürger, daß sie das, rung weiterhin in drastischer Höhe erfolgt. Dieses was sie wollen auch durchsetzen. wird letztlich dazu führen, daß wir den inneren und sozialen Frieden in unserem Lande nicht gewährlei- Wir ändern heute nicht nur das Asylverfahrens- sten können, was letztlich zur Folge haben wird, daß recht, das uns zukünftig erlaubt, in völlig unbegrün- selbst die, die wir auf Grund politischer Verfolgung deten Asylbewerberfällen sofort abzuschieben, wir schützen wollen, nicht mehr geschützt werden kön- ändern auch die gesetzlichen Leistungsansprüche für nen. Dies ist meine Motivation zur Zustimmung dieses Asylbewerber. Wir klammern sie aus der allgemeinen Asylkompromisses. Dabei bin ich mir im Klaren dar- Sozialhilferegelung aus und sehen in einem eigenen über, daß dieser Asylkompromiß nicht ausreichen Leistungsgesetz gekürzte pauschale Regelsätze vor. wird, um die Zuwanderung künftig zu unterbinden. Außerdem führen wir den Vorrang der Sachleistung 13678* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 vor der finanziellen Leistung ein, eine Regelung, die der schnelleren Abschiebung. Natürlich ist auch ich für besonders wichtig halte. schon in unseren Lokalzeitungen die Leserbrief- - schlacht um diese Umstellung auf Sachleistungen Damit hat der Bundesgesetzgeber die unabdingba- entbrannt. Die Kommunalpolitker werden unter Dau- ren Voraussetzungen dafür geschaffen, daß L ander erbeschuß gesetzt, wie unmenschlich sie seien, kein und Gemeinden nun endlich handeln und durchgrei- Geld mehr auszubezahlen und nur „Deutsche Haus- fen können. Ich habe bei meinen Ganztagsbesuchen mannskost" anzubieten. Ich erkläre hier ausdrück- in den Gemeinden meines Wahlkreises, bei den lich, daß ich es für einen Mißbrauch des Gastrechtes in Besuchen in Betrieben, bei Verwaltungen, in Deutschland halte, wenn Asybewerber aus Zo rn dar- Gesprächsrunden, ja so gut wie immer und überall zu über, daß sie keine finanziellen Leistungen mehr hören bekommen, daß die kommunale Ebene sich erhalten, die Essensrationen zu Boden werfen und vom Bundesgesetzgeber mit den Problemen des völlig spektakuläre Protestveranstaltungen durchführen. ungehinderten Zuzugs von Asylbewerbern im Stich gelassen fühlt. Wir alle wissen, wie sprunghaft dieser Bei meinen Ganztagsbesuchen in den Gemeinden Strom nach dem Fall der Mauer angestiegen ist, und lege ich großen Wert darauf, jedesmal auch persönlich wir alle wissen auch, daß die Dynamik dieses Anstiegs mindestens eines der örtlichen Asylbewerberheime ungebrochen zur weiteren Verdoppelung und Ver- zu besuchen. In Gesprächen mit den Asylbewerbern dreifachung der jährlichen Zuzugsrate führen würde, selbst wurde die Idee geboren, daß diejenigen bevor- wenn jetzt nicht endlich durchgreifend gehandelt zugt auf ihre Asybewerberberechtigung überprüft wird. Der Bundesgesetzgeber hat mit dem heutigen und schneller abgeschoben werden sollten, die durch Tag seine Verpflichtung endlich erfüllt. Ich gestehe Randale, durch extreme Unordentlichkeit, durch Pro- gerne ein, wie erleichtert ich bin, endlich meinen stitution in den Asylheimen, durch Straftaten auffällig Kommunalpolitikern gegenüber sagen zu können, werden und damit ein schlechtes Bild auf alle Asylbe- daß das, wofür ich mich hier in Bonn seit Jahren mit werber werfen. In meinem Schriftverkehr mit den Nachdruck einsetze, endlich eine Mehrheit im Bun- Landesinnenministern in Baden Württemberg (früher destag gefunden hat. Die seelische Zerreißprobe war CDU jetzt SPD) konnte immer noch nicht geklärt für viele CDU/CSU-Kollegen, ebenso wie für mich, werden, ob schnelle Verfahren und Abschiebungen fast unerträglich geworden. bei besonders auffälligen Asylbewerbern durchge- troffene Ich hoffe, die Bürger nehmen jetzt auch deutlich führt werden. Ich hoffe, daß auch die heute ge wahr, wer hier und heute in ihrem Sinne gehandelt Grundgesetzänderung einen erneuten Anstoß in und abgestimmt hat und damit seiner Verantwortung diese Richtung geben wird. gerecht geworden ist. Sie sollten aber auch wahrneh- Natürlich mache auch ich mir keineswegs die Illu- men, wer hier und heute immer noch dagegen stimmt sion, mit der heutigen Grundgesetzänderung werde und damit zum Ausdruck bringt, daß er es für zumut- schon in wenigen Wochen alles ganz anders sein, und bar hält, wenn die Zuzugszahlen in den nächsten die Zahl der hier anwesenden Asylbewerber werde Jahren ins Unermeßliche steigen. nach der Sommerpause etwa nur ein Drittel des Für mich ist die. Änderung der Sozialhilferegelung heutigen Standes betragen. Leider, ich betone: leider, für Asylbewerber genauso wichtig wie das neue wird die Umsetzung der ge troffenen Neuregelung Verfahrensrecht. Die verbrecherischen Schlepperor- Zeit beanspruchen. Aber dabei wird auch deutlich ganisationen haben nichts anderes vor, als sich an den werden, welche Landesregierungen mit der erf order Wirtschaftsflüchtlingen zu bereichern. Sie schleusen lichen Mischung aus politischer Entschlossenheit und jetzt sogar schon ohne Anzahlungen Scheinasylanten organisatorischem Geschick schnell zu Lösungen nach Deutschland ein, weil sie es mit der Bedingung imstande sind und welche dabei übermäßig lange verbinden, ihnen die gezahlten Sozialhilfeleistungen brauchen. Die Gemeinden sollten von sich aus darauf zum größten Teil abzuknöpfen. Das ausgezahlte Geld drängen, daß landesweit die Abschiebeverfahren landet also gar nicht in den Händen der Asylanten, endlich organisatorisch effizient geregelt werden. Es sondern finanziert das Schlepperunwesen. Wer also ist ein Witz, wenn wie heute immer noch in meinem wirklich nur wegen persönlicher politischer Verfol- Wahlkreis üblich, endgültig abgelehnte Asylbewer- gung und der Bedrohung seines Lebens nach ber einzeln von Polizisten begleitet bis zum Flughafen Deutschland kommt, der ist auch zufrieden, wenn er nach Frankfurt oder Düsseldorf gebracht werden. hier bis zur Anerkennung seines Asylgrundes nur Wenn sie, wie von ihren Rechtsanwälten empfohlen, Sachleistungen und ein geringes Taschengeld dort Randale machen, müssen sie sogar wieder erhält. zurückgeführt werden. Bei 45 000 Neuzugängen monatlich hat eine sichtbare Einschränkung des Pro- Ich möchte hier ausdrücklich meinen Landtagskol- blems zur Voraussetzung, daß die Abschiebung legen und Oberbürgermeister von Bietigheim, Man- schneller und straffer organisiert wird. Unmittelbare fred List, lobend erwähnen, der im Vorgriff auf das Verantwortung tragen allerdings ab heute die neue Leistungsgesetz für Asylbewerber auch jetzt Gemeinden dafür, daß sie die Leistungen von Geld auf schon in seiner Stadt die Leistungen für Asylbewerber Sachleistungen umstellen. auf Sachleistungen umgestellt hat. Dies ist nach geltendem Sozialhilferecht schon möglich. Nach Ich bin jetzt seit zwölf Jahren in diesem Bundestag, künftigem Asylbewerberleistungsgesetz wird es so- aber solch einen organisierten und fanatisierten Mas- gar notwendig sein. Ich appeliere hier und heute an senauflauf, wie ich ihn unmittelbar vor meinen Büro- alle Gemeinden in Deutschland, dringlichst und sofort fenstern sehe, habe ich noch nie erlebt. Fanatisierte diese Umstellung vorzunehmen. Sie wird schneller Massen skandieren „Schlachtparolen" vor der Tür, wirken, als die Verfahrenskürzungen mit dem Zweck die Hälfte der Mitarbeiter ist nicht bis zum Büro Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13679* vorgedrungen. Sie haben telefoniert und erklärt, sie Die Zuwanderung hat Größenordnungen erreicht, wagen es nicht, gegen den Widerstand der Demon- die Bürgerinnen und Bürgern emo tional nur noch stranten hierher zu kommen, weil sie beobachtet schwierig verkraftbar erscheinen. Bund, Länder und haben, wie Kollegen mit Steinwürfen am Weitergehen Gemeinden sind bei einer jährlichen Zuwanderung gehindert wurden. Unser Rechtsstaat muß eine wehr- von rund 1 Million Menschen, zu denen außer den hafte Demokratie sein und bleiben, sonst wird er von Asylbewerbern auch Aussiedlerinnen und Aussiedler, den Chaoten zerstört. Ich danke den Polizisten, die Familienzusammenführung, ausländische Arbeitneh- uns hier schützen und damit nicht nur den Entschei- merinnen und Arbeitnehmer, Illegale gehören, an den dungsprozeß im Parlament, sondern den Fortbestand Grenzen ihrer Unterbringungsmöglichkeiten ange- der rechtsstaatlichen Demokratie überhaupt garantie- kommen. Doch das bereits verabschiedete Asylver- ren. Die Ereignisse von heute werden mich zusätzlich fahrensbeschleunigungsgesetz wird von der Bundes- veranlassen, mich jetzt mit noch größerem Nachdruck regierung nur unzureichend umgesetzt. auch für die Verbesserung unserer inneren Sicherheit Ich fordere daher ein umfassendes gesetzliches einzusetzen. Konzept für die Asyl- und Zuwanderungspolitik: Dabei muß das Individualrecht auf Asyl in der Reinhold Hiller (Lübeck) (SPD): Die Zuwanderung Bundesrepublik Deutschland für politisch Verfolgte und die daraus entstehenden Probleme werden von unangetastet bleiben. vielen verantwortlich gemacht für alle anderen sozia- Vom Anerkennungsverfahren sollen nur die Men- len Spannungen und gesellschaftlichen Defizite. schen ausgenommen werden, die das vorläufige Blei- Dabei wissen wir, daß in erster Linie der seit zehn berecht mißbrauchen, indem sie zum Beispiel mutwil- Jahren stattfindende Sozialabbau durch die Bundes- lig falsche Angaben machen oder die Feststellung der regierung verantwortlich ist für eine breite Verunsi- Identität verhindern oder mutwillig erschweren, oder cherung in der Bevölkerung. So hat die Bundesregie- die wegen Straftaten rechtskräftigt verurteilt worden rung vor zehn Jahren den sozialen Wohnungsbau sind. faktisch eingestellt. Ebenso hat sie es versäumt, die Die Rechtsweggarantie des Art. 19 IV GG muß andauernde Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. erhalten bleiben; abgelehnte Anträge müssen zumin- Damit trägt sie im wesentlichen die Verantwortung für dest in einer Instanz richterlich überprüft werden persönliche Verunsicherung und vermeintliche oder können. Bis zum Abschluß des Verfahrens sollen die tatsächliche Angst vor einem sozialen Abstieg breiter Asylbewerberinnen in der Bundesrepublik Deutsch- Schichten unserer Bevölkerung. In der unsozialen land bleiben dürfen. Politik liegt eine entscheidende Ursache für Auslän- derfeindlichkeit. Ein eigener befristeter Status für Kriegs- und Bür- gerkriegsflüchtlinge mit Finanzierungsbeteiligung Ausländerfeindlichkeit ist in keiner Weise zu recht- des Bundes muß gesetzlich im Rahmen internationaler fertigen. Diffusse Ablehnung, diskriminierende und Vereinbarungen eingeführt werden. rassistische Sprache und Übergriffe bis hin zu Steinen, Neben dem Recht auf politisches Asyl setzen wir uns Brandsätzen, Messerstichen oder Tötungsdelikten dafür ein, daß ein Zuwanderungsrecht geschaffen bilden eine gefährliche Spirale. Dieser Spirale der wird. Durch Quoten und Länderlisten für Zuwande- Gewalt ist nicht nur mit Appellen und Worten entge- rinnen und Zuwanderer sollte die Zuwanderung genzutreten. Wir fordern Polizeiführung und Justiz gesteuert werden. auf, die vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen mit aller Härte anzuwenden, die rechten Gewalttäter mit Die Einbürgerung muß erleichtert werden. Doppel- Entschiedenheit zu verfolgen und abzuurteilen. Hier staatsbürgschaften müssen ermöglicht werden. sind nicht neue Gesetze notwendig, sondern die Die bestehenden Mißstände bei der gegenwärtigen entschlossene Anwendung der vorhandenen. Rechtslage müssen beseitigt werden. Gegen Schlep- perorganisationen, die gewerbsmäßig die illegale Die Problemlösung liegt nicht in der Änderung des Einreise in die Bundesrepublik Deutschl and organi- Art. 16 GG, sondern in der Bewältigung des Zuwan- sieren, muß mit allen zur Verfügung stehenden Mit- derungsdruckes. teln, auch strafrechtlich vorgegangen und müssen die Die Zuwanderung in die wi rtschaftlichen Zentren Strafandrohungen verschärft werden. Mitteleuropas ist Teil weltweiter Wanderungsbewe- Auf europäischer Ebene müssen einheitliche gungen, deren Ursachen Armut, Krieg, Unterdrük- Grundsätze zur Anerkennung politischer Flüchtlinge kung und ökologische Katastrophen sowie individu- geschaffen werden. Die Genfer Flüchtlingskonven- elle Verfolgung sind. Auch hier ist die Bundesregie- tion und die europäische Menschenrechtskonvention rung ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden, da müssen einheitlich angewendet werden. sie die von den Vereinten Nationen geforderten 0,7 % Der vorliegende Gesetzentwurf unterhöhlt das des Bruttosozialproduktes für unterentwickelte Län- Grundrecht auf Asyl. Dabei erfüllt er kaum Vorausset- der bei weitem nicht erreicht. Dabei ist sie bereits vor zungen, um die aufgezeigten Probleme zu lösen. Ich vielen Jahren zum Beispiel von der Nord-Süd-Kom- kann ihm daher nicht zustimmen. mission unter Leitung Willy Brandts auch auf den notwendigen Ausgleich zwischen armen und reichen Völkern hingewiesen worden. Stephan Hilsberg (SPD): Ich habe dem vorgelegten Gesetzentwurf über die Grundgesetzänderung in Die Entwicklungshilfe muß langfristig auf 2 % des Artikel 16 sowie dem Asylkompromiß als Ganzem Bruttosozialprodukts erhöht werden. zugestimmt. 13680* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Ich folge damit der Notwendigkeit, etwas zu tun, Im Oktober 1836 verließ er den offensichtlich „siche- angesichts der stetig steigenden Asylbewerberzah- ren Drittstaat" Frankreich, und es gelang ihm, in die len, die in diesem Jahr die 400 000 erreichen, von Schweiz einzureisen und in Zürich sein Asylverfahren denen erfahrungsgemäß nur knapp 5 bis 10 % poli- voranzubringen. Im November 1836 erhielt er unter tisch verfolgt sind, und der öffentlichen Lage in den Auflagen eine Aufenthaltserlaubnis für sechs Mo- Kommunen, Kreisen und Ländern, die diese große nate. Zahl an Asylbewerbern nicht mehr verkraften kön- Vier Monate später, am 19. Februar 1837, verstarb nen. der noch nicht einmal 24jährige Georg Büchner an Doch wegen der Blockadetaktik der Unionspar- den Folgen einer Typhuserkrankung. Verbürgt ist, teien, die sich lediglich am Art. 16 GG schadlos halten daß ihn bis in sein Todesdelirium die Ängste eines wollten, ohne das Problem der Zuwanderung und der Flüchtlings verfolgten. Eine Augenzeugin seines Ausländer in Deutschland in seiner Gänze zu erfassen, Todeskampfes berichtete, eine „Phantasie, die oft geschweige denn zu lösen, ist es ein Trugschluß, wiederkehrte, war die, daß er wähnte, ausgeliefert zu anzunehmen, der heute hier verabschiedete Asyl- werden". kompromiß sei eine echte Lösung in der Sache. „Der Planet ohne Visum" — so heißt ein Kapitel in Binnen kurzem wird deutlich werden, daß neue Leo Trotzkis Autobiographie „Mein Leben". Auf der Verhandlungen notwendig sind, weil Flucht vor Stalins Schergen wurde er um den Erdball 1. die Zahl der Asylbewerber nicht wesentlich gesun- bis nach Mexiko getrieben. Erstes Exil fand er 1929 in ken ist, der Türkei. Kaum dort angekommen, erlangte er Kenntnis von einer Rede des sozialdemokratischen 2. Verfassungsbeschwerden zunehmen, Reichstagspräsidenten Löbe, der im Reichstag am 3. die Integration der in Deutschland lebenden Aus- 6. Februar 1929 unter lebhaftem Beifall ausgeführt länder unzulänglich ist, hatte: „Vielleicht kommen wir sogar dazu, Herrn Trotzki das freiheitliche Asyl zu geben. " Trotzki 4. die beschämende Ausländerfeindlichkeit in wandte sich an das deutsche Konsulat in Konstantino- Deutschland anhält. pel und bat um ein Visum und teilte dieses dem Nötig sind neben einer vernünftigen Regelung des Sozialdemokraten Löbe mit. — Und wartete. Asylbewerberverfahrens ein Einwanderungsgesetz Ein Versuch des sozialdemokratischen Rechtsan- mit Quotierung, Doppelstaatsbürgerschaft für Auslän- ti tive die Ver- der und das Ausländerwahlrecht. walts Dr. Rosenfeld, aus eigener Ini a handlungen über Trotzkis Einreiseerlaubnis zu füh- Im Augenblick scheint die Lösung dieser Aufgaben ren, stieß auf Widerstand. Trotzki wurde gefragt, ob er in weite Ferne gerückt. Aber noch in dieser Legisla- bereit sei, sich während seines Aufenthaltes in turperiode wird allgemein klar sein, daß der Problem- Deutschland Beschränkungen zu unterwerfen. Er druck nicht geschwunden ist und wieder Handlungs- bejahte. Wenige Tage später erreichte ihn eine zweite bedarf besteht. Anfrage. Jetzt wurde angefragt, ob er bereit sei, nur Dann wird es darauf ankommen, die Chancen zu zum Zwecke einer Kur einzureisen. Trotzki bejahte einer echten fortschrittlichen Ausländer- und Integra- wieder. tionspolitik zu nutzen für die Wahrung der Würde a ller Aus Kreisen der Reichsregierung unter dem SPD- Menschen, den inneren Frieden und eine realis tische Kanzler Hermann Müller wurde über die Presse Einwanderungsquote von Ausländern in unserem verbreitet, Trotzki sei nicht so krank, um der Hilfe der Land. deutschen Ärzte und der Bäder zu bedürfen. Trotzki erklärte seine Bereitschaft, sich der Untersuchung Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Ich möchte einer beliebigen Ärztekommission zu unterwerfen meine prinzipielle Ablehnung der Änderung des und Deutschland nach Beendigung seiner Kur unver- Grundrechtes auf Asyl hiermit noch durch Rückblick züglich zu verlassen. Auf dieses Telegramm erhielt er auf deutsche Geschichte begründen. keine Antwort. „Seit ich über die Grenze bin, habe ich frischen Am 12. April 1929 wurde Leo Trotzki die Nachricht Lebensmut, " schrieb der noch nicht einmal 22jährige zugestellt, daß die sozialdemokratisch geführte Georg Büchner, Verfasser der frühkommunistischen Reichsregierung sein Gesuch um die Einreiseerlaub- Flugschrift „Der Hessische Landbote" am 9. März nis ablehnend beantwortet habe. In einer Mischung 1835 an seine Eltern, nachdem es ihm gelungen war, aus Galgenhumor und Zynismus telegraphierte er der Verfolgung durch Behörden des Großherzogtums dem Sozialdemokraten Paul Löbe: „Ich bedauere, daß Hessen zu entgehen. mir die Möglichkeit versagt worden ist, die Vorzüge des demokratischen Asylrechts praktisch zu studie- Büchner hatte in Darmstadt die „beständige ren." geheime Angst vor Verhaftung und sonstigen Verfol- gungen" dauernd „gepeinigt". Er rettete sich durch Trotzkis Flucht endete bekanntlich am 20. August die Flucht nach Straßburg. Allein zwischen März und 1940 mit seiner Ermordung im mexikanischen Exil. Dezember 1835 erreichte ein Dutzend hessischer Der Philosoph und Schriftsteller Walter Benjamin Flüchtlinge diese Stadt, die für viele von ihnen eine war 1933 aus Nazi-Deutschland nach Pa ris geflohen. Zwischenstation auf dem Weg in die Schweiz war. Als Linker und als Jude war er einer doppelten Im September 1836 erhielt Büchner die Aufenthalts- Verfolgung durch die deutschen Faschisten ausge- erlaubnis für den Kanton Zürich, und zwar ausdrück- setzt. 1939 in Frankreich interniert, war es seinem lich „in seiner Eigenschaft als politischer Flüchtling". Freund Max Horkheimer gelungen, ihm ein Visum für Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13681*

die Vereinigten Staaten zu beschaffen. 1940 floh Gründen zu uns kommen, muß gestoppt werden. Benjamin aus Paris vor den deutschen Truppen. Er Einige der einfachgesetzlichen Maßnahmen, die konnte „nichts mitnehmen als seine Gasmaske und heute zur Abstimmung im Deutschen Bundestag vor- seine Toilettensachen". liegen, tragen zur Erreichung dieses Ziels erheblich bei. So wird z. B. durch die Einführung des Grundsat- Mit letzter Kraft erreichte der herzkranke Benjamin am 25. September 1940 mit einer Gruppe von Flücht- zes „Vorrang für Sachleistungen" vor Sozialhilfezah- lingen den französisch-spanischen Grenzort Port-Bou. lungen erreicht, daß Menschen, die bei uns politisches Er wollte über Spanien einen der großen Atlantikhä- Asyl beantragen, um Sozialhilfe zu bekommen, um fen erreichen. Da den Flüchtlingen das französische damit wiederum ganze Familien in ihren Heimatlän- dern zu finanzieren, keinen Anreiz mehr dafür Ausreisevisum fehlte, wurden sie von den spanischen haben. Grenzbehörden zurückgewiesen. Für Benjamin gab es nur noch die schreckliche Alternative Gestapo oder Ich stimme der Drucksache 12/4450 Art. 2 und 3, KZ. Am 26. September 1940 beging Walter Benjamin allerdings ohne Art. 1 und 4 zu. Selbstmord. Sein Grab ist nicht auffindbar. In der getrennten Abstimmung zu Art. 1 hat Nr. 19 Ich hege die Befürchtung, daß mit der heute zu meine Zustimmung erhalten. Im Ergebnis stimme ich erwartenden Änderung des Asylrechts eine Entwick- der Drucksache 12/4450 insgesamt zu, ohne die lung eingeleitet wird, die ein Verfolgter vor über Umsetzung der Grundgesetzänderung in einfachge- sechzig Jahren so beschrieben hat: setzliche Maßnahmen mitzutragen. Das Asylrecht verwandelte sich zuerst in ein Auf- enthaltsrecht unter einem Ausnahmezustand, Im Gegensatz zu Herrn Schäuble bin ich allerdings dann in das Recht auf eine ärztliche Behandlung der Meinung, daß nicht alle einfachgesetzlichen Maß- und schließlich in das Recht auf den Friedhof. Das nahmen wirklich ergriffen worden sind. Er hat heute bedeutete aber, daß ich erst als Leiche die Vorzüge morgen im Plenum Zahlen vorgetragen, die eindeutig der Demokratie in vollem Umfang schätzen gelernt belegen, daß Deutschland ein ausländerfreundliches haben würde. Land ist, daß bei uns Ausländer seit Jahren in großer Zahl friedlich leben, und die belegen, daß Deutsch- So Leo Trotzki. land ein Einwanderungsland ist. Da wir dies wissen, Die Erinnerung an das Schicksal Georg Büchners, wäre es dringend erforderlich gewesen, im Zuge Walter Benjamins und Leo Trotzkis — um nur drei aus dieser Beratungen auch ein Einwanderungsgesetz zu der ansonsten namenlosen Schar der Flüchtlinge und schaffen und dieses mit dem Asylrecht zu koppeln. So Verfolgten aller Zeiten herauszugreifen — läßt aus ist es meines Erachtens notwendig festzulegen, daß meiner Sicht keinen Raum für eine Zustimmung zu der diejenigen, die einen Antrag auf politisches Asyl bei heute zu erwartenden faktischen Abschaffung des uns stellen und als unbegründet abgelehnt werden, Asylrechts zu. Ich werde deshalb mit Nein stimmen. zukünftig keine Möglichkeit mehr haben, einen Antrag auf Einwanderung zu stellen. Bei denen, die wirklich aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kom- Birgit Homburger (F.D.P.): Der Tag war heute erst men, wird dies sicherlich zu der Überlegung führen, wenige Stunden alt, da wußte man schon, daß die ob sie durch unberechtigte Beantragung von Asyl sich Demonstrationen gegen eine Änderung des Grundge- die Möglichkeit der legalen Einreise in die Bundesre- setzes nicht friedlich verlaufen. Diejenigen, die Abge- publik ein für allemal verbauen wollen. ordnete und andere Passanten tätlich angegriffen Ich kann auf Grund meiner festen inneren Überzeu- haben, die Farbbeutel geworfen haben oder maskiert gung jedoch einer Änderung des Grundgesetzes nicht plötzlich vor Fahrzeugen des Bundestages auf die zustimmen. Dafür sind mehrere Gründe ausschlagge- Straße liefen, haben damit alle diejenigen, die aus bend: Überzeugung zu einer friedlichen Demonstra tion hierher kommen wollten, diskreditiert. Ich verstehe 1. Ich weiß, daß eine Entscheidung über die Ein- nicht, warum diejenigen Demonstranten, die friedli- dämmung des Asylmißbrauchs und die Zuwanderung che Absichten hatten, nicht auf Grund der Vorkomm- in unserem Land wichtig ist für den inneren Frieden. nisse sofort die Demonstra tion verlassen haben, son- Wir wären aber durch einfachgesetzliche Maßnah- dern einer Minderheit von Gewalttätern auch noch men längst handlungsfähig gewesen. Eine Grundge- eine Kulisse gebildet haben. Die Gewalttäter haben setzänderung kommt für mich jedoch nur in Frage, mit .ihrem Vorgehen auch den Asylbewerbern in wenn alle einfachgesetzlichen Möglichkeiten wirk- unserem Lande geschadet. Diejenigen, die gewalttä- lich ausgeschöpft wurden. Dies ist nach meiner Auf- tig wurden, sind heute in Bonn nicht erschienen, um fassung — wie oben dargelegt — nicht passiert. Ich bin für die Aufrechterhaltung eines Grundrechts zu auch weiterhin der Überzeugung, daß eine Lösung demonstrieren, sondern um die Demokratie anzugrei- des Problems ohne Grundgesetzänderung möglich fen. Sie haben nichts mit denen zu tun, die aus innerer gewesen wäre, wenn man sich wirk lich in letzter Überzeugung gegen die Änderung des Grundgeset- Konsequenz darum bemüht hätte. zes sind. 2. Die heute beschlossenen Maßnahmen werden Ich möchte nun kurz mein Abstimmungsverhalten hoffentlich bald erste Wirkung zeigen. Die größte erläutern. Ich bin auch weiterhin für die volle Auf- Lenkungswirkung haben dabei nach meiner Über- rechterhaltung des Grundrechts auf politisches Asyl. zeugung aber die einfachgesetzlichen Maßnahmen. Denn nicht das Grundrecht selbst ist das Problem, Ich teile nicht die Hoffnung, daß wir es schaffen, den sondern sein Mißbrauch. Der Mißbrauch des Asyl- Schlepperorganisationen mit der Grundgesetzände- rechts durch Menschen, die aus wirtschaft lichen rung das Handwerk zu legen. Das Problem ist die 13682* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 illegale Einreise in die Bundesrepublik. Diese wird es führen. Ich bin fest davon überzeugt, daß der Zustrom auch zukünftig, auch mit Schlepperorganisationen, von Asylsuchenden sich dadurch nicht reduzieren geben. Es gibt im Rahmen der sogenannten sicheren wird, und wir in der Politik werden über kurz oder lang Drittländer auch genügend Schlupflöcher, so daß die gefragt werden, was wir tun wollen, um tatsächlich Folge ist, daß zukünftig illegal eingereiste Asylbewer- eine Verbesserung der Situa tion zu erreichen. Aber ber weiterhin ein verkürztes Verfahren in der Bundes- dann haben wir bereits elementare Grundrechte zer- republik Deutschland erhalten. Die Bürgerinnen und stört. Nicht mit meiner Stimme! Bürger dieses Landes erwarten sich vom Inkrafttreten der Grundgesetzänderung die sofortige Lösung des Meine Kritik an der Änderung des Art. 16 GG richtet Problems. Ich fürchte, daß sich diese Erwartungshal- sich insbesondere dagegen, daß ein Mensch, der sich tung nicht erfüllen wird. Die Enttäuschung wird dann bei uns auf ein Grundrecht beruft, nun völlig rechtlos groß sein. gestellt ist. Daher bekommt für mich in diesem Zusam- menhang der Begriff „sicherer Drittstaat" eine beson- 3. Mit der Festlegung von Länderlisten für „sichere dere Bedeutung, ebenso der Vertrag mit Polen, der für Drittstaaten" und .,,sichere Herkunftsländer" werden mich mehr unter finanziellen Gesichtspunkten zu wir zukünftig eine „permanente Asyldiskussion" sehen ist. erhalten. Es zeigt sich schon heute, daß die Einschät- zung einzelner Länder sehr unterschiedlich ist. Diese Nehme ich einmal an, es gelingt einem Asylsuchen- Diskussionen werden zu einer unnötigen Verunsiche- den die Einreise in die Bundesrepublik Deutschl and rung der Bevölkerung führen. über das sogenannte sichere Drittland Polen. Der Mensch hat zwar nun nach den vorgelegten Änderun- Wir alle haben uns intensiv mit dieser Frage gen die Möglichkeit, sich auf Abs. 1 des A rt. 16a GG beschäftigt. Heute muß jeder von uns die Entschei- zu beziehen, und kann das Gericht anrufen; aber der dung treffen, die er verantworten kann. Ich will eine gleiche Artikel sagt auch in Abs. 2, Satz 3 — und dies Lösung für den Asylmißbrauch. Die Erwartungshal- ist in Verbindung mit § 34 a Asylverfahrensgesetz zu tung der Bürgerinnen und Bürger ist riesig. Meine betrachten —, „daß aufenthaltsbeendende Maßnah- Entscheidung hinsichtlich der Grundgesetzänderung men unabhängig von einem hiergegen eingelegten hat mich sehr viel Mut und innere Überwindung Rechtsbehelf vollzogen werden". Dies ist die fakti- gekostet. Aber ich habe mich letztlich dafür entschie- sche Abschaffung der Rechtswegegarantie. Was nützt den, meiner Überzeugung zu folgen. Ich weiß, daß es dem Asylsuchenden, wenn er nach Abschiebung nicht alle von Ihnen diese Entscheidung nachvollzie- durch das Gericht Recht bekäme? hen können. Ich persönlich verstehe all diejenigen, die sich anders entschieden haben. Auch sie haben Dies kann ich mit meinem Gewissen und Verständ- eine nachvollziehbare Argumenta tion. Ich bitte aber nis vom Grundrecht nicht vereinbaren. Deshalb darum, daß die Entscheidung derjenigen, die der stimme ich der Änderung von Art. 16 GG sowie den Grundgesetzänderung nicht zustimmen können, we- Folgegesetzen nicht zu. nigstens toleriert wird. Horst Jaunich (SPD): Der beabsichtigten Änderung Ilse Janz (SPD): Nicht erst seit heute wende ich mich des Art. 16 des Grundgesetzes und dem Gesetz zur gegen eine Änderung des Grundrechts auf Asyl. Änderung asylverfahrens-, ausländer- und staatsan- Politische, familiäre Gründe, aber auch historische gehörigkeitsrechtlicher Vorschriften kann und werde Erfahrungen haben mich während meiner langen ich nicht zustimmen. Ich befürchte, daß mit diesen politischen Tätigkeit gelehrt, sorgsam mit dem Abbau Regelungen ein falsches Signal gesetzt wird. Ich gehe von Grundrechten umzugehen. davon aus, daß von großen Teilen der Bevölkerung Durch meine langjährige kommunalpolitische Ar- der Bundesrepublik Deutschland diese Entscheidung beit weiß ich sehr wohl von den Schwierigkeiten in als eine Befriedung der Zuwanderungsproblematik den Gemeinden, Städten, Ländern, die den Zustrom verstanden wird, die so nicht eintreten kann und wird, von Menschen kaum verkraften können. Meines da die wahren Ursachen für die Armutsbewegungen Erachtens hat hier die Politik, insbesondere auch die von Ost nach West und von Süd nach Nord nicht Bundesregierung versagt. Viel zu spät ist über eine aufgehoben werden. schnelle Bearbeitung der Asylanträge, über die Ver- Anstelle einer zweifelsfrei eintretenden Abschot- kürzung des Rechtsweges, über verstärkte Personal- tung für Armutsflüchtlinge wird, da der Fluchtgrund ausstattung der Gerichte und des Bundesamtes in nicht beseitigt wird, eine verstärkte illegale Einwan- Zirndorf bzw. der jeweils zuständigen Landesämter derung eintreten. Zu einer nachhaltigen Einebnung diskutiert und entschieden worden. des Wohlstandsgefälles in der Welt scheint offensicht- Nun ist seit einiger Zeit das 1992 beschlossene lich unser Land genausowenig wie die übrigen Indu- Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens in Kraft, striestaaten bereit zu sein. Ich war und bin mir voll das die Beschleunigung der Asyl- und Gerichtsverfah- bewußt, daß der Art. 16 Abs. 2 unseres Grundgesetzes ren sowie die Entlastung der Gemeinden vorsieht. nur jenen Schutz verheißt, die politische Verfolgung Aber anstatt zu prüfen, wie sich die Situa tion nun in ihren Herkunftsländern erleiden müssen. entwickelt, sollen Fakten durch Änderungen des Ich habe daher in den mehr als 20 Jahren meiner Grundgesetzes und des Asylverfahrensgesetzes ge- Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag allen schaffen werden. Gesetzen zur Verfahrensbeschleunigung des Asyl- Damit wird der Bevölkerung meines Erachtens rechtes zugestimmt; insbesondere auch dem Gesetz vorgegaukelt, daß diese Änderungen zu Lösungen zur Neuregelung des Asylverfahrens (Drucksache Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13683*

12/2062 vom 5. Juni 1992), dessen volle Auswirkun- fen von denjenigen Medien und Mehrheitsvertretern, gen erst jetzt einzutreten beginnen. die sich davon eine Schwächung des Widerstandes gegen ihre Ausgrenzungs- und Abschottungspolitik Ich war und bin bereit, denen, die sich im Anerken-- versprachen. nungsverfahren über ihren Asylantrag befinden, Ein- schränkungen zuzumuten. Ich werde daher dem Mit Quoten und Kontingenten wurde nicht nur ein Gesetz zur Neuregelung der Leistungen an Asylbe- illusionärer Weg zur Durchsetzung humaner Forde- werber zustimmen. rungen gesucht, zerstört wurde damit auch ein bis dahin geltender Konsens in der Asyl- und Flüchtlings- Zu kurzen, aber rechtsstaatlichen Verfahren und zu bewegung. Einschränkungen von Leistungen an Asylbewerber sage ich ja. Deshalb werden die Mitglieder meiner Gruppe mit Enthaltung stimmen. Zu Regelungen, die nicht mehr gewährleisten, daß alle, die politisch verfolgt werden, auch sichere Zuflucht bei uns oder in anderen Staaten finden, sage Dr. Heinrich L. Kolb (F.D.P.): Mein Abstimmungs- ich nein. verhalten beruht auf den folgenden Erwägungen. Als jemand, der auch kommunalpolitische Verant- Erstens: Im Sommer 1992 wurde ich — in vielen wortung trägt, weiß ich von den nicht unerheblichen Gesprächen mit Bürgern meines Wahlkreises — von Problemen mit der Unterbringung der vielen Zuwan- der Notwendigkeit des Handelns und der Dringlich- derer, die wir zur Zeit zu registrieren haben. Gleich- keit einer Lösung in der Frage des Asylmißbrauches in wohl ist für mich die Entscheidung, die Grundgesetz- unserem Lande überzeugt. änderung und das Gesetz zur Änderung asylverfah- Zweitens: In Schreiben an den Parteivorsitzenden rens-, ausländer- und staatsangehörigkeitsrechtlicher und den Fraktionsvorsitzenden der F.D.P. zur Klau- Vorschriften abzulehnen, eine Gewissensentschei- surtagung meiner Fraktion Anfang September 1992 dung, die mir angesichts angedrohter Gewaltmaßnah- habe ich daraufhin zum unverzüglichen H andeln men gegen die Befürworter dieser Regelungen nicht aufgefordert. leicht fällt. Drittens: Gerade als Liberaler sehe ich mit Sorge, Meine Entscheidung beruht nicht auf Angst vor daß der Mißbrauch des Asylrechtes, der sich in der diesem Druck, zumal der Druck zur Änderung des mitunter 5 % äußerst geringen Anerkennungsquote Asylrechts, der auch auf mir seit langem lastet, unver- der Asylbewerber ausdrückt, zu einer Aushöhlung kennbar ist. des Asylrechts führt. Es muß aber auch zukünftig Ich bezeuge den Kolleginnen und Kollegen, die möglich sein, daß wirklich politisch Verfolgte Asyl nach sorgfältiger Abwägung aller Argumente zu einer genießen. anderen Entscheidung gelangt sind als ich, meinen Viertens: Es gibt kein Wunschlandasyl. Entschei- Respekt. Für meine Entscheidung erhoffe ich eine dend ist, daß ein Asylbewerber Freiheit vor politischer gleiche Haltung. Verfolgung genießt. Wirtschaftliche Beweggründe, etwa eine bessere Versorgung in Deutschl and, kön- Ulla Jelpke (PDS/Linke Liste): Eine Diskussion der nen keine Berücksichtigung finden. Gesetzentwürfe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fünftens: Seit Sommer letzten Jahres sind die Asyl- wurde durch die Mehrheit des Parlaments systema- bewerberzahlen erneut sprunghaft angestiegen. tisch blockiert. Im Plenum und in den Ausschüssen Wenn das Parlament — nach den nur unzureichend durften sie zwar auf der Tagesordnung erscheinen, greifenden Regelungen des am 1. Ju li 1992 in Kraft reden darüber wollte die Mehrheit nicht. Die Entwürfe getretenen Asylverfahrensbeschleunigungsgeset- erleiden damit dasselbe Schicksal wie alle prakti- zes — jetzt nicht überzeugend handelt, könnte eine schen und humanen Vorschläge zur Entlastung des ernsthafte Staatskrise entstehen, unsere Demokratie Asylrechts, der Verwaltungen und der Kommunen: von den Rändern her in Gefahr geraten. die Mehrheit will sie nicht, sie will Ausgrenzung und Abschiebung von Flüchtlingen, Asylbewerbern und Sechstens: In langwierigen Verhandlungen ist ein AusländerInnen. nach meiner Überzeugung hinreichend wirksamer Kompromißvorschlag zur Änderung des Asylrechts Die Entwürfe enthalten eine Vielzahl positiver For- erarbeitet worden. Dabei ist, nicht zuletzt durch die derungen, alte Forderungen der Immigrantenorgani- zögerliche Haltung und Führungslosigkeit der SPD in sationen, der Flüchtlings- und Asylinitiativen und von dieser Frage, unnö tig viel Zeit verloren worden. Menschenrechtsorganisationen- zum Niederlassungs und Staatsbürgerrecht, zum sozialen und politischen Siebtens: An der Diskussion der letzten Monate und Status der Betroffenen. All dem stimmen wir zu. Wochen hat mich auch irritiert, daß angesichts einer nicht zu bewältigenden Zahl von Asylbewerbern, die Nicht vergessen werden darf jedoch, daß in den aktuell in unser Land strömen, viele weniger die Frage Gesetzen Quoten und Kontingente für Asylbewerber umtrieb, wie dieses Problem zu lösen sei, als vielmehr Innen und Flüchtlinge festgelegt sind. Ausdrücklich die Frage, es könnten zukünftig zu wenige Asylbe- wurde damit damals auf die ausländerfeindliche und werber unser Land erreichen. rassistische Stimmung und den Willen zur Begren- zung der Zuwanderung reagiert. Von BÜNDNIS 90 Die Lösung des Problems Asylmißbrauch ist und wurde damit ein wesentlicher Eckpfeiler der herr- bleibt Aufgabe aller Verantwortlichen in unserem schenden Diskussion zur Grundlage der eigenen Lande. Eine Unterscheidung in „Schlechte", die Politik gemacht, dankbar und demagogisch aufgegrif- angeblich das Asylrecht „aushöhlen" oder „abschaf- 13684* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 fen" wollen und „Gute", die es vermeintlich verteidi- einem sicheren Herkunftsland zu kommen, für jeden gen, wird der Sache nicht gerecht. Asylbewerber und für jede Asylbewerberin aber eine widerlegliche Vermutung ist, können sie mit dem Ich werde mich in den Abstimmungen für die im Widerspruch gegen diese Vermutung ebenso das Asylkompromiß vorgeschlagene Änderung des Asyl- erwähnte summarische Verfahren mit dem sicheren rechtes aussprechen. Bleiberecht durchlaufen. Schließlich erhalten alle sogenannten Bürger- kriegsflüchtlinge den Bürgerkriegsstatus mit ähnli- Walter Kolbow, Susanne Kastner, chen Rechten wie die Asylsuchenden und der Mög- Verena Wohlleben (SPD): lichkeit, doch noch— unter bestimmten Umstanden — ins Asylverfahren zu gehen. Für den Asylbewerber Wir stimmen dem „Asylkompromiß" nach vielen wird so ein sicheres Netz geknüpft. Für den Bürger- Gesprächen mit der Bürgerschaft in unseren Wahl- kriegsflüchtling wird ein sicherer Aufenthalt gewährt. kreisen und in unserer Partei zu. Unsere Abwägungs- Wer aber unter Ausnutzung dieser Möglichkeiten bei entscheidung wird maßgeblich davon getragen, daß uns einwandern will, muß in Zukunft damit rechnen, nur eine Änderung des bisherigen Artikels 16 GG die weit schneller als bisher abgeschoben zu werden. ungesteuerte und unbegrenzte Zuwanderung von Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß die Initia- Wirtschaftsflüchtlingen aus aller Welt künftig besser tiven der SPD für eine doppelte Staatsbürgerschaft steuern und begrenzen kann. Dies ist ein wichtiger ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger, für Beitrag zur politischen und sozialen Stabilität unseres eine gesetzlich geregelte Zuwanderung und für ein Landes. Es ist unseriös, wenn der Kompromiß mit einer Ausländerwahlrecht weitergeführt werden. Ebenso Abschaffung des Asylrechts gleichgesetzt wird. Auch notwendig wird es nach der Einigung zwischen Bund, wenn er nicht in allen Punkten zufriedenstellen kann, Ländern und Kommunen über die Finanzierung des ist zu erwarten, daß in den praktischen Auswirkungen Aufenthaltes von Kontingentflüchtlingen sein, sich eine Asyl- und Flüchtlingspolitik erreicht wird, die das über eine Finanzierung des Aufenthaltes von Bürger- Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte schützt kriegsflüchtlingen zu verständigen. Damit muß und in dem erforderlichen Umfang die Zuwanderung erreicht werden, daß man diese ohnehin vom Schick- steuert und begrenzt. Das künftige Asylrecht soll es sal schwer geprüften Menschen nicht in das Asylver- möglich machen, Asylsuchende, die über einen siche- fahren zu drängen braucht. ren Drittstaat nach Deutschland gekommen sind, zur weiteren Prüfung des Asylantrages und gegebenen- Wir wissen, daß es die Menschen in unserem Land falls zur Aufnahme in den Drittstaat zurückzuschik- nicht mehr begreifen, daß bei ihnen an allen Ecken ken. Wir halten dies für notwendig und richtig. Es darf und Enden massiv gespart wird, aber für Wirtschafts- nicht dabei bleiben, daß die Bundesrepublik Deutsch- flüchtlinge Millionen- und Milliardenbeträge zur Ver- land rechtlich an die Entscheidung des Asylsuchen- fügung stehen müssen. Wir werden alle unsere Kraft den gebunden ist, Zuflucht und Schutz nur hier, nicht daran setzen, daß nach der Verabschiedung des aber in einem anderen Aufnahmeland zu suchen. Asylkompromisses die brennenden Probleme für die Schon jetzt sind es im EG-Bereich etwa zwei Drittel Bürgerinnen und Bürger in unserem L and zügig der Zuwanderer mit Asylbegehren, die sich für angepackt werden: Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Deutschland entscheiden. Hier wird es künftig darauf Einführung der Pflegeversicherung, Begrenzung der ankommen, unverzüglich eine Verteilung nach Quo- Staatsverschuldung und Sicherung der öffentlichen ten auf die EG-Länder festzulegen. Das Zuwande- Finanzen, Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit der rungsproblem darf nicht allein der Bundesrepublik deutschen Wirtschaft, innere Sicherheit und Verbre- Deutschland überlassen bleiben. Mit dem Asylkom- chensbekämpfung, bezahlbarer Wohnraum für alle, promiß findet der Einstieg in ein europäisches Asyl- Familienlastenausgleich und einheitliches Kinder- recht statt. geld, die Zukunft des Alters, Bildung und Weiterqua- lifizierung sowie Klimaschutz. Für uns bedeutet die Rücksendung von Asylbewer- bern in einen sicheren Drittstaat keinen Ausschluß vom Asylrecht. In allen sicheren Drittstaaten gibt es Jürgen Koppelin (F.D.P.): Für eine Notwendigkeit Asylverfahren, die dem europäischen St andard ent- zur Änderung des Asylrechts im Grundgesetz besteht sprechen. Keiner von ihnen darf selbst überlastet kein Anlaß. Die Aussicht auf Asylgewährung war werden. Deshalb geht es nicht um wechselseitiges bisher in Deutschland nicht größer als in den anderen Zuschieben, sondern um Lastenverteilung. Für uns EG-Staaten. Die Änderung des Art. 16 GG wird von zeigt das mit Polen geschlossene Abkommen, wie sich mir als der falsche Weg angesehen, dem Mißbrauch eine praktische Regelung sinnvoll vollziehen kann. des Asylrechts zu begegnen. Nur scheinbar bleibt das Weit mehr als 50 Prozent aller Asylbewerber kommen Asylrecht bestehen. In Wirklichkeit soll unser Verfas- über die „Grüne Grenze" und tauchen demgemäß im sungsrecht auf Asyl ausgehöhlt werden. Inland auf. Kann deren Weg über ein Drittland nicht Im übrigen ist die Änderung des Asylrechts keine festgestellt werden, so haben diese das sogenannte Antwort auf die Wanderungsbewegungen, die es seit summarische Klageverfahren für sich und dazu das Jahren von Ost nach West gibt und vermutlich in den erforderliche Bleiberecht. Kommen sie aus einem kommenden Jahren noch verstärkt geben wird. sicheren Herkunftsland — das sind z. B. Bulgarien und Rumänien in einer Anerkennungsquote von rund Deutschland war vor allem durch seine soziale 1 Prozent oder weniger —, so wird vermutet, daß sie Absicherung sowie das vorläufige Bleiberecht bevor- keine Asylgründe haben. Da die Vermutung, aus zugte Anlaufstelle für Asylsuchende. Änderungen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13685* hierzu bedürfen jedoch nicht der Änderung des bilden, der, ausgebeutet von skrupellosen einzelnen, Grundgesetzes. eine Subkultur entwickeln wird, die den verstärkten Einsatz kriminalistischer und polizeilicher Maßnah- Notwendig bleibt für mich eine gemeinsame Ein- men fordert. Diese Subkultur wird sowohl den sozia- wanderungspolitik der EG und ein deutsches Einwan- len Frieden (billige illegale Arbeitskräfte) gefährden, derungsgesetz. Damit könnte einer mißbräuchlichen eine Intensivierung polizeilicher Taktiken erfordern Inanspruchnahme des Asylrechts durch Wirtschafts- und ein kriminogenes Umfeld befördern (Lebenser- flüchtlinge entgegengewirkt werden. halt durch kriminelle Aktivitäten wie Rauschgifthan- Ich teile die Meinung der schleswig-holsteinischen del, Waffenschmuggel etc.). Vorurteile gegen Auslän- F.D.P.-Landtagsfraktion, die vorgeschlagen hat, daß der werden so nur bekräftigt." ein Einwanderungsgesetz folgende Elemente enthal- Besonders durch die CDU/CSU ist der Eindruck ten muß: erweckt worden, eine Änderung des Asylrechts im — Es werden jährliche Einwanderungsquoten festge- Grundgesetz würde zu einem erheblichen Stopp der legt. Ihre Zahl orientiert sich an wirtschaftlichen, Asylanträge führen. Mit dieser Diskussion um unser insbesondere arbeitsmarktpolitischen Bedürfnis- Asylrecht ist für eine wirkliche Reduzierung der sen sowie an sozialpolitischen Erwägungen (z. B. Asylbewerber kein Beitrag geleistet worden, sondern Wohnungsmarktproblematik) . allein aus parteipolitischem Kalkül mit Blick auf die — Es wird eine strikte Ausschlußregelung geschaf- Wahlen wurde argumentiert. Nun sind die Erwartun- fen. Jene Ausländer, die bereits einmal (ohne gen bei den Bürgerinnen und Bürgern unseres L andes Erfolg) ein Asylverfahren durchlaufen haben, oder so groß, auch durch die gemeinsamen Beratungen des jene, die versuchen, illegal in die Bundesrepublik Asylkompromisses durch CDU/CSU, SPD und F.D.P., zu gelangen, werden dauerhaft aus einem mögli- daß eine Ablehnung zu einem irreparablen innen- chen Einwanderungsverfahren ausgeschlossen. politischen Schaden führen würde. Für Asylanträge von Einwanderern gilt die wider- Ich habe mich daher entschlossen, trotz erheblicher legliche Vermutung, daß sie offensichtlich unbe- Bedenken, einer Änderung des Grundgesetzes zuzu- gründet sind. stimmen, auch wenn die Rede des Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion Dr. Wolfg ang Schäuble mir — Der Einwanderungswillige hat sein Einwande- rungsverfahren grundsätzlich von seinem Heimat- meine Entscheidung nicht gerade leicht gemacht land aus zu be treiben. hat. Die FAZ hat am 22. Mai 1993 die Situation, in der die Ein Einwanderungsgesetz ist notwendiger als eine Abgeordneten entscheiden sollen, treffend beschrie- Änderung des Asylrechts im Grundgesetz, denn die ben: „Wahrscheinlich haben die Skeptiker recht, die Änderung des Asylrechts im Grundgesetz wird nach bezweifeln, daß die Grundgesetzänderung und die meiner Auffassung kaum das Ziel erreichen, den Folgeregelungen zu dem gewünschten Ergebnis füh- Asylmißbrauch zu verhindern. ren. Trotzdem wäre es kläglich, wenn der Asylkom- Trotz der Änderung des Asylrechts werden wir auch promiß keine Mehrheit im Bundestag bekäme. Es weiter die Flüchtlinge aufnehmen müssen, die nicht wäre eine Blamage des Parteienstaates. Das Ver- politisch verfolgt sind, sondern um Leben und trauen des Publikums würde nachhaltig gestört, daß Gesundheit fürchten müssen. Auch wenn hier zukünf- der vom Grundgesetz geordnete demokratische Staat tig auf ein Asylverfahren verzichtet wird, so ist nicht fähig sei, in angemessener Zeit (sie war l ange genug) klar geregelt, wer für die Kosten der Bürgerkriegs- in Ordnung zu bringen, was in einer für die Nation flüchtlinge aufkommt. erträglichen Weise in Ordnung gebracht werden Richtig war und ist eine Beschleunigung der Asyl- muß." verfahren durchzuführen. Hier zeigen sich auch erste Es bleibt meine Befürchtung, daß durch den Par- Erfolge. teienkompromiß Hoffnungen geweckt werden, die Wird wirklich mit der Drittstaatenregelung die Zahl nicht verwirklicht werden können. der Asylbewerbungen reduziert? Für das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge wird Hans Koschnick (SPD): Wenn ich den Vorschlägen nun das Verfahren kompliziert, in dem nach dem zur Änderung des Grundgesetzes zur Neuordnung Reiseweg gefragt werden muß. Das heißt in der Praxis, des Asylrechtes mit allen Nebengesetzen nicht wer seinen Reiseweg nennt, kann sofort abgeschoben zustimme, dann nicht deshalb, weil ich die Bedräng- werden, wer jedoch seinen Reiseweg verschweigt nisse unserer Kommunen wegen der unendlichen oder nicht weiß, der kann für die Dauer des Asylver- Schwierigkeiten bei der Unterbringung von Asylbe- fahrens bleiben. Es können auch nicht die Bedenken werbern, Bürgerkriegsflüchtlingen, Umsiedlern und entkräftet werden, die RA Hubert Heinhold in der von Zuwanderern gering erachte. Ganz im Gegenteil, ich der Zentralen Dokumentationsstelle der Freien Wohl- kenne die Probleme in unseren örtlichen Gemein- fahrtspflege für Flüchtlinge herausgegebenen Schrif- schaften, ich weiß um die wachsende Verbitterung tenreihe Nr. 53 dargelegt hat: „Die wahrhaft Schutz- unserer Bürgerinnen und Bürger über die Tatsache, bedürftigen werden aus dem deutschen Asylrecht daß wir alle in Bund und Ländern zur rechten Zeit gedrängt. Die raffinierten, zahlungskräftigen ,Asyl- keine Vorsorge getroffen haben, um auf den rapiden betrüger' haben die gleichen, wenn nicht bessere Zugang von ausländischen Schutzsuchenden sachge- Chancen als zuvor, eine Vielzahl von Menschen wird recht zu reagieren, sachgerecht im Sinne einer schnel- in die Illegalität gedrängt werden. Es wird sich im len Entscheidung über Asylanträge, über die Verkür- Bundesgebiet ein Sumpf von illegalen Einwanderern zung des Rechtsweges, auch über zeitbegrenzte 13686* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Unterbringung von Flüchtlingen in Sammelunter- Nur so kann neues Vertrauen in die Politik geschaffen künften, nicht zuletzt über eine bessere personelle werden. Ausstattung der Bundesdienststellen wie Zirndorf - Es gibt sicher immer noch strittige Punkte in dem sowie der Verwaltungsgerichte. Kurz zusammenge- Kompromiß. Die eine oder andere Neuregelung faßt: Es wäre unredlich, die Schwierigkeiten in unse- könnte ich mir auch anders vorstellen. So kann ich die ren Städten und Gemeinden zu negieren! Besorgnis vieler Menschen, insbesondere zur soge- Doch gerade weil ich diese Schwierigkeiten nicht nannten „Drittstaatenproblematik", gut nachempfin- verniedliche, sage ich, daß weder die vorgesehene den. Ich habe mich dazu schon zu lange mit der Grundgesetzänderung (mit den Folgegesetzen) noch Menschenrechtssituation vor allem in Ländern Afri- der vorgesehene Vertrag mit der polnischen Republik kas und Asiens beschäftigt. Ich denke, hier ist eine eine für die Bevölkerung wirklich spürbare Änderung möglichst konstruktive und rechtsstaatliche Handha- bringt. Nicht die Zuwanderung, nicht die legalen wie bung notwendig und möglich. Aber ein Kompromiß illegalen Versuche beim Grenzübertritt, nicht formale setzt beiderseitige Zugeständnisse voraus. oder sachlich begründete Asylansprüche, auch nicht Wie alle anderen habe ich mir die Entscheidung der Zufluß von Bürgerkriegsflüchtlingen werden nicht leicht gemacht. Ich denke aber, daß das Asyl- wirklich geringer werden. Die Zahlen Obhutsuchen- recht den heutigen Realitäten entsprechen muß, um es der werden sich nicht wesentlich reduzieren; das ist für politische Flüchtlinge wirklich bewahren zu kön- auch die Auffassung des stellvertretenden CDU/CSU- nen. Fraktionsvorsitzenden Johannes Gerster. Das bedeu- tet, daß sich eine Grundgesetzänderung zu A rtikel 16 Darüber hinaus muß aber endlich auch ein Einwan- GG sehr bald als Scheinlösung herausstellen wird. Die derungsgesetz geschaffen werden, um Zuwanderung Enttäuschung unserer Bürgerinnen und Bürger steuern zu können. Und es ist vor allem dringend gegenüber dieser vorgesehenen Entscheidung ist notwendig, daß die Fluchtursachen für die massiven damit vorprogrammiert. Die Quittung werden wir alle Flüchtlingsbewegungen, wesentlich mehr, als in der erhalten! Die Erwartung, daß die angestrebte Lösung Vergangenheit geschehen, bekämpft werden. einen Einstieg in eine insgesamt begrüßenswerte Im Verlauf der sicherlich notwendigen langen und europäische Lösung bringt, wird sich ebenfalls nach intensiven Diskussion sind rechtsextreme Gewalt und meiner Meinung als Selbsttäuschung erweisen. rechtsextremes Gedankengut aufgekommen. Dieser gefährlichen Entwicklung muß der politische und Und für diesen für mich erkennbaren Irrweg sollen soziale Nährboden entzogen werden. wir einen für den Menschenrechtskatalog unseres Grundgesetzes konstitutiven Pfeiler, „den Schutz der Wir müssen uns jetzt nach Beendigung der Asyl- politisch Verfolgten" , bis zur Unkenntlichkeit verän- rechtsdiskussion wieder den drängenden Problemen dern; verändern, nachdem wir bis zum Zusammen- der Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise, bruch des kommunistischen Staatensystems gerade des Aufbaus in den neuen Ländern und der Gestal- den im Kern unveränderbaren Grundwertebestand tung der sozialen Einheit zuwenden. Nur so können als freiheitliche Antwort ins Feld führen konnten, in wir Ausländerfeindlichkeit und Politikverdrossenheit eine Auseinandersetzung, in der wir bei den Nach- wirksam an ihren Wurzeln bekämpfen. barn in Europa Vertrauen, Vertrauen für das andere Deutschland gewannen. Hinrich Kuessner (SPD): Als Politiker aus Ost Ich bitte aber auch um Verständnis für mein Abstim- deutschland fällt es mir schwer, Gesetzen zuzustim- mungsverhalten, denn die eigene Familie und men, die den freien Zugang nach Deutschland ein- Freunde haben nach 1933 auch darunter leiden müs- schränken. Ein für mich wichtiges politisches Ziel sen, daß es eben damals nicht überall im nichtfaschi- nach der Öffnung der Mauer 1989 war es, den freien stischen Ausland möglich war, Schutz zu finden. Zugang zu verbessern und nicht einzuschränken. Ich Besonders schlimm war das für unsere jüdischen bedaure, daß ich zur Kenntnis nehmen muß, daß dies Mitbürger. Ihnen verweigerte man im westlichen nicht durchzusetzen ist. Es zeigt, daß wir in der Politik Ausland trotz der weltweit bekannten Verfolgung in noch viel machen müssen, um das friedliche Mitein- Nazi-Deutschland die schützende Aufnahme. Nur in ander in Europa und in der Welt zu ermöglichen. Das beschämend kleiner Zahl wurden sie diesseits und gemeinsame Haus Europa ist noch eine Vision und jenseits des Atlantiks aufgenommen. Dies alles keine Realität. zusammengenommen, läßt meine Zustimmung zu Die Änderung des Grundgesetzartikels 16 veranlaßt einer Grundgesetzänderung zu Artikel 16 und den mich, über die politischen Möglichkeiten für eine Folgegesetzen nicht zu. Verbesserung der Verhältnisse in Osteuropa und in der Dritten Welt nachzudenken. In Deutschland müs- sen wir uns darüber klar werden, daß wir auf einen Dr. Klaus Kübler (SPD): Ich kann in dieser Frage Teil unseres Wohlstandes zugunsten dieser Länder nicht gegen die große Mehrheit der Bevölkerung, die verzichten müssen. Nur so werden wir künftig Flücht- große Mehrheit der SPD-Wählerinnen und -Wähler lingsströme verhindern können. Es kann uns nicht nur und die große Mehrheit der SPD-Mitglieder in mei- um politisch Verfolgte gehen, auch Armutsflüchtlinge nem Wahlkreis entscheiden, wenn ich heute als haben ein Recht auf Leben. gewählter Abgeordneter über den Asylkompromiß abzustimmen habe. Ich stimme der Grundgesetzänderung zu, weil ich im politischen Umfeld in Deutschland keinen anderen Wichtig ist dabei für mich auch, daß die Bürger machbaren politischen Weg sehe. Eine weitere Radi- spüren, daß jetzt Entscheidungen ge troffen werden. kalisierung in Deutschland gefährdet unseren Weg in Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13687* die Demokratie, den wir im Osten gerade begonnen Änderungen bedarf es dann abermals einer Zweidrit- haben. Ich hoffe, daß wir mit dieser Änderung poli- telmehrheit des Deutschen Bundestags. Damit bleibt tisch Verfolgte schützen. Wenn dies sich in der Praxis das deutsche Asylrecht auch in Zukunft einzigartig in nicht so zeigt, müssen wir uns erneut mit diesem seiner Schwerfälligkeit. Kein anderer Staat hat sich in Thema befassen. seiner Gesetzgebung freiwillig so eingeengt. Bei dem nunmehr formulierten Kompromiß h andelt es sich um Bedenken habe ich bei dem § 34 a Absatz 2 des einen Minimalkonsens, der dem einfachen Gesetzge- Asylverfahrensgesetzes, dessen Rechtmäßigkeit mit ber keine Möglichkeit zu schnellen und flexiblen der neuen Formulierung in Artikel 16 a Absatz 2 Satz 3 Lösungen in der Zukunft gibt. Wir verlassen uns, trotz des Grundgesetzes begründet wird. Dieser Paragraph eines möglichen erheblichen Migrationsdrucks aus wird nach meinem Eindruck einer Überprüfung des verschiedenen Teilen der Welt, auf das Prinzip Hoff- Bundesverfassungsgerichtes nicht standhalten. Ich nung. Die Mitwirkung der Bundesländer bei der unterstütze darum den Änderungsantrag meiner Ausgestaltung, z. B. der Länderliste, erhöht die Infle- Fraktion. xibilität der neuen Asylgesetzgebung.

Editha Limbach (CDU/CSU): Asylrecht für politisch 3. Die Aufnahme von Asylbewerbern ist eine Verfolgte als Individualrecht ist für mich ein hohes gemeinsame europäische Aufgabe. Die Lasten müs- Verfassungsgut. Weil der A rt. 16 Grundgesetz aber im sen angemessen verteilt werden, und deshalb ist eine Laufe der Jahre immer stärker zu einem Zuwande- europäische Harmonisierung des Asylrechts erforder- rungsinstrument für Flüchtlinge aus anderen Not- lich. Eine solche Notwendigkeit der Harmonisierung gründen als denen der politischen Verfolgung gewor- in der Gemeinschaft ergibt sich auch bei Fortfall der den ist, halte ich eine Ergänzung des Grundgesetzes Binnengrenzen. In einem künftigen Europa muß ein für erforderlich. einheitliches Asylrecht herrschen. Nach Lage der Dinge kann als Basis für eine Harmonisierung des Der heute zur Abstimmung gestellte Antrag zur Asylrechts in Europa nur die Genfer Flüchtlingskon- Änderung des Grundgesetzes entspricht nicht in allen vention in Frage kommen. Der jetzige Kompromiß, der Punkten meinen Vorstellungen, insbesondere weil ich das individuelle Asylrecht bewahrt, geht über die die Gefahr sehe, daß in Zukunft der Fluchtweg für die Genfer Konvention hinaus und ist insofern als Basis für Anerkennung als politischer Flüchtling wichtiger eine Harmonisierung ungeeignet. Die fehlende Euro- werden könnte als die Fluchtgründe selbst. pafähigkeit der vorliegenden Regelung bleibt und Aber ohne Ergänzung des Grundgesetzes besteht wird einer Problemlösung weiterhin im Wege stehen. die Gefahr, daß das Asylrecht nicht auf Dauer gesi- So bleibt das Fazit: Der Asylkompromiß ist ein Schritt chert werden kann. Deshalb werde ich trotz meiner in die richtige Richtung, dem weitere Schritte werden Bedenken zustimmen. folgen müssen.

Heinrich Lummer (CDU/CSU): Dem vorliegenden Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Ich habe mir Kompromiß in der Asylfrage werde ich zustimmen, meine Entscheidung über die von CDU/CSU, F.D.P. weil er eine notwendige Verbesserung darstellt, die und SPD ausgehandelten Vorschläge zur Änderung nicht gefährdet werden darf. Es h andelt sich um einen des Asylrechts nicht einfach gemacht, denn die Schritt in die richtige Richtung, der Erleichterungen Bewertung läßt sich nicht in den Schablonen von bringen wird, aber keine Lösung des Problems. Der schwarz oder weiß vornehmen. Es ist sehr bedauer- Kompromiß hat nämlich gravierende Mängel, die mir lich, daß die öffentliche Debatte in großen Teilen sehr die Zustimmung schwer machen. Als Beispiele sind undifferenziert geführt wird. Insbesondere die in den dabei zu nennen: letzten Jahren veränderte Dimension der Wande- 1. Der Kompromiß orientiert mehr an dem, was rungsbewegungen durch die zunehmende Armut in machbar erschien, als an dem, was einer Lösung dient. den Entwicklungsländern und den Zusammenbruch Wegen der erforderlichen Zweidrittelmehrheit wurde Osteuropas ist bis heute in ihren realen Konsequenzen der kleinste gemeinsame Nenner zum Ziel. Und das, nicht hinreichend verarbeitet worden. nachdem jahrelang überhaupt nichts geschah. Jahre- Ich bin nach reiflicher Überlegung zu der Entschei- lang ist der erkennbare Wille der Mehrheit der Deut- dung gekommen, den „Asylkompromiß" abzulehnen. schen, das Asylrecht endlich einzuschränken, über- Ich habe persönlich lange Jahre mit und für ausländi- gangen worden. Unterdessen stiegen die Asylbewer- sche Mitbürgerinnen und Mitbürger gearbeitet, dies berzahlen immer schneller an. Hier zeigte sich eine hat mich persönlich und auch politisch geprägt. Ich Unfähigkeit der Politik, das Richtige rechtzeitig zu sehe in dem Vorschlag keinen hinreichenden Weg, tun, die leider mit dem unzureichenden Asylkompro- dem Gebot der Humanität und dem Schutz verfolgter miß fortgesetzt wird. Und täuschen wir uns nicht, es ist Menschen ausreichend Rechnung zu tragen. diese Handlungsunfähigkeit der Politik, die für die anwachsende Politikverdrossenheit in unserem Ge- Dabei will ich ausdrücklich hervorheben, daß meinwesen sorgt. Behauptungen, es sei ein Asylverhinderungsgesetz, nicht richtig sind. Auch weiterhin wird es in Deutsch- 2. Verfassungen sind keine Dienstanweisungen für land politisches Asyl geben. mittlere Beamte. Die inzwischen überall auftau- chende Sucht, Detailbestimmungen in der Verfassung Ich verkenne nicht, daß es stichhaltige Argumente festzuschreiben, macht die Politik unbeweglich für die Gesetzesänderung gibt. Ich stelle dies nicht in gegenüber neuen Entwicklungen. Im Falle neuer Frage. Auch hat die SPD in den Verhandlungen Herausforderungen und der Notwendigkeit weiterer wichtige Verbesserungen erreicht und drohende Ver- 13688* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 schlechterungen verhindert. Dies wird in der öffentli- Schwerkraft der erhalten gebliebenen Grundrechte chen Debatte leider kaum zur Kenntnis genommen. auf Asyl (Art. 16a Abs. 1 GG) und effektiven Rechts- schutz (Art. 19 Abs. 4 GG) die verfassungskonforme Mir ist bewußt, daß eine Ablehnung der Asylrechts-- Lockerung, zumindest bei eklatant rechtswidrigem änderung den Bürgerinnen und Bürgern viel abver- Verwaltungshandeln, erzwingen. So sehe ich die langt. Integration ist sehr viel schwieriger als Abschot- Asylbewerber, denen die Abschiebung ins Ungewisse tung. Deshalb ist es auch bedauerlich, daß viele drohen sollte, keineswegs schutz- und rechtlos. Nicht Kritiker der Änderungsvorschläge keine Antworten erst das Verfassungsgericht, sondern souveräne Ver- auf die drängenden sozialen Probleme geben und waltungsgerichte werden ihnen und der Verfassung mehr über Integration geredet wird, statt sie aktiv zu zu ihrem Recht verhelfen, wenn es nötig ist. betreiben. Die Diskussion wird auf beiden Seiten häufig nicht ehrlich geführt. Im Vertrauen auf die verfassungskonforme Aus- legung und Anwendung des Gesetzes durch die Dennoch lehne ich die Gesetzesänderungen ab. Ich Gerichte kann ich dem Asylkompromiß auch mit dem sehe darin keine geeignete Grundlage, die Zuwande- § 34 a des Asylverfahrensgesetzes zustimmen. rung in einer humanen und sozialverträglichen Weise zu gestalten. Doch gerade wir Deutschen haben eine besondere historische Pflicht zu Toleranz, Friedfertig- Peter W. Reuschenbach (SPD): In diesen Tagen keit und Mitmenschlichkeit ebenso wie zu einem stehen zwei junge Menschen vor Ge richt — angeklagt fairen und partnerschaft lichen Umgang mit den Men- des Mordes an drei türkischen Frauen in Mölln. Sie schen anderer Völker. sind vollverantwortliche Tatverdächtige, aber zu- gleich auch Opfer. Opfer einer beispiellosen, jahre- langen Agitations-Kampagne gegen Ausländer und Daß wir eine Neurege Margot von Renesse (SPD): Asylsuchende. „Durchrassung unserer Gesellschaft", lung des Asylrechts — einschließlich seines verfas- „Überfremdung durch Ausländer", „Wohlstandspa- sungsrechtlichen Fundaments in Art. 16 GG — brau- rasiten" und das „volle, jederzeit vom Untergang chen, ist für mich unbes treitbar. Das geltende Asyl- bedrohte Boot, in dem wir sitzen" — das waren recht hat sich zu einem nicht steuerbaren Instrument schäbige Höhepunkte einer Mobilisierung von Ag- von Einwanderung entwickelt, das auch dann Bleibe- gressionen, die dann auch Vollstrecker fanden. Und rechte nach sich zieht, wenn es gar nicht um Zuflucht über 400 000 durch Untätigkeit verursachte unerle- vor politischer Verfolgung oder unmenschlicher digte Asylverfahren sind benutzt worden, um Bedro- Behandlung geht. Das entspricht nicht der Zielset- hung ganz besonders plastisch und gefährlich an die zung des Grundrechts auf Asyl und schadet seiner Wand zu malen. Auf diesem düsteren Boden ist auch Verankerung im Rechtsbewußtsein. Die heute vorlie- die Aushöhlung und weitgehende Aufhebung des gende Neuregelung wäre nur dann ein Ang riff auf das Asylrechtes erwachsen, die heute beschlossen wer- Asylrecht, wenn sie zur Folge hätte, daß Verfolgte den soll. ihren Peinigern wieder ausgeliefert werden könnten. Diese Gefahr sehe ich nicht. Am Anfang standen die Forderung und das Ver- sprechen, Städte und Gemeinden bei der Aufnahme Ich sehe sie insbesondere auch nicht durch die und Unterbringung von Flüchtlingen und Asylsu- Vorschrift des § 34 a im Asylverfahrensgesetz näher- chenden zu entlasten und zu unterstützen. Nichts gerückt, wo den Ge richten die einstweilige Ausset- davon findet sich in den vorliegenden Gesetzentwür- zung „der Abschiebung in den sicheren Drittstaat" fen oder in der politischen Praxis. Auch künftig verwehrt ist. Zwar weiß ich, daß die Koalition allen werden die Kommunen aus eigener Kasse den Ernstes damit einen ganzen Zweig von Verwaltungs- Lebensunterhalt von Bürgerkriegsflüchtlingen zu handeln außerhalb jeder effektiven gerichtlichen zahlen haben und sie deshalb unnö tigerweise in die Kontrolle stellen will. Das dahinter lauernde Miß- Asylverfahren drängen. Auch künftig wird den Kom- trauen gegen die Verwaltungsgerichte empört mich; munen nur ein Teil ihrer Aufwendungen für den Bau der daraus folgende Anschlag auf ein Strukturelement von Wohnheimen erstattet und selbst darauf warten des Rechtsstaats macht mich fassungslos. Aber ich sie oft ein Jahr und länger. Nichts wird am Planungs- sehe nicht, daß diesem Anschlag mit dem heute zu und Baurecht geändert, obwohl zahlreiche Gerichts- verabschiedenden Gesetz Erfolg beschieden sein urteile den Städten den Bau von Flüchtlings-Wohn- wird. Was wir Sozialdemokraten deutlich ins Gesetz heimen mal in Wohngebieten, mal in Gewerbegebie- schreiben wollten — selbstbewußte Verwaltungsge- ten, dann in Grünflächen untersagt haben. Von dem richte werden es sich nehmen: die Kompetenz näm- Versprechen „Hilfe den Kommunen" ist wenig übrig- lich, in den wahrscheinlich nur wenigen Fällen, in geblieben. denen „der sichere Drittstaat" dem Asylbewerber erkennbar keine Sicherheit gewährleistet, die Zu- Es ist Doppelzüngigkeit, im Satz 1 der heute zu rückschiebung durch Beschluß auszusetzen. Meine beschließenden Grundgesetzänderung den Asyl- — familienrichterlichen — Erfahrungen mit dem schutz für politisch Verfolgte erneut zu postulieren, im § 620c ZPO lehren mich, daß Ge richte ihre Kontroll- Satz 2 es dagegen einem be trächtlichen Teil von ihnen aufgaben ernster nehmen, als es der Gesetzgeber zu verwehren, auch nur einen Prüfungsantrag zu manchmal erlauben möchte. Dafür finden sie auch die stellen, und sie sofort auszuweisen. Deutschland wird notwendigen Argumentationen, um das Gesetz, das künftig ein Zwei-Klassen-Asylrecht haben: Wer sich bekanntlich „klüger" ist als der Gesetzgeber, so das Flugzeug oder den Hochseedampfer leisten kann, auszulegen, daß die Dritte Gewalt ihre rechtsstaatli- darf einen Antrag stellen, wer dagegen auf dem che Funktion erfüllen kann. Für die Auslegung von billigeren Landweg an unsere Tür klopft, bleibt von § 34 a des Asylverfahrensgesetzes wird vor allem die vornherein davon ausgeschlossen. Absurd: Entschei- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13689* dend wird der Weg, die Verfolgung bleibt unbeach- und kommerzielle Schlepper strafrechtlich zu verfol- tet. gen. Es ist egoistisch, rücksichtslos und auch unchrist-- Ich habe mich dennoch in den letzten Jahren nie lich, Lasten, die Deutschland nicht tragen zu können grundsätzlich gegen eine Grundgesetzänderung aus- glaubt, unseren Nachbarländern, vor allem den deut- gesprochen, wenn eine tatsächliche Ausschöpfung lich ärmeren, aufzubürden. „Nehmt Geld und seht zu, aller gegebenen Möglichkeiten im Rahmen des bishe- wie Ihr mit den geflohenen Menschen fertig werdet" rigen Verfassungstextes nicht zur Lösung des Pro- — das ist das Motto, nach dem insbesondere mit Polen blems ausreichen sollte. Unter diesen Umständen und der Tschechei umgegangen wird. hätte ich auch einer Ergänzung des Grundgesetzes um den Satz zugestimmt, wonach Näheres durch ein Warum soll diesen Ländern nicht billig sein, was Gesetz zu regeln sei. Deutschland recht ist? Auch sie werden früher oder später gegenüber ihren östlichen und südöstlichen Doch die jetzt anstehende Änderung entstellt die Nachbarn die Grenzen für Flüchtlinge dichtmachen, Verfassung, indem sie für unterschiedliche Fälle sogar so wie es mit unseren Grenzen heute vermutlich die Einzelheiten festlegt, wie sie so nur in Ausfüh- geschieht. Land nach L and — wie Dominosteine, die rungsgesetze passen. Aus vier verständlichen Worten nacheinander fallen. Und am Ende Rumänien und des bisherigen Grundgesetzes werden 265 schwer Bulgarien gegenüber der Türkei. Dann mag beispiels- verständliche. Die neue Verfassung erweckt so den weise der verfolgte Kurde sehen, wo er bleibt. Eindruck — besonders im Verhältnis zu den anderen Deutschland weist einen teuflischen Weg. Grundrechtsartikeln — einer Republik in solch pani- scher Angst vor Flüchtlingen, daß sogar in der Verfas- Der UN-Flüchtlingskommissar in Deutschland hat sung unterschiedlichste Ein- und Ausreisedetails ja leider recht mit dem Hinweis, daß die deutsche geregelt sind. Ein Gesetz kann ständig geändert Regelung das gesamte europäische System des werden, wenn es sich als korrekturbedürftig erweist. Flüchtlingsschutzes zum Einsturz bringt. Aber was ist, wenn sich die neue Verfassung als Ich hoffe sehr, daß dem Bundesverfassungsgericht unpraktikabel erweist? In kaum noch nachvollziehba- bald Gelegenheit gegeben wird, diese Grundgesetz ren Schachtelsätzen wird eine hochkomplizierte Ver- Amputation zu überprüfen. Ich kann mich nicht damit fassungsvorschrift gemeißelt, die kaum noch positiv abfinden, daß die scheußliche und verbal von allen korrigierbar ist und uns demnächst von einem Rechts- hier im Haus bekämpfte Parole „Deutschland den dilemma in das nächste mit uferlosen Verstrickungen Deutschen" sich auf dem heute zur Entscheidung treibt, die größer werden können als die bisherigen, stehenden Weg auf Dauer durchsetzt. ohne daß wir uns davon lösen können. Einer dieser Punkte ist die politisch hochproblema- Der heutige Tag ist für mich einer der bittersten tische Regelung, die sogenannten Nicht-Verfolger- Tage in den 20 Jahren Parlamentszugehörigkeit. staaten jeweils per Gesetz festzulegen. Ahnen wir nicht, was es außenpolitisch bedeutet, wenn wir uns Dr. Hermann Scheer (SPD): Der zur Abstimmung durch Gesetzgebungsverfahren zum öffentlichen ge- stehenden Änderung des Grundgesetzes zum Arti- setzgebenden Richter über die innere Ordnung poten- kel 16 werde ich nicht zustimmen. Im Gegensatz dazu tiell jeden Landes machen? stimme ich jedoch dem anschließend zur Abstimmung Die Bundesrepublik Deutschl and hat keineswegs stehenden Gesetz zur Neuregelung der Leistungen an die alleinige, aber eine wesentliche Mitverantwor- Asylbewerber und dem Gesetz zur Änderung asylver- tung für die soziale Lage in der Welt. Ich teile die fahrens-, ausländer- und staatsangehörigkeitsrechtli- Auffassung, daß mit jeder Mark, die wir hier für sozial cher Vorschriften — einschließlich des Änderungsan- motivierte Flüchtlinge ausgeben, einer vielfachen trages der SPD-Bundestagsfraktion zu § 34 a — zu. Die Zahl von Menschen in Entwicklungsländern geholfen Gründe meiner reiflich überlegten Ablehnung der werden kann und dort das Geld besser verwendet vorliegenden Verfassungsänderung sind folgende: wäre. Es ist ein Mißverständnis, für einige hundert- Es war und ist auch aus meiner Sicht zwingend tausend Immigranten viermal mehr Geld auszugeben notwendig, die Inanspruchnahme des Grundrechts als für die gesamte Entwicklungshilfe. Aber dieses auf Asyl auf tatsächlich politisch Verfolgte zu Argument können nur diejenigen in Anspruch neh- beschränken. Aber erstmals in der Verfassungsge- men, die für eine Erhöhung der Entwicklungshilfe schichte wird eine Verfassung geändert, ohne daß die sind — und nicht diejenigen, die sich dem verweigern geltende Gesetzgebung tatsächlich ausgeschöpft oder gar die Entwicklungshilfe senken, an der weite- oder die auch im Rahmen der bisherigen Verfassung ren hemmungslosen Ausplünderung der Dritten Welt bestehenden weiteren Gesetzgebungsmöglichkeiten mitwirken und damit dazu beitragen, daß Flüchtlings- in vollem Umfang versucht wurden. Das bisher gel- ströme anwachsen, und die statt an einer neuen tende Grundgesetz hat nicht vorgeschrieben, daß Entwicklungspolitik lieber am Aufbau neuer Luft- und jeder Asylbewerber einen Anspruch auf ein mehrstu- Seerüstungen gegen die armen Regionen der Welt figes gerichtliches Anerkennungsverfahren hat. Es mitwirken. hat nicht verboten, kriminell gewordene Bewerber Mit diesen — die demnächst erneut von ihren oder solche, die die Angabe ihrer Identität und damit falschen Schwerpunkten und ihrer politischen Inkom- die Prüfbarkeit ihrer Motive verweigern, aus dem petenz durch weitere Forderungen nach Verschär- Verfahren auszuschließen — und auch nicht, die fung des Grundgesetzes ablenken werden — kann ich zuständigen Behörden mit dem erforderlichen Perso- keine gemeinsame Änderung eines so problematisch nal auszustatten, was bis jetzt noch nicht erfolgt ist, formulierten Grundgesetzes vornehmen. 13690* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Gleichwohl habe ich Verständnis für diejenigen stungen. Auch wir von der SPD werden die sozialen Kollegen meiner eigenen Partei, die in der zugespitz- Verwerfungen in unserem Land durch die verfehlte ten Lage, die sich auf die Änderung des Grundgeset-- Politik dieser Regierung bei einem Regierungswech- zes fixiert hat, jetzt der vorliegenden Änderung sel 1994 nicht kurzfristig lösen können. Deshalb zustimmen. müssen wir uns der Überforderung der Bevölkerung stellen. Siegfried Scheffler (SPD): Wenn wir heute hier im 2. Die Bewältigung der Belastungen in den Städten Bonner Wasserwerk unter besonderen äußeren und Gemeinden ist auch deshalb so schwierig, weil Bedingungen das Pro und Contra einer Grundgesetz- der ganz überwiegende Teil der bei uns um Asyl änderung diskutieren, so möchte auch ich mich nicht nachsuchenden Menschen aus wirtschaftlicher Not hinter einer wahrscheinlichen Mehrheit von Befür- nach Deutschland einwandert. Ich verurteile das wortern verstecken, sondern Ihnen offen meine nicht, haben doch gerade aus diesem Grund viele Gründe für die Zustimmung einer Gesetzesänderung Familien in der damaligen DDR ihre Heimat verlas- vortragen. Dabei möchte ich vorausschicken, daß es sen; denn nicht alle wurden politisch verfolgt. Aber für mich am heutigen Tag in meiner bisherigen kann die Bundesrepublik Deutschland in einem parlamentarischen Arbeit die schwierigste Entschei- zukünftig vereinten Europa alle aus wi rtschaftlicher dung zu einem Gesetz sein wird. Einem Gesetz, daß Not zu uns kommenden Flüchtlinge alleine aufneh- nach Aussagen auch von Mitgliedern meiner Fraktion men? Und ist es nicht falsch, wenn 90% aller Asylbe- nicht geklärte rechtliche Bedenken enthält. Es ist auch werber, die nach dem geltendem Recht keine aner- deshalb für mich nicht leicht, einem Gesetz zuzustim- kannten Asylanten werden können, die freie Wahl men, das nach Öffnung der Mauer und Beseitigung nutzen dürfen, in welchem Land Europas sie Asyl des eisernen Vorhanges die Aufnahme von Menschen erhalten, und sie deshalb ihr Asyl zu fast 65 % nur hier in unser vereintes Deutschl and regulieren und sicher in Deutschland durchsetzen? Vor diesem Hintergrund langfristig reduzieren wird. müssen wir mit dem erzielten Kompromiß leben, Was sind nun diese Gründe, die mich veranlassen, können aber nicht zufrieden sein. Deshalb müssen trotz rechtlicher, politischer und auch persönlicher zukünftig mehr als bisher unsere westlichen Nachbar- nicht restlos beseitigter Zweifel diesem Gesetz meine staaten in eine europäische Zuwanderung einbezo- Zustimmung nicht zu versagen? gen und notfalls eine europäische Harmonisierung 1. Seit Monaten streiten sich die Parteien um den durchgesetzt werden, dies auf der Grundlage von richtigen Weg in der Asyl- und Zuwanderungspolitik. GFK und MERK, auch selbstverständlich unter Einbe- Aber nicht nur in den Parteien wird heftig um eine ziehung der östlichen und südöstlichen Nachbarstaa- Lösung gestritten, auch die Bevölkerung wirkt indi- ten. rekt an der geplanten Asylrechtsänderung mit. Dabei Durchgesetzt werden muß in diesem Zusammen- gibt es den einen Teil, der trotz steigender Zuwande- hang aber auch eine Abkehr von der bisherigen rung die geplante Asylrechtsänderung ablehnt. Sie nationalen und internationalen Entwicklungspolitik. fordern uns Abgeordnete, insbesondere die der SPD Diese in der Vergangenheit ausnahmslos auf natio- auf, keinesfalls an der Neuregelung des Grundgeset- nale Interessen ausgerichtete Politik hat unbestritten zes mitzuwirken. Ein anderer großer Teil der Bevöl- zu den grundlegenden Fluchtursachen beigetragen. kerung dagegen wirft uns mangelnde Entschlossen- Hier sollte auch zukünftig die Politik ansetzen, um den heit bei der Bewältigung der objektiv veränderten von Hunger und Elend bedrohten Menschen in ihren gesellschaftlichen Verhältnisse vor. Sie werfen auch Heimatländern auf Dauer ein menschenwürdiges hier wieder der SPD vor, sich nicht konsequent genug Dasein zu schaffen. gegen den Mißbrauch des Asylrechts und damit den Schutz der tatsächlich politisch Verfolgten einzuset- 3. Als Bestandteil der heutigen Debatte ist auch über zen. das Asylbewerberleistungsgesetz abzustimmen. Wie bei der zuvor genannten Problematik konnte auch In unzähligen persönlichen Gesprächen mit meiner hier, in für die SPD wesentlichen Fragen, ein Kompro- Parteibasis im Wahlkreis, mit den Arbeiterinnen und miß erzielt werden. Bei diesem Sachverhalt waren die Arbeitern der Unternehmen, den Arbeitgebern, den Fragen der Bevölkerung nach den sozialen Leistun- Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes, den Mitglie- gen an Asylbewerber gegenüber denen für die sozial dern der Arbeiterwohlfahrt, den vielen Rentnerinnen Schwächsten im eigenen Land immer drängender. So und Rentnern und nicht zuletzt der Gesprächspartner stand insbesondere die Reduzierung der bisherigen auf der Straße haben sie mich als Abgeordneten ihres Leistungen im Vordergrund der Bemühungen. Es ist Wahlkreises immer wieder aufgefordert: „Ihr in Bonn, zu begrüßen, daß sowohl eine deutliche Absenkung entscheidet endlich über eine Neuregelung der Asyl- der bisherigen Geldzuwendungen erfolgen soll und problematik! " Ist das etwa dem Druck der Straße daß bei Aufenthalten in zentralen Anlaufstellen oder nachgeben? Ich sage nein. Wir sind als Abgeordnete Gemeinschaftsunterkünften zukünftig Sachleistun- verpflichtet, Verunsicherungen und berechtigte Äng- gen gewährt werden, was auch außerhalb der ste und Sorgen um die eigenen Lebensgrundlagen genannten Unterkunft vorrangig gilt. Richtig ist in ernst zu nehmen, um sie hier in Bonn einer Lösung diesem Zusammenhang, daß Asylbewerber, über zuzuführen. Es sind schon lange keine Stammtischpa- deren Antrag nach zwölf Monaten nicht entschieden rolen oder von mir nur vorgetäuschte Gewissenskon- wurde, entsprechende Leistungen nach dem Bundes- flikte; es sind reale Existenznöte unserer Bürger über sozialhilfegesetz erhalten. den Arbeitsplatz, über die Wohnungsnot, über die steigende Kriminalität und innere Sicherheit und Lassen Sie mich abschließend auf einen grundsätz- nicht zuletzt über nicht mehr bezahlbare Soziallei lich enttäuschenden Tatbestand hinweisen, die Tatsa- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13691* che, daß durch eine heutige Grundgesetzänderung Fast auf den Tag genau vor 44 Jahren ist das eine kurzfristige Lösung aller genannten Probleme Grundgesetz verkündet worden. Zu einem Zeitpunkt, nicht erfolgen wird. Hier werfe ich den Unionspar- als Millionen von Menschen durch den Zweiten Welt- - teien durch ihre flachen Diskussionen vor, bei den krieg zu Flüchtlingen geworden waren, hat Carlo Menschen in unserem Land Hoffnungen geweckt zu Schmid im Parlamentarischen Rat die Worte gefun- haben, die so nicht erfüllbar sind. Dieses ist unverant- den, die bis zum heutigen Tag und über ihn hinaus wortlich und sollte bei den weiteren Beratungen zur nichts von ihrem Wert verloren haben: Lösung der Zuwanderungsprobleme dringendst be- Die Asylrechtgewährung ist immer eine Frage der achtet werden. Generosität, und wenn man generös sein will, dann muß man riskieren, sich gegebenenfalls in der Politisch Verfolgte erhalten Asyl. Auch nach der Person geirrt zu haben. Das ist eine Seite davon, Grundgesetzänderung wird dieser Anspruch Bestand und darin liegt vielleicht auch die Würde eines haben, nicht nur dem Wortlaut nach. Ich denke aber, solchen Aktes. es kann nicht sein, daß die Bundesrepublik Deutsch- land auf Grund ihrer besonderen geographischen Das sollten wir auch im Jahr 1993 beherzigen — es Lage das Land ist, daß die Asyl- und Zuwanderungs- muß uns auch weiterhin Verpflichtung und Vision probleme zu zwei Dritteln für Europa lösen muß. Der bleiben. erreichte Kompromiß ist nicht restlos befriedigend, aber er ist ein Einstieg bei der Lösung des Problems. Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Ich stimme der Deshalb stimme ich der Grundgesetzänderung zu. Änderung des Grundgesetzes in der zwischen Regie- rung und Opposition vereinbarten Form zu, empfinde dabei aber eine außerordentliche Gewissensnot, denn Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Als Mitglied des Deut schen Bundestages, nur meinem Gewissen verpflich- bei der Neuregelung des Asylrechts stehen mehrere tet, kann ich dem Gesetzentwurf der Fraktionen von Rechtsgüter im Widerstreit, die nach meiner Überzeu- CDU/CSU, SPD und F.D.P. zur Neuregelung des gung bei gutem politischen Willen und bei rechtzeiti- Asylrechts im Grundgesetz nicht zustimmen. ger politischer Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg zu einer positiven Lösung hätten geführt Das Asylrecht ist seit 1949 eine Zierde, ein Quali- werden können. Ich will selbstkritisch zugestehen, tätsmerkmal unserer bundesdeutschen Verfassung, daß die SPD in Bund und Ländern und auch ich selbst das einzige Grundrecht mit einer altruistischen Ziel- durch eine zögerliche (aber am Rechtsfrieden orien- richtung. Es ist ein kostbares Gut, zu kostbar, als daß tierte) Haltung einiges dazu beigetragen haben. es verdient hätte, durch Formelkompromisse seiner Immer wieder waren wir der Meinung (und ich bin es Würde entkleidet zu werden. Wir geben damit viel aus in wesentlichen Teilen auch heute noch), daß unter- der Hand, ohne etwas dafür zu gewinnen. halb einer Verfassungsänderung ein großer Teil der Wir brauchen auch weiterhin ein Asylrecht, das Zuwanderungsprobleme beherrschbar sein müßte. diesen Namen verdient, das Substanz besitzt und Das mit den Koalitionsparteien gemeinsam erarbei- nicht bloße Fassade ist, hinter der faktisch kaum noch tete Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, das etwas zu finden ist. schon seit 1.7.1992 in Kraft ist, hat diese Hoffnungen untermauert. Ich bin in diesem Zusammenhang stolz Gleichzeitig brauchen wir eine deutliche Verfah- darauf, daß meine Freunde und ich sehr ernsthaft rensbeschleunigung und auch Maßnahmen, die das bemüht sind, die Grundüberzeugungen unserer Ver- bewußte Unterlaufen des Asylrechts einschränken fassung zu achten und nicht bei jeder neuen Lage können. Deshalb finden die in diese Richtung zielen- populistisch über Bord zu kippen. den Begleitgesetze, auch das Leistungsgesetz, meine Zustimmung. Auch den Art. 2 und 3 der Drucksache Ich verurteile in diesem Zusammenhang zutiefst die Nr.12/4450 stimme ich zu. Politik und das Handeln der Bundesregierung, die durch mehrjähriges weitgehendes Nichtstun erheb- Der Asylweg muß wieder für tatsächlich politisch lich dazu beigetragen hat, den jetztigen Druck entste- Verfolgte — und ausschließlich für sie — reserviert hen zu lassen und damit die politische Brisanz zu sein. Aber er muß ihnen auch tatsächlich noch offen- verschärfen. Auch eine europäische Lösung ist nicht stehen! Geschlossene Tore sind kein sinnvolles aktiv eingeleitet worden. Die SPD hat zwar einen Rezept gegen den Migrationsdruck. Die scheinbare Sonderparteitag gebraucht, um ihre Linie festzulegen Erfolgsmeldung „Weniger Asylbewerber! " wäre zu („Flüchtlingen helfen, Zuwanderung steuern, Kom- teuer erkauft. Die neue Schlagzeile könnte bald munen entlasten"), aber auf Regierungsseite war von lauten: „Mehr illegale Zuwanderer!" mit der Folge, konzeptionellen Lösungen lange nichts zu spüren. daß die Enttäuschung über die politisch Handelnden Nicht zuletzt durch die immerwährende Behauptung und auch die Ablehnung von Fremden in unserer der CDU/CSU, nur durch eine Änderung/Ergänzung Gesellschaft zunehmen dürften. des Art. 16 Grundgesetz würde „die Lösung" der Auf Dauer werden wir an einem ergänzenden Probleme erreicht werden, hat die öffentliche Diskus- Zuwanderungs(begrenzungs)gesetz nicht vorbei- sion unnötig angeheizt. Die Vereinfacher und Heuch- kommen, das über das Mittel der Quotierung einer ler haben zu lange die Szene beherrscht (auch in den gewissen Zahl von Einwanderern die Chance gibt, Medien). legal nach Deutschland zu kommen. Unsere Gesell- Viele ernstzunehmende Stimmen, zum Beispiel der schaft wird in Zukunft nicht zuletzt auch auf eine sehr Rat der Evangelischen Kirche, die Deutsche Katholi- behutsam dosierte Zuwanderung angewiesen sein, sche Bischofskonferenz, der Flüchtlingskommissar um die Folgen des Rückgangs der eigenen Bevölke- der Vereinten Nationen und amnesty international, rung abzumildern. warnen vor derart weitgehenden Schritten. Dennoch 13692* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 kann niemand an der tatsächlichen Verschärfung der sche Asylrecht so ändern müssen, daß sein massen- Situation in jeder deutschen Stadt vorbeisehen. Der hafter Mißbrauch nicht länger möglich ist. Daß sie Mißbrauch des Asylrechts findet hunderttausendfach- dazu nicht die Kraft fanden, zeigt einen fatalen statt. Die Zuzugszahlen von Asylantragstellern und Mangel an Konsensfähigkeit und hat damit wesent- von deutschstämmigen Aussiedlern schaffen massive lich zur Politikverdrossenheit im Lande beigetragen. Probleme am Wohungsmarkt, in der sozialen Situa tion Die Hauptschuld daran trägt ohne Zweifel die SPD, der Menschen und in der Fin anz- und Organisations- die auf Grund ihrer festgefahrenen ideologischen kraft der Gemeinden. Die aufgeheizte Stimmung Positionen nur schwer zu rationalem politischen Han- unter den Mitbürgern gefährdet auch das Zusammen- deln fähig ist. leben mit den schon l ange hier wohnenden Auslän- dern. Der vorliegende mühsam ausgehandelte Asylkom- Nur eine wirksame Begrenzung und Steuerung des promiß stellt ein kompliziertes und teilweise hetero- Zuzugs kann die Substanz des Asylrechts und ein genes Geflecht von Rechtsvorschriften dar, um den einigermaßen friedliches Zusammenleben retten. massenhaften Asylmißbrauch einzudämmen. Ich Diese Überzeugung hat mich schließlich zum Einlen- stimme ihm zu, weil jede weitere Verzögerung unse- ken in meiner Haltung gebracht. Ich hoffe, daß die rem Volk nicht zugemutet werden kann und abseh- jetzigen Asylrechtsänderungen dazu einen Beitrag bare Schwierigkeiten und Konflikte befürchten läßt. leisten. Zugleich warne ich davor zu glauben, daß damit alle Probleme im Griff seien. Ich habe erhebli- Ich erkläre jedoch zugleich, daß dieser Kompromiß che verfassungsrechtliche Zweifel an der Änderung schwerwiegende Mängel aufweist: des Asylverfahrensrechts, die die Rechtsstaatlichkeit stark einschränkt. Ich begrüße die Beschränkungen 1. Der zusätzlich eingefügte Artikel 16a ist ein der Leistungen an die Asylbewerber, weil dadurch der Fremdkörper in unserem Grundgesetz. Er paßt unnötige finanzielle Anreiz entfällt. Es bleibt Hand- sowohl durch seine Länge als durch die Spezifik lungsbedarf vor allem auf Regierungsseite, die nun seiner Formulierung nicht zu der knappen und mit dem von ihr durchgesetzten Instrumenta rium einfachen Sprache des Grundgesetzes. beweisen muß, daß ihre vollmundigen Behauptungen wenigstens zum Teil einen realen Hintergrund hatten. 2. Die Festlegung von sicheren Drittstaaten und Bei den von der SPD noch geplanten weiteren Aktivi- sicheren Herkunftsstaaten per Gesetz ist, wie sich täten werden die Bürgerkriegs-Flüchtlinge, das bereits im Vorfeld zur Genüge gezeigt hat, eine besondere Schicksal von Kinder-Flüchtlingen, die Quelle außen- und innenpolitischer Meinungsver- europäischen Lösungen eine besondere Rolle spielen. schiedenheiten, deren Austragung sowohl unserer Dafür werde ich mich in Zukunft besonders einset- Demokratie als auch unserem Ansehen in der Welt zen. schaden wird.

Dr. Christoph Schnittler (F.D.P.) Mit der Aufnahme 3. Die politische Situation an vielen Punkten dieser des Grundrechtes auf Asyl ins Grundgesetz der Bun- Welt ist heute wesentlich instabiler als zu Zeiten desrepublik Deutschland haben die Väter des Grund- des Kalten Krieges. Plötzliche Veränderungen sind gesetzes zum damaligen Zeitpunkt eine weise Ent- daher zu befürchten, die auch den Asylanten- und scheidung getroffen: Sie haben demonstriert, daß Flüchtlingsstrom nach Deutschl and qualitativ und Deutschland mit seiner nationalsozialistischen Ver- quantitativ drastisch beeinflussen können. Die vor- gangenheit gebrochen und sich seiner historischen liegende Neufassung des Asylrechts ist keines- Schuld gestellt hat. Zugleich war die mit dem Asyl- wegs so einfach und flexibel, daß in Zukunft grundrecht übernommene Pflicht zwar wei treichend, angemessene und rasche Reaktionen möglich sein aber erfüllbar. werden.

Mit dem Zusammenbruch des kommunistischen 4. Während auf der einen Seite der Schutz vor politi- Weltsystems und dem Wegfall des Eisernen Vorhangs scher Verfolgung als Individualgrundrecht auf- hat sich diese Situa tion grundlegend geändert: In das recht erhalten wird, ist es in Zukunft wirklich wohlhabende Deutschl and ist eine unaufhörlich politisch Verfolgten nur noch schwer möglich, wachsende Flut von Asylbewerbern eingeströmt, die überhaupt nach Deutschl and einzureisen. Die mit Ausnahme eines geringen Bruchteils nicht poli- Ehrlichkeit deutscher Politik wird dadurch für tisch verfolgt waren, sondern aus vorwiegend wirt- viele Menschen im In- und Ausland in Frage ge- schaftlichen Gründen kamen. Damit wurde nicht nur stellt. das Grundrecht auf Asyl ausgehöhlt und ad absurdum geführt. Die Bereitschaft des deutschen Volkes, Men- schen aus aller Herren Länder aufzunehmen und mit Ehrlicher und politisch vernünftiger wäre es ange- hohen Kosten zu versorgen, wurde überfordert. Damit sichts dieser Umstände gewesen, das Asylrecht nicht war zugleich ein gefährlicher Nährboden für rechtsra- länger als Individualgrundrecht im Grundgesetz zu dikale Bewegungen und Gewalttaten entstanden, die verankern. Damit wäre der Weg frei für eine Ausge- es bisher in diesem Umfang auch nicht annähernd staltung, die sowohl unseren Pflichten im Rahmen der gab. Genfer Flüchtlingskonvention nachzukommen ge- stattet als auch die Deutschen in der gegenwärtig Spätestens zum Zeitpunkt der deutschen Einheit schwierigen nationalen Situa tion wirtschafltich, sozial hätten die Politiker handeln müssen, d. h. das deut und psychologisch nicht überfordert. Zudem erfordert Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13693* das Asylproblem ohnehin eine einheitliche europäi- tung berechtigter Bürgerinteressen. Wir erfahren die sche Rechtsgrundlage. mit dem Zustrom ausländischer Menschen verbunde- nen kommunalen und innenpolitischen Probleme täg- Solidarität mit Bedrängten und Verfolgten- soll für uns Deutsche auch weiterhin eine vornehme Pflicht lich am eigenen Leib. Manifeste Ausländerfeindlich- bleiben. Aber in einer Demokratie gelingt das auf keit und drohende Radikalisierung machen auch uns Dauer nur, wenn sich die Menschen dieser Pflicht große Sorgen. Insgesamt sehen wir die mit dieser freiwillig unterziehen und sie ihnen nicht verordnet Zuwanderung einhergehenden Gefahren für das wird. Für diejenigen am Ende der sozialen Leiter gilt soziale Zusammenleben, für Rechtsstaat, Rechtssi- das ganz besonders; deutsche Politiker sollten für ihre cherheit und Demokratie in Deutschland. Deshalb Nöte und Ängste niemals die notwendige Sensibilität sind auch wir grundsätzlich bereit, der massenhaften verlieren. Zuwanderung entgegenzutreten, human, sozial und rechtsstaatlich, aber auch effektiv. Offene Tore für alle Und schließlich, deutsche Politik sollte vor allem Bedrängten dieser Welt kann es nicht geben. darauf gerichtet sein, die Ursachen des Flüchtlings- elends am Entstehungsort zu bekämpfen. Dies ist der Aber wir sind überzeugt: Die Aushöhlung eines einzige Weg, das Leben für viele erträglicher zu wertvollen Grundrechts, einige höchst problemati- gestalten. Denn trotz der ständig steigenden Asylbe- sche Verfahrenseingriffe und der Abbau rechtsstaatli- werberzahlen: Es könnte immer nur ein winziger cher Sicherungen sind angesichts der Größe der Bruchteil der Notleidenden dieser Welt sein, denen Probleme für deren Lösung auch unter dem Gesichts- wir in Deutschland helfen können. punkt der Effektivität völlig ungeeignet. Bei Fortdau- ern aller sonstigen beklagenswerten Mängel deut- Dr. Rudolf Schöfberger, scher Politik wird sich über Jahr und Tag herausstel- Hans Büttner (Ingolstadt), len, daß auch dieser „Asylkompromiß" nur eine vor- Horst Kubatschka, Uwe Lambinus, übergehende Beruhigungspille fürs Volk war, aber Ulrike Mascher, Heide Mattischeck, den Flüchtlingsstrom nicht eingedämmt hat. Solchen Dr. Martin Pfaff, verfassungsrechtlich höchst bedenklichen, dann aber Horst Schmidbauer (Nürnberg), auch noch uneffektiven Gesetzen können wir beim Erika Simm , Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, besten Willen nicht zustimmen. Ludwig Stiegler, Uta Titze-Stecher (alle SPD): Aber auch die bloße idealistische Verteidigung eines Grundrechts, wie sie uns viele achtbare Mitbür- Wir stimmen bei den Abstimmungen über den gerinnen und Mitbürger in mannigfaltigen Botschaf- „Asylkompromiß" wie zahlreiche andere Sozialdemo- ten abverlangt haben, ist angesichts der aufgestauten kratinnen und Sozialdemokraten unter Berufung auf Probleme jedenfalls für uns Sozialdemokraten zwar unser Gewissen mit Nein und geben hierzu folgende eine wichtige, aber noch lange keine hinreichende Erklärung ab: Politik. Ein Grundrecht kann auch so l ange hochge- Das Menschenrecht auf Asyl für politisch Verfolgte halten werden, bis es von der hereinbrechenden ist wesentlicher Bestandteil humanistischer und Realität zertrümmert wird. Je mehr nicht politisch christlicher Tradi tion sowie Ausdruck unantastbarer Verfolgte Asyl beanspruchen, desto geringer wird die Menschenwürde. In Deutschland ist das Grundrecht Chance für tatsächlich politisch Verfolgte, rasch und des Art. 16 GG zudem ein Verfassungspostulat, das verläßlich Asyl zu erhalten. auf den bitteren Erfahrungen unter der Gewaltherr- schaft der Nazis gründet. Deshalb hat dieses Grund- Wir erstreben als engagierte Sozialdemokraten eine recht für uns einen besonderen Wert. Politik, die nicht Flüchtlinge, sondern weltweit Flucht- Auch künftig sollen in Deutschland fremde Men- ursachen bekämpft. Dazu gehört zunächst eine neue schen, die wegen ihrer Rasse, ihrer Sprache, ihrer Weltflüchtlingspolitik aller Industrienationen, langfri- Heimat und Herkunft, ihres Glaubens, ihrer religiösen stig aber eine grundlegend andere Friedens-, Welt und politischen Anschauungen oder ihres Geschlech- wirtschafts- und Entwicklungspoli tik. Dazu gehören tes mit akuter Gefahr für Leib und Leben politisch Eindämmung der Bevölkerungsexplosion, Umsteuern verfolgt werden, ungeschmälert Zuflucht und Schutz von Geldströmen aus Militärhaushalten und Rü- finden. stungswirtschaft in globale Humanprogramme und Sozialsysteme, fairer Welthandel ohne schamlose Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte wird Ausbeutung der Dritten Welt, internationale wie aber auch von Hunderttausenden von Menschen, die nationale Verbote von Waffenlieferungen, effektive aus verständlichen Gründen wie Hunger und Not, internationale Solidarität gegen menschenverach- Armut und Elend, Arbeitslosigkeit und Ausbeutung, tende Diktaturen und völkermordende Kriegstreiber, Krieg und Bürgerkrieg oder einfach auf der Suche ein massives Einwirken auf „Partner" wie die Türkei, nach einem besseren Leben aus ihrer Heimat fliehen, die uns jährlich mit Zehntausenden von (kurdischen) als einzige Einwanderungschance benutzt. Diese Flüchtlingen versorgen, interna tional abgestimmte Menschen verdienen in aller Regel andere solidari- Siedlungsprogramme, für Deutschland nicht zuletzt sche Hilfen, aber das Grundrecht auf Asyl ist für sie eine Politik, die erwünschte, maßvoll begrenzte und weder vorgesehen noch geeignet. gesteuerte Zuwanderung nebst Einbürgerung ermög- Wir verstehen die durch diesen Flüchtlingsstrom licht. Das gelingt sicher nicht von heute auf morgen verursachten Gefühle und Bedenken, die Sorgen, ja und in einem Wurf. Aber leider waren zu einer solchen den Mißmut vieler unserer Mitbürgerinnen und Mit- neuen Politik die Regierenden der reichen Nationen, bürger. Humanitäre Hilfsbereitschaft gegenüber insbesondere auch die der Bundesrepublik Deutsch- Flüchtlingen rechtfertigt andererseits keine Mißach land, bisher nicht einmal ansatzweise willens oder 13694* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 fähig. Wenn weiterhin nicht mehr geschieht als ein Nach reiflicher Güterabwägung und sorgfältiger „Asylkompromiß", rücken wir unausweichlich vor die Gewissensprüfung können wir dem „Asylkompro- Alternative, mit Millionenheeren anströmender- Ar- miß " nicht zustimmen. men teilen zu lernen oder, für Sozialdemokraten wie Christen unannehmbar, sich einzumauern und auf Flüchtlingsströme zu schießen. Antje-Marie Steen (SPD): Hiermit gebe ich folgende Erklärung zur Abstimmung über die Drucksache Nr. Im einzelnen lehnen wir den „Asylkompromiß" aus 12/4984 ab: Ich stimme dem Gesetzentwurf nicht zu, folgenden Gründen ab: da ich eine mit der Änderung der Grundgesetzarti- kel 16 und 18 einhergehende Einschränkung des 1. Weil er jeglichen auch noch so geringen Fort- Asylanspruchs nicht akzeptieren kann. Eine verfas- schritt in Richtung dieser neuen Politik vermissen läßt sungsgemäße Überprüfung der Fluchtgründe, die und insbesondere keinerlei Ansätze zur Verwirkli- Bedingung zur Gewährung des Asylanspruchs sind, chung der auf dem SPD-Bundesparteitag als Junktim ist auf dem Rechtsweg nur schwer erreichbar und beschlossenen weitreichenden sozialdemokratischen führt zur sofortigen Abweisung. Durch die sog. Dritt- Forderungen (Zuwanderungsgesetz, erleichterte Ein- staatenlösung und die Änderung der Begleitgesetze bürgerung) aufweist. werden die Möglichkeiten der Inanspruchnahme von 2. Weil er zwar die Fassade eines Grundrechts in der Asyl in nicht hinnehmbarer Weise eingeengt. Verfassung stehen läßt, aber den Wesensgehalt dieses Grundrechts aushöhlt und eine anschließende durch Es enttäuscht mich tief, daß entgegen der Zusiche- einfache Gesetze ermöglichte Praxis den völligen rung aller Parteien des Bundestages, das individuelle Abbruch des Grundrechts befürchten läßt. Recht auf Asyl nicht anzutasten, nun doch eine so weitgehende Restriktion erfolgt. Ebenfalls lehne ich 3. Weil das Grundrecht scheinbar bestehen bleibt, die Änderungen der Begleitgesetze ab, da auch durch aber die Flüchtlinge per Defini tion „abgeschafft" sie nach meiner Einschätzung ein politisch falsches werden. Signal gesetzt wird. 4. Weil künftig nicht mehr eine tatsächliche oder Auf das weltweite Flüchtlingsproblem, dessen auch nur behauptete politische Verfolgung, sondern Fluchtursachen und die ökonomischen und sozialen ein bestimmter Anreiseweg die Chance eines Asylver- Bedingungen in den Fluchtländern wird durch die fahrens eröffnet oder aber, da Deutschland von lauter Bundesrepublik in Zukunft mit Abschiebung und sicheren Drittstaaten umgeben ist, in den allermeisten geschlossenen Grenzen reagiert. Voraussetzung für Fällen versperrt. Damit entsteht das erste geografisch auch nur eine ansatzweise Lösung der Flüchtlings- konditionierte „Grundrecht" der deutschen Verfas- problematik wären Regelungen durch eine kontrol- sungsgeschichte. lierte Einwanderung, die Anerkennung von Doppel- 5. Weil der „Asylkompromiß" tatsächlich politisch staatsbürgerschaften, ein Sonderstatus für Bürger- Verfolgte ohne jedes Verfahren zurückweisen läßt, kriegsflüchtlinge sowie eine deutliche Erhöhung der aber geschickten Asylbetrügern das Tor sogar noch Entwicklungs- und Wirtschaftsförderungsmittel für weiter öffnet: Ein tatsächlich politisch Verfolgter, dem die Fluchtländer. die Folter buchstäblich im Gesicht steht, der aber über Sehr schnell werden Bürger und Bürgerinnen einen sicheren Drittstaat einreist und aufrichtiger bemerken, daß mit der heutigen Änderung der vorlie- weise seinen Asylantrag an der Grenze stellt, wird genden Gesetze keine spürbare Entlastung beim ohne jedes Verfahren und ohne jedes Rechtsmittel Zuzug Asylsuchender erfolgt. Sie werden darauf mit abgewiesen, während ein nicht politisch Verfolgter noch mehr Parteien- und Politikverdrossenheit rea- mit einem großzügig gewährten deutschen Visum gieren wie auch die Bürger und Bürgerinnen der sog. oder nach Einreise über die grüne Grenze, der seinen Drittstaaten, sollen doch sie die Folgen und Auswir- Asylantrag erst nach langem Aufenthalt stellt, aber kungen unserer Abschiebeverfahren bewältigen. den Einreiseweg beharrlich verschweigt, ein Verfah- Eine Weiterschiebung der Flüchtlinge in ihre Her- ren bekommt und nach negativem Ausgang auch kunftsländer wird die Folge sein, ohne Rücksicht auf noch geduldet werden muß. Schlepper werden das ihre Fluchtursachen. neue Asylrecht eher und besser zu nutzen wissen als überforderte Vollzugsbeamte. Mir ist die angespannte Situa tion in den Kommunen 6. Weil der „Asylkompromiß" den für einen Rechts- und die Konfliktlage der dort politisch Verantwortli- staat ehernen Grundsatz der Rechtsweggarantie an chen durchaus gegenwärtig, und ich weiß um den wesentlichen Stellen aufgibt, was aber vermutlich vor Regelungsbedarf, dem ich mich auch nicht verschlie- dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand ha- ßen will. Allerdings scheint mir die bestehende ben wird. Wir teilen die Meinung Stoibers nicht, daß Rechtslage als ausreichend, um durch soziale, ökono- man Verfassungswidrigkeit ruhig einmal testen mische und sicherheitspolitische Maßnahmen die solle. Akzeptanz für ein tolerantes Miteinander zu erhö- hen. 7. Weil der „Asylkompromiß" das europaweite Flüchtlingsproblem prinzipiell nicht in Solidarität mit Asyl ist kein Gnadenbeweis, es ist durch unsere anderen europäischen Staaten zu lösen sucht, sondern Verfassung zu einem Grundrecht erklärt, zu einem die Flüchtlingsströme auf ohnehin überforderte Nach- Recht auf Schutz vor Verfolgung unter Wahrung der barn wie Polen und die Tschechische Republik ab Menschenwürde. Aus dieser Erkenntnis heraus und oder zurücklenkt. im Wissen um den Anlaß, der die Verfasser und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13695*

Verfasserinnen unseres Grundgesetzes für ein Fest- gering vorhandene Integrations- und Opferbereit- schreiben eines individuellen Asylanspruchs be- schaft nicht weiter absinken zu lassen, während wegte, fühle ich mich verpflichtet, auch zukünftig für gleichzeitig das Angstpotential und die Gewaltbereit- den Bestand dieses Grundrechtes einzutreten. schaft in Teilen der Bevölkerung wächst. Ich stimme deshalb dem zwischen den großen Dr. Rita Süssmuth (CDU/CSU): Ich stimme dem Parteien ausgehandelten Asylkompromiß zu, auch in Asylverfahrensgesetz mit Bedenken zu. Die Ände- der Hoffnung, daß die praktischen Erfahrungen mit rung des Artikels 16 des Grundgesetzes ist eine dem neuen Recht, soweit sie den unserer demokrati- notwendige Entscheidung, um das Grundrecht auf schen Grundordnung zugrundeliegenden Prinzipien politisches Asyl zu erhalten. Auch die Notwendigkeit von Menschenwürde, Humanität und Rechtsstaatlich- zur Änderung der Verfahren ist einleuchtend. Meine keit zuwiderlaufen sollten, zu den dann notwendigen Bedenken richten sich gegen den Ausschluß des Korrekturen führen werden. Gerichtsverfahrens bei Asylbewerbern aus Drittstaa- ten. Ich setze dabei auf die s trikte Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Dr. Cornelia von Teichman (F.D.P.): Ich begrüße es, Menschenrechtskonvention. Nicht der Fluchtweg, daß nach einer sehr langen Debatte in der Asylrechts- sondern der Fluchtgrund muß ausschlaggebend blei- regelung nun einige Fortschritte erzielt worden sind. ben. Dies gilt zum Beispiel für die Aufnahme von Bürger- kriegsflüchtlingen, die Neuregelung der sozialen Lei- stungen an Flüchtlinge und Asylbewerber und die Joachim Tappe (SPD): In den letzten Wochen und richterliche Überprüfung asylrechtlicher Verwal- Monaten habe ich eine Vielzahl von B riefen von tungsentscheidungen. Einzelpersonen, gesellschaftlichen Gruppen und Ver- bänden erhalten, in denen ich, je nach persönlicher Das Asylrecht muß meiner Überzeugung nach im Betroffenheit und politischer oder religiöser Überzeu- Kern erhalten bleiben; die vorliegende Gesetzesände- gung der Absender, aufgefordert werde, für oder rung ist jedoch keine bloße Änderung mehr, sondern gegen die Grundgesetzänderung zum bestehenden bedeutet faktisch die Abschaffung des Art. 16 GG und Asylrecht zu stimmen. In allen Schreiben wird — je damit eines Grundrechts. Eine solche Entscheidung nach Standort — die große Sorge über die unüberseh- kann ich nicht mittragen. baren Folgen der Beibehaltung oder der Änderung Wenn zukünftig nur noch derjenige in unserem der bestehenden Rechtslage artikuliert. Lande politisches Asyl erlangen kann, der im Direkt- Auch meine nicht zählbaren Gespräche und Veran- flug oder auf illegale Weise kommt, wenn politische staltungen mit vielen Bürgerinnen und Bürgern mei- Flüchtlinge direkt an der Grenze abgewiesen werden nes Wahlkreises zu dem Problem weisen ein gleicher- sollen, weil man sich auf sogenannte Länderlisten maßen sehr uneinheitliches Bild aus. Die aufgezeig- beruft, dann verstößt dies gegen unsere völkerrechtli- ten, aus der jeweiligen Situation verständlichen und chen Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskon- nachvollziehbaren Argumente haben meinen eige- vention. — Außenpolitisch halte ich Länderlisten für nen Abwägungsprozeß nicht erleichtern können, im höchst problematisch. Sinnvoll sind diese Länderli- Gegenteil, mich in einen nur schwer durchzuhalten- sten ohnehin nur, wenn sie EG-weit einheitlich gestal- den Entscheidungskonflikt gebracht. tet werden. Dies ist jedoch in absehbarer Zeit nicht realistisch. Ich bekenne freimütig und mache auch heute am Tag der parlamentarischen Entscheidung keinen Ein derart schwerwiegender Grundrechtseingriff ist Hehl daraus, daß ich die zur Beschlußfassung anste- um so weniger zu rechtfertigen, als die bestehenden hende Grundgesetzänderung, vor allem aber wesent- Gesetze bisher noch gar nicht konsequent angewen- liche Teile der Begleitgesetze rechtlich und politisch det worden sind, etwa bei der Rückführung endgültig für problematisch und in ihrer Wirksamkeit für frag- abgelehnter Asylbewerber oder bei der Durchsetzung lich halte. des sogenannten Asylbeschleunigungsgesetzes. An die Stelle entschlossenen Handelns der Exekutive tritt Meine persönlichen Begegnungen und Beobach- dann der Griff nach dem Grundgesetz — wie es ja bei tungen in Ländern der sogenannten Dritten Welt uns leider ohnehin politische Mode geworden ist, auf belegen darüber hinaus unzweifelhaft, daß eine jede neue Herausforderung mit dem Ruf nach neuen wesentliche Ursache für die derzeitige „Völkerwan- Gesetzen zu reagieren. derung", die uns im globalen Maßstab gesehen nur peripher erreicht, das bestehende Ungleichgewicht Besonders fatal finde ich, daß durch die neuen ist, an dessen Entstehen wir in vielfältiger Weise Bestimmungen bei den Menschen in unserem Lande maßgeblichen Anteil haben. Hoffnungen geweckt werden, die sich letztlich als trügerisch erweisen werden. Durch bloßes Paragra- Aus meiner kommunalpolitischen Tätigkeit kenne phenwerk ändert sich nichts, und das wird den Bür- ich aber auch die großen Probleme, die die Städte und gern nicht lange verborgen bleiben. Ich fürchte, daß Gemeinden haben, menschenwürdige Unterbrin- das Resultat nicht weniger, sondern mehr Politikver- gungsmöglichkeiten und soziale Betreuung in ausrei- drossenheit sein wird. chenden Größenordnungen zur Verfügung zu stellen. Deshalb sehe ich ebenso die Notwendigkeit, den Der hier vorliegende Lösungsversuch kann langfri- gegenwärtig hohen Ausländerzuzug in unser Land stig keinen Bestand haben. Bei der langen Diskussion begrenzen zu müssen, auch um die gegenwärtig nur um die Neuregelung des Asylrechts ist eine große 13696* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Chance vertan worden. Was wir wirklich brauchen, ist tigen Wortlaut nur, daß aufenthaltsbeendende Maß- 1. ein europäisches Einwanderungsgesetz, 2. eine nahmen unabhängig von einem hiergegen eingeleg- europäische Flüchtlingsregelung und 3. eine -europäi- ten Rechtsbehelf vollzogen werden, nicht aber, daß sche Asylregelung. Hier muß versucht werden, EG solche Maßnahmen nicht im Einzelfall von den weit einen Konsens zu finden und dann dem evtl. Gerichten ausgesetzt werden können. Sie zwingt entgegenstehendes nationales Recht entsprechend deshalb keineswegs zu der vorliegenden Fassung des anzupassen. § 34 a Abs. 2. Vielmehr könnte § 34 a Abs. 2 auch so formuliert werden, daß er den Anforderungen des Art. 20 GG entspricht. Der dazu von der SPD-Fraktion Dr. Hans-Jochen Vogel (SPD): Zu Beginn dieses eingebrachte Abänderungsantrag gibt dafür ein Bei- Jahres habe ich der Einbringung der sogenannten spiel. Asylrechtsvorlagen nicht zugestimmt, Der Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip wurzelt — weil danach Polen und die Tschechische Republik demnach nicht in der Verfassungsänderung, sondern zu sicheren Drittstaaten erklärt werden sollten, im Entwurf des einfachrechtlichen Änderungsgeset- obwohl anders als im Verhältnis zu den Mitglied- zes. Auch mit Rücksicht auf Erfordernisse, die einer staaten der Europäischen Gemeinschaft keine politischen Gemeinschaft immanent sind, habe ich Verträge vorlagen, die den Interessen der Asylbe- deshalb unter Zurückstellung fortbestehender Beden- werber entsprechen, aber auch die im Interesse ken gegen einzelne Details der Verfassungsänderung dieser Nachbarstaaten erforderlichen Vorkehrun- zugestimmt. Ich habe jedoch die Bestimmung des gen treffen und den Ansprüchen gerecht werden, § 34 a und — da sie entgegen dem Antrag der die die Bundesrepublik ihrerseits an ihre westli- SPD-Fraktion nicht geändert worden ist — den Ent- chen Nachbarn stellt; und wurf eines Gesetzes zur Änderung asylverfahrens-, — weil den Gerichten in einer Bestimmung, die als ausländer- und staatsangehörigkeitsrechtlicher Vor- § 34 a Abs. 2 in das Asylverfahrensgesetz eingefügt schriften in der Schlußabstimmung insgesamt abge- Werden soll, jegliches Eingreifen verboten wird, lehnt. wenn die Abschiebungsverfügung mit der Fest- stellung begründet wird, der Bewerber habe die Im April Bundesrepublik über einen sicheren Drittstaat Alois Graf von Waldburg-Zeil (CDU/CSU): 1987 hatte ich zusammen mit Frau Editha Limbach, erreicht. Christoph Böhr, Alfons Müller und Werner Schreiber Der erste Hinderungsgrund ist inzwischen durch ein ein Diskussionspapier vorgelegt: „Christlich-soziale breits paraphiertes Abkommen zwischen der Bundes- Positionen für eine rationale und ethisch verantwort- republik Deutschland und der Republik Polen sowie bare Asylpolitik" . In diesem Papier stand als Leitsatz: dadurch ausgeräumt, daß der Tschechischen Repu- „Die Beseitigung der Fluchtursachen ist langfristig die blik ein Bleichlautendes Vertragsangebot gemacht einzige befriedigende Lösung von Fluchtproblemen. " worden ist. Der Vertrag und das Vertragsangebot In diesem Papier war aber nicht nur von Menschen- entsprechen den bereits genannten Kriterien, auf die rechtspolitik, Beiträgen zur Beendigung kriegerischer sich übrigens auch die deutsche Sozialdemokratie auf Auseinandersetzungen und entwicklungspolitischen ihrem Sonderparteitag im Herbst 1992 verständigt Beiträgen zur Überwindung von Armut und mate riel- hat. ler Not die Rede (der Deutsche Bundestag hat am 27. Januar 1989 einen Antrag „Der entwicklungspoli- Der zweite Hinderungsgrund besteht hingegen fort. tische Beitrag zur Lösung von Weltflüchtlingsproble- Mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 GG ist es men" und am 14. Januar 1993 einen Antrag „Entwick- unvereinbar, den Gerichten die vorläufige Ausset- lungspolitische Maßnahmen zur Minderung der Asyl- zung von Verwaltungsakten, die im Falle ihres Voll- und Flüchtlingsprobleme" auf Vorlagen der Koali- zugs in zentrale Rechtsgüter eines Menschen eingrei- tionsparteien beschlossen), sondern auch von der fen, ausnahmslos, also auch dann zu verbieten, wenn Flüchtlingsaufnahme in der Bundesrepublik Deutsch- die Abschiebung offensichtlich rechtswidrig ist, weil land. Dabei wurde als ein Grundsatz postuliert: „Jeder der Betreffende entgegen der Feststellung der Ver- Flüchtling ist ein Mensch. Unabhängig von den Moti- waltungsbehörde nachweisbar nicht über einen siche- ven seiner Flucht, seiner Rechtsstellung und der ren Drittstaat eingereist ist oder weil ihm im konkreten Dauer seines Aufenthaltes bei uns hat er Anspruch auf Fall ausnahmsweise im Drittstaat oder in einem Staat, menschenwürdige Behandlung." Das gilt für mich in den er weiter abgeschoben werden kann, politische heute wie damals. Verfolgung, insbesondere Folter oder eine sonstige unmenschliche Behandlung droht. Damit wird erst- Was sich seit damals aber grundlegend geändert mals ein bestimmtes Rechtsgebiet der schützenden hat, ist der Zusammenbruch des Kommunismus und richterlichen Einwirkung vor dem Vollzug einschnei- damit von Mauer, Stacheldraht und Eisernem Vor- dender Maßnahmen vollständig entzogen und ein hang. Anstelle der Süd-Nord-Wanderung hat eine gefährlicher Berufungsfall geschaffen. starke, vom Wirtschaftsgefälle herrührende Ost-West Wanderung eingesetzt. Die nun auf fast eine halbe Die in Rede stehende Vorschrift eines § 34 a Abs. 2 Million angewachsenen Zahlen führen dazu, daß ist daher verfassungswidrig. Handeln von der Politik verlangt wird. Ohne Verfas- Die Verfassungswidrigkeit ist keine zwangsläufige sungsergänzung ist dieses aber nicht möglich. Inso- Folge der vorgeschlagenen Verfassungsänderung. fern stimme ich der Verfassungsänderung zu und Sie — vor allem die Bestimmung des neuen Art. 16 a erhoffe mir insbesondere darauf aufbauende europäi- Abs. 2 Satz 3 — erlaubt nämlich nach ihrem eindeu sche Regelungen auf der Grundlage der Genfer Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13697*

Flüchtlingskonvention. Ich möchte aber ausdrücklich ordnung des Staatsbürgerrechts und zur Schaffung zu Protokoll geben, daß meine Zustimmung verbun- eines modernen Einwanderungsgesetzes enthält. Un- den ist mit der Forderung, Fluchtursachenbekämp-- akzeptabel ist auch, daß die im Asylkompromiß der fung zu verstärken, bei der Schlichtung von Kriegen Parteien vorgesehene Regelung der Kosten für die und Bürgerkriegen zu helfen, dafür zu sorgen, daß es Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge im Rahmen des Sicherheitszonen in Konfliktgebieten gibt, die Ent- Bund-Länder-Finanzausgleichs nicht stattgefunden wicklungspolitik zu intensivieren (was nicht nur von hat, was dazu führt, daß die Kommunen in ihrer der Quantität, sondern auch und vor allem von der Zwangslage diese Bürgerkriegsflüchtlinge ins Asyl- Qualität der Maßnahmen abhängt) und schließlich, verfahren schicken, in das sie gar nicht gehören. wie in dieser Debatte vielfach bekundet, das Grund- Ich bin überzeugt, daß eine Behebung der beste- recht auf Asyl im ursprünglichen Sinngehalt wieder- henden zahlreichen verfahrensrechtlichen Mängel in herzustellen und europaweit zu praktizieren. Bund, Land und Gemeinde — wie z. B. die Verkür- zung der Verfahren, eine entsprechende personelle Hans Wallow (SPD): Die Bundesrepublik Deutsch Ausstattung des Bundesamtes in Zirndorf, Abkommen land ist seit Jahrzehnten de facto eine Einwande- mit den Herkunftsländern über die Rücknahme derje- rungsgesellschaft. Die jetzige Asyldebatte mit ihren nigen Flüchtlinge, die kein Bleiberecht erhalten, Bau Gesetzesänderungen in der Folge ist ein Konkurs der von Sammelunterkünften, Sachleistungen während konservativen politischen Kräfte, die bisher jede die- des Aufenthalts in diesen Unterkünften, Aufteilung ser Wirklichkeit entsprechende Einwanderungspoli- der Kosten für die Bürgerkriegsflüchtlinge zwischen tik verhindert haben. Vor allem die Unionsparteien Bund, Land und Gemeinde — dazu beitragen würde, waren blind gegenüber den Notwendigkeiten einer das Flüchtlingsproblem sozial verträglicher zu gestal- Gesamtkonzeption, die eine geregelte Zuwanderung ten. ermöglicht. Mit den tiefgreifenden Verfassungs- und Gesetzes- änderungen der vorliegenden Entwürfe verabschie- Deshalb ist der Artikel 16 Grundgesetz zu einem det sich die Bundesrepublik inhaltlich — nicht for- Zuwanderungsparagraphen geworden, über den die mal — von einer der besten Traditionen ihrer Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen nach Geschichte, dank derer sie in den vergangenen Jahr- Deutschland kommen: politisch Verfolgte in gleicher zehnten Tausenden Schutz vor Tod und Verfolgung Weise wie Armuts- und Bürgerkriegsflüchtlinge. Die geboten hat. Die Ursachen der Flüchtlingsproblema- Verknüpfung des Artikels 16 mit dem auf deutsche tik liegen im Armutsgefälle zwischen den Staaten, in Lebensbedingungen zugeschnittenen Sozialhilfe- Bürgerkriegen, Ausbeutung und politischer Unter- recht hat zu einer immer geringer werdenden Akzep- drückung. Die vorliegenden Gesetzentwürfe tragen tanz des humanen Grundrechts in der Bevölkerung zur Verringerung dieser Problematik nichts bei, sie geführt: Das Ins titut des Asylrechts ist aber die Akzep- werden aber mit Sicherheit zu einem Anstieg der tanz einer Ausnahme, das durch die geregelte Inan- illegalen Einwanderung führen. spruchnahme als Einwanderungsparagraph zerstört wird. Aus den dargelegten Gründen kann ich ihnen nicht zustimmen. Meine Stimmabgabe erfolgt in der Absicht und Hoffnung, daß die in dem Asylkompromiß der Regie- Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): 1. Dem Wort rungsparteien und der SPD geschlossene Vereinba- laut nach bleibt es beim heute zu verabschiedenden rung über die Verabschiedung eines Einwanderungs- Asylpaket zwar beim individuell garantierten Grund- gesetzes durchgesetzt wird. Nur die geregelte Ein- recht auf Asyl. Betrachtet m an aber die vorgesehenen wanderung kann die gefährliche Diskussion um das Ergänzungen des Artikels 16, so wird ersichtlich, daß Asylrecht entlasten und den Rechtsradikalen den die Geltendmachung des individuellen Grundrechtes Boden entziehen. Ohne die Ergänzung durch ein faktisch ausgeschlossen ist. Die Regelung, bei der wirklichkeitsnahes Einwanderungsgesetz bleiben die sogenannte „sichere Drittstaaten", unabhängig von jetzt verabschiedeten Gesetzesänderungen Scheinlö- der Wirklichkeit in diesen Staaten, per Gesetz der sungen, die die Glaubwürdigkeit des Parlaments Bundesrepublik entschieden werden können — Bei- erschüttern werden. spiel Polen und die Tschechische Republik — macht es einem Menschen, der wirklich politisch verfolgt ist, faktisch unmöglich, in der Bundesrepublik politisches Dr. Konstanze Wegner (SPD): Die vorliegenden Asyl zu erhalten. Flüchtlinge, die über einen der Gesetzentwürfe sind von einer tiefgehenden Wider- deutschen Nachbarstaaten eingereist sind und sofort sprüchlichkeit gekennzeichnet: einerseits soll poli- wieder abgeschoben werden sollen, dürfen zwar noch tisch Verfolgten weiterhin Asyl gewährt werden, ein Gericht anrufen, aber das neue Asylrecht formu- andererseits wird durch die restriktiven Beschränkun- liert ausdrücklich, daß das Ge richt den Flüchtlingen gen für Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Dritt- nicht helfen darf. Die Abschiebung wird nämlich staaten und angeblich verfolgungsfreien Staaten das „unabhängig von einem eingelegten Rechtsmittel individuell e Grundrecht auf Asyl drastisch einge- vollzogen", und ein Eingreifen wird den Verwaltungs- schränkt und die Rechtswegegarantie des Art. 19 gerichten ausdrücklich untersagt. Ich werde deshalb Abs. 4 GG ausgehöhlt. den geplanten Veränderungen des Artikels 16 GG Es ist ferner außerordentlich unbef riedigend, daß ebenso wie dem Asylverfahrensgesetz nicht zustim- der sogenannte Parteienkompromiß vom 6. Dezem- men. ber 1992, auf dem die vorliegenden Gesetzentwürfe Es bleibt auch zu fragen, warum erst nach einer beruhen, nichts Subst antielles zur überfälligen Neu Verfassungsänderung eine Flughafenregelung einge- 13698* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 führt wird. Seit Monaten hätte die Ch ance bestanden, zwischen Deutschland und den ost- und mitteleuro- auf dem Frankfurter Flughafen eine Erstaufnah- päischen Ländern zusammen. Anreize, die aus den meeinrichtung von Zirndorf zu verwirklichen, so daß deutschen Sozialleistungen für die Zuwanderung von Asylentscheidungen so zügig durchgeführt werden Asylbewerbern kommen, sollten daher im notwendi- könnten, daß innerhalb kürzester Zeit Asylbewerber gen Umfang abgebaut werden. Ich werde deshalb mit unbegründetem Antrag die Bundesrepublik über dem Asylbewerberleistungsgesetz zustimmen. den Flughafen wieder verlassen müßten. Diese Rege- 5. In der jetzigen Asylregelung ist kein ausreichen- lung wäre ohne jede Verfassungsänderung möglich des Element der Integration der seit Jahren hier gewesen. lebenden Menschen anderer Nationalität enthalten. Eine Begrenzung der Zuwanderung muß aber immer 2. Die vorgesehene Verfassungsänderung wird mit derartigen Integrationsansätzen der hier Leben- nicht nur eine zentrale Norm unseres Grundgesetzes den verbunden sein. Notwendig sind daher Regelun- auflösen, sie wird auch gleichzeitig die Zuwanderung gen für die schnellere Einbürgerung auch durch die nach Deutschland nicht im angekündigten Umfang Möglichkeit der Doppelstaatsbürgerschaft und die einschränken. So weist bereits heute der innenpoliti- Verwirklichung des kommunalen Wahlrechtes für die sche Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hier langjährig lebenden Ausländer und Ausländerin- Johannes Gerster, darauf hin, daß „trotz der infolge nen. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zum inneren der Asylrechtsreform zu erwartenden Einschränkung Frieden in der Bundesrepublik. des Asylmißbrauchs das Niveau der Zuwanderung nach Deutschland auf absehbare Zeit deutlich über 6. Die Beratungen im Deutschen Bundestag haben dem — im übrigen überhaupt noch nicht exakt defi- meine Zweifel nicht zerstreut, sondern verstärkt. Aus nierten — Zuwanderungsbedarf (Schätzungen: Opportunismus gegen meine eigene Überzeugung in 300 000-400 000 p. a.) der Bundesrepublik liegen einer derartigen Grundsatzfrage zu stimmen würde wird". meiner ganzen Grundeinstellung widersprechen. Meine Stärke ist meine Überzeugung. Ich werde sie Das heißt aber, daß die Hoffnungen, die die Men- nicht aufgeben. Ich werde deshalb der Veränderung schen in Deutschl and mit der neuen Asylregelung des Grundgesetzes in Artikel 16 in der vorgesehenen verbinden, nicht eingelöst werden. Die nächste Ent- Asylübereinkunft nicht zustimmen. täuschung über „die Politik" ist damit programmiert. Auch hierzu will ich meine Hand nicht reichen. Hanna Wolf (SPD): Nach meiner Überzeugung kann es nicht Ausdruck der wiedererlangten Souveränität 3. Ich trete für eine Begrenzung der Zuwanderung, und Normalität der Bundesrepublik Deutschland sein, die aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt, ein. Dazu daß wir ein wesentliches Element gerade des Grund- hatte die SPD die Formulierung eines Gesetzes zur gesetzes ändern, das mit dazu beigetragen hat, daß Regulierung der • Zuwanderung gefordert. Dieses wir heute wieder voll in die Völkergemeinschaft Gesetz ist in den Asylabsprachen nicht verwirklicht aufgenommen sind. Der Bestand des Asylrechts und worden. Weil mit der einseitigen Festlegung von der Rechtswegegarantie dürfen nicht dem Anschein Polen und der Tschechischen Republik zu „sicheren eines Zweifels ausgesetzt werden. Drittstaaten" diese Länder deutlich belastet werden, hatte man in den Asylabsprachen aber die Regelung Einer Grundgesetzänderung zuzustimmen, von der der „Werkverträge" mit osteuropäischen Ländern ich überzeugt bin, daß sie ihr Ziel nicht erreicht festgeschrieben. Die Absprache hätte genau umge- — nämlich die Eindämmung der unberechtigten Inan- kehrt lauten müssen: Die Werkvertragsregelung, die spruchnahme des ansonsten verbrieften Asylrechts —, eine Quelle für Haß und Ungerechtigkeit zwischen halte ich für unsere Demokratie für politisch gefähr- deutschen Arbeitnehmern und den osteuropäischen lich. Es werden Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt Werkvertragsarbeitnehmern in Deutschl and ist, hätte werden können. Die vorgesehene Änderung des Asyl- beendet werden müssen — entgegen den polnischen rechts wird auch deshalb ihr Ziel verfehlen, weil kein Wünschen — zugunsten eines Gesetzes, das mit ergänzendes Einwanderungsgesetz vorgesehen ist, Quoten die Zuwanderung aus wirtschaftlichen Grün- das einen geregelten Zuzug nach Deutschland ermög- den reguliert. Statt dessen hätte man in der Frage der lichen würde. Es besteht darüber hinaus auch kein „sicheren Drittstaaten" den Wünschen Polens entge- Konzept, die Fluchtursachen in den Ursprungsländern genkommen müssen. zu bekämpfen, da die Bundesregierung nicht zugun- sten von Menschenrechten auf kurzfristige Handels- Die Bundesregierung hält aus ideologischen Grün- und Außenwirtschaftsvorteile verzichten will. den an der Einwanderung nur für deutschstämmige Die Bundesregierung hat im Asylverfahren die Aussiedler fest und will deshalb mit allen Mitteln ein Belange von asylsuchenden Frauen bisher immer noch Gesetz, das die Zuwanderung aus wirtschaftlichen nicht umgesetzt, obwohl sie schon am 31. Oktober 1990 Gründen reguliert, verhindern. Ein Gesetz, das die in einem ausführlichen und einstimmigen Bundestags- Zuwanderung regulierte, würde die Zuwanderung zu beschluß dazu aufgefordert wurde. Deshalb habe ich den Bedingungen der deutschen Sozialversicherung kein Vertrauen da rin, daß die Regierung mit ihrer und des geltenden deutschen Rechts sicherstellen und einfachen Mehrheit im Bundestag Asylverfahrensge- wäre damit für den sozialen Frieden in Deutschland setze beschließen wird, die die besondere Lage von die einzig akzeptable Regelung. verfolgten Frauen berücksichtigen werden. 4. Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen Der heute vorgeschlagenen Änderung des Asyl- hängt unter anderem mit dem wirtschaftlichen Gefälle rechts kann ich deshalb nicht zustimmen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13699*

Anlage 4 Endgültiges Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 16 und 18) — Drucksachen 12/4152, 12/4984 Nr. 1, vgl. Seite 13628C —

Abgegebene Stimmen 654; davon

ja: 521 nein: 132 enthalten: 1

Ja Eylmann, Horst Hüppe, Hubert Dr. Lippold (Offenbach), Eymer, Anke Jäger, Claus Klaus W. CDU/CSU Falk, Ilse Jaffke, Susanne Dr. sc. Lischewski, Manfred Dr. Faltlhauser, Kurt Dr. Jahn (Münster), Löwisch, Sigrun Dr. Ackermann, Else Feilcke, Jochen Friedrich-Adolf Lohmann (Lüdenscheid), Adam, Ulrich Dr. Fell, Karl Janovsky, Georg Wolfgang Dr. Altherr, Walter Franz Fischer (Hamburg), Dirk Jeltsch, Karin Louven, Julius Augustin, Anneliese Fischer (Unna), Leni Dr. Jobst, Dionys Lummer, Heinrich Dr. Luther, Michael Augustinowitz, Jürgen Fockenberg, Winfried Dr.-Ing. Jork, Rainer Maaß (Wilhelmshaven), Erich Austermann, Diet rich Francke (Hamburg), Klaus Dr. Jüttner, Egon Männle, Ursula Bargfrede, Heinz-Günther Frankenhauser, Herbert Jung (Limburg), Michael Magin, Theo Dr. Bauer, Wolf Dr. Friedrich, Gerhard Junghanns, Ulrich Dr. Mahlo, Dietrich Baumeister, B rigitte Fritz, Erich G. Dr. Kahl, Harald Marienfeld, Claire Bayha, Richard Fuchtel, Hans-Joachim Kalb, Bartholomäus Marschewski, Erwin Belle, Meinrad Ganz (St. Wendel), Johannes Kampeter, Steffen Marten, Günter Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Geiger, Michaela Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Bierling, Hans-Dirk Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Karwatzki, Irmgard Martin Geis, Norbert Dr. Blank, Joseph-Theodor Kauder, Volker Meckelburg, Wolfgang Dr. Geißler, Heiner Blank, Renate Keller, Peter Meinl, Rudolf Horst Dr. von Geldern, Wolfgang Dr. Blens, Heribert Kiechle, Ignaz Dr. Merkel, Angela Gibtner, Horst Bleser, Peter Kittelmann, Peter Dr. Meseke, Hedda Glos, Michael Dr. Blüm, Norbert Klein (Bremen), Günter Dr. Meyer zu Bentrup, Böhm (Melsungen), Wilfried Dr. Göhner, Reinhard Klein (München), Hans Reinhard Dr. Böhmer, Maria Göttsching, Martin Klinkert, Ulrich Michalk, Maria Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Götz, Peter Köhler (Hainspitz), Michels, Meinolf Dr. Bötsch, Wolfgang Dr. Götzer, Wolfgang Hans-Ulrich Dr. Mildner, Klaus Gerhard Bohl, Friedrich Gres, Joachim Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. Möller, Franz Bohlsen, Wilfried Grochtmann, Elisabeth Volkmar Molnar, Thomas Borchert, Jochen Gröbl, Wolfgang Dr. Kohl, Helmut Dr. Müller, Günther Brähmig, Klaus Grotz, Claus-Peter Kolbe, Manfred Müller (Kirchheim), Elmar Breuer, Paul Dr. Grünewald, Joachim Kors, Eva-Maria Müller (Wadern), Günther (Duisburg), Horst Brudlewsky, Monika Koschyk, Hartmut Hans-Werner Brunnhuber, Georg Frhr. von Hammerstein, Kossendey, Thomas Müller (Wesseling), Alfons Bühler (Bruchsal), Klaus Carl-Detlev Kraus, Rudolf Nelle, Engelbert Büttner (Schönebeck), Harries, Klaus Dr. Krause (Börgerende), Dr. Neuling, Christian Hartmut Haschke (Großhennersdorf), Günther Neumann (Bremen), Bernd Buwitt, Dankward Gottfried Krause (Dessau), Wolfgang Niedenthal, Erhard Carstens (Emstek), M anfred Haschke (Jena-Ost), Udo Nitsch, Johannes Krey, Franz Heinrich Carstensen (Nordstrand), Hasselfeldt, Gerda Nolte, Claudia Kriedner, Arnulf Peter Harry Haungs, Rainer Dr. Olderog, Rolf Kronberg, Heinz-Jürgen Clemens, Joachim Hauser (Esslingen), Otto Ost, Friedhelm Dr.-Ing. Krüger, Paul Dehnel, Wolfgang Hauser (Rednitzhembach), Oswald, Eduard Krziskewitz, Reiner Eberhard Dempwolf, Gertrud Hansgeorg Otto (Erfurt), Norbe rt Deres, Karl Hedrich, Klaus-Jürgen Lamers, Karl Dr. Päselt, Gerhard Deß, Albert Heise, Manfred Dr. Lammert, Norbert Dr. Paziorek, Peter Paul Diemers, Renate Dr. Hellwig, Renate Lamp, Helmut Johannes Pesch, Hans-Wilhelm Dörflinger, Werner Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Lattmann, Herbert Petzold, Ulrich Doss, Hansjürgen Hinsken, Ernst Dr. Laufs, Paul Pfeffermann, Gerhard O. Dr. Dregger, Alfred Hintze, Peter Laumann, Karl-Josef Pfeifer, Anton Echternach, Jürgen Hörsken, Heinz-Adolf Lehne, Klaus-Heiner Pfeiffer, Angelika Ehlers, Wolfgang Hörster, Joachim Dr. Lehr, Ursula Dr. Pfennig, Gero Ehrbar, Udo Dr. Hoffacker, Paul Lenzer, Christian Dr. Pflüger, Friedbert Eichhorn, Maria Hollerith, Josef Limbach, Editha Dr. Pinger, Winfried Engelmann, Wolfgang Dr. Hornhues, Karl-Heinz Link (Diepholz), Walter Pofalla, Ronald Eppelmann, Rainer Hornung, Siegfried Lintner, Eduard Dr. Pohler, Hermann 13700* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Priebus, Rosemarie Spilker, Karl-Heinz Fuchs (Köln), Anke Schröter, Karl-Heinz Dr. Probst, Albert Spranger, Carl-Dieter Gansel, Norbert Schütz, Dietmar Dr. Protzner, Bernd Dr. Sprung, Rudolf Dr. Gautier, Fritz Schulte (Hameln), Brigitte Pützhofen, Dieter Steinbach-Hermann, Erika Dr. Glotz, Peter Schwanitz, Rolf Rahardt-Vahldieck, Susanne Dr. Stercken, H ans Graf, Günter Seidenthal, Bodo Raidel, Hans Dr. Frhr. von Stetten, Großmann, Achim Seuster, Lisa Dr. Ramsauer, Peter Wolfgang Haack (Extertal), Singer, Johannes Rau, Rolf Stockhausen, Karl Karl-Hermann Dr. Soell, Hartmut Rauen, Peter Harald Dr. Stoltenberg, Gerhard Hacker, Hans-Joachim Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Rawe, Wilhelm Strube, Hans-Gerd Hämmerle, Gerlinde Steiner, Heinz-Alfred Reddemann, Gerhard Stübgen, Michael Hampel, Manfred Eugen Dr. Struck, Peter Regenspurger, Otto Dr. Süssmuth, Rita Dr. Hartenstein, Liesel Tappe, Joachim Reichenbach, Klaus Susset, Egon Hasenfratz, Klaus Dr. Thalheim, Gerald Dr. Reinartz, Bertold Tillmann, Ferdinand Dr. Hauchler, Ingomar Thierse, Wolfgang Reinhardt, Erika Dr. Töpfer, Klaus Heistermann, Dieter Tietjen, Günther Repnik, Hans-Peter Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Hilsberg, Stephan Toetemeyer, Hans-Günther Dr. Rieder, Norbert Uldall, Gunnar Dr. Holtz, Uwe Urbaniak, Hans-Eberhard Dr. Riedl (München), Erich Verhülsdonk, Roswitha Huonker, Gunter Vergin, Siegfried Riegert, Klaus Vogel (Ennepetal), Friedrich Ibrügger, Lothar Verheugen, Günter Dr. Riesenhuber, Heinz Vogt (Düren), Wolfgang Iwersen, Gabriele Dr. Vogel, Hans-Jochen Ringkamp, Werner Dr. Voigt (Northeim), Jäger, Renate Vosen, Josef Rode (Wietzen), Helmut Hans-Peter Jung (Düsseldorf), Volker Wagner, Hans Georg Rönsch (Wiesbaden), Dr. Vondran, Ruprecht Jungmann (Wittmoldt), Horst Wallow, Hans Hannelore Dr. Waffenschmidt, Horst Kastner, Susanne Walter (Cochem), Ralf Roitzsch (Quickborn), Ing rid Dr. Waigel, Theodor Kastning, Ernst Walther (Zierenberg), Rudi Romer, Franz Graf von Waldburg-Zeil, Alois Kemper, Hans-Peter Wartenberg (Berlin), Gerd Dr. Rose, Klaus Dr. Warnke, Jürgen Kirschner, Klaus Weiermann, Wolfgang Rossmanith, Kurt J. Dr. Warrikoff, Alex ander Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Weis (Stendal), Reinhard Roth (Gießen), Adolf Werner (Ulm), Herbert Klose, Hans-Ulrich Weißgerber, Gunter Rother, Heinz Wetzel, Kersten Dr. sc. Knaape, Hans-Hinrich Welt, Hans-Joachim Dr. Ruck, Christian Wiechatzek, Gabriele Körper, Fritz Rudolf Dr. Wernitz, Axel Rühe, Volker Dr. Wieczorek (Auerbach), Kolbe, Regina Weyel, Gudrun Dr. Rüttgers, Jürgen Bertram Kolbow, Walter Wieczorek (Duisburg), Helmut Sauer (Salzgitter), Helmut Dr. Wilms, Dorothee Koltzsch, Rolf Wiefelspütz, Dieter Sauer (Stuttgart), Roland Wilz, Bernd Kretkowski, Volkmar Wimmer (Neuötting), Schätzle, Ortrun Wimmer (Neuss), Willy Dr. Kübler, Klaus Hermann Dr. Schäuble, Wolfgang Dr. Wisniewski, Roswitha Kuessner, Hinrich Dr. de With, Hans Scharrenbroich, Heribert Wissmann, Matthias Dr. Küster, Uwe Wohlleben, Verena Schartz (Trier), Günther Dr. Wittmann, Fritz Leidinger, Robert Schemken, Heinz Wittmann (Tännesberg), Lennartz, Klaus Scheu, Gerhard Simon Lohmann (Witten), Klaus Schmalz, Ulrich Wohlrabe, Jürgen Dr. Lucyga, Christine F.D.P. Schmidbauer, Bernd Wonneberger, Michael Maaß (Herne), Dieter Schmidt (Fürth), Christian Wülfing, Elke Matthäus-Maier, Ingrid Albowitz, Ina Dr. Schmidt (Halsbrücke), Würzbach, Peter Kurt Meißner, Herbert Dr. Babel, Gisela Joachim Yzer, Cornelia Dr. Mertens (Bottrop), Beckmann, Klaus Schmidt (Mülheim), Andreas Zeitlmann, Wolfgang Franz-Josef Bredehorn, Günther Schmidt (Spiesen), Trudi Zierer, Benno Mosdorf, Siegmar Cronenberg (Arnsberg), Schmitz (Baesweiler), Zöller, Wolfgang Müller (Schweinfurt), Rudolf Dieter-Julius Hans Peter Müller (Zittau), Christian Eimer (Fürth), Norbert von Schmude, Michael Neumann (Gotha), Gerhard ans A. Engelhard, H Dr. Schneider (Nürnberg), Dr. Niese, Rolf van Essen, Jörg Oscar SPD Niggemeier, Horst Dr. Feldmann, Olaf Dr. Schockenhoff, Andreas Oostergetelo, Jan Friedhoff, Paul Graf von Schönburg - Andres, Gerd Dr. Otto, Helga Friedrich, Horst Glauchau, Joachim Antretter, Robert Dr. Penner, Willfried Funke, Rainer Dr. Scholz, Rupert Bachmaier, Hermann Pfuhl, Albert Dr. Funke-Schmitt-Rink, Frhr. von Schorlemer, Barbe, Angelika Dr. Pick, Eckhart Margret Reinhard Bartsch, Holger Poß, Joachim Gallus, Georg Dr. Schreiber, Harald Becker (Nienberge), Helmuth Purps, Rudolf Ganschow, Jörg Schulhoff, Wolfgang Berger, Hans Rappe (Hildesheim), Hermann Gattermann, H ans H. Dr. Schulte (Schwäbisch Bernrath, Hans Gottf ried Reimann, Manfred Genscher, Hans-Dietrich Gmünd), Dieter Bock, Thea von Renesse, Margot Gries, Ekkehard Schulz (Leipzig), Gerhard Börnsen (Ritterhude), Arne Reschke, Otto Grünbeck, Josef Schwalbe, Clemens Dr. Brecht, Eberhard Roth, Wolfgang Grüner, Martin Schwarz, Stefan Büchner (Speyer), Peter Schanz, Dieter Günther (Plauen), Joachim Dr. Schwarz-Schilling, Caspers-Merk, Ma rion Scheffler, Siegfried Dr. Guttmacher, Karlheinz Christian Diller, Karl Schily, Otto Hackel, Heinz-Dieter Dr. Schwörer, Hermann Duve, Freimut Schloten, Dieter Hansen, Dirk Seehofer, Horst Ebert, Eike Schluckebier, Günter Dr. Haussmann, Helmut Seesing, Heinrich Dr. Ehmke (Bonn), Horst Schmidt (Aachen), Ursula Heinrich, Ulrich Seibel, Wilfried Esters, (Nürnberg), Renate Dr. Hitschler, Walter Seiters, Rudolf Fischer (Gräfenhainichen), Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Dr. Hoth, Sigrid Sikora, Jürgen Evelin Dr. Schmude, Jürgen Dr. Hoyer, Werner Skowron, Werner H. Fischer (Homburg), Lothar Dr. Schnell, Emil limer, Ulrich Sothmann, Bärbel Formanski, Norbert Schöler, Walter Kleinert (Hannover), Detlef Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13701*

Kohn, Roland Nein Meckel, Markus F.D.P. Dr. Kolb, Heinrich L. Mehl, Ulrike Koppelin, Jürgen SPD Dr. Meyer (Ulm), Jürgen Baum, Gerhart Rudolf Dr.-Ing. Laermann, Karl-H ans Müller (Düsseldorf), Michael Dr. Blunk (Lübeck), Michaela Dr. Graf Lambsdorff, Otto Adler, Brigitte Müller (Pleisweiler), Albrecht Dr. Hirsch, Burkhard Leutheusser-Schnarrenberger, Becker-Inglau, Ingrid Müller (Völklingen), Jutta Homburger, Birgit Sabine Beucher, Friedhelm Julius Dr. Niehuis, Edith Lüder, Wolfgang Lühr, Uwe Bindig, Rudolf Odendahl, Doris Schmalz-Jacobsen, Cornelia Dr. Menzel, Bruno Blunck (Uetersen), Lieselott Oesinghaus, Günter Dr. von Teichman, Cornelia Mischnick, Wolfgang Dr. Böhme (Unna), Ulrich Opel, Manfred Möllemann, Jürgen W. Brandt-Elsweier, Anni Ostertag, Adolf Nolting, Günther Friedrich Büchler (Hof), Hans Paterna, Peter PDS/Linke Liste Dr. Ortleb, Rainer Dr. von Billow, Andreas Peter (Kassel), Horst Bläss, Petra Otto (Frankfurt), Büttner (Ingolstadt), Hans Dr. Pfaff, Martin Dr. Enkelmann, Dagmar Hans-Joachim Bulmahn, Edelgard Rennebach, Renate Dr. Fischer, Ursula Paintner, Johann Burchardt, Ursula Reuschenbach, Peter W. Dr. Fuchs, Ruth Peters, Lisa Bury, Hans Martin Catenhusen, Wolf-Michael Reuter, Bernd Dr. Gysi, Gregor Dr. Pohl, Eva Rixe, Günter Henn, Bernd Richter (Bremerhaven), Conradi, Peter Dr. Däubler-Gmelin, Herta Schaich-Walch, Gudrun Dr. Heuer, Uwe-Jens Manfred Dr. Scheer, Hermann Dr. Höll, Barbara Rind, Hermann Dr. Diederich (Berlin), Nils Dr. Dobberthien, Marliese Schmidbauer (Nürnberg), Jelpke, Ulla Dr. Röhl, Klaus Dreßler, Rudolf Horst Dr. Keller, Dietmar Schäfer (Mainz), Helmut Dr. Eckardt, Peter Schmidt-Zadel, Regina Lederer, Andrea Schmidt (Dresden), Arno Dr. Elmer, Konrad Dr. Schöfberger, Rudolf Philipp, Ingeborg Dr. Schmieder, Jürgen Ewen, Carl Schreiner, Ottmar Dr. Schumann (Kroppenstedt), Dr. Schnittler, Christoph Ferner, Elke Schröter, Gisela Fritz Schüßler, Gerhard Fuchs (Verl), Katrin Dr. Schuster, Werner Dr. Seifert, Ilja Schuster, Hans Fuhrmann, Arne Schwanhold, Ernst Stachowa, Angela Dr. Schwaetzer, Irmgard Ganseforth, Monika Sielaff, Horst Sehn, Marita Gilges, Konrad Simm, Erika Seiler-Albring, Ursula Gleicke, Iris Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Semper, Sigrid Habermann, Fr ank-Michael Dr. Sperling, Dietrich Dr. Solms, Hermann Otto Dr. Feige, Klaus-Dieter Hanewinckel, Christel Steen, Antje-Marie Dr. Starnick, Jürgen Köppe, Ingrid Heyenn, Günther Stiegler, Ludwig Thiele, Carl-Ludwig Poppe, Gerd Hiller (Lübeck), Reinhold Terborg, Margitta Dr. Thomae, Dieter Schenk, Christina Horn, Erwin Titze-Stecher, Uta Timm, Jürgen Schulz (Berlin), Werner Janz, Ilse Voigt (Frankfurt), Karsten D. Türk, Jürgen Dr. Ullmann, Wolfgang Dr. Janzen, Ulrich Waltemathe, Ernst Walz, Ingrid Jaunich, Horst Weiß (Berlin), Konrad Dr. Weng (Gerlingen), Dr. Wegner, Konstanze Wollenberger, Vera Dr. Jens, Uwe Weiler, Barbara Wolfgang Klappert, Marianne Weisheit, Matthias Wolfgramm (Göttingen), Klemmer, Siegrun Weisskirchen (Wiesloch), Ge rt Torsten Koschnick, Hans Fraktionslos Würfel, Uta Kubatschka, Horst Wester, Hildegard Dr. Briefs, Ulrich Zurheide, Burkhard Kuhlwein, Eckart Westrich, Lydia Zywietz, Werner Lambinus, Uwe Wettig-Danielmeier, Inge Lange, Brigitte Dr. Wetzel, Margrit von Larcher, Detlev Dr. Wieczorek, Norbert Dr. Leonhard-Schmid, Elke Wieczorek-Zeul, Heidemarie Enthalten Fraktionslos Marx, Dorle Wittich, Berthold Mascher, Ulrike Wolf, Hanna SPD Dr. Krause (Bonese), Rudolf Matschie, Christoph Zapf, Uta Lowack, Ortwin Mattischeck, Heide Dr. Zöpel, Christoph Eich, Ludwig 13702* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Anlage 5 Endgültiges Ergebnis

der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD — Drucksache 12/5019, vgl. Seite 13629A —

Abgegebene Stimmen 655; davon

ja: 233 nein: 391 enthalten: 31

Ja Dr. Glotz, Peter Mascher, Ulrike Dr. Schöfberger, Rudolf Graf, Günter Matschie, Christoph Schöler, Walter SPD Großmann, Achim Matthäus-Maier, Ingrid Schreiner, Ottmar Haack (Extertal), Mattischeck, Heide Schröter, Gisela Adler, Brigitte Karl-Hermann Meckel, Markus Schröter, Karl-Heinz Andres, Gerd Habermann, Frank-Michael Mehl, Ulrike Schütz, Dietmar Antretter, Robe rt Hacker, Hans-Joachim Meißner, Herbert Schulte (Hameln), Brigitte Bachmaier, Hermann Hämmerle, Gerlinde Dr. Mertens (Bottrop), Dr. Schuster, Werner Barbe, Angelika Hampel, Manfred Eugen Franz-Josef Schwanhold, Ernst Bartsch, Holger Hanewinckel, Christel Dr. Meyer (Ulm), Jürgen Schwanitz, Rolf Becker (Nienberge), Helmuth Dr. Hartenstein, Liesel Mosdorf, Siegmar Seidenthal, Bodo Becker-Inglau, Ingrid Hasenfratz, Klaus Müller (Düsseldorf), Michael Seuster, Lisa Berger, Hans Dr. Hauchler, Ingomar Müller (Pleisweiler), Albrecht Sielaff, Horst Bernrath, Hans Gottf ried Heistermann, Dieter Müller (Schweinfurt), Rudolf Singer, Johannes Beucher, Friedhelm Julius Heyenn, Günther Müller (Völklingen), Jutta Dr. Soell, Hartmut Bindig, Rudolf Hiller (Lübeck), Reinhold Müller (Zittau), Christian Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Blunck (Uetersen), Lieselott Hilsberg, Stephan Neumann (Gotha), Gerhard Sorge, Wieland Bock, Thea Dr. Holtz, Uwe Dr. Niehuis, Edith Dr. Sperling, Dietrich Dr. Böhme (Unna), Ulrich Horn, Erwin Dr. Niese, Rolf Steen, Antje-Marie Börnsen (Ritterhude), Arne Huonker, Gunter Niggemeier, Horst Steiner, Heinz-Alfred Brandt-Elsweier, Anni Ibrügger, Lothar Odendahl, Doris Stiegler, Ludwig Dr. Brecht, Eberhard Iwersen, Gabriele Oesinghaus, Günter Dr. Struck, Peter Büchler (Hof), H ans Jäger, Renate Oostergetelo, Jan Tappe, Joachim Büchner (Speyer), Peter Dr. Janzen, Ulrich anfred Opel, M Terborg, Margitta Dr. von Bülow, Andreas Jaunich, Horst Ostertag, Adolf Dr. Thalheim, Gerald Büttner (Ingolstadt), Hans Dr. Jens, Uwe Dr. Otto, Helga Thierse, Wolfgang Bulmahn, Edelgard Jung (Düsseldorf), Volker, Paterna, Peter Tietjen, Günther Burchardt, Ursula Jungmann (Wittmoldt), Horst Dr. Penner, Willfried Titze-Stecher, Uta Caspers-Merk, Marion Kastner, Susanne Peter (Kassel), Horst Toetemeyer, Hans-Günther Catenhusen, Wolf-Michael Kastning, Ernst Dr. Pfaff, Martin Urbaniak, Hans-Eberhard Conradi, Peter Kemper, Hans-Peter Dr. Pick, Eckhart Vergin, Siegfried Dr. Däubler-Gmelin, Herta Kirschner, Klaus Poß, Joachim Verheugen, Günter Dr. Diederich (Berlin), Nils Klappert, Marianne Purps, Rudolf Dr. Vogel, Hans-Jochen Diller, Karl Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Rappe (Hildesheim), Hermann Voigt (Frankfurt), Karsten D. Dr. Dobberthien, Marliese Klemmer, Siegrun Reimann, Manfred Vosen, Josef Dreßler, Rudolf Klose, Hans-Ulrich von Renesse, Margot Wagner, Hans Georg Duve, Freimut Dr. sc. Knaape, Hans-Hinrich Rennebach, Renate Wallow, Hans Ebert, Eike Körper, Fritz Rudolf Reschke, Otto Walter (Cochem), Ralf Dr. Eckardt, Peter Kolbe, Regina Reuschenbach, Peter W. Walther (Zierenberg), Rudi Eich, Ludwig Kolbow, Walter Reuter, Bernd Wartenberg (Berlin), Gerd Dr. Elmer, Konrad Koltzsch, Rolf Rixe, Günter Dr. Wegner, Konstanze Erler, Gernot Kretkowski, Volkmar Roth, Wolfgang Weiermann, Wolfgang Esters, Helmut Kubatschka, Horst Schaich-Walch, Gudrun Weiler, Barbara Ewen, Carl Dr. Kübler, Klaus Schanz, Dieter Weis (Stendal), Reinhard Ferner, Elke Kuessner, Hinrich Dr. Scheer, Hermann Weisheit, Matthias Fischer (Gräfenhainichen), Dr. Küster, Uwe Scheffler, Siegfried Willy Weißgerber, Gunter Evelin Kuhlwein, Eckart Schily, Otto Weisskirchen (Wiesloch), Gert Fischer (Homburg), Lothar Lambinus, Uwe Schloten, Dieter Welt, Hans-Joachim Formanski, Norbert Lange, Brigitte Schluckebier, Günter Dr. Wernitz, Axel Fuchs (Köln), Anke von Larcher, Detlev Schmidbauer (Nürnberg), Wester, Hildegard Fuchs (Verl), Katrin Leidinger, Robert Horst Westrich, Lydia Fuhrmann, Arne Lennartz, Klaus Schmidt (Aachen), Ursula Wettig-Danielmeier, Inge Ganseforth, Monika Dr. Leonhard-Schmid, Elke Schmidt (Nürnberg), Renate Dr. Wetzel, Margrit Gansel, Norbert Lohmann (Witten), Klaus Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Weyel, Gudrun Dr. Gautier, Fritz Dr. Lucyga, Christine Schmidt-Zadel, Regina Dr. Wieczorek, Norbert Gilges, Konrad Maaß (Herne), Dieter Dr. Schmude, Jürgen Wieczorek (Duisburg), Helmut Gleicke, Iris Marx, Dorle Dr. Schnell, Emil Wieczorek-Zeul, Heidemarie Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13703*

Wiefelspütz, Dieter Ehrbar, Udo Kauder, Volker Nolte, Claudia Wimmer (Neuötting), Eichhorn, Maria Keller, Peter Dr. Olderog, Rolf Hermann Engelmann, Wolfgang Kiechle, Ignaz Ost, Friedhelm Dr. de With, Hans Eppelmann, Rainer Kittelmann, Peter Oswald, Eduard Wittich, Berthold Eylmann, Horst Klein (Bremen), Günter Otto (Erfurt), Norbert Wohlleben, Verena Ingeburg Eymer, Anke Klein (München), Hans Dr. Päselt, Gerhard Wolf, Hanna Falk, Ilse Klinkert, Ulrich Dr. Paziorek, Peter Paul Zapf, Uta Dr. Faltlhauser, Kurt Köhler (Hainspitz), Pesch, Hans-Wilhelm Dr. Zöpel, Christoph Feilcke, Jochen Hans-Ulrich Petzold, Ulrich Dr. Fell, Karl Dr. Köhler (Wolfsburg), Pfeffermann, Gerhard O. Fischer (Hamburg), Dirk Volkmar Pfeifer, Anton F.D.P. Fischer (Unna), Leni Dr. Kohl, Helmut Pfeiffer, Angelika Fockenberg, Winfried Kolbe, Manfred Dr. Pfennig, Gero Baum, Gerhart Rudolf Francke (Hamburg), Klaus Kors, Eva-Maria Dr. Pflüger, Friedbert Dr. Blunk (Lübeck), Michaela Frankenhauser, Herbert Koschyk, Hartmut Dr. Pinger, Winfried Dr. Hirsch, Burkhard riedrich, Gerhard Dr. F Kossendey, Thomas Pofalla, Ronald Lüder, Wolfgang Fritz, Erich G. Kraus, Rudolf Dr. Pohler, Hermann Fuchtel, Hans-Joachim Dr. Krause (Börgerende), Priebus, Rosemarie Ganz (St. Wendel), Johannes Günther Dr. Probst, Albert PDS/Linke Liste Geiger, Michaela Krause (Dessau), Wolfgang Dr. Protzner, Bernd Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Krey, Franz Heinrich Pützhofen, Dieter Dr. Heuer, Uwe-Jens Geis, Norbert Kriedner, Arnulf Rahardt-Vahldieck, Susanne Dr. Geißler, Heiner Kronberg, Heinz-Jürgen Raidel, Hans Dr. von Geldern, Wolfgang Dr.-Ing. Krüger, Paul Dr. Ramsauer, Peter Nein Gibtner, Horst Krziskewitz, Reiner Eberhard Rau, Rolf Glos, Michael Lamers, Karl Rauen, Peter Harald CDU/CSU Dr. Göhner, Reinhard Dr. Lammert, Norbert Rawe, Wilhelm Göttsching, Martin Lamp, Helmut Johannes Reddemann, Gerhard Dr. Ackermann, Else Götz, Peter Lattmann, Herbert Regenspurger, Otto Adam, Ulrich Dr. Götzer, Wolfgang Dr. Laufs, Paul Reichenbach, Klaus Dr. Altherr, Walter Gres, Joachim Laumann, Karl-Josef Dr. Reinartz, Bertold Augustin, Anneliese Grochtmann, Elisabeth Lehne, Klaus-Heiner Reinhardt, Erika Augustinowitz, Jürgen Gröbl, Wolfgang Dr. Lehr, Ursula-Maria Repnik, Hans-Peter Austermann, Dietrich Grotz, Claus-Peter Lenzer, Christian Dr. Rieder, Norbert Dr. Grünewald, Limbach, Editha Dr. Riedl (München), Erich Bargfrede, Heinz-Günter Joachim Günther (Duisburg), Horst Link (Diepholz), Walter Riegert, Klaus Dr. Bauer, Wolf Frhr. von Hammerstein, Lintner, Eduard Dr. Riesenhuber, Heinz Baumeister, Brigitte Carl-Detlev Dr. Lippold (Offenbach), Ringkamp, Werner Bayha, Richard Harries, Klaus Klaus W. Rode (Wietzen), Helmut Belle, Meinrad Haschke (Großhennersdorf), Dr. sc. Lischewski, Manfred Rönsch (Wiesbaden), Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Gottfried Löwisch, Sigrun Hannelore Bierling, Hans-Dirk Haschke (Jena-Ost), Udo Lohmann (Lüdenscheid), Roitzsch (Quickborn), Ingrid Dr. Blank, Joseph-Theodor Hasselfeldt, Gerda Wolfgang Romer, Franz Blank, Renate Haungs, Rainer Louven, Julius Dr. Rose, Klaus Dr. Blens, Heribert Hauser (Esslingen), Otto Lummer, Heinrich Rossmanith, Kurt J. Bleser, Peter Hauser (Rednitzhembach), Dr. Luther, Michael Roth (Gießen), Adolf Dr. Blüm, Norbe rt Hansgeorg Maaß (Wilhelmshaven), Erich Rother, Heinz Böhm (Melsungen), Wilfried Hedrich, Klaus-Jürgen Männle, Ursula Dr. Ruck, Christian Dr. Böhmer, Maria Heise, Manfred Magin, Theo Rühe, Volker Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Dr. Hellwig, Renate Dr. Mahlo, Dietrich Dr. Rüttgers, Jürgen Dr. Bötsch, Wolfgang Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Marienfeld, Claire Sauer (Salzgitter), Helmut Bohl, Friedrich Hinsken, Ernst Marschewski, Erwin Sauer (Stuttgart), Roland Bohlsen, Wilfried Hintze, Peter Marten, Günter Schätzle, Ortrun Borchert, Jochen Hörsken, Heinz-Adolf Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Dr. Schäuble, Wolfgang Brähmig, Klaus Hörster, Joachim Martin Scharrenbroich, Heribert Breuer, Paul Dr. Hoffacker, Paul Meckelburg, Wolfgang Schartz (Trier), Günther Brudlewsky, Monika Hollerith, Josef Meinl, Rudolf Horst Schemken, Heinz Brunnhuber, Georg Dr. Hornhues, Karl-Heinz Dr. Merkel, Angela Dorothea Scheu, Gerhard Bühler (Bruchsal), Klaus Hornung, Siegfried Dr. Meseke, Hedda Schmalz, Ulrich Büttner (Schönebeck), Hüppe, Hubert Dr. Meyer zu Bentrup, Schmidbauer, Bernd Hartmut Jäger, Claus Reinhard Schmidt (Fürth), Christian Buwitt, Dankward Jaffke, Susanne Michalk, Maria Dr. Schmidt (Halsbrücke), Carstens (Emstek), Manfred Dr. Jahn (Münster), Michels, Meinolf Joachim Carstensen (Nordstrand), Friedrich-Adolf Dr. Mildner, Klaus Gerhard Schmidt (Mülheim), Andreas Peter Harry Janovsky, Georg Dr. Möller, Franz Schmidt (Spiesen), Trudi Clemens, Joachim Jeltsch, Karin Molnar, Thomas Schmitz (Baesweiler), Dehnel, Wolfgang Dr. Jobst, Dionys Dr. Müller, Günther Hans Peter Dempwolf, Gertrud Dr.-Ing. Jork, Rainer Müller (Kirchheim), Elmar von Schmude, Michael Deres, Karl Dr. Jüttner, Egon Müller (Wadern), Dr. Schneider (Nürnberg), Deß, Albert Jung (Limburg), Michael Hans-Werner Oscar Diemers, Renate Junghanns, Ulrich Müller (Wesseling), Alfons Dr. Schockenhoff, Andreas Dörflinger, Werner Dr. Kahl, Harald Nelle, Engelbert Graf von Schönburg- Doss, Hansjürgen Kalb, Bartholomäus Dr. Neuling, Christian Glauchau, Joachim Dr. Dregger, Alfred Kampeter, Steffen Neumann (Bremen), Bernd Dr. Scholz, Rupert Echternach, Jürgen Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Niedenthal, Erhard Frhr. von Schorlemer, Ehlers, Wolfgang Karwatzki, Irmgard Nitsch, Johannes Reinhard 13704* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Schreiber, Harald Wittmann (Tännesberg), Dr. Graf Lambsdorff, Otto Enthalten Schulhoff, Wolfgang Simon Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Schulte (Schwäbisch Wohlrabe, Jürgen Sabine Gmünd), Dieter Wonneberger, Michael Lühr, Uwe SPD Schulz (Leipzig), Gerhard Wülfing, Elke Dr. Menzel, Bruno Schwalbe, Clemens Würzbach, Peter Kurt Mischnick, Wolfgang Bury, Hans Martin Schwarz, Stefan Yzer, Cornelia Möllemann, Jürgen W. Dr. Ehmke (Bonn), Horst ing, Dr. Schwarz-Schill Zeitlmann, Wolfgang Nolting, Günther Friedrich Janz, Ilse Christian Zierer, Benno Dr. Ortleb, Rainer Simm, Erika Dr. Schwörer, Hermann Zöller, Wolfgang Otto (Frankfurt), Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Seehofer, Horst Waltemathe, Ernst Seesing, Heinrich Hans-Joachim Seibel, Wilfried SPD Paintner, Johann Seiters, Rudolf Peters, Lisa F.D.P. Sikora, Jürgen Koschnick, Hans Dr. Pohl, Eva Skowron, Werner H. Richter (Bremerhaven), Sothmann, Bärbel Manfred Homburger, Birgit Spilker, Karl-Heinz F.D.P. Rind, Hermann Schmalz-Jacobsen, Cornelia Spranger, Carl-Dieter Dr. Röhl, Klaus Dr. von Teichman, Cornelia Dr. Sprung, Rudolf Albowitz, Ina Schäfer (Mainz), Helmut Steinbach-Hermann, Erika Dr. Babel, Gisela Schmidt (Dresden), Arno Dr. Stercken, H ans Beckmann, Klaus Dr. Schmieder, Jürgen PDS/Linke Liste Dr. Frhr. von Stetten, Bredehorn, Günther Dr. Schnittler, Christoph Wolfgang Cronenberg (Arnsberg), Schüßler, Gerhard Bläss, Petra Stockhausen, Karl Dieter-Julius Schuster, Hans Dr. Stoltenberg, Gerhard Eimer (Fürth), Norbert Dr. Enkelmann, Dagmar Dr. Schwaetzer, Irmgard Strube, Hans-Gerd Engelhard, Hans A. Dr. Fischer, Ursula Sehn, Marita Stübgen, Michael van Essen, Jörg Dr. Fuchs, Ruth Dr. Süssmuth, Rita Dr. Feldmann, Olaf Seiler-Albring, Ursula Dr. Gysi, Gregor Susset, Egon Friedhoff, Paul Dr. Semper, Sigrid Henn, Bernd Tillmann, Ferdinand Friedrich, Horst Dr. Sohns, Hermann Otto Dr. Höll, Barbara Dr. Töpfer, Klaus Funke, Rainer Dr. Starnick, Jürgen Jelpke, Ulla Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Dr. Funke-Schmitt-Rink, Thiele, Carl-Ludwig Dr. Keller, Dietmar Uldall, Gunnar Margret Dr. Thomae, Dieter Lederer, Andrea Verhülsdonk, Roswitha Gallus, Georg Timm, Jürgen Philipp, Ingeborg Vogel (Ennepetal), Friedrich Ganschow, Jörg Türk, Jürgen Dr. Schumann (Kroppenstedt), Fritz Vogt (Düren), Wolfgang Gattermann, Hans H. Walz, Ingrid Dr. Voigt (Northeim), Genscher, Hans-Dietrich Dr. Seifert, Ilja Dr. Weng (Gerlingen), Stachowa, Angela Hans-Peter Gries, Ekkehard Wolfgang Dr. Vondran, Ruprecht Grünbeck, Josef Wolfgramm (Göttingen), Dr. Waffenschmidt, Horst Grüner, Martin Torsten Dr. Waigel, Theodor Günther (Plauen), Joachim Würfel, Uta BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Guttmacher, Karlheinz Zurheide, Burkhard Dr. Warnke, Jürgen Hackel, Heinz-Dieter Dr. Warrikoff, Alex ander Hansen, Dirk Zywietz, Werner Dr. Feige, Klaus-Dieter Werner (Ulm), Herbe rt Dr. Haussmann, Helmut Köppe, Ingrid Wetzel, Kersten Heinrich, Ulrich Poppe, Gerd Wiechatzek, Gabriele Dr. Hitschler, Walter BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schenk, Christina Dr. Wieczorek (Auerbach), Dr. Hoth, Sigrid Schulz (Berlin), Werner Bertram Dr. Hoyer, Werner Wollenberger, Vera Dr. Ullmann, Wolfgang Dr. Wilms, Dorothee Inner, Ulrich Weiß (Berlin), Konrad Wilz, Bernd Kleinert (Hannover), Detlef Wimmer (Neuss), Willy Kohn, Roland Fraktionslos Dr. Wisniewski, Roswitha Dr. Kolb, Heinrich Fraktionslos Wissmann, Matthias Koppelin, Jürgen Dr. Krause (Bonese), Rudolf Dr. Wittmann, Fritz Dr.-Ing. Laermann, Karl-H ans Lowack, Ortwin Dr. Briefs, Ulrich Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13705*

Anlage 6 Endgültiges Ergebnis

der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung asylverfahrens-, ausländer- und staatsangehörigkeitsrechtlicher Vorschriften — Drucksachen 12/4450, 12/4984, 12/4996, vgl. Seite 13629 —

Abgegebene Stimmen 655; davon

ja: 496 nein: 158 enthalten: 1

Ja Eymer, Anke Jaffke, Susanne Lohmann (Lüdenscheid), Falk, Ilse Dr. Jahn (Münster), Wolfgang CDU/CSU Dr. Faltlhauser, Ku rt Friedrich-Adolf Louven, Julius Feilcke, Jochen Janovsky, Georg Lummer, Heinrich Dr. Ackermann, Else Dr. Fell, Karl Jeltsch, Karin Dr. Luther, Michael Adam, Ulrich Fischer (Hamburg), Dirk E rik Dr. Jobst, Dionys Maaß (Wilhelmshaven), Erich Dr. Altherr, Walter Fischer (Unna), Leni Dr.-Ing. Jork, Rainer Männle, Ursula Augustin, Anneliese Fockenberg, Winfried Dr. Jüttner, Egon Magin, Theo Augustinowitz, Jürgen Francke (Hamburg), Klaus Jung (Limburg), Michael Dr. Mahlo, Dietrich Austermann, Dietrich Frankenhauser, Herbert Junghanns, Ulrich Marienfeld, Claire Bargfrede, Heinz-Günter Dr. Friedrich, Gerhard Dr. Kahl, Harald Marschewski, Erwin Dr. Bauer, Wolf Fritz, Erich G. Kalb, Bartholomäus Marten, Günter Baumeister, B rigitte Fuchtel, Hans-Joachim Kampeter, Steffen Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Bayha, Richard Ganz (St. Wendel), Johannes Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Martin Belle, Meinrad Geiger, Michaela Karwatzki, Irmgard Meckelburg, Wolfgang Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Kauder, Volker Meinl, Rudolf Horst Bierling, Hans-Dirk Geis, Norbert Keller, Peter Dr. Merkel, Angela Dorothea Dr. Blank, Joseph-Theodor Dr. Geißler, Heiner Kiechle, Ignaz Dr. Meseke, Hedda Blank, Renate Dr. von Geldern, Wolfgang Kittelmann, Peter Dr. Meyer zu Bentrup, Dr. Blens, Heribert Gibtner, Horst Klein (Bremen), Günter Reinhard Bleser, Peter Glos, Michael Klein (München), Hans Michalk, Maria Dr. Blüm, Norbert Dr. Göhner, Reinhard Klinkert, Ulrich Michels, Meinolf Böhm (Melsungen), Wilfried Göttsching, Martin Köhler (Hainspitz), Dr. Mildner, Klaus Gerhard Dr. Böhmer, Maria Götz, Peter Hans-Ulrich Dr. Möller, Franz Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Dr. Götzer, Wolfgang Dr. Köhler (Wolfsburg), Molnar, Thomas Dr. Bötsch, Wolfgang Gres, Joachim Volkmar Dr. Müller, Günther Bohl, Friedrich Grochtmann, Elisabeth Dr. Kohl, Helmut Müller (Kirchheim), Elmar Bohlsen, Wilfried Gröbl, Wolfgang Kolbe, Manfred Müller (Wadern), Borchert, Jochen Grotz, Claus-Peter Kors, Eva-Maria Hans-Werner Brähmig, Klaus Dr. Grünewald, Joachim Koschyk, Hartmut Müller (Wesseling), Alfons Breuer, Paul Günther (Duisburg), Horst Kossendey, Thomas Nelle, Engelbert Brudlewsky, Monika Frhr. von Hammerstein, Kraus, Rudolf Dr. Neuling, Christian Brunnhuber, Georg Carl-Detlev Dr. Krause (Börgerende), Neumann (Bremen), Bernd Bühler (Bruchsal), Klaus Harries, Klaus Günther Niedenthal, Erhard Büttner (Schönebeck), Haschke (Großhennersdorf), Krause (Dessau), Wolfgang Nitsch, Johannes Hartmut Gottfried Krey, Franz Heinrich Nolte, Claudia Buwitt, Dankward Haschke (Jena-Ost), Udo Kriedner, Arnulf Dr. Olderog, Rolf Carstens (Emstek), Manfred Hasselfeldt, Gerda Kronberg, Heinz-Jürgen Ost, Friedhelm Carstensen (Nordstrand), Haungs, Rainer Dr.-Ing. Krüger, Paul Oswald, Eduard Peter Harry Hauser (Esslingen), Otto Krziskewitz, Reiner Eberhard Otto (Erfurt), Norbe rt Clemens, Joachim Hauser (Rednitzhembach), Lamers, Karl Dr. Päselt, Gerhard Dehnel, Wolfgang Hansgeorg Dr. Lammert, Norbert Dr. Paziorek, Peter Paul Dempwolf, Gertrud Hedrich, Klaus-Jürgen Lamp, Helmut Johannes Pesch, Ham-Wilhelm Deres, Karl Heise, Manfred Lattmann, Herbert Petzold, Ulrich Deß, Albert Dr. Hellwig, Renate Dr. Laufs, Paul Pfeffermann, Gerhard O. Diemers, Renate Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Laumann, Karl-Josef Pfeifer, Anton Dörflinger, Werner Hinsken, Ernst Lehne, Klaus-Heiner Pfeiffer, Angelika Doss, Hansjürgen Hintze, Peter Dr. Lehr, Ursula-Ma ria Dr. Pfennig, Gero Dr. Dregger, Alfred Hörsken, Heinz-Adolf Lenzer, Christian Dr. Pflüger, Friedbert Echternach, Jürgen Hörster, Joachim Limbach, Editha Dr. Pinger, Winfried Ehlers, Wolfgang Dr. Hoffacker, Paul Link (Diepholz), Walter Pofalla, Ronald Ehrbar, Udo Hollerith, Josef Lintner, Eduard Dr. Pohler, Hermann Eichhorn, Maria Dr. Hornhues, Karl-Heinz Dr. Lippold (Offenbach), Priebus, Rosemarie Engelmann, Wolfgang Hornung, Siegfried Klaus W. Dr. Probst, Albert Eppelmann, Rainer Hüppe, Hubert Dr. sc. Lischewski, Manfred Dr. Protzner, Bernd Eylmann, Horst Jäger, Claus Löwisch, Sigrun Pützhofen, Dieter 13706* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Rahardt-Vahldieck, Susanne Dr. Stercken, H ans Hampel, Manfred Eugen Weyel, Gudrun Raidel, Hans Dr. Frhr. von Stetten, Hasenfratz, Klaus Wieczorek (Duisburg), Helmut Dr. Ramsauer, Peter Wolfgang • Heistermann, Dieter Wiefelspütz, Dieter Rau, Rolf Stockhausen, Karl Hilsberg, Stephan Wimmer (Neuötting), Rauen, Peter Harald Dr. Stoltenberg, Gerhard Iwersen, Gabriele Hermann Rawe, Wilhelm Strube, Hans-Gerd Jäger, Renate Dr. de With, Hans Reddemann, Gerhard Stübgen, Michael Jung (Düsseldorf), Volker Wohlleben, Verena Ingeburg Regenspurger, Otto Dr. Süssmuth, Rita Kastner, Susanne Reichenbach, Klaus Susset, Egon Kemper, Hans-Peter Dr. Reinartz, Bertold Tillmann, Ferdinand Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz F.D.P. Reinhardt, Erika Dr. Töpfer, Klaus Klose, Hans-Ulrich Repnik, Hans-Peter Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Dr. sc. Knaape, Hans-Hinrich Albowitz, Ina Dr. Rieder, Norbert Uldall, Gunnar Körper, Fritz Rudolf Dr. Babel, Gisela Dr. Riedl (München), Erich Verhülsdonk, Roswitha Kolbe, Regina Beckmann, Klaus Riegert, Klaus Vogel (Ennepetal), Friedrich Kolbow, Walter Bredehorn, Günther Dr. Riesenhuber, Heinz Vogt (Düren), Wolfgang Koltzsch, Rolf Cronenberg (Arnsberg), Ringkamp, Werner Dr. Voigt (Northeim), Kretkowski, Volkmar Dieter-Julius Rode (Wietzen), Helmut Hans-Peter Dr. Kübler, Klaus Eimer (Fürth), Norbert Rönsch (Wiesbaden), Dr. Vondran, Ruprecht Kuessner, Hinrich Engelhard, Hans A. Hannelore Dr. Waffenschmidt, Horst Dr. Küster, Uwe van Essen, Jörg Roitzsch (Quickborn), Ing rid Dr. Waigel, Theodor Leidinger, Robert Dr. Feldmann, Olaf Romer, Franz-Xaver Graf von Waldburg-Zeil, Alois Lennartz, Klaus Friedhoff, Paul Dr. Rose, Klaus Dr. Warnke, Jürgen Lohmann (Witten), Klaus Friedrich, Horst Rossmanith, Kurt J. Dr. Warrikoff, Alex ander Maaß (Herne), Dieter Funke, Rainer Roth (Gießen), Adolf Werner (Ulm), Herbert Matthäus-Maier, Ingrid Dr. Funke-Schmitt-Rink, Rother, Heinz Wetzel, Kersten Meißner, Herbert Margret Dr. Ruck, Christian Wiechatzek, Gabriele Dr. Mertens (Bot trop), Gallus, Georg Rühe, Volker Dr. Wieczorek (Auerbach), Franz-Josef Ganschow, Jörg Dr. Rüttgers, Jürgen Bertram Mosdorf, Siegmar Gattermann, H ans H. Sauer (Salzgitter), Helmut Dr. Wilms, Dorothee Müller (Schweinfurt), Rudolf Genscher, Hans-Dietrich Sauer (Stuttgart), Rol and Wilz, Bernd Müller (Zittau), Christian Gries, Ekkehard Schätzle, Ortrun Wimmer (Neuss), Willy Dr. Niese, Rolf Grünbeck, Josef Dr. Schäuble, Wolfgang Dr. Wisniewski, Roswitha Niggemeier, Horst Grüner, Martin Scharrenbroich, Heribert Wissmann, Matthias Oostergetelo, Jan Günther (Plauen), Joachim Schartz (Trier), Günther Dr. Wittmann, Fritz Dr. Otto, Helga Dr. Guttmacher, Karlheinz Schemken, Heinz Wittmann (Tännesberg), Dr. Penner, Wilfried Hackel, Heinz-Dieter Scheu, Gerhard Simon Poß, Joachim Hansen, Dirk Schmalz, Ulrich Wohlrabe, Jürgen Purps, Rudolf Dr. Haussmann, Helmut Schmidbauer, Bernd Wonneberger, Michael Rappe (Hildesheim), Hermann Heinrich, Ulrich Schmidt (Fürth), Christian Wülfing, Elke Reimann, Manfred Dr. Hitschler, Walter (Halsbrücke), Dr. Schmidt Würzbach, Peter Kurt von Renesse, Margot Homburger, Birgit Joachim Yzer, Cornelia Roth, Wolfgang Dr. Hoth, Sigrid Schmidt (Mülheim), Andreas Zeitlmann, Wolfgang Schanz, Dieter Dr. Hoyer, Werner Schmidt (Spiesen), Trudi Zierer, Benno Scheffler, Siegfried Willy Irmer, Ulrich Schmitz (Baesweiler), Zöller, Wolfgang Schloten, Dieter Kleinert (Hannover), Detlef Hans Peter Schluckebier, Günter Kohn, Roland von Schmude, Michael Schmidt (Aachen), Ursula Dr. Kolb, Heinrich Leonhard Dr. Schneider (Nürnberg), SPD Schmidt (Nürnberg), Renate Koppelin, Jürgen Oscar Dr. Schmude, Jürgen Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Dr. Schockenhoff, Andreas Andres, Gerd Dr. Schnell, Emil Dr. Graf Lambsdorff, Otto Graf von Schönburg - Antretter, Robert Schröter, Karl-Heinz Leutheusser-Schnarrenberger, Glauchau, Joachim Bartsch, Holger Schulte (Hameln), B rigitte Sabine Dr. Scholz, Rupe rt Becker (Nienberge), Helmuth Schwanitz, Rolf Lühr, Uwe Frhr. von Schorlemer, Berger, H ans Seidenthal, Bodo Dr. Menzel, Bruno Reinhard Bernrath, Hans Gottfried Seuster, Lisa Mischnick, Wolfgang Dr. Schreiber, Harald Börnsen (Ritterhude), Arne Singer, Johannes Möllemann, Jürgen W. Schulhoff, Wolfgang Büchler (Hof), Hans Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Nolting, Günther Friedrich Dr. Schulte (Schwäbisch Büchner (Speyer), Peter Sorge, Wieland Dr. Ortleb, Rainer Gmünd), Dieter Caspers-Merk, Marion Steiner, Heinz-Alfred Otto (Frankfurt), Schulz (Leipzig), Gerhard Ebert, Eike Dr. Struck, Peter Hans-Joachim Schwalbe, Clemens Dr. Ehmke (Bonn), Horst Tappe, Joachim Paintner, Johann Schwarz, Stefan Esters, Helmut Dr. Thalheim, Gerald Peters, Lisa Dr. Schwarz-Schilling, Fischer (Gräfenhainichen), Tietjen, Günther Dr. Pohl, Eva Christian Evelin Toetemeyer, Hans-Günther Richter (Bremerhaven), Dr. Schwörer, Hermann Fischer (Homburg), Lothar Urbaniak, Hans-Eberhard Manfred Seehofer, Horst Formanski, Norbert Vergin, Siegfried Rind, Hermann Seesing, Heinrich Fuchs (Köln), Anke Verheugen, Günter Dr. Röhl, Klaus Seibel, Wilfried Gansel, Norbert Vosen, Josef Schäfer (Mainz), Helmut Seiters, Rudolf Dr. Gautier, Fritz Wagner, Hans Georg Schmidt (Dresden), Arno Sikora, Jürgen Dr. Glotz, Peter Wallow, Hans Dr. Schmieder, Jürgen Skowron, Werner H. Graf, Günter Wartenberg (Berlin), Gerd Dr. Schnittler, Christoph Sothmann, Bärbel Großmann, Achim Weiermann, Wolfgang Schüßler, Gerhard Spilker, Karl-Heinz Haack (Extertal), Weis (Stendal), Reinhard Schuster, Hans Spranger, Carl-Dieter Karl-Hermann Weißgerber, Gunter Dr. Schwaetzer, Irmgard Dr. Sprung, Rudolf Hacker, Hans-Joachim Welt, Hans-Joachim Sehn, Marita Steinbach-Hermann, Erika Hämmerle, Gerlinde Dr. Wernitz, Axel Seiler-Albring, Ursula Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13707*

Dr. Semper, Sigrid Dr. Elmer, Konrad Paterna, Peter F.D.P. Dr. Solms, Hermann Otto Erler, Gernot Peter (Kassel), Horst Dr. Starnick, Jürgen Ewen, Carl Dr. Pfaff, Martin Baum, Gerhart Rudolf Thiele, Carl-Ludwig Ferner, Elke Dr. Pick, Eckhart Dr. Blunk (Lübeck), Michaela Dr. Thomae, Dieter Fuchs (Verl), Katrin Rennebach, Renate Dr. Hirsch, Burkhard Timm, Jürgen Fuhrmann, Arne Reschke, Otto Lüder, Wolfgang Türk, Jürgen Ganseforth, Monika Reuschenbach, Peter W. Schmalz-Jacobsen, Cornelia Walz, Ingrid Gilges, Konrad Reuter, Bernd Dr. von Teichman, Cornelia Dr. Weng (Gerlingen), Gleicke, Iris Rixe, Günter Wolfgang Habermann, Frank-Michael Schaich-Walch, Gudrun Wolfgramm (Göttingen), Hanewinckel, Christel Dr. Scheer, Hermann PDS/Linke Liste Torsten Dr. Hartenstein, Liesel Schily, Otto Würfel, Uta Dr. Hauchler, Ingomar Schmidbauer (Nürnberg), Bläss, Petra Zurheide, Burkhard Heyenn, Günther Horst Dr. Enkelmann, Dagmar Zywietz, Werner Hiller (Lübeck), Reinhold Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Dr. Fischer, Ursula Dr. Holtz, Uwe Schmidt-Zadel, Regina Dr. Fuchs, Ruth Horn, Erwin Dr. Schöfberger, Rudolf Dr. Gysi, Gregor Fraktionslos Huonker, Gunter Schöler, Walter Heim, Bernd Ibrügger, Lothar Schreiner, Ottmar Dr. Heuer, Uwe-Jens Lowack, Ortwin Janz, Ilse Schröter, Gisela Dr. Höll, Barbara Dr. Krause (Bonese), Rudolf Dr. Janzen, Ulrich Schütz, Dietmar Jelpke, Ulla Jaunich, Horst Dr. Schuster, R. Werner Dr. Keller, Dietmar Dr. Jens, Uwe Schwanhold, Ernst Lederer, Andrea Nein Jungmann (Wittmoldt), Horst Sielaff, Horst Philipp, Ingeborg Kastning, Ernst Simm, Erika Dr. Schumann (Kroppenstedt), SPD Kirschner, Klaus Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Fritz Klappert, Marianne Dr. Soell, Hartmut Dr. Seifert, Ilja Adler, Brigitte Klemmer, Siegrun Dr. Sperling, Dietrich Stachowa, Angela Bachmaier, Hermann Koschnick, Hans Steen, Antje-Marie Barbe, Angelika Kubatschka, Horst Stiegler, Ludwig Becker-Inglau, Ingrid Kuhlwein, Eckart Terborg, Margitta BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beucher, Friedhelm Julius Lambinus, Uwe Thierse, Wolfgang Bindig, Rudolf Lange, Brigitte Titze-Stecher, Uta Dr. Feige, Klaus-Dieter Blunck (Uetersen), Lieselott von Larcher, Detlev Dr. Vogel, Hans-Jochen Köppe, Ingrid Bock, Thea Dr. Leonhard-Schmid, Elke Voigt (Frankfurt), Karsten D. Poppe, Gerd Dr. Böhme (Unna), Ulrich Dr. Lucyga, Christine Waltemathe, Ernst Schenk, Christina Brandt-Elsweier, Anni Marx, Dorle Walter (Cochem), Ralf Schulz (Berlin), Werner Dr. Brecht, Eberhard Mascher, Ulrike Walther (Zierenberg), Rudi Dr. Ullmann, Wolfgang Dr. von Bülow, Andreas Matschie, Christoph Dr. Wegner, Konstanze Weiß (Berlin), Konrad Büttner (Ingolstadt), Hans Mattischeck, Heide Weiler, Barbara Wollenberger, Vera Bulmahn, Edelgard Meckel, Markus Weisheit, Matthias Burchardt, Ursula Mehl, Ulrike Weisskirchen (Wiesloch), Gert Bury, Hans Martin Dr. Meyer (Ulm), Jürgen Wester, Hildegard Fraktionslos Catenhusen, Wolf-Michael Müller (Düsseldorf), Michael Westrich, Lydia Conradi, Peter Müller (Pleisweiler), Albrecht Wettig-Danielmeier, Inge Dr. Briefs, Ulrich Dr. Däubler-Gmelin, Herta Müller (Völklingen), Jutta Dr. Wetzel, Margrit Dr. Diederich (Berlin), Nils Neumann (Gotha), Gerhard Dr. Wieczorek, Norbert Diller, Karl Dr. Niehuis, Edith Wieczorek-Zeul, Heidemarie Enthalten Dr. Dobberthien, Marliese Odendahl, Doris Wittich, Berthold Dreßler, Rudolf Oesinghaus, Günter Wolf, Hanna SPD Duve, Freimut Opel, Manfred Zapf, Uta Dr. Eckardt, Peter Ostertag, Adolf Dr. Zöpel, Christoph Eich, Ludwig 13708* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Anlage 7 Endgültiges Ergebnis

der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber — Drucksachen 12/4451, 12/5008 Nr. 1, vgl. Seite 13630C —

Abgegebene Stimmen 651; davon

ja: 540 nein: 98 enthalten: 13

Ja Eymer, Anke Dr. Jahn (Münster), Lohmann (Lüdenscheid), Falk, Ilse Friedrich-Adolf Wolfgang CDU/CSU Dr. Faltlhauser, Kurt Janovsky, Georg Louven, Julius Feilcke, Jochen Jeltsch, Karin Lummer, Heinrich Dr. Ackermann, Else Dr. Fell, Karl Dr. Jobst, Dionys Dr. Luther, Michael Adam, Ulrich Fischer (Hamburg), Dirk Dr.-Ing. Jork, Rainer Maaß (Wilhelmshaven), Erich Dr. Altherr, Walter Fischer (Unna), Leni Dr. Jüttner, Egon Männle, Ursula Augustin, Anneliese Fockenberg, Winfried Jung (Limburg), Michael Magin, Theo Augustinowitz, Jürgen Francke (Hamburg), Klaus Junghanns, Ulrich Dr. Mahlo, Dietrich Austermann, Dietrich Frankenhauser, Herbert Dr. Kahl, Harald Marienfeld, Claire Bargfrede, Heinz-Günter Dr. Friedrich, Gerhard Kalb, Bartholomäus Marschewski, Erwin Dr. Bauer, Wolf Fritz, Erich G. Kampeter, Steffen Marten, Günter Baumeister, Brigitte Fuchtel, Hans-Joachim Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Bayha, Richard Ganz (St. Wendel), Johannes Karwatzki, Irmgard Martin Belle, Meinrad Geiger, Michaela Kauder, Volker Meckelburg, Wolfgang Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Keller, Peter Meinl, Rudolf Horst Bierling, Hans-Dirk Geis, Norbert Kiechle, Ignaz Dr. Merkel, Angela Dr. Blank, Joseph-Theodor Dr. Geißler, Heiner Kittelmann, Peter Dr. Meseke, Hedda Blank, Renate Dr. von Geldern, Wolfgang Klein (Bremen), Günter Dr. Meyer zu Bentrup, Reinhard Dr. Blens, Heribert Gibtner, Horst Klein (München), Hans Michalk, Maria Bleser, Peter Glos, Michael Klinkert, Ulrich Michels, Meinolf Dr. Blüm, Norbert Dr. Göhner, Reinhard Köhler (Hainspitz), Dr. Mildner, Klaus Gerhard Böhm (Melsungen), Wilfried Göttsching, Martin Hans-Ulrich Peter Dr. Möller, Franz Dr. Böhmer, Ma ria Götz, Dr. Köhler (Wolfsburg), Molnar, Thomas Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Dr. Götzer, Wolfgang Volkmar Gres, Joachim Dr. Müller, Günther Dr. Bötsch, Wolfgang Dr. Kohl, Helmut Grochtmann, Elisabeth Müller (Kirchheim), Elmar Bohl, Friedrich Kolbe, Manfred Gröbl, Wolfgang Müller (Wadern), Bohlsen, Wilfried Kors, Eva-Maria Grotz, Claus-Peter Hans-Werner Borchert, Jochen Koschyk, Hartmut Dr. Grünewald, Joachim Müller (Wesseling), Alfons Brähmig, Klaus Kossendey, Thomas Breuer, Paul Günther (Duisburg), Horst Nelle, Engelbert Frhr. von Hammerstein, Kraus, Rudolf Dr. Neuling, Christian Brudlewsky, Monika Dr. Krause (Börgerende), Brunnhuber, Georg Carl-Detlev Neumann (Bremen), Bernd Harries, Klaus Günther Niedenthal, Erhard Bühler (Bruchsal), Klaus Krause (Dessau), Wolfgang (Schönebeck), Haschke (Großhennersdorf), Nitsch, Johannes Büttner Krey, Franz Heinrich Hartmut Gottfried Nolte, Claudia Kriedner, Arnulf Buwitt, Dankward Haschke (Jena-Ost), Udo Dr. Olderog, Rolf Kronberg, Heinz-Jürgen Carstens (Emstek), Manfred Hasselfeldt, Gerda Ost, Friedhelm Dr.-Ing. Krüger, Paul Carstensen (Nordstrand), Haungs, Rainer Oswald, Eduard Peter Harry Hauser (Esslingen), Otto Krziskewitz, Reiner Eberhard Otto (Erfurt), Norbert Clemens, Joachim Hauser (Rednitzhembach), Lamers, Karl Dr. Päselt, Gerhard Dehnel, Wolfgang Hansgeorg Dr. Lammert, Norbert Dr. Paziorek, Peter Paul Dempwolf, Gertrud Hedrich, Klaus-Jürgen Lamp, Helmut Johannes Pesch, Hans-Wilhelm Deres, Karl Heise, Manfred Lattmann, Herbert Petzold, Ulrich DeB, Albert Dr. Hellwig, Renate Dr. Laufs, Paul Pfeffermann, Gerhard O. Diemers, Renate Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Laumann, Karl-Josef Pfeifer, Anton Dörflinger, Werner Hinsken, Ernst Lehne, Klaus-Heiner Pfeiffer, Angelika Doss, Hansjürgen Hintze, Peter Dr. Lehr, Ursula-Maria Dr. Pfennig, Gero Dr. Dregger, Alfred Hörsken, Heinz-Adolf Lenzer, Christian Dr. Pflüger, Friedbert Echternach, Jürgen Hörster, Joachim Limbach, Editha Pofalla, Ronald Ehlers, Wolfgang Dr. Hoffacker, Paul Link (Diepholz), Walter Dr. Polder, Hermann Ehrbar, Udo Dr. Hornhues, Karl-Heinz Lintner, Eduard Priebus, Rosemarie Eichhorn, Maria Hornung, Siegfried Dr. Lippold (Offenbach), Dr. Probst, Albert Engelmann, Wolfgang Hüppe, Hubert Klaus W. Dr. Protzner, Bernd Eppelmann, Rainer Jäger, Claus Dr. sc. Lischewski, Manfred Pützhofen, Dieter Eylmann, Horst Jaffke, Susanne Löwisch, Sigrun Rahardt-Vahldieck, Susanne Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993 13709*

Raidel, Hans Dr. Frhr. von Stetten, Gansel, Norbert Dr. Schmude, Jürgen Dr. Ramsauer, Peter Wolfgang ritz Dr. Gautier, F Dr. Schnell, Emil Rau, Rolf Stockhausen, Karl Dr. Glotz, Peter Dr. Schöfberger, Rudolf Rauen, Peter Harald Dr. Stoltenberg, Gerhard Graf, Günter Schröter, Karl-Heinz Rawe, Wilhelm Strube, Hans-Gerd Großmann, Achim Schütz, Dietmar Reddemann, Gerhard Stübgen, Michael Haack (Extertal), Schulte (Hameln), B rigitte Regenspurger, Otto Dr. Süssmuth, Rita Karl-Hermann Dr. Schuster, Werner Reichenbach, Klaus Susset, Egon Hacker, Hans-Joachim Schwanitz, Rolf Dr. Reinartz, Bertold Tillmann, Ferdinand Hämmerle, Gerlinde Seidenthal, Bodo Reinhardt, Erika Dr. Töpfer, Klaus Hampel, Manfred Eugen Seuster, Lisa Repnik, Hans-Peter Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Dr. Hartenstein, Liesel Dr. Soell, Hartmut Dr. Rieder, Norbert Uldall, Gunnar Hasenfratz, Klaus Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Dr. Riedl (München), Erich Verhülsdonk, Roswitha Heistermann, Dieter Sorge, Wieland Riegert, Klaus Vogel (Ennepetal), Friedrich Hiller (Lübeck), Reinhold Steiner, Heinz-Alfred Dr. Riesenhuber, Heinz Vogt (Düren), Wolfgang Hilsberg, Stephan Dr. Struck, Peter Ringkamp, Werner Dr. Voigt (Northeim), Huonker, Gunter Tappe, Joachim Rode (Wietzen), Helmut Hans-Peter Iwersen, Gabriele Dr. Thalheim, Gerald Rönsch (Wiesbaden), Dr. Vondran, Ruprecht Jäger, Renate Thierse, Wolfgang Hannelore Dr. Waffenschmidt, Horst Jaunich, Horst Tietjen, Günther Roitzsch (Quickborn), Ing rid Dr. Waigel, Theodor Dr. Jens, Uwe Toetemeyer, Hans-Günther Romer, Franz Graf von Waldburg-Zeil, Alois Jung (Düsseldorf), Volker Urbaniak, Hans-Eberhard Dr. Rose, Klaus Dr. Warnke, Jürgen Jungmann (Wittmoldt), Horst Vergin, Siegfried Rossmanith, Kurt J. Dr. Warrikoff, Alex ander Kastner, Susanne Verheugen, Günter Roth (Gießen), Adolf Werner (Ulm), Herbert Kastning, Ernst Dr. Vogel, Hans-Jochen Rother, Heinz Wetzel, Kersten Kemper, Hans-Peter Voigt (Frankfurt), Karsten D. Dr. Ruck, Christian Wiechatzek, Gabriele Kirschner, Klaus Vosen, Josef Rühe, Volker Dr. Wieczorek (Auerbach), Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Wagner, Hans Georg Dr. Rüttgers, Jürgen Bertram Klose, Hans-Ulrich Wallow, Hans Sauer (Salzgitter), Helmut Dr. Wilms, Dorothee Dr. sc. Knaape, Hans-Hinrich Walter (Cochem), Ralf Sauer (Stuttgart), Rol and Wilz, Bernd Körper, Fritz Rudolf Walther (Zierenberg), Rudi Schätzle, Ortrun Wimmer (Neuss), Willy Kolbe, Regina Wartenberg (Berlin), Gerd Dr. Schäuble, Wolfgang Dr. Wisniewski, Roswitha Kolbow, Walter Weiermann, Wolfgang Scharrenbroich, Heribert Wissmann, Matthias Koltzsch, Rolf Weis (Stendal), Reinhard Schartz (Trier), Günther Dr. Wittmann, Fritz Kretkowski, Volkmar Weißgerber, Gunter Schemken, Heinz Wittmann (Tännesberg), Kuessner, Hinrich Welt, Hans-Joachim Scheu, Gerhard Simon Dr. Küster, Uwe Dr. Wernitz, Axel Schmalz, Ulrich Wohlrabe, Jürgen Kuhlwein, Eckart Westrich, Lydia Schmidbauer, Bernd Wonneberger, Michael Lambinus, Uwe Wettig-Danielmeier, Inge Schmidt (Fürth), Christian Wülfing, Elke Leidinger, Robert Weyel, Gudrun Dr. Schmidt (Halsbrücke), Würzbach, Peter Kurt Lennartz, Klaus Wieczorek (Duisburg), Helmut Joachim Yzer, Cornelia Lohmann (Witten), Klaus Wieczorek-Zeul, Heidemarie Schmidt (Mülheim), Andreas Zeitlmann, Wolfgang Dr. Lucyga, Christine Wiefelspütz, Dieter Schmidt (Spiesen), Trudi Zierer, Benno Maaß (Herne), Dieter Wimmer (Neuötting), Schmitz (Baesweiler), Zöller, Wolfgang Matthäus-Maier, Ingrid Hermann Hans Peter Meckel, Markus Dr. de With, Hans von Schmude, Michael Mehl, Ulrike Wohlleben, Verena Ingeburg Dr. Schneider (Nürnberg), SPD Meißner, Herbert Dr. Zöpel, Christoph Oscar Dr. Mertens (Bottrop), Dr. Schockenhoff, Andreas Andres, Gerd Franz-Josef Graf von Schönburg- Antretter, Robert Mosdorf, Siegmar F.D.P. Glauchau, Joachim Bartsch, Holger Müller (Schweinfurt), Rudolf Dr. Scholz, Rupert Becker (Nienberge), Helmuth Müller (Zittau), Christian Albowitz, Ina Frhr. von Schorlemer, Becker-Inglau, Ing rid Neumann (Gotha), Gerhard Dr. Babel, Gisela Reinhard Berger, H ans Dr. Niese, Rolf Baum, Gerhart Rudolf Dr. Schreiber, Harald Bernrath, Hans Gottfried Niggemeier, Horst Beckmann, Klaus Schulhoff, Wolfgang Blunck (Uetersen), Lieselott Oostergetelo, Jan Dr. Blunk (Lübeck), Michaela Dr. Schulte (Schwäbisch Börnsen (Ritterhude), Arne Opel, Manfred Bredehorn, Günther Gmünd), Dieter Dr. Brecht, Eberhard Dr. Otto, Helga Cronenberg (Arnsberg), Schulz (Leipzig), Gerhard Büchler (Hof), H ans Dr. Penner, Wilfried Dieter-Julius Schwalbe, Clemens Büchner (Speyer), Peter Dr. Pfaff, Martin Eimer (Fürth), Norbert Schwarz, Stefan Dr. von Bülow, Andreas Poß, Joachim ans A. Engelhard, H Dr. Schwarz-Schilling, Büttner (Ingolstadt), Hans Purps, Rudolf van Essen, Jörg Christian Caspers-Merk, Marion Rappe (Hildesheim), Hermann Dr. Feldmann, Olaf Dr. Schwörer, Hermann Catenhusen, Wolf-Michael Reimann, Manfred Friedhoff, Paul Seehofer, Horst Conradi, Peter von Renesse, Margot Friedrich, Horst Seesing, Heinrich Dr. Diederich (Berlin), Nils Reschke, Otto Funke, Rainer Seibel, Wilfried Diller, Karl Roth, Wolfgang Dr. Funke-Schmitt-Rink, Seiters, Rudolf Ebert, Eike Schaich-Walch, Gudrun Margret Sikora, Jürgen Dr. Ehmke (Bonn), Horst Schanz, Dieter Gallus, Georg Skowron, Werner Esters, Helmut Dr. Scheer, Hermann Ganschow, Jörg Sothmann, Bärbel Fischer (Gräfenhainichen), Scheffler, Siegfried Willy Gattermann, H ans H. Spilker, Karl-Heinz Evelin Schloten, Dieter Genscher, Hans-Dietrich Spranger, Carl-Dieter Fischer (Homburg), Lothar Schluckebier, Günter Gries, Ekkehard Dr. Sprung, Rudolf Formanski, Norbert Schmidt (Aachen), Ursula Grünbeck, Josef Steinbach-Hermann, Erika Fuchs (Köln), Anke Schmidt (Nürnberg), Renate Grüner, Martin Dr. Stercken, H ans Ganseforth, Monika Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Günther (Plauen), Joachim 13710* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 160. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 26. Mai 1993

Dr. Guttmacher, Karlheinz Walz, Ingrid Lange, Brigitte Dr. Fischer, Ursula Hackel, Heinz-Dieter Dr. Weng (Gerlingen), von Larcher, Detlev Dr. Fuchs, Ruth Hansen, Dirk Wolfgang Dr. Leonhard-Schmid, Elke Dr. Gysi, Gregor Dr. Haussmann, Helmut Wolfgramm (Göttingen), Marx, Dorle Henn, Bernd Heinrich, Ulrich Torsten Mascher, Ulrike Dr. Heuer, Uwe-Jens Dr. Hirsch, Burkhard Würfel, Uta Matschie, Christoph Dr. Höll, Barbara Dr. Hitschler, Walter Zurheide, Burkhard Mattischeck, Heide Jelpke, Ulla Homburger, Birgit Zywietz, Werner Dr. Meyer (Ulm), Jürgen Dr. Keller, Dietmar Dr. Hoth, Sigrid Müller (Düsseldorf), Michael Lederer, Andrea Dr. Hoyer, Werner Müller (Pleisweiler), Albrecht Philipp, Ingeborg Irmer, Ulrich Müller (Völklingen), Jutta Dr. Schumann (Kroppenstedt), Kleinert (Hannover), Detlef Fraktionslos Odendahl, Doris Fritz Kohn, Roland Oesinghaus, Günter Dr. Seifert , Ilja Dr. Kolb, Heinrich Leonhard Lowack, Ortwin Ostertag, Adolf Stachowa, Angela Koppelin, Jürgen Dr. Krause (Bonese), Rudolf Paterna, Peter Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Peter (Kassel), Horst Dr. Graf Lambsdorff, Otto Dr. Pick, Eckhart Leutheusser-Schnarrenberger, Rennebach, Renate BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reuschenbach, Peter W. Sabine Nein Lüder, Wolfgang Reuter, Bernd Dr. Feige, Klaus-Dieter Rixe, Günter Lühr, Uwe SPD Köppe, Ingrid Dr. Menzel, Bruno Schmidbauer (Nürnberg), Poppe, Gerd Horst Mischnick, Wolfgang Beucher, Friedhelm Julius Schenk, Christina Nolting, Günther Friedrich Schmidt-Zadel, Regina Schulz (Berlin), Werner Bock, Thea Schöler, Walter Dr. Ortleb, Rainer Dr. Böhme (Unna), Ulrich Dr. Ullmann, Wolfgang Schreiner, Ottmar Weiß (Berlin), Konrad Otto (Frankfurt), Brandt-Elsweier, Anni Schröter, Gisela Wollenberger, Vera Hans-Joachim Burchardt, Ursula Paintner, Johann Schwanhold, Ernst Dr. Däubler-Gmelin, Herta Sielaff, Horst Peters, Lisa Dr. Dobberthien, Marliese Simm, Erika Dr. Pohl, Eva Dreßler, Rudolf Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Richter (Bremerhaven), Fraktionslos Dr. Eckardt, Peter Dr. Sperling, Dietrich Manfred Eich, Ludwig Steen, Antje-Marie Rind, Hermann Dr. Briefs, Ulrich Dr. Elmer, Konrad Stiegler, Ludwig Dr. Röhl, Klaus Erler, Gernot Terborg, Margitta Schäfer (Mainz), Helmut Ewen, Carl Titze-Stecher, Uta Schmalz-Jacobsen, Cornelia Waltemathe, Ernst Schmidt (Dresden), Arno Ferner, Elke Fuchs (Verl), Katrin Dr. Wegner, Konstanze Enthalten Dr. Schmieder, Jürgen Weiler, Barbara Dr. Schnittler, Christoph Fuhrmann, Arne Gilges, Konrad Weisheit, Matthias SPD Schüßler, Gerhard Adler, Brigitte Gleicke, Iris Weisskirchen (Wiesloch), Gert Schuster, Hans Bachmaier, Hermann Habermann, Frank-Michael Wester, Hildegard Dr. Schwaetzer, Irmgard Dr. Wetzel, Margrit Barbe, Angelika Hanewinckel, Christel Sehn, Marita Dr. Wieczorek, Norbert Bindig, Rudolf Seiler-Albring, Ursula Heyenn, Günther Wittich, Berthold Bulmahn, Edelgard Dr. Semper, Sigrid Horn, Erwin Zapf, Uta Bury, Hans Martin Dr. Solms, Hermann Otto Ibrügger, Lothar Duve, Freimut Dr. Starnick, Jürgen Janz, Ilse Dr. Hauchler, Ingomar Dr. von Teichman, Cornelia Klappert, Marianne Dr. Holtz, Uwe Thiele, Carl-Ludwig Klemmer, Siegrun PDS/Linke Liste Dr. Janzen, Ulrich Dr. Thomae, Dieter Koschnick, Hans Dr. Niehuis, Edith Timm, Jürgen Kubatschka, Horst Bläss, Petra Schily, Otto Türk, Jürgen Dr. Kübler, Klaus Dr. Enkelmann, Dagmar Wolf, Hanna