Jüdischer Islam
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JüdischerSusannah Heschel Islam: Islam und jüdisch-deutsche Selbstbestimmung Aus dem Englischen von Dirk Hartwig, Moritz Buchner und Georges Khalil Mit einem Nachwort von Georges Khalil 1 »Es war der Islam, der das jüdische Volk rettete!« So verkündete es der große jüdische Wissenschaftler des Islam und der mittelalterlichen jüdischen Geschichte Shlomo Dov Goitein (1900–1985) in einem Vortrag einer britisch-jüdischen Hörerschaft im Jahre 1958. Was war darunter zu verstehen, und wie war es zu dieser Errettung gekommen? Weil der Islam, so setzte Goitein hinzu, die ökonomischen und intellektuellen Voraussetzungen hervorbrachte, die eine »schöpferische Symbiose« geradezu ermutigten, die zwischen2 den jüdischen und islamischen Kulturen im Mittelalter entstand. Die Religion des Islam, so betonte Goitein, war eine Religion der »persönlichen Verantwortung des3 Menschen gegenüber Gott«, eine »Religion des ethischen Monotheismus«. Diese Symbiose war keineswegs Vergangenheit: Goitein benutzte die gleiche Sprache zur Beschreibung des Islam, die liberale Juden seinerzeit einsetzten, um das Judentum zu beschreiben. Jüdische GelehrsamkWas hateit Mohammed initiierte d ausie moder dem Judenthumene europäisch aufgenommen?e Auseinandersetzung mit dem Islam in den 1830er-Jahren mit Abraham4 Geigers Buch . Über ein Jahrhundert setzen jüdische Wissenschaftler Journal of Jewish Studies 1 Shlomo Dov Goitein, »Muhammad’s Inspiration by Judaism«, in: 9 (1958), S. 144–162, hier S. 162. 2 Zur Verwendung des Terminus »Symbiose« durchBetween jüdische Muslim Historiker, and Jew: insbesondereThe Problem of in SHinblickymbiosis auf under die DiskussionEarly Islam jüdischer Geschichte im islamischen Herrschaftsbereich und demUnder Goitein Crescent-Zita andt vgl. Cross: Steven The M. Jews Wasserstrom, in the Middle Ages Unter, KreuzPrinceton: und Halbmond. Princeton UniversityDie Juden im Press, Mittelalter 1995; Mark R. Cohen, , Princeton: Princeton University Press, 2008 [Deutsch: , aus dem Englischen von Christian Wiese, München: C.H. Beck, 2005, 22011]. 3 Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen? Goitein, »Muhammad’s Inspiration by Judaism«, op. cit., S. 162. 4 Abraham Geiger, , Bonn: Baaden, 1833 [Neudruck der zweiten Auflage Leipzig: Kaufmann, 1902 mit einem Vorwort von Friedrich Niewöhner, Berlin: Parerga, 2005]. 5 Geigers Bemühungen fort, Parallelen zwischen Islam und Judentum, insbesondere zwischen dem Koran und der rabbinischen Literatur, aufzuspüren. Zeitgleich brachten sie auch historische Methoden in das Studium islamischer Texte ein, insbesondere des Koran und der Hadith- Literatur. Sie betrachteten den Islam wie auch das Christentum als »Tochterreligionen« des Judentums. In den späteren Dekaden des 19. und frühen 20. Jahrhunderts5 bekleidete bereits eine relevante Anzahl jüdischer Wissenschaftler Professuren an deutschen Universitäten. Ludmila Hanisch belegt in ihren Studien, dass um das Jahr 1933 Juden etwa 33 Prozent der akademischen Positionen im Bereich der 6 Orientwissenschaften innehatten, darunter 25 Prozent der Lehrstühle. Juden haben im deutschsprachigen Raum nicht nur die moderne Erforschung des Islam angestoßen, sondern sich auch durch ihre Islamstudien an die Spitze der erblühenden Orientwissenschaften gearbeitet. Die besondere jüdische Faszination am Islam fordert uns auf, unser konventionelles Verständnis eines passiven Verhältnisses der Juden zur Moderne zu überdenken. In ihrer wissenschaftlichen Leistung auf dem Gebiet der Islamstudien und der Position, die sie dem Islam in ihren Narrativen jüdischer Geschichte zugestanden, kann weder ein Eintritt in die Moderne noch eine Reaktion auf die Moderne ausgemacht werden, sondern eher ein starkes jüdisches Bemühen um die Neugestaltung 5 Da es sich bei den jüdischen Wissenschaftlern ausschließlich um männliche Wissenschaftler handelt, wird im weiteren Text auf die Verwendung weiblicher Formen verzichtet. Einzige Ausnahme ist Ilse Lichtenstädter (1907–1991), deren wissenschaftliche Laufbahn jedoch erst nach der Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland wirklich begann. 6 Berichte zur Wissenschaftsgeschichte Vgl. Ludmila Hanisch, »Akzentverschiebung – Zur Geschichte der Semitistik und Islamwissenschaft während des ›Dritten Reichs‹«, in: 18 (1995), S. 217–226, hier S. 218. 6 des Verständnisses der modernen Zivilisation. Durch die Enthebung des Christentums aus dem Status des alleinigen Siegers unter den drei monotheistischen Religionen stellten jüdische Wissenschaftler das Judentum durchweg als ursprüngliche und wahre Religion dar, die mit der Hilfe von Christentum und Islam den jüdischen Monotheismus zu den Heiden der hellenistischen und arabischen Welt gebracht hatte. In dieser rhetorischen Neudefinition der Moderne wurde die christlichtheologische Landkarte auf den Kopf gestellt und der Islam zur loyaleren und authentischeren der zwei Töchter des Judentums erklärt. Der Enthusiasmus, den Goitein und so viele andere jüdische Wissenschaftler – beginnend in den 1830er-Jahren – dem Islam entgegenbrachten, stand für eine besondere Spielart des Orientalismus, die sich allerdings durch ihre Argumente und ihren Tonfall von jenem Orientalismus abhob, den Edward Said (1935–2003) identifiziert hat. Said nahm sich vor allem die Islamforschung in Großbritannien und Frankreich vor und verband Orientalismus mit den imperialistischen Projekten dieser Länder. Hingegen waren die meisten jüdischen Islamforscher im 19. Jahrhundert Mitteleuropäer und schrieben Deutsch. Die Länder, in denen sie lebten, waren entweder wie Deutschland koloniale Nachzügler, und beherrschten nur wenige muslimisch-geprägte Territorien oder verfügten wie Österreich-Ungarn über eine substanzielle Zahl 7 einheimischer Muslime. John Efron hat sicherlich zu Recht Kritik an Saids Vernachlässigung Deutschlands geübt, welches das Zentrum der jüdischen Islamforschung war. Nicht der Imperialismus, sondern eine weitreichende Faszination mit einer »sephardischen Aura« – so argumentiert Efron – trieb deutsche Juden an, sich mit dem Islam zu beschäftigen, Synagogen im maurischen 7Stil zu errichten oder in al-Andalus spielende schöne Literatur zu schaffen. Und doch war Saids Argument komplexer als der bloße Vorwurf, dass die ›westliche‹ Wissenschaft durch Imperialismus motiviert war und den kolonialen Interessen diente. Vielmehr identifizierte er einen imperialistischen Ton in der europäischen Forschung: »[…] so stellt sich der Orientalismus als institutioneller Rahmen für den Umgang mit dem Orient dar, das heißt für die Legitimation von Ansichten, Aussagen, Lehrmeinungen und Richtlinien zum Thema für ordnende und regulierende Maßnahmen. Kurz, der Orientalismus ist seither ein westlicher Stil, d8en Orient zu beherrschen, zu gestalten und zu unterdrücken.« Aus diesem Unternehmen gingen erotisierte Diskurse hervor, die den Islam als zeitlos, stagnierend, exotisch, rückständig, despotisch, gewalttätig, irrational und vollkommen gegenläufig zur europäischen Zivilisation, die vermeintlich durch Vernunft German Jewry and the Allure to the Sephardic 7 Vgl. John Efron, Orientalismus , Princeton: Princeton University Press, 2015. 8 Edward W. Said, , übersetzt von Günter Holl, Frankfurt a. M.: Fischer Verlag, 2009, S. 11. 8 und Fortschritt geleitet war, wahrnahmen. Aziz al-Azmeh schreibt dazu: »Ich verstehe unter Orientalismus eine ideologische Trope, eine ästhetische, normative und letztlich politische Zuweisung bestimmter9 Eigenschaften an den Orient im Gegensatz zum Okzident.« Timothy Mitchell nimmt eine ähnliche Perspektive ein und betrachtet den Orientalismus als »eine Serie von absoluten Differenzierungen, nach denen der Orientale als negatives Abbild des Europäers verstanden werden könnte. Diese Unterschiede seien aber nicht die Differenzierungen innerhalb eines Selbst im Sinne einer gespaltenen Identität; es sind die Unterschiede zwischen einem Selbst und dessen Gegenstück, eben jenem Gegenstück, welches di10e Vorstellung eines ungespaltenen Selbst hervorbringen kann.« Said identifizierte den imperialistischen Ton 197811 als »Orientalismus«. Shahab Ahmed (1966–2015) hat unterstrichen, dass die thematische Fokussierung der europäischen Islamforschung problematisch sei. Durch den besonderen Fokus auf die frühesten islamischen Texte und mit der Deklaration der Scharia zum zentralen islamischen Prinzip Islams and Modernities 9 Aziz al-Azmeh, , London: Verso, 32009 [^11993]:, S. 123. Deutsch: Die Islamisierung desColonizing Islams: Imaginäre Egypt Welten einer politischen Theologie, aus dem Englischen von Ulrich Enderwitz, Campus 1996. 10 What Is Islam: The Importance of Being Islamic Timothy Mitchell, , New York: Cambridge University Press, 1988, S. 166. 11 Shahab Ahmed, , Princeton: Princeton University Press, 2015. 9 brachte der Orientalismus die enggeführte Definition eines ›authentischen‹ Islam hervor, sodass nachfolgende kulturelle und theologische Entwicklungen innerhalb des Islam als von der Norm abweichend oder marginal beschrieben wurden. Die Grundannahme der Orientalisten, dass »nur das Original authentisch« sei, so argumentierte Robert Wisnovsky, habe den Islam auf die Texte der sogenannten12 ›klassischen Periode‹ (700– 1050 n. Chr.) reduziert und festgelegt.What Dieser is Islam eingeschränkte Textbestand hat ein entstelltes historisches Paradigma hervorgebracht. In seinem kürzlich erschienenen Buch fordert Shahab Ahmed die Wissenschaft dazu auf, »den Islam 13in weitläufigen, umfassenden und gegensätzlichen Begriffen zu denken.« Ähnlich ihren europäisch-christlichen Kontrahenten konzentrierten sich jüdische Gelehrte