Der Vermeintliche „Märtyrer“ Werner Von Oberwesel - Rheinische Geschichte

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Der Vermeintliche „Märtyrer“ Werner Von Oberwesel - Rheinische Geschichte Der vermeintliche „Märtyrer“ Werner von Oberwesel - Rheinische Geschichte http://histrhen.landesgeschichte.eu/2019/07/werner-von-oberwesel/?print=print Der vermeintliche „Märtyrer“ Werner von Oberwesel „Die Geschichte der Kultentstehung um den sogenannten „guten Werner“ […] ist geradezu das Paradeexempel dafür, wie im 13. Jahrhundert am Mittelrhein ein Heiliger ganz gezielt kreiert werden konnte – ein Heiliger zumal, der […] keinerlei besonderen persönliche Verdienste aufzuweisen hatte, sondern […] lediglich Gegenstand einer durchaus unheiligen, aber sehr erfolgreichen Inszenierung durch interessierte Zeitgenossen wurde.“ [1] – meinen wie Matthias Schmandt auch Annika Zöll und Hannah Judith. Im Folgenden zeichnen sie die mittelrheinische Heiligenlegende im Wernerkapelle in Bacharach, Foto: Annika Spannungsfeld von Kult, Politik, Rheinromantik und Erinnerungskultur nach. Zöll 1. Die Genese der Werner-Legende im 13. Jahrhundert und ihre Textgeschichte Die Legende um den Heiligen Werner von Oberwesel ist eine klassische antijudaistische Ritualmordlegende des Mittelalters. Schon ihre älteste belegte Form aus den Gesta Trevorum zu den Jahren 1260–1299 [2] enthält alles, was diese Gattung ausmacht: Ein armer christlicher Junge heuert bei einer jüdischen Familie als Hilfsarbeiter an. Eines Tages nutzen die jüdischen Dienstgeber eine günstige Gelegenheit und ermorden den Jungen. Sie lassen den zerfleischten Leib ausbluten und verscharren ihn in einem abgelegenen Gebüsch. Zur Zeugin des grausamen Vorfalls wird die christliche Magd der Familie. Der Vorfall löst anschließend Pogrome der Bevölkerung gegen die jüdischen Bürger aus. Die Leiche sei schließlich in den Nachbarort Bacharach überführt worden, wo zur Ehre des nun als Märtyrer bezeichneten Jungen eine Wallfahrtskapelle errichtet wurde. Spätere Ausschmückungen in den lokalen Verehrungstraditionen, etwa die mittelhochdeutsche, poetische Legende, [3] fügen weitere klassische Elemente der Gattung „Ritualmordlegende“ hinzu. Vor diesem Hintergrund lässt sich 1 von 14 18.09.2020, 18:47 Der vermeintliche „Märtyrer“ Werner von Oberwesel - Rheinische Geschichte http://histrhen.landesgeschichte.eu/2019/07/werner-von-oberwesel/?print=print gattungsgeschichtlich eine klare Linie zur ältesten bekannten Ritualmordlegende ziehen: Die Erzählung um William von Norwich aus dem Jahr 1144. [4] Ausgehend von dieser Erzählung verbreiteten sich im 12. Jahrhundert über Großbritannien auf dem gesamten europäischen Kontinent zahlreiche Ritualmordlegenden und daraus erwachsende Heiligenverehrungen. Immer verlaufen sie inhaltlich nach dem gleichen, hier dargestellten Schema und werden durch herrschende Gruppierungen und kirchliche Machthaber „theologisch“ unterfüttert. Datiert wurden die Geschehnisse meist prominent auf den Karfreitag. Nach dieser Hermeneutik geschieht am christlichen Opfer das, was dem Gottessohn selbst durch seine „jüdischen Schächer“ am Karfreitag wiederfuhr. So weit scheint alles eindeutig: Auch am Mittelrhein gab es antijudaistische Ansichten die in einer prominenten Figur ihren Ausdruck fanden: dem Heiligen Werner von Bacharach und Oberwesel. Vor diesem Hintergrund waren auch die Juden am Mittelrhein Opfer von antijüdischen Pogromen. 2. Weltliche und kirchliche Inszenierung, oder: Vom Bacharacher Pfarrer und seinem Pfalzgrafen Doch wem war es ein Anliegen, auch am Mittelrhein eine solche Erzählung in Form einer Ritualmordlegende zu verorten und zu propagieren? Welche Akteure und Motive lassen sich historisch fassen? Wer hatte Interesse an der Verehrung des angeblichen Judenopfers als Märtyrer? Und warum wurde die Leiche des heiligen Werner in den Nachbarort des Geschehens, Bacharach, verbracht und die Verehrung damit dort installiert? Wer dieser Spur nach Bacharach folgt, gelangt an den Ort der Verehrung unweit des Pfarrhofes des Bacharacher Ortspfarrers. Daraus ergibt sich die wahrscheinlichste erste These: „[…] die Heiligenvita aus Norwich [wurde] tatsächlich als Regieanweisung am Rhein genutzt[… D]ie Spur führt eindeutig zum Ortspfarrer von Bacharach. Dafür sprechen zunächst ganz praktische Gründe. Von grundlegender Bedeutung für die schnelle Verbreitung von Werners Heiligenruf war sicher die Entscheidung, den Leichnam in der exponiert gelegenen Kunibertskapelle zu Füßen der Burg Stahleck zu bestatten. […] Doch der Zugriff auf diese bald nach dem „heiligen“ Werner benannte und spätestens ab 2 von 14 18.09.2020, 18:47 Der vermeintliche „Märtyrer“ Werner von Oberwesel - Rheinische Geschichte http://histrhen.landesgeschichte.eu/2019/07/werner-von-oberwesel/?print=print Anonym, Der Heilige Werner 1289 in gotischen Formen neu errichteten Kapelle, die ja in unmittelbarer räumlicher von Oberwesel, 1711, Öl auf Nähe von Pfarrkirche und Pfarrhof lag, stand von Anfang an niemand anderem zu als Leinwand, 113 x 71,5 cm, dem Pfarrherrn von Bacharach: Sie befand sich „in propria dote Pastoriae Bacheracensis Quelle: Jüdisches Museum Ecclesie […]“. [5] Berlin, Inv.-Nr. 1999/250/0, Pfarrer von Bacharach und dieser These folgend damit Initiator der Heiligenlegende und Foto: Jens Ziehe -verehrung, war Heinrich von Crumbach. Sowohl mit Blick auf seine Herkunft, als auch in Bezug auf sein Pfarrgebiet könnte man ihn als „Mann zwischen den Lokalfronten seiner Zeit“ bezeichnen. Er befand sich räumlich und personell mitten im Gebietskonflikt zwischen Kurmainz und Kurpfalz – und schlug sich auf die Seite des pfälzischen Kurfürsten Ludwig II. (1229–1294). [6] Ludwig II. war bestrebt, seine Vormachtstellung am Mittelrhein über seine Präsenz als Stifter zu stärken. So errichtete er auch an der legendarischen Fundstelle der Leiche bei Oberwesel das Wilhelmitenkloster Fürstenthal. Zu dieser Stiftung fügt sich sein Interesse an der Finanzierung und dem Ausbau des Wallfahrtsortes Bacharach. Damit schaffte es sein Vertrauter, Heinrich von Crumbach, die Heiligenlegende an seine Pfarrei zu binden und verhalf Ludwig II. dafür zum Ruf eines idealen Fürsten, der aus christlichem Movens heraus religiöse Bußstiftungen übernahm. [7] Dieses paradigmatische Zusammenspiel von weltlicher und geistlicher Macht wiederholte sich schließlich auch bei der Wiederaufnahme des Kanonisationsverfahrens Werners von Oberwesel 1426. Inzwischen waren alle Bautätigkeiten am gotischen Großprojekt der Wernerkapelle mit einer Beschlagnahmung der Baukasse durch den Trierer Erzbischof 1338 zum Erliegen gekommen. Und wieder waren es der pfälzische Kurfürst (jetzt Ludwig III.) und „sein Pfarrer“, die durch die Sammlung von auf Werner zurückgeführten Wundern das Verfahren erneut in Gang brachten und den Pilgerbetrieb zu neuen Spitzenwerten ankurbelten. In diese Zeit der Legendenfestigung fiel auch die oben erwähnte mittelhochdeutsche, poetische Legendenfassung. Ludwig III. erhielt zur Kanonisation jedoch nicht nur Unterstützung durch Bacharacher Ortskleriker, sondern schaffte es, Kardinal Giordano di Orsini zum Auftakt der Prozessaufnahme zur Ausrufung eines Ablasses von 180 Tagen zu bewegen. Wohl auch auf Grund dieser öffentlichkeitswirksamen Unterstützung wurde die Legende des Heiligen Werner im Kanonisationsverfahren von Rom nicht weiter kritisch hinterfragt. Dennoch schlief das Verfahren im Laufe des 15. Jahrhunderts ein. 3 von 14 18.09.2020, 18:47 Der vermeintliche „Märtyrer“ Werner von Oberwesel - Rheinische Geschichte http://histrhen.landesgeschichte.eu/2019/07/werner-von-oberwesel/?print=print 3. Ein Lokal-„Heiliger“ und seine Lokalitäten. Ein Blick auf mittelrheinische Orte des Werner-Kults a) Wernerkult in Womrath und Oberwesel Es bleibt ein Lokal-„Heiliger“, der sich bis ins 20. Jahrhundert großer Beliebtheit in der lokalen Verehrungstradition erfreute und im Verlauf seiner Verehrungsgeschichte Spuren an zahlreichen Memorial- und Kultorten hinterlassen hat. Auf die Präsenzorte der Verehrung Werners soll im Folgenden ein genauerer Blick geworfen werden. Anhand der dieser lässt sich so eine „Memorialgeschichte“ nachzeichnen und die Notwendigkeit einer heutigen Erinnerungskultur hinterfragen. In Womrath, das als Geburtsort Werners von Oberwesel gilt, [8] ist bereits seit 1493 eine Wernerkapelle bezeugt. Das heutige Gebäude der katholischen Sankt-Werner-Kapelle stammt allerdings von 1911/12 und enthält ein Ölgemälde aus dem 18. Jahrhundert, welches den Patron Werner als Märtyrer darstellt. [9] Ein vergoldeter Silberkelch von 1751 befindet sich heute in der Pfarrkirche Vierzehn Nothelfer in Dickenschied, stammt aber vermutlich ebenfalls aus Womrath. Er zeigt auf der verzierten Cuppa neben anderen Motiven die Marterung Werners von Oberwesel. [10] Seit 1759 ist für den Festtag Werners, den 19. April, durch das Directorium Ecclesiasticum des Nachbarortes Dickenschied ein Festgottesdienst und eine Sakramentenprozession von Dickenschied nach Womrath belegt, die bis zur Eroberung der Gegend durch Frankreich im frühen 19. Jahrhundert für jedes Jahr belegt ist. Nach 87 Jahren Vakanz der Pfarrstelle Womrath/Dickenschied versuchte der neue katholische Pfarrer 1905, die Tradition der Wernerprozession wieder aufleben zu lassen, wurde jedoch polizeilich bestraft, da die „Prozession nicht mehr herkömmlich sei“ [11] . Auch alle weiteren Anträge zur Genehmigung der Prozession wurden abgelehnt. [12] Neben der Wernerkapelle wurde noch 1912 ein Haus in Womrath als dem Geburtshaus Werners verehrt. [13] Ein weiterer Ort des Wernernkults neben Womrath ist das ehemalige Kloster Fürstenthal, heute zwischen Rheindiebach und Bacharach nicht mehr zu lokalisieren. [14] Gestiftet wurde es 1287 ebenfalls durch den bereits benannten Wernerverehrer Pfalzgrafen und Kurfürsten
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