Streiks und soziale Proteste in Ostdeutschland 1990 – 1994

Eine Zeitungsrecherche von Dietmar Dathe

Im Auftrag des Arbeitskreis Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West Berlin, Dezember 2018 Dieses Projekt wurde gefördert durch die STIFTUNG MENSCHENWÜRDE UND ARBEITSWELT (Projektverantwortliche: Renate Hürtgen)

Herausgegeben vom Arbeitskreis Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West im Haus der Demokratie und Menschenrechte

Berlin, Dezember 2018

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Deckblattfoto: Ostwind. Zeitung der Initiative Ostdeutscher und Berliner Betriebsräte, Personalräte und Vertrauensleute INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG (Seite 2 – 54) Streiks und soziale Proteste in Ostdeutschland zwischen 1990 und 1994 – Ein kommentierender Überblick über die Ergebnisse der Zeitungsrecherche

Chronologische Übersicht der ausgewerteten Zeitungsartikel und Zeitungsmeldungen mit Quellenangaben (Seite 55 – 62)

ZEITUNGSARTIKEL (Seite 63 – 340)

Nutzungshinweis: Zur Erleichterung der Nutzung dieser PDF sind die in der Einleitung und in der Chronologischen Übersicht genannten Zeitungsartikel direkt mit deren Kopien verknüpft. Durch einen Mausklick auf die in der Einleitung erwähnten Zeitungsquellen (z.B "taz, 11.01.1991") oder Titel und Datum des Artikels in der Chronologischen Quellenübersicht gelangen Sie automatisch zu dem jeweiligen Zeitungsartikel. Um vom Artikel wieder in die Einleitung zurück zu kommen, klicken Sie auf den Button "Vorwort", ein Klick auf den "Zurück"-Button bringt Sie wieder ins Chronologische Quellenverzeichnis zurück.

1 Streiks und soziale Proteste in Ostdeutschland zwischen 1990 und 1994

Streiks und soziale Proteste in Ostdeutschland zwischen 1990 und 1994, dem Zeitraum der Existenz der Treuhandanstalt, kommen in der Geschichtsschreibung bisher kaum vor. Dies gilt unabhängig von der politischen Proveniènz und Zielrichtung. Sie waren wesentlich von der Treuhandpolitik bestimmt, die in kürzester Zeit eine ganze Volkswirtschaft stilllegte oder an private UnternehmerInnen aus dem Westen verkaufte.

Die Treuhandanstalt war eine noch zu DDR-Zeiten geschaffene Anstalt öffentlichen Rechts, die, zunächst der DDR-Regierung unterstellt, als eine Art Industrieholding rund 8.500 der sich „in Volkseigentum“ befindlichen Industriebetriebe der DDR verwalten, sanieren und privatisieren sollte. Bereits mit der Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Juli 1990 erhielt die Aufgabe der Privatisierung gesetzlichen Vorrang vor allen anderen Aufgaben. Mit der staatlichen Einheit am 3. Oktober 1990 gingen die Eigentumsrechte an den Betrieben auf die BRD über und die Treuhandanstalt wurde dem Bundesfinanzministerium unterstellt. Sie setzte die politischen Vorgaben der Bundesregierung unter Helmut Kohl um. Doch für die meisten Menschen, die von den Entscheidungen der Treuhandanstalt betroffen waren, wurde sie, und nicht die Bundesregierung, zum Adressaten der Kritik. Die in den Jahren zwischen 1990 und 1994 massenhaft stattfindenden Streiks und betrieblichen Proteste in Ostdeutschland, richteten sich vor allem gegen deren Politik.

Eine der wenigen Ausnahmen, in denen von den Auseinandersetzungen in den Betrieben der DDR die Rede ist, ist das 2001 erschienene Buch von Bernd Gehrke und Renate Hürtgen: Der betriebliche Aufbruch im Herbst 1989: die unbekannte Seite der DDR-Revolution. In ihm steht jedoch der betriebliche Aufbruch vom Herbst 1989 im Mittelpunkt; auf die Kämpfe der ostdeutschen Belegschaften in den 1990er Jahre wird lediglich ein Ausblick gegeben. In jüngerer Zeit ist auf die Tagung des AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West Ostwind - Soziale Kämpfe gegen Massenentlassungen und Betriebsschließungen in Ostdeutschland 1990 bis 1994 hinzuweisen, auf der sich nach über 28 Jahren ostdeutsche Betriebs- und Gewerkschaftsaktivist*innen erstmals zusammenfanden und Rückschau hielten. In diesem Zusammenhang liegen nun erstmals zwei umfangreiche Dokumentationen vor, die die Kämpfe gegen die Privatisierung und Deindustrialisierung in Ostdeutschland darstellen: Die von Bernd Gehrke verfasste Dokumentation der Initiative Ostdeutscher und Berliner Betriebsräte,

2 Personalräte und Vertrauensleute sowie die von Renate Hürtgen erarbeitete Studie Dokumenten des Bündnis Kritischer GewerkschafterInnen Ost-West.1

Die in der hier vorgelegten Studie angeführten Proteste, Demonstrationen, Blockaden, Besetzungen, politischen und wirtschaftlichen Streiks zwischen 1990 und 1994 in Ostdeutschland sind zumeist vergessen. "Wenn eine Geschichte von unten für diese Zeit endlich geschrieben wird, müssen sie wieder ins Gedächtnis geholt werden" (Dathe/Hürtgen 2016).2.

Es scheint, als sei die Zeit günstig, sie wieder dem Vergessen zu entreißen, da gerade in diesem Jahr 2018 ein deutliches Interesse an der Darstellung der Treuhandanstalt und den Geschehnissen der 1990er Jahre in Ostdeutschland insgesamt festzustellen ist. Mehrere Dokumentationen des Mitteldeutschen Rundfunks, darunter eine akribische Darstellung der Abwicklung der Bischofferöder Kali-Grube „Thomas Müntzer“, eine umfangreiche Studie zur Treuhandanstalt sowie mehrere historische Forschungsprojekte versprechen, dass in der kommenden Zeit endlich die historische Bedeutung der Konflikte und Kämpfe ostdeutscher Belegschaften und Gewerkschaften dieser Zeit erkannt wird.3

Zum Vorgehen in diesem Projekt

Es gibt verschiedene Wege, sich diesem Thema zu nähern, etwa Zeitzeugeninterviews und Dokumentenanalyse. In dem hier vorgestellten Projekt wurde eine Zeitungsanalyse gewählt, in der die digitalisierten Ausgaben der Berliner Zeitung (BLZ), der Neuen Zeit (NZ), des Neuen Deutschland (ND) und der Tageszeitung (taz) für den genannten Zeitraum ausgewertet worden sind.4 Die erstgenannten drei Zeitungen wurden u.a. mit ZEFYS, dem Zeitungsinformationssystem der Staatsbibliothek zu Berlin, ausgewertet und hier speziell des Zeitungsportals DDR-Presse. In diesem Zeitungsportal DDR-Presse wurden im Rahmen eines Forschungsprojektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft drei DDR-Tageszeitungen

1 https://geschichtevonuntenostwest.files.wordpress.com/2017/08/gehrke_doku-br-ini_zweite-korr-auflage_19- aug-2017_buchfass_40-mbinternet_verc3b6ff.pdf sowie https://geschichtevonuntenostwest.files.wordpress.com/2017/12/bkg-doku_hc3bcrtgen_9-oktober-2017.pdf. 2 Dietmar Dathe/Renate Hürtgen: express. Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Nr. 1 /2016, S.15. 3 Vgl. MDR-Doku Bischofferode: Das Treuhand Trauma, https://www.youtube.com/watch?v=t4mqk3szuL8 (Zugriff 1.12.2018); siehe auch: Marcus Böick, Die Treuhand: Ideen - Praxis - Erfahrungen1990-1994, Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 4 Die Auswertung erfolgte zumeist und wenn es möglich war anhand der Stichworte "Protest" und "Streik".

3 digitalisiert und im Volltext für die folgenden Zeiträume erschlossen: Berliner Zeitung: 21. Mai 1945 – 31. Dezember 1993; Neue Zeit: 22. Juli 1945 - 5. Juli 1994; Neues Deutschland: 23. April 1946 - 3. Oktober 1990.

Die Berliner Zeitung war und ist neben dem Tagesspiegel die größte Berliner Abonnementzeitung, die vor allem im Ostteil Berlins verbreitet ist. Schon vor dem 3. Oktober 1990 ging die Berliner Zeitung von der PDS an ein Konsortium, bestehend aus Maxwell Communications und Gruner + Jahr, über. 1992 übernahm Gruner + Jahr allein die Zeitung und versuchte mit hohem finanziellen Aufwand vergeblich sie zu der "Hauptstadtzeitung" zu machen. Seit 1994 werden Artikel der Berliner Zeitung digitalisiert kostenlos zur Verfügung gestellt.5

Das ehemalige Zentralorgan der Ost-CDU Neue Zeit hatte am 8. Februar 1990 den Parteibezug im Untertitel gestrichen. Am 1. Juni 1990 wurde die Zeitung an den Verlag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verkauft. Das Ziel war, die führende Qualitätszeitung Ostdeutschlands zu schaffen. 1991 wurde die Abonnentenkartei der ehemaligen FDGB-Zeitung Tribüne übernommen. Am 5. Juli 1994 erschien die Zeitung zum letzten Mal. Das Blatt musste sein Erscheinen aus wirtschaftlichen Gründen einstellen.

Das Neue Deutschland war das Zentralorgan der SED. Ab Dezember 1989 bis Anfang 2007 gehörte die Zeitung über eine GmbH der PDS. Sie versteht sich als "sozialistische Tageszeitung" und hat ihren Leser*innenschwerpunkt in Ostdeutschland. Laut Wikipedia liegt der Haustarif beim ND gut 60 Prozent unter dem Flächentarifvertrag für Tageszeitungen. Man kann digitalisierte Artikel ab 3. Oktober 1990 suchen und die Ausgaben 1946-90 sind online.6

Aufgenommen in die Recherche wurde auch die Die Tageszeitung (taz). Im Zuge einer existenziellen finanziellen Krise wurde 1992 eine Verlagsgenossenschaft gegründet. Bestandteil der Recherche sind ebenfalls die Regionalausgabe Nord und die vom 26. Februar

5 https://www.berliner-zeitung.de/archiv 6 https://www.neues-deutschland.de/archiv.php

4 1990 bis November 1991 produzierte taz ddr bzw. taz Ost. Die Artikel von taz sind komplett digitalisiert.7

Ein gewisser Nachteil der hier vorgestellten Auswahl besteht darin, dass der Sitz der Redaktionen in Berlin war. Dennoch meinen wir, dass die ostdeutsche Situation repräsentativ dargestellt werden konnte.8 Es wurden 229 von insgesamt 481 in den genannten Zeitungen recherchierten Artikeln hier aufgenommen (siehe Chronologie nach der Einleitung).9 Wiederholte sich der Bericht über einen Streik oder Protest, war er nicht ausdrücklich auf betriebliche Anlässe bezogen oder kam nicht deutlich zum Ausdruck, in welchem Betrieb sich der Streik abspielte, haben wir ihn nicht in die engere Wahl gezogen. Zählte man all diese Streiks und Proteste in Ostdeutschland zwischen 1990 und 1994 hinzu, auch jene, die gar nicht erst in einer Zeitung registriert worden waren, weil die Beschäftigten nur für wenige Minuten gemeinsam vor das Werktor gezogen waren, kämen wir auf die dreifache Anzahl.10

Auffallend ist die Vielzahl und Breite der Protestformen wie Kundgebungen, Demonstrationen, Mahnwachen, Blockaden, Betriebsbesetzungen, politische und wirtschaftliche Streiks, die in Ostdeutschland 1990 bis 1994 seitens der Belegschaften stattfanden. Dabei wurden etwa Proteste gegen den Krieg, gegen Rechts, für Mieterinteressen, für Ökologie, Proteste im Hochschulbereich usw. in der Recherche gar nicht berücksichtigt. Es ging bei dieser Auswahl, wie die Beispiele dann zeigen, ausschließlich um Proteste wegen politischer Probleme, etwa der Restauration seitens der Modrow-Regierung, und wegen wirtschaftlicher Probleme, wie das Agieren der Treuhand gegen die Betriebe oder etwa wegen der Tarifangleichung Ost-West.

Generell – national wie international – sind Arbeitskampfmaßnahmen wie Streiks, schwer und somit auch quantitativ kaum exakt zu erfassen (Dribbusch 2018, S. 10ff.). Die amtliche "Streikstatistik" hat zudem das Problem, dass der Osten Deutschland dort erst seit dem Jahre 1993 existiert.11 Hinzu kommt in Deutschland, dass das Arbeitskampfrecht ein "Richterrecht"

7 https://www.taz.de/Archiv. Das Zeitungsportal DDR-Presse und die taz waren die besten Adressen für das Projekt. 8 Im Jahre 1994 ist die Darstellung in den Presseartikeln doch stark auf Berlin-Brandenburg konzentriert. 9 In der Onlinepräsentation dieser Recherche sind alle Zeitungsartikel direkt aufrufbar. 10 Weitere Recherchen vor Ort, in die Regionalzeitungen und Betriebsarchive einbezogen sind, stehen noch aus. 11 Das WSI-Tarifarchiv hat erst 2006 mit eigenen Berechnungen begonnen. Auch das WSI-Tarifarchiv folgt dabei dem Konzept der "rechtmäßigen" Arbeitskampfmaßnahme.

5 ist, also ein eigenes Gesetz dazu nicht existiert, was bedeutet, dass das Arbeitskampfrecht aus Gerichtsurteilen herausgelesen werden muss. Dazu gehört auch, dass das Arbeitskampfrecht in Deutschland sehr restriktiv ist und hinsichtlich der Streikzahlen international zum Mittelfeld zählt. Bedingungen dessen sind etwa eine geringe Zahl von Einheitsgewerkschaften und die (wenn auch schwindende) Existenz von Flächentarifverträgen. Weiterhin gehört dazu die, quasi Verfassungsrang habende, soziale Partnerschaft und das Verbot politischer Streiks.

Umgekehrt sind Arbeitskampfmaßnahmen nur dann "rechtmäßig", wenn sie folgende Bedingungen erfüllen: (1) Der Streik muss von einer Gewerkschaft geführt werden. (2) Der Streik muss sich gegen einen Tarifpartner richten. (3) Der Streik muss ein tariflich regelbares Ziel haben. (4) Der Streik muss sich an die Grundregeln des Arbeitsrechts, vor allem der sog. Friedenspflicht, halten. (5) Der Streik darf nicht gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und der fairen Kampfführung verstoßen, z.B. keine Gewaltaufrufe. (6) Die Gewerkschaft muss alle Möglichkeiten der friedlichen Einigung ausgeschöpft haben.12 Lediglich solche als „legal“ anerkannten Streiks werden jedoch statistisch überhaupt erfasst

Nur die wenigsten Streiks in Ostdeutschland am Anfang der 1990er Jahre haben diese Kriterien erfüllt; sie fanden häufig außerhalb der rechtlich geregelten Tarifkämpfe statt. Von den Belegschaften, Betriebsräten, Vertrauensleuten und regionalen Gewerkschaftsgliederungen organisierte Warnstreiks, Betriebsbesetzungen, spontane Proteste und Demonstrationen prägten diese Bewegung, die einen dezidiert politischen Charakter trugen. Nach bundesdeutscher Rechtsprechung waren es oft "wilde" (wie etwa die Auseinandersetzung um die Kaligrube in Bischofferode) und/oder politische Streiks und demnach illegal. Deshalb sind sie in keine Statistik eingegangen.

Diese Recherche wurde auch auf jene „regelwidrigen“ Streiks und Proteste ausgeweitet. Sie waren Ausdruck einer historisch außergewöhnlichen Situation, die im Herbst 1989 mit einer basisdemokratischen betrieblichen „Wende“ begonnen hatte und 1990 in einen betrieblichen Abwehrkampf gegen die Deindustrialisierung der ostdeutschen Industrie mündete. In

12 Vgl. etwa https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/streik-43244 (zuletzt aufgerufen: 24.11.2018).

6 Anlehnung an die im Projekt aufgelisteten Zeitungsartikel wird im Folgenden das Geschehen chronologisch beschrieben und eingeordnet.

Das Streik- und Protestgeschehen im Jahre 1990

Vom 13. November 1989 bis zum 4. Februar 1990 existierte die erste Modrow-Regierung der DDR. Sie wurde von dem damaligen, noch unter SED-Kontrolle zustande gekommenen „Parlament,“ der Volkskammer, bestätigt. Sie bestand aus Vertreter*innen der SED/PDS, der Blockparteien und der Massenorganisationen, wie sie in der damaligen Volkskammer vertreten waren. Am 5. Februar nahm Hans Modrow Vertreter*innen des Zentralen Runden Tisches als Minister*innen ohne Geschäftsbereich in eine "Regierung der nationalen Verantwortung" auf, in die zweite Modrow-Regierung. Die Vereinigte Linke (VL) trat nach Modrows Erklärung "Deutschland, einig Vaterland" nicht in die Regierung Modrow ein.

Im Ergebnis der Volkskammerwahl vom 18. März folgte die Regierung de Maizière. Deren Regierungszeit endete mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990. Eine Regierung, die aus Vertreter*innen der Allianz für Deutschland (die ehemalige Blockpartei CDU, DSU, DA), der SPD in der DDR und dem Bund Freier Demokraten (BFD) bestand.13

Die schon unter Modrow am 1. März gegründete "Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums" (kurz: Treuhandanstalt bzw. Treuhand) übernahm die erwähnten 8.500 Betriebe mit 4 Millionen Beschäftigten zum Zwecke ihrer Privatisierung. Seit dem 1. September 1990 bis zu seiner Ermordung am 1. April 1991 war Detlev Rohwedder ihr Präsident. Ihm folgte vom 13. April 1991 bis zum 31. Dezember 1994 Birgit Breuel.

Am Beginn des Jahres 1990 richteten sich die Proteste der Ost-Belegschaften, sehr oft mit politischem Charakter, zunächst noch nicht gegen die Treuhandpolitik, sondern gegen die DDR-Regierungen und die Direktoren der Kombinate. Mit ihren Aktionen und Protesten trieben sie die immer noch nicht vollendete Revolution weiter.

13 Der BFD verließ am 24. Juli die Regierung, ihre beiden Minister verblieben aber im Kabinett. Am 20. August beendete die SPD die Koalition.

7 Der erste politische (Warn-) Streik, der 1990 in den hier ausgewählten Presseorganen Erwähnung fand, war die zweistündige Arbeitsniederlegung von 20 ArbeiterInnen in Ostberlin: Die Räder standen still, weil man keine "Stalinisten" will. Treptower Arbeiter streiken gegen Ministeriumsbeschluss (taz 05.01.). Der Warnstreik richtete sich gegen die Zahlung von Überbrückungsgeld bzw. Ausgleichszahlungen an ehemalige MfS-Angehörige, die geheim gehalten worden war sowie an ehemalige Angehörige des Staatsapparates. Aus dem gleichen Grunde gab es Warnstreiks in Suhl (ND 09.01. und BLZ 11.01.), die sich auch gegen die SED/PDS und gegen das geplante Amt für Verfassungsschutz richteten und eine konsequente Fortsetzung des Demokratisierungsprozesses forderten. Warnstreiks waren immer mit Kundgebungen und Demonstrationen verbunden.

Die taz vom 18.01. berichtete von Warnstreiks in , Jena und Ostberlin gegen SED und . Tausende Kraftfahrer streikten, in Gera und Jena schlossen sich Arbeiter*innen aus anderen Betrieben den mehrstündigen Warnstreiks an. In Leipzig gab es einen auf 24 Stunden begrenzten Streik von 120 Milchfahrern gegen den geplanten Verfassungsschutz und gegen Sonderzahlungen für ehemalige MfS-Mitarbeiter. In Dresden legten Beschäftigte aus 200 Betrieben und Einrichtungen in einem einstündigen Warnstreik die Arbeit nieder. Ihre Forderungen richteten sich gegen die Erhaltung und Erneuerung alter Machtstrukturen der SED/PDS und die Restauration von Geheimdiensten. Die Streikenden sprachen sich für Reformen aus, die bisher vor den Betriebstoren haltgemacht hatten (ND 25.01.). "Eine vergleichbare Welle von politischen (Warn)Streiks hat es seither in Ostdeutschland nicht mehr gegeben (Gehrke 2001, S. 263).

Es gewannen auch klassische Arbeiter*innenforderungen (Lohnerhöhung und verbesserte Arbeitsbedingungen) insbesondere bei jenen Gruppen an Bedeutung, "die in dem bisherigen System unterbezahlt oder besonders belastet waren" (Gehrke 2001, S. 264). So berichtete das ND am 20.01.a und am 25.01. über Warnstreiks des medizinischen Personals und der Kraftfahrer. In Cottbus kam es zu einer einstündigen Protestaktion von 1.000 Mitarbeiter*innen vor dem Bezirkskrankenhaus. Mit einem dreistündigen Warnstreik verliehen Krankentransporteure in Frankfurt/Oder ihren Forderungen Nachdruck. In Zittau und Leipzig demonstrierten ebenfalls Beschäftigte des Gesundheitswesens. Medizinisches Personal: Nicht länger fünftes Rad am Wagen! (ND 20.01.b): Unter dieser Überschrift schrieb das ND über eine Kundgebung von 1.000 Beschäftigten des Gesundheitswesens vor dem zuständigen Ministerium in Ostberlin.

8 Durch einen Streik der BusfahrerInnen kam in Suhl für drei Stunden der Öffentliche Personennahverkehr vollständig zum Erliegen. Die FahrerInnen forderten ein einheitliches Lohnsystem in den Verkehrsbetrieben der DDR. Die Straßenbahn- und Omnibusfahrer*innen führten in Zwickau auf allen Linien ebenfalls einen Warnstreik durch. Mit ihrer Aktion wollen sie eine Auflösung der SED/PDS, eine Lohnangleichung an die Industrie und bessere Arbeitsbedingungen erreichen (BLZ 31.01.).

Auch Kinder sind das Volk! Wie die BLZ am 10.02. berichtete, hatten tausende LehrerInnen, Eltern und ihre Kinder gegen die Äußerung des damaligen stellvertretenden Ministers für Bildung in Ostberlin protestiert, Mittagessen und Horte in den Schulen als Dienstleistung wegfallen zu lassen. Er musste nach dem Protest zurücktreten. Es gab auch Ängste, ob ostdeutsche PädagogInnen nach der Vereinigung genauso bezahlt würden wie ihre westdeutschen KollegInnen, wie es um die Altersversorgung und den Kündigungsschutz stehe und ob die Abschlüsse anerkannt würden. Über diese Fragen berichtete die BLZ am 07.03. Anlass war die Kundgebung einiger hundert LehrerInnen und ErzieherInnen auf dem Alexanderplatz in Ostberlin.

Nicht nur der soziale Dienstleistungssektor, auch die Betriebe bzw. wirtschaftlichen Einrichtungen blieben von den Streiks und Protesten damals nicht verschont. Belegschaften erkannten, dass man eigene Interessen gegen die marktwirtschaftlichen Träume der DirektorInnen bzw. übergeordneten Leitungen vertreten und verteidigen musste. Zudem ging es immer stärker um die ökonomischen und sozialen Konsequenzen einer Vereinigung mit der Bundesrepublik, die man ja wollte, aber gegen deren negativen Folgen sehr früh Widerstand angezeigt wurde. So schrieb die BLZ am 15.03. über einen einstündigen Warnstreik in der Ackerhalle, einer Markthalle in Ostberlin. Anlass dieses Warnstreiks waren die über die Köpfe der Betroffenen hinweg geführten Verhandlungen mit der schweizerischen Handelsgenossenschaft Coop. Die 170 Beschäftigten forderten Mitbestimmungsrechte, Sicherung von Arbeitsplätzen und bei unumgänglichen Entlassungen, klare Festlegungen über die Unterstützung der betroffenen KollegInnen. Am Abend sollte ein Betriebsrat gegründet werden. Im gleichen Artikel wurde über ein Meeting von 1.000 Beschäftigten im Getränkekombinat Berlin berichtet. Es ging um Arbeitsplatzsicherheit; um die Frage, wer die

9 Verhandlungspartner*innen sind, welche Rechtsform angestrebt wird und was bei einer Vereinigung mit den in der Nachtschicht arbeitenden Kolleginnen geschieht?14

Für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und gegen Privatisierung kommunalen Eigentums demonstrierten laut ND vom 27.03. hunderte Mitarbeiter*innen der Kommunalen Wohnungsverwaltungen Ostberlins vor dem Roten Rathaus. Man befürchtete den Verkauf kommunalen Eigentums durch den Ostberliner Magistrat.

Es kam in dieser Zeit auch zu ausländerfeindlichen Protesten in der DDR, zu massiven Übergriffen gegen AusländerInnen in den Betrieben bis hin zu Schlägereien (taz 02.04.). Gefordert wurde in manchen Betrieben, dass die vietnamesischen oder andere Vertragsarbeiter*innen als erste entlassen werden sollten. Darüber gab es aber auch öffentliche Kontroversen. Am 06.12. berichtete die taz über ein öffentliches Hearing zur Ausländerfeindlichkeit in Ostberlin: "Harsche Kritik wurde an der bisherigen Ausländerpolitik der DDR-Regierung geübt. Sie habe junge und gesunde Arbeitskräfte ins Land geholt, um der Abwanderung der eigenen Werktätigen gen Westen zu begegnen. Die Ausländer seien unter unwürdigen Bedingungen untergebracht und auf den schlechtesten Arbeitsplätzen eingesetzt worden", hieß es während des Hearings.

Streiks und Protestaktionen von Bäuerinnen und Bauern sowie LandarbeiterInnen, Beschäftigten der Textil- und Lederbranche etc. gegen die befürchteten ökonomischen und sozialen Folgen der Vereinigung bestimmten die Tage bis zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli. Ursache hierfür waren u.a. stornierte Aufträge, fehlende Preisreformen und Absatzeinbrüche durch Importe, denen die Regierung von de Maizière hilflos und die Belegschaften schutzlos gegenüberstanden. Die taz ließ sich angesichts dessen zu der Schlussfolgerung verleiten: "Es scheint, als sei die Zeit der Euphorie über die kommende deutsche Einheit und die DM vorbei. Vielen Bürgern wird jetzt mit Erschrecken klar, welche Probleme mit der DM und dem gemeinsamen Markt auf sie zukommen" (taz 11.05.).

Nach Inkrafttreten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion kam es in der Metall- und Elektroindustrie Anfang Juli zum ersten Tarifkonflikt in der DDR. Es standen sich als

14 Dies war in Westdeutschland verboten.

10 Verhandlungsgegner die IG Metall der DDR und der Verband der Metall- und Elektroindustrie der DDR, mit (westdeutschen) Beratern von Gesamtmetall, gegenüber. An den Warnstreiks und Protestdemonstrationen beteiligten sich etwa 120.000 Beschäftigte aus 220 Betrieben in Berlin- Brandenburg, in Thüringen waren es 65.000 ArbeitnehmerInnen. Nach Selbstaussage der IG Metall der DDR sei es darum gegangen, jedem Metallarbeiter die Chance zum Einstieg in die soziale Marktwirtschaft zu sichern. Losungen waren etwa "Arbeitgeber aufgepasst, Billiglöhne sind verhasst" und "Umschulung statt Arbeitslosigkeit". Damm gegen Massenentlassungen titelte die taz (14.07.a) zum Ergebnis der Tarifverhandlungen im Pilotbezirk Berlin- Brandenburg. Neben Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung war das wichtigste Ergebnis der Kündigungsschutz für alle Beschäftigte bis zum 30. Juni 1991. Für Beschäftigte, die entlassen werden müssten, gab es eine, so in der BRD nicht vorhandene, Kopplung von Kurzarbeitergeld (durch betriebliche Aufstockung 85/90 Prozent des Nettolohnes) mit Qualifizierungs- und Umschulungsmaßnahmen bis Ende März 1991.

Proteste und Straßensperren zeigten an: Der "heiße Herbst" hat schon begonnen, so schrieb das ND am 12.07. auf Seite Eins. Zum einem konstatierte man Erfolge, etwa die vereinbarten Lohnerhöhungen in der Metall- und Chemieindustrie, zum anderen verwies man auf die Landwirtschaft, die schon vorher Absatzeinbrüche gehabt hatte, jetzt aber mit der DM diese Einbrüche verstärkt erlebte. Hier zeigte sich auch eine Spaltung der Beschäftigten in der DDR, besonders zu Lasten der Beschäftigten in den Konsumgüter herstellenden und verteilenden Wirtschaftsbereichen. So etwa beschrieb die taz vom 14.07.b das Durchbrechen der Bannmeile vor der Volkskammer durch mehrere tausend Einzelhandelsmitarbeiter*innen. Anlass war das zur Beratung anstehende Gesetz zur Entflechtung des Handels, was u.a. den Verkauf von Läden an den/die Meistbietenden, also zumeist keine der Mitarbeiter*innen, vorsah. Die Abgeordneten warfen wiederum dem Handel vor, keine oder nur sehr wenige DDR-Produkte anzubieten.

Die Neue Zeit berichtete am 16.08 über eine Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz von 50.000 Bäuerinnen und Bauern mit schwarzen Fahnen. Gleichzeitig fanden in der gesamten DDR weitere Kundgebungen mit 250.000 Bäuerinnen und Bauern statt. Die Kundgebungen sollten auf die bedrohliche Lage der Landwirtschaftsbetriebe hinweisen, die auf ihren Produkten sitzen blieben und immer noch auf wirksame Unterstützung seitens der Regierung warteten. Auf Transparenten standen Losungen wie "Stirbt der Bauer - stirbt das Land" oder "Bauernland in Junkerhand?".

11 Bereits 1990 gab es die ersten Widerstände in Kalibergwerken der DDR, die sich wenige Jahre später zu einer der längsten Betriebsbesetzungen Ostdeutschlands ausweiten sollten. Entlassungen in DDR-Kaligruben: Proteste gegen den Rausschmiss von 15.000 Bergleuten, titelte die Tageszeitung (taz 23.07.): 15.000 Bergleute, das bedeutete, fast jeder zweite Arbeitsplatz in der Kaliindustrie im Südharz würde wegfallen. Gegen den drohenden Arbeitsplatzabbau demonstrierten in der thüringischen Stadt Sondershausen Kalibergleute des Südharz-Reviers. Nach Schätzung der IGBE nahmen 3.000 Bergleute daran teil. Schon im September kam es zu Hungerstreiks und Betriebsbesetzungen in der Kaliindustrie Sachsen- Anhalt und Thüringen (ND: 22.09.a): 460 Bergleute der Gruben Straßberg und Rottleberode traten in einen unbefristeten "Arbeits-Hungerstreik". Die Beschäftigten von Gruben in Schmalkalden und in Gehren hielten ihre Betriebe ebenfalls besetzt.

Die westdeutschen Gewerkschaften waren schon vor dem 3. Oktober aktiv. Das lag u.a. an den hohen Erwartungen ihrer ostdeutschen Mitglieder und daran, dass man ein Niedriglohngebiet im Osten Deutschlands verhindern wollte. Darum standen für die Gewerkschaften auch tarifvertragliche Schritte zur Anhebung des ostdeutschen Tarifniveaus im Vordergrund.

Am 30. August berichtete die taz, dass 90.000 Staatsbedienstete nunmehr den dritten Tag in 20 Städten einen Warnstreik durchführten. Laut Hauptvorstand der ÖTV in Stuttgart waren von den Arbeitskampfmaßnahmen sämtliche Bereiche der Verwaltung betroffen, darunter Nahverkehr, Feuerwehr und Müllabfuhr. Gefordert wurden Lohn- und Gehaltssteigerungen um 350 D-Mark monatlich, mindestens jedoch 30 Prozent und sichere Arbeitsplätze.

Auch ein landesweiter Warnstreik der Berufskraftfahrer forderte, laut BLZ vom 15.09., einen monatlichen Teuerungszuschlag, den Abschluss eines Rationalisierungsschutzabkommens und eine 42-Stunden-Woche. Der Warnstreik war von der IG Transport (Ost) und der ÖTV (West) organisiert und erfasste 20.000 Beschäftigte.

Es gab auch Beschäftigtenproteste von Einrichtungen, die es so in der Bundesrepublik nicht gab: Mehrere hundert Mitarbeiter*innen der Sekundärrohstofferfassung (SERO) zogen vor die Volkskammer. Sie protestierten mit ihrem Warnstreik gegen das Ende der staatlichen Subventionierung der Aufkaufpreise (ND 13.09.).

Angesichts des nahenden 3. Oktober kam es zu Häftlings-Protesten, so in Berlin-Brandenburg und Thüringen. Gefordert wurde eine Amnestie, mindestens aber eine Reduzierung des Strafmaßes (ND 22.09.b). Sie knüpften dabei an die Basisbewegungen vom Herbst 1989 an, die auch vor den Toren der Gefängnisse nicht Halt gemacht hatten (vgl. Ansorg 2005).

12 Über einen Konflikt mit der Treuhand wurde in den hier ausgewerteten Presseorganen erstmals im ND vom 26.09. berichtet: Mit einem "Protestempfang" überraschten etwa 300 Beschäftigte der Berliner Erdgas AG vor dem Sitz der Treuhandanstalt deren Vorstandschef Rohwedder. Der Grund für diese Aktion, zu der die Betriebsgruppe der DAG und der Betriebsrat aufgerufen hatten, waren Pläne für eine unverzügliche Verschmelzung mit der Westberliner GASAG.

Über die erste Protestaktion nach dem 3. Oktober wurde ebenfalls im ND vom 08.10.1990 berichtet: Mehr als 2.000 Mitarbeiter*innen aus Gesundheitseinrichtungen in Ostsachsen protestierten gegen den Zusammenbruch der ambulanten medizinischen Betreuung. Ihnen gehe es um keine Gehaltserhöhung, sondern ausschließlich um eine auch nach dem 31.12.1990 gesicherte Existenzgrundlage. In den nächsten Tagen sollte eine Abordnung nach Bonn fahren, um die Sorgen im zuständigen Ministerium vorzutragen.

Im November kam es zu einem kurzen Streik von 260.000 Reichsbahner*innen, die ihrer Forderung nach Lohn- und Gehaltserhöhungen sowie Kündigungsschutz Nachdruck verleihen wollten. Der von der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) organisierte Streik brachte den Fern- und Güterverkehr weitgehend zum Erliegen (taz 27.11.). Die taz kommentierte den erzielten Tarifkompromiss mit den Worten: Das Streikergebnis überzeugt nicht (taz 30.11.).

Hingen die Anlässe für Streiks und Proteste zu Beginn des Jahres 1990 noch häufig mit der nicht beendeten Revolution zusammen, richteten sie sich im Herbst des Jahres zunehmend gegen die Politik der Treuhand. So gab es Proteste gegen undurchschaubare, die Belegschaften ausschließende, Verkaufshandlungen. Vor dem Betriebstor protestierten Arbeiter*innen und Angestellte der Märkischen Faser AG Premnitz. Empörung hatten die von der Treuhand aufgegebenen Annoncen ausgelöst, mit denen an der Geschäftsführung und dem Betriebsrat vorbei ein Käufer gesucht worden war (ND 11.12.).

Die Simson Fahrzeug GmbH Suhl wurde im Dezember 1990 besetzt (BLZ 12.12.). Damit sollte ein Zeichen gegen das bevorstehende Aus und gegen eine Geschäftspolitik gesetzt werden, die hinter verschlossenen Türen erfolgte.

Das Streik- und Protestgeschehen im Jahre 1991

In diesem Jahr fällt eine rege Protest- und Streikaktivität bei den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes auf: Die Deutsche Postgewerkschaft (DPG) setzte ihre, im letzten Jahr ausgesetzten, Warnstreiks in den neuen Bundesländern fort (NZ 11.01.). Der Grund war, dass die

13 Unternehmensvorstände kein Angebot zu der Forderung nach einmaliger Zahlung eines zusätzlichen monatlichen Bruttolohnes vorgelegt hatten. Auf dem Höhepunkt befanden sich 6.000 Mitarbeiter*innen in Warnstreiks. In der Urabstimmung stimmten 96 Prozent der Gewerkschafter*innen für Streik. Für den Tarifkompromiss (Einmalzahlung von 900 D-Mark für vier Fünftel der Beschäftigten, der Rest 650 Mark, plus Kinderzuschlag) stimmten in einer Urabstimmung 72 Prozent (taz 02.02.).

In einer zweiten Streikwelle der Postbeschäftigten kam es zu Protestaktionen in den Postämtern. Grund war die Nichtanerkennung der bisherigen Arbeitsjahre für die ostdeutschen Beschäftigten (BLZ 24.09.). Es ging aber auch um den vorgesehenen Stellenabbau, gegen den mit Kundgebungen in Sachsen protestiert wurde (NZ 31.10.). Zwei Tage später forderten 300 Beschäftigte der Bundespost auf dem Berliner Alexanderplatz unverzüglich Verhandlungen über einen Sozialvertrag aufzunehmen (BLZ 01.11.). Zur Durchsetzung dieser Ziele war eine Serie von Warnstreiks vorgesehen. Zum Auftakt hatte die DPG sämtliche 38 Postämter in Leipzig lahmgelegt (taz 05.11.). Geschlossene Postämter gab es wenig später auch in Sachsen- Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.

Um die Nichtanerkennung der Dienstjahre ging es auch im Gesundheitswesen. So protestierten vor dem Berliner Roten Rathaus tausende Ärztinnen und Ärzte, Schwestern u.a. Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens dagegen, dass bei der tariflichen Neueinstufung die geleisteten Dienstjahre in der DDR nicht berücksichtigt werden sollten. Bei den Protesten ging es auch gegen Pläne zur Schließung von Krankenhäusern und einem größeren Bettenabbau (ND 10.04.).

Weiterhin gingen rund 800 Berliner Krankenschwestern und Pfleger bei einer dreistündigen Arbeitsniederlegung auf die Straße. Sie betonten, der derzeitige Pflegenotstand werde noch durch den Bundesangestelltentarif Ost verschärft, der die Nichtanerkennung der DDR- Dienstjahre vorsieht. Nicht zuletzt deshalb habe eine dramatische West-Wanderung von Krankenschwestern und Pflegern eingesetzt (BLZ 25.07.).

Ihren Unwillen über die Nichtanerkennung von Dienst- und Beschäftigungszeiten haben 1991 auch hunderte Mitarbeiter*innen des öffentlichen Dienstes in Brandenburg zum Ausdruck gebracht. Die Protestdemonstration durch die Innenstadt von Brandenburg/Havel wurde von DAG und ÖTV organisiert (BLZ 07.08.). Aus gleichem Grund traten etwas später Beschäftigte der Berliner Verkehrsbetriebe (BVB) im Ostteil in einen vierstündigen Streik. Es folgten rund 15.000 Berliner*innen dem Aufruf von ÖTV und DAG zu einer Kundgebung vor dem Roten

14 Rathaus (ND 10.09.). Kundgebungen gab es ebenfalls in Sachen-Anhalt: So gingen in Magdeburg 2.000 Bedienstete auf die Straße (NZ 11.09.).

Die Tarifgespräche in Bonn um die Anerkennung der Beschäftigungszeiten für die 1,4 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in den neuen Bundesländern wurden am 24. September vielerorts von Streiks und Protesten begleitet. Bei Postämtern und Fernmeldeeinrichtungen in Brandenburg und Sachsen kam es zu kurzfristigen Betriebsunterbrechungen. In Berlin streikten rund 1.000 Postler*innen. In Berlin-Lichtenberg nutzten etwa 250 Beschäftigte eines Krankenhauses die Mittagspause für eine Demonstration und sperrten kurzfristig eine Straße (BLZ 25.09.).

Der vereinbarte Tarifkompromiss wurde von der taz unter der Überschrift kommentiert: Zur Jagd getragen. Die ÖTV-Tarifgespräche sind abgeschlossen mit einem lauen Kompromiss (taz 26.09.). Noch im März hatten ÖTV und DAG die Nichtanerkennung der Beschäftigungszeiten aus der DDR-Zeit akzeptiert. Dazu hieß es: "Peinlich aber bleibt das Versäumnis der in Westdeutschland angesiedelten Gewerkschaftszentralen, die politische Brisanz zu erkennen, die in der pauschalen Diskriminierung der ostdeutschen Arbeitnehmergruppe liegt."15

Neben den Streik und Protesten der öffentlich Bediensteten, bildete die Schifffahrtsindustrie einen weiteren Schwerpunkt. Die ostdeutsche Werftenkrise, die 1992 voll ausbrach, kündigte sich damit schon im Jahr 1991 an. Mit einer einstündigen Arbeitsniederlegung protestierten mehr als 4.000 Mitarbeiter*innen der Rostocker Neptun-Werft gegen die drohende Stilllegung ihres Unternehmens (NZ 26.01.). In ganz Mecklenburg-Vorpommern gingen dann am 20. Februar die Arbeitnehmer*innen der Schiffbauindustrie auf die Straße, um für den Erhalt ihrer Branche zu demonstrieren. Mit diesem Aktionstag ging es ihnen nicht nur um den Erhalt der Werften schlechthin, sondern um den Erhalt der insgesamt sehr stark maritim geprägten Wirtschaftsperspektive des Bundeslandes. Ihrer Forderung nach einem von Bundes- und Landesregierung unterstützten Sanierungskonzept wollten daher die Schiffbauer*innen von Rostock, Warnemünde, Stralsund und Wismar gemeinsam mit ihren Zulieferern, beispielsweise

15 Gemeint war der Tarifabschluss mit den öffentlichen Arbeitgebern von Anfang März 1991.

15 aus Schwerin, Ückermünde, Demmin und Neustrelitz, mit dem Aktionstag Ausdruck verleihen (taz 21.02).

Gegen die Deindustrialisierungspolitik der Treuhandanstalt

1991 begann, was zu einem zentralen Gegenstand ostdeutschen Widerstandes werden sollte: Proteste, Streiks und Besetzungen gegen die Deindustrialisierungsspolitik der Treuhandanstalt.

Schon Anfang 1991 häufte sich die Kritik an der Politik der Treuhandanstalt unter Detlev Rohwedder. Er propagierte zwar öffentlich eine Abkehr vom Prinzip "Rückgabe vor Entschädigung" und plädierte für den Erlass der Schulden bei der DDR-Staatsbank, die den ehemaligen DDR-Betrieben jetzt angelastet wurden. Dennoch verband sich mit Detlev Rohwedder keine Umkehr in der Geschäftsphilosophie der Treuhandanstalt, mit der das Prinzip des Vorrangs der Privatisierung verfochten wurde. Wie er selbst zur Kritik an der Privatisierungspolitik der Treuhandanstalt sagte: "Das lässt mich vollkommen kalt" (BLZ 01.03.). Auch in seinem Papier an die Mitarbeiter*innen seines Hauses, das er kurz vor seiner Ermordung verteilen ließ und was als sein "Vermächtnis" gilt, schrieb er, dass Privatisierung die wirksamste Form der Sanierung sei (taz 05.04.).

Arbeiter*innen aus Sachsen und Nordrhein-Westfalen sowie aus Betrieben rund um Eisenach schlossen sich dem Protest der Automobilbauer der Wartburg-Stadt gegen das Aus für das Werk am 31. Januar an. Rund 8.000 hatten sich auf dem Bahnhofsvorplatz versammelt, um eine Revision dieses Beschlusses der Treuhand zu verlangen. Der IG Metall-Bezirksleiter forderte die Bundesregierung auf, der ihr unterstellten Treuhandanstalt Einhalt bei solchen unsozialen Entscheidungen zu gebieten (NZ 30.01.).

Auf einer Interflug-Betriebsversammlung am 11. Februar hatten die Beschäftigten ihren Protest gegen die Entscheidung der Treuhand Ausdruck verliehen, die Fluglinie außer Betrieb zu setzen. Für den 13. Februar hatten die Gewerkschaften zu einer Protestkundgebung vor dem Gebäude der Treuhandanstalt in Berlin aufgerufen. Ein Vertreter der ÖTV sagte, die ÖTV habe immer gemahnt, bei einer Entscheidung nicht provinziell zu denken und eine große nationale Lösung zu finden. Diese Chance habe man vertan (BLZ 12.02.).

Zweieinhalbtausend Büromaschinenwerker*innen und Bürger*innen der thüringischen Stadt Sömmerda protestierten im Februar für den Erhalt des Industriestandortes. Der Betriebsratsvorsitzende forderte Treuhand sowie Landes- und Bundesregierung auf, konkrete Strukturförderpläne für Thüringen vorzulegen (ND 12.02.).

16 Durch separate Absprachen zwischen Treuhand und dem Zeiss-Unternehmen in Oberkochen bestünde die akute Gefahr, dass die Jenoptik Carl Zeiss Jena GmbH - von 27.500 bestenfalls auf 2.700 Beschäftigte geschrumpft - zur verlängerten Werkbank des früheren Konkurrenzunternehmens verstümmelt werde. Dies sagte der Bevollmächtigte der IG Metall Jena auf einer Protestkundgebung mit 10.000 bis 15.000 Teilnehmern, die symbolisch 5 Minuten vor 12.00 Uhr begann (taz 15.02.).

Auch in Sachsen waren tausende Metaller*innen von der IGM aufgerufen worden, für den Erhalt der Industriestruktur, der Arbeitsplätze und Ausbildungswerkstätten, die Streichung der Altschulden, eine zügige Arbeit der Treuhand und gegen einen billigen Ausverkauf der ostdeutschen Betriebe auf die Straße zu gehen. "Die Sachsen müssen endlich anfangen, sich gegen die Willkür der Treuhand und profitsüchtiger Wessis zu wehren", so der Bevollmächtigte der IG Metall Chemnitz (taz 21.02.).

Die taz vom 25.03. berichtete von einer Demonstration von über 100.000 Menschen in Erfurt. Losungen waren "Ostermarsch nach Bonn"; "Wahlbetrüger zurücktreten"; "Treuhand, der Tod ist Dein Beruf"; "Wir brauchen Arbeit – Bananen und Kohl haben wir jetzt genug"; "Weg mit der Treuhand und allen, die an unserer Verarmung verdienen"; "Kein Vertrauen in die Politiker"; "Außen Kohl und innen hohl"; "Vereint, verarscht, verarmt". Und die taz berichtete weiter: Als "Verkaufsagentur und Schlachthof" bezeichnete IG-Metall-Chef Steinkühler die Treuhand. In der Nähe einer kriminellen Vereinigung sehen sie Gewerkschafter vor Ort.

Mit einem "Trauermarsch" zur Erfurter Treuhand-Niederlassung protestierten etwa 500 arbeitslose Metaller*innen gegen die Entlassungswelle in der Metall- und Elektroindustrie. An diese wurde mit einem Kranz an der Tür der Erfurter Treuhand erinnert. Von der Treuhand wurde die Beteiligung an Beschäftigungsgesellschaften verlangt.16 Proteste gegen Entlassungen in Thüringen gab es auch in Suhl, Pößneck und Nordhausen (NZ 02.07.).

16 Beschäftigungsgesellschaften bzw. (ausführlich) Arbeitsförderungs-, Beschäftigungs- und Strukturentwicklungsgesellschaften (ABS-Gesellschaften) waren und sind eine Trägerform von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen (wie ABM, Fortbildung und Umschulung). Sie wurden vor allem in den neuen Bundesländern zur Bewältigung der Massenarbeitslosigkeit von den Gewerkschaften propagiert.

17 Aus Protest vermauerten in Rostock junge Gewerkschafter*innen den Eingang zur Treuhand- Niederlassung und versahen sie mit der Aufschrift "Ihr verbaut unsere Zukunft, wir Eure Tür". In Schwerin schütteten Metallarbeiter*innen mehrere Säcke Sand vor den Eingang der Treuhand-Niederlassung. Damit bringe man den Sand zurück, den die Treuhand den Mitgliedern der IGM in die Augen gestreut habe, meinte der 1. Bevollmächtigte der Schweriner Verwaltungsstelle (ND 06.07.).

Ehemalige Beschäftigte der Halbleiterwerk GmbH Frankfurt/Oder hielten gemeinsam mit Mitgliedern des Betriebsrates eine Mahnwache ab. Damit protestierten sie gegen die gekürzte Abfindung der Treuhand für gekündigte Arbeitnehmer*innen (BLZ 16.08.).

Brandenburger Stahlwerker*innen hatten mit einer Kundgebung auf dem Betriebsgelände gegen das monatelange Schweigen der Treuhandanstalt protestiert. Sie hatten vergeblich auf ein Gespräch über die Zukunft ihres Betriebes gewartet (BLZ 13.09.).

Tausende von Beschäftigten des Büromaschinenwerkes Sömmerda aus Thüringen hatten in Berlin für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze demonstriert. Mit Spruchbändern marschierten sie zur Zentrale der Treuhandanstalt. Ein Sprecher der IGM sagte, durch die Pläne der Treuhand werde eine ganze Region zum Scheitern verurteilt (NZ 14.09.).

Mit einer mehr als vierstündigen Blockade des Autobahnknotenpunktes Hermsdorfer Kreuz in Thüringen durch 3.000 Menschen protestierte die IGM gegen die Stilllegungspolitik der Treuhand und für eine Strukturpolitik von Bundes- und Landesregierung. Mit wütenden Protesten haben mehrere tausend Noch-Beschäftigte der Robotron Büromaschinenwerk AG Sömmerda auf die Entscheidung der Treuhandanstalt reagiert, das Werk zum Jahresende stillzulegen. Ein Vorstandsvertreter der Treuhand wurde mit einem gellenden Pfeifkonzert empfangen und mit Tomaten beworfen. Bei den Tumulten riefen Belegschaftsmitarbeiter*innen ihm und der Geschäftsleitung "Wir sind das Volk!" entgegen (ND 21.09.).

Etwa 400 Arbeiter*innen der Nord-Dress GmbH Altentreptow hatten für eine Stunde eine stark befahrene Bundesstraße in der mecklenburgischen Kleinstadt blockiert. Sie kritisierten damit die Verzögerungstaktik der Treuhand bei der Privatisierung des Unternehmens (BLZ 19.11.).

Walzwerker*innen aus Finow und Eberswalder Kranbauer*innen demonstrierten vor der Treuhandanstalt in Berlin gegen die geplante Schließung ihrer Unternehmen. In Sachsen und Sachsen-Anhalt griffen Beschäftigte aus der Metallindustrie zu handfesteren Maßnahmen: Mit

18 einer Blockade des Autobahnkreuzes Schkeuditz brachten sie eine Stunde lang den Verkehr dort zum Erliegen. Außerdem zogen wie in Halle auch in Leipzig knapp 1.000 Metaller*innen vor die dortige Treuhand-Niederlassung. Einige Gewerkschafter*innen mauerten den Eingang zur Treuhand-Niederlassung zu und beschrifteten den zugemauerten Eingang mit ihrer Forderung "Industrie statt Grundstücksspekulation" (BLZ 26.11.).

Betriebsbesetzungen als Widerstandsform

1991 begannen die ostdeutschen Belegschaften eine für deutsche Verhältnisse mehr als ungewöhnlichen Form des Arbeitskampfes auszuweiten – die Betriebsbesetzungen. Betriebsbesetzungen sind eine Steigerungsform des Streiks und nach der offiziellen deutschen Rechtsprechung illegal. Wikipedia unterscheidet zwei Formen: Sitzstreiks, d.h. der Betrieb wird bestreikt und die Beschäftigten bleiben gleichzeitig im Betrieb; Weiterführung der Produktion, bei Besetzung des Betriebes durch die Beschäftigten.17 Besetzungen gehen meist mit Blockaden einher. Sie gelten als illegal, weil dadurch das Besitz- und das Hausrecht der Eigentümer in Frage gestellt wird. Die hier genannten Beispiele, die zum Teil mit Zustimmung der Geschäftsleitungen erfolgten, richteten sich gegen Entscheidungen der Treuhand, nicht gegen die Existenz der Treuhand selbst.

Über eine Betriebsbesetzung im Jahr 1991 berichtete zuerst die taz vom 21.02.: Die Elektro- Physikalischen-Werke AG in Neuruppin/Brandenburg wurde von der Belegschaft besetzt. Damit wehrten sich die Metaller*innen gegen ihre Entlassung zum 30. Juni. Um den Konkurs zu vermeiden wurde aber weitergearbeitet. Mit der Aktion fordert die Belegschaft zugleich die Gründung einer Qualifizierungsgesellschaft.18

Am 25.03. schrieb die taz über eine, mittlerweile zwei Wochen anhaltende, Betriebsbesetzung von Ermic in Thüringen: 8.000 Menschen beschäftigte seinerzeit dieser DDR-Musterbetrieb der Mikroelektronik. Zum Zeitpunkt der Besetzung waren noch 6.700 beschäftigt, davon mehr als die Hälfte auf null Stunden Kurzarbeit gesetzt.19 In Zusammenarbeit mit westdeutschen

17 Das berühmteste Beispiel dieser Form war Anfang der 70er Jahre die Besetzung der Uhrenfabrik Lip in Ostfrankreich. 18 Qualifizierungsgesellschaft ist der Name für einen Träger für berufliche Weiterbildung. 19 Die "Kurzarbeit Null" (Null Stunden Arbeitszeit) ist eine Sonderform der Kurzarbeit und war seit dem 1. Juli 1990 in Ostdeutschland gesetzlich möglich. Sie galt als "unblutige" Form der Arbeitslosigkeit und entlastete die

19 Unternehmensberater*innen hatte die Geschäftsführung ein Sanierungskonzept vorgelegt. Die Treuhand war aber nicht bereit dies zu finanzieren, erboste sich ein Betriebsrat.

Einen regionalen Schwerpunkt von Betriebsbesetzungen bildete Sachsen. So blockierten rund 150 Kolleg*innen die Eingangstore der Sachsenring-Werke Zwickau, wo einst der Trabant vom Band lief. Dann versammelten sich nach Angaben des Betriebsratsvorsitzenden über tausend Arbeitnehmer*innen im Werk. Anlass war ein sog. "Breuel-Brief", der die Absage der Treuhand an eine Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaft verkündete. Diese Absage wurde später zurückgenommen (BLZ 18.06.).

Einen Tag später berichtete dieselbe Zeitung über die Besetzung der dkk Scharfenstein, die unmittelbar nach Anweisung der Treuhand, die Produktion sofort einzustellen, erfolgte. Die dkk-Geschäftsleitung erklärte sich solidarisch mit der Belegschaft (BLZ 19.06.).

Vorerst unterbrochen wurde dagegen die Besetzung von TAKRAF Leipzig und Ascota Chemnitz. Der damalige Wirtschaftsminister Möllemann ließ verlauten, wenn jetzt Bilder von Betriebsbesetzungen um die Welt gingen, sei dies ein regelrechtes Investitionsverhinderungsprogramm (BLZ 20.06.).

Ungeachtet dessen kam es zu weiteren spontanen Betriebsbesetzungen im westsächsischen Industriegürtel. So wurden zwei Betriebsteile der Sächsischen Mähdrescherwerk AG in Bischofswerda und Neukirch aus Protest gegen die drohende Schließung besetzt. Es kam ebenfalls zu einer symbolischen Betriebsbesetzung der Chemnitzer Eisen- und Stahlgießerei GmbH. Sie war eine Warnung an die Treuhand, künftige Entscheidungen über eine zu bildende Qualifizierungsgesellschaft und die Unternehmensentwicklung im Interesse der Belegschaft zu fällen (taz 22.06.).

Die Beschäftigten der Sachsenring-Werke Zwickau besetzten erneut aus Protest gegen die Treuhandpolitik ihren Betrieb, diesmal unbefristet. Die Bildung einer Qualifizierungsgesellschaft kam nicht voran (taz 25.06.).

Treuhandunternehmen, denn die entsprechenden Lohnkosten wurden von Bundesagentur für Arbeit getragen (60/67 % des Nettoentgeltes).

20 In einigen Fällen drohten die Beschäftigten mit Betriebsbesetzungen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen: Knapp 100 Beschäftigte des Halbleiterwerkes Frankfurt/Oder trafen sich im Juni 1991 vor dem Betriebstor. Dem Autokorso zum Frankfurter Treuhand-Gebäude schlossen sich weitere 300 bis 400 aufgebrachte Oderstädter an. Auf der dortigen Kundgebung sagte der Betriebsratsvorsitzende: "Lenkt die Treuhand nicht ein, werden Betriebe besetzt." Darüber sei er sich mit den IG Metaller*innen der Region einig (ND 29.06.).

Ende des Jahres häuften sich Berichte über die Betriebsbesetzung der Hennigsdorfer Stahlwerke AG: Rund 5.000 Beschäftigte besetzten das Werk. Grund dafür waren die bekanntgewordenen Pläne der Treuhandanstalt, den Hennigsdorfer Betrieb zusammen mit dem Brandenburger Stahlwerk an das italienische Unternehmen Riva zu verkaufen. Der Betriebsratsvorsitzende wies die Anschuldigungen der Treuhand, das wäre Ausländerfeindlichkeit, zurück. Noch am Vorabend der Betriebsbesetzung hätte man mit Riva verhandelt, doch deren Konzept sei nicht akzeptabel gewesen. Das Werk sollte solange besetzt bleiben, bis die Treuhand positiv auf die Forderungen der Stahlwerker nach Arbeitsplatzerhalt und Einbeziehung der Belegschaft in die Verkaufsverhandlungen reagiert (BLZ 25.11.).

Über die inzwischen zwölftägige Besetzung der Hennigsdorfer Stahlwerke AG schrieb die taz am 04.12.: Die Verhandlungen mit der Treuhand waren vorerst gescheitert, weil sie sich beharrlich weigerte finanzielle Mittel für eine Arbeitsförderungsgesellschaft bereitzustellen. Die Belegschaft entsandte deshalb eine Delegation zur Treuhandzentrale in Berlin, um ihre Empörung über den Verlauf der Gespräche zum Ausdruck zu bringen.

Der Kampf um den Stufentarifvertrag im Jahr 1991

Die (schon) vierte Runde der Lohn- und Gehaltstarifverhandlungen für die Metallindustrie in Ost-Berlin und Brandenburg wurde ohne Ergebnis vertagt. Die IG Metall forderte die schnellstmögliche Angleichung der Löhne und Gehälter an das Westniveau. Vor dem Verhandlungsort in Berlin versammelten sich Belegschaftsabordnungen aus mehreren metallverarbeitenden Betrieben. Nach Angaben der Gewerkschaft kam es auch in Oranienburg, Neuruppin und Hennigsdorf zu betrieblichen Aktionen. In Finsterwalde hatte die Belegschaft eines Maschinenbauunternehmens eine Fernstraße vorübergehend blockiert (taz 22.02.).

Mit Warnstreiks und öffentlichen Aktionen hatten viele tausend Arbeitnehmer*innen der Metall- und Elektroindustrie im Ostteil Berlins und in den Ländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ihre Forderung nach sozial gerechten Tarifabschlüssen untermauert. In Berlin zogen 3.000 Kurzarbeiter*innen vom Werk für Fernsehelektronik auf

21 eine Straßenkreuzung und blockierten den Verkehr. Auch in Köpenick/Oberschöneweide trafen sich mehrere tausend Metaller*innen. Die Belegschaften der Babelsberger Maschinenbaubetriebe, der Eberswalder Fahrzeugausrüstung GmbH, der Zahnradwerke und weiterer Betriebe in Pritzwalk verlangten von den Unternehmer*innen, sich endlich zu bewegen. Vor dem besetzten Elektrophysikalischen Werk Neuruppin demonstrierten 400 Arbeitnehmer*innen. Rund 1.000 Mitarbeiter*innen der Frankfurter Halbleiterwerk GmbH, der Prolux GmbH und der Stahlleichtbau GmbH, unterstützt durch eine Abordnung der EKO Stahl AG, versammelten sich vor dem Rathaus Frankfurt/Oder. Ihren Protest über die inzwischen acht ergebnislos verlaufenden Tarifrunden bekundeten in Rostock 4.000 Metallarbeiter*innen der Neptun- und der Warnow-Werft sowie von Schiffbauzulieferbetrieben. In Schwerin blockierten die Arbeiter*innen des Klement Gottwald-Werkes eine Fernverkehrsstraße (ND 01.03.).

Mit Ablauf der Erklärungsfrist galt der Tarifabschluss im Tarifbezirk Ostberlin-Brandenburg. In letzter Minute versuchten rund 100 Betriebsräte vergeblich, die Bezirksleitung der IGM zu einer neuen Abstimmung zu bewegen. Die Angleichung an die Westlöhne war ursprünglich seitens der IG Metall schon für April 1993 als Verhandlungsziel ausgegeben worden. Die Betriebsräte forderten, den IGM-Bezirksleiter Horst Wagner wegen seiner Zustimmung zu diesem Tarifabschluss in seiner Funktion abzulösen (Trotz Protest: Tarifabschluss für die Metallindustrie gilt BLZ 16.03.).

Mit Warnstreiks haben zehntausende Stahlwerker*innen Ostdeutschlands die Position der IG Metall vor der neuen Tarifrunde gestützt. Die IGM verlangte auch für die Stahlindustrie die stufenweise Angleichung der Einkommen an westdeutsches Niveau bis 1. April 1993. An mehreren Stahlstandorten der Länder Brandenburg, Sachsen und Thüringen ruhte für eine Stunde die Arbeit. Im thüringischen Unterwellenborn zogen die Arbeiter*innen der Maxhütte nach dem Warnstreik zu einer Kundgebung vor das Werkstor. Beschäftigte der Sächsischen Edelstahlwerke AG in Freiburg forderten auf einem Meeting die Anhebung ihrer Löhne. Sie wurden dabei von Kurzarbeiter*innen unterstützt, die bereits auf „Null-Stunden“ gesetzt worden waren. Zu Warnstreiks kam es auch in der EKO-Stahl AG Eisenhüttenstadt sowie in den Stahlwerken Brandenburg und Hennigsdorf (BLZ 22.03.).

Im ausgehandelten Tarifkompromiss für die Stahlindustrie erfolgte die endgültige Angleichung zum 1. April 1994, gemäß dem Pilotvertrag in der Metall- und Elektroindustrie. Der Betriebsratsvorsitzende der EKO Stahl AG Eisenhüttenstadt sprach von einer gewissen Enttäuschung, man hatte mehr erwartet. Wie in der Metall- und Elektroindustrie war demnach

22 der Zeitpunkt der Angleichung deutlich nach hinten geschoben worden. Hinzu kam, dass man nur von dem Tarifkompromiss profitierte, wenn man seinen Arbeitsplatz behielt und nicht abgruppiert wurde (Trotz Streik kein Wunschergebnis BLZ 27.03.).

Montagsdemos als Kampfmittel gegen Regierungs- und Treuhandpolitik

Schon nach einem Jahr einer Privatisierungspolitik von Regierung und Treuhand, die zudem den Sanierungsauftrag hintenanstellte, zeichnete sich eine wirtschaftliche und soziale Katastrophe ab. Allein zwischen 1989 und 1991 waren nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Ostdeutschland bereits rund 2,5 Millionen Erwerbstätige weniger (1989: ca. 9,2 Millionen) und die Arbeitslosenquote lag schon bei rund zehn Prozent, trotz Kurzarbeit Null und ABS-Gesellschaften.20 Zehntausende waren zum 31.12 1990 auf die Straße geflogen bzw. auf Null-Stunden gesetzt. und die nächste Betriebsschließungs- und Entlassungswelle war von der Treuhand bereits für den 30. Juni 1991 angekündigt. Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Situation lebten die Montagsdemonstrationen, die im Herbst 1989 eine wichtige Rolle in der demokratischen Revolution gespielt hatten, bereits 1991 wieder auf.

Mehr als 25.000 Menschen trugen in Leipzig ihren Protest gegen Arbeitslosigkeit und sozialen Abstieg auf die Straße. Auf der traditionellen Route vom Herbst 1989 gingen die Demonstranten Ende Februar nach einem Aufruf der IGM unter dem Motto "Leipzig macht Druck auf Bonn" über den Ring. Gejohle begleitete die Aufforderung eines Betriebsrates des Werkzeug-Prüfmaschinenwerk WPM an Bundeskanzler Kohl, nach Leipzig zu kommen und noch einmal zu "seinen lieben Leipzigern" zu sprechen. Rufe wie "Kohl - Lügner!" wurden laut (taz 13.03.).

Schwarze Fahnen wehten auf der Cottbuser Montagsdemonstration als Zeichen der Empörung über das Sterben der Textilindustrie. Es war eine von der IG Textil und Bekleidung organisierte Kundgebung. Die Stimmungslage vieler verdeutlichten Losungen wie "In der Scheiße standen wir schon immer, nur die Tiefe ändert sich ständig". Ihre Sorgen um die Zukunft der Region gaben zur gleichen Zeit auch 10.000 Beschäftigte und Kurzarbeiter*innen aus der Oberlausitzer

20 Vgl. Bielenski, H., Magvas, E., Parmentier: Arbeitsmarkt Monitor für die neuen Bundesländer. In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2/92. Stuttgart, S. 136-157.

23 Textil- und Bekleidungsindustrie in Löbau Ausdruck. In Chemnitz versammelten sich tausende Mitglieder der IG Textil und Bekleidung und ihre Sympathisanten (taz 20.03.).

In Leipzig machten mehr als 80.000 Montagsdemonstranten ihrem Unmut Luft mit Plakaten wie "Lieber Kohl los als arbeitslos - Neuwahlen jetzt", "Treuhand - die größte Mafiabande seit Al Capone" oder "Aufgewaigelt, Unverblühmt, Verkohlt". IGM-Chef Steinkühler verlangte eine Novellierung des Treuhandgesetzes, die der Sanierung der Betriebe Vorrang vor ihrer Privatisierung einräumt. "Kohl, komm nach Berlin!" war die zentrale Forderung von rund 4.000 Menschen auf der Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz (ND 26.03.).

Die ostdeutschen Beschäftigten hatten mit den Montagsdemonstrationen offenkundig einen wunden Punkt getroffen. Ihre Forderungen und Kritiken richteten sich nun nicht mehr allein gegen die Treuhand, die Regierung Kohl stand jetzt im Fokus eines Massenprotestes. Sehr schnell reagierten Regierung und Wirtschaft und begannen eine Diffamierungskampagne an der sich auch Teile der Gewerkschaftsführungen beteiligten. Bundeskanzler Kohl nannte das Schauspiel, das ein Teil der Gewerkschaftsführer*innen biete, "schlicht erbärmlich". Dies beträfe jedoch nicht diejenigen im DGB, die "unseren Aufbau im Osten nachdrücklich unterstützen" (DGB erfreut Union taz 12.04.). Der damalige Präsident des DIHT sprach in Richtung Gewerkschaften von "Brandstifterei" (Scharfer Streit in Sachen Montagsdemos BLZ 13.04.). Der damalige CSU-Vorsitzende Stoiber nannte die Montagsdemos eine "Vergiftung des Klimas". IG Chemie-Chef Rappe meinte, hinter den Montagsdemos müsse man einen "Schlusspunkt" setzen, nachdem die Regierung genügend Geld für eine Wende in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt Ostdeutschlands zur Verfügung gestellt habe (Montagsdemos im Fadenkreuz BLZ 16.04.).

Schon am 15.04. berichtete die Berliner Zeitung über sinkende Teilnehmerzahlen bei den Montagsdemos in mehreren ostdeutschen Städten. In Berlin rief der "Runde Tisch von unten" weiter zu den Demonstrationen montags am Alexanderplatz auf. Nachdem sich die IG Metall in Leipzig aus der Vorbereitung herausgezogen hatte, organisierte die ÖTV die dortigen

24 Montagsdemonstrationen. Der Leipziger IGM-Bevollmächtigte entschuldigte sich damit, dass die Montagsdemos nicht zum Ritual werden sollten.21

Aus für Montagsdemos schrieb die taz am 18.04.: Die vorerst letzte Leipziger Montagsdemonstration sollte in der nächsten Woche stattfinden. Ein entsprechendes Übereinkommen erzielte der Koordinierungsrat, dem Vertreter*innen mehrerer Parteien, Gewerkschaften und Bürgerbewegungen angehörten. Ein Sprecher begründete die Entscheidung mit den schwindenden Teilnehmerzahlen und dem anhaltenden politischen Druck.

In einem Kommentar der taz hieß es: "Schon die Okkupation der Montagsdemonstrationen durch die Gewerkschaften war skandalös ... Ihre Absage jetzt ist geradezu obszön. Die Gewerkschaften haben es überdeutlich gezeigt, wie sehr sie Teil der politischen Klasse in Bonn sind. Sie waren an einer selbständigen politischen Kraft, an einer politischen Massenautonomie in Ostdeutschland nie interessiert" (Enteignung des Protestes taz 16.04.).

Eine der letzten Zeitungsmeldungen aus dem Jahr 1991 lautete: Zu einer Demonstration mit Kerzen hatten sich am Heiligen Abend Zschopauer Motorradwerker, zum Teil mit Familien, vor ihrem Betrieb eingefunden. Sie waren einem Aufruf der IG Metall-Verwaltungsstelle gefolgt, gegen die stille Liquidation von MZ ebenfalls auf diese stille Art zu protestieren (NZ 27.12.).

Das Streik- und Protestgeschehen im Jahre 1992

Auch im Jahre 1992 waren Betriebsbesetzungen ein Mittel des Protestes. Verbanden sich die Ziele der Betriebsbesetzungen 1990/91 häufig mit dem Kampf um eine „ordentliche Privatisierung“, die eine Sanierung und nicht die Schließung des Betriebes zur Folge haben sollte, mehrten sich nun die Besetzungen der bereits privatisierten Betriebe. In unglaublicher Geschwindigkeit folgten dieser ersten Privatisierungswelle Stilllegungen ganzer Werke und

21 Um den Westeinfluss zurückzudrängen, wurde im Koordinationskreis beschlossen, keinen Westredner mehr auftreten zu lassen.

25 Werkteile; Massenentlassungen, auch in Vorbereitung des Verkaufs seitens der Treuhand, erschütterten 1992 ganz Ostdeutschland

Die Besetzung des Walzwerkes Finow geht weiter! So entschied die Belegschaft auf einer Betriebsversammlung. Der Protest der Belegschaft richtete sich gegen Pläne der Geschäftsführung, die Zahl der Arbeitsplätze weiter zu reduzieren. Grund hierfür sei die Verzögerungstaktik der Treuhand bei der Privatisierung (taz 11.02.).

Die Besetzung der Wismarer Meeres-Technik-Werft (MTW) wurde von rund 3.000 Beschäftigten fortgesetzt. Aus Protest gegen die Werftenpolitik der Landesregierung und der Treuhandanstalt hatten rund 150 Werftarbeiter*innen das Betriebsgelände auch nachts bewacht. Wie der Aktionsausschuss mitteilte, verhielten sich die Arbeiter*innen diszipliniert und die Produktion lief auf vollen Touren weiter. Es gab viele Solidaritätsbekunden, so vom Wismarer Senat, der SPD Mecklenburg-Vorpommern und den Rostocker Werftarbeiter*innen, die ebenfalls ihre Neptun-Warnow-Werft besetzt hatten (NZ 28.02.).

Am dritten Tag der Betriebsbesetzungen in Mecklenburg-Vorpommern beteiligten sich mehr als 6.000 Werftarbeiter*innen daran. Nach den Werften in Wismar und Rostock hatten auch die Rostocker Dieselmotorenwerker ihren Betrieb besetzt, um den Paketverkauf der drei Schiffbau- Unternehmen an die Bremer Vulkan AG zu erzwingen. Belegschaften zahlreicher west- und ostdeutschen Firmen hatten ihre Unterstützung zugesichert (NZ 29.02.).

Zwei mächtige Anker blockierten das große Eingangstor der Warnemünder Warnow-Werft und "Fünf Minuten vor zwölf" trafen sich die Schiffbauer zu einer Belegschaftsversammlung. Die MTW Wismar, das Dieselmotorenwerk Rostock, die Deutsche Seerederei GmbH und die Neptun-Werft waren ebenfalls durch Abordnungen vertreten. Damit waren die Werftenbesetzungen erneut verstärkt worden. Der Chef des IG Metall-Bezirk Küste forderte einen Werftenverbund unter Leitung der Bremer Vulkan AG (NZ 03.03.).

Die Belegschaft der Elektroschaltgeräte GmbH Grimma/Sachsen hatte aus Protest gegen die Treuhand ihren Betrieb für zwei Tage besetzt. Die Treuhand hatte beschlossen, den Betrieb zum 30. Juni zu liquidieren (taz 05.03.). Im Juli sollten der Treuhand Belfa-R6-Batterien übergeben werden. Diese stammten aus der zweitägigen Demonstrationsproduktion der in Kurzarbeit befindlichen Belfa-Mitarbeiter*innen. Sie protestierten damit gegen die Art und Weise, wie die Treuhand die Stilllegung ihres Betriebes betrieb (BLZ 10.07.).

26 Die Belegschaft der Saxonia Schmiertechnik GmbH in Schwarzenberg/Sachsen hielt im September 1992 den Betrieb besetzt. Der Protest richtete sich gegen die beiden Geschäftsführer des Treuhand-Unternehmens, die einen weiteren Arbeitsplatzabbau planten (ND 11.09.).

Das Chemiefaserwerk in Premnitz wurde von den Beschäftigten aus Protest gegen geplante Massenentlassungen besetzt. Am Vortag hatte die neue Eigentümerin des Betriebes, die Schweizer Alcor AG, die Kündigung aller Mitarbeiter*innen mitgeteilt. Vor dem Werkstor demonstrierten mehr als 3.000 Betriebsangehörige und Anwohner. Der Betriebsrat warf der Treuhandanstalt vor, von der mangelnden Bonität des Erwerbers gewusst zu haben. Die Treuhand müsse die Fabrik zurücknehmen und einen neuen Investor suchen (BLZ 25.09.). Für die Märkische Faser AG in Premnitz wurde die Lage bedrohlich. Es wuchs die Gefahr der Stilllegung des seit 72 Tagen besetzten Betriebes. Die Verantwortung für den Verlust der noch vorhandenen Arbeitsplätze läge dann bei der Treuhand, erklärte der Betriebsratsvorsitzende (ND 04.12.).

Seit einer Woche wurde die Sächsische Backwaren GmbH Bautzen besetzt. Die Betriebsbesetzung sollte solange weitergehen, bis die Existenz des Unternehmens gesichert sei. Die Besetzung durch die Belegschaften sollte dazu dienen, Druck auf die Gespräche von NGG, dem Konkursverwalter und dem einen Kaufinteressenten auszuüben (NZ 09.12.).

Die Union Sächsischer Werkzeugmaschinen GmbH Chemnitz wurde von der Belegschaft besetzt. Die Aktion richtete sich gegen den Beschluss der Gesellschafter, das Werk zu verkaufen und die Produktion in ein Schwesterunternehmen nach Gera zu verlegen. Die Treuhand teilte indes mit, dass die Käufer damit gegen den Vertrag verstoßen hatten, der die Weiterbeschäftigung der Belegschaft vorsah. Man würde deshalb auf die vereinbarten Vertragsstrafen bestehen (BLZ 23.12.).

Belegschaftsproteste in der Schiffbauindustrie

Wie schon ein Teil der Betriebsbesetzungen zeigte, verstärkte sich im Jahr 1992 der Kampf gegen Stilllegungen in der Schiffbauindustrie. Die Schiffbauindustrie und mit ihr die Zulieferer waren ein Schwerpunkt der Auseinandersetzungen dieser Jahre. Die Ölkrise und der Aufstieg der asiatischen Schiffbauindustrie führten seit den 70er Jahren zu einer Krise der europäischen Schiffsbauindustrie, von der natürlich auch Westdeutschland betroffen war. Gleichzeitig prägte die maritime Wirtschaft weitgehend die Struktur Mecklenburg-Vorpommerns. Diese Kämpfe fanden deshalb große Unterstützung in der Bevölkerung.

27 Mehr als 10.000 Besucher*innen waren zu einem "Tag der offenen Tür" in die Wismarer Werft gekommen, um sich zu solidarisieren. Höhepunkt war ein etwa zehn Kilometer langer Corso der Rostocker Dieselmotorenwerker und Schiffbauer nach Wismar. Auf deren zweistündiger Fahrt hatten Passanten und Dorfbewohner*innen immer wieder ihre Sympathie bekundet (NZ 02.03.).

Zur „Lösung der Werftenkrise“ in Ostdeutschland hatten Gewerkschafter*innen und Betriebsräte der Schiffbaubetriebe Gespräche mit Bundeskanzler Kohl und Vertretern der Berliner Treuhand gefordert. Nach einer Demonstration in Schwerin beschlossen sie, Delegationen nach Bonn und Berlin zu entsenden. Mit zwei tonnenschweren Ankern hatten rund 3.500 Werftarbeiter*innen den Eingang zur Schweriner Staatskanzlei blockiert (NZ 05.03).

Mit Wut und Empörung reagierten 6.000 Werftarbeiter*innen in Schwerin auf den Beschluss des Landtages, der eine Werften-Lösung ganz im Sinne der Treuhand vorschlug. Danach sollten die MTW Wismar und die Dieselmotorenwerke Rostock an die Bremer Vulkan AG sowie die Neptun-Warnow-Werft in Rostock und Warnemünde an den norwegischen Schiffbaukonzern Kvaerner A/S verkauft werden. Nur mit Mühe konnten Gewerkschafter*innen die aufgebrachten Arbeiter*innen davon abhalten, das Landtagsgebäude zu stürmen. Die Werftarbeiter*innen hatten auf ihre Verbundlösung, mit der Bremer Vulkan AG an der Spitze, gehofft, da Bremer Vulkan die Arbeitsplätze besser absichern würde (BLZ 12.03.).

Aus Protest gegen die Art und Weise des Verkaufs ostdeutscher Werften hatten einige hundert Werftarbeiter*innen eine vielbefahrene Straßenkreuzung in der Innenstadt von Wismar blockiert. Die IGM wollte mit großräumigen Straßenblockaden und öffentlichen Betriebsversammlungen ihre Protestaktionen landesweit fortsetzen. In Rostock hatten Metaller*innen zur Blockade des wichtigsten Verkehrsknotenpunktes der Stadt aufgerufen. Es wurde erwartet, dass auch Gewerkschafter*innen aus anderen Betrieben sich einfänden (ND 16.03.).

Erwartungsgemäß billigte der Verwaltungsrat der Treuhandanstalt das umstrittene Werften- Privatisierungskonzept, unbeeindruckt von den Protesten zahlreicher Werftarbeiter*innen vor dem Berliner Detlev-Rohwedder-Haus. Die Protestierenden entrollten Plakate, auf denen die Treuhand mit der Mafia verglichen wurde. "Wir sind doch das Volk", sagte ein Arbeiter trotzig (taz 18.03.).

28 Die Auseinandersetzungen um die ostdeutsche Schifffahrtsindustrie führte direkt zur Initiative Ostdeutscher und Berliner Betriebsräte, Personalräte und Vertrauensleute: Am 25./26. April 1992 organisierte der Betriebsratsvorsitzende der Deutschen Seerederei, der zugleich Vorstandsmitglied im Bündnis 90 war, zusammen mit dem DGB-Vorsitzenden Rostocks eine wirtschaftspolitische Tagung des Bündnis 90.22 Dieser regionale Betriebsräte-Kreis hatte am Gründungsprozess der Initiative, neben den Berlinern und dem Arbeitskreis der Betriebsräte im mitteldeutschen Chemiedreieck, einen entscheidenden Anteil (siehe FN 1).

Von der Deindustrialisierungsspolitik der Treuhand war 1992 nicht nur die Schiffbauindustrie betroffen, sondern im Grunde alle Industriebranchen. Aber auch zahlreiche Dienstleistungsbetriebe waren von dramatischen Umbrüchen betroffen. Dieser Politik in den Arm zu fallen, hätte es einen Branchen übergreifenden Widerstand geben müssen. Doch die Einzelgewerkschaften verteidigten immer nur ihre eigenen begrenzten Sektoren und organisierten keinen Branchen übergreifenden Widerstand. Zumeist akzeptierten sie die Massenentlassungen und die Deindustrialisierung des Ostens und beschränkten sich auf deren soziale Abfederung durch Sozialpläne. Zudem saßen ihre Vorstände im Westen und hatten zuerst westdeutsche Arbeitsplätze im Sinn. Aus diesem Grund gründete sich im Juni eine branchenübergreifende Initiative Ostdeutscher und Berliner Betriebsräte, Personalräte und Vertrauensleute. Sie versuchte einen breiten Widerstand zu mobilisieren und politische Öffentlichkeit zu schaffen, um Druck auf die Treuhandpolitik und Bonn auszuüben. Sie existierte vom Juni 1992 bis Dezember 1993.

Gegen Betriebsstilllegungen und weitere Entlassungen haben mehr als 200 Betriebsräte ostdeutscher Unternehmen vor der Zentrale der Treuhandanstalt in Berlin demonstriert. Treuhand-Präsidentin Breuel äußerte nach einem Gespräch Verständnis für die Proteste. Das Gespräch mit der gewerkschaftlich nicht unterstützten Betriebsräteinitiative sollte fortgesetzt werden (NZ 01.07.).23 Der DGB und seine Einzelgewerkschaften hielten Distanz zu einer

22 Das Bündnis 90 war im Februar 1990 der Zusammenschluss eines Teiles der Oppositionsgruppen der DDR, der September 1991 in eine Partei umgewandelt wurde. Im Mai 1993 vereinigten sich Bündnis 90 und DIE GRÜNEN zur Partei Bündnis 90/DIE GRÜNEN. 23 Dies war eine der ersten Erwähnungen einer Aktion der "Initiative Ostdeutscher und Berliner Betriebsräte, Personalräte und Vertrauensleute", die in diesem Jahr auch ihre erste und zweite Konferenz in Berlin abhielt. Martin Clemens hatte in einem Beitrag für die taz vom 18.04. auf die im Februar gegründete Initiative Berliner Betriebs- und Personalräte hingewiesen.

29 „sogenannten Betriebsräte-Bewegung", die doch erst aufgrund des Versagens der Gewerkschaftszentralen entstanden war.

Neben solchen Aktionen setzten zahlreiche Betriebe 1992 die bekannten Protest- und Streikaktionen fort: Einige Hundert Thüringer Arbeitnehmer*innen demonstrierten in Erfurt gegen die Vernichtung von Arbeitsplätzen und für einen Kurswechsel in der Treuhandpolitik. Sie sperrten symbolisch die Zugänge zur Treuhand-Niederlassung. Mit Pfeifkonzerten und Transparenten unterstützten die Demonstranten die Forderung der IGM nach Beteiligung von Betriebsräten und Gewerkschaften an Verkaufsentscheidungen sowie die Aussetzung von Liquidationen, wenn für die Firmen auch nur der Hauch einer Chance bestehe. Etwa 50 Mitglieder der IGM verbrachten die Nacht vor dem Gebäude der Niederlassung (NZ 25.07.).

Mit einer halbstündigen Sperrung der Fernstraße von nach Suhl verlangten die Beschäftigten der Ohra-Wohnraumleuchten GmbH von der Treuhand, das Unternehmen zu erhalten. Die Mitarbeiter*innen, die seit Monaten keinen Lohn erhielten, forderten die Rücknahme der Firma durch die Treuhand sowie die spätere Übernahme durch die Belegschaft (NZ 29.07.).

Ihre Forderungen nach dem Erhalt von Arbeitsplätzen hatten mehr als 500 Beschäftigte aus Thüringer Metallbetrieben mit der halbstündigen Blockade eines Autobahnzubringers sowie einer Demonstration vor der Erfurter Treuhand-Niederlassung bekräftigt. Im Streit zwischen IGM und Treuhand ist nach Ansicht der IGM ein Teilerfolg in Thüringen erzielt worden. Es sei vereinbart worden, eine bessere Förderung von Firmengründungen aus Beschäftigungsgesellschaften zu prüfen. Als Reaktion kündigte die IGM an, vorerst die Protestaktionen auszusetzen (NZ 30.07.).

Mit einer öffentlichen Betriebsversammlung und einem Marsch durch die Stadt protestierten Freitaler Edelstahlwerker*innen und ihre Familien gemeinsam mit vielen anderen Einwohner*innen gegen die Liquidationspläne des Stahlstandortes Freital durch die Treuhand (ND 08.09.).

Aus Protest gegen die geplante Schließung der Edelstahlwerke Freital GmbH hatten zudem rund 1.000 Metallarbeiter*innen für drei Stunden den Dresdner Flughafen besetzt. Die Aktion war erst beendet worden, nachdem Ministerpräsident Biedenkopf seine Unterstützung gegen die Betriebsabwicklung zugesagt hatte (NZ 17.09.).

30 900 Premnitzer*innen protestierten in Berlin vor der Treuhandanstalt gegen die drohende Stilllegung der Märkischen Faser AG. Während der Kundgebung, der größten, die bisher ein Betrieb vor der Treuhandanstalt organisiert hatte, gab es Sprechchöre wie "Premnitz ist hier - Breuel vor die Tür!". Erst nach anderthalb Stunden ohrenbetäubendes Protestes erschien ein THA-Vorständler, der nichts versprach (ND 07.10.).

Wie schon 1991 richtete sich der Zorn ostdeutscher Belegschaften auch in diesem Jahr an die bundesdeutsche Regierung, von der sie Eingriffe in die Treuhandpolitik erwarteten. Rund 1.200 Premnitzer*innen wurden nach der Fahrt mit einem Sonderzug nach Bonn von etwa 1.000 Bürger*innen der westdeutschen Partnerstadt empfangen. Gemeinsam zogen die Kundgebungsteilnehmer*innen durch die Innenstadt zum Platz vor dem Bundeskanzleramt. Der Betriebsratsvorsitzende bezeichnete es als Skandal, dass Kanzleramtsminister Bohl seine Zusage zurückgenommen hatte, vor den Versammelten zu sprechen. Die Vertreter*innen der Regierungsparteien CDU und FDP wurden ausgepfiffen (ND 30.10).

Mehrere hundert Beschäftigte der Umformtechnik GmbH Erfurt haben vor dem Gebäude der Thüringer Landesregierung den Fortbestand des Unternehmens sowie die Sicherung der Arbeitsplätze verlangt. Über die Zukunft des Unternehmens sollte mit Vertretern der Landesregierung und der Treuhand verhandelt werden (NZ 28.11.).

6.000 Mitarbeiter*innen und Betriebsräte aus Sachsen bereiteten Treuhand-Präsidentin Breuel auf dem Leipziger Messegelände einen heißen Empfang. Mit Plakaten wie "Treuhand - Totengräber der ostdeutschen Betriebe" starteten sie ihren eigenen "Messerundgang", einer Messe, auf der sich Treuhand-Unternehmen präsentierten (ND 04.12.).

Mit ihrer bisher größten gemeinsamen Aktion hatten ostdeutsche Betriebsräte und Belegschaften in Berlin gegen die Politik der Treuhand protestiert. Etwa 400 Vertreter*innen aus Treuhandbetrieben aller neuen Länder zogen durch die City zur Zentrale. Zur Abschlusskundgebung wurden rund 2.000 Teilnehmer*innen erwartet (taz 16.12.).

Am Ende des Jahres 1992 begann mit einer ersten Schachtbesetzung im Kaliwerk Bischofferode ein monatelang andauernder Arbeitskampf, der endlich auch in den Medien und damit in der Öffentlichkeit Beachtung finden sollte. Kalikumpel am Heiligabend im Schacht. Auch Priester bei Protest gegen geplante Schließung des Werkes Bischofferode (NZ 24.12.).

31 Das Streik- und Protestgeschehen im Jahre 1993

Der Kampf gegen die Aufkündigung des Stufentarifvertrages

Am Anfang des Jahres 1993 kündigte der Arbeitergeberverband Gesamtmetall den 1991 abgeschlossenen Tarifvertrag, in dem eine stufenweise Angleichung der Löhne in der Metall-, Elektro- und Stahlindustrie bis zum April 1994 auf das Niveau des bayerischen Tarifvertrages vorgesehen war.24 Dieser Kampf war eines der Ereignisse, die das Jahr 1993 auch in Westdeutschland prägen sollten. Eine letzte vergleichbare Kündigung eines gültigen Tarifvertrages hatte es im November 1928 gegeben, zu Zeiten der Weimarer Republik.

Gegen diese Aufkündigung begannen ost- und westdeutsche Gewerkschafter*innen zu protestieren. Mehr als 20.000 Metallarbeiter*innen demonstrierten in Chemnitz gegen den Ausstieg der Arbeitgeber*innen aus dem Tarifvertrag (taz 19.02.). "Brücken der Solidarität" schlugen 5.000 Gewerkschafter*innen auf einer Veranstaltung der IGM Küste in Rostock. Norddeutsche Metaller*innen von Papenburg über Lübeck und Kiel, von Stralsund, Schwerin und Neubrandenburg waren per Bus und oft mit Familie gekommen. Sie protestierten gegen die Aushebelung der 1991 abgeschlossenen ostdeutschen Tarifverträge, für soziale Sicherheit und Erhalt der Arbeitsplätze (ND 22.02.)

Zur gleichen Zeit erhielten ostdeutsche Chemiearbeiter*innen neun Prozent mehr Lohn: "Für das Gewerkschaftslager aber muss der Chemie-Abschluss einen bitteren Nachgeschmack haben - IG Chemie und IG Metall sind gegeneinander ausgespielt. Während die mächtige Metallgewerkschaft weiterhin auf dem im Frühjahr 1991 ausgehandelten Stufentarifvertrag besteht ... gibt sich die IG Chemie, immerhin die drittgrößte Einzelgewerkschaft, mit einem Inflationsausgleich für ihre Ost-Klientel zufrieden" (taz 24.02.).25

NZ zitiert am 08.03. aus einem Interview des Brandenburgischen Ministerpräsidenten Stolpe in den Stuttgarter Nachrichten: Man solle solche "Schaukämpfe" unterlassen. Diese Aussage richtete sich gegen IG Metall und ihre Mitglieder. Die IGM sah sich jedoch einem gewaltigen

24 Diese Angleichung traf nicht auf vermögenswirksame und andere Leistungen sowie die Arbeitszeit zu. 25 Die IG Chemie hatte ebenfalls Stufenpläne favorisiert, konnte sich damit aber nicht durchsetzen (vgl. Artus 2018, S. 157).

32 Druck von Seiten der Mitglieder ausgesetzt, den sie nicht einfach überhören und übersehen konnte und auch nicht wollte.

65.000 Metaller*innen, so die IGM, hätten in den norddeutschen Küstenländern mit Warnstreiks, Kundgebungen und Verkehrsblockaden gegen den "Tarifvertrags-Rechtsbruch" in Mecklenburg-Vorpommern demonstriert. Der Schwerpunkt der Aktionen lag in Schwerin, wo Metaller*innen die Zufahrtswege zum Landtag blockierten (taz 18.03.a). Gegen die "Balkanisierung der Tariflandschaft" (taz 18.03.b): Zum Aktionstag "Norddeutschland steht auf" hatte die IGM Küste von Stralsund bis Emden aufgerufen - gegen Tarif-Rechtsbruch, Arbeitsplatzvernichtung und Sozialabbau. Rund 12.500 Beschäftigte gingen in Emden, Oldenburg und Bremerhaven auf die Straße. Die Gewerkschaften machten gegen die Kündigung der Tarifverträge in Thüringen mobil, so 500 Demonstrant*innen auf einer Kundgebung in Suhl und 2.000 Demonstrant*innen in Jena (NZ 20.03.).

Selbst die IGM zeigte sich überrascht, wie viele ihrer ostdeutschen Mitglieder und Nicht- Mitglieder dem Aufruf folgten, mit Warnstreiks gegen den Bruch der Tarifverträge zu protestieren. Nach Angaben der Gewerkschaft legten mit Beginn der Frühschicht fast 100.000 Arbeiter*innen der Stahl-, Metall- und Elektroindustrie für einige Stunden die Arbeit nieder und versammelten sich zu Kundgebungen, blockierten Straßen und Werkseinfahrten (taz 02.04.).

In Thüringen hatte eine "Woche der Unruhe" der IGM begonnen. Mehrere DGB- Einzelgewerkschaften hatten unterdessen ihre Solidarität mit den streikenden Metallarbeiter*innen in Ostdeutschland bekräftigt: ÖTV, HBV, Bau-Steine-Erden (NZ 06.04.a).26

Die zweite große Warnstreikwelle in der ostdeutschen Stahl-, Metall- und Elektroindustrie war angelaufen. Nach Angaben der IGM hatten rund 100.000 Beschäftigte an Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen teilgenommen. Zentrale Kundgebungen gab es in Berlin, Erfurt, Magdeburg und Dresden (BLZ 16.04.a).

26 In der gleichen Ausgabe erschien ein Artikel unter der Überschrift: "Tarifvertrag - ein Auslaufmodell?" (NZ 06.04.b).

33 15.000 Metallarbeiter*innen aus Berlin-Brandenburg marschierten vor das Haus des regionalen Arbeitgeberverbandes, dem "Haus der Lohnräuber". Auch viele Kolleg*innen aus West-Berlin waren dabei (BLZ 16.04.b).

Sachsen ließen Mauerbau wieder auferstehen (ND 20.04.): Ein paar hundert sächsische Metaller*innen zogen nach Köln vor das Gebäude des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall und mauerten den Eingang zu. Es war ein "versteinerter" Protest gegen die Kündigung des Tarifvertrages.

"Westkollegen für Ostkollegen", dieses Motto gab die DGB-Kreisvorsitzende von Bremen aus. Wenn in Hamburg norddeutsche Arbeitnehmer*innen bei einer Kundgebung sich mit ihren ostdeutschen Kolleg*innen solidarisieren, sollten auch Bremer*innen dabei sein: 60 Busse hatte der Bremer DGB gechartert (taz 21.04.). Mehr als 200.000 Gewerkschafter*innen haben in mehreren ost- und westdeutschen Städten für die Einhaltung von Tarifverträgen demonstriert. Auf Transparenten hieß es u.a.: "Haut den Bossen auf die Flossen". Der DGB beendete mit diesen Kundgebungen seine "Woche der Gegenwehr" (taz 26.04).

Bei den Urabstimmungen in der ostdeutschen Metall-, Elektro- und Stahlindustrie stimmten mehr als 85 Prozent der aufgerufenen IGM-Mitglieder für die Weiterführung des Streiks (BLZ 29.04.). Der Vorsitzende der IGM, Franz Steinkühler, verkündete, die IG Metall könne diesen Arbeitskampf über mehrere Jahre hinweg durchhalten (BLZ 03.05.). 10.000 waren am ersten Streiktag in Sachsen vor den Werkstoren; Steinkühler: Millionen sind stärker als Milliardäre, titelte die taz (taz 04.05.). Mit dem Beginn der Frühschicht dehnten sich die Arbeitskämpfe republikweit aus. Mehr als 35.000 Beschäftigte in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg waren nach Angaben der IGM im Streik (taz 07.05.).

"Metaller informieren Treuhand-Mitarbeiter über Arbeitskampf" nannte die IGM ihre Aktion vor der Treuhandzentrale in Berlin, zu der von der Volkswerft Stralsund ein Bus mit Kolleg*innen dazu stieß. "Momentan hat der Streik noch keine politische Dimension ... Aber wenn es so weitergeht, kann das ja noch werden", meinte ein Metaller aus dem Stahl- und Walzwerk Brandenburg. Um über die bestreikten Betriebe zu informieren, bauten die Gewerkschafter*innen ein Zelt vor der Behörde auf, in dem Stahlarbeiter*innen Mahnwachen halten sollten (ND 12.05.).

34 In den Ostberliner Metallbetrieben standen die Zeichen auf Sturm: 87 Prozent der abgegebenen Stimmen gaben mit einem Ja den Weg für Streik frei. Am S-Bahnhof Schöneweide demonstrierten mehrere tausend Berliner*innen aus dem Ost- und dem Westteil der Stadt. Auch in Neukölln, Spandau, Reinickendorf und Pankow folgten zahlreiche Gewerkschafter*innen dem DGB, der die Kundgebungen "Aktion statt Resignation" organisierte. Beschäftigte aus dem Westteil Berlins stellten sich auf Unterstützung ein, etwa in Gestalt von "Patenbetrieben" im Ostteil (BLZ 13.05.).

Über das Ende des Streiks in der Metall- und Elektroindustrie berichtete die taz am 15.05.: In sechs Stufen vom Ossi zum Wessi. IGM und Arbeitgeber in Sachsen hatten sich auf einen Kompromiss geeinigt, der zugleich eine Pilotlösung für die gesamte Branche in den neuen Ländern darstellte. In seinem Kern sah der Tarifkompromiss bis zum 1. Juli 1996 eine Angleichung der Löhne und Gehälter in sechs Stufen auf 100 Prozent des Westniveaus vor. Ursprünglich sollte der volle West-Lohn bereits am 1. April 1994 erreicht worden sein. Im Fall von wirtschaftlichen Schwierigkeiten konnte der neue Endpunkt um ein weiteres halbes Jahr gestreckt werden. Ferner verständigten sich die Tarifparteien auf eine "Härteklausel", mit der wirtschaftlich schwache Unternehmen nach Antrag und mit Genehmigung der Arbeitgeber und der Gewerkschaften eine Bezahlung unter Tarif gestattet werden konnte.27

Der Streikabbruch und die sächsische Pilotlösung stießen der Gewerkschaftsbasis im Tarifbezirk Ostberlin/Brandenburg bitter auf. In der Berliner Zeitung vom 17.05. war zu lesen: Als emotional aufgeladen beschrieben Metaller die Sitzung der Großen Tarifkommission in der Berliner Gewerkschaftszentrale. Die 120 Delegierten hatten entgegen der örtlichen Gewerkschaftsführung der Übernahme des sächsischen Pilotabschlusses nicht zugestimmt. Der Streikaussetzungsbeschluss blieb unter den Gewerkschaftern heftig umstritten, er wirke wie eine "kalte Dusche" (siehe auch taz vom 17.05.).

In der Berliner Zeitung vom 19.05. war die Überschrift eines Artikels Am Werktor reden sie von "Frankfurter Mafia". Ein Streikposten meinte: "Als wir gehört haben, wie die IG Metall sich bei dem sogenannten Kompromiss über den Tisch hat ziehen lassen, war das für uns hier

27 Noch im Oktober 1992 hatte die IG Metall angesichts der Forderung nach "Härteklauseln", die damals noch "Öffnungsklauseln" hießen, mit einem politischen Streik gedroht (taz 15.10.1992).

35 eine Hiobsbotschaft." und ein anderer: "Die IG Metall macht doch gemeinsame Sache mit den Arbeitgebern."

Etwas günstiger sah der Tarifkompromiss in der ostdeutschen Stahlindustrie aus: Die volle Lohnangleichung wurde für April 1996 vorgesehen, drei Monate früher als in der Metall- und Elektroindustrie. Ferner erhielten die Stahlarbeitnehmer*innen eine einmalige Zahlung von 390 Mark (taz 24.05.). Trotz der leichten Vorteile gegenüber dem Tarifkompromiss für die Metall- und Elektroindustrie fiel jedoch auch hier das Echo verheerend aus. So hatte die Berliner Zeitung am 27.05. die Überschrift: Stahlwerker weichgekocht. In dem betreffenden Artikel hieß es dann: Die Stahlwerker in Hennigsdorf fühlen sich wie Fußballer nach einem verlorenen Spiel; sie hätten gerne weitergestreikt. Die Überschrift in der Neuen Zeit vom 29.05. lautete: Am Ende des Streiks Katerstimmung. Der Betriebsratsvize der AEG Schienenfahrzeuge Hennigsdorf sagte: "Wir werden von der Gewerkschaftszentrale ausgeknockt". Er machte unter den 3.000 Beschäftigten des größten Metallbetriebes Brandenburgs "eine mehrheitliche Ablehnung des Tarifkompromisses" aus.

Wenige Monate später kündigte die „Arbeitgeberseite“ überraschend auch den ausgehandelten Tarifvertrag der westdeutschen Metallindustrie. Am 29.09. berichtete das Neues Deutschland: "Die Metall-Unternehmer haben die Brandfackel geworfen. Sie kündigten von sich aus die Tarifverträge in Westdeutschland. Damit tritt ein, was die IG Metall seit langem vorausgesagt hat: Ostdeutschland war das Exerzierfeld für die Aushebelung der Tarifautonomie in ganz Deutschland."

Die Kampf um den Erhalt des Kaliwerkes Bischofferode

Der Kampf der Kalikumpel gegen die Schließung ihres Werkes war das zweite große Ereignis, das das Jahr 1993 prägte. Bischofferode taucht in den hier untersuchten Presseorganen Ende April auf: Thüringer Kalischächte weiterhin besetzt überschrieb die NZ am 26.04. einen kleinen Artikel auf Seite neun. Sie berichtete, dass aus Protest gegen eine mögliche Schließung ihrer Betriebe, Kalibergleute aus Merkers und, seit zwei Wochen, aus Bischofferode ihre Werke besetzten. Die Besetzung erfolgte als Reaktion auf die Zustimmung des Treuhand- Verwaltungsrates zum Kali-Fusionsvertrag zwischen Kali + Salz AG (Kassel) und der Mitteldeutschen Kali AG (Sondershausen). Damit sollte die ostdeutsche Konkurrenz auf dem umkämpften Kali-Weltmarkt ausgeschaltet werden.

Rund 400 Kalibergleute aus Bischofferode waren nach Berlin zur Treuhand gekommen, um für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und für die Übernahme ihres Betriebes durch einen westfälischen

36 Unternehmer zu demonstrieren, von dem sie sich den Erhalt des Werkes versprachen. Die Kundgebung endete mit einem massiven Polizeieinsatz, bei dem vier Demonstranten festgenommen, erkennungsdienstlich behandelt und Blutproben unterzogen wurden. Die Berliner Polizei, so der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Gerd Jüttemann, habe die Randale provoziert. Später hätten die Beamten in voller Montur auf die Arbeiter "sinnlos eingedroschen". Gegen zwei Uhr morgens konnten die Busse Berlin endlich verlassen - die vier Kali-Arbeiter waren wieder auf freiem Fuß (taz 19.05.). Thüringens Ministerpräsident Vogel (CDU) hatte sich in einem Brief an Treuhand-Chefin Breuel von den "Ausschreitungen" einiger Kali-Bergleute aus Bischofferode bei der Demonstration in Berlin distanziert (taz 22.05.). Für die Kumpels blieb eine Erfahrung und ein „Erlebnis“, das die große Wut erklären kann, der von nun an ihren Arbeitskampf begleitete.

Im Juli traten zwölf Bergleute der Kaligrube Bischofferode aus Protest gegen die geplante Schließung ihres Bergwerkes in den Hungerstreik (NZ 03.07.). Rund 5.000 Menschen hatten in Bischofferode gegen die drohende Schließung des Kaliwerkes protestiert. Mehr als 30 Gewerkschafter*innen aus der ganzen Bundesrepublik forderten auf der Kundgebung den Erhalt der Arbeitsplätze in der Region (ND 12.07.).

Bei einer Demonstration von über 500 Kali-Kumpel in Erfurt ließ es sich die Polizei nicht nehmen "agents provocateures" loszuschicken. Nachdem Demonstrant*innen in ihren Reihen drei bewaffnete Polizisten in Zivil enttarnt hatten, die zuvor die Menge zu Gewaltaktionen anstachelten, kam es zum Tumult. Zumindest einer von ihnen soll früher für die Stasi gearbeitet haben. In Berlin wurde vor dem Treuhand-Gebäude eine Mahnwache abgehalten (taz 15.07.).

Nach den gescheiterten Gesprächen in Bonn über den Bestand des Kali-Bergwerks Bischofferode setzte die Belegschaft auf Solidarität in ganz Deutschland. Die 38 hungerstreikenden Kumpel und Bergmannsfrauen riefen bundesweit zu Hungerstreiks als Zeichen der Unterstützung auf und erklärten ihren Protest zur Sache aller von Betriebsstilllegungen und Rationalisierung bedrohten Beschäftigten in Deutschland (taz 24.07.).

Der Bischofferoder Betriebsrat drohte den DGB-Einzelgewerkschaften, sie aus Protestbündnissen auszuschließen, wenn sie sich "weiterhin so willfährig vor die Konzerne stellen". IG Chemie-Chef Rappe hatte im "Handelsblatt" die Stilllegung des Kali-Bergwerks begrüßt und sich damit auf die Seite der IG Bergbau + Energie (IGBE) geschlagen. Bundestagspräsidentin Süssmuth verlangte bei ihrem Besuch in der Nordthüringer Kali-Region

37 Sondershausen ein "Höchstmaß an Transparenz" beim Umgang mit dem strittigen Fusionsvertrag (ND 28.07.).

Im thüringischen Zella-Mehlis hatten Kali-Kumpel aus Bischofferode gemeinsam mit Belegschaften aus anderen von der Schließung betroffenen Unternehmen den Erhalt ihrer Arbeitsplätze verlangt. Das Aktionsbündnis Thüringen brennt, ein Bündnis von Betriebsräten, Gewerkschaften und des DGB Thüringen hatte zu diesen Protesten in Thüringen aufgerufen. Zu dem Aktionstag kamen mehr als 5.000 Menschen. Ein Vertreter der Landesregierung wurde ausgepfiffen. In Frankfurt (Oder) wurde eine vor drei Tagen begonnene Mahnwache für die Kali-Kumpel fortgesetzt. Bundestagspräsidentin Süssmuth wiederholte im Fernsehen ihre Forderung den Fusionsvertrag offenzulegen (NZ 29.07.).

Die Kali-Kumpel waren auch vier Wochen nach Beginn des Hungerstreiks nicht zum Aufgeben bereit. Bei erneuten Gesprächen zwischen der Thüringer Landesregierung und dem Betriebsrat war keine Annäherung spürbar. Auch das Angebot von Bundesfinanzminister Waigel, den Fusionsvertrag über einen Wirtschaftsprüfer einzusehen, wies der Betriebsrat als unzureichend zurück. Eine derart eingeschränkte Einsicht garantiere nicht die Klärung aller bisher zutage getretenen Ungereimtheiten.

In Ludwigshafen ketteten sich drei Teilnehmerinnen des Hungerstreiks an das Haupttor der BASF, dem Mehrheitsaktionär der Kali + Salz AG. 77 Sympathisant*innen überklebten in einer landesweiten Aktion in der Nacht zahlreiche Ortsschilder in Thüringen mit der Parole "Bischofferode ist überall" (taz 30.07.). Aus Solidarität mit den Hungerstreikenden hatten sich etwa 30 Personen an das Brandenburger Tor gekettet (NZ 02.08.).

Die IGBE, die sich hier als Vertreterin der westdeutschen Seite verstand, lehnte jedoch eine Prüfung des Fusionsvertrages durch eine unabhängige Instanz ab. Eine entsprechende Forderung des SPD-Präsidiums habe Verwunderung hervorgerufen, hieß es. Auch der Gesamtbetriebsrat der Mitteldeutschen Kali AG Sondershausen habe den Vertrag einstimmig gebilligt (NZ 11.08.).

Die taz gelangt zu der richtigen Einschätzung, dass die Bischofferoder Kaligrube nicht wegen Ökologie oder mangelnder Rentabilität stillgelegt werden soll, sondern aus Angst, sie könnte den Westmarkt erobern (Für Ostfirmen ist der Westmarkt tabu taz 12.08.).

Die IGBE und die Betriebsräte der Kali + Salz AG machten für die Kali-Fusion mobil. Rund 2.000 Kali-Kumpel traten in Kassel für den Zusammenschluss mit der Treuhand-Firma

38 Mitteldeutsche Kali AG an. Die ostdeutschen Kumpel aus Sondershausen wollten zum Protest aber nicht anreisen. Vom Standort Unterbreizbach, der bei der Fusion erhalten bleiben sollte, hatten sich nur 50 von 650 Mitarbeiter*innen zur Unterstützung der Kolleg*innen aus dem Westen angemeldet. Der Kampf um Bischofferode war auch ein Kampf der zwei Standorte Kassel und Bischofferode; zumindest aus Sicht der IGBE und des Betriebsrates der Kali + Salz AG. Letzterer drohte sogar mit einem Streik, falls die Kaligrube in Bischofferode nicht geschlossen werden sollte.

Gegen die Kali-Fusion und für den Erhalt des Standortes Bischofferode demonstrierten 300 Kumpel und Sympathisant*innen in Berlin. Bundeswirtschaftsminister Rexrodt hatte inzwischen dem Vertrauensanwalt der Bischofferoder Kumpel, Gregor Gysi, den Einblick in den Fusionsvertrag verweigert (taz 18.08.).

Die Kumpel hatten sich für die Fortsetzung der Mahnwache vor dem Werkstor und des Hungerstreikes ausgesprochen. Zugleich wurde die Produktion wieder aufgenommen. Nach Auffassung des Betriebsrates sei damit der Forderung des Vorstandes der Mitteldeutschen Kali AG genüge getan, der ultimativ auf eine "Wiederherstellung von Ordnung und Gesetzmäßigkeit" in der Grube gedrängt und eine Beendigung der Besetzung gefordert hatte (BLZ 20.08.). Rund 5.000 Menschen demonstrierten beim Aktionstag für den Erhalt des Kali- Werkes (taz 23.08.).

Hungern zehrt am Geld (taz 30.08.): Die hungerstreikenden Bergleute seien nach Angaben des Betriebsrates vom Arbeitsamt unter Druck gesetzt worden, sie müssten möglicherweise einen Teil ihres im Juli erhaltenen Kurzarbeitergeldes zurückzahlen, weil sie während dieser Zeit am Hungerstreik teilgenommen hatten. Der Bremer Prof. Rudolf Hickel erklärte, dass die Entscheidung des Bundesfinanzministeriums, ihm die Einsicht in den Fusionsvertrag zu verweigern, zeige, dass das Angebot nur ein "symbolischer Akt" gewesen sei.

Der Vorsitzende der IG Bergbau + Energie, Hans Berger (SPD) und der Vorsitzende IG Chemie, Hermann Rappe (SPD), sprechen sich in einer gemeinsamen Erklärung gegen die Bischofferöder Kalikumpel aus: Es gebe keine Alternative zur "unvermeidlichen" Schließung der Grube (taz 31.08.).

Am 1. September brachen 25 Kali-Bergleute zu einem knapp 460 Kilometer langen Protestmarsch von Bischofferode zur Treuhandanstalt in Berlin auf. Zu der Abschlusskundgebung auf dem Alexanderplatz kamen mehr als 2.000 Berliner*innen. Immer wieder skandierten die Kundgebungsteilnehmer*innen "Bischofferode ist überall - bringt die

39 Treuhand jetzt zu Fall" und "Wir sind das Volk". In einer Unterschriftensammlung wurden die Mitglieder des Treuhand-Ausschusses des Bundestages aufgefordert, die hungerstreikenden Kali-Kumpel zu einer Anhörung zu empfangen. Gregor Gysi appellierte an die Berliner*innen, sich mit den vier Bergleuten zu solidarisieren, gegen die ein Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Demonstration vor dem Berliner Treuhandgebäude lief. Nach dieser Kundgebung kehrten die Teilnehmer*innen des Protestmarsches in ihre thüringische Heimat zurück (BLZ 20.09.).

Die Kalikumpel hatten ihren Hungerstreik ausgesetzt. Er könnte jederzeit wieder aufgenommen werden. Sie hatten das Werk seit Ostern besetzt gehalten und am 1. Juli mit dem Hungerstreik begonnen (NZ 21.09.).

Fünf Tage später besetzte eine Gruppe von 15 Bergleuten und Sympathisant*innen ein Sitzungszimmer im Reichstag. Nach einem gescheiterten Gespräch mit Mitgliedern des Treuhandausschusses verblieben die Kaliwerker mit der Unterstützung mehrerer Bundestagsabgeordneter im Gebäude und verlangten die Offenlegung des Fusionsvertrages sowie die Erhaltung ihres Betriebes. Nachdem die Bischofferoder einem Ultimatum der Bundestagspräsidentin nachgekommen waren, setzten sie ihren Protest vor dem Südeingang fort (ND 27.09.).

Anlässlich der ersten regionalen Wirtschaftskonferenz Anfang November empfingen etwa 150 Kumpel Bundeswirtschaftsminister Rexrodt, den Thüringer Ministerpräsidenten Vogel, Vertreter der Treuhand und Bonner Ministerien, Landräte sowie Abgeordnete mit lauten Pfiffen. "Zwei gepanzerte Wasserwerfer und über einhundert Polizisten waren aufgeboten, um diejenigen zu schützen, die in das Eichsfeld gekommen waren, um der Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Aufschwung den Weg zu bahnen ... Als sich der Bundeswirtschaftsminister schließlich der Diskussion auf der Straße stellte, hörte niemand zu, wurde der Strom zum Mikrofon plötzlich unterbrochen. Dabei gab es Grund genug, genau hinzuhören" (Als der Minister diskutieren wollte, hörte ihm niemand mehr zu NZ 03.11.).

Rund 500 Kalikumpel hatten auf dem Frankfurter Flughafen gegen die geplante Schließung ihrer Kaligrube protestiert. Ein Polizeisprecher sagte, den ostdeutschen Demonstranten hätten sich 500 Personen aus dem Frankfurter Raum angeschlossen. Anlass der Kundgebung war eine Sitzung des Aufsichtsrates der Mitteldeutschen Kali AG, die ursprünglich in Frankfurt/Main stattfinden sollte. Zu der Kundgebung hatten der Betriebsrat und die IGM aufgerufen. Der

40 Aufsichtsrat verlegte seine Sitzung jedoch kurzfristig an einen geheimen Ort. Er begründete dies mit der Gefahr gewalttätiger Ausschreitungen (NZ 27.11.).

Nach der letzten Förderschicht am 24. Dezember besetzten 26 Bergleute den Schacht. Zuvor hatte sich zwei Drittel der Belegschaftsmitglieder in einer Urabstimmung für eine Fortsetzung des Arbeitskampfes entschieden. Die Kali + Salz AG appellierte an die Kumpel, den "wilden Streik" zu beenden (NZ 24.12.).

Nur 58 Bergleute hatten sich für Abfindungen und damit gegen einen Wechsel in die treuhandeigene Stilllegungsgesellschaft entschieden. Damit hatte weniger als zehn Prozent der Belegschaft der kündigungslosen Übernahme in die Gesellschaft zur Verwahrung und Verwertung stillgelegter Bergwerke (GVV) widersprochen. Die Bundesregierung hatte im Sommer unter dem Eindruck der Proteste allen knapp 700 Beschäftigten die Fortsetzung der bestehenden Arbeitsplätze bis Ende 1995 in der GVV angeboten (NZ 31.12).

Die Berliner Zeitung kommentierte das Ende mit den Worten: Kali-Kumpel haben hoch gepokert (BLZ 03.01.1994).

In der taz stand zum selben Thema: "Bischofferode wurde zum Symbol für die Ost-Industrie, die den wirtschaftlichen Interessen des Westens geopfert wurde, um so mehr, als auch die IG Bergbau den protestierenden Kumpeln ihre Unterstützung versagte" (taz 03.01.1994).

Montagsdemos und Betriebsbesetzungen

Wie schon im vorhergehenden Jahr, wurde auch 1993 der Versuch unternommen, die Montagsdemos der Wendezeit wieder aufleben zu lassen. Die brandenburgische Arbeitsministerin Hildebrandt hatte zu Montagsdemos vor den Arbeitsämtern aufgerufen. Anlass war der von der Bundesagentur für Arbeit verfügte Bewilligungsstopp für neue Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM).28 Deshalb protestierten hunderte von Menschen vor den Arbeitsämtern: Vor dem Amt in Frankfurt versammelten sich rund 500 Bürger*innen der

28 ABM waren eine zeitlich befristete Tätigkeit auf dem staatlich gestützten (zweiten) Arbeitsmarkt. Durch diese Tätigkeit sollte eine Wiedereingliederung in den staatlich nicht subventionierten (ersten) Arbeitsmarkt gefördert werden. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit hatten sie vor allem im Osten Relevanz. Träger von ABM waren etwa die Beschäftigungsgesellschaften. Mit der Einführung der Hartz-Reformen wurde ihre Anwendung eingeschränkt und schließlich ganz beendet.

41 Stadt, in Neuruppin hatten sich Träger von ABM und hunderte Beschäftigte versammelt, und in Potsdam demonstrierten etwa 200 Menschen (NZ 10.03.).

Mit einem Sternmarsch zum Roten Rathaus protestierten einige hundert Berliner*innen gegen den Wegfall von ABM und die Streichungen von Geldern im Kulturbereich. Für den Protest auf der Straße wurde in Anknüpfung an die Demonstrationen in Leipzig bewusst der Montag gewählt (BLZ 23.03.).

Vor etwa 8.000 Teilnehmer*innen der zweiten Leipziger Montagsdemo sagte die brandenburgische Arbeitsministerin Hildebrandt u.a., die Menschen in den neuen Bundesländern müssten bei Themen wie dem Abbau der ABM, der Gleichberechtigung der Frau und der zu schaffenden neuen Verfassung Krach machen. Am Montag zuvor waren nach Angaben der Veranstalter schätzungsweise 20.000 Menschen auf die Straße gegangen. Mit dieser Veranstaltung, zu der ein Aktionsbündnis aus IGM, Kirchen und Verbänden aufgerufen hatte, sollten die Leipziger Montagsdemos wieder aufleben (NZ 24.03.).

Auch im Jahr 1993 waren Betriebsbesetzungen für einige Ostbelegschaften das letzte Mittel, um einen weiteren Arbeitsplatzabbau und Firmenliquidationen zu verhindern, zumeist vergeblich: Trotz Betriebsbesetzung und massiver Proteste sollte die Union Sächsischer Werkzeugmaschinen GmbH Chemnitz am 30. Juni geschlossen werden. Nach dem Willen der westdeutschen Gesellschafter – der Schiess und der Klöckner AG – sollte das Chemnitzer Werk zugunsten des Geraer Standortes schließen (NZ 07.01).

Die Belegschaft der Mitteldeutschen Feuerungs- und Umwelttechnik GmbH (MFU) hatte den Geschäftsführer ausgesperrt, um die Einhaltung eines vor dem Ende des Metaller-Streiks abgeschlossenen Zusatztarifvertrages zu erzwingen. Daraufhin erließ die Treuhand- Niederlassung Leipzig ein Hausverbot für den Betriebsratschef; die für die Aussperrung Verantwortlichen wurden beurlaubt und man drohte, die Besetzung polizeilich beenden zu lassen (BLZ 16.06.).

Die Deutsche Kugellagerfabriken GmbH (DKFL) mit Sitz in Leipzig hatte die Gesamtvollstreckung beantragt. In einer aufsehenerregenden Aktion zuvor hatte die

42 Belegschaft drei Wochen lang auch die Geschäftsführung ausgesperrt29 und in eigener Regie die Produktion weitergeführt. Mit der Betriebsbesetzung hatten die Kolleg*innen gegen die, nach ihrer Meinung gezielten, Kündigungen von zwei Dritteln der Belegschaft protestiert. Sie vermuteten, die Muttergesellschaft FAG Kugelfischer in Schweinfurt, wollte lediglich einen lästigen Konkurrenten ausschalten. Sachsens damaliger Wirtschaftsminister hatte eine Sanierungslösung gefordert, die FAG und DKFL und nicht nur FAG heiße. Der Kugelfischer- Gesamtbetriebsrat stellte sich demonstrativ hinter die Konzernleitung; und Treuhand-Chefin Breuel sprach davon, dass FAG sich "vorbildlich engagiert" habe (taz 19.06.).

Die Beschäftigten der Zwickauer Edelschmiede GmbH hielten ihren Betrieb besetzt. Mit dieser "Aktion der Notwehr" wollten sie einen Stopp des Arbeitsplatzabbaus und die Verhinderung der Liquidation erreichen. Die Besetzer*innen forderten einen Runden Tisch aus Mitgliedern des Betriebsrates, der Geschäftsleitung, der Treuhandanstalt, des Sächsischen Wirtschaftsministeriums und den zwei potentiellen Kaufinteressenten, die aus den Altbundesländern kamen. Die Geschäftsleitung hatte keinen Zutritt zu der Firma und dennoch wurde die Arbeit in Eigenregie fortgesetzt (NZ 24.06.).

"Belfa kämpft weiter" hieß es auf einem Spruchband über dem Batteriewerk in Berlin. Mahnfeuer brannten und statt der Werksfahne hing eine schwarze Flagge auf Halbmast. Zwölf Mitarbeiter*innen befanden sich den zweiten Tag im Hungerstreik. Die Besetzung des Betriebsgeländes ging weiter. Man forderte, dass die Treuhandanstalt die Kündigung der Kolleg*innen zurücknähme (BLZ 30.06.). Die Belegschaft der Belfa Gerätebatterie Berlin wollte trotz der Privatisierung den Hungerstreik fortsetzen. Das Werk blieb weiterhin besetzt, da die Privatisierungsentscheidung der Treuhandanstalt keine Lösung für die gesamte Belegschaft bedeutete (NZ 02.07.).

Die Suhler Jagd- und Sportwaffen GmbH wurde ebenfalls von der Belegschaft besetzt. Der Betriebsratsvorsitzende begründete den Schritt mit der Notwendigkeit, bei einer wahrscheinlicher werdenden Gesamtvollstreckung, die im Betrieb befindlichen Werte zu schützen (NZ 14.07.).

29 Proleten-Power: Chef ausgesperrt (taz 27.05.).

43 Aus Protest gegen die angekündigte Schließung der Kugellagerfabrik Zella-Mehlis/Thüringen hielt die Belegschaft ihren Betrieb ebenfalls besetzt. Die Beschäftigten wollten damit verhindern, dass Zella-Mehlis als erster von vier Standorten des DKFL wegen schlechter Auftragslage geschlossen würde (NZ 21.07.).

"5 vor 12 - Thüringen brennt - Arbeitsplätze für alle"

Unter dieser Losung gab es in Thüringen über mehrere Monate reichende Proteste, die so in keinem anderen Bundesland stattfanden. Thüringen, bekannt schon durch Bischofferode, war einst industrielles Kernland der ehemaligen DDR. Zu der Aktion schlossen sich Gewerkschafter*innen und andere Bürger*innen, Betriebs- und Personalrät*innen, Landes- DGB und Einzelgewerkschaften zusammen. Dass ND beschrieb diese Aktionen wie folgt:

Seit zehn Wochen fanden in vielen Orten die Proteste von Belegschaften und Bürger*innen statt. Keine zentralen Massenveranstaltungen, sondern viele kleine Aktionen des zivilgesellschaftlichen Ungehorsams mit jeweils 50 bis 500 Teilnehmer*innen. Von überregionalen Medien weitgehend unbemerkt und anfangs auch von einigen Gewerkschaften belächelt, behaupten sich jede Woche landesweit bis zu 3.000 Menschen gegen die rücksichtslose Verwirklichung von Kapitalinteressen (ND 14.10.).

Rund 50 Beschäftigte Jenaer Unternehmen haben am Dienstag für fünf Minuten die Straße vor dem Sitz der Jenoptik-Geschäftsführung blockiert. Neben den Jenaer Beschäftigten haben auch weitere Betriebsbelegschaften in Thüringen Straßen blockiert und mit Kundgebungen auf ihre Probleme aufmerksam gemacht. Die Beschäftigten der ICT GmbH Gera waren für eine Anhebung ihrer Löhne in einen Warnstreik getreten (NZ 18.08.).

In zahlreichen Städten Thüringens blockierten weit über 1.000 Demonstrant*innen kurz mehrere Straßen (taz 25.08.).

Pünktlich "Fünf vor Zwölf" riegelten am Dienstag tausende Arbeitnehmer*innen Verkehrsknotenpunkte in Erfurt ab. Sie demonstrierten gegen soziale Demontage und für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze (ND 08.09.).

Sowohl in der Landeshauptstadt als auch in mehreren Orten Südthüringens hatten Beschäftigte auf die katastrophale Lage ihrer Unternehmen aufmerksam gemacht. Zentrum der Erfurter Proteste war diesmal der Bahnhofsvorplatz. Beschäftigte der Erfurter Umformtechnik und des Pumpenwerks hatten dort mit Eisenbahner*innen eine symbolische Mauer als Zeichen der noch bestehenden ökonomischen und sozialen Zweistaatlichkeit Deutschlands errichtet (NZ 14.09.).

44 Hunderte Gewerkschafter*innen hatten am Dienstag erneut gegen Arbeitsplatzvernichtung und Sozialabbau demonstriert. Zum achten Mal hatte das Thüringer Aktionsbündnis existenzbedrohter Betriebe zu den Kundgebungen aufgerufen (ND 06.10.).

Das Thüringer Aktionsbündnis bedrohter Betriebe setzte am Dienstag seine Proteste gegen den Abbau von Arbeitsplätzen fort. Schwerpunkte der Demonstrationen und Kundgebungen waren diesmal Jena und Rudolstadt (NZ 02.11.).

Das Streik- und Protestgeschehen im Jahre 1994

Das letzter Jahr dieser Betrachtung, 1994, war etwas "ruhiger" als die vorhergehenden Jahre. Dies lag auch an den „Fortschritten“, die die Treuhand in ihrer Arbeit vorzuweisen hatte. In Ostdeutschland waren inzwischen über zwei Drittel der Industriearbeitsplätze verschwunden Viele Betriebe, in denen in den Jahren zuvor gekämpft worden waren, gab es nicht mehr.

Neue Länder sind industriell bedeutungslos, schrieb die Berliner Zeitung am 07.01.: "In den neuen Bundesländern arbeiten mit nur knapp 47 Beschäftigten je 1.000 Einwohner (im Westen etwa 110) weniger Menschen in der Industrie als etwa in den wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern Spanien, Griechenland oder Irland. Von den im Januar 1991 bestehenden gut zwei Millionen Arbeitsplätzen sind nach Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) bis Ende 1993 nicht einmal 700.000 verblieben."30

Im Jahr 1994 verlagerten sich die Streiks und Proteste in Ostdeutschland wieder auf den öffentlichen Dienst, wo Arbeiter*innen und Angestellte um Schritte für eine Angleichung ihrer Löhne und Gehälter an das Westniveau kämpften. Die Gewerkschaft ÖTV, die den Hauptanteil an diesen Auseinandersetzungen trug, erlebte in diesem Jahr eine wohl einmalige Kampfbereitschaft ihrer Mitgliedschaft.

Beschäftigte im öffentlichen Dienst Mecklenburg-Vorpommern hatten sich in zahlreichen Dienststellen an den bundesweiten Warnstreiks beteiligt. So legten Beschäftigte der

30 Von 3,6 Mill. Arbeitsplätzen 1989 im ostdeutschen Bergbau, der Energiewirtschaft und der Industrie waren 1991 2 Mill. im produzierenden Gewerbe, jeweils ohne Bau und Berlin, geblieben.

45 Stadtverwaltung Stralsund und Mitglieder der Stralsunder Berufsfeuerwehr die Arbeit nieder. Weitere Schwerpunkte waren Krankenhäuser und der Personennahverkehr (NZ 01.03.).

Mehrere tausend Mitarbeiter*innen des öffentlichen Dienstes hatten sich in Berlin- Brandenburg an den bundesweiten Warnstreiks beteiligt. Rund 350 Menschen kamen zu einer Protestkundgebung der DAG vor dem Sitz des Berliner Innensenators. Auch etwa 500 Beschäftigte der Bundespost unterstützten die Warnstreiks in Berlin. Aktionen der ÖTV zielten auf den öffentlichen Nahverkehr, auf Flughäfen und Krankenhäuser. Die GEW teilte mit, dass von 6 bis 9 Uhr die städtischen Kitas und die Freizeitbereiche der Ganztags-Grundschulen bestreikt worden sind (ND 01.03.).

Auch in Ostthüringen setzte die ÖTV ihre Warnstreiks fort. In Gera legten Mitarbeiter*innen der Stadtwirtschaft zeitweilig die Arbeit nieder. Ebenfalls für zwei Stunden ließen Hausmeister und Reinigungskräfte von Schulen in die Arbeit ruhen (NZ 02.03.a).

In Sachsen hatten sich mehr als 4.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes an den bundesweiten Warnstreiks beteiligt. Dadurch kam es zu erheblichen Behinderungen im Personennahverkehr und bei anderen Dienstleistungen. In Ostsachsen beteiligte sich die ÖTV nicht an Streikaktionen. Die Beschäftigten hatten Angst vor Kündigungen (NZ 02.03.b).

Wie der ÖTV-Landesvorsitzende von Brandenburg sagte, seien mit einer Beteiligung von über 13.000 Kolleg*innen an den zweitägigen Warnstreiks alle Erwartungen übertroffen worden. Dies, obwohl manche Arbeitgeber*innen versucht hatten auf die Beschäftigten massiv Druck auszuüben. Laut dem ÖTV-Chef von Frankfurt (Oder) sei die "Mauer aus Mutlosigkeit, Verzweiflung und Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes" nicht mehr so fest, wie sich das manche Arbeitgeber wünschten (ND 02.03.).

Mehrere hundert Erzieher*innen und Lehrer*innen im Kreis Barnim/Brandenburg hatten für zwei Stunden die Arbeit niedergelegt. Das Kreisschulamt hatte nach Angaben der GEW alle Beteiligten erfasst. Der Eberswalder GEW-Chef sagte, es sei nicht länger zu akzeptieren, dass Erzieher*innen und Lehrer*innen nur 80 Prozent bekommen, da dies "unter dem Strich 64

46 Prozent der Westgehälter" bedeute. Die GEW forderte eine Anhebung auf 85 Prozent des Westniveaus und einen Kündigungsschutz entsprechend dem BAT31 (ND 10.03).

Entsprechend dem Tarifabschluss erhielten die 1,2 Millionen Bediensteten in Ostdeutschland eine zweistufige Angleichung ihrer Einkommen um jeweils zwei Prozentpunkte auf dann 84 Prozent des Westniveaus zum 1. Oktober 1995. "Die Angleichung ist beschämend", sagte ein ÖTV-Gewerkschafter aus Thüringen. Denn die vier Prozentpunkte liefen mit 27 Monaten auch noch ein Jahr länger als der gesamte Tarifvertrag (NZ 14.03.).

Die meisten Staatsdiener*innen aus dem Ostteil Berlins lehnten das Tarifergebnis ab. "Wir haben Mühe, uns vor Gewerkschaftsaustritten zu retten", schimpfte ein Personalrat (BLZ 15.03.).

Gerade in Berlin konnte dieses Ergebnis nicht befriedigen, wo es in einer Stadt zwei Tarifgebiete auf Landesebene gab und in einigen Amtsstuben Kolleg*innen mit unterschiedlichen Tariflöhnen saßen. Die Gewerkschaften erhöhten in Berlin ihren Druck auf 100prozentige Einkommensangleichung West für ihre Ost-Kollegen. Sie forderten bei der Gehaltsangleichung nicht mehr als ein Wahlversprechen der CDU/SPD-Koalition ein. 3.200 Ost-Beschäftigte von Müllabfuhr und Straßenreinigung folgten dem ÖTV-Aufruf zum Warnstreik. In den kommenden Tagen sollten die BVGler*innen und Beschäftigte der städtischen Unternehmen folgen. Ein Sprecher der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) bezeichnete in Bonn die ÖTV-Warnstreiks in Berlin als "rechtswidrig" (ND 17.05.).

Rund 3.000 Pädagog*innen aus Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg legten ihre Arbeit nieder. Auf einer Kundgebung am Alexanderplatz hatten sie ihrer Forderung nach Angleichung der Gehälter und Arbeitszeitverkürzung Nachdruck verliehen (NZ 19.05.).

Nach wochenlangen fruchtlosen Verhandlungen und zahlreichen Warnstreiks in Schulen, Kitas und öffentlichen Betrieben wurde der Innensenator beauftragt, mit den Gewerkschaften Gespräche über eine Angleichung der Ost- an die Westlöhne zu führen. Die Angleichung für die rund 110.000 Beschäftigten im Ostteil der Stadt sollte bis Ende 1996 erfolgen (taz 25.05.).

31 Bundes-Angestelltentarifvertrag: Regelte die Beschäftigungsbedingungen und die Entlohnung der meisten Angestellten im öffentlichen Dienst.

47

Im öffentlichen Dienst Ostberlins hatte es auch nach dieser Ankündigung des Senats Warnstreiks gegeben. Diese konnten nach Gewerkschaftsangaben nicht mehr abgesagt werden. Nach Angaben der ÖTV und der GEW beteiligten sich 5.000 Erzieher*innen an den Warnstreiks, in mehreren Bezirksämtern weitere 3.000 Beschäftigte. Nach Angaben der GdP streikten auch 250 Beschäftigte in Polizeidirektionen sowie in Melde- und Zulassungsstellen (taz 26.05.).

Die 100-Prozent-Marke Lohnangleichung West sollte am 1. Oktober 1996 erreicht werden. Parallel dazu sollte eine Reihe von Sonderregelungen im Ostteil auslaufen, so bei Tarifen der BVG, für Wasser, Strom und Müllabfuhr. Die Koalition einigte sich mit ÖTV und DAG auf ein Drei-Stufen-Modell bis 1996 (BLZ 03.06.).

Die Tarifkommission der Länder (TdL) hatte Berlin daraufhin mit sofortiger Wirkung ausgeschlossen. Die Erhöhung der Ost-Einkommen im Öffentlichen Dienst sei "grob verbandswidrig und -schädigend". Direkte Auswirkungen hatte der Rausschmiss vorerst nicht. Bei künftigen Verhandlungen sollte sich Berlin jedoch allein mit den Gewerkschaften auseinandersetzen (BLZ 14.06.).

1994 kam es in Ostdeutschland auch zu Auseinandersetzungen anlässlich der Privatisierung der Postunternehmen. Mehr als 15.000 Postbedienstete aus dem ganzen Bundesgebiet hatten in Dortmund gegen die Privatisierungspläne der Bundesregierung bei Postdienst, Telekom und Postbank demonstriert (Postreform II) (BLZ 30.05.).

Die neuen Länder – bis auf Sachsen – wurden erstmals in größerem Umfang von den Warnstreiks bei der Bundespost erfasst. Der DPG-Sprecher erklärte zu den Zielen der Gewerkschaft, ihr gehe es nicht darum, die Postreform II auszuhebeln. Es müsse aber verhindert werden, dass betriebliche Sozialleistungen verloren gingen. Die DPG verlangte deshalb einen Sozialtarifvertrag (NZ 03.06.).32

32 Der Privatisierung von Postdienst, Telekom und Postbank (Postreform II), ging logischerweise die Postreform I voraus (1989 wurde die Deutsche Bundespost in die genannten drei Unternehmensbereiche aufgeteilt). Ihr folgte ab 1996 die Postreform III, die Schaffung einer Regulierungsbehörde für den Telekommunikationsmarkt.

48 Mit der Ankündigung von Warnstreiks in 13 Ländern und 50 Städten hatte die DPG auf das vorläufige Scheitern der Verhandlungen über einen Sozialtarifvertrag reagiert. In 22 Städten der neuen Länder, darunter Potsdam, Cottbus, Rostock und Schwerin, schlossen bereits die Postschalter am Mittag. Der DPG-Verhandlungsführer sagte, man sei sich nicht nähergekommen, weil deutlich geworden sei, dass mit der Umwandlung der Postunternehmen in AGs soziale Leistungen massiv abgebaut werden sollen. Die Gewerkschaft hatte einen 39- Punkte-Verhandlungskatalog vorgelegt. Auch die Angleichung der Ost-Tarife sollte vertraglich festgeschrieben werden. Die Chefs der drei Postunternehmen warfen der Gewerkschaft vor, sie versuche mit einem politischen Streik, die geplante Postreform zu kippen (NZ 10.06.).

Etwa 18.000 Postler*innen streikten. Schwerpunkte waren Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen, wo es in mehreren großen Städten keine Zustellung gab (taz 11.06.). Die angekündigten Warnstreiks wurden nach den erreichten Teilergebnissen bei den Tarifverhandlungen zunächst ausgesetzt. Grund war die Einigung auf ein spezielles "Ostpaket". Es sah vor, dass die in den alten Bundesländern geltenden Regeln der Unkündbarkeit auch auf die neuen übertragen werden. Sie sollten am 31. Dezember 1994 in Kraft treten (taz 20.06.).

Die Postgewerkschaft hatte ihre Warnstreiks fortgesetzt. Betroffen waren 60 Postämter und 135 kleine Poststellen in Berlin-Brandenburg, Bayern und Hessen. Das Arbeitsgericht Düsseldorf lehnte einen Antrag der Arbeitgeber auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Warnstreiks ab. Es läge kein politischer Streik vor und die Warnstreiks seien nicht unverhältnismäßig (NZ 24.06.). Bestandsgarantie für Sozialleistungen vereinbart: Die Post geht wieder ab (BLZ 02.07.).

Beispiele für Widerstand gab es auch in anderen Bereichen und dies, obwohl gewerkschaftliche Demos immer häufiger ein polizeiliches und gerichtliches Nachspiel hatten (Die "Rädelsführer" sind im Visier des Staatsapparates, ND 28.01.). Im April besetzte die Belegschaft des Fahrzeugwerks Treuenbrietzen/Brandenburg ihren Betrieb. Laut IGM wollten die Beschäftigten damit gegen den Eigentümer protestieren, der den im Konkursverfahren befindlichen Betrieb "systematisch ausgesaugt" hatte. Nun sollte verhindert werden, dass das Betriebsvermögen durch den aus NRW stammenden Unternehmer weiter ausgezehrt werde. Die Landesregierung sollte sich um den Fall kümmern (BLZ 21.04.).

Tausende EKO-Stahlarbeiter*innen forderten die Einhaltung der Privatisierungsverträge durch den italienischen Käufer. Die Treuhand appellierte an Riva und IGM kompromissbereit zu sein. Der schon dreieinhalb Jahre andauernde Privatisierungskrimi EKO nimmt kein Ende. Aus

49 Protest gegen das Übernahmegebaren des Riva-Konzerns hatte die Belegschaft für mehrere Stunden die Walzanlagen gestoppt (BLZ 30.04).

Mit Warnstreiks hatten Mitglieder der HBV im Ostteil Berlins, vor dem Hintergrund unterbrochener Tarifverhandlungen, ihrer Forderung nach schrittweiser Angleichung an die West-Löhne Nachdruck verliehen. Nach Angaben der HBV zogen mindestens 4.000 Gewerkschafter*innen durch die Innenstadt zu einer Kundgebung vor das Rote Rathaus (ND 06.05.).

Rund 8.000 Beschäftigte großer Handelsunternehmen im Ostteil Berlins hatten die Arbeit niedergelegt. Die Kunden mussten durch eine Menschenkette Spießruten laufen, begleitet von nicht enden wollenden Buh-Rufen und Pfiffen. "So etwas habe ich in Westdeutschland noch nie erlebt", staunte Franziska Wiethold (HBV). Doch auch Groll kam auf, angesichts erniedrigender Szenen: Abteilungsleiter*innen hätten unter Druck gesetzte Arbeitswillige an die Hand genommen; in einem Unternehmen sollen für zehn Stunden Arbeit 15 Stunden Bezahlung angeboten worden sein, und Schüler*innen wurden als Streikbrecher*innen eingesetzt (BLZ 13.05.). Am 19. Mai konnte die taz titeln: Einzelhandel: Friede, Freude, Eier... . Der Streik im ostdeutschen Einzelhandel war abgewendet. Die Löhne und Gehälter sollten rückwirkend zum 1. Mai stufenweise auf 90 Prozent der Westberliner Tarife angehoben und die Arbeitszeit auf 39 Stunden verkürzt werden.

Auch 1994 kam es wiederholt zu Protesten in Ostdeutschland gegen die Regierung Kohl. Bei einer Kundgebung mit Bundeskanzler Kohl in der Stadt Brandenburg wurden etwa zehn Jugendliche vorläufig festgenommen. Einige hatten eine Absperrung durchbrochen und lautstark gegen die Rede protestiert. Kohls Auftritt wurde von Buhrufen und einem Konzert auf Trillerpfeifen begleitet (NZ 06.06.).

Rund 40.000 Lehrer*innen aus allen Teilen Deutschlands hatten in Berlin für eine Gleichbehandlung der Lehrkräfte in den neuen Bundesländern demonstriert (NZ 15.06.).

Das Auslaufen tausender ABM-Stellen nach dem 1. November und die der IGM Sachsen zufolge damit drohende "beschäftigungspolitische Katastrophe" hatten die Gewerkschaft bewogen, mit einer Aktionswoche für Unruhe zu sorgen. Auf öffentlichen Betriebsversammlungen der Mitarbeiter*innen von Beschäftigungsgesellschaften in Leipzig, Riesa, Gröditz, Dresden und Bautzen wurde an Bund und Freistaat die Forderung nach 20.000 öffentlich finanzierten Arbeitsplätzen in der Metallbranche gerichtet, die tariflich entlohnt werden sollten (ND 02.07.).

50

In Berlin kämpften Ost- und Westberliner Beschäftigte des öffentlichen Dienstes von Anfang an gemeinsam. Rund 1.000 der 1.300 städtischen Berliner Kitas hatten sich dem Aufruf der GEW zum Warnstreik angeschlossen. Anlass waren die Sparpläne des Senats. Der Innensenator bezeichnete den Warnstreik als rechtswidrig und drohte mit Konsequenzen (taz 09.07.).

Mit einer öffentlichen Belegschaftsversammlung vor dem Betriebstor und einem Protestmarsch zum Sozialamt hatten die Beschäftigten der Märkischen Faser AG auf ihre Nöte aufmerksam gemacht. Seit Monaten mussten sich die Mitarbeiter*innen des brandenburgischen Betriebes mit einem Abschlag von 800 Mark begnügen; 25 Familien waren deswegen bereits den Weg zum Sozialamt gegangen. Der Betriebsratsvorsitzende forderte die Schweizerische Alcor auf, dass dringend benötigte Kapital bereitzustellen. Ein PDS-Landtagsabgeordneter machte für das Desaster, das schon über zwei Jahre andauerte, die Treuhand verantwortlich, die den Betrieb leichtfertig an einen unseriösen Unternehmer verkauft habe (ND 24.08.)

Seit vier Wochen stand die Belegschaft von Löblein-Fleischwaren in Schildau bei Leipzig vor dem Tor - Streik! 70 Prozent der Streikenden waren Frauen. 1992 hatte der Bamberger Unternehmer Löblein 19 Fleischwarenbetriebe in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen aufgekauft. Das Arbeitsklima wurde seit der Übernahme immer schlechter. Eine Arbeitsplatzgarantie für die noch 116 Beschäftigten wurde verlangt. Doch Löblein kündigte wieder und es erfolgte eine Angriffsaussperrung.33 Für die Betriebsversammlung sollte dem Geschäftsführer der NGG Leipzig der Zugang verwehrt werden. Die Belegschaft bestand aber darauf, dass der Gewerkschaftler auf die Versammlung durfte. Dort wurde der Spieß umgedreht und eine Urabstimmung durchgeführt: 100 Prozent stimmten für Streik. Die wichtigste Forderung war der Erhalt der Arbeitsplätze. Als zweites wurde die Angleichung der Löhne an den Tariflohn gefordert (ND 14.10.).

Der Autokorso der Gewerkschafter*innen mit dem roten IGM-Bus an der Spitze war eine Attraktion. Der DGB hatte gerufen und über zweihundert kamen zum Aktionstag. Nach seinem undurchsichtigen Abgang bei Südfleisch hat Löblein sein Imperium billig von der Treuhand

33 D.h., der Aussperrung ging kein Streik voraus, der Arbeitgeber beginnt vielmehr den Arbeitskampf.

51 und vom Konsum zusammengekauft. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im sächsischen Landtag sieht Parallelen zum allgemein verbreiteten Unternehmerverhalten in den neuen Ländern: "Billig Betriebe kaufen und dann die Löhne drücken. Die Treuhand übernimmt die Altschulden". Grüße überbrachten die IG Metaller*innen aus Riesa. In dem Tarifkampf im letzten Jahr hatten sie ein Aktionsbündnis gegründet, um sich gegenseitig zu unterstützen, das seitdem kontinuierlich weiterarbeitete (ND 07.11.).

Schildauer Fleischer beendeten ihren Streik (ND 11.11.): Der längste Streik der NGG in Ostdeutschland ist nach siebenwöchiger Dauer beendet worden. Bis Ende 1995 sollte ein Haustarifvertrag abgeschlossen werden.

Rund 300 Waggonbauer des DWA-Standortes Niesky haben gegen die drohende Schließung ihres Betriebes demonstriert. Mit brennenden Kerzen waren sie vor das Rathaus gezogen (ND 20.12.).

Schlussbemerkung

Auch wenn die erfassten Proteste wie Kundgebungen, Demonstrationen, Mahnwachen, Blockaden, Betriebsbesetzungen, politischen und wirtschaftlichen Streiks in Ostdeutschland zwischen 1990 und 1994 weder ein vollständiges Bild ergeben, noch in ihren Verläufen und Ergebnissen beschrieben werden konnten, lassen sich einige allgemeine Aussagen über den Umfang und Charakter dieser Bewegung treffen. In diesen vier Jahren fand hier ein für deutsche Verhältnisse ungewöhnliches betriebliches Streik- und Protestgeschehen statt. Ungewöhnlich für bundesdeutsche Verhältnisse war es auch, dass zahlreiche Streiks und betriebliche Proteste außerhalb jedes institutionalisierten, gewerkschaftlichen Rituals eines Tarifkampfes stattfanden, darunter größere Kämpfe, die keine oder nur teilweise Unterstützung der Gewerkschaftsführungen fanden. Bemerkenswert war ebenfalls die Breite der Protestformen – von „wilden Streiks“, über Demos, Straßenblockaden und Betriebsbesetzungen – , die, das sollte unbedingt hinzugefügt werden, von Belegschaften durchgeführt wurden, die 40 DDR- Jahre lang keine autonomen Arbeiter*innenkämpfe mehr erlebt hatten.

Der Umfang und der besondere Charakter dieser Kämpfe erklärt sich zum einen aus dem „Schwung“ der Herbstrevolution 1989, vor allem aber aus der außergewöhnlichen historischen Situation der „Abwicklung“ einer Volkswirtschaft in einem nie dagewesenen Tempo. Wofür etwa das Ruhrgebiet mit seiner Steinkohle- und Stahlindustrie 25 Jahre gebraucht hatte, erledigte hier die Treuhand in nur vier Jahren.

52 Gegen diese Art und Weise des Ausverkaufs ihrer Betriebe und ganzer volkswirtschaftlicher Bereiche, gegen das Ausmaß der Stilllegungen mit den Folgen der Massenentlassungen, gegen kriminelle „Aufkäufe“ und gegen die Schließung rentabler Betriebe etwa, um die ostdeutsche Konkurrenz auszuschalten, richteten sich ihre Proteste. Nachdem bald klar wurde, dass hinter der Treuhandpolitik die westdeutsche Regierung und die westdeutsche Wirtschaftselite standen, und die Abordnungen aus ostdeutschen Betrieben „in Bonn“ abblitzten, verflogen die anfänglichen Hoffnungen darauf, dass Helmut Kohl die Weichen in ihrem Sinne neu stellen würde.

Der Adressat „Treuhand“ und Regierung politisierte die Arbeitskämpfe, die längst nicht mehr von einzelnen Betrieben allein geführt werden konnten. Doch genau an einer solchen Koordinierung mangelte es. Die Initiative Ostdeutscher und Berliner Betriebsräte, Personalräte und Vertrauensleute34 hat diese Koordination nur begrenzt leisten können, ihr fehlte die Unterstützung aus dem Westen, namentlich die der Gewerkschaften, aber auch die Unterstützung aus dem Osten. Im November 1993, als die Rationalisierungswelle auch den Westen voll erfasste, gab es in Westdeutschland die Forderung nach einem Generalstreik, der von den Gewerkschaften umgehend abgelehnt wurde.35

Wie stets begleiteten die Gewerkschaften diesen Deindustrialisierungsprozess „sozial verträglich“, machten sich aber nicht gemeinsam mit den kämpfenden Belegschaften zur gesellschaftlichen Gegenkraft.36

Schaut man auf diese Jahre zurück, in denen sich Kolleg*innen zum Teil mit existenziellen Mitteln gegen einen solchen Kahlschlag gewehrt haben, fällt das Ergebnis nüchtern aus. Nur in wenigen Fällen haben kämpfende Belegschaften Erfolg gehabt, am allerwenigsten, wenn es sich um Konkurrent*innen für westdeutsche Unternehmen gehandelt hat: Die Kali-Gruben in

34 Für ihre erste Konferenz, 20.06.1992 in Berlin, fand die Berliner Zeitung die Überschrift angemessen: Manche gehen meilenweit für ihren Arbeitsplatz (BLZ 22.06.1992). 35 Das Neue Deutschland zitierte dazu aus dem ntv-Interview vom damaligen DGB-Chef Meyer: "Wir können die wirtschaftlichen Probleme der Bundesrepublik Deutschland, die in der Industrie liegen, mit solch einer Art von Streik überhaupt nicht angehen und bewältigen" (ND 18.11.1993). 36 Für die Gewerkschaften waren als Mitglieder im Treuhand-Verwaltungsrat vertreten: die DGB-Vorsitzenden Hans-Werner Meyer und später Dieter Schulte, für die IG Metall Horst Klaus und in der Nachfolge Joachim Töppel, für die IG Chemie deren Vorsitzender Hermann Rappe und später Hubertus Schmoldt sowie Roland Issen für die DAG (vgl. Issen 2018, S. 135)-

53 Bischofferode und anderswo sind geschlossen worden, der Schiffbau auf ein Minimum reduziert. Was jedoch aus Sicht einer gerade neu entstandenen Arbeiterbewegung in Ostdeutschland als besonders verheerend angesehen werden muss, ist die Tatsache, dass jede Erinnerung und damit jede Möglichkeit, auch mit Stolz an diese Zeit denken zu können, in der sich Tausende Ostdeutsche zur Wehr gesetzt haben, aus dem offiziellen Gedenken verschwunden ist. Es ist an der Zeit, dass diese ihre Erfahrungen aufgearbeitet und ihre Kämpfe ungeachtet vieler Niederlagen in ihrer historischen Bedeutung begriffen werden.

Literatur

Ansorg, Leonore (2005): Politische Häftlinge im Strafvollzug der DDR: Die Strafvollzugsanstalt Brandenburg- Görden, Berlin 2005.

Artus, Ingrid (2018): Tarifpolitik in der Transformation, in: Detlev Brunner, Michaela Kuhnhenne, Harmut Simon (Hg), Gewerkschaften im deutschen Einheitsprozess, transccript Verlag, Bielefeld 2018, S. 151-168.

Dathe, Dietmar/Renate Hürtgen (2016): "Gewerkschaften im Einheitsprozess" - über eine Tagung zur gesamtdeutschen Gewerkschaftsgeschichte samt notwendiger Anmerkungen, in: express, Nr. 1/2016, S.14f.

Dribbusch, Heiner (2018): WSI-Arbeitskampfbilanz 2017, Policy Brief WSI, 03/2018.

Gehrke, Bernd (2001): Die "Wende"-Streiks. Eine erste Skizze, in: Gehrke, Bernd/Renate Hürtgen (Hg) (2001), a.a.O., S.247-270.

Gehrke, Bernd/Renate Hürtgen (Hg) (2001): Der betriebliche Aufbruch im Herbst 1989: die unbekannte Seite der DDR-Revolution, Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung 2001.

Issen, Roland (2018): Möglichkeiten und Grenzen für Gewerkschaften im Verwaltungsrat der Treuhandanstalt, in: Detlev Brunner, Michaela Kuhnhenne, Harmut Simon (Hg), a.a.O., S. 131-149.

54 Quellenangabe, Zeitungsartikel Streik und Proteste, 1990

Die Räder standen still, weil man keine "Stasinisten" will (taz 05.01.,S.28) Warnstreik Suhler Bürger gegen Ausgleichszahlungen (Neues Deutschland 09.01.,S.2) Warnstreik in Suhl gegen Übergangszahlungen (Berliner Zeitung 11.01.,S.2) Warnstreiks in Gera, Jena und Ost-Berlin (taz 18.01.,S.6) Medizinisches Personal und Kraftfahrer im Warnstreik (Neues Deutschland 20.01.a,S.2) Medizinisches Personal: Nicht länger fünftes Rad am Wagen! (Neues Deutschland 20.01.b, S.6) Erneut Warnstreiks zur Durchsetzung von Reformen (Neues Deutschland 25.01.,S.2) Warnstreik im Nahverkehr Zwickaus (Berliner Zeitung 31.01.,S.2) Nicht zu überhören: Auch die Kinder sind das Volk (Berliner Zeitung 10.02.,S.16). Pädagogen demonstrierten gegen Sozialabbau (Berliner Zeitung 07.03.,S.2) Wie sieht die Zukunft unserer Betriebe aus? (Berliner Zeitung 15.03.,S.8) Rathaus beinahe besetzt (Neues Deutschland 27.03.,S.8) DDR: Erste Streiks gegen AusländerInnen (taz 02.04.,S.17) Geschlossene Front von Arbeitern und Bauern (taz 11.05.,S.1) Der "heiße Herbst" hat schon begonnen (Neues Deutschland 12.07.,S.1) Damm gegen Massenentlassungen (taz 14.07.a,S.5) DDR-Handel setzt sich zur Wehr (taz 14.07.b,S.4) Entlassungen in DDR-Kaligruben (taz 23.07.,S.1) Schwarze Fahnen und massive Proteste (Neue Zeit 16.08.,S.1) 90.000 im Streik (taz 30.08.,S.1) SERO-Protest vor der Volkskammer (Neues Deutschland 13.09.,S.7) Landesweiter Warnstreik der Berufskraftfahrer (Berliner Zeitung 15.09.,S.1) 460 Kumpel in unbefristetem Hungerstreik (Neues Deutschland 22.09.a,S.1) Forderung im Knast: Amnestie (Neues Deutschland 22.09.b,S.1) Erdgas AG wehrt sich gegen GASAG (Neues Deutschland 26.09.,S.7) Patienten, bleibt gesund! (Neues Deutschland 08.10.,S.7) Eisenbahner: Nichts geht mehr (taz 27.11.,S.3) Das Streikergebnis überzeugt nicht (taz 30.11.,S.10) Fremdenhass ist grenzenlos (taz 06.12., S. 2)

55 Treuhand muss Premnitz eine Chance geben (Neues Deutschland 11.12.,S.1) Viele Fehlzündungen bei Simson Suhl (Berliner Zeitung 12.12.,S.2)

Quellenangaben, Zeitungsartikel Streik und Proteste, 1991

Auch Rügendamm blockiert (Neue Zeit 11.01.,S.5) Proteste in der Neptun-Werft (Neue Zeit 26.01.,S.9) "Eisenach darf kein Versuchsballon sein" (Neue Zeit 30.01.,S.6) Post-Arbeitskampf beendet (taz 02.02.,S.6) Tiefer Schock in Schönefeld (Berliner Zeitung 12.02.,S.4) Für den Löwen nun den Gnadenschuss? (Neues Deutschland 12.02.,S.5) Proteste bei Zeiss gegen Untergangskonzept (taz 15.02.,S.27) Schiffbauer und Metaller gehen auf die Straße (taz 21.02.,S.32) Kein Ergebnis bei Tarifverhandlungen (taz 22.02.,S.25) Rosskur für den Osten? (Berliner Zeitung 01.03.,S.20) Metall-Gewerkschafter: "Uns reißt bald die Geduld" (Neues Deutschland 01.03.,S.1) Leipziger Montagsdemonstranten sind wieder da (taz 13.03.,S.5) Trotz Protest: Tarifabschluss für Metallindustrie gilt (Berliner Zeitung 16.03.,S.4) Nur die Tiefe der Scheiße ändert sich (taz 20.03.,S.28) Ost-Metaller im Warnstreik (Berliner Zeitung 22.03.,S.4) Hinter dem Chaos steckt Methode (taz 25.03. S. 22) Bundeskanzler weg - Neuwahlen! (Neues Deutschland 26.03.,S.1) Trotz Streik kein Wunschergebnis: Tarifabschluss Stahl folgt dem von Metall (Berliner Zeitung 27.03. S. 2) Schonendere Lösungen nicht in Sicht (taz 05.04.,S.3) Protest gegen Amputation des Gesundheitswesens (Neues Deutschland 10.04.,S.1) DGB erfreut Union (taz 12.04.,S.5) Scharfer Streit in Sachen Montagsdemos (Berliner Zeitung 13.04.,S.4)

Leipziger demonstrieren weiter (Berliner Zeitung 15.04.,S.5) Montagsdemos im Fadenkreuz (Berliner Zeitung 16.04.,S.4) Enteignung des Protestes (taz 16.04.,S.10) Aus für Montagsdemos (taz 18.04.,S.5)

56 Der Aufstand der Trabiwerker (Berliner Zeitung 18.06.,S.2) Aufruhr im Freistaat Sachsen (Berliner Zeitung 19.06.,S.4) Arbeitskämpfe in Sachsen dauern an (Berliner Zeitung 20.06.,S.4) Luft machen gegenüber dem Buh-Mann der Nation: Welle von Besetzungen im westsächsischen Industriegebiet (taz 22.06.,S.33) Sachsenring-Werke erneut besetzt (taz 25.06.,S.4) "Lenkt die Treuhand nicht ein, werden Betriebe besetzt" (Neues Deutschland 29.06., S.3) Wiedereinstellung verlangt: Erfurter Metaller protestierten (Neue Zeit 02.07.,S.21) Arbeitnehmer erinnern die Treuhand an Zusagen (Neues Deutschland 06.07.,S.1) Schwestern gingen auf die Straße (Berliner Zeitung 25.07.,S.1) Demonstrationen für Dienstjahr-Anerkennung (Berliner Zeitung 07.08.,S.21) Entlassenen-Mahnwache vor dem Halbleiterwerk Frankfurt (Berliner Zeitung 16.08.,S.19) "Eine Stadt mit einem Tarifgebiet" (Neues Deutschland 10.09. S. 7) Erneut Proteste bei Robotron (Berliner Zeitung 11.09.,S.29) Gegen weitere Entlassungen (Neue Zeit 11.09.,S.23) Stahlwerker-Protest gegen Treuhand (Berliner Zeitung 13.09.,S.15) Berlin: Thüringer Proteste vor Sitz der Treuhandanstalt (Neue Zeit 14.09.,S.1) Wieder Protestrufe: "Wir sind das Volk!" (Neues Deutschland 21.09.,S.1) Die Post geht ab - Proteste im Osten (Berliner Zeitung 24.09.,S.4) Streiks begleiteten die Tarifverhandlungen (Berliner Zeitung 25.09., S, 1) Zur Jagd getragen (taz 26.09.,S.12) Ostdeutsche Postler setzen Proteste fort (Neue Zeit 31.10.,S.1) Postler mahnen Sozialvertrag an (Berliner Zeitung 01.11.,S.1) Post: Warnstreik-Serie in Leipzig (taz 05.11.,S.5) Kranbauer protestieren (Berliner Zeitung 19.11.,S.25) Hennigsdorfer sind zum Ausharren entschlossen (Berliner Zeitung 25.11.,S.16) Es kocht über in Hennigsdorf (Berliner Zeitung 26.11.,S.1) Hennigsdorfer Stahlarbeiter weiten ihre Proteste aus (taz 04.12.,S.5) Zschopau: Kerzen-Demo der Hoffnung von MZ-Werkern (Neue Zeit 27.12.,S.22)

57 Quellenangaben, Zeitungsartikel Streik und Proteste, 1992

Finow-Walzwerk bleibt besetzt (taz 11.02.,S.7) Verstärkung für Wismarer (Neue Zeit 28.02.,S.21) 50.000 demonstrieren für Erhaltung ihrer Arbeitsplätze (Neue Zeit 29.02.,S.1) Mecklenburgs Schiffbauer erhalten immer mehr Unterstützung (Neue Zeit 02.03.,S.21) Zwei mächtige Anker blockieren das Eingangstor zur Warnowwerft (Neue Zeit 03.03.,S.21) Kanzlergespräch gefordert (Neue Zeit 05.03.,S.1) Betriebsbesetzung auch in Sachsen (taz 05.03.,S.4) Wütende Proteste der Werftarbeiter (Berliner Zeitung 12.03.,S.1) Beschluss der Treuhand soll noch gekippt werden (Neues Deutschland 16.03.,S.1) Treuhand billigt Werftenkompromiss (taz 18.03.,S.4) Betriebs- und Personalräte halten bei Kündigungen zusammen (taz 18.04.,S.32) Ost-Betriebsräte fordern Entlassungsstopp (Neue Zeit 01.07.,S.9) Sorgen bei der Belfa (Berliner Zeitung 10.07.,S.25) Treuhand will trotz massiver Proteste weiter privatisieren (Neue Zeit 25.07.,S.24) Protest gegen Entlassungen (Neue Zeit 29.07.,S.24) Proteste ausgesetzt (Neue Zeit 30.07.,S.24) Massiver Protest gegen Plattmache in Freital (Neues Deutschland 08.09.,S.5) Belegschaft besetzt Betrieb in Schwarzenberg (Neues Deutschland 11.09.,S.4) Betriebsräte aus Ost und West wollen Kehrtwende (Neue Zeit 17.09.,S.1) Verzweifelte Arbeiter besetzen das Premnitzer Faserwerk (Berliner Zeitung 25.09.,S.1) 900 Faserwerker forderten in Berlin:" Wir wollen Arbeit" (Neues Deutschland 07.10.,S.1) Kanzler schuld am Kahlschlag (Neues Deutschland 30.10.,S.1) Protest zum Erhalt der Erfurter Umformtechnik (Neue Zeit 28.11.,S.9) Politik der Treuhand scharf attackiert (Neues Deutschland 04.12.,S.1) Protest gegen Schließung (Neue Zeit 09.12.,S.22) Betr.: Protest ostdeutscher Betriebsräte gegen die Treuhand (taz 16.12.,S.4) Belegschaft besetzt Maschinenfabrik (Berliner Zeitung 23.12.,S.9) Kalikumpel am Heiligabend im Schacht (Neue Zeit 24.12., 24)

58 Quellenangaben, Zeitungsartikel Streik und Proteste 1993

Betriebsbesetzung erfolglos (Neue Zeit 07.01., S. 9) In Sachsen stehen die Zeichen auf Streik (taz 19.02., S. 4) Mit Macht wird Recht gebrochen (Neues Deutschland 22.02., S. 1) IG Chemie tritt aus dem Schatten der Metaller (taz 24.02., S. 4) Stolpe: Schaukämpfe in der Metallbranche unterlassen (Neue Zeit 08.03., S. 2) Protest gegen ABM-Stopp (Neue Zeit 10.03., S. 20) Metaller üben Nord-Solidarität (taz 18.03a., S. 21) Gegen die "Balkanisierung der Tariflandschaft" (taz 18.03.b, S. 21) Kundgebungen gegen Vertragskündigungen (Neue Zeit 20.03., S. 24) Protestmärsche zum Rathaus (Berliner Zeitung 23.03., S. 18) Zweite Montagsdemo in Leipzig (Neue Zeit 24.03., S. 22) Auf zum letzten Gefecht (taz 02.04., S. 1). Ostmetaller setzen Proteste fort (Neue Zeit 06.04.a, S. 9) Tarifvertrag - ein Auslaufmodell? (Neue Zeit 06.04.b, S. 10) Die letzte Warnung der Metallarbeiter (Berliner Zeitung 16.04.a, S. 1) Protest vorm "Haus der Lohnräuber" (Berliner Zeitung 16.04.b, S. 2) Sachsen ließ Mauerbau wieder auferstehen (Neues Deutschland 20.04., S. 8) Bremer DGB: 60 Busse nach Hamburg (taz 21.04., S. 17) Thüringer Kali-Schächte weiterhin besetzt (Neue Zeit 26.04., S. 9) "Haut den Bossen auf die Flossen" (taz 26.04., S. 1) Metall: 85 Prozent stimmen für Streik (Berliner Zeitung 29.04., S. 1) Steinkühler attackiert Treuhand (Berliner Zeitung 03.05., S. 27) Mit Dixi in den ersten Streiktag (taz 04.05., S. 4) Streiks ausgeweitet (taz 07.05., S. 4) Gereizte Rufe: "Wo laufen sie denn?" (Neues Deutschland 12.05., S. 5) Einige Metaller wollen hungernd streiken (Berliner Zeitung 13.05., S. 17) In sechs Stufen vom Ossi zum Wessi (taz 15.05., S. 1) Steinkühler droht mit politischem Streik (taz 15.10.92, S. 1) Streik-Aussetzung war "kalte Dusche" (Berliner Zeitung 17.05., S. 28)

59 Sachsen-Modell zerreißt die örtliche IG Metall (taz 17.05., S. 21) Am Werktor reden sie von der "Frankfurter Mafia" (Berliner Zeitung 19.05., S. 3) Polizei geht gegen Kali-Kumpel vor (taz 19.05., S. 18) Vogel distanziert sich von Kali-Bergleuten (taz 22.05., S. 38) Stahlarbeiter kommen schneller auf Westlöhne (taz 24.05.1993, S. 1) Stahlwerker weichgekocht (Berliner Zeitung 27.05., S. 2) Proleten-Power: Chef ausgesperrt (taz 27.05., S. 5) Am Ende des Streiks Katerstimmung (Neue Zeit 29.05., S. 2) Treuhand zeigt Härte (Berliner Zeitung 16.06., S. 9) Kugellager festgelaufen (taz 19.06., S. 6) Unternehmen besetzt (Neue Zeit 24.06., S. 11) Belfa-Arbeiter hungern weiter (Berliner Zeitung 30.06., S. 10) Belfa-Belegschaft will weiter streiken (Neue Zeit 02.07., S. 17) Thüringer Kalikumpel treten in Hungerstreik (Neue Zeit 03.07., S. 1) Neue Aktionen am Mittwoch (Neues Deutschland 12.07., S. 1) Suhler Betrieb besetzt (Neue Zeit 14.07., S. 9) Zivis provozierten Kumpels (taz 15.07., S. 1) Belegschaft besetzt Betrieb (Neue Zeit 21.07., S. 9) Kumpel kämpfen weiter (taz 24.07., S. 2) "Versalzt der BASF die Suppe" (Neues Deutschland 28.07., S. 1) Proteste gegen Arbeitsplatzabbau in Thüringen (Neue Zeit 29.07., S. 1) Kali-Kumpel bleiben hart (taz 30.07., S. 4) Solidaritätsaktion für Kumpel in Bischofferode (Neue Zeit 02.08., S. 17) Streikfront ungebrochen (Neue Zeit 11.08., S. 2) Für Ostfirmen ist der Westmarkt tabu (taz 12.08., S. 1) Straßen blockiert (Neue Zeit 18.08., S. 24) Kali: Kampf zweier Demos (taz 18.08., S. 1) Kalikumpel fahren wieder ein (Berliner Zeitung 20.08., S. 9) Kali-Kumpel-Festival (taz 23.08., S. 4) Demos für Joberhalt (taz 25.08., S. 2)

60 Hungern zehrt am Geld (taz 30.08., S. 4) Gewerkschaft gegen Kumpel (taz 31.08., S. 2) Es wird bischofferoderisch geredet (Neues Deutschland 08.09., S. 1) Protest bedrohter Betriebe (Neue Zeit 14.09., S. 23) "Sanierung muss vor Privatisierung gehen" (Berliner Zeitung 20.09., S. 18) Kalikumpel setzen Hungerstreik aus (Neue Zeit 21.09., S. 9) Kumpel im Reichstag unerwünscht (Neues Deutschland 27.09., S. 1) Ernstfall (Neues Deutschland 29.09., S. 2) Protest-Dienstag in Thüringen (Neues Deutschland 06.10., S. 4) Dienstags fünf vor zwölf (Neues Deutschland 14.10., S. 3) Weitere Demonstrationen gegen Arbeitsplatzabbau (Neue Zeit 02.11., S. 23) Als der Minister diskutieren wollte, hörte ihm niemand mehr zu (Neue Zeit 03.11., S. 3) Proteste in Frankfurt (Neue Zeit 27.11., S. 12) Bischofferode besetzt (Neue Zeit 24.12., S. 1) Mehrheit der Kalikumpel wechselt in die GVV (Neue Zeit 31.12., S. 1)

Quellenangaben, Zeitungsartikel Streik und Proteste, 1994

Kali-Kumpel haben hoch gepokert (Berliner Zeitung 03.01.94) Der Kampf um Bischofferode ist vorbei (taz 03.01.94, S. 4) Neue Länder sind industriell bedeutungslos (Berliner Zeitung 07.01.) Die "Rädelsführer" sind im Visier des Staatsapparats (Neues Deutschland 28.01.,S.8) Streik in Stralsunds Stadtverwaltung (Neue Zeit 01.03.,S.21) DAG-Protest: "Das Maß ist voll" (Neues Deutschland 01.03.,S.17) Streik bei der Müllabfuhr (Neue Zeit 02.03.a,S.23) Verkehr kam zum Erliegen (Neue Zeit 02.03.b,S.24) Das war eine Kostprobe für Arbeitgeber: "Rien ne va plus" (Neues Deutschland 02.03.,S.20) Löhne endlich angleichen (Neues Deutschland 10.03.,S.24) Die echte Tarifzahl ist die Null: Proteste zu Vertragsabschluss in neuen Ländern (Neue Zeit 14.03.,S.2) Staatsdiener sind verbittert und ungeduldig (Berliner Zeitung 15.03.) Fahrzeugwerk besetzt (Berliner Zeitung 21.04.)

61 EKO: Bänder standen stundenlang still (Berliner Zeitung 30.04.) An Marxens Geburtstag war nicht über allen 'Wipfel Ruh' (Neues Deutschland 06.05.,S.17) 8.000 Beschäftigte des Einzelhandels streikten (Berliner Zeitung 13.05.) Streik-Druck im Osten steigt weiter (ND 17.05.,S.17) Lehrer streiken (Neue Zeit 19.05.,S.17) Einzelhandel: Friede, Freude, Eier ... (taz 19.05.,S.4) Berliner Alleingang für Ostbeschäftigte (taz 25.05.,S.17) Warnstreiks in Ost-Berlin (taz 26.05.,S.17) 15.000 Postler demonstrieren (Berliner Zeitung 30.05.) Müllwerker fordern sofortige Gehaltsangleichung (Berliner Zeitung 03.06.) Warnstreiks der Post auf neue Länder ausgeweitet (Neue Zeit 03.06.,S.1) Buhrufe gegen Kohl (Neue Zeit 06.06.,S.20) Gewerkschaft wehrt sich gegen Folgen der Post-Privatisierung (Neue Zeit 10.06.,S.1) Postler sind weiter im Streik (taz 11.06.,S.4) Die Tarifgemeinschaft schließt Berlin aus (Berliner Zeitung 14.06.) Lehrer demonstrieren für Tarifangleichung (Neue Zeit 15.06.,S.2) Post stoppt Streiks (taz 20.06.,S.24) Postgewerkschaft setzt die Warnstreiks fort (Neue Zeit 24.06.,S.2) Bestandsgarantie für Sozialleistungen vereinbart: Die Post geht wieder ab (Berliner Zeitung 02.07.) Die "Brücke" zur Arbeit muss länger werden (Neues Deutschland 02.07.,S.5) Städtische Kitas stehen im Regen (taz 09.07.,S.29) Premnitz: Marsch zum Sozialamt (Neues Deutschland 24.08.,S.1) Löblein-Ausstand wird wohl der längste NGG-Streik (Neues Deutschland 14.10.,S.8) Aktionstag in Schildau (Neues Deutschland 07.11.,S.9) Schildauer Fleischer beendeten ihren Streik (Neues Deutschland 11.11.,S.8) Protest in Niesky (Neues Deutschland 20.12.,S.4)

Manche gehen meilenweit für ihren Arbeitsplatz (Berliner Zeitung 22.06.1992,S.3) DGB-Chef Meyer: Generalstreik wäre untauglich (Neues Deutschland 18.11.1993,S.4)

62 Zeitungsartikel zu Streik und Protest in den Jahren 1990 bis 1994 mit Quellenangaben

63 Zeitungsartikel Streik und Proteste, 1990

64 8.4.2018 Die Räder standen still, weil man keine „Stasinisten“ will - taz.de Die Räder standen still, weil man keine „Stasinisten“ will ■ Treptower Arbeiter streikten gegen Ministeriumsbeschluß / Ex- Mitarbeiter der staatlichen Minsterien sollen Ausgleichszahlungen für Lohneinbußen erhalten

Vergangenen Mittwoch standen in einem Treptower Werk alle Räder still. Die 120 Arbeiter des elektromechanischen Werkes Steremat in der Bouchestraße streikten zwei Stunden lang gegen einen kürzlich erlassenen Ministerratsbeschluß, der freigestellten Mitarbeitern aus Ministerien und dem Staatsapperat Überbrückungsgelder zusichert. Dieser Beschluß macht in vielen Betrieben Ärger, gestreikt wurde dagegen aber jetzt zum erstenmal. „Die Grauzone ist allerdings groß, im Moment macht jeder Betrieb, was er will“, war aus IG -Metall Ost Kreisen zu hören. Hintergrund des ganzen Ärgers ist eine „Vereinbarung zur Regelung arbeitsrechtlicher Fragen für Mitarbeiter der Staatsorgane, die im Zusammenhang mit Strukturveränderungen und Rationalisierungsmaßnahmen eine andere Arbeit aufnehmen“. Verabschiedet wurde sie am 8. Dezember, außer Kraft gesetzt auf Grund des vielen Ärgers wohl in den nächsten Tagen. Sozial abgefedert werden sollten mit dieser Regelung die Einkommenseinbußen frisch entlassener Staatsmitarbeiter, dies allerdings nur für maximal ein Jahr und höchstens mit 300 Mark im Monat. Nach bisherigen Erkenntnissen müssen in den nächsten Wochen ca. 7.000 von insgesamt 20.00O Berliner Ministeriumsangestellten die Schreibtische mit den Drehbänken vertauschen. Der Ministeriumsbeschluß orientierte sich bei dieser Regelung eng an das Arbeitsgesetzbuch, daß einen ähnlichen „Rationalsierungsschutzparagraphen“ schon lange hat. Neu war allerdings die Geldsumme, und die wird von den Arbeitern als „Übergangsprivileg“ bezeichnet. Unklar ist in den meisten Betrieben auch, für wen die Regelung eigentlich gilt. Und außerdem wurde versäumt zu informieren, daß diese „Privilegien“ eindeutig nicht für Stasimitarbeiter gelten. Kein Wunder also, daß Unruhe sich breit machte, die Arbeiter in Treptow Angst vor „Stasinisten“ und wütend auf die relativ hohen „Ausgleichszahlungen“ waren. Angefangen hatte der Streik dann morgens um neun Uhr. Die Dreher der Großmechanik erfuhren aus einem Flugblatt vom Inhalt des Beschlußes, diskutierten kurz darüber und stellten ihre Maschinen ab. Sie forderten eine erklärende Stellungnahme der Gewerkschaftsleitung. Der Betriebsgruppenleiter Nils Rehan aus dem Hauptwerk wurde herbeigefahren und beruhigte die Streikenden mit der Information, daß die Steremat-Leitung schon vergangene Woche beim Zentralvorstand der „Gewerkschaft der Mitarbeiter der Staatsorgane und der Kommunalwirtschaft“ protestiert hat, daß Steremat nicht bereit ist, irgendwelche Privilegien einzuräumen. Auch Betriebsdirektor Erwin Moye glättete die Wogen: „Wir haben bereits neue Mitarbeiter eingestellt“, erklärte er gegenüber der 'Berliner Zeitung‘, „zu den

65 http://www.taz.de/!1786188/?s=&SuchRahmen=Print 1/2 8.4.2018 Die Räder standen still, weil man keine „Stasinisten“ will - taz.de üblichen Tarifen. Und das soll so bleiben. Ich verstehe den Protest der Arbeiter.“ Die Beschwichtigungspolitik hatte Erfolg, mittags wurde in Treptow wieder gearbeitet. Ein leitender Mitarbeiter des Ministeriums für Maschinenbau, in dessen Arbeitsbereich Steremat fällt, hat ebenfalls Verständnis für den Unmut der Arbeiter. Die maximal 300 Mark Ausgleichszahlung pro Monat sind mindestens 25 Prozent eines normalen Facharbeiterlohns, „eventuell zu hoch“ wie er einräumt. Andererseits aber, so betont er, dessen Kollegen von dieser Regelung schon betroffen sind, kompensieren diese Ausgleichszahlungen bei weitem nicht den tatsächlichen Einkommensverlust. „Die Arbeiter denken zu Unrecht, daß wir alle faul waren und dafür dicke Gehälter eingestrichen haben. Gerade in den letzten Wochen haben wir in den Ministerien 14 Stunden und mehr pro Tag gearbeitet und die Dienstaufwandsentschädigungen waren so hoch nun auch wieder nicht. Kein Verständnis dagegen hat er für ehemalige Stasimitarbeiter. Da sie militärische Dienstgrade und keine gewerkschaftliche Interessensvertretung haben, sollten sie so behandelt werden, wie jeder andere auch. Das dies aber im betrieblichen Alltag schwer werden wird sieht er voraus. „Es ist eben alles im Umbruch.“ ak

taz. die tageszeitung vom 5. 1. 1990

Inland S. 28

AK

THEMEN DDR / Wirtschaft 8313

4125 Zeichen ~ ca. 120 Zeilen

Ausgabe 2999

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66 http://www.taz.de/!1786188/?s=&SuchRahmen=Print 2/2 67 68 11.4.2018 Warnstreiks in Gera, Jena und Ost-Berlin - taz.de Warnstreiks in Gera, Jena und Ost-Berlin

Berlin (ap) - In Gera, Jena und Ost-Berlin legten am Dienstag tausende Kraftfahrer vorübergehend die Arbeit nieder, um ihren Unmut über die SED- PDS und die ehemalige Staatssicherheit (Stasi) deutlich zu machen. In Gera und Jena schlossen sich Arbeiter aus anderen Betrieben dem mehrstündigen Warnstreik der Beschäftigten der Kraftverkehrsbetriebe an. In Ost-Berlin beendeten rund 120 Milchfahrer einen auf 24 Stunden begrenzten Streik gegen Sonderzahlungen für ehemalige Stasi-Mitarbeiter und den Verfassungsschutz.

taz. die tageszeitung vom 18. 1. 1990

Inland S. 6

THEMEN DDR / Gesellschaft / Bevölkerung / Soziales 8311

555 Zeichen ~ ca. 17 Zeilen

Ausgabe 3010

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69 http://www.taz.de/!1784331/ 1/1 70 71 72 73 74 75 76 77 13.4.2018 DDR: Erste Streiks gegen AusländerInnen - taz.de DDR: Erste Streiks gegen AusländerInnen

In der DDR nimmt die Aggressivität gegen AusländerInnen zu. In einigen Betrieben sei es schon zu „massiven Übergriffen gegen Ausländer bis hin zu Schlägereien“ gekommen, teilte gestern der Arbeitskreis „Fremdenhaß“ der Ostberliner Humboldt-Universität mit. Vereinzelt habe die deutsche Belegschaft sogar die Entlassung ausländischer Arbeitnehmer mit einem Streik durchsetzen wollen. Man müsse in der DDR damit rechnen, daß die Ausländerfeindlichkeit in dem Maße zunehme, wie es in den Betrieben zu Entlassungen komme, hieß es auf der ersten gemeinsamen Veranstaltung des Arbeitskreises „Fremdenhaß“ und der Gewerkschaft GEW.

taz. die tageszeitung vom 2. 4. 1990

Inland S. 17

663 Zeichen ~ ca. 20 Zeilen

Ausgabe 3073

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78 https://www.taz.de/!1774046/ 1/1 8.4.2018 Geschlossene Front von Arbeitern und Bauern - taz.de Geschlossene Front von Arbeitern und Bauern ■ Landesweite Protestaktionen gegen sozialen Abstieg / Lehrer streikten, Kindergärten blieben zu, Bauern blockierten Grenzübergänge, Schuhproduzenten verschleuderten Erzeugnisse auf Märkten / D-Mark- Euphorie verflogen: „Eigene Erzeugnisse sind auch nicht schlecht!“

Berlin (taz/adn) - Mit Streiks und Protestaktionen machten gestern im ganzen Land Leder- und Textilarbeiter, Pädagogen, Lehrer und Bauern ihrem Ärger Luft. An die Adresse der Regierung gerichtet, forderten Sie klare Regelungen zur sozialen Absicherung nach der Wirtschafts- und Währungsreform. Die Bauern fordern Schutzmaßnahmen gegen die zunehmenden Lebensmittelimporte aus der Bundesrepublik. Es scheint, als sei die Zeit der Euphorie über die kommende deutsche Einheit und die DM vorbei. Vielen Bürgern wird jetzt mit Erschrecken klar, welche Probleme mit der DM und dem gemeinsamen Markt auf sie zukommen. Die Textil- und Lederbranche kann derzeit kaum noch ihre Produkte absetzen. Der Markt wird mit Billigprodukten aus Fernost überschwemmt. Landesweit streikten deshalb die Werktätigen, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Mit Verkaufsaktionen auf den Marktplätzen wollten sie zeigen: Unsere Produkte sind gut! Ihre Forderungen richten sie an die Regierung. Die soll schnell eine Entscheidung über die Preisreform treffen, damit die Betriebe mit den Importen konkurrieren können. Die Schuhwerker hatten bereits in der letzten Woche einen Warnstreik organisiert. Versuche, mit dem Wirtschafts- und Handelsministerium zu Gesprächen oder gar Lösungen zu kommen, schlugen am letzten Wochenende fehl. Die Bauern und Landarbeiter der Republik blockierten gestern zum wiederholten Mal mit Traktoren, Schleppern und anderen Nutzfahrzeugen Grenzübergänge zur Bundesrepublik. Der Übergang Wartha bei Eisenach war eine Stunde blockiert. Die Blockade war von der Gewerkschaft organisiert worden. Auch von Magdeburg aus machten sich Traktoren auf den Weg Richtung Grenze. Als einzige Wählergruppe in der DDR haben die Bauern ihren Protest am letzten Sonntag bei den Kommunalwahlen zum Ausdruck gebracht. In ländlichen Gebieten konnten die beiden Bauernparteien bis zu 25% der Stimmen gewinnen. Streik gestern auch bei Pädagogen und Lehrern. In verschiedenen Städten fiel der Unterricht aus und blieben die Türen der Kindereinrichtungen geschlossen. Viele Eltern in den Bezirken Neubrandenburg, Frankfurt/Oder und Magdeburg und anderer Bezirke konnten ihre Kinder nicht in den Kindergarten bringen. In Berlin-Hohenschönhausen blieben die Kindergärten den ganzen Tag geschlossen. Die Pädagogen fordern den Erhalt der Kindertagesstätten. 79 https://www.taz.de/!1768770/?s=SuchRahmen=Print 1/2 8.4.2018 Geschlossene Front von Arbeitern und Bauern - taz.de Vor dem Ministerium für Bildung und Wissenschaft demonstrierten am Vormittag rund 2.000 Pädagogen. Sie verlangten die Anerkennung ihrer beruflichen Abschlüsse und Kündigungsschutz, außerdem den Erhalt ihrer Altersversicherung. Im Bezirk Halle schlossen sich auch Lehrer den landesweiten Warnstreiks an. Auch sie sind über die Aussagen des Bildungsministers, der die Gehaltsforderungen der Lehrer und Pädagogen als „völlig unrealistisch“ bezeichnet hatte, sauer. Sie ließen den Unterricht ausfallen, informierten aber Eltern und Schüler über ihr Anliegen und ihre Forderungen. Auch im Bezirk Neubrandenburg streikten die Lehrer für eine Stunde. Der Streik wurde von der Gewerkschaft unterstützt, stieß aber beim Allgemeinen Verband der Pädagogen auf Kritik. Der hielt Proteste außerhalb der Arbeitszeit für sinnvoller. Brigitte Fehrle Siehe Tagesthema Seite 2 und 3

taz. die tageszeitung vom 11. 5. 1990

Inland S. 1

BRIGITTE FEHRLE

3496 Zeichen ~ ca. 101 Zeilen

Ausgabe 3104

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80 https://www.taz.de/!1768770/?s=SuchRahmen=Print 2/2 81 12.4.2018 Damm gegen Massenentlassungen - taz.de Damm gegen Massenentlassungen ■ Tarifkompromiß in der Metallindustrie der DDR / Lohnausgleich, Arbeitszeitverkürzung, Schutz vor Entlassung bei Weiterqualifikation / Kurzarbeit wird mit Qualifizierungs- und Umschulungsmaßnahmen kombiniert

Berlin (taz) - Der Tarifkonflikt in der Metallindustrie der DDR im Pilotbezirk Berlin-Brandenburg ist beendet. Die Tarifparteien einigten sich in der Nacht von Donnerstag zu Freitag auf Lohnerhöhungen von 250 bzw. ab 1.Oktober 300 Mark, die 40-Stunden-Woche ab 1. Oktober, einen Grundurlaub von 20 Tagen und - als wichtigste Regelung - einen Kündigungsschutz für alle Beschäftigten bis zum 30. Juni 1991. Für diejenigen, die an Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen, gilt der Kündigungsschutz bis 31. März 1991. Eigentlich waren die Zeichen schon am Donnerstagvormittag ganz auf Kompromiß gestellt. Am Nachmittag, so wurde erwartet, sei das Tarifpaket unterschriftsreif und die Gewerkschaft bestellte die Journalisten für 19 Uhr zum Verhandlungsort im ehemaligen FDGB-Haus am Märkischen Ufer in Ost- Berlin. Aber dann hatten sich die Unternehmer unverhofft quer gestellt. Insbesondere die Regelungen zum Kündigungsschutz und zur Umschulung und Qualifizierung gingen den Arbeitgebern gegen den Strich. Die Berater aus dem BRD-Arbeitgeberverband Gesamtmetall wollten offensichtlich nicht akzeptieren, daß in der DDR möglich sein sollte, wofür es in der Bundesrepublik keine gesetzliche Grundlage gibt: Kurzarbeit mit Qualifizierungs und Umschulungsmaßnahmen zu kombinieren und damit Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Die Regelung sieht vor, daß Beschäftigte, die nicht weiter beschäftigt werden können, Kurzarbeitergeld erhalten. Das Kurzarbeitergeld beträgt entsprechend den Bestimmungen des Arbeitsförderungsgesetzes 63 Prozent für Beschäftigte ohne, 68 Prozent des bisherigen Nettolohns für Beschäftigte mit Kindern. Dieses Kurzarbeitergeld wird von den Betrieben um 22 Prozent aufgestockt, also auf 85 bzw. 90 Prozent des Nettolohns. Auf besonders heftigen Widerstand der Arbeitgeber stieß die Möglichkeit, diese Regelung für jene Beschäftigten, die an Qualifikations- und Umschulungsmaßnahmen teilnehmen, über ein Jahr hinaus bis Ende März 91 zu verlängern. Damit hat die IG Metall ihre Forderung nach einem zweijährigen Kündigungsschutz weitgehend durchgesetzt. Gleichzeitig aber wird damit Druck auf die „freigesetzten“ Beschäftigten ausgeübt, sich auch tatsächlich an den Qualifizierungsmaßnahmen zu beteiligen. Die Gewerkschaft sieht den Abschluß als Erfolg, weil damit nach ihrer Meinung ein Damm gegen die im Herbst drohenden Massenentlassungen errichtet wird. Die Belastung für die Unternehmen sei tragbar, weil im Falle von Entlassungen erhebliche Sozialplankosten auf sie zukämen und innerhalb der Kündigungsfristen der volle Lohn weitergezahlt werden müsse. Gleichzeitig sei das

82 http://www.taz.de/!1759820/ 1/2 12.4.2018 Damm gegen Massenentlassungen - taz.de Qualifizierungsprogramm eine Investition in die Zukunft. Es wird erwartet, daß der Kompromiß im Bezirk Berlin-Brandenburg von den anderen Tarifbezirken der DDR-Metallindustrie übernommen wird. Auch in anderen Branchen wurden am Donnerstag neue Tarife vereinbart. Für die rund 200.000 Beschäftigten des DDR -Handels wurde eine einmalige Zahlung von 275 Mark pro Vollbeschäftigten vereinbart. Lehrlinge und Teilzeitbeschäftigte erhalten einen Zuschlag von 100 Mark. Auch hier sollen die Arbeitsplätze durch Umschulung und Qualifizierung gesichert werden. Die Tarifverhandlungen werden in August fortgesetzt. In der Freitagsausgabe der 'Neuen Osnabrücker Zeitung‘ meldete sich der wirtschaftspolitische Sprecher der West -SPD, Wolfgang Roth, mit einem Ratschlag an die Gewerkschaften: sie sollen sich angesichts der fehlenden Leistungsfähigkeit der DDR-Betriebe mit Lohnforderungen zurückhalten. „Sonst haben wir im Herbst Hunderte von Fällen wie seinerzeit in Rheinhausen“, meinte der SPD-Politiker. In Rheinhausen/Duisburg hatte die Belegschaft des von Schließung bedrohten Stahlwerks die Region wochenlang mit Streiks und Straßenaktionen in Atem gehalten. Roth befürchtet für die DDR einen „sozialpolitischen Flächenbrand“, wenn die Löhne zu sehr steigen und damit die Arbeitslosigkeit vergrößern. marke

taz.am Wochenende vom 14. 7. 1990

Inland S. 5

MARKE

4138 Zeichen ~ ca. 117 Zeilen

Ausgabe 3157

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83 http://www.taz.de/!1759820/ 2/2 8.4.2018 DDR-Handel setzt sich zur Wehr - taz.de DDR-Handel setzt sich zur Wehr ■ Demonstranten durchbrechen die Bannmeile vor der Volkskammer / Anhörung zur Versorgungslage Lex Diestel wird beraten / Volkskammer berät Mietpreisbindung in erster Lesung

Berlin (ap/dpa) - Im Einzelhandel der DDR wird die Stimmung immer explosiver. Aus Protest gegen die Beschlüsse der Regierung zur Entflechtung der alten Handelsorganisationen durchbrachen am Freitag mehrere tausend Einzelhandelsmitarbeiter die Bannmeile vor der Volkskammer, die in Ost- Berlin tagte. Vor dem Parlament bemühte sich Ministerpräsident Lothar de Maiziere persönlich, die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen. Die Volkskammer reagierte mit einer öffentlichen Anhörung, an der auch Vertreter des Handels teilnahmen. Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen drohte mit Streiks im ganzen Land. Die Beschäftigten befürchten einen Ausverkauf in ihrem Wirtschaftssektor und Massenentlassungen. Um das Monopol der alten Handelsorganisationen zu brechen, sieht das Gesetz zur Entflechtung des Handels vor, die bisher bestehenden Verkaufsstellen zu veräußern. Die Demonstranten verlangten, das Gesetz zurückzunehmen. De Maiziere versicherte einer Abordnung der Einzelhandelsbeschäftigten, bei der Anwendung des Gesetzes Handelsvertreter hinzuzuziehen Auf der kurzfristig einberufenen Anhörung sprachen der Vorsitzende des Konsumverbandes Cottbus, Peter Krüger, und der stellvertretende Vorsitzende der Geschäftsleitung der Supermarktgruppe Tengelmann, Franz Schmitz. Beide beklagten, daß dem Einzelhandel zu Unrecht die Schuld an der Versorgungslage und den hohen Preisen gegeben werde. Die Parlamentarier hingegen warfen dem Handel vor, sich in Verträgen mit westdeutschen Partnern verpflichtet zu haben, keine oder nur sehr wenige DDR-Produkte anzubieten. Schmitz, dessen Unternehmen zusammen mit der früheren staatlichen Handelsorganisation an der neuen Hofka-Gesellschaft beteiligt ist, sagte, daß bei Hofka knapp ein Drittel des Sortiments aus DDR-Produktion stamme. Bereits am Vortag beriet die Volkskammer eine Änderung des Abgeordnetengesetzes. Die DSU wandte sich energisch gegen die Vorlage, die ein freies Mandat zusichert. Dementsprechend könnten die aus der DSU ausgetretenen Minister Diestel und Ebeling anderen Parteien beitreten, ohne ihre Abgeordnetensitze abzugeben. Ebenso wurde ein Gesetz zur Wohnraumbelegung beraten. Danach kann die Regierung einen maximalen Mietpreis für Wohnungen festlegen, die sich ab 1. September in kommunaler Hand befinden. Allen Vermietern sollen nach Inkrafttreten von den zuständigen Ämtern drei Wohnungssuchende vorgeschlagen werden. Nur wenn eine Wohnung innerhalb von zwei Monaten nicht an Inhaber eines Wohnberechtigungsscheines vergeben wird, soll sie auf dem freien Markt angeboten werden können.

84 https://www.taz.de/!1759816/ 1/2 8.4.2018 DDR-Handel setzt sich zur Wehr - taz.de taz.am Wochenende vom 14. 7. 1990

Inland S. 4

2760 Zeichen ~ ca. 78 Zeilen

Ausgabe 3157

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85 https://www.taz.de/!1759816/ 2/2 8.4.2018 Entlassungen in DDR-Kaligruben - taz.de Entlassungen in DDR-Kaligruben ■ Proteste gegen den Rausschmiß von 15.000 Bergleuten

Sondershausen (dpa/taz) - Den bislang krisensicheren Kali -Bergbaurevieren droht eine große Entlassungswelle. Nach Angaben der betrieblichen Gewerkschaftsleitung der Südharz -Gruben soll in den drei Revieren jeder zweite der 31.000 Arbeitsplätze gestrichen werden, 15.000 Kumpels bangen um ihre Arbeitsplätze. Gegen den drohenden Arbeitsplatzabbau demonstrierten am Samstag in der thüringischen Stadt Sondershausen Kalibergleute des Südharz-Reviers. Nach Schätzung der Industriegewerkschaft Bergbau, Energie und Wasserwirtschaft (IGBE) nahmen an der Kundgebung über 3.000 Bergleute teil. Die Gewerkschaft forderte von Regierung und Treuhandanstalt Fördermittel bis ins Jahr 1992, um die Arbeitsplätze im Kali -Bergbau zu sichern. Außerdem müsse für die Kalireviere ein Infrastruktur-Konzept erarbeitet werden. Bislang war die Kaliindustrie einer der größten Devisenbringer der DDR, die der weltweit drittgrößte Produzent von Kalidünger war. Ein Viertel der Produktion wurde in der DDR selbst verbraucht, ein weiteres Viertel ging in den „nichtsozialistischen Wirtschaftsbereich“. Die Hälfte des DDR-Kalis wurde in Ostblockstaaten geliefert, die nach Einführung der D-Mark in der DDR kaum noch Kali für harte Devisen ordern. Auch der Absatz in der eigenen Landwirtschaft ist zusammengebrochen. Die Arbeitsproduktivität der DDR-Kaliindustrie erreicht zwischen 25 und 40 Prozent vergleichbarer Anlagen in der Bundesrepublik. Der technische Leiter des Schachtes Sondershausen, Peter Schwarz, sagte der 'dpa‘, in den letzten zwanzig Jahren seien keine wesentlichen Investitionen mehr erfolgt. Das ehemalige Kalikombinat soll in eine Holding-Aktiengesellschaft umgewandelt werden, worüber gegenwärtig verhandelt wird.SEITE 6

taz. die tageszeitung vom 23. 7. 1990

Inland S. 1

1799 Zeichen ~ ca. 44 Zeilen

Ausgabe 3164

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KONTAKT TAZ.ARCHIV-RECHERCHE-INFORMATION Rudi-Dutschke-Str. 23, 10969 Berlin 86 https://www.taz.de/!1758866/ 1/2 87 12.4.2018 90.000 im Streik - taz.de 90.000 im Streik ■ Arbeitskampf in der DDR verschärft / Staatsbedienstete legen in über 20 Städten den Verkehr lahm

Berlin/Stuttgart (ap) - Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst der DDR haben ihre Warnstreiks am Mittwoch noch einmal verschärft. In über 20 Städten befanden sich am dritten Tag des Ausstands mehr als 90.000 Staatsbedienstete im Ausstand, um ihre Forderungen nach höheren Einkommen und sicheren Arbeitsplätzen zu untermauern. Nach Angaben des Stuttgarter Hauptvorstands der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) waren von den Arbeitskampfmaßnahmen sämtliche Bereiche der Verwaltung betroffen, darunter Nahverkehr, Feuerwehr und Müllabfuhr. Allein in Berlin und in Leipzig gingen jeweils mehr als 10.000 Menschen auf die Straße. Kundgebungen mit massiver Beteiligung wurden auch aus Chemnitz, Gera, Jena, Neubrandenburg, Rostock, Stralsund, Wismar und Erfurt gemeldet. In mehreren Städten waren die Zentrumsbereiche von Feuerwehrfahrzeugen, Müllautos und Straßenbahnen blockiert. Der öffentliche Nahverkehr brach zusammen, Mülltonnen blieben ungeleert und Krankenhäuser richteten einen Notdienst ein. Die Gewerkschaft fordert für ihre 1,6 Millionen Beschäftigten einen Teuerungsausgleich und verlangt Lohn- und Gehaltsverbesserungen um 350 Mark monatlich, mindestens jedoch 30 Prozent.SEITE 6

taz. die tageszeitung vom 30. 8. 1990

Inland S. 1

1331 Zeichen ~ ca. 31 Zeilen

Ausgabe 3197

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88 https://www.taz.de/!1754188/ 1/1 89 90 91 92 93 27.2.2018 Patienten, bleibt gesund! (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 08.10.1990 / Seite 7 Patienten, bleibt gesund!

Horst Richte

Mehr als 2000 Mitarbeiter aus Gesundheitseinrichtungen der ostsächsischen Kreise Görlitz, Zittau, Niesky, Löbau und Bautzen haben- sich mit Nachdruck gegen den, wie sie formulierten, „programmierten Zusammenbruch der ambulanten medizinischen und zahnärztlichen Betreuung“ gewandt. Die Ärzte, Schwestern und Pfleger, denen sich auch viele DRK- Mitarbeiter anschlössen, haben dafür gesorgt, daß jetzt der Spruch die Runde macht „Patienten, bleibt gesund!“. Den Ärzten und Schwestern geht es bei ihrem Protest nicht um Gehaltserhöhungen für das medizinische Personal, sondern ausschließlich um eine auch nach dem 31.12.1990 gesicherte Existenzgrundlage für den Dienst an ihren Patienten.

„Der zweite Staatsvertrag enthält für das ambulante Gesundheitswesen der ehemaligen DDR unzumutbare Bedingungen. Die darin zugebilligten Zuschüsse ermöglichen weder bestehende Gesundheitseinrichtungen zu erhalten noch eigene Praxen zu gründen“, betonte der Görlitzer Chefarzt Dr. Manfred Lindau. In den nächsten Tagen wird eine Abordnung der Mitarbeiter des Gesundheitswesens des Görlitzer Raumes nach Bonn fahren, um ihre Sorgen dort im zuständigen Ministerium direkt vorzutragen. Außerdem soll dem Görlitzer Stadtparlament eine Beschlußvorlage zur Schaffung einer neuen effektiven Verwaltungsstruktur für eine kommunale Poliklinik vorgelegt werden. '

In vielen anderen sächsischen Kreisen wird die Görlitzer Aktion von Ärzten und Schwestern unterstützt, denn vielerorts gleichen sich die Probleme. Übrigens allein für Raummiete müßte so viel Geld aufgebracht werden, wie ein Arzt in freier Praxis im nächsten Jahr in etwa verdienen würde.

HORST RICHTER

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/280313.patienten-bleibt-gesund.html

94 https://www.neues-deutschland.de/artikel/280313.patienten-bleibt-gesund.html?action=print 1/1 13.4.2018 Streik legt Schienenverkehr im Osten Deutschlands lahm: Eisenbahner: Nichts geht mehr - taz.de

STREIK LEGT SCHIENENVERKEHR IM OSTEN DEUTSCHLANDS LAHM Eisenbahner: Nichts geht mehr ■ Der Fernreise- und Güterverkehr der Deutschen Reichsbahn ist seit Montag morgen weitgehend zum Erliegen gekommen. Seit Sonntag abend waren der Berliner Hauptbahnhof und Bahnhof Zoo am Streik beteiligt, alle weiteren großen Bahnhöfe zwischen Ostsee und Thüringen schlossen sich dann in den Nachtstunden an. 260.000 Reichsbahner befinden sich im Ausstand, um ihren Forderungen nach Lohn- und Gehaltserhöhungen sowie Kündigungsschutz Nachdruck zu verleihen.

eit 18 Uhr wird bei der Deutschen Reichsbahn gestreikt“, erklärte der S Berliner Bezirksleiter der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) auf einer Versammlung im Berliner Hauptbahnhof. Von da an ging nichts mehr im Fernverkehr zwischen der ehemaligen DDR und Westdeutschland. Auf 26 Bahnhöfen in den neuen Bundesländern und Ost- Berlins standen die Züge ab Montag morgen 6.00 Uhr still. Alle Großstädte und andere wichtige Eisenbahnknotenpunkte waren betroffen. Lediglich der S- Bahn-Verkehr in Berlin und anderen Großstädten blieb weitgehend verschont. Auf den Fernbahnhöfen dagegen drängten sich die hängengebliebenen Reisenden. In Berlin wurden zum Teil Ersatzbusse nach Hamburg und anderen Städten eingesetzt. Viele Reisende wichen auf die Flughäfen aus, wo allerdings nach kurzer Zeit auch kein Ticket mehr zu bekommen war. Die GdED fordert die übernahme der Rationalisierungs- und Kündigungsschutzabkommen der Bundesbahn auch für die derzeit noch 260.000 Beschäftigten der Reichsbahn. Außerdem fordert sie die Anhebung der Löhne und Gehälter auf 50 Prozent des Westniveaus. Während in diesem Punkt eine Einigung in Sicht war, hatte die Reichsbahnführung während der Verhandlungen in der letzten Woche kein Entgegenkommen beim Kündigungs- und Rationalisierungsschutz gezeigt. Die GdED befürchtet Massenentlassungen. Bis zu 68.000 Beschäftigte der Reichsbahn sollen nach ihren Informationen entlassen werden. Auf Flugblättern wurden die Kunden der Bahn um Verständnis für die Behinderungen gebeten. Der Arbeitskampf, heißt es darin, sei der Gewerkschaft „aufgezwungen worden“. Die Eisenbahner wollten sich nicht länger hinhalten lassen. In dem Forderungskatalog heißt es: „Keine Massenentlassungen, weitgehender Rationalisierungsschutz wie bei der DB (Deutsche Bundesbahn), weitgehende Übernahme der Tarifverträge für Arbeiter und Angestellte der DB“ — mit einer stufenweisen Angleichung der Löhne und Gehälter.

GdED will Streik „voll durchziehen“ Wolfgang Zell, Berliner Bezirksleiter der GdED, kündigte an, die Gewerkschaft werde diesen Streik „voll durchziehen“. Rund 97 Prozent der GdED-Mitglieder in der ehemaligen DDR hatten sich bei der Urabstimmung 95 https://www.taz.de/!1742757/ 1/2 13.4.2018 Streik legt Schienenverkehr im Osten Deutschlands lahm: Eisenbahner: Nichts geht mehr - taz.de am Wochenende für Streik ausgesprochen. Während zunächst nur der Großraum Berlin betroffen war, wurden die Aktionen später auf das gesamte Gebiet der neuen Bundesländer ausgeweitet. Am Montag früh war dann der Fern- und Güterverkehr auf den Strecken der Deutschen Reichsbahn zum Erliegen gekommen. Auf Grund des Streiks in den Bahnhöfen an der polnischen Grenze gibt es einen Rückstau von Zügen bis nach Berlin. Auch für die Hafenbahn in Rostock standen die Signale auf „rot“. Kein Güterzug verläßt seither den Hafen, leere Waggons werden nicht mehr an die Kaikanten geschoben, wo derzeit elf Frachter auf Entladung warten. Behinderungen gab es auch beim Massenumschlag. Kohle und Eisenerz für Eisenhüttenstadt blieben vorerst an der Ostseeküste. Nur bei den Nahrungsmitteltransporten in die UdSSR wurde eine Ausnahme gemacht. Die Stimmung unter den Reisenden reichte vom „totalen Frust“ bis zu verständnisvoller Bitterkeit. „So eine wilde Aktion kann ich nicht gutheißen“, meinte ein 63jähriger auf dem Rostocker Bahnhof. Eine 65jährige Rentnerin konterte: „Ich finde die Aktion in Ordnung. Schließlich muß etwas getan werden, wenn so viele auf die Straße gesetzt werden sollen.“ MARKE

taz. die tageszeitung vom 27. 11. 1990

Inland S. 3

MARKE

3898 Zeichen ~ ca. 104 Zeilen

Ausgabe 3271

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96 https://www.taz.de/!1742757/ 2/2 13.4.2018 Das Streikergebnis überzeugt nicht - taz.de Das Streikergebnis überzeugt nicht ■ Der Konflikt bei der Reichsbahn war ein Testlauf für zukünftige Auseinandersetzungen KOMMENTAR

emessen an den ursprünglichen Forderungen der G Eisenbahnergewerkschaft ist das Ergebnis des dreitägigen Streiks jämmerlich: Alles Entscheidende wurde vertagt. Dieses Ergebnis verrät, daß der Konflikt der letzten Tage von der Gewerkschaft gesucht wurde, ohne daß eigentlich inhaltliche Voraussetzungen für eine Lösung vorgelegen hätten. Jetzt erst stellt sich heraus: Es gibt noch gar keine tariflich festgelegte Lohnstruktur, auf der aufbauend Verhandlungen über die Lohnangleichung zwischen Ost und West geführt werden könnten. Sie soll nun bis zum Frühjahr geschaffen werden. Und das Kündigungsmoratorium bei der Reichsbahn bedeutet im Klartext, daß weder der Vorstand der Reichsbahn noch die Gewerkschaft bisher eine Vorstellung über konkrete Rationalisierungs- und Sanierungsschritte entwickelt haben. Man weiß überhaupt noch nicht, was kommen soll, also läßt man erst mal alles so wie es ist. Der Reichsbahnstreik ist also nicht wegen seiner materiellen Ergebnisse wichtig, auch wenn die Gewerkschaft die Bedeutung des halbjährigen totalen Kündigungsschutzes in den höchsten Tönen preist. Die Ergebnisse für jene, die sich in den letzten Tagen als Streikposten dem Zorn von Teilen der Bevölkerung ausgesetzt haben, ist eher enttäuschend, weil es sie eigentlich gar nicht gibt. Insofern werden viele Streikende sich nun fragen, was die Gewerkschaft mit ihrem überraschenden Streikaufruf bezweckt haben mag. Natürlich spielt dabei auch die offizielle Gewerkschaftsversion eine Rolle, wonach eine tarifpolitisch inkompetente Reichsbahnführung auf Trab gebracht werden mußte. Aber darüber hinaus war der Streik für die Gewerkschaft offensichtlich auch ein Test für ihre Mobilisierungsfähigkeit in den neuen Bundesländern, ein Probelauf mit einer für die westlichen Gewerkschaftsführer weitgehend unbekannten neuen Mitgliedschaft, die 40 Jahre lang nicht streiken durfte und nun unter völlig neuen Verhältnissen ihre Interessen erkennen und vertreten soll. Dieser Test ist der GdED zweifellos gelungen. Die Reichsbahner haben so effektiv gestreikt wie man sie bislang nie hat arbeiten lassen. Dies wurde durch den Umstand begünstigt, daß die Reichsbahn eben kein um das Überleben kämpfendes Privatunternehmen ist, sondern ein Staatsbetrieb, der nicht Pleite gehen kann. Streiks, zumal wenn die Bevölkerung davon negativ betroffen ist, können in aller Regel nicht mit dem Beifall der Öffentlichkeit rechnen. Das war auch diesmal so. Nur wenige Stimmen haben sich vom allgemeinen Chor der Empörung abgehoben, so die des SPD-Polikers Thierse. Er begrüßte den Ausstand der Reichsbahner als Versuch, die in den neuen Bundesländern grassierende Verunsicherung und Lethargie abzuschütteln, positiv für die eigenen Interessen einzustehen. Tatsächlich kann dies als wichtigstes Ergebnis der letzten Tage festgehalten werden. Streik ist immer auch ein Stück ziviler Ungehorsam, der Mut und Konfliktfähigkeit der 97 https://www.taz.de/!1742361/ 1/2 13.4.2018 Das Streikergebnis überzeugt nicht - taz.de Beteiligten fördert — allerdings nur, wenn er in Inhalt und Ergebnis überzeugen kann. Dieses Ergebnis überzeugt nicht. Die Verantwortung dafür trägt die Gewerkschaft. MARTIN KEMPE

taz. die tageszeitung vom 30. 11. 1990

Inland S. 10

MARTIN KEMPE

3208 Zeichen ~ ca. 67 Zeilen

Ausgabe 3274

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98 https://www.taz.de/!1742361/ 2/2 Fremdenhaß ist grenzenlos ■ Öffentliches Hearing zur Ausländerfeindlichkeit in der DDR in der Humboldt-Universität / Kritik an bisheriger Ausländerpolitik

„Polen sind faul, Tschechen sind dreckig und Vietnamesen kaufen uns die Nähmaschinen weg.“ So der Tenor von Leserbriefen an die 'Berliner Zeitung‘, aus denen die Journalistin Ruth Eberhard bei einem Hearing „Fremdenhaß“ der Humboldt-Universität in Ost-Berlin zitiert. Nachdem sich Mitte November einige hundert polnische Bürger um Übersiedlung in die DDR bemüht hatten, hagelte es solche Schreiben, berichtete Eberhard gestern vor etwa zweihundert StudentInnen. Eine Schreiberin erinnerte an die plombierten Züge, die Anfang diesen Jahrhunderts unerwünschte Personen durch das deutsche Territorium fuhren. Um den Aversionen gegen AusländerInnen entgegenzuarbeiten, hat sich der Arbeitskreis „Fremdenhaß“ an der Fakultät Ethnographie der Humbold- Universität gegründet. Von diesem ging die Initiative zu dem Hearing aus. Zur Sprache kommen an diesem Tag zum ersten Mal öffentlich auch die Probleme ausländischer Studenten, sogenannter „Mischehen“ und der Arbeitskräfte aus dem Ausland. Ghettoisierung, subtile Diskriminierungen und offene Feindschaft von Seiten deutscher Kleinbürger ist für viele AusländerInnen in der DDR Alltag. Vietnamesische Frauen dürfen nur unter der Bedingung in der DDR arbeiten, daß sie ihre Kinder zu Hause lassen. Kubanerinnen werden, sollten sie schwanger werden, so schnell wie möglich nach Hause geschickt. Harsche Kritik wurde an der bisherigen Ausländerpolitik der DDR- Regierung geübt. Sie habe junge und gesunde Arbeitskräfte ins Land geholt, um der Abwanderung der eigenen Werktätigen gen Westen zu begegnen. Die Ausländer seien unter unwürdigen Bedingungen untergebracht und auf den schlechtesten Arbeitsplätzen eingesetzt worden. Das sei eine versteckte Form der Ausbeutung. Ein indischer Journalist von „Radio Berlin International“ forderte eine liberalere Asylpolitik für die DDR. Kritik wurde auch geübt an der „Liga für Völkerfreundschaft“, deren Arbeit als unzureichend bezeichnet wurde. Dr. Stratmann vom neuen Amt für Nationale Sicherheit (früher Ministerium für Staatssicherheit) sprach sich dafür aus, daß die verbliebenen Mitarbeiter seiner Behörde verstärkt den Kampf gegen die rechte Ideologie, den Neonazismus und Ausländerfeindlichkeit in der DDR aufnehmen. Rüdiger Rosenthal

99 taz. die tageszeitung vom 6. 12. 1989

Inland S. 2

RÜDIGER ROSENTHAL

THEMEN DDR / Gesellschaft / Bevölkerung / Soziales 8311 Rassismus 39

2374 Zeichen ~ ca. 69 Zeilen

Ausgabe 2980

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100 27.2.2018 Betrieb in Gefahr, Stadt „auf der Kippe“, Belegschaft fordert:: Treuhand muß Premnitz eine Chance geben (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 11.12.1990 / Seite 1 Treuhand muß Premnitz eine Chance geben

Premmtz/Berlm. (ND-Staude) Vor dem Betriebstor protestierten am Montag Arbeiter und Angestellte der Märkischen Faser AG gegen eine mögliche Schließung des Werkes. Empörung unter der Belegschaft hatten von der Treuhand aufgegebene Annoncen ausgelöst, in denen an Geschäftsführung und Betriebsrat vorbei ein Käufer für den Betrieb gesucht worden war.

„Mit dem Protest wollen wir erreichen, daß am 21. Dezember, wenn in der Treuhand über unser Schicksal entschieden wird, die Entscheidung zugunsten des Werkes fällt“, sagte Betriebsratsvorsitzender Mathias Homann gegenüber ND. In die akuten Schwierigkeiten sei der Betrieb, der einst 75 Prozent seiner Produktion im Inland absetzte, mit dem Niedergang der ostdeutschen Textilindustrie geraten. „Man muß uns einfach die Chance geben, die Märkte neu zu erschlie-ßen“, sagte Homann.

Die Treuhand hatte dem Unternehmen für das 4. Quartal nur ei-

nen Teil des beantragten Kredits bewilligt, womit es am Rande der Zahlungsunfähigkeit ist. Eine Schließung würde rund 5 000 Chemiewerker arbeitslos machen, was auf Prerrmitz mit seinen rund 11000 Einwohnern verheerende Auswirkungen hätte. Betroffen wären aber auch Arbeitsplätze in Zulieferunternehmen wie dem PCK Schwedt.

Das von der Faser AG vorgelegte Sanierungskonzept erfordert bis 1993 einen Aufwand von 118 Millionen D-Mark. Diese auf den ersten Blick hohe Summe sei aber, so Homann, typisch für die kapitalintensive Chemieindustrie. Mit dem Geld ließen sich im Werk 2 500 Arbeitsplätze erhalten, die zukunftsträchtig seien und für die strukturschwache Premnitzer Region eine Entwicklungsbasis bieten würden.

An eine schnelle Privatisierung der Faser AG, wie von der Treuhand gefordert, sei vorläufig nicht zu denken, betonte auch Vor-

standsmitglied Jürgen Stieler. Es gebe zur Zeit keine Käufer. Erst müsse saniert werden. Dazu seien bereits alte Anlagen stillgelegt worden. Ziel sei es, die Produktion von Textil- auf technische Fasern umzustellen.

Für die Annoncenaktion hat sich die Treuhand, wie deren Sprecher

Wolf Schöde bestätigte, inzwischen bei der Faser AG entschuldigt. Allerdings will Schöde die Kritik an der Treuhand eingeschränkt wissen. Bei Premnitz seien beide Seiten nicht mit dem nötigen „Geschick“ vorgegangen. Es gehe nicht an, jetzt bei drohenden Konkursen der Treuhand den Schwarzen Peter zuzuschieben.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/287925.treuhand-muss-premnitz-eine-chance-geben.html

101 https://www.neues-deutschland.de/artikel/287925.treuhand-muss-premnitz-eine-chance-geben.html?action=print 1/1 102 Zeitungsartikel Streik und Proteste, 1991

103 104 105 106 28.4.2018 Post-Arbeitskampf beendet - taz.de Post-Arbeitskampf beendet

Frankfurt (dpa) — Der Tarifstreit bei der Post in Ostdeutschland um eine Einmalzahlung ist beigelegt. In einer Urabstimmung haben 72,4 Prozent der Mitglieder der Deutschen Postgewerkschaft (DPG) dem Einigungspaket zugestimmt. Von den rund 100.000 DPG-Mitgliedern hatten sich nach Angaben der Gewerkschaft vom Freitag in Frankfurt 70.504 an der Urabstimmung beteiligt. Der nach einem Streik gefundene Kompromiß sieht eine Einmalzahlung in Höhe von 900 Mark für 80 Prozent der etwa 126.000 Postbeschäftigten in der ehemaligen DDR vor. Für höhere Tarifgruppen wurden 650 vereinbart und für jedes Kind noch einmal 150 Mark als Teuerungsausgleich für 1990. In einem nächsten Schritt fordert die DPG, noch in diesem Jahr die Löhne und Gehälter auf 60 Prozent des westlichen Niveaus heraufzusetzen.

taz.am Wochenende vom 2. 2. 1991

Inland S. 6

THEMEN Bundesministerium / Verkehr 4219 Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Gewerkschaft-Post / DPG 152G

816 Zeichen ~ ca. 24 Zeilen

Ausgabe 3322

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107 http://www.taz.de/!1734269/ 1/1 108 27.2.2018 Büromaschinenwerk Sömmerda:: Für den Löwen nun der Gnadenschuß? (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 12.02.1991 / Seite 5 Für den Löwen nun der Gnadenschuß?

MICHAEL BAUFELD

„Wenn notwendig, lasse ich mich ans Betriebstor anketten“, sagte Holger Brandt, 28, Betriebsratsvorsitzender im Büromaschinenwerk Sömmerda. Am vergangenen Freitag forderten zweieinhalbtausend Büromaschinenwerker und Bürger der thüringischen Stadt Sömmerda den Erhalt des Industriestandortes. Die noch 10 600 beschäftigten des ehemaligen Robotron-Computerherstellers bangen um ihren Arbeitsplatz, das Unternehmen steht kurz vor dem Zusammenbruch. Und damit die ganze Region rund um die 24 000 Einwohner zählende Stadt.

Dabei ging im Büromaschinenwerk bislang vieles besser als in anderen ostdeutschen Unternehmen. Im vergangenen Jahr schrieb das Büromaschinenwerk dank sowjetischer Aufträge schwarze Zahlen. Kooperationen mit namhaften Computerherstellern und eigene Neuentwicklungen sollten die Wettbewerbsfähigkeit sichern. Die Unternehmensberater von Mc Kinsey erarbeiteten eine neue Struktur für den Sömmerdaer Betrieb. Die der Mangelwirtschaft geschuldete hohe Fertigungstiefe soll künftig durch die Ausgliederung ganzer Produktionsbereiche verringert werden.

Auch das alte Image von einer eher hausbackenen Mikroelektronik sollte gründlich übertüncht werden. Die Werbeagentur Dongpwski & Simon aus Stuttgart stylte'das neue Firmenlogo „Soemtron“ mit einem stilisierten Löwen, dem Thüringer Wappentier. Eine ganze Serie von Farbanzeigen wurde in deutschen Magazinen geschaltet, mit einem echten, treuherzig dreinblickenden Löwen – dem Vernehmen nach aus Hollywood – am Computerarbeitsplatz.

In der Betriebszeitung des Büromaschinenwerkes beruhigte vor dem Weihnachtsfest Vorstandssprecher Helmut Auge die Belegschaft: Die AG habe die Chance, mit Fleiß und persönlicher Einsatzbereitschaft der Mitarbeiter zu einem leistungsfähigen, anerkannten Unternehmen zu werden.

'' Doch Ende Januar dann war von Helmut Auge auf einer Belegschaftsversammlung anderes zu hören. Das Unternehmen steht am Rand der Pleite. Die Aufträge im Wert von über 100 Millionen DM, sichern gegenwärtig Arbeit für vier Wochen. Für das Überleben des Btiromaschinenwerkesy so Presse-

sprecher Eberhard Heinze, wäre ein Jahresumsatz von einer Milliarde Mark nötig. Die Geschäftsführung peilte schon einen Umsatz von lediglich 600 Millionen an. Nun landete man hart auf dem Boden der Realitäten.

Schon nach der Währungsunion deutete sich an: Auf dem deutschen Markt war Robotron „unten durch“, der Hauptgeschäftspartner Sowjetunion schlidderte immer mehr in die Krise, stornierte Verträge, zögerte mit Neuabschlüssen. Die Finanzlage des Sömmerdaer Unternehmens wird erschwert, weil auf Konten der schon aufgelösten Deutschen Außenhandelsbank noch immer 100 Millionen D-Mark aus den Transferrubel-Geschäften festsitzen. So mußte die Büromaschinenwerk AG jetzt erstmals um Liquiditätskredite bei der Treuhand bitten, inzwischen arbeiten zwei Drittel der Belegschaft kurz.

Die Büromaschinenwerker warfen jetzt ihrer Geschäftsführung vor, die Belegschaft über die finanzielle Situation im Unklaren gelassen zu haben. Und: Mit dem neuen Personalkonzept wird die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes 109 https://www.neues-deutschland.de/artikel/295465.fuer-den-loewen-nun-der-gnadenschuss.html?action=print 1/2 27.2.2018 Büromaschinenwerk Sömmerda:: Für den Löwen nun der Gnadenschuß? (neues-deutschland.de) konkret. Bis Ende des Jahres sollen 6 000 Leute gehen. Nur 1 600 können hoffen, in ausgegliederten Bereichen weiterzuarbeiten. Auch die in diesem Jahr auslernenden Jugendlichen gehen aus der Lehre in die Leere.

Die Stimmung im Werk ist gedrückt. Man schimpft auf alle und jeden, erwartet, irgendjemand wird noch kurz vor Ultimo die fertige Lösung präsentieren. Offensichtlich der Grund für den Sömmerdaer Landrat Rüdiger Dohndorf (CDU), den Aufsichtsrat der Büromaschinen AG zu verlassen. Er sei nicht gewillt, politische Verantwortung für das Büromaschinenwerk zu übernehmen, erklärte er einer Lokalzeitung. Betriebsrat Holger Brandt fordert Treuhand, Landes- und Bundesregierung auf, konkrete Wirtschaftskonzepte, Strukturförderpläne für Thüringen vorzulegen. Für den Golfkrieg gebe man Milliarden aus, doch die Ossis müßten warten, sagte er. Die Büromaschinenwerker werden sich gegen das Sterben des Industriestandortes Sömmerda wehren. Der Protest am vergangenen Freitag war ein erstes Signal. Wir wollen nicht wie die Eisenacher übern Tisch gezogen werden, sagte ein Arbeiter.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/295465.fuer-den-loewen-nun-der-gnadenschuss.html

110 https://www.neues-deutschland.de/artikel/295465.fuer-den-loewen-nun-der-gnadenschuss.html?action=print 2/2 20.4.2018 WirtschaftsNotizen - taz.de WirtschaftsNotizen P roteste bei Zeiss gegen Untergangskonzept Jena. Die Beschäftigten der Jenoptik Carl Zeiss Jena GmbH dürften nicht länger Spielball der Mächtigen in Politik und Wirtschaft bleiben. Das erklärte Ralf Tänzer, zeitweilig beauftragter Vorsitzender der IG Metall in der Saalestadt, am Mittwoch in Jena vor 10.000 bis 15.000 Teilnehmern einer Protestkundgebung, die symbolisch 5 vor 12.00 Uhr begann und sich gegen ein „Untergangskonzept“ für den renommierten Betrieb richtete. Unter starkem Beifall warf Tänzer einer „vor Unfähigkeit strotzenden“ thüringischen Landesregierung vor, im Hinblick auf das Schicksal Jenas gegenüber Treuhand und Bundesregierung weder Stand noch Durchsetzugsvermögen zu beweisen. Als nach dem Statut Verantwortlicher für die Carl Zeiss Stiftung Jena müsse sich der Ministerpräsident an die Spitze der Aktionen zur Rettung des international bedeutenden Standortes feinmechanisch-optischer Industrie stellen. Durch separate Absprachen zwischen der Treuhand Berlin und dem Zeiss- Unternehmen in Oberkochen bestehe die akute Gefahr, daß Zeiss Jena — von 27.500 auf bestenfalls 2.700 Beschäftigte „geschrumpft“ — zur verlängerten Werkbank des früheren Konkurrenzunternehmens verstümmelt werde. Die Teilnehmer der Kundgebung verabschiedeten eine Resolution, in der unter anderem die Übernahme von insgesamt 51 Prozent der Gesellschaftsanteile durch die Jenaer Carl Zeiss Stiftung verlangt wird. Das solle die volle Einflußnahme der Landesregierung in den Werken der Jenoptik Carl Zeiss GmbH sichern. Gegenwärtig werden noch 80 Prozent von der Treuhandanstalt Berlin gehalten. ADN

taz. die tageszeitung vom 15. 2. 1991

Inland S. 27

1611 Zeichen ~ ca. 52 Zeilen

Ausgabe 3333

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111 http://www.taz.de/!1732362/ 1/2 22.4.2018 Schiffbauer und Metaller gehen auf die Straße - taz.de Schiffbauer und Metaller gehen auf die Straße ■ Protestversammlung in Boizenburg/ Besetzung bei EPW-Neuruppin/ Schiffbauer von Rostock bis Wismar, Metaller in Sachsen: Für die Metallindustrie war gestern ein Tag des Protestes gegen drohende Arbeitslosigkeit und für 65 Prozent des West-Lohnes

Schwerin/Chemnitz. Punkt 9.00 Uhr rief die Werkssirene die 1.200 Boizenburger Werftarbeiter gestern zur Kundgebung der IG Metall gegen das Sterben der größten Binnenwerft in der Ex-DDR. Es war die erste von zahlreichen Veranstaltungen am Aktionstag der Gewerkschaften, die auf die Misere im Schiffbau, aber auch in der Land- und Ernährungswirtschaft von Mecklenburg-Vorpommern aufmerksam machen. In der Kleinstadt an der Elbe wäre vom Aus der Werft jede zweite Familie betroffen. Viele Bürger finden nur als Pendler in Orten benachbarter alter Bundesländer neue Arbeit, denn auch das strukturbestimmende Boizenburger Fliesenwerk muß Arbeitsplätze abbauen. So solidarisierten sich am Aktionstag nicht nur Beschäftigte dieses Betriebes mit den Werftarbeitern, auch die des Fleischkombinats und des Kindergartens gingen auf die Straße. Insgesamt nahmen rund 2.000 an der Kundgebung vor dem Werfttor teil. „Unsere wichtigste Forderung heute ist es, hier Arbeit zu haben, um hier leben zu können“, so Hans- Heinrich Bresch von der IG Metall. „Die Spezifik Boizenburgs liegt darin, daß hier seit 1973 nur Binnenfahrgastschiffe für die Sowjetunion gebaut werden.“ Die Neuruppiner Elektro-Physikalische-Werke AG (EPW) ist seit Dienstag von der Belegschaft besetzt. Damit wehren sich die 2.480 Metaller gegen ihre drohende Entlassung zum 30.Juni. Um den drohenden Konkurs zu vermeiden, wird jedoch weitergearbeitet. Mit der Aktion fordert die Belegschaft zugleich die Gründung einer Qualifizierungsgesellschaft. Den Arbeitern „ist klar, daß das Werk in dieser Struktur nicht zu halten ist. Wir fordern aber praktikable Lösungen, um den Menschen eine Perspektive zu bieten.“ In ganz Mecklenburg-Vorpommern gingen gestern die Arbeitnehmer der Schiffbauindustrie auf die Straße, um für den Erhalt ihrer Branche zu demonstrieren. Mit diesem Aktionstag geht es ihnen nicht um den Erhalt der Werften schlechthin, sondern um die insgesamt sehr stark maritim geprägte Wirtschaftsperspektive des nordöstlichen Bundeslandes. Ihrer Forderung nach einem von Bundes- und Landesregierung unterstützten Sanierungskonzept wollen daher die Schiffbauer von Rostock, Warnemünde, Stralsund und Wismar gemeinsam mit ihren Zulieferern, beispielsweise aus Schwerin, Ückermünde, Demmin und Neustrelitz, Ausdruck verleihen. Der Vorstand der Deutschen Maschinen- und Schiffbau AG (DMS) wird am Freitag bei der Treuhand in Berlin ein Programm zur Rettung der Schiffbaustandorte Rostock, Wismar und Stralsund vorlegen und entsprechende Unterstützung erwirken.

112 http://www.taz.de/!1731439/ 1/3 22.4.2018 Schiffbauer und Metaller gehen auf die Straße - taz.de Auch in Sachsen waren Tausende Metaller von ihrer Gewerkschaft aufgerufen worden, für den Erhalt der Industriestruktur, der Arbeitsplätze und Ausbildungswerkstätten, die Streichung der Altschulden, eine zügige Arbeit der Treuhand und gegen einen billigen Ausverkauf der ostdeutschen Betriebe auf die Straße zu gehen. „Die Sachsen müssen endlich anfangen, sich gegen die Willkür der Treuhand und profitsüchtiger Wessis zu wehren“, charakterisierte Sieghard Bender, derzeitiger Geschäftsführer der IG Metall Chemnitz, den Grundgedanken der Kundgebung, die vor dem Chemnitzer Arbeitsamt stattfinden sollte. Mit dem 1.Juli 1991 laufen die Tarifverträge und damit der Kündigungsschutz für 40.000 Metaller der Städte Chemnitz, Stollberg und Rochlitz aus. In Dessau begann gestern die 4. Runde der 91er Tarifverhandlungen für die Metallindustrie in Sachsen-Anhalt. Wie Claus Matecki von der IG Metall Magdeburg sagte, könne man gar nicht von Verhandlungen reden, da die Arbeitgeberseite immer noch kein Angebot vorgelegt habe. Unzufrieden hat sich die IG-Metall über die siebente Runde der Tarifverhandlungen für die 70.000 Beschäftigten der Metall- und Elektro- Industrie von Mecklenburg-Vorpommern geäußert. Die IG Metall fordert für die rund 230.000 Beschäftigten dieser Branche in Sachsen-Anhalt eine Anhebung der Löhne und Gehälter auf 65 Prozent des niedersächsischen Niveaus. Tausende Beschäftigte der Mansfeld AG, der Walzwerk Hettstedt AG und des Hettstedter Kraftverkehrs waren am Dienstag in Hettstedt dem Aufruf von Gewerkschaften und Betriebsräten zu einer Kundgebung gegen das drohende Aus des Mansfelder Industriegebietes gefolgt. Spekulationen der letzten Wochen um die mögliche Schließung der Kupfer- Silber-Hütte, die das Aus für knapp 2.000 Beschäftigte der Mansfeld AG bedeuten würde, hatten das Faß zum Überlaufen gebracht. Insgesamt 3.000 Bergleute und 800 Hüttenwerker wurden bereits entlassen, die Beschäftigtenzahl der Mansfeld AG droht von einst 20.000 auf 13.000 zu schrumpfen. ADN

taz. die tageszeitung vom 21. 2. 1991

Inland S. 32

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Ausgabe 3338

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KONTAKT TAZ.ARCHIV-RECHERCHE-INFORMATION 113 http://www.taz.de/!1731439/ 2/3 28.4.2018 Kein Ergebnis bei Tarifverhandlungen - taz.de Kein Ergebnis bei Tarifverhandlungen ■ Protestaktionen in mehreren Metallbetrieben/ Lohnverhandlungen auch für den Einzelhandel

Berlin. IG-Metall-Bezirkschef und Ex-Arbeitssenator Horst Wagner zeigte sich von den Unternehmern »tief enttäuscht«. Die vierte Runde der Lohn- und Gehaltstarifverhandlungen für die Metallindustrie in Ost- Berlin und Brandenburg ist gestern ohne Ergebnis vertagt worden. Die Arbeitgeber hätten in der rund dreistündigen Verhandlung kein akzeptables Angebot vorgelegt, erklärte die IG Metall. Die Gewerkschaft fordert für die rund 250.000 Metallbeschäftigten der Region die schnellstmögliche Angleichung der Löhne und Gehälter an Westniveau. Als erster Schritt sollten die tariflichen Jahreseinkommen vom 1. April an auf 65 Prozent der vergleichbaren Westeinkommen steigen. Für die Auszubildenden wird ein Weiterbeschäftigungsanspruch für mindestens sechs Monate nach Abschluß der Lehre angestrebt. Vor dem Verhandlungsort am Schillertheater versammelten sich gestern morgen Belegschaftsabordnungen aus mehreren metallverarbeitenden Betrieben. Nach Angaben der Gewerkschaft kam es auch in Oranienburg, Neuruppin und Henningsdorf zu betrieblichen Aktionen. In Finsterwalde habe die Belegschaft eines Maschinenbauunternehmens die Fernstraße 96 vorübergehend blockiert. Für die rund 100.000 Arbeitnehmer der Westberliner Metallindustrie sollen demnächst ebenfalls Tarifverhandlungen beginnen. Die Verhandlungen über die Ostverträge sollen am 1. März weitergeführt werden. Am Müggelsee führte gestern auch die Gewerkschaft HBV die Lohn- und Manteltarifverhandlungen für rund 600.000 Einzelhandelsbeschäftigte in den neuen Ländern und Ost-Berlin weiter. Die Gewerkschaft fordert spätestens ab Januar 1992 gleichen Lohn für gleiche Arbeit in Ost und West. Derzeit erhalten die Ostarbeitnehmer 55 Prozent der Westbezüge und gehören mit einem Durchschnittslohn von rund 1.250 Mark brutto zu den schlechtbezahltesten in den neuen Bundesländern. Falls die Verhandlungen scheitern sollten, droht nach Ansicht der Gewerkschaften ein Streik im ostdeutschen Einzelhandel. AKU

taz. die tageszeitung vom 22. 2. 1991

Inland S. 25

AKU

THEMEN Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Metallindustrie 1311

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Ausgabe 3339

114 http://www.taz.de/!1731134/ 1/2 115 27.2.2018 Metall-Gewerkschafter: „Uns reißt bald die Geduld' (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 01.03.1991 / Seite 1 Metall-Gewerkschafter: „Uns reißt bald die Geduld' Berlin/Potsdam/Schwenn

(ND/ADN). Mit Warnstreiks und öffentlichen Aktionen haben am Donnerstag viele Tausend Arbeitnehmer der Metall- und Elektroindustrie im Ostteil Berlins und in den Ländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ihre Forderung nach sozial gerechten Tarif abschlüssen untermauert.

In Berlin zogen rund 3 000 Kurzarbeiter beim Werk für Fernsehelektronik auf die Straßenkreuzung Leninallee/ Ho-Chi- Minh-Straße und blockierten den Verkehr. Auch in Köpenick/Oberschöneweide trafen sich mehrere Tausend Metaller zum Kampf um ihre Arbeitsplätze. Die Belegschaften des Babelsberger Maschinenbaubetriebes, der Eberswalder Fahrzeugausrüstung GmbH, der Zahnradwerke und weiterer Betriebe in Pritzwalk verlangten von den Unternehmern, sich endlich zu bewegen. Vor dem besetzten Elektrophysikalischen Werk Neuruppin demonstrierten 400 Arbeitnehmer.

Rund 1000 Mitarbeiter der Frankfurter Halbleiterwerk

GmbH, der Prolux GmbH und der Stahlleichtbau GmbH versammelten sich vor dem Rathaus, um für die heutige Tarifrunde ein Zeichen zu setzen. Unterstützung sie durch eine Abordnung der EKO Stahl AG. Dort hatten bereits in den Morgenstunden rund 400 Vertrauensleute des Standorts Eisenhüttenstadt einen schnellen Tarifabschluß gefordert. Auf der Kundgebung in Frankfurt (Oder) äußerte ein Vertreter des hiesigen IG Me-

tall-Büros die Vermutung, die Arbeitgeber versuchten die Verhandlung solange hinauszuzögern, bis die nicht zu vermeidenden Massenentlassungen unmittelbar bevorstünden, um so die Kampfkraft der Gewerkschaften zu schwächen. IG-Bezirksleiter Horst Wagner dazu: „Unsere Mitglieder wollen endlich wissen, wann ihre Löhne angeglichen werden. Sonst reißt ihnen bald die Geduld.“

Ihren Protest über die inzwischen acht ergebnislos verlaufenen Tarifrunden zwischen IG Metall und Arbeitgebern bekundeten in Rostock 4 000 Metallarbeiter der Neptun- und der Warnowwerft sowie von Schiffbauzulieferbetrieben. Sie fordern 65 Prozent der in Schleswig-Holstein gültigen Tarife. In Schwerin blockierten die aufgebrachten Arbeiter des Klement-Gottwald-Werkes die Fernverkehrsstraße nach Wismar.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/297545.metall-gewerkschafter-buns-reisst-bald-die-geduld.html

116 https://www.neues-deutschland.de/artikel/297545.metall-gewerkschafter-buns-reisst-bald-die-geduld.html?action=print 1/1 22.4.2018 Leipziger Montagsdemonstranten sind wieder da - taz.de Leipziger Montagsdemonstranten sind wieder da ■ IG Metall bringt 25.000 DemonstrantInnen gegen Arbeitslosigkeit in der sächsischen Metropole auf die Straße

Leipzig (dpa/taz) — Mehr als 25.000 Menschen trugen am Montag in Leipzig ihren Protest gegen Arbeitslosigkeit und sozialen Abstieg auf die Straße. Auf der traditionellen Route vom Herbst 1989 gingen die Demonstranten nach einem Aufruf der IG Metall unter dem Motto „Leipzig macht Druck auf Bonn“ über den Ring. Ihre Forderung war vor allem, „Beschäftigung finanzieren, statt Arbeitslosigkeit verwalten“. Künftig sollen wieder jeden Montag Demonstrationen in Leipzig stattfinden, um sich „mit den Füßen gegen die Politik der Treuhand-Anstalt“ zu wehren und den Bonner Politikern die Dramatik der Entwicklung in den neuen Bundesländern ins Bewußtsein zu rufen. Auf einer Kundgebung auf dem Augustusplatz, die der Demonstration auf dem Ring um Leipzigs Innenstadt vorausging, stellte der IG- Metall-Sprecher Jochen Kletzin fest: „Offensichtlich reicht der Stimmzettel nicht aus.“ Jetzt müsse durch Demonstrationen Druck auf Bonn gemacht werden. Betriebsräte der Region forderten: „Keine Kündigungen in diesem Jahr“. Notfalls solle die Kurzarbeit verlängert werden. Sanierung soll vor Entlassung gehen. In der Metallindustrie Sachsens sieht es nicht viel anders aus als überall in Ostdeutschland. Nach den vorliegenden Sanierungskonzepten wird jeder zweite Arbeitsplatz verlorengehen. „Hinter den anderen steht ein großes Fragezeichen“, stellt Kletzin die verzweifelte Situation der Arbeitnehmer dar. Dabei säßen immer noch dieselben Leute in den Geschäftsleitungen wie früher, meinte einer der Redner. „Die Revolutionäre von 1989 dürfen nicht die Arbeitslosen von 1991 werden“, rief er unter dem Beifall der Menge. Immer wieder wurden auf der Kundgebung öffentliche Investitionen verlangt. Betriebswirtschaftliche Lösungen seien in der Ex-DDR nicht möglich. Gejohle begleitete die Aufforderung von Peter Sucks, Betriebsrat im Werkzeug-Prüfmaschinenwerk WPM, an Bundeskanzler Kohl, nach Leipzig zu kommen und jetzt noch einmal zu „seinen lieben Leipzigern“ zu sprechen. Rufe wie „Kohl — Lügner!“ wurden laut. Was hier derzeit ablaufe, gleiche einem „Schlachtplan“, aber keinem Einstieg in die soziale Marktwirtschaft. Nur wenn der Bund Verantwortung für den Aufbau der Infrastruktur und die Beseitigung der Altlasten übernehme, sei ein wirtschaftlicher Aufschwung denkbar. Transparente wie „Sanieren statt Planieren“ oder „von der SED beschissen — von der CDU verkohlt“ prägten das Bild der Demonstration. Die Metaller kündigten bei ihrem Demonstrationszug über den Ring an, die Proteste allmontäglich zusammen mit den Betroffenen aus anderen Bereichen forzusetzen. „Das ist erst ein Anfang!“, rief der Gewerkschaftssekretär Wolfgang Misol. Notfalls werde man sogar einen Zug nach Bonn organisieren.

117 http://www.taz.de/!1728167/ 1/3 22.4.2018 Leipziger Montagsdemonstranten sind wieder da - taz.de Die IG Metall in Leipzig hat mit ihrer Demonstration bewußt an die Tradition der Montagsdemonstrationen angeknüpft, mit denen die Menschen in Leipzig im Herbst 1989 die Wende erkämpft haben. Denn sie hat sich in den letzten Monaten des Neuaufbaus der Gewerkschaftsorganisation im Großraum Leipzig bewußt von den alten gewerkschaftlichen Strukturen des FDGB abgesetzt und versucht, möglichst neue, unbelastete Leute aus dem Umkreis der Bürgerbewegungen in die Betriebsräte zu holen. Schon im letzten Jahr hatte sich ein Unterstützerkreis von aktiven Gewerkschaftern gebildet, von denen viele aus dem Spektrum der Bürgerbewegungen kommen. Die Leipziger Verwaltungsstelle der IGM ist mit inzwischen über 60.000 Mitgliedern eine der größten in den neuen Bundesländern. Allerdings rechnen die Gewerkschafter mit der Möglichkeit, daß es wieder weniger werden. Im Arbeitsamtbezirk Leipzig wurden im Februar 41.700 Arbeitslose und knapp 100.000 Kurzarbeiter gezählt, viele davon aus dem Metallbereich. Auf Grund der Diskussion in der Verwaltungsstelle Leipzig über die Notwendikgeit einer strikten Trennung zur alten DDR-Gewerkschaft hatte die IG Metall sich insgesamt für einen völligen Neuaufbau in den neuen Bundesländern entschieden. STEFAN SCHWARZ/MARTIN KEMPE

taz. die tageszeitung vom 13. 3. 1991

Inland S. 5

ST.SCHWARZ/M.KEMPE

THEMEN Arbeitslosigkeit / Sachsen 127SN Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Gewerkschaft-IG-Metall 152M Metallindustrie 1311

4100 Zeichen ~ ca. 119 Zeilen

Ausgabe 3355

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118 http://www.taz.de/!1728167/ 2/3 119 22.4.2018 Nur die Tiefe der Scheiße ändert sich - taz.de Nur die Tiefe der Scheiße ändert sich ■ Schwarze Fahnen in Cottbus und Löbau/ In Chemnitz Protest vor dem Marx-Denkmal

Cottbus/ Chemnitz/ Löbau. Schwarze Fahnen wehten auf der Cottbusser Montagsdemonstration als Zeichen der Empörung über das Sterben der Textilindustrie. Von den 12.500 Arbeitsplätzen in der Region ist die Hälfte akut gefährdet. Massenentlassungen gab es im Textilkombinat Cottbus (tkc), den Tuchfabriken Cottbus und Forst, der Gubener Wolle, Feintuch Finsterwalde und Gubener Hüte. Die Spree Tex GmbH ging in Konkurs. Brandenburgs Arbeitsministerin Regine Hildebrandt sprach sich vor mehreren tausend Cottbussern für den Erhalt der Industriestandorte aus, selbst wenn sich die Zahl der Beschäftigten in diesem traditionellen Zweig erheblich verringern werde. Betriebsgelände, deren Infrastruktur und Umgebung saniert werden, sollten durch ABM-Kräfte für die Neuansiedlung von Industrie attraktiv gemacht werden. Mehrere Redner auf der von der IG Textil und Bekleidung organisierten Kundgebung erinnerten daran, daß Kanzler Kohl im Vorjahr auch in Cottbus versprochen hat, keinem werde es nach der Einheit schlechter gehen. Die derzeitige Stimmungslage vieler verdeutlichten dagegen Losungen wie: „In der Scheiße standen wir schon immer, nur die Tiefe ändert sich ständig“. In Chemnitz versammelten sich am Montag nachmittag Tausende Mitglieder der Gewerkschaft Textil/ Bekleidung (GTB) und Sympathisanten vor dem Marx-Denkmal. In der südwestsächsischen, als Hauptstandort der Branche in den neuen Bundesländern geltenden Region ist bereits jetzt nahezu jeder zweite Beschäftigte des Industriezweiges — etwa die Hälfte der rund 140.000 Textil- und Bekleidungsarbeiter der Ex-DDR waren hier bisher tätig — ohne Arbeit. Ihren Sorgen um die Zukunft der Region gaben zur gleichen Zeit auch 10.000 Beschäftigte und Kurzarbeiter aus der Oberlausitzer Textil- und Bekleidungsindustrie Ausdruck. Hier ist mit dem Sterben der Branche der Exodus aus der als „Brücke in den Osten“ bezeichneten Region zu erwarten, machten die Kundgebungsteilnehmer unter schwarzen Fahnen auf dem Markt in Löbau deutlich. Sie forderten vom Biedenkopf-Kabinett in Dresden und von der Treuhand ein Regionalförderprogramm analog dem, das seinerzeit als Zonenrand-Förderung installiert worden war. Die Montagsdemonstration in Leipzig, zu der Bürgerbewegungen und IG Metall aufgerufen hatten, war eine der größten der letzten Monate. ADN

(Siehe dazu unseren Bericht im vorderen Teil dieser Zeitung.)

taz. die tageszeitung vom 20. 3. 1991

Inland S. 28

2477 Zeichen ~ ca. 71 Zeilen

Ausgabe 3361

120 http://www.taz.de/!1727298/ 1/2 121 22.4.2018 Hinter dem Chaossteckt Methode - taz.de Hinter dem Chaossteckt Methode Montagsdemos gegen die Politik der Treuhand und für Arbeitsplätze in zahlreichen ostdeutschen Städten wie Eisenhüttenstadt, Dresden, Jena, Chemnitz, Magdeburg und Berlin angekündigt ■ Aus Erfurt René Radix

Wir schreiben den 1.März 1990. Die Regierung Modrow liegt in den letzten Zügen. Auf Antrag der Bürgerbewegung verabschiedet die Volkskammer das Treuhand-Gesetz. Die Anstalt, so wollten es die Abgeordneten, sollte die Anteilsrechte der Bevölkerung an dem durch sie geschaffenen Eigentum sichern. Gut ein Jahr demonstrieren die Ostdeutschen zu Tausenden gegen die arbeitsplatzvernichtende Politik der Treuhand und ihrer Bonner Kolonialherren. Die Stimmung ist auf einem Siedepunkt angelangt, meint ein Thüringer Gewerkschafter. Allein am Donnerstag vergangener Woche standen über 100.000 Menschen auf dem Erfurter Domplatz [siehe taz, 23.03., Seite 6], die besagte Politik nicht länger ertragen wollen. Die Losungen für den 1.Mai könnten nicht besser sein als die von Erfurt: „Wir sind das Volk“; „Ostermarsch nach Bonn“; „Wahlbetrüger zurücktreten“; „Treuhand, der Tod ist Dein Beruf“; „Wir brauchen Arbeit, Bananen und Kohl haben wir jetzt genug“; „Weg mit der Treuhand und allen, die an unserer Verarmung verdienen“; „Kein Vertrauen in die Politiker“; „Außen Kohl und innen hohl“; „Vereint, verarscht, verarmt“. Die gegenwärtige Situation kommt nicht von ungefähr: Schon bald nach Verabschiedung des besagten Gesetzes über die Treuhand war der ursprüngliche Auftrag der Anstalt bereits vergessen. Die Zeichen standen auf Privatisierung. Das Wort „Sanierung“ verkümmerte zu bloßen Lippenbekenntnissen der gesamtdeutschen Wendepolitiker. Heute hat sich die Treuhand — allein der Immobilienbesitz wird auf 125 bis 250 Milliarden Mark geschätzt — zur meistgehaßten Behörde in den neuen Bundesländern aufgeschwungen. Privatisiert, liquidiert, abgewickelt: Hintern den neuerlichen Bestsellern deutschen Sprachschatzes verbergen sich Hunderttausende Einzelschicksale. Mit 1,2 Millionen Arbeitslosen bei 1,8 Millionen Beschäftigten rechnen die Thüringer Gewerkschaften im Sommer, so ihr Landesbevollmächtigter Wolfgang Erler. Als „Verkaufsagentur und Schlachthof“ bezeichnete IG-Metall-Chef Steinkühler die Treuhand. In der Nähe einer kriminellen Vereinigung sehen sie Gewerkschafter vor Ort. Abwicklung der Abwicklungsanstalt fordern gar einzelne Freidemokraten — wenn auch mit anderer Interessenlage. Beispiele für die sinnlose Betriebszerstörung gibt es genug. Da macht das Bundesland Thüringen keine Ausnahme. Seit zwei Wochen haben die ArbeiterInnen der Ermic ihren Betrieb symbolisch besetzt. 8.000 Menschen beschäftigte seinerzeit der Musterbetrieb der Mikroelektronik. Heute sind es noch 6.700. Über die Hälfte sind auf null Stunden Kurzarbeit gesetzt. Am 14. Januar hatte die Geschäftsführung des ehemaligen Vorzeigeunternehmens in Zusammenarbeit mit westdeutschen Unternehmensberatern der Treuhand ein Sanierungskonzept vorgelegt. 129 Millionen Mark hätte die Sanierung gekostet, 2.735 ArbeitnehmerInnen ihren 122 http://www.taz.de/!1726578/ 1/3 22.4.2018 Hinter dem Chaossteckt Methode - taz.de Arbeitsplatz behalten. „Wir könnten ab 1993 schwarze Zahlen schreiben, aber die Anstalt ist nicht bereit, die Subventionen bereitzustellen“, erbost sich Betriebsrat Siegfried Rudolf (35). Die Treuhand hat inzwischen ihr eigenes Konzept vorgelegt. Ganze 600 Arbeitsplätze werden bei ihrer Variante gesichert. 1.200 Beschäftigte sollen in ausgelagerten Betriebsteilen arbeiten, doch das ist vorerst Zukunftsmusik. „Wenn alle entlassen werden sollten, wird der Betrieb richtig besetzt“, droht das Besetzerkomitee. Bei der Graf von Henneberg GmbH, einem Porzellanbetrieb aus Ilmenau, sieht es ähnlich aus: Das Sanierungskonzept für den Betrieb fand bei Rohwedders Mannschaft zunächst Anklang, doch den notwendigen Investitionskredit wollte die Behörde dafür nicht lockermachen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang noch einmal an den „Fall“ der Wartburg-Werke in Eisenach. Ohne Geschäftsführung und Betriebsrat verständigt zu haben, beschloß die Treuhand, am 31. Januar das Aus für den Eisenacher Traditionsbetrieb. Massive Proteste der AWEler schoben das Ende für das Werk nur um drei Monate hinaus. Bald werden 4.000 Beschäftigte und 35.000 aus der Zulieferindustrie für immer nach Hause gehen. Dabei hatte die Geschäftsleitung ein Gutachten der Commerzbank in der Tasche, demzufolge der Betrieb bis zum Beginn der Opel-Produktion im nächsten Jahr hätte überleben können... Die „einsamen Entscheidungen“ der Treuhandanstalt am Berliner Alexanderplatz scheinen die Regel zu sein: So hatte die Geschäftsführung des Hochfrequenzwerkes Meuselwitz einen Konkursantrag gestellt, die Treuhand Gera wollte jedoch den Betrieb weiterführen. Aber die Allgewaltigen vom Alex hoben die Entscheidung der Geraer auf. Seit vergangenen Montag herrscht nun der Liquidator über das Schicksal der 300 Beschäftigten. Drittes Beispiel: Schon im vergangenen Sommer stand das Sanierungskonzept für die „Erfurter Gaststätten GmbH“. Die Geschäftsführung hätte 1.200 der 1.700 Beschäftigten halten können. Es gab auch Investoren für die großen Objekte. Die Berliner winkten ab. Die Treuhand bestellte Geschäftsführer Littmann als Liquidator des eigenen Betriebes. Jetzt werden erst einmal die kleinen Kneipen verpachtet, jedoch nur für zwei Jahre. Und die Pächter müssen die Sozialpläne erfüllen. Ein heikler Punkt, mit dem sich die Anstalt möglicherweise wäschekörbevoll Prozesse an Land ziehen könnte, für die Pächter winkt bereits heute das (fast) sichere Aus. Die Treuhand ist im Abkassieren Weltmeister, Verpflichtungen haben sie gar nicht gern. Thermoplast Schwarzhausen, Elektro- und Kunststoffe Gotha, Arnstadt Kristall, Knopffabrik Frankenhausen: „Ich könnte die Liste der Verweigerungshaltung beliebig fortsetzen“, seufzt die Gewerkschafterin Hildegard Seidler. Obwohl die Regierung de Maiziére die Bereitstellung der Mittel für Sozialpläne per Gesetz festschrieb, stellt sich die treuhänderische Behörde stur. Was aus den großen Gaststätten wird, weiß derzeit niemand zu sagen. „Jeder hat hier panische Angst“, meint die Betriebsrätin Eva-Maria Schulz vom Erfurter „Hotel Stadt Moskau“. Auch der „Lebensmittel-Handel Elm“ in Erfurt bekam nie eine Chance, sich zu profilieren. Die Treuhand „entflechtet“, schafft aber in Wirklichkeit viel 123 http://www.taz.de/!1726578/ 2/3 22.4.2018 Hinter dem Chaossteckt Methode - taz.de größere Monopole. Bodo Ramelow von der HBV- Thüringen: „Hinter dem scheinbaren Chaos steckt Methode. Hier werden zur Zeit riesige Handelsmonopole zusammengeschweißt.“ Frei nach der Devise: die Filetstücke für Edeka und Rewe, die Brosamen für die Ossis. Die werden dann wohl relativ schnell ins Gras beißen müssen. So machten bei Läden mit Verkaufsflächen unter 100 Quadratmetern zu Dreivierteln die Ossis das Rennen, bei über 100 war es genau umgekehrt...

taz. die tageszeitung vom 25. 3. 1991

Inland S. 22

RENE RADIX

6716 Zeichen ~ ca. 199 Zeilen

Ausgabe 3365

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124 http://www.taz.de/!1726578/ 3/3 27.2.2018 Zehntausende auf Demos „aufgewaigelt und unverblühmt“:: Bundeskanzler weg – Neuwahlen! (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 26.03.1991 / Seite 1 Bundeskanzler weg – Neuwahlen!

Der Ton wird schärfer auf den.Montagsdemonstrationen in ostdeutschen Städten. In Leipzig, Berlin, Eisenhüttenstadt, Rostock Wolgast und Zwickau erhoben die Demonstranten Protest gegen wirtschaftlichen Niedergang und offensichtlichen Wahlbetrug der CDU/FDP-Koalition.

LEIPZIG (ND-Jäger). „Lieber Kohl los als arbeitslos – Neuwahlen jetzt“ war auf Plakaten ebenso zu lesen wie „Treuhand – die größte Mafiabande seit AI Capone“ und „Aufgewaigelt, Uhverblühmt, Verkohlt“ Zorn und Unmut der mehr als 80 000 Leipziger Montagsdemonstranten waren weder zu übersehen noch zu überhören. IG Metall-Chef Franz Steinkühler gab Bundeskanzler Kohl die politische und Bundesfinanzminister Waigel die wirtschaftliche Verantwortung für das Desaster, das mit der Vereinigung Deutschlands im östlichen Teil entstanden sei. Das seien ausreichende Gründe, um ihnen ihr Amt zu nehmen. Steinkühler verlangte die Novellierung des Treuhandgesetzes, das der Sanierung der Betriebe den Vorrang vor der Privatisierung einräumt. Klaus Grehn, Präsident des Arbeitslosen-Verbandes Deutschland e. V., griff den am Montag voriger Woche an gleicher Stelle von Werner Schulz, Bündnis 90/Grüne, unterbreiteten Vorschlag zu einem Sternmarsch

auf Bonn auf. Dieser solle am Tag der Arbeit, dem 1. Mai, stattfinden, rief er unter dem Beifall der Zuhörer aus. Sein Verband wolle ein Vorbereitungskomitee initiieren. Ausgepfiffen wurde der Leipziger Oberbürgermeister Lehmann-Grube, SPD, der die Bundesregierung in Schutz zu nehmen versuchte.

BERLIN (ND-General). Kohl, komm nach Berlin! war die zentrale Forderung von rund 4000 Menschen auf der Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz buchstäblich unter den Fenstern der Treuhandanstalt. Vor den die Kundgebung beherrschenden Losungen wie „Hat die Treuhand alles planiert, ist das Kapital saniert!“, „Bundesregierung abwickeln!“, „Helmut, komm' raus aus Bfonn-Wandlitz – in Ostberlin gibts fette Vorruhestandsgelder!“ eröffnete Reinhard Schult, Neues Forum, die Bürgerversammlung. Mehrere Redner warfen der Bonner Regierung vor, kein Konzept für die neuen Bundesländer zu haben. Ingrid Koppe, Bundestagsabgeordnete,

Bündnis 90 /Grüne, hatte als erste Rednerin klargestellt, daß nach ihrer Bonn-Erfahrung in der Tat aus der fernen Bundeshauptstadt die Situation in der Ex-DDR nicht erkannt werden könne. Soziale Unsicherheit sei im Osten Deutschlands Realität. Bundestagsabgeordnete Petra Bläss, UFV, sprach sich für einen Sternmarsch nach Bonn aus, wo die „wahren Wahlbetrüger“ sitzen, „damit Sie sehen, was hier los ist.“ Die Schauspielerin Käthe Reichel sagte, Bundeskanzler Kohl, Politiker und Industrielle könnten die Probleme in der ehemaligen DDR gar nicht- sehen. „Dagegen schützen sie ihre beiden Augen mit der harten Mark. Darum müssen wir ihnen in die Ohren schreien, was sie nicht sehen und hören wollen: Wir sind das Volk! Und wir rufen nach Neuwahlen!“ ROSTOCK (ND-Jordan). Hunderte Rostocker hatten sich am Montagabend vor dem Rathaus zur ersten innenpolitischen Demo '91 versammelt. Unter dem Motto „Arbeit und Leben in Mecklenburg-Vorpommern“ waren sie dem Aufruf von Vertretern der Bürgerbewegungen, Parteien und Gewerkschaften, gefolgt. Der Präsident der Rostocker Bürgerschaft, Christoph Kleemann (Neues Forum), verglich die gegen-

wärtige Situation mit einem sinkenden Schiff, in dem Kapitän und Offiziere bereits in den richtigen Rettungsbooten säßen. WOLGAST (ND-Harbott). Es waren nicht viele Wolgaster, die gestern zur Montagsdemo zum Rathausplatz kamen. Doch die da waren, machten ihrem Unmut und ihrem Zorn über die unhaltbaren Zustände im Land Mecklenburg- Vorpommern und der Wolgaster Region Luft. „Das Land hält in der Arbeitslosenrate sowieso schon die Spitze, und

125 https://www.neues-deutschland.de/artikel/300707.bundeskanzler-weg-n-neuwahlen.html?action=print 1/2 27.2.2018 Zehntausende auf Demos „aufgewaigelt und unverblühmt“:: Bundeskanzler weg – Neuwahlen! (neues-deutschland.de) Wolgast liegt dabei ganz vorn“, sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft des Forstbetriebes Wolgast Heiko Langner. „Die Politiker vor allem in Bonn müssen sich endlich der Probleme hier bewußt werden. Sonst werden sie Sturm ernten.“ ZWICKAU (ADN). Der DGB in Zwickau hatte gemeinsam mit Parteien, Kirchen und Bürgerbewegungen dazu aufgerufen, auch in dieser westsächsischen Industriestadt die Montagsdemonstrationen wieder aufzunehmen. Arbeitnehmer und von sozialer Unsicherheit Betroffene brachten den für ihre Lage Verantwortlichen ihre Sorgen und Ängste, ihre Forderungen und ?Vorstellungen nahe.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/300707.bundeskanzler-weg-n-neuwahlen.html

126 https://www.neues-deutschland.de/artikel/300707.bundeskanzler-weg-n-neuwahlen.html?action=print 2/2 127 Schonendere Lösungen nicht in Sicht ■ Trotz Akzentverschiebung der Treuhandarbeit auf Sanierung weiterer Arbeitsplatzabbau

„Die Entscheidung, diese Arbeitsplätze abzubauen, ist schmerzlich für die Betroffenen“, heißt es in einem Papier, das Treuhandchef Detlev Rohwedder wenige Tage vor seiner Ermordung an die Mitarbeiter seines Hauses verteilen ließ. Doch die Aufrechterhaltung unproduktiver, nicht wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze in der Wirtschaft der ehemaligen DDR, so fährt Rohwedder in seinen mittlerweile als „Vermächtnis“ apostrophierten Ostergedanken fort, „ist teuer für die Gesamtheit und verlangsamt den gewollten Umbau der Volkswirtschaft“. Unabhängig davon, wer die Rohwedder-Nachfolge antritt, egal auch ob die jüngsten Bekundungen verantwortlicher Politiker und Treuhandmanager, die Arbeit der umstrittenen Mammutbehörde im Sinne Rohwedders fortzusetzen, ernst gemeint oder der Pietät geschuldet sind: Den Abbau unproduktiver Arbeitsplätze wird die Treuhand mit ihren insgesamt über 10.000 Betrieben und über 3,4 Millionen industriellen Beschäftigten weiter fortsetzen. Immerhin haben die katastrophale Entwicklung auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt und die wachsenden Proteste gegen den wirtschaftlichen Kahlschlag in den letzten Wochen zu einer Debatte um die Treuhandaufgaben und eine vorsichtige Neuakzentuierung geführt. Denn selbst im Bundesfinanzministerium, dem die Treuhand untersteht, waren Zweifel aufgekommen, ob die rein betriebswirtschaftlichen Kriterien, anhand derer die Treuhänder über die Zukunft der Betriebe entscheiden, arbeitsmarkt- und strukturpolitisch weiter vertretbar seien. In diesem Falle würden am Ende, so die Prognose, lediglich 700.000 der knapp 3,4 Millionen industriellen Arbeitsplätze übrigbleiben. Fazit: Über die Prioritätensetzung der Treuhand müsse neu nachgedacht werden. In einem Acht-Punkte-Papier, das seit Mitte März die „Zusammenarbeit von Bund, neuen Ländern und Treuhandanstalt für den Aufschwung Ost“ regeln soll, wird denn auch „unideologisches Handeln“ eingefordert. „Zunächst teurere, aber den Arbeitsmarkt schonendere Lösungen können langfristig wirtschaftlicher sein.“ Doch dieses neue arbeitsmarktpolitische Credo, das vor allem von den Befürchtungen der Bundesregierung und der neuen Landesregierungen diktiert scheint, findet sich in Rohwedders letztem Schreiben, das ja auch weiterhin die Richtung der Treuhandpolitik angibt, ebensowenig wie eine Abkehr von der Privatisierungsstrategie. „Priorität“, so Rohwedder, „wird auch weiterhin die Überführung von Unternehmen in privates Eigentum haben.“ Und: „Privatisierung ist die wirksamste Sanierung.“ Keinen Zweifel läßt Rohwedder, daß auch bei der Sanierung zukunftsträchtiger Betriebe allzu große Rücksicht auf Arbeitsplätze nur kontraproduktiv sein könne: Bei der Sanierung „sind die Arbeitsplatzverluste so wenig zu vermeiden wie bei der Privatisierung oder bei der Stillegung.“

128 Während etwa das Bündnis 90 fordert, die Treuhand müsse per Gesetz auf die Sanierung von Betrieben unter Erhalt einer möglichst großen Zahl von Arbeitsplätzen festgelegt werden, größere Betriebsstillegungen dürften überhaupt nur im Einvernehmen mit den betroffenen Ländern erfolgen, bleibt das Acht- Punkte-Programm vage: Hier ist lediglich von „Abstimmung“ mit den Landesregierungen die Rede. Bund, Länder und Treuhand wollen sich bei Betriebsstillegungen von herausragender arbeitsmarktpolitischer Bedeutung bemühen, so das Papier, „die nachteiligen Auswirkungen für die Beschäftigten zu verringern“. Rohwedder formulierte das optimistischer: „Betriebsstillegungen sollen zum Kristallisationskern neuer Aktivitäten werden.“ EIS

taz. die tageszeitung vom 5. 4. 1991

Inland S. 3

EIS

THEMEN Arbeitslosigkeit 127 Bundesländer / Ostdeutschland 420O Arbeitgeberverbände / Wirtschaft 16

3630 Zeichen ~ ca. 105 Zeilen

Ausgabe 3373

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129 27.2.2018 Protest gegen Amputation des Gesundheitswesens (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 10.04.1991 / Seite 1 Protest gegen Amputation des Gesundheitswesens

Berlin (ND-Dümde). Gegen Pläne zur Schließung von Krankenhäusern und Bettenabbau sowie die Zerschlagung von Polikliniken ohne Rücksicht auf die Patienten haben am Dienstag vor dem Berliner Roten Rathaus Täusende Ärzte, Schwestern und andere Mitarbeiter des Gesundheitswesens leidenschaftlich protestiert. Empört wiesen sie die Absicht zurück, bei der tariflichen Neueinstufung alle Ossis wie Anfänger zu behandeln, indem man ihre Dienstjahre in der DDR nicht anerkennt. Das demagogische Argument, die BRD sei kein Rechtsnachfolger der DDR,, wies Kurt Lange, Berliner Vorsitzender der Gewerkschaft ÖTV, mit dem Hinweis darauf zurück, daß sich derselbe Staat aber als Nachfolger des Hitlerreichs betrachtet

und noch heute Pensionen an Angehörige der Waffen-SS zahlt.

Vor „neuen Seilschaften“ von Westärzten, die nach Profit gieren, warnte die Apothekerin Ingeborg Simon. „Gesundheit ist kostbar – also muß sie etwas kosten!“ konterte die Krankenschwester Jutta Schauer-Oldenburg aus Moabit Sparpläne Bonns und des Senats. Man dürfe nicht zulassen, daß es eines Tages heißt: „Weil Du arm bist, mußt Du früher sterben.“

Da CDU-Senator Dr. Luther kniff, wurde sein Staatssekretär für eine Politik ausgepfiffen, bei der Abgründe zwischen wohlklingenden Absichtserklärungen und der Realität klaffen. Als er „Bereitschaft zur Umschulung“ verlangte, kam die Frage „Wohin denn?“ zurück. „Aufhören“ wurde gerufen und “Wahlen, Wahlen!“.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/302339.protest-gegen-amputation-des-gesundheitswesens.html

130 https://www.neues-deutschland.de/artikel/302339.protest-gegen-amputation-des-gesundheitswesens.html?action=print 1/1 25.4.2018 DGB erfreut Union - taz.de DGB erfreut Union

Bonn (afp) — Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion freut sich über die Absage des DGB von weiteren Montagsdemonstrationen in den neuen Ländern. Sie kritisierte jedoch, daß es am 1.Mai und 1.Juli weitere Proteste gegen die Wirtschaftsmisere in Ostdeutschland geben soll. Bundeskanzler Helmut Kohl nannte das Schauspiel, das ein Teil der Gewerkschaftsführer biete, „schlicht erbärmlich“. Dies betreffe jedoch nicht diejenigen im DGB, die „unseren Aufbau im Osten nachdrücklich unterstützen“.

taz. die tageszeitung vom 12. 4. 1991

Inland S. 5

THEMEN Deutscher-Gewerkschaftsbund / DGB 151 Bundesländer / Ostdeutschland 420O CDU-CSU / 4120

499 Zeichen ~ ca. 14 Zeilen

Ausgabe 3379

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131 http://www.taz.de/!1724098/ 1/1 132 133 134 25.4.2018 Enteignung des Protestes - taz.de Enteignung des Protestes ■ Zur „Absage“ der Montagsdemonstrationen durch Gewerkschafter

etzt hat der IG-Chemie-Vorsitzende Rappe einen „Schlußpunkt“ hinter den J Montagsdemonstrationen in Ostdeutschland gefordert. Argument: schließlich sei genügend Geld für eine Wende in der Wirtschaft da. Auch die IG-Metall hat die Montagsdemonstrationen „abgesagt“. Das „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost“, die konzertierte Aktion, die nationale Pflicht verlangen den Schulterschluß in Bonn und nicht die Demagogie auf den Leipziger Straßen. Schon die Okupation der Montagsdemonstration durch die Gewerkschaften war skandalös, weil sie eben mehr beinhaltete als nur die Organisation von Protesten der Arbeitslosen und Abgewickelten, sondern weil sie vor allem auch ein durchsichtiges, kurzatmiges Spiel mit der einzigen und kostbaren Tradition des revolutionären Herbstes 1989 darstellte. Ihre Absage jetzt ist geradezu obszön. Die Gewerkschaften haben es überdeutlich gezeigt, wie sehr sie Teil der politischen Klasse Bonn sind. Sie waren an einer selbständigen politischen Kraft, an einer politischen Massenautonomie in Ostdeutschland nie interessiert. Es galt Druck zu machen, und die Verzweiflung der Ostdeutschen war gerade die greifbare Energiezufuhr. Sicher ist es richtig, daß es nicht die Parteien sind, sondern die Gewerkschaften, die die Interessen der Leute vertreten, die die Arbeitslosen nicht ins Leere fallen lassen. Gerade deswegen ist ihr Spiel mit dem Massenprotest um so verheerender. Das Grundgefühl in der Ex-DDR ist das der großen Enteignung. Nicht nur die Arbeitsstelle, die Kindergartenplätze, die Ferienquartiere gehen verloren, sondern die ganze Vertrautheit bis hin zum Ton der eigenen Stimme, die gerade einmal laut geworden ist, verschwindet. Das Gefühl der Wut, der Ohnmacht, des Betrogenseins ist dasselbe; nun aber erklären die Gewerkschaften, es sei politisch überholt. Die „Straße“ ist nicht opportun, jedenfalls nicht bis zum Juni, wenn der Kündigungsschutz aufhört. Dann können die Betrogenen wieder zurückgepfiffen werden. Es wird jedenfalls Zeit, daß die Menschen in Ostdeutschland allmählich den Gedanken fallenlassen, es gäbe die deutsche Einheit schon. Sie müssen sich aus der Falle der Hoffnungen und Erwartungen gegenüber dem Westen fliehen und zwar so massenhaft, wie sie sich jetzt betrogen fühlen. KLAUS HARTUNG

135 http://www.taz.de/!1723629/ 1/2 25.4.2018 Enteignung des Protestes - taz.de taz. die tageszeitung vom 16. 4. 1991

Inland S. 10

KLAUS HARTUNG

THEMEN Bundesländer / Ostdeutschland 420O Sozialämter / Sozialhilfe / Neue-Armut 361 Gewerkschaft-IG-Chemie 152C Gewerkschaft-IG-Metall 152M

2340 Zeichen ~ ca. 48 Zeilen

Ausgabe 3382

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136 http://www.taz.de/!1723629/ 2/2 25.4.2018 ■ PROTESTE-OST: Aus für Montagsdemos - taz.de

■ PROTESTE-OST Aus für Montagsdemos

Leipzig (ap) — Die vorerst letzte Leipziger Montagsdemonstration soll in der nächsten Woche stattfinden. Ein entsprechendes Übereinkommen erzielte am Dienstag der Koordinierungsrat für diese Protestaktionen, dem Vertreter mehrerer Parteien, Gewerkschaften und Bürgerbewegungen angehören. Ein Sprecher begründete gestern die Entscheidung mit den schwindenden Teilnehmerzahlen und den anhaltenden politischen Druck. Außerdem sei inzwischen für den 30. April ein runder Tisch in Leipzig vereinbart worden. „Wenn diese Arbeit (am runden Tisch, d.Red.) nicht die gewünschten Ergebnisse zeigt, sind wir jederzeit bereit, wieder zu den Montagsdemonstrationen aufzurufen“, sagte Heiko Weigel vom Neuen Forum Leipzig, der an der Beratung des Rates teilgenommen hatte. SPARKASSENBETRUG

taz. die tageszeitung vom 18. 4. 1991

Inland S. 5

THEMEN Sozialämter / Sachsen 361SN

808 Zeichen ~ ca. 25 Zeilen

Ausgabe 3384

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137 http://www.taz.de/!1723275/ 1/1 138 139 140 25.4.2018 Luft machen gegenüber dem Buh-Mann der Nation - taz.de Luft machen gegenüber dem Buh-Mann der Nation ■ Welle von Besetzungen im westsächsischen Industriegürtel

Chemnitz. Die spontanen Betriebsbesetzungen im westsächsischen Industriegürtel haben sich zum Wochenende ausgeweitet. Neben dem dkk Scharfenstein (siehe Seite 34), wo sich Arbeiter auf diese Weise seit Dienstag gegenüber der Treuhand „Luft machen“, werden seit Donnerstag auch die zwei Betriebsteile der Sächsischen Mähdrescherwerke AG in Bischofswerda und Neukirch aus Protest gegen die drohende Schließung besetzt. Die Aktion wird vorerst bis zum kommenden Dienstag andauern. Nach Informationen aus dem Betriebsrat soll das Mähdrescherwerk zum 1. Juli geschlossen werden. Das bedeutet das Aus für 2.300 Arbeitnehmer. Jetzt forderte der Betriebsrat die schnelle Bildung einer Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaft mit einer von der Treuhand bisher verwehrten finanziellen Beteiligung des Unternehmens. Eine weitere Forderung lautet: Zustimmung zur Verlängerung der Kurzarbeiterregelung um ein halbes Jahr bis zum 31. Dezember 1991. Die Belegschaft des Zwickauer Sachsenring- Automobilwerkes, die am vergangenen Montag die Besetzung ihres Werkes im Sinne einer Denkpause vorerst ausgesetzt hatte, erwartet nun mit Spannung das Ergebnis der am Freitag zwischen IG Metall und Treuhandverwaltungsrat begonnenen Gespräche in Sachen Aufbau-, Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaften. Für Sonntag 9.00 Uhr wurde eine Betriebsratssitzung anberaumt, um über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Aktionsbereit erklärte sich auch weiterhin im Bedarfsfalle der Betriebsrat der Chemnitzer Eisen- und Stahlgießerei GmbH Chemnitz. Er wolle die symbolische Betriebsbesetzung vom Donnerstag als Warnung an die Treuhand verstanden wissen, künftige Entscheidungen über eine zu bildende Qualifizierungsgesellschaft und die Unternehmensentwicklung im Interesse der Belegschaft zu fällen. Auch der sächsische Verkehrsstreik von rund 10.000 Bus- und Lkw-Fahrern geht weiter. Die ÖTV erklärte ihren Willen, solange zu streiken, bis ein unterschriebenes Verhandlungsergebnis auf dem Tisch liegt. Am Freitagmorgen saßen Unterhändler der ÖTV und vom sächsischen Verkehrsgewerbe bereits 14 Stunden am Verhandlungstisch, jedoch ergebnislos. Probleme gebe es bei den Lohngruppen, der Manteltarifvertrag „steht im Prinzip“. Die Streiks haben deutlich an Härte gewonnen. Erste Blockaden wurden aus Meißen und Chemnitz gemeldet. Rechtsradikale Skins wollten nach Gewerkschaftsangaben in Zwickau in die Protestbewegung eingreifen. Es habe Drohungen auf dem Betriebshof des dortigen Kraftverkehrsbetriebes gegeben, Bomben zu legen und Fahrzeuge anzuzünden. TAZ/ADN

141 http://www.taz.de/!1714384/ 1/2 25.4.2018 Luft machen gegenüber dem Buh-Mann der Nation - taz.de taz.am Wochenende vom 22. 6. 1991

Inland S. 33

2650 Zeichen ~ ca. 77 Zeilen

Ausgabe 3437

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142 http://www.taz.de/!1714384/ 2/2 25.4.2018 Sachsenring-Werke erneut besetzt - taz.de Sachsenring-Werke erneut besetzt

Zwickau (ap) — Die Beschäftigten der Sachsenring-Werke Zwickau haben gestern aus Protest gegen die Politik der Treuhand erneut ihren Betrieb besetzt. „Die Bildung der Aufbau- und Beschäftigungsgesellschaft für unsere Belegschaft, die am 30. April von Kurt Biedenkopf als Pilotprojekt begrüßt worden war, geht überhaupt nicht voran“, sagte Betriebsratsvorsitzender Fritz Warth. Bereits in der vergangenen Woche war es im ehemaligen Trabant-Werk zu Betriebsbesetzungen gekommen. Die Treuhand lehne eine Beteiligung des Sachsenring-Werkes dieser neuzugründenden Gesellschaft ab. Nur so kann jedoch nach Meinung des Betriebsrates ein sozialer Absturz der 6.200 Trabant-Werker verhindert werden. Die Besetzung soll auf unbegrenzte Zeit festgesetzt worden.

taz. die tageszeitung vom 25. 6. 1991

Inland S. 4

THEMEN Automobilindustrie 13113 Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141

782 Zeichen ~ ca. 22 Zeilen

Ausgabe 3439

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143 http://www.taz.de/!1713954/ 1/1 27.2.2018 500 Oderstädter belagerten Gebäude der Treuhand in Frankfurt / Uwe Helm, Vorsitzender des Halbleiterwerk-Betriebsrats:: „Lenkt die Treu…

neues-deutschland.de / 29.06.1991 / Seite 3 „Lenkt die Treuhand nicht ein^ werden Betriebe besetzt“ Berlin/Frankfurt (Oder). Es war

zwar nur ein Häuflein von knapp hundert aufrechten Halbleiterwerkern, das sich gestern früh vor dem Betriebstor traf. Aber dem Autokorso zur Frankfurter Treuhand-Gebäude schlössen sich weitere 300 bis 400 aufgebrachte Oderstädter an. Bei der vormittäglichen Belagerung des Gebäudes forderten sie erregt, der Massenarbeitslosigkeit in der Stadt endlich wirksam zu begegnen.

Der entschiedene Protest der Frankfurter richtete sich vornehmlich gegen die Weigerung der Treuhand-Chefin Birgit Breuel, den ihr unterstellten Unternehmen eine Beteiligung an Beschäftigungsgesellschaften zu gestatten. Wie bereits in einem Teil unserer Ausgabe berichtet, ist so die Bildung einer Arbeitsförderungsgesellschaft im Halbleiterwerk, in die nach Willen von Geschäftsleitung, Betriebsrat

und Kommune rund 1000 Beschäftigte überführt werden könnten, aufs höchste gefährdet.

Annähernd 4000 Halbleiterwerkern sind bereits entlassen oder unmittelbar von der Arbeitslosigkeit bedroht. Wird die Kurzarbeiterregelung - wie von den Demonstranten weiter angemahnt -

cherte sie, den Protest in Berlin geltend zu machen, in der Sache aber sah er sich außerstande zu helfen.

Ihrer hellen Empörung machten eine Reihe der im Halbleiterwerk beschäftigten Frauen Luft. So trat Erika Gröger an das Mikrophon des Lautsprecherwagens der IG Metall. Mit Tränen in den Augen schilderte sie, was für sie das Aus nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit bedeutet. „Ich bin fix und fertig“, rief sie, „viele von uns habe nur noch Angst. Wir aber stehen hier, weil wir nichts mehr zu verlieren haben.“ Eine junge Frau, alleinstehende Mutter, fragte erbittert: „Wie soll ich von den zweihundert Mark Arbeitslosenunterstützung alle zwei Wochen meine beiden Kinder großziehen?“ Zwischenrufe wie „Treuhand in die Produktion!“ und „Sie treiben das ganze Land in den Ruin“ unterbrachen immer wieder die Redner. Die

Kundgebungsteilnehmer verständigten sich darauf, die Aktionen fortzusetzen, bis eine sozialverträgliche Lösung gefunden ist.

Betriebsratsvorsitzender Uwe Helm, der zusammen mit Oberbürgermeister Wolfgang Denda und weiteren Vertretern gestern bei der Berliner Treuhand den Protest der Gewerkschafter bekräftigte, kündigte ebenfalls flächendeckende Kampfmaßnahmen an: „Lenkt die Treuhand nicht ein, werden Betriebe besetzt.“ Darüber sei er sich mit IG-Metallern der Region einig.

Unterdessen hat auch die Brandenburger Arbeitsministerin Regine Hildebrandt nachdrücklich Betriebsbesetzungen verteidigt. „Wir haben auch in diesem Jahr wieder zu Montagsdemonstrationen und Betriebsbesetzungen greifen müssen, 144 https://www.neues-deutschland.de/artikel/313291.blenkt-die-treuhand-nicht-ein-werden-betriebe-besetztl.html?action=print 1/2 27.2.2018 500 Oderstädter belagerten Gebäude der Treuhand in Frankfurt / Uwe Helm, Vorsitzender des Halbleiterwerk-Betriebsrats:: „Lenkt die Treu… um etwas zu bewegen“, sagte sie in einem Zeitungsinterview. Es könne sein, daß Besetzungen wei-

terhin nötig sind - als Artikulation „von akuter Not“. Das Veto der Treuhand gegen Beteiligung an Beschäftigungsgesellschaften werde von allen abgelehnt, „aber Frau Breuel bleibt hart.“

Der Präsident des Arbeitslosenverbandes, Klaus Grehn, bestätigte, daß die Situation außerhalb des Landes Brandenburg nicht anders aussieht. Nach Ablaufen des Kündigungsschutzes erwarte allein die IG Metall 500 000 Arbeitslose.In der Landwirtschaft rechnet man mit weiteren 600 000 Erwerbslosen. Nach Schätzungen von Grehn fliegen weitere 100 000 aus der Warteschleife. 2 700 Geschäfte und Gaststätten müssen schließen. Durch Abfederung ä la Bundesregierung seien die sozialen Probleme der Massenarbeitslosigkeit in Ostdeutschland nicht zu lösen.

HANNELORE HÜBNER HELFRIED LIEBSCH

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/313291.blenkt-die-treuhand-nicht-ein-werden-betriebe- besetztl.html

145 https://www.neues-deutschland.de/artikel/313291.blenkt-die-treuhand-nicht-ein-werden-betriebe-besetztl.html?action=print 2/2 146 27.2.2018 Proteste zwischen Ostsee und Thüringer Wald: Arbeitnehmer erinnern die Treuhand an Zusagen (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 06.07.1991 / Seite 1 Arbeitnehmer erinnern die Treuhand an Zusagen

Suhl (ADN/ND). Tausende Thüringer Metaller verliehen am Freitag vor der Treuhand-Niederlassung Suhl ihrer Forderung Nachdruck, die Abfindungskürzungen rückgängig zu machen. IG-Metall-Vorstandsmitglied Horst Klaus wies auf einer Kundgebung darauf hin, daß die Treuhandanstalt im April einen durchschnittlichen Mindestbetrag von 5000 DM bei Abfindungen zugesagt hatte. Unterdessen habe sie aber ihre Betriebe angewiesen, alle durch Tarifvertrag vereinbarten, Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld von den Abfindungen abzuziehen.

Als Protest gegen die derzeitige Politik der Treuhand haben am Freitag in Rostock junge Gewerk-

schafter den Eingang zur Treuhand-Niederlassung vermauert und mit der Aufschrift „Ihr verbaut unsere Zukunft, wir Eure Tür“ versehen. In Schwerin schütteten Metallarbeiter mehrere Säcke Sand vor den Eingang der Treu- A handniederlassung. Damit bringe man den Sand zurück, den die Treuhand den Mitgliedern der IG Metall in die Augen gestreut habe, meinte Hermann Spieker, 1. Bevollmächtigter der Schweriner Verwaltungsstelle der Gewerkschaft.

Mit ihrem Protest vor dem Erfurter Landtag erzwangen Bergleute Gespräche über die Lage in der Kaliregion. (Seite 6)

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/314316.arbeitnehmer-erinnern-die-treuhand-an-zusagen.html

147 https://www.neues-deutschland.de/artikel/314316.arbeitnehmer-erinnern-die-treuhand-an-zusagen.html?action=print 1/1 148 149 150 27.2.2018 Gewerkschafter erinnerten CDU energisch an das Wahlversprechen:: „Eine Stadt mit einem Tarifgebiet (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 10.09.1991 / Seite 7 „Eine Stadt mit einem Tarifgebiet

Wolfgang Rex

Mahnung an die CDU

ND-Foto: ULLI WINKLER

Dem Denkmal vor dem Roten Rathaus war ein Schild umgehängt. Es zeigte das Plakat der CDU zu den Berliner Wahlen vor reichlich einem Jahr. Die CDU- „Berlin wähl Dich frei. Für das ganze Berlin: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Den Aufschwung gibt es nur mit uns.“ Dazu Gewerkschafter: „Heute schreiben wir den 9.September 1991 und wir kämpfen um die Anrechnung unserer Dienstjahre.“

Das war auch der Tenor der gestrigen Gewerkschaftskundgebung vor dem Rathaus. Die ersten Gewerkschafter, die eine halbe Stunde vor Beginn im Berliner Zentrum eintrafen, guckten sich noch etwas unsicher um. „Wieder eine Demonstration der Alleingelassenen?“. Aber dann kamen mit jeder S- und U-Bahn Menschenmassen geströmt. Als schließlich der Demonstrationszug der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft den Platz erreichte, gingen die Veranstalter der ÖTV von einer Teilnehmerzahl von über 15 000 aus.

Der BVB-Streik war in aller Munde. „Natürlich haben die von der BVB recht. Bei denen wirkt eben so ein Streik,“ eine Kindergärtnerin. Ein BVB-Mitarbeiter wurde gefragt, warum er gestreikt habe. „Was würden Sie den machen, wenn Ihnen zehn Dienstjahre verlorengehen? Soll ich wie ein Lehrling von vorn anfangen?“ Als er die Frage bejahte, ob er unter diesen Umständen mit besserem Lohn im Westen arbeiten würde, mischte sich ein Kollege der Westberliner BVG ein. Er fände das nicht gut. Er frage sich: „Warum haben wir von der BVG heute nicht mitgestreikt? Wo war unsere Gewerkschaft? Das ist eine Sauerei, was sie mit Euch treiben.“ Für seine Forderung, eine Stadt und ein Tarifgebiet, erhielt er den Beifall der Kollegen.

Der ÖTV-Landesvorsitzende Kurt Lange sagte zu den Versam-

melten: „Die BVB hat gezeigt, daß wir nicht nur Kundgebungen machen sondern auch streiken können.“ Scharf griff Lange die Finanzministerin von Schleswig-Holstein, Heide Simonis, an. Frau Simonis führt den Vorsitz bei den Arbeitgebern. Zuerst habe die Öffentliche Hand sich geweigert, in die Arbeitsverhältnisse im Osten einzutreten. Erst das Bundesverfassungsgericht mußte hier eine Bremse ziehen. Dann hätten die Arbeitgeber den schwarzen Kasper Stasi aus der Tasche gezogen. Weil im Öffentlichen Dienst der DDR auch Stasimitarbeiter gearbeitet hätten, könne man dort nicht die Dienstjahre anrechnen. Lange sagte, daß von den etwa 1 ; 4 Millionen Angestellten im Öffentlichen Dienst vielleicht 5 000 für die Stasi gearbeitet hätten. Mit Tarifverträgen seien die Stasi-Probleme nicht zu lösen.

Jetzt habe Frau Simonis behauptet, die Dienstjahre in der DDR könne man nicht nachweisen. Über diesen Witz konnten die Kundgebungsteilnehmer nur erbost lachen. Schließlieh gebe es nur noch ein Argument, sagte Lange: „Das Geld fehlt.“ Eben hätten sich die Bundestagsabgeordneten eine Zulage von 1 000 DM genehmigt. Der Verteidigungsetat sei gerade jetzt in den Zeiten der Abrüstung um fünf Milliarden DM zu dick: „Der Jäger 90 kostet uns Steuerzahlern 100 Milliarden DM.“ Nur für die Arbeiter und Angestellten fehle das Geld.

151 https://www.neues-deutschland.de/artikel/323721.beine-stadt-mit-einem-tarifgebiet.html?action=print 1/2 27.2.2018 Gewerkschafter erinnerten CDU energisch an das Wahlversprechen:: „Eine Stadt mit einem Tarifgebiet (neues-deutschland.de) Wenn am Mittwoch mit den Arbeitgebern verhandelt werde, so sei das ein Erfolg der Gewerkschaftsbasis, sagte Erhard Laube von der GEW Er hoffe auf einen guten Ausgang der Tarifgespräche. Im umgekehrten Fall werden „wir den Arbeitgebern sagen: Ihr müßt Euch ?auf einen heißen Herbst einstellen.“

WOLFGANG REX

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/323721.beine-stadt-mit-einem-tarifgebiet.html

152 https://www.neues-deutschland.de/artikel/323721.beine-stadt-mit-einem-tarifgebiet.html?action=print 2/2 153 154 155 156 27.2.2018 Anti-Treuhand-Tumulte in Sömmerda/ Chaos auf Autobahnen durch Arbeitslosen-Blockade: Wieder Protestrufe „Wir sind das Volk!“ (neues…

neues-deutschland.de / 21.09.1991 / Seite 1 Wieder Protestrufe „Wir sind das Volk!“

Berlin (ND/Reuter/ADN/dpa). Aus Protest gegen den drohenden Verlust ihrer Arbeitsplätze haben tausende Ostdeutsche am Freitag mit rigorosen Aktionen auf ihre Notlage aufmerksam gemacht. Während im Büromaschinenwerk Sömmerda Vertreter der Treuhand im Feuer der Kritik standen, richtete sich die Autobahnblockade am Hermsdorfer Kreuz in Thüringen auch gegen die durch Bonn betriebene Einschränkung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.

Die mehr als einstündige Blockade aller vier Fahrspuren am wichtigsten Autobahnknotenpunkt im Süden der neuen Bundesländer führte nach Angaben der Jenaer Polizei zu chaotischen Verhältnissen und kilometerlangen Rückstaus in alle Richtungen. Mit der Aktion, an der nach Polizeiangaben rund 3000 Menschen teilnahmen, protestierte die IG Metall gegen die Stilllegungspolitik der Treuhand und für eine Strukturpolitik von Bundes- und Landesregierung zur

Schaffung neuer Arbeitsplätze. Obwohl die Demonstranten nur die Blockade einer Fahrbahn für 15 Minuten angekündigt hatten, waren spontan alle Fahrbahnen für mehr als eine Stunde besetzt worden. Jenas IG-Metall-Chef Tänzer hatte die Autofahrer zuvor um Verständnis für die Aktion gebeten. Allein in der Metallbranche der Region zwischen Jena, Gera und Hermsdorf gingen derzeit 30 000 Arbeitsplätze verloren, für die es kaum Ersatz gebe:

Mit wütenden Protesten haben mehrere tausend Noch-Beschäftigte der Robotron Büromaschinenwerk AG am Freitag im thüringischen Sömmerda auf die Entscheidung der Treuhandanstalt reagiert, das Werk zum Jahresende definitiv stillzulegen. Treuhand-Vorstandsvertreter Klinz wurde nach Angaben von Augenzeugen mit einem gellenden Pfeifkonzert empfangen und mit Tomaten beworfen, als er die Entscheidung erläutern wollte. Bei den Tumulten riefen Belegschaftsmitarbeiter ihm und der Geschäftsleitung „Wir sind das Volk!“ entgegen. Bei dem einst größten ostdeutschen Computerhersteller sind derzeit nach Treuhandangaben noch rund 4800 Menschen beschäftigt. Gewerkschafter und Betriebsrat warfen der Treu-

hand vor, Alternativkonzepte für den größten Arbeitgeber der Region nicht genügend geprüft zu haben.

Auch bei der jetzt beschlossenen „stillen Liquidation“ der Pneumant Reifenwerke AG Fürstenwalde mit Betriebsteilen in Riesa und Dresden spielt die Treuhand eine unheilvolle Rolle. Angesichts der auf der Automobilausstellung angekündigten Serienproduktion ab 1993 eines neuen „Super-Reifens“, steigender Umsatzzahlen und der Selbstbeschränkung von 11 500 auf 3800 Mitarbeiter sei die Entscheidung nicht schlüssig, meinte der Leiter des Zentralstabes im Pneumant-Vorstand, Wulff. Das Unternehmenskonzept sah eine Weiterbeschäftigung von 2000 Mitarbeitern in dem Unternehmen vor.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/325300.wieder-protestrufe-bwir-sind-das-volk-l.html

157 https://www.neues-deutschland.de/artikel/325300.wieder-protestrufe-bwir-sind-das-volk-l.html?action=print 1/1 158 159 17.4.2018 Zur Jagd getragen - taz.de Zur Jagd getragen ■ Die ÖTV-Tarifgespräche sind abgeschlossen mit einem lauen Kompromiß

Zur Jagd getragen Die ÖTV-Tarifgespräche sind abgeschlossen — mit einem lauen Kompromiß ie Gewerkschaften ÖTV und DAG haben allen Grund aufzuatmen. Mit D knapper Not, angetrieben nicht nur von ihrer empörten Mitgliedschaft, sondern auch getragen vom politischen Willen aller Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer, haben sie die Anerkennung der Vordienstzeiten der ostdeutschen Angestellten im öffentlichen Dienst endlich durchgesetzt. Die Gewerkschaften sind gewissermaßen zur Jagd getragen worden, nachdem sie im März dieses Jahres die tarifrechtliche Diskrimierung der betroffenen Ex- DDR-Bürger ohne Widerstand akzeptiert hatten. Aufgeschreckt durch den Protest derer, die unabhängig von Qualifikation und geleisteten Dienstjahren wie Berufsanfänger bezahlt wurden, hetzten sie schließlich an die Spitze der Bewegung, um dort wie selbstverständlich ihre Position einzunehmen. Noch ist nicht klar, wie die Betroffenen darauf reagieren werden, daß sie nicht rückwirkend, sondern erst ab Dezember tariflich verwestlicht werden, bei nach wie vor 40 Prozent Abschlag. Daß die geltenden Kündigungsregelungen nicht übernommen wurden, wird weiterhin für Unsicherheiten und Ungerechtigkeiten sorgen, ist aber angesichts des notwendigen Abbaus im ehemals aufgeblähten Verwaltungssektor nicht nur unsinnig. Peinlich aber bleibt das Versäumnis der in Westdeutschland angesiedelten Gewerkschaftszentralen, die politische Brisanz zu erkennen, die in der pauschalen Diskriminierung der ostdeutschen Arbeitnehmergruppe liegt. Auch auf diesen Punkt mußten sie erst mit der Nase gestoßen werden — und das noch von denen, die letztlich dafür zahlen müssen: den Arbeitgebern im Osten. Und ohne den offen ausgeübten Druck führender SPD-Politiker auf die Parteigenossin Heide Simonis von der Tarifgemeinschaft deutscher Länder wäre der nun ausgehandelte Kompromiß vermutlich noch kläglicher ausgefallen. Die Tarifgegnerin Simonis hatte praktisch schon im Vorfeld dieser Runde aufgegeben und letztlich, neben dem hinausgezögerten Zahltag, nur noch aushandeln können, daß Stasi-Leute und Parteisekretäre von den neuen Regelungen ausgeschlossen bleiben. Immerhin bleibt es somit ein Verdienst Heide Simonis, das sensible Thema aus der ÖTV-Tabuzone herausgeholt zu haben. Mit sicherem Gespür für unangenehme Themen hat sich die Gewerkschaft nämlich bislang erfolgreich um eine Diskussion dieses Problems gedrückt. Ein nicht unbeträchtlicher Teil von Angestellten im früheren Partei- und Verwaltungsapparat muß als mindestens loyal zum SED-Staat eingestuft werden. Es wird Zeit, daß sich die ÖTV Gedanken darüber macht, wie sie mit Hunderttausenden von (potentiellen) Mitgliedern umgehen will, die ihre Karriere eng an die Verwaltung eines Unrechtsstaats geknüpft hatten. BARBARA GEIER

160 http://www.taz.de/!1700983/ 1/2 17.4.2018 Zur Jagd getragen - taz.de taz. die tageszeitung vom 26. 9. 1991

Inland S. 12

BARBARA GEIER

THEMEN Geschichte-DDR 478 Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Bundesländer / Ostdeutschland 420O Arbeit / Lohnsysteme / Akkord 126 Gewerkschaft-Transporte-Verkehr / ÖTV 152O

2848 Zeichen ~ ca. 58 Zeilen

Ausgabe 3519

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161 http://www.taz.de/!1700983/ 2/2 162 163 26.4.2018 Post - taz.de Post ■ Warnstreik-Serie in Leipzig

Leipzig/Berlin (dpa) — Zum Auftakt einer geplanten Serie von Warnstreiks in Ostdeutschland hat die Deutsche Postgewerkschaft (DPG) am Montag sämtliche 38 Postämter in Leipzig lahmgelegt. Damit sollten die Arbeitgeber zur Aufnahme von Tarifverhandlungen und den Abschluß eines Sozialvertrages gezwungen werden, sagte die sächsische DPG-Vorsitzende Margitta Jahn. Weitere Streiks sind geplant.

taz. die tageszeitung vom 5. 11. 1991

Inland S. 5

THEMEN Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Bundesministerium / Post / Telekommunikation 42191 Gewerkschaft-Post / DPG 152G

424 Zeichen ~ ca. 12 Zeilen

Ausgabe 3552

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164 http://www.taz.de/!1695595/ 1/1 165 166 167 17.4.2018 Hennigsdorfer Stahlarbeiter weiten ihre Proteste aus - taz.de Hennigsdorfer Stahlarbeiter weiten ihre Proteste aus

Berlin (afp) — Nach ergebnislosen nächtlichen Verhandlungen über die Privatisierung des Stahlwerkes Hennigsdorf hat die Belegschaft am Dienstag vormittag ihre Protestaktionen ausgeweitet. Sie entsandte eine Delegation zur Treuhandzentrale nach Berlin, um ihre Empörung über den Verlauf der Gespräche zum Ausdruck zu bringen. Gleichzeitig wird die inzwischen zwölftägige Besetzung des nördlich von Berlin gelegenen Werkes fortgesetzt. IG-Metall-Verhandlungsleiter Horst Wagner erklärte, vor allem die beharrliche Weigerung der Treuhand, finanzielle Mittel zur Ausstattung von Arbeitsförderungsgesellschaften bereitzustellen, habe zum Scheitern der insgesamt dreißigstündigen Verhandlungen geführt. Die in den frühen Morgenstunden ergebnislos abgebrochenen Verhandlungen in der Treuhandanstalt wurden am Vormittag wiederaufgenommen. Hauptstreitpunkt in der Nacht waren die Abfindungen, auf die die brandenburgischen Stahlarbeiter nach dem Montanunionsvertrag Anspruch erheben. „Hier will die Treuhand ein Recht, das jedem westdeutschen Stahlarbeiter selbstverständlich zusteht, den ostdeutschen Arbeitnehmern verweigern, und die Zahlung von Sozialplanmittel abziehen“, sagte Wagner. Er forderte die Treuhandanstalt auf, „endlich Schluß mit dem unwürdigen Poker um die soziale Sicherung der Stahl-Arbeitnehmer zu machen“. Nach Angaben der IG Metall wurden die Verhandlungen um das Stahlwerk Brandenburg zwischen Unternehmensvertretern, Treuhand, der Gewerkschaft und der Landesregierung fortgesetzt.

taz. die tageszeitung vom 4. 12. 1991

Inland S. 5

THEMEN Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Metallindustrie 1311 Gewerkschaft-IG-Metall 152M

1547 Zeichen ~ ca. 46 Zeilen

Ausgabe 3576

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KONTAKT TAZ.ARCHIV-RECHERCHE-INFORMATION Rudi-Dutschke-Str. 23, 168 http://www.taz.de/!1691566/ 1/2 169 Zeitungsartikel Streik und Proteste, 1992

170 4.5.2018 Finow-Walzwerk bleibt besetzt - taz.de Finow-Walzwerk bleibt besetzt

Eberswalde (dpa/vwd) — Die Besetzung des Walzwerks Finow durch die Beschäftigten geht weiter. Das entschied die Belegschaft gestern auf einer Betriebsversammlung. „Wir bleiben solange im Werk, bis Ergebnisse zustande kommen“, kündigte eine Betriebsrätin an. Am gestrigen Vormittag berieten in Berlin Treuhand, Betriebsrat und Geschäftsführung über die Zukunft des Walzwerkes. Die Proteste der Belegschaft richten sich gegen Pläne der Geschäftsführung, die Zahl der Arbeitsplätze von derzeit noch 1.300 zum Jahresende auf 650 zu reduzieren. Grund sei die Verzögerungstaktik der Treuhand bei der Privatierung. Noch im Dezember sei Thyssen-Stahl bereit gewesen, den Betrieb mit den vorhandenen 1.300 Arbeitsplätzen zu übernehmen. Die Besetzung des Werkes, eines der größten Unternehmen im Land Brandenburg, hatte am Freitag während der Frühschicht begonnen.

taz. die tageszeitung vom 11. 2. 1992

Inland S. 7

THEMEN Metallindustrie 1311 Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141

883 Zeichen ~ ca. 26 Zeilen

Ausgabe 3628

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171 http://www.taz.de/!1683099/ 1/1 172 173 174 175 176 4.5.2018 Betriebsbesetzung auch in Sachsen - taz.de Betriebsbesetzung auch in Sachsen

Leipzig (ap) — Die Belegschaft der Elektroschaltgeräte GmbH Grimma hat am Mittwoch aus Protest gegen die Politik der Treuhand ihren Betrieb für zwei Tage besetzt. Betriebsratsvorsitzender Robert Sperling sagte, die Treuhand habe beschlossen, den Betrieb zum 30. Juni dieses Jahres zu liquidieren. Von der Schließung wären die zur Zeit noch 224 Beschäftigten des Elektrotechnik- Unternehmens betroffen. „Bisher haben wir noch keine Schulden gemacht. Jetzt hätten wir einen Liquiditiätskredit in Anspruch nehmen müssen“, sagte Sperling. „Da hat uns die Treuhand den Liquidator ins Haus geschickt.“ Ihren Beschluß, der am 28. Januar getroffen worden sei, habe die Treuhand mit der schlechten Geschäftslage des Betriebes begründet. Das Unternehmen habe sein Sortiment „in kürzester Zeit“ auf westliches Niveau umstellen müssen, erklärte Sperling. „Gerade jetzt waren wir der Meinung, es könnte aufwärtsgehen.

taz. die tageszeitung vom 5. 3. 1992

Inland S. 4

THEMEN Elektroindustrie / Elektronikindustrie 1319 Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141

935 Zeichen ~ ca. 28 Zeilen

Ausgabe 3648

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177 http://www.taz.de/!1679337/ 1/1 178 27.2.2018 Betriebsrat von Rostocker Werft gegenüber ND:: Beschluß der Treuhand soll noch gekippt werden (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 16.03.1992 / Seite 1 Beschluß der Treuhand soll noch gekippt werden

Rostock (ND-Liebsch/dpa). Mit „kämpferisch“ beschrieb am Wochenende Detlef Schüler, Betriebsratsvorsitzender der Neptun-Werf t Rostock, die zur Deutschen Maschinen- und Schiffbau AG (DMS) gehört, die Stimmung in den Betrieben. „Wir beharren auf eine Lösung innerhalb der inzwischen gebildeten Hanse Maschinen- und Schiffbau AG, also einer Zwischen-Holding der DMS.“ Aus dem Verbund von Werften würden Synergieeffekte - bis zu zehn Prozent Kostenersparnis - entspringen. Ansonsten hätte man“ gegen die ostasiatische Konkurrenz keine Chance. „Nur in einem größeren Verbund ist eine ernstzunehmender Schiffbau in Mecklenburg-Vorpommern möglich“, so Schüler in einem Gespräch mit ND.

Auf den Einwand, daß neben dem Bremer Vulkan der norwegische Kvaemer-Konzern eine gute Adresse sei, entgegnete der Betriebsratsvorsitzende: “Wir haben nichts gegen Kvaerner, sind aber nicht dafür, daß sich hier zwei Konkurrenten das Leben schwermachen.“ Schüler kündigte verstärkte Proteste an. So werden Abordnungen aus allen Betrieben vor

der Berliner Treuhand zur Mahnwache aufziehen. Hier soll der Verwaltungsrat morgen die Privatisierung der Werften entscheiden.

Aus Protest gegen die Art und Weise des Verkaufs der ostdeutschen Werften haben am Samstag mittag einige Hundert von Werftarbeitern eine vielbefahrene Stra-ßenkreuzung in der Innenstadt von Wismar blockiert. Heute will die IG Metall mit großräumigen Stra-ßenblockaden und öffentlichen Betriebsversammlungen ihre Protestaktionen gegen die Teilprivatisierung der DMS landesweit fortsetzen. So soll wegen einer Kundgebung der Stralsunder Volkswerft am Nachmittag auch der Rügendamm für mindestens eine Stunde gesperrt bleiben.

In Rostock haben die Metaller ab 14 Uhr zur Besetzung des Werftdreiecks, des wichtigsten Verkehrsknotenpunktes in der Stadt, aufgerufen. Es wird erwartet, daß sich auch Gewerkschafter aus anderen Betrieben der Stadt einfinden. So wollen sich Beschäftigte der ELBO Bau AG Rostock, die schon am Samstag mit einem Zug durch die Stadt gegen Treuhandwillkür protestierten, beteiligen.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/349632.beschluss-der-treuhand-soll-noch-gekippt-werden.html

179 https://www.neues-deutschland.de/artikel/349632.beschluss-der-treuhand-soll-noch-gekippt-werden.html?action=print 1/1 17.5.2018 Treuhand billigt Werften-Kompromiß - taz.de Treuhand billigt Werften-Kompromiß Verwaltungsrat der Berliner Anstalt billigt Verkauf der Werften an zwei Interessenten ■ Von Barbara Geier

Berlin (taz) — Erwartungsgemäß hat gestern der Verwaltungsrat der Treuhandanstalt das umstrittene Werften-Privatisierungskonzept des Treuhand-Vorstands gebilligt. Damit hat sich das Gremium, unbeeindruckt von den Protestaktionen zahlreicher Werftarbeiter vor dem Berliner Detlev- Rohwedder-Haus, für die sogenannte internationale Lösung entschieden, bei der einerseits die Meeres-Technik-Werft in Wismar wie das Dieselmotorenwerk in Rostock an die Bremer Vulkan AG verkauft werden und andererseits die Warnemünder Warnow-Werft der norwegischen Kvaerner- Gruppe zufallen soll. Über die Zukunft der Neptun-Werft soll mit dem Osloer Konzern weiter verhandelt werden, um eine wesentliche Verbesserung des von dem Unternehmen unterbreiteten Angebots zu erreichen. Besonders auf diese Entscheidung ist gestern von der Belegschaft der Neptun-Werft mit Erleichterung reagiert worden. „Unser Kampf war nicht ganz umsonst, kommentierte Betriebsratsmitglied Lothar Fahning den Umstand, daß damit seine Werft zunächst im Verband der Deutschen Maschinen- und Schiffbau AG (DMS) verbleibt. Die Treuhand- Entscheidung muß noch von der EG- Kommission genehmigt werden. In Brüssel war schon erklärt worden, eine Privatisierung werde nur dann akzeptiert, wenn sich die Subventionsleistungen im Rahmen halten. Wie die Treuhand gestern in einer Erklärung mitteilte, sei die Entscheidung „in der Überzeugung getroffen“ worden, damit auf Dauer am besten Arbeitsplätze und wirtschaftliche Impulse für Mecklenburg-Vorpommern zu sichern. Allerdings sei man sich bewußt, daß diese Lösung der Treuhand und dem Steuerzahler einen erheblichen finanziellen Beitrag abverlangt. Konkrete Zahlen werden in der Erklärung zwar nicht angegeben, mittlerweile geistern aber Summen in Höhe von über drei Milliarden Mark durch die Medien. Eine „große Verbundlösung“ für die Ostsee-Werften unter Führung der Bremer Vulkan, wie sie mit Nachdruck von der IG Metall, der Schweriner Landtagsopposition, den Werftarbeitern, aber auch von Teilen der CDU gefordert wird, ist mit der Begründung abgelehnt worden, sie sei zu stark subventionsbedürftig und verspreche nur geringe Produktivität. Damit könne eine Wettbewerbsfähigkeit des ostdeutschen Schiffbaus nicht erreicht werden. Lösungen für andere Standorte der ostdeutschen Werftindustrie sind noch nicht gefunden worden. Das betrifft insbesondere die Volkswerft in Stralsund, die Schiffsbauelektronik Rostock und die Schiffswerft Boizenburg. Am Morgen waren knapp hundert Beschäftigte der Werften mit Schiffsanker, Motorenteilen und Transparenten nach Berlin gekommen, um vor der Treuhandzentrale gegen die „kleine Verbundlösung“ zu demonstrieren. Vergebens forderte der SPD-Landtagsabgeordnete Rolf Eggert die Berliner Anstalt im Namen der DemonstrantInnen auf, ihren Beschluß wenigstens bis

180 http://www.taz.de/!1677600/ 1/2 17.5.2018 Treuhand billigt Werften-Kompromiß - taz.de zur nächsten Sitzung des Schweriner Landtags am Donnerstag auszusetzen, auf der Berndt Seite zum neuen Ministerpräsidenten gewählt werden und erneut über die Werftenprivatisierung abgestimmt werden soll. Die Protestierenden entrollten Plakate, auf denen die Treuhand mit der Mafia verglichen wurde. „Wir werden weiterkämpfen, auch wenn die Treuhand gegen uns entscheidet“, erklärt trotzig ein Arbeiter. „Wir sind doch das Volk.“

taz. die tageszeitung vom 18. 3. 1992

Inland S. 4

BARBARA GEIER

THEMEN Metallindustrie 1311

3363 Zeichen ~ ca. 99 Zeilen

Ausgabe 3659

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181 http://www.taz.de/!1677600/ 2/2 7.5.2018 Betriebs- und Personalräte halten bei Kündigungen zusammen - taz.de Betriebs- und Personalräte halten bei Kündigungen zusammen

Oberschöneweide. Auf die im Werk für Fernsehelektronik (WF) kürzlich erfolgten Kündigungen von 13 Mitgliedern des Betriebsrates durch die Geschäftsführung reagierte die »Initiative Berliner Betriebs- und Personalräte« mit sofortigem Protest. Zur Vorgeschichte: Die WF-Geschäftsführung hatte unter Ausnutzung der betrieblichen Personalreduzierung und im Vorfeld von neuen Betriebsratswahlen offenbar geglaubt, eine günstige Gelegenheit gefunden zu haben, einem Drittel des Betriebsrates einfach zu kündigen. Es traf insbesondere kritische und aktiv gegen die Massenentlassungen kämpfende Betriebsräte (die taz berichtete). Die im Februar dieses Jahres gegründete Initiative Berliner Betriebs- und Personalräte ist ein Zusammenschluß von mittlerweile 26 Betriebs- und Personalräten aus Ost- und Westbetrieben, darunter Großbetriebe wie Narva, Werk für Fernsehelektronik, Kabelwerk Oberspree, Elpro und AEG Marienfelde, aber auch Vertreter der Freien Universität und des Bezirksamts Kreuzberg. In ihrer Erklärung wies die Initiative darauf hin, daß die Kündigung einen »massiven Angriff« auf die Arbeitnehmerrechte bedeute und gegen das Betriebsverfassungsgesetz sowie bestehende Betriebsvereinbarungen verstoße. In der komplizierten Verkaufssituation des Treuhandbetriebes WF brauche die Belegschaft einen starken Betriebsrat, der ihr im Kampf gegen die Arbeitsplatzvernichtung helfe. Daher verurteilt die Initiative die Kündigungen, fordert ihre Rücknahme und erklärt ihre volle Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen des Betriebsrates des Werks für Fernsehelektronik. Die prompte Reaktion von 26 Betriebs- und Personalräten auf die Kündigungen beim WF zeigt, daß die Betriebsräte der Treuhandbetriebe ihren Geschäftsführungen nicht allein gegenüberstehen. Daher lautet ein Motto der Initiative, die mit vollem Namen »Initiative Berliner Betriebs- und Personalräte — Stoppt die Arbeitsplatzvernichtung! Für Arbeit und Leben in Berlin!« heißt: Wir organisieren die Solidarität der Betriebe. MARTIN CLEMENS

taz.am Wochenende vom 18. 4. 1992

Inland S. 32

MARTIN CLEMENS

2065 Zeichen ~ ca. 59 Zeilen

Ausgabe 3685

NACHDRUCKRECHTE

182 http://www.taz.de/!1673515/ 1/2 183 184 185 186 187 28.2.2018 Stahlkonzerne an der Ruhr wollen über Treuhand ostdeutschen Konkurrenten ausschalten: Massiver Protest gegen Plattmache in Freital (…

neues-deutschland.de / 08.09.1992 / Seite 5 Massiver Protest gegen Plattmache in Freital SACHSEN

Uschi Kirste

Mit einer öffentlichen Betriebsversammlung und einem Marsch durch die Stadt protestierten Freitaler Edelstahlwerker und ihre Familien gemeinsam mit vielen anderen Einwohnern massiv gegen die Liquidationspläne des Stahlstandortes Freital durch die Treuhand. Obwohl es noch einen Interessenten gibt, soll Freital geschlossen werden. „Es ist die typische Kahlschlagpolitik wie überall im Osten. Erst wird als Überlebensgarantie von 6000 Belegschaftsangehörigen auf 2000 herühtergefähren. Dahh'wifd erklärt, die Auftragslage verschlechtere sich, und;so könnten nur 700 bleiben. Schließ-

lich hat es dann die Konkurrenz geschafft und läßt auch den Rest in die Wüste schicken. Auf diese Weise kann man auch noch die Solidarität der Arbeitnehmer demontieren und alles möglichst lautlos abwickeln“, sagte uns Werner Riedel, lange Jahre als Walzer im Freitaler Edelstahlwerk tätig. Dieses hatte ja immerhin in der Metallurgie Europas einen guten Namen: In Freital stand der erste Elektronenstrahlmehrkammerofen der Welt für das Erschmelzen ultrareiner Stähle, und auch die Plasmatechnologie in diesem Werk vor den Toren Dresdens war lange Zeit mit niveaubestimmend in der Stahlindustrie.

Nun kämpft die IG Metall mit dem Freitaler Betriebsrat um den Erhalt der 2100 verbliebenen Arbeitsplätze. Die Gewerkschaft hat errechnet, daß bei einer Liquidierung mehr als 600 Millionen DM Folgekosten anfallen, eine Weiterführung der Produktion jedoch mit Privatisierung und 1500 Arbeitsplätzen nur 200 Millionen DM erfordern würde. Allerdings wäre Freital dann noch immer als Auftragskonkurrent für die Stahlindustrie des Ruhrgebietes vorhanden.

Mit ins Verderben gerissen würde die zum Freitaler Unternehmen gehörende Drahtr zieherei in Lugau. Sie ist der

größte Arbeitgeber in der Erzgebirgsregion - einem Gebiet, das in der sächsischen Arbeitslosenstatistik ganz vorn steht. Für die Stollberger Region wäre die Schließung eine Katastrophe mit schlimmsten Auswirkungen auch auf alle Dienstleistungsbereiche. „Nur mit einer Protestwelle, die niemand übersehen und überhören kann, können wir die geplante Liquidation stoppen und dem möglichen Investor bei den Treuhand-Verhandlungen den Rücken stärken“, erklärte der F,reitaler Betriebsratsvorsitzende Peter Welzel.

USCHI KIRSTEN

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/374721.massiver-protest-gegen-plattmache-in-freital.html 188 https://www.neues-deutschland.de/artikel/374721.massiver-protest-gegen-plattmache-in-freital.html?action=print 1/1 28.2.2018 Belegschaft besetzt Betrieb in Schwarzenberg (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 11.09.1992 / Seite 4 Belegschaft besetzt Betrieb in Schwarzenberg

Schwarzenberg (dpa/ND). Die Belegschaft der Saxonia Schmiertechnik GmbH in Schwarzenberg hält seit Mittwochabend den Betrieb besetzt. Der Protest richte sich gegen die beiden Geschäftsführer des Treuhand-Unternehmens, deren Konzept für eine Privatisierung den Abbau der jetzt 81 Mitarbeiter zählenden Belegschaft auf 30 vorsehe, sagte Betriebsratsvorsitzender Egermann. Die Belegschaft verlangt den Erhalt der Arbeitsplätze und die Weiterführung des Produktionsstandortes unter einer anderen Geschäftsleitung.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/375406.belegschaft-besetzt-betrieb-in-schwarzenberg.html

189 https://www.neues-deutschland.de/artikel/375406.belegschaft-besetzt-betrieb-in-schwarzenberg.html?action=print 1/1 190 191 28.2.2018 900 Faserwerker forderten in Berlin: „Wir wollen Arbeit“ (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 07.10.1992 / Seite 1 900 Faserwerker forderten in Berlin: „Wir wollen Arbeit“

Berlin (ND-Weihrauch). 900 Premnitzer protestierten am Dienstagmorgen in Berlin vor der Treuhandanstalt gegen die drohende Stillegung der Märkischen Faser AG (MFAG), des größten Arbeitgehers der Region. Treuhand-Vorstand Dr. Klaus Schucht leugnete die politische Verantwortung an der Stillegung und lehnte die geforderte Rücknahme der MFAG durch die Treuhand ab. Statt dessen versprach Schucht den Premnitzem „neue Konzepte“ - und Betriebsratsvorsitzender Mathias Hohmann versprach daraufhin neue Proteste, damit die Treuhand unter Druck bleibt.

Am Dieristägmorgen wurde der beschauliche Alltag der Abwickler empfindlich gestört, als Demonstranten, die in siebzehn Bussen aus der brandenburgischen Noch-Industriestadt Premnitz angereist waren, vor dem Detlev-Rohwedder-Haus in der Otto-Grotewohl-Straße mit Trillerpfeifen, Sirenen, Hupen, Glocken und Pfiffen gegen die drohende Stillegung der Märkischen Faser AG zu protestieren begannen.

Von ? den Jacken etlicher Premnitzer wehte noch der Trauerflor vom 3. Oktober: „Wir haben nicht die Einheit betrauert, sondern deren Zustand: Unser Volkseigentum wird verschleudert, uns wird ein Teil unseres Lebens einfach weggenommen; Tausende müssen ihre Heimat verlassen, weil ihre Arbeitsplätze vernichtet worden sind“, so eine ehemalige Faserwerkerin, die mit fünfzig Jahren sicher ist,

in ihrer Umgebung niemals wieder Arbeit zu finden.

Während der Kundgebung der größten, die je ein einzelner Betrieb vor der Treuhandanstalt organisiert hat - forderten Sprechchöre wie „Premnitz ist hier - Breuel vor die Tür!“ eine Stellungnahme. Erst nach anderthalb Stunden ohrenbetäubenden“ Protestes erschien Dr. Klaus Schucht, als THA-Vorstand für den Bereich Bergbau und Chemie zugleich verantwortlich für die drohende Schließung des einst drittgrößten Chemiefaserherstellers in Europa.

Am sorgsam gesicherten Tor stand der Betriebsratsvorsitzende der MFAG, Mathias Hohmann, und fragte: „Wird der Vertrag zwischen der Treuhand und der Alcor Chemie aufgehoben und die

Foto: RGP

MFAG von der Treuhand zurückgenommen oder wird Premnitz als Industriestandort ausradiert?“ Schucht lehnte, begleitet von wütenden Zurufen, die Rücknahme ab und wies auch den Verdacht der geplanten Liquidierung zurück: „Die Wahrheit ist, daß Ihre Produkte nicht zu verkaufen sind!“ Trotzdem würde Schucht sich um ein Konzept „zum Weiterbetrieb“ des Werks bemühen - „in welcher Größe auch immer“ - denn die Alcor Chemie könne die MFAG sehr wohl führen, man müsse nur abwarten...

Mathias Hohmann faßte zusammen: „Unser Protest gegen das skrupellose Verscherbeln der MFAG soll durch ein Spiel auf Zeit gebrochen werden. Das Ergebnis dieses Gesprächs ist: nichts.“

192 https://www.neues-deutschland.de/artikel/380151.faserwerker-forderten-in-berlin-bwir-wollen-arbeitl.html?action=print 1/2 28.2.2018 1 200 Premnitzer rückten der Bundesregierung auf die Pelle:: Kanzler schuld am Kahlschlag (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 30.10.1992 / Seite 1 Kanzler schuld am Kahlschlag

Bonn (ND-Weihrauch). Rund 1 200 Premnitzer wurden gestern mittag nach einer Fahrt im Sonderzug vor dem Bonner Hauptbahnhof von etwa 1 000 Bürgern der Partnerstadt Niederkassel empfangen; gemeinsam zogen die Kundgebungsteilnehmer durch die Innenstadt zum Platz vor dem Bundeskanzleramt. “Wir sind hergekommen, um auf die Scheinprivatisierung der Märkischen Faser AG in Premnitz aufmerksam zu machen“, erklärte Betriebsratsvorsitzender Mathias Hohmann.

Er bezeichnete es als „unerhörten Skandal“, daß Kanzleramtsminister Bohl seine Zusage zurückgenommen hatte und nicht vor den Versammelten sprach. Die Demonstranten quittierten dies mit wütendem Protest; Hohmann bezeichnete „den Kanzler, der sich Vereinigungskanzler nennt“, als den Verantwortlichen „für den industriellen Kahlschlag von noch nie dagewesener Dimension“.

Der MFAG-Betriebsratsvorsitzende forderte die Treuhand auf, „nicht länger mit dem Feuer zu spielen“ und verlangte von Bonn ein „eindeutiges Signal an Berlin, den Schein-Vertrag aufzulösen“. Auch Helmut Rappe, Vorsitzender der IG Chemie- Papier-Keramik, stellte fest, daß der MFAG-Verkauf unter falschen Voraussetzungen stattgefunden hätte und forderte

als Ausweg die Gründung einer neuen Gesellschaft, in die das Land Brandenburg und die Treuhand als Gesellschafter eintreten sollten - „nicht als Gegenstrategie zur Privatisierung, sondern zur Lösung dieses Sonderfalles“.

Die Vertreter von CDU und FDP, die weitschweifig den Regierungsstandpunkt vertraten, wurden ausgepfiffen. SPD- Bundestagsabgeordnete Ingrid Matthäus-Maier verwies darauf, daß „unterlassene Sanierung teurer sei als Sanierung“ und forderte „aktive Industrieansiedlungspolitik“.

Die Treuhand hätte bereits viele sanierungsfähige Betriebe zerstört, um Konzernen

Konkurrenz vom Halse zu schaffen, erklärte der PDS-Vorsitzende Gregor Gysi, und weiter: „Ein Vertrag ist bei arglistiger Täuschung nichtig - und deshalb muß der Kaufvertrag für die MFAG aufgehoben werden! Die Regierung muß sich entscheiden, ob sie Arbeitslosigkeit mit allen sozialen Folgen oder Arbeit finanzieren will. Wir dürfen uns nicht entsolidarisieren!“

Im Anschluß an die Demonstration führte Minister Bohl mit Vertretern des Betriebes Gespräche. Wie ernst er deren Anregungen nahm, zeigte sich auch darin, daß das „Kommunique“ über den Inhalt der Gespräche bereits zuvor veröffentlicht wurde.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/384726.kanzler-schuld-am-kahlschlag.html

193 https://www.neues-deutschland.de/artikel/384726.kanzler-schuld-am-kahlschlag.html?action=print 1/1 194 28.2.2018 Betriebsratsinitiative plant neue Aktion / 6 000 protestierten in Leipzig gegen Ausverkauf: Politik der Treuhand scharf attackiert (neues-deut…

neues-deutschland.de / 04.12.1992 / Seite 1 Politik der Treuhand scharf attackiert

Rostock/Leipzig (dpa/ND). Beschäftigte von Treuhand-Unternehmen wollen am 15. Dezember vor der Breuel-Behörde für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze demonstrieren. An der Aktion werden auch Vertreter von Parteien, politischen Organisationen und Gewerkschaften teilnehmen, sagte der Betriebsratsvorsitzende der Deutschen Seereederei Rostock (DSR), Eberhard Wagner, am Donnerstag in Rostock. Der Protest werde eine „weitaus größere Dimension“ als die bisherigen Aktionen annehmen.

Bereits gestern bereiteten 6 000 Mitarbeiter und Betriebsräte aus Sachsen der Treuhandpräsidentin Birgit Breuel auf dem Leipziger Messegelände einen heißen Empfang. Zur Eröffnung der ersten Messe, auf der sich über 200 Treuhand- Unternehmen präsentieren, demonstrierten sie für den Erhalt ihrer Betriebe und Arbeitsplätze. Mit Pla-

katen wie „Ich bin eines der ostdeutsche Produkte, das keiner will“ oder „Treuhand -Totengräber der ostdeutschen Betriebe“ starteten sie einen eigenen „Messerundgang“. Die in Leipzig ausstellenden Unternehmen sind der Treuhand zufolge die bedeutendsten der insgesamt etwa 3 000 Betriebe, die noch von ihr verwaltet werden.

Treuhand-Präsidentin Birgit Breuel hat am selben Tag zur Eröffnung eines Unternehmenskongresses ihrer Behörde in Leipzig mehr Aufträge für ostdeutschen Unternehmen aus dem Westen gefordert. Nach ihrer Ansicht sind ostdeutsche Investitionsgüter marktfähig und genügen in Qualität und Standard höchsten Ansprüchen.

Bonn. Die Bundesregierung will als industrielle Kerne in den«euen Ländern nicht nur Großbetriebe erhalten. Es gebe auch eine Reihe mittlerer Betriebe, die regional eine wichtige Rolle spielten, sagte Regierungssprecher Dieter

Vogel am Donnerstag in Bonn. Premnitz. Für die Märkische Faser AG wird die Situation bedrohlich. Es wächst die Gefahr der Stillegung des seit 72 Tagen besetzten Betriebes. Die Verantwortung für den Verlust der 2 000 noch verbliebenen Arbeitsplätze liege dann bei der Treuhand, erklärte der Betriebsratsvorsitzende Mathias Hohmann. Für Freitag hat der Betriebsrat zu einer Betriebsversammlung vor dem Werktor eingeladen. Kommen will auch die PDS/LL- Bundestagsabgeordnete Petra Bläss, während Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) seine Zusage zurückgezogen hat. (Seite 8)

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/390721.politik-der-treuhand-scharf-attackiert.html

195 https://www.neues-deutschland.de/artikel/390721.politik-der-treuhand-scharf-attackiert.html?action=print 1/1 196 11.5.2018 Betr.: Protest ostdeutscher Betriebsräte gegen die Treuhand - taz.de Betr.: Protest ostdeutscher Betriebsräte gegen die Treuhand

Mit ihrer bisher größten gemeinsamen Aktion haben ostdeutsche Betriebsräte und Belegschaften am Dienstag in Berlin gegen die Politik der Treuhand protestiert. Etwa 400 Vertreter aus Treuhandbetrieben aller neuen Länder zogen durch die City zur Zentrale. Zur Abschlußkundgebung, zu der auch Treuhandpräsidentin Birgit Breuel eingeladen war, wurden rund 2.000 Teilnehmer erwartet. FOTO: PAUL LANGROCK/ZENIT

taz. die tageszeitung vom 16. 12. 1992

Inland S. 4

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Ausgabe 3886

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197 http://www.taz.de/!1638924/ 1/1 198 199 Zeitungsartikel Streik und Proteste, 1993

200 201 26.5.2018 In Sachsen stehen die Zeichen auf Streik - taz.de In Sachsen stehen die Zeichen auf Streik ■ Metallarbeitgeber in Sachsen kündigen einseitig den Tarifvertrag / IG Metall spricht von Rechtsbruch und kündigt Warnstreiks an / 20.000 Metaller demonstrieren in Chemnitz für höhere Löhne

Dresden/Frankfurt (dpa/AP/ taz) – In der ostdeutschen Metallindustrie rückt ein Arbeitskampf näher. Die Arbeitgeber haben gestern in Dresden die 1991 geschlossene Tarifvereinbarung über die Einkommenserhöhung für die 177.000 Beschäftigten der sächsischen Metall- und Elektroindustrie einseitig gekündigt, nachdem die Schlichtungsverhandlungen zu Wochenbeginn gescheitert waren. Die IG Metall kündigte daraufhin Warnstreiks an. Der zweite IG-Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel bezeichnete die Kündigung als „eklatanten Rechtsbruch“. Seine Organisation werde diesen „Vertragsbruch nicht kampflos hinnehmen“, sagte Zwickel in Frankfurt. Die grundlose Kündigung sei ein einmaliger Fall in der Nachkriegsgeschichte, meinte Zwickel. „Jetzt kämpfen die Arbeitgeber mit offenem Visier ohne Rücksicht auf die Tarifautonomie.“ Am Mittwoch waren auch die Schlichtungsverhandlungen in Thüringen gescheitert. In den anderen ostdeutschen Tarifgebieten dauern die Verhandlungen noch an. Der Verhandlungsführer des Verbandes der sächsischen Metall- und Elektroindustrie (VSME), Hans Peter Münter, sagte, die Kündigung sei die erste ihrer Art in der deutschen Tarifgeschichte. Als Grund für ihren Rücktritt von der Tarifvereinbarung führte Münter die schlechte Wirtschaftslage der rund 400 Unternehmen der Branche in Sachsen an. Münter zufolge halten die Arbeitgeber auch in Abstimmung mit dem Verband Gesamtmetall an ihrer Absicht fest, statt der vereinbarten Lohn- und Gehaltserhöhung von 26 Prozent zum 1. April dieses Jahres nur maximal neun Prozent zu zahlen. Münter forderte die IG Metall auf, einen Tarifvertrag mit zwölfmonatiger Laufzeit auszuhandeln. Zusätzlich wollen die Arbeitgeber eine sogenannte Öffnungsklausel einführen, die Betrieben in wirtschaftlicher Notlage eine Bezahlung unter Tarif gestattet. Die IG Metall will keinen neuen Tarifvertrag aushandeln. Nach Auffassung der Gewerkschaft hat die Vereinbarung von 1991 weiterhin Rechtskraft. Eine Sprecherin sagte gestern, die IG Metall werde mit dem Auslaufen der Friedenspflicht im April mit Warnstreiks beginnen. Sollten diese keine Wirkung zeigen, will die Gewerkschaft ihre Mitglieder in einer Urabstimmung über einen Streik entscheiden lassen. Der für die Tarifpolitik in Sachsen zuständige IG-Metall-Funktionär Heribert Karch sagte, wenn die Arbeitgeber nicht bei der vereinbarten Tariferhöhung blieben, könne er einen „äußerst harten Arbeitskampf“ nicht ausschließen.

20.000 Metaller demonstrieren in Chemnitz

202 http://www.taz.de/!1629309/ 1/2 26.5.2018 In Sachsen stehen die Zeichen auf Streik - taz.de Chemnitz/Leipzig (AFP/dpa/taz) Mehr als 20.000 sächsische Metallarbeiter haben am Mittwoch abend in Chemnitz gegen einen Ausstieg der Arbeitgeber aus dem Tarifvertrag demonstriert. Sie forderten eine Erhöhung der Löhne um 26 Prozent entsprechend der jetzt von den Arbeitgebern gekündigten Tarifvereinbarung. „Der Tarifsprung ist nicht unverschämt, sondern unser gutes Recht“, rief der Dresdner IG-Metall-Bezirksleiter Hasso Düvel den kämpferisch gestimmten Metallern zu. In Leipzig sollen die Montagsdemonstrationen wieder aufleben. „Wir müssen wieder auf die Straße, um uns Gehör gegen den drohenden Sozialabbau und die fehlende Wirtschaftspolitik zu verschaffen“, erklärte Gottfried Meyer, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall gestern in Leipzig. Die erste große Kundgebung soll am 8. März auf dem Augustusplatz stattfinden. Zur Vorbereitung der Demonstrationen habe sich ein Koordinierungskreis gebildet, dem Gewerkschaften, Kirchen, Arbeitslosenverbände und der Aktionskreis Frieden angehören. KLH

taz. die tageszeitung vom 19. 2. 1993

Inland S. 4

KLH

THEMEN Metallindustrie 1311 Gewerkschaft-IG-Metall 152M Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141

3695 Zeichen ~ ca. 114 Zeilen

Ausgabe 3939

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203 http://www.taz.de/!1629309/ 2/2 27.2.2018 Metaller schlugen „Brücke der Solidarität“ / IG-Metall-Vize Zwickel:: Mit Macht wird Recht gebrochen (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 22.02.1993 / Seite 1 Mit Macht wird Recht gebrochen

Rostock/Berlin (ND-Staude/ADN). „Brücken der Solidarität“ schlugen am Samstag 5 000 Gewerkschafter auf einer Großveranstaltung des IG Metall-Bezirks Küste in der Rostocker Sport- und Kongreßhalle. Norddeutsche Metaller von Papenburg über Lübeck und Kiel, von Stralsund, Schwerin und Neubrandenburg waren per Bus und oft mit Familie in die Hafenstadt gekommen. Sie protestierten gegen die Aushebelung der ostdeutschen Tarifverträge, für soziale Sicherheit und die Erhaltung ihrer Arbeitsplätze. Zugleich ging's bei dem mehrstündigen Treff auch ums bessere Kennenlernen der Kollegen aus Ost und West.

Auf der Veranstaltung griff der 2. Vorsitzende der IG Metall, Klaus Zwickel, die Arbeitgeber scharf an. Es sei „purer Unsinn“, wenn jetzt behauptet werde, es gebe im Osten keine verbindlichen Tarifverträge. Durch die rechtswidrige Kündigung des Tarifvertrages in Sachsen bekomme die gewerkschaftliche Er-

fahrung - „Macht schafft Recht“ - eine aktuelle Neuauflage. Für viele Arbeitgeber habe Recht offensichtlich nur eine Seite: Solange das Recht deren Besitz und Ansprüche regele, sei es unantastbar. Wenn es um aber die Ansprüche der Arbeitnehmer gehe, werde „Rechtsbruch“ begangen - und die politische Szene

schweige dazu. „Das ist ein Skandal“, rief Zwickel unter Beifall aus.

Die IG-Metall, betonte der Vizevorsitzende, werde sich nicht auf einen Entscheid der Gerichte verlassen, sondern um den Tarifvertrag kämpfen. Da Reden und Argumente offensichtlich nicht überzeugten, werde „massenhafter Protest“ folgen. Die Hauptlast dabei müsse von den ostdeutschen Kollegen getragen werden. Solidarität schließe ein, den Kampf im Osten mit „sichtbaren“ Protesten im Westen zu unterstützen, betonte Zwickel. Die Revision im Osten solle zugleich als „Türöffner“ für eine generelle Aushebelung des Tarifrechts in Deutschland dienen.

Frank Teichmüller, IG-Metall-Bezirksleiter Küste, kündigte eine „Springflut“ des gewerkschaftlichen Aufstandes von Stralsund bis Emden an. Für den 17. März sind unter dem Motto „Norddeutschland steht auf - Jetzt reicht's“ Aktionen der Metallerinnen und Metaller an der Küste geplant.

Eine Kündigung wie die der Metalltarife Ost hat es nach Aussage des Schlichters in Sachsen, Rudolf Hickel, in der Bundesrepublik bisher nicht gegeben. Eine letzte vergleichbare Kündigung durch Arbeitgeber sei im November 1928 in der Weimarer Republik ausgesprochen worden, in deren Folge es zu Streiks und wochenlangen Aussperrungen gekommen sei.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/404634.mit-macht-wird-recht-gebrochen.html

204 https://www.neues-deutschland.de/artikel/404634.mit-macht-wird-recht-gebrochen.html?action=print 1/1 26.5.2018 IG Chemie tritt aus Schatten der Metaller - taz.de IG Chemie tritt aus Schatten der Metaller Ostdeutsche Chemiearbeiter erhalten nach erfolgreicher Schlichtung neun Prozent mehr Lohn/ Tarifrevision für Metallindustrie in allen neuen Ländern gescheitert ■ Von Erwin Single

Berlin (taz) – Die Arbeitsteilung zwischen den Arbeitgebern klappt hervorragend. Während die ostdeutschen Metallunternehmer gleich reihenweise die Stufentarifverträge für die neuen Bundesländer aufkündigen und damit Verwirrung in der Tariflandschaft schaffen, konnte der Arbeitgeberverband Chemie stolz verkünden, für klare Tarifverhältnisse in der ostdeutschen Chemieindustrie gesorgt zu haben. Die Tarifeinkommen der 80.000 Beschäftigten werden ab 1.Februar um neun Prozent erhöht. So haben es am späten Montag abend, einstimmig und verbindlich, die Industriegewerkschaft Chemie und der Verband der ostdeutschen Chemieindustrie bei ihren Schlichtungsverhandlungen in Berlin beschlossen. Im Januar legen die Tarifparteien einen Null-Monat ein, in dem die Einkommen nicht erhöht werden. Der Vertrag soll bis Ende Februar 1994 gelten. Arbeitgeber wie Gewerkschafter werteten den Tarifabschluß als Erfolg: Der Abschluß setze ein tarifpolitisches Signal für die Solidarpakt-Diskussion, sagte Chemieverbands-Sprecher Burkhard Jahn; der IG Chemie-Tarifexperte Hans Terbrack verwies auf den Durchbruch gegenüber dem ursprünglichen Arbeitgeber-Angebot von 7,5 Prozent und vier Null- Monaten. Für das Gewerkschaftslager aber muß der Chemie-Abschluß einen bitteren Nachgeschmack haben – IG Chemie und IG Metall sind gegeneinander ausgespielt. Während die mächtige Metallgewerkschaft weiterhin auf dem im Frühjahr 1991 ausgehandelten Stufentarifvertrag besteht, der die Ostlöhne bis 1994 an das Westniveau angleichen soll, gibt sich die IG Cemie, immerhin die drittgrößte Einzelgewerkschaft, mit einem Inflationsausgleich für ihre Ost- Klientel zufrieden. Genau diesen hatten in Höhe von neun Prozent auch die Metall-Arbeitgeber in den Revisionsverhandlungen angeboten und dabei auf die mit hohen Verlusten arbeitenden Betriebe hingewiesen, die den vereinbarten Lohnsprung von 26Prozent auf 82Prozent des Westniveaus nicht verkraften würden. Daß die IG Chemie nicht allzuviel von der starren Verweigerungshaltung der Metaller hält, haben deren Vertreter schon zu Beginn der Verhandlungen signalisiert. „Wenn wir glaubwürdig bleiben wollen“, verkündete Terbrack, „dann müssen wir uns bewegen.“ Die IG Metall hält indes genau das Gegenteil für richtig, denn sie glaubt mit einem Wortbruch ihre Mitglieder zu verprellen. Nachdem die Metall- Schlichtungsrunden in allen fünf Tarifbezirken geplatzt sind und die Arbeitgeber in Sachsen und Berlin/Brandenburg die Tarifverträge bereits einseitig aufgekündigt haben, treibt die Branche in Ostdeutschland auf einen Arbeitskampf zu. Doch kaum in der Tarif-Sackgasse gelandet, mehren sich die kritischen Stimmen am strammen IGM-Kurs. Die CDU forderte die Gewerkschaft gestern auf, sich den Revisionsgesprächen mit den Arbeitgebern nicht länger zu verweigern. Die Metaller wollen davon allerdings nichts hören 205 http://www.taz.de/!1628556/ 1/2 26.5.2018 IG Chemie tritt aus Schatten der Metaller - taz.de und mobilisieren bereits die Belegschaften. Aber offensichtlich von der einseitigen Vertragskündigung durch die Arbeitgeber konsterniert, mit der eine Branche ab April erstmals seit 1928 ohne geltenden Tarifvertrag wäre, laufen die Aktionen nur langsam an. Und selbst ein Streik kann die mit roten Zahlen arbeitenden Betriebe kaum treffen: Für die Zeit des Ausstands sparen sie die Lohnkosten.

taz. die tageszeitung vom 24. 2. 1993

Inland S. 4

ERWIN SINGLE

THEMEN Gewerkschaft-IG-Chemie 152C Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Chemieindustrie / Pharmaindustrie 1312 Metallindustrie 1311 Bundesländer / Ostdeutschland 420O

3447 Zeichen ~ ca. 105 Zeilen

Ausgabe 3943

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206 http://www.taz.de/!1628556/ 2/2 207 208 21.5.2018 Metaller üben Nord-Solidarität - taz.de Metaller üben Nord-Solidarität ■ 65000 norddeutsche Gewerkschafter demonstrieren gegen Tarifvertrags-Kündigung in Mecklenburg-Vorpommern

in Mecklenburg-Vorpommern Gewerkschaft contra Arbeitgeber. 65000 Metaller, so die IG- Metall, haben gestern in den norddeutschen Küstenländern mit Warnstreiks, Kundgebungen und Verkehrsblockaden gegen den „Tarifvertrags–Rechtsbruch“ in Mecklenburg-Vorpommern durch den Unternehmerverband „Nordmetall“ demonstriert. Auch Hamburger Metaller beteiligten sich an den Arbeitsniederlegungen. In der Elbmetropole waren es vor allem die Belegschaften der Großbetriebe Still, Blohm & Voss, Deutsche Airbus und Körber, die gegen den Arbeitgeberbeschluß demonstrierten. Mit dabei auch 1200 MitarbeiterInnen Lufthansa, die die Arbeit für Stunden ruhen ließen und zum Werkstor marschierten. Denn auch bei den Kranich- Fliegern haben die Gewerkschaften mit der Aushöhlung des Tarifvertragsrechts zu kämpfen. Obwohl die Belegschaft durch Lohnverzicht dem Unternehmen jüngst eine halbe Milliarde Mark gestiftet hat, betreibt die Lufthansa durch Betriebsteilauslagerungen „Sozialabbbau“, wie ÖTV-Vize- Chef Wolfgang Rose erläutert: „Das ist der Versuch, trotz Vorleistungen der Mitarbeiter scheibchenweise Teile der Belegschaft aus dem Geltungsbereich des Tarifvertrags herauszuziehen.“ Der Schwerpunkt der Aktionen lag gestern in Schwerin, wo MetallerInnen die Zufahrtswege zum Landtag blockierten. In Mecklenburg-Vorpommern hatten die Metallunternehmer vor wenigen Wochen einseitig den gültigen Tarifvertrag für nichtig erklärt, durch den die Ostlöhne auf Westniveau angehoben werden sollten. Begründung: Weil die Unternehmen die Löhnerhöhungen nicht zahlen könnten, sei die Geschäfts- und Rechtsgrundlage des Kontraktes entfallen. Die Gewerkschaft befürchtet nun, daß die West-Unternehmen diesem Beispiel folgen könnten. IG Metall-Küste- Chef Frank Teichmüller dazu: „Die Metallarbeitgeber bereiten den offenen Rechtsbruch der Tarifverträge im Osten vor. Das wäre auch für den Westen der Anfang vom Ende der Tarifautonomie und des Tarifvertragssystems.“ Trotz massiver Einschüchterungsversuche regte sich gestern auch im Hamburger Umland Widerstand: In Pinneberg formierte sich in den Mittagsstunden trotz heftigen Nieselregens eine Demo von 500 GewerkschafterInnen. In Briefen an die Beschäftigten hatten die 1Metallunternehmer zuvor gedroht, alle zu entlassen, die sich an dem IG Metall-Protest beteiligen würden. Im Rahmen der Demo besetzten die Metaller kurzfristig eine 1Hochbrücke und tauften sie in „Brücke der Solidarität“ um. IG Metall- Sekretär Uwe Zabel zog einen abstrakten Vergleich zum Tarifvertragssystem zwischen Ost und 209 http://www.taz.de/!1625084/ 1/2 21.5.2018 Metaller üben Nord-Solidarität - taz.de 1West: „Diese Brücke verbindet beide Teile Pinnebergs. Wenn nun ein Pfeiler weggeschlagen wird, bricht die ganze Brücke zusammen.“ KAI VON APPEN

taz. die tageszeitung vom 18. 3. 1993

Inland S. 21

KAI VON APPEN

THEMEN Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Gewerkschaft-IG-Metall 152M Bundesländer / Ostdeutschland 420O

2790 Zeichen ~ ca. 176 Zeilen

Ausgabe 3962

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210 http://www.taz.de/!1625084/ 2/2 21.5.2018 Gegen die „Balkanisierung der Tariflandschaft“ - taz.de Gegen die „Balkanisierung der Tariflandschaft“ ■ IG-Metall-Proteste beim Bremer Arbeitgeberverband / Droht Tarifvertragsbruch heute im Osten — morgen im Westen?

Heiß begehrt war gestern das „Bremer Industrie-Haus“, das gleich zweimal im Mittelpunkt von Gewerkschafts-Protesten stand. „Tarifverträge sind kein Schrott“ schrieben rund 100 Klöckneraner am Vormittag dem dort ansässigen Bremer Arbeitgeberverband ins Stammbuch und kippten zur Demonstration auch gleich mehrere Schubkarrenlaldungen echten Schrotts vor die Tür. Am Nachmittag dann erneutes Getriller: Zum Aktionstag „Norddeutschland steht auf“ hatte die IG Metall/Küste von Stralsund bis Emden zum Protest aufgerufen — gegen Tarif-Rechtsbruch, Arbeitsplatzvernichtung und Sozialabbau. Rund 12.500 gingen in Emden, Oldenburg und Bremerhaven auf die Straße, in Bremen waren es am Nachmittag nur 200. Im Bremer Mercedes- Werk legten 300 für eine Stunde die Arbeit nieder. Grund der Aktionen: Die IG- Metall vermutet, die Arbeitgeber in West und Ost wollten strategisch das gesamte Tarifvertragssystem „über die Klinge springen lassen“, wie es IGM- Bezirksleiter Frank Teichmüller formulierte. Nach der fristlosen Kündigung der Metall-Tarifverträge in Mecklenburg/Vorpommern durch Arbeitgeberseite befürchtet die IGM, der Tarifbruch schwappe auch in den Westen über — in Form von „Tarif- Öffnungsklauseln“, die ein Verhandeln zwischen Betriebsführung und Betriebsrat ungeachtet der geltenden Tarife ermöglicht. Wie das in einem krisengeschüttelten Betrieb aussehen könnte, malt der Bremer IGM-Chef Manfred Muster aus: „Da wird dann der Betriebsrat derart unter Druck gesetzt, daß es heißt: Entweder wir zahlen kein Weihnachtsgeld aus, oder wir entlassen 150 Leute. Das hält doch kein Betrieb aus!“ Für Muster bedeutet das eine „Balkanisierung der Tariflandschaft“. In der Stahlindustrie gibt es laut Klöckner-Betriebsrat bereits „dezente und vorsichtige Versuche“, an die Tarifverträge heranzukommen. Rund 6.100 Protestunterschriften hatten DGB und IG Metall in Bremer Betrieben gesammelt, die Muster dem Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes, Ortwin Baum, überreichte. Empfangen wurde die Delegation mit einem lautstarken „Wenn es ums Demonstrieren geht, ist die IG Metall schnell zur Hand, doch wenn darum geht, den Betrieben im Osten zu helfen, da ist sie stur!“ Erregt stritten sich der Arbeitgeberboß und der Gewerkschafter um den Tarif-Rechtsbruch, der für Baum keiner ist (“Wir haben in einer Notsituation gehandelt“), um den Beitrag der IG Metall zum Solidarpakt, den Baum vermißt, und die Arbeitgeberstrategie des Tarifaushöhlens — für Baum „alles Quatsch“. Eindeutig Baums Antwort auf die Frage, ob er sich im Westen Tarif-Öffnungsklauseln vorstellen könne: „Ja“. Einig waren sich die beiden lediglich darin, daß sowohl Arbeitgeber als auch Gewerkschaften 1990 bei der Vereinbarung der Stufentarifpläne für den Osten eine falsche Einschätzung der Lage hatten.

211 http://www.taz.de/!1625056/ 1/2 21.5.2018 Gegen die „Balkanisierung der Tariflandschaft“ - taz.de Heftig widersprach allerdings der aus Rostock angereiste Gewerkschaftler Dieter Kremplien von der Neptun-Werft, der in Mecklenburg/Vorpommern mit am Verhandlungstisch gesessen hatte, Baums Behauptung, es gebe viele Betriebe im Osten, die bei der eigentlich vereinbarten Anhebung der Löhne 26 Prozent augenblicklich bankrott gehen würden: „Uns wurde nicht ein Betrieb genannt.“ Doch Baums Sorgen gehen weiter: Die Tarifautonomie wolle auch der Arbeitgeberverband erhalten, doch „bei 26 Prozent werden wir viele Betriebe nicht mehr im Verband halten können, und darüber geht das Tarifsystem kaputt“, so Baum. Als Manfred Muster aus dem Büro des Arbeitgeberbosses kam, war er um ein Buch reicher, das er bei Baum unter Jubel auf dem Schreibtisch entdeckt hatte: „Die Zukunft der sozialen Partnerschaft.“ Geschenkt war es obendrein. SUSANNE KAISER

taz. die tageszeitung vom 18. 3. 1993

Inland S. 21

SUSANNE KAISER

THEMEN Gewerkschaft-IG-Metall 152M Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Bundesländer / Norddeutschland 420N Bundesländer / Ostdeutschland 420O

3766 Zeichen ~ ca. 124 Zeilen

Ausgabe 3962

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212 http://www.taz.de/!1625056/ 2/2 213 214 215 26.5.2018 Auf zum letzten Gefecht - taz.de Auf zum letzten Gefecht ■ 100.000 warnstreikten gestern

Berlin (taz/dpa) – Selbst die IG Metall zeigte sich gestern überrascht, wie viele ihrer ostdeutschen Mitglieder und Nicht-Mitglieder dem Aufruf folgten, mit Warnstreiks gegen den Bruch der Tarifverträge durch die Arbeitgeberverbände zu protestieren. Nach Angaben der Gewerkschaft legten mit Beginn der Frühschicht fast 100.000 ArbeiterInnen der Stahl-, Metall- und Elektroindustrie für einige Stunden die Arbeit nieder und versammelten sich zu Kundgebungen, blockierten Straßen und Werkseinfahrten. Die „Kampfmaßnahmen“, die die 221 betroffenen Betriebe allerdings nicht besonders hart treffen dürften, dauerten vorerst nur einige Stunden. Gefordert wird die Einhaltung des abgeschlossenen Tarifvertrages, der den ArbeiterInnen zum 1. April einen Lohnsprung von 71 auf 82 Prozent des westlichen Tariflohns bringen sollte. Das hätte einer Erhöhung um 26 Prozent entsprochen. Die Arbeitsgeber rechtfertigten gestern die einseitige Kündigung des abgeschlossenen Vertrages mit den alten Argumenten und sprachen von „besonderen wirtschaftlichen Notlagen der Unternehmen“, die allerdings zu 40 Prozent noch der Treuhand gehören. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) appellierte an die IG Metall, ihre „politisch motivierte Blockade der Tarifpolitik aufzugeben“ und die Gespräche wieder aufzunehmen. „Die Lohnabschlüsse im Osten können sich nicht am Anpassungstempo zum Westen orientieren, sondern müssen zunächst das Erreichte sichern“, erklärten die Arbeitgeber. Der stellvertretende IG-Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel sagte in einem Interview: „Mit dem 1. April ist der Rechtsbruch der Metall- und Stahlarbeitgeberverbände in Ostdeutschland perfekt geworden.“ Für die Gewerkschaft bleibe in dieser Situation „der Warnstreik und – wenn es sein muß – der Streik das letzte Mittel der Gegenwehr. Verabredete Einkommenssteigerungen würden den Arbeitnehmern „rechtswidrig geraubt, ohne daß sie die Miete oder die Stromrechnung entsprechend kürzen oder im Lebensmittelgeschäft weniger bezahlen können“, erklärte Zwickel. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infas halten 74 Prozent der Ostdeutschen es für gerechtfertigt, wenn für die „Angleichung der Löhne und Gehälter an das Westniveau“ in manchen Branchen auch gestreikt wird. Berichte Seite 5

216 http://www.taz.de/!1622368/ 1/2 26.5.2018 Auf zum letzten Gefecht - taz.de taz. die tageszeitung vom 2. 4. 1993

Inland S. 1

THEMEN Arbeitskämpfe / Arbeitskonflikte 14 Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Gewerkschaft-IG-Metall 152M Metallindustrie 1311 Arbeitgeberverbände / Wirtschaft 16 Bundesländer / Ostdeutschland 420O

2326 Zeichen ~ ca. 66 Zeilen

Ausgabe 3975

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217 http://www.taz.de/!1622368/ 2/2 218 219 220 221 27.2.2018 Sachsen ließen Mauerbau wieder auferstehen (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 20.04.1993 / Seite 8 Sachsen ließen Mauerbau wieder auferstehen

Ein paar hundert sächsische Metaller zogen am Montag nach Köln vor das Gebäude des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall und mauerten den Eingang zu: „versteinerter“ Protest gegen die rechtswidrige Kündigung des Tarifvertrages. Auch „Kauf-Versuche durch Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Kirchner mit Würstchen und Kaffee lehnten sie ab Telefoto: AP

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/414760.sachsen-liessen-mauerbau-wieder-auferstehen.html

222 https://www.neues-deutschland.de/artikel/414760.sachsen-liessen-mauerbau-wieder-auferstehen.html?action=print 1/1 26.5.2018 Bremer DGB: 60 Busse nach Hamburg - taz.de Bremer DGB: 60 Busse nach Hamburg ■ Ziegert: „Solidarität mit den Arbeitnehmern im Osten“

„Westkollegen für Ostkollegen“ - Dieses Motto gab gestern die Bremer DGB- Kreisvorsitzende Helga Ziegert aus. Wenn sich am Samstag in Hamburg norddeutsche ArbeitnehmerInnen in einer öffentlichen Kundgebung mit ihren ostdeutschen KollegInnen in der Metallindustrie solidarisieren, sollen auch Bremer dabei sein: 60 Busse hat der Bremer DGB für Samstag morgen gechartert, für rund 3.000 BremerInnen. Hintergrund ist die laufende Auseinandersetzung um die Kündigung der Metall-Tarifverträge im Osten durch die Arbeitgeber. Die IG-Metall hat für Montag zur Urabstimmung über Streiks aufgerufen. „Wenn wir als Gewerkschaften die Aufhebung der Tarifverträge im Osten kampflos hinnehmen, werden wir auch im Westen bald mit diesem Problem konfrontiert“, erklärte die Bremer DGB-Chefin gestern. Die Fahrt nach Hamburg sei für die Bremer Gewerkschaftszene seit langem einmal wieder eine gemeinsame Aktion von DGB und Einzelparteien. Die Kündigung der Tarifverträge reihe sich in ein ganzes Bündel von Maßnahmen ein, die zusammen als „Angriff auf den Sozialstaat“ zu verstehen seien. Dazu gehörten auch kürzere Kündigungsfristen für Angestellte und die Duldung von Billigarbeitern vor allem in der Bau- und Textilindustrie. „Die Arbeitgeber versuchen im Osten, generell das Recht auf Tarifverträge und Tarifsicherheit zu untergraben.“ MAD

Treffen ist Samstag morgen, 8.00 Uhr, Bürgerweide, Schlachthofseite

taz. die tageszeitung vom 21. 4. 1993

Inland S. 17

MAD

THEMEN Deutscher-Gewerkschaftsbund / DGB 151 Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141

1479 Zeichen ~ ca. 51 Zeilen

Ausgabe 3989

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223 http://www.taz.de/!1619812/ 1/2 224 26.5.2018 „Haut den Bossen auf die Flossen“ - taz.de „Haut den Bossen auf die Flossen“

Mehr als 200.000 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter haben am Samstag unter dem Motto „Gegenwehr“ in mehreren ost- und westdeutschen Städten für die Einhaltung von Tarifverträgen demonstriert. Allein in Leipzig folgten knapp 50.000 Menschen dem Aufruf des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), den ostdeutschen Metall- und Stahlarbeitern in ihrem schwierigen Tarifkonflikt den Rücken zu stärken. Dank sommerlicher Temperaturen und strahlender Sonne kam auf dem Augustaplatz vor dem Gewandhaus bei Grillwürstchen und Bier Ausflugsstimmung auf. „Viele Kollegen sind gleich mit der ganzen Familie angereist“, erzählte eine Verwaltungsangestellte aus der Edelstahlzieherei Lugau. Während der Nachwuchs im Spielzelt herumtollte, donnerte der IG- Metall-Vorsitzende Franz Steinkühler ins Mikrophon: „Wir waren nicht für die Wiedervereinigung, um hinzunehmen, daß die Arbeitgeber aus Ostdeutschland eine Billiglohnkolonie machen.“ Und: „Wenn der Arbeitgeberputsch gegen die Tarifautonomie in Ostdeutschland nicht abgewehrt wird, dann wird es morgen in ganz Deutschland die Sicherheit eines Tarifvertrages nicht mehr geben.“ Auf Transparenten hieß es unter anderem: „Haut den Bossen auf die Flossen“. In Nürnberg geißelte die ÖTV-Vorsitzende Monika Wulf-Mathies „die Verwüstung der Tariflandschaft“. In Potsdam forderte der DGB-Chef Heinz- Werner Meyer (siehe Foto oben), in Ostdeutschland müsse mit allen Mitteln ein erfolgreicher Probelauf für die Aufkündigung von Tarifverträgen im Westen verhindert werden. Die Ost-Arbeitnehmer seien keine „lohnpolitische Verfügungsmasse und keine industrielle Reservearmee“. Der DGB beendete mit den Kundgebungen seine „Woche der Gegenwehr“. Heute beginnt in allen ostdeutschen Stahlbetrieben und in den Metallbetrieben von Sachsen und Mecklenburg die Urabstimmung. Da ein Einlenken der Arbeitgeber nicht zu erwarten ist, stehen dabei alle Zeichen auf Streik. FOTOS: PETER HIMSEL

taz. die tageszeitung vom 26. 4. 1993

Inland S. 1

PETER HIMSEL

THEMEN Bundesländer / Bundesländer-Nord-Süd / Bundesländer-Ost-West 420 Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Arbeitgeberverbände / Wirtschaft 16 Deutscher-Gewerkschaftsbund / DGB 151 Gewerkschaft-IG-Metall 152M Gewerkschaft-Transporte-Verkehr / ÖTV 152O

1941 Zeichen ~ ca. 54 Zeilen

Ausgabe 3993

225 http://www.taz.de/!1619127/ 1/2 226 227 21.5.2018 Mit Dixie in den ersten Streiktag - taz.de Mit Dixie in den ersten Streiktag 10.000 in Sachsen vor den Werktoren / Steinkühler: Millionen sind stärker als Millionäre ■ Aus Dresden Detlef Krell

Verriegelt und besetzt ist seit diesem Montag morgen das Tor zur AEG- Starkstromanlagenbau in Dresden. Die KollegInnen davor in ihren roten IG- Metall-Kitteln sind die Ruhe selbst. „Dieser Betrieb wird bestreikt“, heißt es auf den Plakaten. Plaudernd steht die Belegschaft beisammen. Einige haben es sich im provisorischen Gartenlokal bei Kaffee und Bratwurst bequem gemacht. Rote Nelken werden verteilt, Flugblätter und Plaketten. Eine Dixielandgruppe bringt Rhythmus in die frühe Stunde. Die Stimmung ist bestens, doch zum Spaß sind die Leute nicht hier zusammengekommen. In den Gesprächen werden die vergangenen heißen Wochen reflektiert. „Noch zum Warnstreik war ich unschlüssig“, gesteht ein Kollege seiner Gesprächsrunde, „aber wie es seitdem gelaufen ist, da ist der Streik unvermeidlich.“ „Abwarten, was passiert, wir haben unseren Teil getan“, meint ein anderer, und er beschreibt damit wohl am genauesten das Klima auf dem Platz. Vor der ersten Postenkette verstellen sich abgewiesene Brummis und Personenwagen beinahe alle Rückzugswege. Spediteure fluchen, als hätten sie eben erst vom Streik erfahren. Ein hemdsärmliger Ladafahrer gibt Gas und verschafft sich gewaltsam freie Fahrt. Er will nicht zur AEG, im weiträumigen Industriegelände arbeiten noch einige kleinere Firmen. Deshalb sind die Posten zwar konsequent, aber nicht stur. „Keine Streikbrecher“ melden sie pflichtbewußt, als sie von ihrem IG-Metall-Bezirksleiter Hasso Düvel begrüßt werden. „Froh sind wir nicht über den Streik“, erklärt Betriebsrat Werner Fahrag. „Obwohl, wir sind hier von vielen Sympathisanten umgeben“, verweist er auf die benachbarten Firmen. „So werden wir die Zeit schon durchstehen.“ Mit dem sächsischen Gewerkschaftsführer ist Franz Steinkühler aus Frankfurt gekommen. Ihren ersten Besuch hatten beide bereits im Sachsenwerk, einem Großunternehmen am anderen Ende der Stadt. Auch dort dreht sich kein Rad mehr. Hasso Düvel ist die Freude über den „eindrucksvollen Streikauftakt“ anzusehen. Ein „dosierter“ Beginn des gewerkschaftlichen Kampfes, wie er den KollegInnen erklärt. So sollen die Arbeitgeber „merken, daß wir streikfähig sind“, aber auch Gelegenheit zu „konstruktiven Tarifgesprächen“ erhalten. Noch am Abend will sich Düvel mit seinem Kontrahenten Hans-Peter Münter am Tisch des sächsischen Ministerpräsidenten treffen. „Wenn die Arbeitgeber in dieser Woche die Chance nicht nutzen“, stellt er klar, „dann wird schon in der nächsten Woche der Streik deutlich ausgeweitet.“ An einer „breiten, solidarischen Bewegung im Westen“ werde es nach Ansicht des sächsischen Gewerkschafters nicht fehlen. Welche Erwartungen die IG Metall an ihre Mitglieder stellt, formuliert Franz Steinkühler ganz konkret: Für den 12. Mai sei in der gesamten Metallindustrie ein Protest- und 228 http://www.taz.de/!1618099/ 1/3 21.5.2018 Mit Dixie in den ersten Streiktag - taz.de Aktionstag geplant. „Und wir hoffen, daß an diesem Tag kein Rädchen geht!“ Den Arbeitgebern soll demonstriert werden, daß „auch in Ostdeutschland Millionen stärker sind als Millionäre.“ Auf die politische Dimension des Streiks eingehend, macht Düvel den KollegInnen noch einmal Mut: „Wenn wir diesen Kampf zu unseren Gunsten entscheiden, und ich bin mir dessen sicher, werden wir auch weitere Kämpfe um soziale Gleichheit und Demokratie bestehen können.“ Etwa 10.000 sächsische Metall- GewerkschafterInnen sind an diesem ersten Streiktag vor die Werktore gegangen. Eine Gruppe von 100 Arbeitern sei „an der Hand von leitenden Angestellten“ ins VW-Werk Mosel bei Zwickau geführt worden, gibt Franz Steinkühler gegenüber der Presse bekannt. „Die Gewerkschafter dort kümmern sich darum, daß das morgen nicht noch einmal passiert.“ Schon am Wochenende hätte es bei VW Versuche gegeben, Bauzäune zu demontieren, um den Betrieb „offener zu machen“. 100 Leute, relativiert Steinkühler den Zwischenfall, „das ist weniger als die Zahl der Nichtorganisierten“. Ein Ende des Streiks noch in dieser Woche wird ausgeschlossen. Das gestrige abendliche Spitzengespräch am Abend bei Biedenkopf hat bestenfalls Hürden für den Beginn von Tarifgesprächen am Dienstag im Hotel „Dresdner Hof“ abgebaut. „Man kann sich nach dem Tarifbruch nicht so einfach wieder an einen Tisch setzen“, erklärt Hasso Düvel die Situation der Gewerkschaft gegenüber dem Unternehmerverband. Ob Biedenkopf, nachdem vor zwei Wochen sein Vermittlungsversuch an Gesamtmetall gescheitert ist, erneut als Moderator zur Verfügung stehen wird, ist ungewiß. Die IG Metall erklärt sich jedenfalls verhandlungsbereit. Doch eine „Generalamnestie“ wird es nach den Worten von Düvel nicht geben. Sollte es am Dienstag zu einer Einigung kommen, müssen die Gewerkschaftsmitglieder in einer Urabstimmung darüber befinden. Auf keinen Fall wird der Arbeitskampf ausgesetzt.

taz. die tageszeitung vom 4. 5. 1993

Inland S. 4

DETLEF KRELL

THEMEN Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Metallindustrie 1311 Gewerkschaft-IG-Metall 152M

4830 Zeichen ~ ca. 152 Zeilen

Ausgabe 3999

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229 http://www.taz.de/!1618099/ 2/3 27.5.2018 Streiks ausgeweitet - taz.de Streiks ausgeweitet ■ 35.000 im Ausstand / Gesamtmetall will vorerst nicht aussperren

Berlin (dpa/AP) – Mit Beginn der Frühschicht sind die Arbeitskämpfe in der ostdeutschen Metall- und Stahlindustrie am Donnerstag ausgedehnt worden. Mehr als 35.000 Beschäftigte in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg waren nach Angaben der IG Metall gestern im Streik. In Brandenburg legte am Morgen auch die Belegschaft der Eko Stahl AG in Eisenhüttenstadt die Arbeit nieder. Die Streikbeteiligung in den 24 Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie in Mecklenburg-Vorpommern lag nach Gewerkschaftsangaben bei 97 Prozent. Etwa 12.500 Metaller seien dort im Ausstand. Von den gestern Nachmittag in Rostock begonnenen Sondierungsgesprächen zwischen den Tarifparteien erwartete der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall, Klaus Zwickel, kaum Fortschritte. Er sagte, die Gewerkschaft werde trotz der verhärteten Fronten keine Verhandlungschance auslassen. In Sachsen waren bereits in der Nacht zum Mittwoch Sondierungsgespräche gescheitert. Ursachen für den Abbruch waren verhärtete Fronten auf beiden Seiten: Die IG Metall beharrte auf einem Stufentarifvertrag, die Arbeitgeber auf einer sogenannten Öffnungsklausel, die wirtschaftlich schwachen Betrieben Bezahlung unter Tarif erlauben soll. Dagegen war das Problem der Kündigung des Stufentarifvertrages von 1991 für die Metall- und Stahlindustrie, der 26 Prozent mehr Einkommen zum 1. April vorsah, vom Tisch. Die Verhandlungen im sächsischen Metall-Tarifkonflikt werden voraussichtlich in der kommenden Woche fortgesetzt. Ein Sprecher des Verbandes der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie (VSME) sagte, von Seiten der Arbeitgeber gebe es keine Hindernisse für Tarifverhandlungen. Der VSME habe immer betont, er sei zu Verhandlungen „ohne jede Bedingung“ bereit. Im ostdeutschen Tarifkonflikt wollen die Arbeitgeber vorerst nicht aussperren. Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Dieter Kirchner, sagte am Mittwoch im „Heute-Journal“, die Frage von Aussperrungen stelle sich nicht heute oder morgen: „Noch ist es nicht soweit.“ Erst wenn die IG Metall ihre Streiks ausdehne, müßten die Arbeitgeber etwas unternehmen, um den Arbeitskampf abzukürzen.

230 http://www.taz.de/!1617592/ 1/2 27.5.2018 Streiks ausgeweitet - taz.de taz. die tageszeitung vom 7. 5. 1993

Inland S. 4

THEMEN Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Metallindustrie 1311 Gewerkschaft-IG-Metall 152M

2229 Zeichen ~ ca. 70 Zeilen

Ausgabe 4002

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231 http://www.taz.de/!1617592/ 2/2 27.2.2018 Protestaktion ostdeutscher Metaller vor der Treuhand in Berlin: Gereizte Rufe: „Wo laufen Sie denn?' (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 12.05.1993 / Seite 5 Gereizte Rufe: „Wo laufen Sie denn?'

Als Dr. Föhr, das zuständige Treuhand-Vorstandsmitglied für Personalfragen, nach zehn die ersten Worte über den Lautsprecherwagen spricht, wird er ausgepfiffen. Rund tausepd.M.etaller und Stahlarbeiter ' ; aus Brandenburg,' Sachsen und Mecklenburgvörpoirimerif hatten sich “seit sieben Uhr vor der Treuhandzentrale versammelt, um zu fordern, was für die Treuhandmitarbeiter zumeist selbstverständlich ist: Gesichertes Einkommen und Arbeit.

Die Beschäftigten der Treuhandanstalt müssen an diesem Dienstag morgen regelrecht Spießruten laufen, um an ihren Arbeitsplatz zu gelangen. Der Eingang am Detlev-Rohwedder-Haus ist mit Gittern versperrt. Nur ein schmaler Durchgang bleibt offen. Dadurch zwängt man sich ins Haus. Vorbei an Metallern, die den Treuhändern Flugblätter in die Hand drücken. „Metaller informieren Treuhand-Mitarbeiter über Arbeitskampf“, nennt die IG Metall das Spektakel.

Kopfschüttelnd, verlegen mit gesenktem Kopf oder aufrechten Hauptes forsch vorwärtsdrängend nehmen die

Treuhandbeschäftigten die Aktion hin. Manche wedeln unter den roten IG Metall-Fahnen am Durchlaß mit dem Flugblatt, als war es ein Passierschein. Ein paar Direktoren werden namentlich und mit großem Gejohle begrüßt. Spott und Häme ergießt sich über sie: „Ja, wo laufen sie denn?“, ruft ein Gewerkschaftler durch das Megaphon. Manch älterer Privatisierer bekommt ein lautes „Vorruhestand“ mit auf den Weg.

Nur wenige Treuhand-Beschäftigte reagieren auf den friedlichen Tumult. Verständnis zeigen fast alle. „Aber ob das was bringt“, fragt einer und hetzt schwitzend zu seinem Acht-Uhr-Termin durch die Menge. Ein einerseits, andererseits ist auch die Position von Treuhänder Wolfgang Gimbel. Aber daß ein mühsam privatisiertes Werk wie die Edelstahlwerke im sächsischen Freital nun bestreikt wird , will er gar nicht verstehen: „Im Nu gibt es Konkurrenten, die die Lücke schlie- ßen.“

Der Vorstand der Treuhand hatte die rechtswidrige Kündigung der Tarifverträge

durch die Metall-Arbeitgeber massiv unterstützt. Als Personalchef Föhr seiner Hoffnung Ausdruck gibt, daß der Streik bald beendet werde, da die Forderungen der Tarifpartner nicht so weit auseinanderlägen, erntet er nur Buhrufe. Ein anschließend ans Mikrophon tretender Gewerkschaftssprecher stellt klar, daß man sich nicht mit Versprechungen abspeisen lassen werde. Der Streik gehe solange gehe, bis die Ziele der Arbeitnehmer erreicht seien.

Von der Volkswerft Stralsund kam ein Bus mit sechzig Kollegen nach Berlin. Noch wird vor allem für Prozente protestiert und gestreikt. „Momentan hat der Streik noch keine politische Dimension. Es geht nur um die Löhne und die Arbeitsplätze. Aber wenn es so weitergeht, kann das ja noch werden“, meint ein Metaller aus dem Stahlund Walzwerk Brandenburg.

Um über die bestreikten Betrieben zu informieren, bauten die Gewerkschafter ein Zelt vor der Behörde auf, in dem Stahlarbeiter aus mehreren Betrieben im Laufe der nächsten Woche Mahnwachen halten werden. ND-Böhm/Reuter

232 https://www.neues-deutschland.de/artikel/418673.gereizte-rufe-bwo-laufen-sie-denn.html?action=print 1/2 233 In sechs Stufen vom Ossi zum Wessi ■ Einigung in der ostdeutschen Metallindustrie: Lohnangleichung bis 1996

Dresden (dpa) – Nach zweiwöchigen Streiks ist der Tarifkonflikt in der ostdeutschen Metallindustrie so gut wie beigelegt. Nach rund 21stündigen Gesprächen und Verhandlungen einigten sich die IG Metall und die Arbeitgeber in Sachsen am Freitag in Dresden auf einen Kompromiß, der zugleich eine Pilotlösung für die gesamte Branche in den neuen Ländern sein soll. Die noch laufenden Streiks in Sachsen werden nach einer Urabstimmung vermutlich am Mittwoch mit der Frühschicht beendet. Die Verhandlungsführer der sächsischen IG Metall und des Verbandes der sächsischen Metall- und Elektroindustrie, Hasso Düvel und Hans Peter Münter, begrüßten den Kompromiß, der nach ihren Worten ohne die Vermittlung von Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) nicht zustande gekommen wäre. Sie würden die Übernahme der Vereinbarung den zuständigen Gremien der Arbeitgeber und der Gewerkschaft empfehlen und rechneten fest mit der Annahme. Der Vorstand der IG Metall will heute in Frankfurt am Main über die Aussetzung der Streiks beraten. Auch in den übrigen Tarifbezirken Ostdeutschlands soll es heute Beratungen geben. IG Metallchef Düvel sprach von einem guten, akzeptablen Ergebnis, sein Gegenpart Münter von einem schmerzhaften Kompromiß. Die Einigung wurde durch folgende Übereinkunft möglich: Die Kündigung des 1991 vereinbarten Stufenplans durch die Arbeitgeber wird gegenstandslos. Zugleich will Gesamtmetall eine Erklärung abgeben, daß die außerordentliche Kündigung von Tarifverträgen grundsätzlich kein geeignetes Mittel zur Lösung von Tarifkonflikten ist. In seinem Kern sieht der Tarifkompromiß bis zum 1. Juli 1996 eine Angleichung der Löhne und Gehälter in sechs Stufen bis auf 100 Prozent des West-Niveaus vor. Ursprünglich sollte der volle West-Lohn bereits am 1. April 1994 erreicht werden. Im Fall von wirtschaftlichen Schwierigkeiten kann der neue Endpunkt um ein weiteres halbes Jahr gestreckt werden. Für die rund 170.000 Beschäftigten der Branche in Sachsen werden die Tarife zunächst zum 1. Juni dieses Jahres auf 75 Prozent, zum 1. September auf 78 Prozent und zum 1. Dezember auf 80 Prozent des West- Niveaus angehoben. Danach sollen jeweils zum 1. Juli der kommenden drei Jahre die Tarife auf 87, 94 und 100 Prozent steigen. Aus rechtlichen Gründen tritt zunächst rückwirkend vom 1. bis zum 15. April der ursprünglich vereinbarte Lohnsprung von 26 Prozent in Kraft. Danach werden bis zum Beginn des neu ausgehandelten Stufenplans am 1. Juni neun Prozent mehr Lohn und Gehalt gezahlt. Ferner verständigten sich beide Parteien auf eine „Härteklausel“, mit der wirtschaftlich schwachen Unternehmen nach begründetem Antrag und mit Genehmigung der Arbeitgeber und der Gewerkschaft eine Bezahlung unter

234 Tarif gestattet werden kann. Über das Vorliegen eines Härtefalls müssen sich beide Tarifvertragsparteien verständigen, andernfalls wird der Antrag einer Schiedsstelle vorgelegt. Die Anwendung dieser Öffnungsklausel soll mit der 100prozentigen Angleichung automatisch aufgehoben werden. Kommentar Seite 10

taz.am Wochenende vom 15. 5. 1993

Inland S. 1

THEMEN Gewerkschaft-IG-Metall 152M Bundesländer / Ostdeutschland 420O Metallindustrie 1311 Bundesländer / Bundesländer-Nord-Süd / Bundesländer-Ost-West 420

3120 Zeichen ~ ca. 80 Zeilen

Ausgabe 4009

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235 18.5.2018 Steinkühler droht mit politischem Streik - taz.de Steinkühler droht mit politischem Streik ■ IG Metall will Öffnungsklauseln verhindern

Hamburg (taz) — Der Vorsitzende der IG Metall, Franz Steinkühler, hat auf dem Kongreß seiner Gewerkschaft einen politischen Streik für den Fall angedroht, daß die Bundesregierung darauf besteht, tarifliche Öffnungsklauseln durch Gesetz zu ermöglichen. Steinkühler sieht darin einen Verfassungsbruch, der die Grundlagen gewerkschaftlicher Gestaltungsmacht unterhöhlt. In seiner Grundsatzrede verwies er auf den Paragraphen 2 der IG- Metall-Satzung, der die Gewerkschaft zur Verteidigung der Verfassung verpflichtet und dem Vorstand die Möglichkeit einräumt, die Mitglieder zur Arbeitsniederlegung aufzurufen. Mit vielfach selbstkritischen Formulierungen räumte er die wachsenden Schwierigkeiten seiner Organisation bei der Verteidigung der Mitgliederinteressen gleichzeitig in Ost und West ein. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad sei in den letzten Jahren leicht zurückgegangen. Angesichts der ausländerfeindlichen Übergriffe forderte Steinkühler Parteien und gesellschaftliche Gruppen zu einem „Demokratiepakt“ auf. Er bekannte sich zum grundgesetzlich verankerten Asylrecht, das aber durch ein Einwanderungsgesetz ergänzt werden müsse. So könne eine Politik formuliert werden, die „mißbräuchliche Nutzung verhindert“. Siehe auch Seite 3 MARKE

taz. die tageszeitung vom 15. 10. 1992

Inland S. 1

MARKE

THEMEN Gewerkschaft-IG-Metall 152M Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Asylrecht 3423

1330 Zeichen ~ ca. 31 Zeilen

Ausgabe 3834

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Berlin/Potsdam. In der IG Metall Ostberlin/Brandenburg brodelt es. „Emotionell aufgeladen“ nannte ein Metaller, was sich am späten Samstag abend in der Sitzung der Großen Tarifkommission im fünften Stock der Kreuzberger Gewerkschaftszentrale abspielte. Bezirksleiter Horst Wagner, sonst immer für eine kämpferische Bemerkung gut, verschlug es am Ende sichtlich die Sprache. Die 120 Delegierten hatten, entgegen aller Erwartung, den Weg zur Übernahme des sächsischen Metall-Tarifmodells nicht freigegeben. Daß es schwer werden würde, den vom Frankfurter Vorstand ausgegebenen Kurs umzusetzen, hatte der frühere Arbeitssenator geahnt. Schon kurz nach Beginn der Gespräche mit dem Arbeitgeberverband ließ er verlauten, er wolle nach dieser Runde keine Erklärung abgeben und zunächst das Votum der Tarifkommission abwarten. Dort war man klar auf Streik gestimmt. Nach einer kräftezehrenden und von Zweifeln durchsetzten Mobilisierungskampagne sollte es an diesem Montag losgehen. Der Aussetzungsbeschluß des IG-Metall-Vorstandes aus Frankfurt wirkte wie eine kalte Dusche. Die Stahlarbeiter in Berlin-Brandenburg verfolgen nach den Worten Wagners ein anderes Streikziel, als es der sächsische Kompromiß vorsieht. Gefordert werde die Erhöhung auf 80 Prozent des Westniveaus bereits in diesem Frühjahr. Vor diesem Hintergrund war der in Dresden angenommene Tarifkompromiß über die Verlängerung des Stufenplans, der zudem schlechter ausgefallen war als der erste von Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) unterbreitete Vorschlag, schwer auf Anhieb zu vermitteln. Dies gilt um so mehr, als im angrenzenden Westberlin Westlöhne verdient werden und die sozialen Spannungen auch die Gewerkschaft schütteln. Die Wogen gingen hoch. Wäre ein Abschluß mit 80 Prozent Westlohn von Dezember dieses Jahres an und dem vollen westdeutschen Tarifniveau von Juli 1996 an nicht schon in den Revisionsgesprächen zu erreichen gewesen? Oder in der Schlichtung? „Es dauert ein bißchen, es muß sich entwickeln“, hatte ein Vertreter der Arbeitgeber am Nachmittag verständnisvoll die gerade erfolgte Vertagung kommentiert. Er dürfte recht behalten. Daß die unruhige, vielerorts von Arbeitslosigkeit bedrohte Basis sich durchsetzt, ist angesichts der Machtfülle der Gewerkschaftsspitze nicht zu erwarten. „Die Fakten, die in Sachsen geschaffen worden sind, kann keiner mehr aus der Welt schaffen“, brachte es Hartmann Kleiner, Hauptgeschäftsführer des regionalen Arbeitgeberverbandes, auf den Punkt. DPA

238 http://www.taz.de/!1616120/ 1/2 27.5.2018 Sachsen-Modell zerreißt die örtliche IG Metall - taz.de taz. die tageszeitung vom 17. 5. 1993

Inland S. 21

THEMEN Gewerkschaft-IG-Metall 152M Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141

2586 Zeichen ~ ca. 80 Zeilen

Ausgabe 4010

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239 http://www.taz.de/!1616120/ 2/2 240 21.5.2018 Polizei geht gegen Kali-Kumpel vor - taz.de Polizei geht gegen Kali-Kumpel vor Vier Festnahmen bei einer Demonstration von rund 400 thüringischen Kali-Arbeitern vor der Treuhandzentrale / Betriebsrat aus Bischofferode wirft Polizei Provokation vor ■ Von Severin Weiland

Berlin/Bischofferode. Bisher folgten die Demonstrationen ostdeutscher Arbeiter vor der Berliner Treuhandzentrale einem eingefahrenen Ritual: Fahnen, Flugblätter, Reden. Als Ventil für angestaute Wut wurden hin und wieder die ein- und ausgehenden Mitarbeiter der größten Abwicklungsgesellschaft der Welt mit Buhrufen bedacht. Abweichend von dieser Norm proletarischen Protestes herrschte in der Nacht zum Dienstag jedoch an der Grotewohlstraße ein Bild, das an Kreuzberger Verhältnisse erinnerte. Rund 400 Kalibergleute aus dem thüringischen Bischofferode waren nach Berlin gekommen, um für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und für die Übernahme ihres Betriebes durch einen westfälischen Unternehmer zu demonstrieren. Die Kundgebung endete jedoch mit einem massiven Polizeieinsatz, bei dem vier Demonstranten festgenommen, erkennungsdienstlich behandelt und Blutproben unterzogen wurden. Begründung der Polizei, die neun verletzte Beamte zu beklagen hatte: Das Treuhandgebäude sei mit Eiern, Flaschen und Büchsen beworfen worden. Später hätten Demonstranten die in unmittelbarer Nähe befindliche Kreuzung Leipziger Straße/Otto-Grotewohl-Straße besetzt. Als schließlich Treuhandpräsidentin Birgit Breuel das Gebäude verließ, sei es zu Auseinandersetzungen zwischen Kundgebungsteilnehmern und der Polizei gekommen. Kurz vor Mitternacht wurde schließlich die Kreuzung geräumt. Für den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden der Kali- Grube in Bischofferode, Gerd Jüttemann (41), war der Berliner Abend eine neue Erfahrung: „Wir haben schon viele Demonstrationen hinter uns, aber so ein Vorgehen haben wir noch nicht erlebt.“ Selbst in Kassel, wo seine Kollegen vor drei Wochen bei der Hauptaktionärsversammlung der westdeutschen Kali-Industrie „ein paar Eier“ geschmissen hätten, sei ihnen die Polizei mit Gelassenheit und Sympathie entgegengetreten. Die Berliner Polizei, so sagte er gestern der taz, habe die Randale „provoziert“. Bei dem Versuch, Eierwerfer aus der Menge zu holen, seien sogar Zivilpolizisten vorgegangen. Später hätten die Beamten in voller Montur auf die Arbeiter „sinnlos eingedroschen“, es sei sogar ein Räumpanzer in einer Nebenstraße gesichtet worden. Einer der Festgenommenen, ein 40jähriges Betriebsratsmitglied, trug nach Angaben Jüttemanns ein blaues Auge und Abschürfungen im Gesicht davon und mußte sich ärztlich behandeln lassen. Gegen zwei Uhr morgens konnten die Busse aus Thüringen Berlin endlich verlassen – die vier Kali- Arbeiter waren wieder auf freiem Fuß.

241 http://www.taz.de/!1615780/ 1/2 21.5.2018 Polizei geht gegen Kali-Kumpel vor - taz.de taz. die tageszeitung vom 19. 5. 1993

Inland S. 18

SEVERIN WEILAND

THEMEN Bergbauindustrie 1321 Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141

2718 Zeichen ~ ca. 81 Zeilen

Ausgabe 4012

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242 http://www.taz.de/!1615780/ 2/2 30.5.2018 Vogel distanziert sich von Kali-Bergleuten - taz.de Vogel distanziert sich von Kali-Bergleuten

Erfurt. Thüringens Ministerpräsident Vogel (CDU) hat sich in einem Brief an Treuhand-Chefin Breuel von den „Ausschreitungen“ einiger Kali-Bergleute aus Bischofferode bei der Demonstration am vergangenen Montag in Berlin distanziert. Bei der Demonstration war das Treuhand-Gebäude mit Eiern, Flaschen und Büchsen beworfen worden. Bei der Räumung einer von Demonstranten besetzten Straßenkreuzung waren Demonstranten und Polizisten verletzt worden.

taz.am Wochenende vom 22. 5. 1993

Inland S. 38

THEMEN Bergbauindustrie 1321 Arbeitskämpfe / Arbeitskonflikte 14 Landesregierung / Thüringen / Landesministerium / Bundes-und-Europaangelegenheiten 422TH

489 Zeichen ~ ca. 16 Zeilen

Ausgabe 4014

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243 http://www.taz.de/!1615349/ 1/1 28.5.2018 Stahlarbeiter kommen schneller auf Westlöhne - taz.de Stahlarbeiter kommen schneller auf Westlöhne ■ Besserer Abschluß als in der Metallindustrie

Berlin (AP/ dpa) – Das Weiterstreiken hat sich gelohnt. Den im Metallgewerbe erzielten Kompromiß wollten die rund 20.000 ostdeutschen Stahlarbeiter nicht übernehmen, weil sie eh schon weniger verdienen. Jetzt haben sie tatsächlich ein wenig mehr herausgeholt: Schon ab 1.Juni, ein halbes Jahr früher als die der Metaller, werden ihre Löhne auf 80 Prozent des Westniveaus angehoben. Die volle Lohnangleichung ist dann für April 1996 vorgesehen, das sind drei Monate eher. Ferner erhalten die Stahlarbeitnehmer eine einmalige Zahlung von 390 Mark. Mit diesem Ergebnis wurden am Wochenende die Weichen für ein Ende der knapp dreiwöchigen Streiks an den ostdeutschen Stahlstandorten gestellt. An ihnen hatten sich zuletzt 8.000 Beschäftigte beteiligt. Arbeitgeber und IG Metall hatten sich am Sonntag morgen nach über zwölfstündigen Verhandlungen auf den neuen Stufentarifvertrag verständigt. Sie einigten sich in Anlehnung an die Metallindustrie auch auf eine Härteklausel für wirtschaftlich schwache Betriebe. Derweil demonstrierten rund 10.000 Stahlarbeiter in Völklingen gegen die drohende Schließung der dortigen Saarstahl AG und den Verlust von bis zu 7.200 Arbeitsplätzen. Sie bildeten eine Menschenkette mit Fackeln vom Werkstor bis ins drei Kilometer entfernte Stadtzentrum. Am Montag soll bei einem Treffen zwischen Lafontaine, Töpfer und dem saarländischen FDP- Vorsitzenden Cronauer über das weitere Vorgehen beraten werden. Im Gespräch ist unter anderem eine landeseigene Auffanggesellschaft.

taz. die tageszeitung vom 24. 5. 1993

Inland S. 1

THEMEN Metallindustrie 1311 Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Bundesländer / Bundesländer-Nord-Süd / Bundesländer-Ost-West 420

1589 Zeichen ~ ca. 40 Zeilen

Ausgabe 4015

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244 http://www.taz.de/!1615020/ 1/2 245 21.5.2018 ■ Proleten-Power: Chef ausgesperrt - taz.de

■ PROLETEN-POWER Chef ausgesperrt

Leipzig (AP) – Beschäftigte der Deutschen Kugellagerfabriken in Böhlitz- Ehrenberg bei Leipzig haben am Mittwoch morgen aus Protest gegen geplante Entlassungen die Geschäftsführung ihres Unternehmens ausgesperrt. Die Führung des Unternehmens plane, noch in diesem Jahr die Belegschaft der vier DKFL-Werke in Ostdeutschland von 2.108 auf 1.400 zu reduzieren.

taz. die tageszeitung vom 27. 5. 1993

Inland S. 5

THEMEN Metallindustrie 1311 Arbeitskämpfe / Arbeitskonflikte 14

388 Zeichen ~ ca. 13 Zeilen

Ausgabe 4018

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246 http://www.taz.de/!1614495/ 1/1 247 248 30.5.2018 Kugellager festgelaufen - taz.de Kugellager festgelaufen Nach der Aussperrung der Chefs und zähen Verhandlungen nun doch Konkurs für die Leipziger Kugellagerfabrik ■ Aus Dresden Detlef Krell

Die Deutsche Kugellagerfabriken GmbH (DKFL) mit Sitz in Leipzig hat am Freitag die Gesamtvollstreckung beantragt. In einer Stellungnahme bedauert die Geschäftsführung, daß es nicht gelungen sei, „die öffentliche Hand zu einem Engagement zu bewegen und neue Kapitalgeber zu finden“. Die Muttergesellschaft FAG Kugelfischer in Schweinfurt will den Konkurs „mit großem Bedauern“ zur Kenntnis genommen haben. Kugelfischer habe aufgrund der eigenen angespannten Situation keine Möglichkeit mehr gesehen, noch weiteres Kapital zuzuschießen. Die Leipziger Tochter habe seit der Übernahme im Juli 1990 Verluste in Höhe von 365 Millionen Mark eingefahren. Jedes weitere Schweinfurter Engagement hätte das Restrukturierungskonzept des Gesamtkonzerns und damit 16.000 Arbeitsplätze – vorwiegend in Westdeutschland – in Frage gestellt. Sachsens Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) fällt es nach eigenen Worten schwer, hinter der mangelnden Gesprächsbereitschaft der beiden Geschäftsleitungen und der Banken „keine Strategie zu sehen“. Vorwürfe der DKFL-Chefs an die öffentliche Hand weist er zurück. „Jede erfolgversprechende Umstrukturierung der DKFL“ würde das Land Sachsen unter der Bedingung begleiten, „daß Schweinfurt und die Banken sich entsprechend engagieren.“ Der Leipziger IG-Metall- Sekretär Bernd Kruppa sieht Chancen für ein alternativ zu Kugelfischer entwickeltes Konzept, das nach der Ausgliederung der vier DKFL-Werke in Sachsen und Thüringen aus dem Konzern deren Entschuldung und Neustrukturierung vorsieht. In einer aufsehenerregenden Aktion hatte die Belegschaft des Leipziger Werkes drei Wochen lang die Geschäftsführung ausgesperrt und in eigener Regie die Produktion weitergeführt. Mit der Betriebsbesetzung hatten die KollegInnen gegen die, nach ihrer Meinung gezielten, Kündigungen von zwei Dritteln der Belegschaft protestiert. Sie vermuteten, die Schweinfurter Mutterfirma wollte lediglich einen lästigen Konkurrenten ausschalten. Wirtschaftsminister Schommer hatte eine Sanierungslösung gefordert, die „FAG und DKFL und nicht nur FAG“ heiße. Der Kugelfischer- Gesamtbetriebsrat stellte sich während der Aktion demonstrativ hinter die Konzernleitung und zieh den Minister der Einmischung in die Arbeit des Unternehmens. Widerspruch fing Schommer sich auch von Treuhand- Präsidentin Birgit Breuel ein. FAG habe sich „vorbildlich engagiert“, erklärte sie im Münchener Presseclub. Nach Beendigung der Blockade begannen am Montag Verhandlungen zwischen Belegschaft und Geschäftsführung, damit die 213 gekündigten ArbeiterInnen und Angestellten in die Leipziger Bildungs- und Beschäftigungsgesellschaft übernommen werden.

249 http://www.taz.de/!1611125/ 1/2 30.5.2018 Kugellager festgelaufen - taz.de taz.am Wochenende vom 19. 6. 1993

Inland S. 6

DETLEF KRELL

THEMEN Metallindustrie 1311 Sachsen / Staatsministerium / Wirtschaft / Arbeit 42203SN

2788 Zeichen ~ ca. 87 Zeilen

Ausgabe 4037

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250 http://www.taz.de/!1611125/ 2/2 251 252 253 254 27.2.2018 5 000 in Bischofferode gegen Schließung des Kali-Werkes: Neue Aktionen am Mittwoch (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 12.07.1993 / Seite 1 Neue Aktionen am Mittwoch

Kommentar Seite

(ND-Landgraf). Rund 5 000 Menschen haben am Samstag Nachmittag in Bischofferode gegen die drohende Schließung des Kaliwerkes protestiert. Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Gerhard Jüttemann betonte die Entschlossenheit der Kali-Kumpels, in ihrem Streik fortzufahren. Man lasse sich „nicht auf irgendwelche alternativen Schienen schicken.“ Inzwischen mußte einer der am Hungerstreik beteiligten Bergleute mit Magenkrämpfen und Ohnmachtsanfällen ins Krankenhaus nach Worbis gebracht werden.

Am vergangenen Dienstag hatte das Bundesfinanzministerium der Fusion der Mitteldeutschen Kali AG und der Kali und Salz AG Kassel zugestimmt, wonach das Werk Bischofferode mit seinen 700 Beschäftigten bis Jahresende geschlossen werden soll. Dagegegen wird von der Belegschaft das Privatisierungsangebot des westfälischen Un-

ternehmers Johannes Peine bevorzugt, der umfangreiche Investitionen angekündigt hatte. Aus Protest gegen die Schließung befinden sich 41 Kumpel seit elf Tagen im Hungerstreik.

Mehr als 30 Gewerkschafter, Betriebsräte nd Politiker aus der gesamten Bundesrepublik forderten auf der

Sonnabend-Kundgebung den Erhalt der Arbeitsplätze in der Region. Vertreter ostdeutscher Betriebe sowie des schließungsgef ährdeten Berliner Schillertheaters und des Stahlwerks Rheinhausen beschworen die Bergleute, in ihrem Kampf nicht nachzulassen. Eberhard Wagner von der DSR Rostock sagte, daß ein einzelner Betrieb wenig gegen die Treuhandpolitik auszurichten vermag. Nötig sei ein übergreifender Solidarstreik gegen den Arbeitsplatz- und Sozialabbau.

Der PDS-Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi warf Treuhand und Politikern vor, Arbeitsplätze abzubauen, um

eine Konkurrenz für westdeutsche Unternehmen zu verhindern. „Der Hauptunterschied liegt jedoch nicht zwischen Ost und West, sondern zwischen oben und unten“, sagte er unter großem Beifall.

Auf der Kundgebung wurden weitere Aktionen für den Erhalt des Standortes angekündigt. Am Mittwoch wird die Schließung des Kaliwerkes im thüringischen Landtag behandelt. Die Initiative Ostdeutscher Betriebs- und Personalräte ruft für diesen Tag zu Kundgebungen um jeweils acht Uhr vor dem Landtag in Erfurt und vor der Treuhandanstalt in Berlin auf.

(Kommentar Seite 2)

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/429561.neue-aktionen-am-mittwoch.html

255 https://www.neues-deutschland.de/artikel/429561.neue-aktionen-am-mittwoch.html?action=print 1/1 256 30.5.2018 Zivis provozierten Kumpel - taz.de Zivis provozierten Kumpel ■ Aktionen der Kali-Kumpel aus Bischofferode in Erfurt, Bonn und Berlin

Erfurt (taz/dpa) – Bei einer friedlichen Demonstration von über 500 Kali- Kumpel aus Bischofferode in Erfurt ließ es sich die Polizei gestern nicht nehmen agents provocateures loszuschicken. Nachdem Demonstranten in ihren Reihen drei bewaffnete Polizisten in Zivil enttarnten, die zuvor die Menge zu Gewaltaktionen angestachelt hatten, kam es zum Tumult. Zumindest einer von ihnen soll früher für die Stasi gearbeitet haben. Immer wieder riefen die Demonstranten deshalb „Stasi raus“ oder „Wir lassen uns nicht aufhetzen“. Uniformierte Beamte brachten die Zivis schließlich in Sicherheit. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten kritisierte das Vorgehen ihrer thüringischen Kollegen als „Anschlag auf die Versammlungsfreiheit“. Während die Kumpel mit Transparenten wie „Bischofferode ist überall“ vor dem thüringischen Landtag für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze in der Grube „Thomas Müntzer“ demonstrierten, beriet selbiger drinnen. Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD, Frieder Lippmann, lehnte dabei die Schließung des Bischofferoder Kali- Werks und den Fusionsvertrag zwischen der Mitteldeutschen Kali AG und der Kali und Salz AG in Kassel als sittenwidrig ab. Das Argument, nur so sei der gesamtdeutsche Kali-Bergbau zu retten, sei ein Vorwand, um Ostbetriebe auszuschalten, sagte er. Das sei grotesk, da es mit dem westfälischen Unternehmer Johannes Peine einen Kaufinteressenten gebe. Peine hatte in dieser Woche sein Übernahmeangebot bekräftigt, das den Erhalt von 536 Arbeitsplätzen vorsieht. Die Landesregierung müsse sich jetzt dafür einsetzen, daß die Bundesregierung den Fusionsvertrag in seiner jetzigen Form rückgängig macht und Bischofferode erhalten wird, erklärte Lippmann. Eine Revision des Fusions- Vertrages verlangte auch die Fraktion Linke Liste/ PDS. Ein Sprecher der CDU-Fraktion verlangte bescheiden eine zeitliche Streckung der für Ende 1993 vorgesehenen Schließung um mindestens ein Jahr. Unterdessen setzten 42 Bergleute der Bischofferoder Grube ihren Hungerstreik fort. Allerdings mußte schon der dritte Kumpel ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ein Kollege ist für ihn eingesprungen. Einige Bergleute verweigern bereits seit zwei Wochen die Nahrung. In Berlin wurde vor dem Teuhand- Gebäude in der Leipziger Straße eine Mahnwache abgehalten und mit einer Kundgebung gegen die Arbeitsplatzvernichtung protestiert. Bürgermeister aus der gesamten Region Eichsfeld suchten in Bonn den Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) sowie die Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und Kanzler Kohl heim. Kommentar Seite 10

257 http://www.taz.de/!1608486/ 1/2 30.5.2018 Zivis provozierten Kumpel - taz.de taz. die tageszeitung vom 15. 7. 1993

Inland S. 1

THEMEN Bergbauindustrie 1321 Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Kriminalpolizei / Thüringen 522TH

2668 Zeichen ~ ca. 74 Zeilen

Ausgabe 4059

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258 http://www.taz.de/!1608486/ 2/2 259 23.5.2018 Kumpel kämpfen weiter - taz.de Kumpel kämpfen weiter ■ Fordern bundesweite Hungerstreiks

Berlin (dpa/taz) – Nach den gescheiterten Bonner Gesprächen über den Bestand des Kali-Bergwerks Bischofferode setzt die Belegschaft auf Solidarität in ganz Deutschland. Die 38 hungerstreikenden Kumpel und Bergmannsfrauen riefen gestern bundesweit zu Hungerstreiks als Zeichen der Unterstützung auf und erklärten ihren Protest zur Sache aller von Betriebsstillegungen und Rationalisierung bedrohten Beschäftigten in Deutschland. Eine Belegschaftsversammlung rief zu einem „Internationalen Solidaritätstag“ am 1. August auf. Auch Arbeitsplatzangebote aus Bonn und Erfurt könnten die Kumpel nicht annehmen, hieß es. „Eine Sonderbehandlung hätte jeder geschlossene Betrieb verdient“, sagte Betriebsratschef Heiner Brodhun. „Es geht um Arbeit und Brot für alle“, hieß es in dem in der Nacht zum Freitag einstimmig verabschiedeten Aufruf der Hungerstreikenden. Die Bundesregierung müsse zum Einlenken auf eine Politik der Sicherung aller Arbeitsplätze überall gezwungen werden. Beschäftigte in Ost- und Westdeutschland sollten mit drei- bis viertägigen Hungerstreiks in Betrieben und anderen öffentlichen Stellen ihre Solidarität demonstrieren. Zum Solidaritätstag erwarten die Hungerstreikenden 2.000 Belegschaftsvertreter anderer Unternehmen. Zudem seien Fernsehteams und Journalisten aus europäischen Ländern von Spanien bis Dänemark eingeladen. Der FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff nannte das Angebot aus Thüringen, 750 Dauerarbeitsplätze anzubieten, „ein fruchtloses Unterfangen“. Zugleich warnte er angesichts des Bonner Angebotes, Arbeitsplätze befristet zu garantieren, vor einem Präzedenzfall. Auch andere könnten dann eine solche Hilfe verlangen, die der Steuerzahler finanzieren müsse. Vertreter des Betriebsrats versuchten gestern in Berlin zu erreichen, daß sich das Bundeskartellamt in die Prüfung der Fusion west- und ostdeutscher Kali-Betriebe einschaltet. Der PDS-Abgeordnere Gregor Gysi habe bereits mit den Protestierenden nach „möglichen Lücken im Kartellgesetzt gesucht“, sagten sie.

taz.am Wochenende vom 24. 7. 1993

Inland S. 2

THEMEN Bergbauindustrie 1321 Arbeitskämpfe / Arbeitskonflikte 14 Betriebsräte / Personalräte 154 FDP / Bundestag 4130 PDS / Bundestag 41560

2053 Zeichen ~ ca. 64 Zeilen

Ausgabe 4067

260 http://www.taz.de/!1607468/ 1/2 27.2.2018 Solidarität mit Bischofferoder Kumpeln - Aufruf der PDS Sachsen:: „Versalzt der BASF die Suppel (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 28.07.1993 / Seite 1 „Versalzt der BASF die Suppel fn

Sie wollen weiterarbeiten: Reviersteiger Uwe Schröder (links) und ein Bergmann in der Kaligrube von Bischofferode Telefoto: AP

Berlin (ND-Braumann). Die Kali-Kumpel der von Schlie-ßung bedrohten Grube in Bischofferode zweifeln an der Fähigkeit des Landes Thüringen, die angebotenen Ersatzarbeitsplätze tatsächlich bereitzustellen. Im übrigen müßten diese zunächst für die bereits arbeitslosen Kollegen angeboten werden, erklärte Betriebsratssprecher Walter Ertmer. Inzwischen haben die Kali-Kumpel Treuhand-Chefin Birgit Breuel aufgefordert, auf dem für Sonntag geplanten „Internationalen Aktionstag“ in Bischofferode die wirklichen Gründe des Geschäftsgebarens der Anstalt offenzulegen.

Dies verlangte bei einem Besuch in der Nordthüringer Kali-Region Sondershausen auch Bundestagspräsidentin Eita Süssmuth. Ein „Höchstmaß an Transparenz“ beim Umgang mit dem strittigen Fusionsvertrag werde das Vertrauen der Bergleute gewinnen, behauptete Frau Süssmuth. Dagegen will das Kanzleramt den Ostdeutschen vor allem beibringen, daß der „Umstrukturierungsprozeß“ Zeit brauche und Arbeitslosigkeit einstweilen unvermeidbar sei, erklärte Staatsminister Anton Pfeifer. Die Thüringer Landesregierung, teilte derweil mit, sie sei „zu weiteren Zugeständnissen nicht in der Lage“.

Unterdessen drohte der Bischofferoder Betriebsrat den DGB-Einzelgewerkschaften, sie aus Protestbündnissen auszuschließen,.wenn sie sich „weiterhin so willfährig vor die Konzerne stellen“ IG-Chemie-Chef Rappe hatte im „Handelsblatt“ die Stilllegung des Kali-Bergwerks begrüßt und sich damit auf die Seite der IG Bergbau und Energie geschlagen. Die muß mittlerweile im Eichsfeld damit rechnen, daß ihre Gewerk-

Schaftsausweise „gemeinsam auf einen Scheiterhaufen geworfen und verbrannt“ werden, wie Betriebsrat Ertmer in Aussicht stellte.

Die PDS-Stadtvorstände von Leipzig, Dresden und Chemnitz sowie der sächsische PDS-Landesvorstand haben auf einer Pressekonferenz in Dresden dazu aufgerufen, „die von der Treuhand nur für die BASF gekochte

Suppe zu versalzen“. Landesvorsitzender Peter Porsch empfahl, als Symbol des Protestes kleine Salztütchen per Brief ans Bundeskanzleramt, Adenauerallee 141, 53113 Bonn, zu schicken. Die Dresdner PDS verkauft zugunsten der Kumpel täglich ab 17 Uhr auf dem Pirnaschen Platz (Sporthaus) handliche Kalisalzklumpen aus Bischofferode.

Die Leipziger PDS, informierte Vorsitzender Klaus Hesse, wird am Sonntag um 5 vor 12 Uhr auf dem Sachsenplatz mit einer Kundgebung gegen die „ideologische Lüge“ protestieren, es gebe in Ostdeutschland noch „industrielle Kerne“ Die Teilnehmer sollen auf den Sonntagsbraten verzichten und das eingesparte Geld für Bischofferode spenden, wo sich noch 22 Männer und vier Frauen im Hungerstreik befinden. Am Vortag hatten einige Männer mit Wiederaufnahme der Kaliförderung den Streik abgebrochen.

261 https://www.neues-deutschland.de/artikel/432544.bversalzt-der-basf-die-suppel.html?action=print 1/2 27.2.2018 Solidarität mit Bischofferoder Kumpeln - Aufruf der PDS Sachsen:: „Versalzt der BASF die Suppel (neues-deutschland.de) Dem Hungerstreik der PDS-Stadtvorsitzenden von Dresden, Christine Ostrowski, die seit einer Woche auf feste Nahrung verzichtet, hat sich die 19jährige Susanne Burck angeschlossen. Die künftige Studentin war nach einjährigem Aufenthalt als Au-pair-Mädchen in Südfrankreich von dem wirtschaftlichen Niedergang Ostdeutschlands so erschüttert, daß sie dieses Zeichen setzen wollte. In Frankfurt (Oder) führten der parteilose Sozialdezernent Christian Gehlsen und drei weitere Bürger ihren Solidaritäts-Hungerstreik fort.

Beistand kommt auch aus Eisenhüttenstadt: Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der PDS, Torsten Schüler, stiftet seine monatlichen Abgeordneten-Diäten den kämpfenden Kali-Kumpeln. Dem EKO-Stahlwerk drohe das gleiche Schicksal wie Bischofferode: „Dort soll kein Kali mehr abgebaut werden, uns will man die Warmwalzstraße vorenthalten - beides wegen der Interessen westdeutscher Konzerne.“

Klaus Hesse fordert die verbliebenen Beschäftigten der Treuhand-Betriebe auf: „Geht den Leuten ans Eigentum, besetzt die Betriebe, ihr könnt es alleine besser schaffen!“

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/432544.bversalzt-der-basf-die-suppel.html

262 https://www.neues-deutschland.de/artikel/432544.bversalzt-der-basf-die-suppel.html?action=print 2/2 263 30.5.2018 Kali-Kumpel bleiben hart: „Bischofferode ist überall“ - taz.de Kali-Kumpel bleiben hart: „Bischofferode ist überall“ ■ Gespräche des Betriebsrates mit der Landesregierung / Viele Solidaritätsaktionen

Erfurt/Bischofferode (AFP/ AP/taz) – Die Kali-Kumpel in Bischofferode sind auch vier Wochen nach Beginn des Hungerstreiks nicht zum Aufgeben bereit. Bei erneuten Gesprächen zwischen der Thüringer Landesregierung und dem Betriebsrat zeichnete sich gestern in Erfurt keine Annäherung ab. Vor der Gesprächsrunde hatten die Belegschaftsvertreter deutlich gemacht, daß sie nach wie vor am Erhalt der Grube festhalten und sich auf Ersatzangebote nicht einlassen werden. „Wir haben klare Forderungen“, erklärte der Betriebsratschef Heiner Brodhun in der Thüringer Staatskanzlei, wo eine Delegation der Kali-Kumpel mit Staatsminister Andreas Trautvetter (CDU) und Wirtschaftsminister Jürgen Bohn (FDP) zusammentraf. In dem Gespräch ging es um die von der Landesregierung angebotenen Ersatzarbeitsplätze. „Es geht uns dabei aber nicht um Ersatzarbeitsplätze für das Kali- Werk“, betonte ein Betriebsratssprecher. Die Ersatzarbeitsplätze sollen nach Ansicht des Betriebsrats den bereits arbeitslosen Thüringern zugute kommen. Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) hatte am Dienstag betont, daß die Landesregierung über ihr Angebot für Ersatzarbeitsplätze nicht hinausgehen werde.Auch das Angebot von Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU), den Fusionsvertrag zwischen Mitteldeutscher Kali AG und der Kasseler Kali + Salz AG über einen Wirtschaftsprüfer einzusehen, wies der Betriebsrat als unzureichend zurück. Eine derart eingeschränkte Einsicht garantiere nicht die Klärung „aller bisher zutage getretenen Ungereimtheiten“, erklärte das Betriebsratsmitglied Hanno Rybicki. Die Belegschaft fordere „nach wie vor die vollständige und unbedingte Offenlegung des Fusionsvertrages“. Der Betriebsrat schlage vor, den Vertrag in einem Gremium einzusehen, in dem alle an der Fusion Beteiligten vertreten sind. Betriebsrat Walter Ertmer bezeichnete Waigels Angebot dagegen als ein positives Zeichen, das vor wenigen Wochen noch nicht denkbar gewesen wäre. Am Donnerstag befanden sich weiterhin 22 Männer und fünf Frauen im Hungerstreik. An verschiedenen Orten gab es gestern wieder Solidaritätsaktionen. In Ludwigshafen ketteten sich drei Teilnehmerinnen des Hungerstreiks von Bischofferode an das Haupttor der BASF. Der Chemiekonzern ist Mehrheitsaktionär der Kali + Salz AG, die von den Thüringer Bergleuten für die geplante Schließung der Grube in Bischofferode verantwortlich gemacht wird. 77 SympathisantInnen der Kali-Belegschaft überklebten in einer landesweiten Aktion in der Nacht zu Donnerstag zahlreiche Ortsschilder in Thüringen mit der Parole „Bischofferode ist überall“. Sie erklärten, sie hätten damit gegen die Wirtschaftspolitik von Landesregierung und Treuhand protestieren und Solidarität mit den Kali- Kumpeln zeigen wollen.

264 http://www.taz.de/!1606577/ 1/2 30.5.2018 Kali-Kumpel bleiben hart: „Bischofferode ist überall“ - taz.de In Bischofferode findet am Sonntag ein internationaler Solidaritätstag statt, zu dem über 10.000 TeilnehmerInnen erwartet werden.

taz. die tageszeitung vom 30. 7. 1993

Inland S. 4

THEMEN Bergbauindustrie 1321 Arbeitskämpfe / Arbeitskonflikte 14 Betriebsräte / Personalräte 154 Landesregierung / Thüringen / Landesministerium / Bundes-und-Europaangelegenheiten 422TH Wirtschaft / Wirtschafts-Fusionen / Wirtschafts-Kartelle 161 Bundesministerium / Finanzen 4213

2989 Zeichen ~ ca. 92 Zeilen

Ausgabe 4072

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265 http://www.taz.de/!1606577/ 2/2 266 267 30.5.2018 Für Ostfirmen ist der Westmarkt tabu - taz.de Für Ostfirmen ist der Westmarkt tabu ■ Bischofferode wird nicht wegen Ökologie oder mangelnder Rentabilität stillgelegt, sondern aus Angst, es könnte den Westmarkt erobern / Aussagen eines DDR-Topmanagers erhärten Verdacht

Berlin (taz) – Die Kali und Salz AG verfolgt seit mindestens einem Jahrzehnt die Strategie, die Minen im östlichen Teil Deutschlands aus den westeuropäischen Märkten zu werfen. Dazu benutzte sie nach Aussagen eines führenden DDR-Kali-Managers gegenüber der taz auch überlegene Umwelttechnologie, die jetzt im Osten bewußt nicht eingesetzt werden soll. Seit Anfang der achtziger Jahre verfügt die Kali u. Salz über ein Verfahren zur trockenen Trennung der erwünschten Kalisalze von unerwünschtem Kochsalz. Salzlaugen, die entsorgt werden müssen und die Umwelt gefährden, fallen dabei nicht mehr an. Als die Bundesregierung drängte, die Verschmutzung von Werra (und damit der Weser) müsse verringert werden, wollte Kali u. Salz nur unter der Bedingung eine Lizenz ihres Verfahrens an die DDR vergeben, daß diese auf den Export nach Westeuropa verzichte. Mit dem neuen Verfahren erzeugte Salze sollten „den Kaliumsulfatmarkt von Kali und Salz nicht beeinflussen“, erinnert sich der damalige Generaldirektor der ostdeutschen Kali-Industrie, Heinrich Taubert. Außerdem habe man in Geheimgesprächen 20 bis 25 Millionen D-Mark „Eintrittsgebühren“ für das Ausprobieren der sogenannten ESTA-Technologie verlangt. Die Verhandlungen über eine Verringerung der Werra-Versalzung liefen seit 1974. Ihren Höhepunkt fand die Auseinandersetzung zwischen Ost und West beim Besuch des SED-Parteichefs 1987 in Bonn – ohne greifbares Ergebnis. Nach der Vereinigung hat die BASF-Tochter Kali u. Salz AG die Ostkonkurrenz endgültig ausgeschaltet. Die für die Kaliumsulfatproduktion interessante Grube Merkers in Thüringen wurde geschlossen und das Werk Bischofferode, das einen Großteil der Produktion an westeuropäische Konkurrenten von Kali u. Salz liefert, soll auch schließen. Die ESTA-Technologie, die Bischofferode zur ökologisch am wenigsten bedenklichen Grube Deutschlands machen würde, wird auch künftig östlich der Werra nicht eingesetzt. TEN

Tagesthema Seite 3, Kommentar Seite 10

268 http://www.taz.de/!1604724/ 1/2 30.5.2018 Für Ostfirmen ist der Westmarkt tabu - taz.de taz. die tageszeitung vom 12. 8. 1993

Inland S. 1

TEN

THEMEN Bergbauindustrie 1321 Geschichte-DDR / Wirtschaft 4785 Arbeit / Technologie / Produktion 11

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Ausgabe 4083

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269 http://www.taz.de/!1604724/ 2/2 270 23.5.2018 Kali: Kampf zweier Demos - taz.de Kali: Kampf zweier Demos ■ 2.000 für Fusion, 300 für Bischofferode

Berlin (taz) – Die IG Bergbau und Energie (IGBE) und die Betriebsräte der Kasseler Kali und Salz AG machten für die Kali-Fusion mobil. Rund 2.000 Kali- Kumpel traten in Kassel für den Zusammenschluß ihres Konzerns mit der Treuhand- Firma Mitteldeutsche Kali AG an. Die ostdeutschen Kumpel aus Sondershausen wollten zum Protest aber nicht anreisen. Vom Standort Unterbreizbach, der bei der Fusion erhalten werden soll, hatten sich nur 50 von 650 Mitarbeitern zur Unterstützung der Wessis angemeldet. Gegen die Kali-Fusion und für den Erhalt des Standorts Bischofferode demonstrierten 300 Kumpel und Sympathisanten in Berlin. Am Brandenburger Tor verstreuten sie Kali-Salz. „Was in Bischofferode geschieht, ist unmenschlich und hat mit Demokratie nichts zu tun“, sagte ein Ostberliner Pfarrer vor Beginn der Demonstration. Bereits am Vormittag wurde das Bezirksbüro der IG Bergbau besetzt: nicht von wilden jungen Männern, sondern vom Seniorenausschuß einer anderen DGB- Gewerkschaft, der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV). Die Kollegen forderten die Offenlegung des Fusionsvertrags. Der Landeschef der HBV, Manfred Müller, distanziert sich ausdrücklich nicht von der Aktion. Bundeswirtschaftsminister Rexrodt hat inzwischen dem Vertrauensanwalt der Bischofferoder Kumpel, dem PDS-Abgeordneten Gregor Gysi, den Einblick in den Fusionsvertrag verweigert. Siehe auch Seite 7

taz. die tageszeitung vom 18. 8. 1993

Inland S. 1

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Ausgabe 4088

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271 http://www.taz.de/!1603766/ 1/1 272 28.5.2018 Kali-Kumpel-Festival - taz.de Kali-Kumpel-Festival ■ 5.000 TeilnehmerInnen beim Aktionstag in Bischofferode

Bischofferode (AFP/dpa) – Rund 5.000 Menschen haben am Samstag in Bischofferode für den Erhalt des dortigen Kali-Werkes demonstriert. Die Beteiligung blieb allerdings weit hinter den Erwartungen des Betriebsrats zurück, der mit rund 10.000 Teilnehmern gerechnet hatte. Betriebsratschef Heiner Brodhun appellierte mit Blick auf die Wiederaufnahme der Kali-Produktion nach den Werksferien am Montag an die im Hungerstreik befindlichen Männer und Frauen, ihre Aktion auszusetzen. Diese wollen ihre Protestaktion jedoch fortsetzen. Im Streik befinden sich nach Betriebsrats-Angaben jetzt neun Männer und drei Frauen. Wegen offenbar unterschiedlicher Auffassungen zum weiteren Vorgehen war der Betriebsrat am Sonntag zusammengetreten. Neue Beschlüsse habe es jedoch nicht gegeben. Betriebsrats-Vize Gerhart Jüttemann forderte vom Bundeswirtschaftsministerium, dem Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel als Vertrauensmann der Belegschaft Einsicht in den Fusionsvertrag zu gewähren. Zehn Bergleute suchen geistlichen Beistand in Rom: Am Mittwoch werden sie vom Papst empfangen. Unterdessen hat der Wettbewerbskommissar der EG, Karel van Miert, bekräftigt, die beabsichtigte Fusion von Kali und Salz (Kassel) und der Mitteldeutschen Kali AG (Sondershausen) habe in der vorgesehenen Form nicht genehmigt werden können. Der belgische EG-Kommissar unterstrich im Spiegel, die Prüfung – und das sei außergewöhnlich – zeige, „daß wir große Schwierigkeiten mit einem ,Ja‘ haben“.

taz. die tageszeitung vom 23. 8. 1993

Inland S. 4

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Ausgabe 4092

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273 http://www.taz.de/!1916652/ 1/2 30.5.2018 ■ Protestwelle: Demos für Joberhalt - taz.de

■ PROTESTWELLE Demos für Joberhalt

Halle (dpa) – Die Protestwelle gegen Arbeitsplatz- und Sozialabbau in Ostdeutschland hat gestern einen neuen Höhepunkt erreicht. Tausende von Arbeitnehmern beteiligten sich in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt an Demonstrationen. In Halle forderten im Beisein von Bundeswirtschaftsminister Rexrodt (FDP) etwa 4.000 Demonstranten weitere Hermes-Bürgschaften für ihre Betriebe. In Dresden protestierten rund 3.000 Arbeitnehmer, in zahlreichen Städten Thüringens blockierten weit über 1.000 Demonstranten bei einer Aktion „Fünf vor Zwölf“ kurz mehrere Straßen.

taz. die tageszeitung vom 25. 8. 1993

Inland S. 2

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Ausgabe 4094

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274 http://www.taz.de/!1603098/ 1/1 30.5.2018 Hungern zehrt am Geld - taz.de Hungern zehrt am Geld ■ Kali-Betriebsrat: Arbeitsamt will Kurzarbeitergeld von Hungerstreikenden

Bischofferode (dpa) – Die hungerstreikenden Bergleute in Bischofferode werden nach Angaben des Betriebsrates vom Arbeitsamt unter Druck gesetzt. Die Kali-Kumpel müssen möglicherweise einen Teil ihres im Juli erhaltenen Kurzarbeitergeldes an das Landesarbeitsamt Sachsen-Anhalt/Thüringen zurückzuzahlen, weil sie während dieser Zeit am Hungerstreik teilgenommen hatten, sagte Betriebsratssprecher Walter Ertmer. Die Behörde habe die Werksleitung aufgefordert, die Namen der Hungerstreikenden zu nennen. Damit solle die Belegschaft zur Aufgabe gezwungen werden. Der Hungerstreik, mit dem die Belegschaft den Erhalt des Werkes erzwingen will, läuft seit knapp zwei Monaten. Am Wochenende verweigerten noch neun Männer und Frauen – darunter nur zwei Bergmänner – jede Nahrung. Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) hat unterdessen das Angebot erneuert, den umstrittenen Kali-Fusionsvertrag von einem Wirtschaftsprüfer einsehen zu lassen, der das Vertrauen der Bergleute genießt. Dieser Sachverständige könnte den Kumpeln sagen, daß der Vertrag „nichts Unrechtes enthält“, meinte Rexrodt. Der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel erklärte dagegen, die Entscheidung des Bundesfinanzministeriums, ihm die Einsicht zu verweigern, zeige, daß das Angebot nur ein „symbolischer Akt“ gewesen sei. Grund für die ablehnende Entscheidung sei offenbar seine auch gegenüber Treuhand-Vorstandsmitglied Klaus Schucht geäußerte kritische Haltung zur Fusion der Mitteldeutschen Kali AG (Sondershausen) mit der BASF-Tochter Kali und Salz AG (Kassel).

taz. die tageszeitung vom 30. 8. 1993

Inland S. 4

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Ausgabe 4098

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KONTAKT TAZ.ARCHIV-RECHERCHE-INFORMATION Rudi-Dutschke-Str. 23, 10969 Berlin Mail: [email protected] Telefon: 030 - 259 02 204 275 http://www.taz.de/!1602574/ 1/2 30.5.2018 Gewerkschaft gegen Kumpel - taz.de Gewerkschaft gegen Kumpel ■ Bosse von IG Chemie und IG Bergbau fordern: Bischofferöder sollen aufgeben

Erfurt (dpa/taz) – Der Widerstand der Gewerkschaftsspitzen gegen den Arbeitskampf der Bischofferöder Kali-Kumpel wächst: Gemeinsam mit dem Vorsitzenden der IG Bergbau und Energie, Hans Berger (SPD), hat sich jetzt auch der IG-Chemie-Chef Hermann Rappe (SPD) für die umstrittene Fusion der deutsch-deutschen Kali-Industrie ausgesprochen. In einer gestern in Bochum verbreiteten gemeinsamen Erklärung forderten die Gewerkschaftsbosse die Bergleute auf, ihre Aktionen zum Erhalt des von der Schließung bedrohten Thüringer Kali-Werkes zu beenden. Es gebe keine Alternative zur „unvermeidlichen“ Schließung der Grube. Davon offenbar unbeeindruckt, bekräftigten die Kumpel, daß sie ihren Arbeitskampf fortführen werden. Rappe und Berger betonten, in der Bildung des vorgesehenen Gemeinschaftsunternehmens der BASF-Tochter Kali und Salz und der Treuhand-Firma Mitteldeutsche Kali AG (MDK) sähen sie aufgrund der Weltmarktsituation die einzige Möglichkeit, das Überleben des deutschen Kalibergbaus zu sichern. Die geplante Fusion zwischen der Kali und Salz AG und der MDK sei der richtige Schritt zur Sanierung der Branche sowie zum Erhalt von mehreren tausend Arbeitsplätzen, heißt es in der Erklärung. Zu den vorliegenden Sanierungskonzepten gebe es aus Sicht beider Gewerkschaften keine Alternative. Berger und Rappe forderten die Kali- Kumpel erneut auf, die von der Bundes- und Landesregierung angebotenen Ersatzarbeitsplätze anzunehmen und ihre Aktionen zu beenden. Die BASF-Tochter Kali und Salz AG (K+S) meldete unterdessen für das erste Halbjahr 1993 einen „erheblichen Umsatzrückgang“ von 14 Prozent auf 608 Millionen Mark. Die Zahl der Mitarbeiter habe sich von Mitte 1992 bis Mitte 1993 um 286 auf 6583 verringert. Die Firma habe 19 Millionen Mark Verluste gemacht – nach fünf Millionen Mark minus im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

taz. die tageszeitung vom 31. 8. 1993

Inland S. 2

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Ausgabe 4099

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276 http://www.taz.de/!1602367/ 1/2 27.2.2018 Es wird bischofferoderisch geredet (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 08.09.1993 / Seite 1 Es wird bischofferoderisch geredet

Berlin/Erfurt (ND). Pünktlich „Fünf vor Zwölf“ riegelten am Dienstag Tausende Arbeitnehmer Verkehrsknotenpunkte in Erfurt ab. Sie demonstrierten gegen soziale Demontage, für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Angeschlossen hatten sich Pumpenwerker und Mitarbeiter der Telekom. In Wildau bei Berlin trafen sich 300 Vorruheständler des Schwermaschinenbaus und der Laubag zu einem Protestmeeting.

Auf einer der Hauptmagistralen durch Erfurt ging für zwanzig Minuten nichts mehr, weil sich vor den Betriebstoren der Umformtechnik AG mehr als 800 Beschäftigte eingefunden hatten. Nach Angaben von Betriebsrat Peter Müller ist die Zukunft des Pressenherstellers noch immer nicht gesichert. Obwohl das Treuhand-Unternehmen, seine Konkurrenzfähigkeit bereits mehrfach unter Beweis

stellte und erst zu Beginn des Jahres einen Millionen-Auftrag des VW-Konzerns zwei West-Konkurrenten vor der Nase wegschnappte, zögert die Treuhand die Privatisierung seit anderthalb Jahren hinaus.

„Ihr Protest ist wichtig in diesen Zeiten, in denen soviel Unrecht geschieht, und in denen nur gehört wird, wer sich laut bemerkbar macht und einen langen Atem hat“, so die

herzlich begrüßte brandenburgische Sozialministerin Regine Hildebrandt auf dem Meeting der Vorruheständler in Wildau. Die Forderung der Vorruheständler nach einem Bestandsschutz für ihre Verträge sei nur recht und billig und habe ihre volle Unterstützung, sagte Frau Hildebrandt.

PDS-Vorsitzender Lothar Bisky, der mit der brandenburgischen Landtagsfraktion ebenfalls am Meeting teilnahm, bezeichnete es als bedauerlich, daß die Leute heutzutage erst „bischofferoderisch reden müßten, ehe sie gehört“ würden. Zuvor hatte Werner Bierotte, der Chef der Wildauer Initiativgruppe, die

Sparbeschlüsse der Regierung als unerträglich bezeichnet. Es sei ein Skandal, meinte Bierotte, wenn ausgediente Politiker wie Krause eine „Abfindung von 211 033 Mark bekommen, aber Vorruhestands-, Arbeitslosengeld und Sozialhilfe gekürzt werden“

Bauern aus Satzkorn, Kreis Potsdam, und Umgebung besetzten am Dienstag mit ihren Schleppern Treuhandland, das die Bodenverwertungsgesellschaft nicht an sie verpachten will. Wiedereinrichter und Gesellschafter von Gemeinschaftsbetrieben protestierten damit gegen die gegenwärtige Praxis der Landvergabe. (Seite 4)

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/440490.es-wird-bischofferoderisch-geredet.html

277 https://www.neues-deutschland.de/artikel/440490.es-wird-bischofferoderisch-geredet.html?action=print 1/1 278 279 280 27.2.2018 Bundestagsgruppe PDS/LL ruft wegen Bischofferode Ältestenrat an Gerüchte, Demos und Gegendemos: Kumpel im Reichstag unerwünsc…

neues-deutschland.de / 27.09.1993 / Seite 1 Kumpel im Reichstag unerwünscht

Berlin (ND-Staude/Oertel). Eine Gruppe von 15 Bergleuten und Sympathisanten aus dem Kaliwerk Bischofferode hat vom Freitag- bis zum Samstagabend ein Sitzungszimmer im Reichstag in Berlin „besetzt“. Nach einem gescheiterten Gespräch mit Mitgliedern des Treuhandausschusses des Bundestages verblieben die Kaliwerker mit der Unterstützung mehrerer Bundestagsabgeordneter im Gebäude und verlangten die Offenlegung des Kalifusionsvertrages sowie die Erhaltung ihres Betriebes.

Zugleich sollte mit der Aktion die Öffentlichkeit darauf hingewiesen werden, daß die vorgesehene Einsichtnahme in den Kalifusionsvertrag ein „Schauspiel“ und eine „Farce“ ist, wie Betriebsratsvorsitzender Heiner Brodhun mehrfach bekräftigte. An einem geheimgehaltenen Ort sollen am heutigen Montag drei Abgeordnete des Bundostaffs-Treu-

handausschusses „Auskünfte“ zur Kalifusion erhalten.

Nachdem die Bischofferoder einem Ultimatum von Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, den Reichstag bis Samstagabend 22 Uhr zu verlassen, nachgekommen waren, setzten sie ihren Protest vor dem Südeingang des Gebäudes fort und beendeten ihn erst am Sonntagabend. Süss-

muth nahm ihre ursprüngliche Zusage zurück, die gesamte Gruppe würde am Sonntagmorgen wieder Zutritt zum Gebäude erhalten. Die ständig präsente Polizei versuchte die Aktion zu stören, ernsthafte Übergriffe blieben aber aus.

Die nach der „Besetzung“ weiter zugespitzte Situation erfordere, so Bundestagsabgeordeter Hans Modrow (PDS/LL) am Sonntag, daß sich der Ältestenrat des Bundestags erneut mit der Lage des Kaliwerks im Eichsfeld befaßt. Er hoffe dabei auch auf Unterstützung von Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Grüne, die neben den PDS/LL-Parlamentariern Pe-

tra Bläss, Dagmar Enkelmann, Uwe-Jens Heuer und Ilja Seifert die Aktion der Bischofferoder unterstützt hatten.

Übers gesamte Wochenende fanden in und um den Reichstag Solidaritätsaktionen zugunsten der Bischofferoder statt. Ihre Sympathie zeigten unter anderen die IG-Metall und die IG Medien, die Initiative ostdeutscher Betriebsräte, mehrere Abgeordnete kommunaler Parlamente, Regine Hildebrandt sowie hauptstädtische PDS-Kreisorganisationen.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/443976.kumpel-im-reichstag-unerwuenscht.html

281 https://www.neues-deutschland.de/artikel/443976.kumpel-im-reichstag-unerwuenscht.html?action=print 1/1 27.2.2018 Metall-Unternehmer kündigen Tarifverträge: Ernstfall (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 29.09.1993 / Seite 2 Ernstfall

Rosi Blaschk

Die Metall-Unternehmer haben die Brandfackel geworfen. Sie kündigen von sich aus die Tarifverträge in Westdeutschland. Damit tritt ein, was die IG Metall seit langem vorausgesagt hat: Ostdeutschland war das Exerzierfeld für die Aushebelung der Tarifautonomie in ganz Deutschland. Die Kündigung der ostdeutschen Verträge durch die Arbeitgeberverbände, die zum ?großen Streik im Frühjahr dieses Jahres geführt hatte, war die Übung für den gesamtdeutschen Ernstfall.

Die Unernehmeriorderung nach einer Null in der kommenden Tarifrunde war an sich schon eine Zumutung, da ja bereits die vergangene ein Minus einbrachte: drei Prozent Einkommenserhöhung bei einer Preissteigerungsrate von 4,3 Prozent. Die Gewerkschaft wollte Realitätssinn beweisen, gab nach und forderte für 1994

„nur“ noch Inflations- und Produktivitätsausgleich. Der kleine Finger wurde gereicht, und Gesamtmetall ergriff die ganze Hand, um Arbeiter und ihre Gewerkschaft vollends über den Tisch zu ziehen.

Die Tarif kündigung ist Teil einer konzertierten Aktion von Politik und Wirtschaft. Ihr Motto: Arbeitsplatz- und Einkommensraub. Weniger Lohn, weniger oder kein Urlaubsgeld in der Metallund Elektroindustrie liegen auf der gleichen Linie wie Feiertagslohnraub für die Finanzierung der Pflegeversicherung, wie die Streichung des Arbeitslosengeldes und der Sozialhilfe. Es ist der sukzessive Abbau des Sozialstaates.

Als die ostdeutschen Metall-Tarifverträge gekündigt wurden, antworteten die Arbeiter mit dem bisher größten Streik in Ostdeutschland. Wie antworten die westdeutschen Arbeiter?

ROSIBLASCHKE

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/444404.ernstfall.html

282 https://www.neues-deutschland.de/artikel/444404.ernstfall.html?action=print 1/1 27.2.2018 Protest-Dienstag in Thüringen (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 06.10.1993 / Seite 4 Protest-Dienstag in Thüringen

Erfurt (ADN/ND). Hunderte Gewerkschafter haben am Dienstag in Thüringen erneut gegen Arbeitsplatzvernichtung und Sozialabbau unter dem Motto „5 vor 12 - Thüringen brennt“ demonstriert. Zum achten Mal hatte das Thüringer Aktionsbündnis existenzbedrohter Betriebe zu den Kundgebungen aufgerufen. In Erfurt blockierten z. B. Beschäftigte des Rechen- und Softwarehauses für einige Minuten eine Straße.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/445814.protest-dienstag-in-thueringen.html

283 https://www.neues-deutschland.de/artikel/445814.protest-dienstag-in-thueringen.html?action=print 1/1 27.2.2018 Dienstags fünf vor zwölf: Grün für Proteste in Thüringen (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 14.10.1993 / Seite 3 Dienstags fünf vor zwölf: Grün für Proteste in Thüringen

HERMANN BOHLEN

Azubis bei der Straßenblockade vor ihrem Ausbildungsbetrieb Umformtechnik in Erfurt. Stephan: „Auch .Thüringen brennt' kann zur Routine werden.“ ND-Foto: Bohlen

Bei Rot über die Ampel gehen: Wenn das der Anfang zivilen Ungehorsams ist, dann können wir Erfurt vergessen. Und den Rest von Thüringen wahrscheinlich auch. In der Landeshauptstadt geht man nur bei Grün. Das ist mit Gewißheit zu sagen. Abends nach zehn bleibt der Einheimische gleich ganz zu Haus. Wer dann mit 100 Sachen durch die Stadt heizt, kann nur Wessis über den Haufen fahren.

Jetzt wurde in Thüringen eine neue Übereinkunft gefunden. Sie betrifft nicht die Frage, wann es über die Straße geht, sondern auf. Hier die Definition: 1. Dienstags und 2. fünf vor zwölf. Das ist: Grün für Protestieren.

Angesichts der Tatenlosigkeit der Politik bei einer dramatischen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes haben sich Thüringer Betriebsräte und Gewerkschafter zu einem Aktionsbündnis zusammengetan. Mit der Formel „Thüringen brennt“ gelang es, Proteste zu bündeln und Druck konstant auszuüben. Die beliebteste Aktionsform ist „5 vor 12“, kurzfristige Blockaden stark befahrener Straßen. Damit wurde schon viel Verkehr aufgehalten und die Landesregierung in Bewegung gesetzt. Das kürzlich vom Ministerpräsidenten abgegebene Versprechen, 200 Millionen Mark zur Erhaltung bereits privatisierter Unternehmen beizusteuern, ist ohne „Thüringen brennt“ nicht vorstellbar.

Der Widerstandsgeist der Menschen, für Erhalt und Schaffung von Arbeit zu kämpfen, für einen besseren Sozialplan oder schlicht dafür, die Raten für die neue Couchgarnitur pünktlich zahlen zu können, ist ungebrochen. Seit zehn Wochen laufen an vielen Orten des Bundeslandes die Proteste von Belegschaften und Bürgern. Keine .zentralen.-.i Massenveranstaltungen, -sondern viele 1 kleine Aktionenides zivilenUngehor)-Sams 'mit jeweils 50 bis r 500 Teilnehmern. Von überregionalen Medien weitgehend unbemerkt und anfangs auch von einigen Gewerkschaftern belächelt, behaupten sich einmal die Woche landesweit bis zu 3 000 Menschen gegen die rücksichtslose Verwirklichung von Kapitalinteressen.

Vergangenen Dienstag war es bei Umformtechnik wieder so weit. Vor dem Betrieb, der

Seit zehn Wochen heißt es in Thüringen: „5 vor 12“ und „Thüringen brennt“. In dem Bundesland, das durch Kahlschlagsanierung fast 70 Prozent seiner industriellen Arbeitsplätze verloren hat, und in dem der Wirtschaftsminister von „Sonderwirtschaftszonen“ redet, ist der Widerstand seit Bischofferode ungebrochen. Seit sich im August Betriebsräte und Gewerkschafter zu einem Aktionsbündnis zusammengetan haben, laufen überall im Land Aktionen des zivilen Ungehorsams. Belegschaften widersetzen sich dem Erpres-

Der Autofahrer, der Dienstags um fünf vor zwölf in Erfurt, Weimar, Jena, Weida, Gotha, Zella-Mehlis, Rudolstadt, Zeulenroda, Mühlhausen, Suhl und vielen anderen Orten unterwegs ist, kann sich darauf gefaßt machen, plötzlich vor einem unüberwindlichen Hindernis zu stehen. Arbeiter riegeln die Straßen vor ihren Betrieben ab. Gerne auch die 284 https://www.neues-deutschland.de/artikel/447339.dienstags-fuenf-vor-zwoelf-gruen-fuer-proteste-in-thueringen.html?action=print 1/2 27.2.2018 Dienstags fünf vor zwölf: Grün für Proteste in Thüringen (neues-deutschland.de) nächstgelegene Bundes- oder Ausfallstraße. Wenn die Medienwirksamkeit dieser kleinen, nervigen Aktionsform auch begrenzt ist, so sind Thüringens Politiker längst in Zugzwang geraten.

zu rechnen. Da lagen sie vergangenen Dienstag auch ganz richtig, denn um 6 Uhr 55 strömten aus dem Rechenzentrum plötzlich 80 Leute auf die Straße, hielten Transparente hoch und den gesamten Verkehr auf. Angelo Lucifero, der stellvertretende Landesleiter der Gewerkschaft Handel, Banken und Verkehr (HBV), sprach zu ihnen. Nervös sei er gewesen, sagt er, denn ganz sicher könne man auch nicht sein, ob die Kolleginnen und Kollegen die Aktion zum Erhalt ihrer Arbeitsplätze auch zum vierten Mal mitmachen.

Für sie ist es geradezu ein Glück, daß der Verkehr so sprunghaft angestiegen ist, daß heutzutage auch in Thüringen Brötchen mit dem Auto geholt werden. ZACK! Kalt erwischt mit noch warmen Semmeln. Christel (51) wollte gerade nach Hause fahren zu ihrem Geliebten Joachim (21), der unter der Woche die Abwesenheit von Christels Mann Heinz (57) nutzt. Da tauchten

vor ihr plötzlich Transparente auf usw... Schnell ist diese Geschichte geschrieben.

Der Thüringische Wirtschaftsminister Jürgen Bohn denkt sich andere aus und tingelt durch die Republik, um sie zu erzählen. „Der Aufbau Ost trifft auf die Strukturkrise West“, setzte er neulich in Berlin an, „ein historischer Glücksfall“, fuhr er fort, „um jetzt eine fundamentale Revision der deutschen Wirtschaftspolitik durchzusetzen“ (Halt Dich fest, Rexrodt). Weiter: „Bei dieser zukunftsorientierten Aufgabe steht Thüringen und seine Wirtschaft in der ersten Reihe.“ Dieser schiefe Optimismus, ein Positivdenken, dessen Zwanghaftigkeit sich in der Durchsichtigkeit seiner Erfolgsmeldungen zeigt, kommen nicht von ungefähr. Auch wenn Bohn kürzlich Gedanken zur Errichtung von „Sonderwirtschaftszonen“ veröffentlichte, in denen Tarife, Umwelt- und Bauauflagen für eine Zeit au-ßer Kraft gesetzt werden sol-

len, so kann der landesweite Protest „Thüringen brennt“ sich diese Offenbarung der Dummheit auf seine Fahnen schreiben. Da ist einer am Ende seines Lateins angelangt.

Hochnäsig könnte man die Berufsrevoluzzermiene aufsetzen und über die Thüringer Aktion sagen: Ihr Lokalpatrioten, das ist doch kläglich, gerade mal für Thüringen zu kämpfen. Ihr habt so wenig eine Chance, zu einer sozialen Bewegung zu werden wie die ökonomistischen Gewerkschaften im Westen mit ihrem ritualisierten Kampf um Löhne.

Aber das wird der Sache nicht gerecht. Es ist auch nicht Klugheit, sondern bestenfalls Bescheidwisserei, in diesen Zeiten das Unmögliche, den Generalstreik zu fordern. Die thüringische Meisterleistung besteht darin, anzufangen und sich von der Erkenntnis, daß man zu Bescheidenheit verdammt ist, nicht in die Passivität drücken zu lassen.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/447339.dienstags-fuenf-vor-zwoelf-gruen-fuer-proteste-in- thueringen.html

285 https://www.neues-deutschland.de/artikel/447339.dienstags-fuenf-vor-zwoelf-gruen-fuer-proteste-in-thueringen.html?action=print 2/2 286 287 288 289 290 Zeitungsartikel Streik und Proteste, 1994

291 26.2.2018 Kali-Kumpel haben hoch gepokert: Chronik | Berliner Zeitung

Berliner Zeitung

Kali-Kumpel haben hoch gepokert: Chronik

03.01.94, 00:00 Uhr

Nach einjährigem Kampf mit Demonstrationen, Hungerstreiks und Grubenbesetzungen haben die Bergleute im thuringischen Bischofferode die Stillegung ihres Kalibergwerks zu Silvester akzeptiert. Die Chronik der Ereignisse:9. 12. 1992; Der Treuhand-Verwaltungsrat beschliel3t die Fusion der Mitteldeutschen Kali AG mit der Kali und Salz Kassel. Das Konzept sieht die Stillegiing der Gruben Bischofferode und Merkers vor. Bischofferoder Kumpel protestieren.14. 1. 1993: Der Thüringer Wirtschaftsminister Jürgen Bohn unterstützt den Kalifusionsvertrag. Allerdings müsse der Arbeitsplatzabbau in Bischofferode mindestens bis 1997 gestreckt werden.6. 4.: Der Wirtschaftsausschuß des Thüringer Landtages beschließt, das Werk Bischofferode aus den Fusxonsverhandlungen auszugliedern. 7. 4.: 500 Bergleute besetzen das Werk Bischofferode bei laufender Produktion. Der westfälische Investor Johannes Peine signalisiert Kaufinteresse für die Grube. Ungeachtet der Proteste von Bergleuten lehnt die Treuhand sein Konzept ab. 23. 4.: Der Treuhand-Verwaltungsrat beschließt den Fusionsvertrag. 1. 5.: 4 000 Menschen demonstrieren für den Erhalt des Schachtes. 24. 6.: In einem Brief an Bundesfinanzminister Theo Waigel warnen die Bischöfe Joachim Wanke und Christoph Demke vor Massenarbeitslosigkeit im Eichsfeld.1. 7.: Der Treuhandausschuß des Bundestages stimmt dem Fusionskonzept zu. Zwölf Kalikumpel treten in den Hungerstreik, 29 weitere schließen sich an.6. 7.: Waigel genehmigt die Kalifusion und besiegelt das Aus für die Kaligrube.10. 7.: 5 000 Menschen bekunden den Kalikumpeln Solidarität. Betriebsräte existenzgefährdeter Unternehmen Thüringens gründen ein Aktionsbündnis.14. 7.: Der Landtag beschließt die zeitliche Streckung der Umstrukturierung um ein Jahr und die Gründung einer Entwicklungsgesellschaft.16. 8.: Die Bundesregierung verspricht befristete Ersatzarbeitsplätze bis 1995. Die Landesregierung sagt sogar Dauerarbeitsplätze für die etwa 700 Kalikumpel 2w Diese beharren auf dem Erhalt des Werks. 1. 9.: Die Kalikumpel beenden den Hungerstreik.26. 11.: Der Aufsichtsrat der Mitteldeutschen Kali AG beschließt die Stillegung des Schachtes Bischofferode zum Jahresende. Bergleute demonstrieren.14. 12.: Die EU- Kommission in Brüssel befürwortet die Kalifusion. 21. 12.: Die Fusion tritt in Kraft. Am nächsten Tag wird die letzte Förderschicht gefahren.31. 12.: Der Betriebsrat akzeptiert die Stillegung. Dafür werden allen 700 Kumpeln neue Arbeitsplätze sowie finanzielle Abfindung angeboten. AF Marsch der Kali-Kumpel am 15. 9. durch Berlin. Am 16. 9. protestlerten sie vor der Treuhand.

292 https://www.berliner-zeitung.de/kali-kumpel-haben-hoch-gepokert-chronik-16994412 1/1 2.6.2018 Der Kampf um Bischofferode ist vorbei - taz.de Der Kampf um Bischofferode ist vorbei ■ Bergleute unterzeichneten Vertrag über Stillegung der Grube und Ersatzarbeitsplätze / Bessere Bedingungen ausgehandelt als bei anderen Schließungen üblich

Berlin (AP/dpa/taz) – Der Kampf um die Kali-Grube bei Bischofferode ist beendet. Der Betriebsrat unterzeichnete am Silvesterabend eine Vereinbarung, mit der die Stillegung des Schachtes und das Angebot von Ersatzarbeitsplätzen akzeptiert wurde. Damit fand auch der zuletzt noch einmal aufgeflammte Hungerstreik im Kali-Werk ein Ende. Nachdem der Betriebsrat den Vertrag mit der Kali und Salz AG, der Treuhand und der thüringischen Landesregierung geschlossen hatte, kam es in einer Betriebsversammlung noch einmal zu heftigen Auseinandersetzungen. Der Interessenausgleich war den Bergleuten vorgestellt worden, ohne daß sie darüber noch einmal hätten abstimmen können. Den Kumpeln war gesagt worden, wer nach dem Jahreswechsel weiterstreike, könne nicht mehr mit den Angeboten an Ersatzarbeitsplätzen rechnen. Noch am Silvesterabend stimmten daher die meisten Bergleute per Unterschrift der Vereinbarung zu. Die thüringischen Kumpel können laut Vertrag in der treuhandeigenen Gesellschaft zur Verwahrung und Verwertung stillgelegter Bergwerke (GVV) weiterarbeiten oder vorübergehend in eine Arbeitsbeschaffungsgesellschaft (ABS) eintreten. Wer nicht bei der GVV oder ABS weiterarbeiten will, kann dem Sozialplan zufolge eine Abfindung von je nach Betriebszugehörigkeit 5.000 bis 30.000 Mark kassieren, erklärte der Betriebsrat. Die Landesregierung verpflichte sich in diesem Fall, einen Ersatzarbeitsplatz anzubieten. In jedem Fall bekommen die Bergleute durch die Aufhebungsverträge eine Abschlagszahlung von 7.500 Mark. Die Vereinbarungen seien günstiger als bei Schließungen anderer Gruben. „Wir haben gekämpft und mehr erreicht, als uns zugebilligt werden sollte“, resümierte der Betriebsrat. Der Kompromiß zu Bischofferode kostet nach Schätzungen von Treuhand-Direktor Werner Bayreuther bis zu 16 Millionen Mark. Der Arbeitskampf um den Kali- Schacht hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt, als Dutzende von Bergleuten aus Protest gegen die Schließung der Grube im Sommer in den Hungerstreik getreten waren. Protestaktionen hatten schon im Dezember 1992 begonnen, als die Fusionspläne zwischen der zur Treuhand gehörenden Mitteldeutschen Kali AG (MdK) und der Kasseler Kali und Salz AG öffentlich wurden. Das Kalibergwerk in Bischofferode war demnach überflüssig. Bischofferode wurde zum Symbol für die Ost-Industrie, die den wirtschaftlichen Interessen des Westens geopfert wurde, um so mehr, als auch die IG Bergbau den protestierenden Kumpeln ihre Unterstützung versagte. Nicht nur der Hungerstreik im Sommer, auch ein Fußmarsch zur Treuhand

293 https://www.taz.de/Archiv-Suche/!1583873&s=Protest&SuchRahmen=Print/ 1/2 2.6.2018 Der Kampf um Bischofferode ist vorbei - taz.de nach Berlin, ja sogar eine Pilgerfahrt zum Papst nach Rom sorgten für Aufmerksamkeit und ständige Solidaritätsbekundungen von Gruppen oder prominenten Einzelpersonen. BD

taz. die tageszeitung vom 3. 1. 1994

Inland S. 4

BD

2906 Zeichen ~ ca. 92 Zeilen

Ausgabe 4203

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294 https://www.taz.de/Archiv-Suche/!1583873&s=Protest&SuchRahmen=Print/ 2/2 26.2.2018 DGB: Neue Länder sind industriell bedeutungslos | Berliner Zeitung

Berliner Zeitung

DGB: Neue Länder sind industriell bedeutungslos

07.01.94, 00:00 Uhr

Berlin. vwd/ebIn den neuen Bundesländern arbeiten mit nur noch knapp 47 Beschäftigten je 1 000 Elnwohner (im Westen etwa 110) weniger Menschen in der Industrie als etwa in den wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern Spanien, Griechenland oder Irland.Anfang Januar 1991 hatte die Industriedichte noch 132 Beschäftigte betragen. Von den im Januar 1991 bestehenden gut zwei Millionen Arbeitsplätzen sind nach Berechnungen des Wirtschafis- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) bis Ende 1993 nicht einmal 700 000 verblieben.Der Zerfall der Ost-Industrie setze sich weiter fort, obwohl es seit Anfang 1992 eine wachsende politische Akzeptanz zum "Erhalt industrieller Kerne" gebe. Dennoch seien zwischen Juni 1992 und Juni 1993 weitere 205 000 Industriearbeitsplätze verlorengegangen -- mittlerweile sei das Gebiet der neuen Länder "industriell bedeutungslos". Selbst die dienstleistungsorientierten USA wiesen mit 88 Industriebeschäftigten pro 1 000 Einwohner eine nahzezu doppelt so große Industriedichte auf.

295 https://www.berliner-zeitung.de/dgb--neue-laender-sind-industriell-bedeutungslos-16993236 1/1 27.2.2018 Gewerkschaftliche Demos haben immer häufiger ein polizeiliches und gerichtliches Nachspiel: Die „Rädelsfiihrer“ sind im Visier des Staats…

neues-deutschland.de / 28.01.1994 / Seite 8 Die „Rädelsfiihrer“ sind im Visier des Staatsapparats

Wolfgang Her

3000 DM Geldstrafe oder ersatzweise 30 Tage in das Gefängnis, diesen Strafbefehl schickte die Stadt Zwickau an den Ersten Bevollmächtigten der IG Metall, Helmut Stachel. Ihm wird vorgeworfen, daß er am 11. März des vergangenen Jahres 600 Metaller im Anschluß an eine Kundgebung zu einem Fackelzug angestiftet haben soll. Und dies entgegen einer Auflage der Stadt, wonach die IG Metall für Schweigen in der Innenstadt zu sorgen hätte. Dazu Helmut Stachel: „Diese Auflage kenne ich nicht.“

6 000 Metaller protestierten an dem 11. März in Zwickau, rund 600 zogen in einem „Spontanumzug“ über den Dr.- Friedrichs-Ring, der bereits 1989 Schauplatz von Kundgebungen war. Obwohl es keinerlei Ausschreitungen gab, machte die Polizei eifrig Tonbandaufnahmen. Diese dienen nun der Staatsanwaltschaft in dem angestrebten Verfahren als Beweisstücke gegen den Gewerkschafter Stachel.

Die IG Metall ist über diese Überwachungspraxis der Polizei entsetzt. Denn wie sich herausstellt, ist Zwickau kein Einzelfall. Sachsens IG Metall-Vorsitzender Hasso Düvel erklärte: „Vor diesem Hintergrund erscheinen nun auch die während unseres Arbeitskampfes zum Beispiel bei

MAN Piamag Plauen und bei Volkswagen Mosel im Mai gemachten Video-Aufnahmen der Polizei in neuem Licht.“ Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) legte gegen diese Praxis Protest beim sächsischen Innenminister Heinz Eggert (CDU) ein. Hasso Düvel forderte den Freispruch von Stachel, die Tonbandmitschnitte hätten gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit verstoßen.

Das Ministerium deckte jedoch die Tonbandaufnahme. Als rechtliche Grundlage dafür sieht es den Paragraph 12a des „Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge“ Danach seien Video- und Tonbandaufnahmen gestattet, wenn von solchen Treffen „erhebliche Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit“ ausgehen. Dies sei bei dem „Spaziergang“ offensichtlich der Fall gewesen, denn der stellv Sprecher des Ministeriums, Bernd Nuska sagte zu der Aufnahme: „Sie war von der Sache her nicht falsch. Es bestand Handlungsbedarf.“

Da der „Anstifter“ Stachel gegen den Strafbefehl Widerspruch einlegte und erklärte, er gehe eher ins Gefängnis, als die Strafe zu bezahlen, kam es am 8. und 16. November vor dem Amtsgericht zum Prozeß. Sicher mit auf Grund der Proteste sah sich das Gericht nach mehrstündigen Verhandlun-

gen gezwungen, Helmut Stachel freizusprechen. Stachel erklärte dazu, daß er am Ende der Kundgebung lediglich über einen Vorschlag aus den Reihen der Kundgebungsteilnehmer informierte, der zu einem Spaziergang auf der 89er Route aufrief.

Wer jedoch dachte, damit hätte die Angelegenheit ein Ende, sah sich getäuscht. Die Staatsanwaltschaft erhob ge-

nicht zustande. Günter Lorenz: „Auf Grund der Empörung ließen sie es wohl einschlafen.“ 296 https://www.neues-deutschland.de/artikel/466469.die-braedelsfiihrerl-sind-im-visier-des-staatsapparats.html?action=print 1/2 27.2.2018 Gewerkschaftliche Demos haben immer häufiger ein polizeiliches und gerichtliches Nachspiel: Die „Rädelsfiihrer“ sind im Visier des Staats… Doch scheint dies eine Ausnahme zu sein. Für ein härteres Vorgehen des staatlichen Gewaltapparats spricht auch die gleichzeitige Ermittlung gegen Stahlarbeiter aus Duisburg. Rund 5 000 Thyssen-Beschäftigte blockierten am 21. Oktober in Duisburg die A 42. Sie folgten einem Aufruf der IG Metall zur einer Kundgebung auf den Beeker Markt. Doch auf dem Weg dorthin bog der gesamte Zug plötzlich auf die Autobahn ab. „Wir wollten uns diesmal nicht auf dem Marktplatz die Beine in den Bauch stehen. Heute muß härter gekämpft werden“, erklärte eine Gruppe Stahlarbeiter zu der Aktion.

Daraufhin erhielten am 8. November der Stahlarbeiter und Betriebsrat Gerd Pfisterer und Günther Spahn, Geschäftsführer des Thyssen-Betriebsrats, eine Vorladung des Polizeipräsidenten Duisburgs. Ihnen wurde eröffnet, daß gegen sie wegen „Landfriedensbruch, Nötigung und gef. Eingriff in den Straßenverkehr“ ermittelt wird. Günther Spahn wurde dazu von der Polizei an seinem Arbeitsplatz aufgesucht.

Auf der letzten Betriebsversammlung dort wurde diese

Angelegenheit zur Sprache gebracht. Dabei wurde auch bekannt, daß ebenfalls gegen Bergarbeiter ermittelt wird, die das Kamener Autobahnkreuz besetzten. Gerd Pfisterer: „Für mich ist das keine persönliche Angelegenheit, denn es richtet sich gegen alle Arbeiter. Die Autobahn zu besetzen war die Idee zahlreicher Kollegen, die das auch in die Tat umsetzten und nicht von angeblichen Rädelsführern.“

Nicht vergessen werden sollten in diesem Zusammenhang die ebenfalls noch laufenden Ermittlungen gegen vier Kali- Kumpel aus Bischoff erode. Obwohl sie offenkundig vor der Treuhand in Berlin von Polizeispitzeln provoziert wurden, droht ihnen ein Prozeß wegen Widerstand und gefährlicher Körperverletzung. Als im August des vergangenen Jahres der Vorstandschef der Mitteldeutschen Kali AG (MdK) Friedhelm Teusch dem Bischoff eroder Wilhelm Müller seine Videokamera brutal ins Gesicht schlägt, erstattete dieser bei der Polizei in Worbis Anzeige. Bis heute wurde keine Ermittlung aufgenommen. Auf die Anfrage eines Staatsanwalts, den Wilhelm Müller einschaltete, wurde geantwortet, daß die Anzeige eventuell verloren gegangen sei.

WOLFGANG DÜRR

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/466469.die-braedelsfiihrerl-sind-im-visier-des-staatsapparats.html

297 https://www.neues-deutschland.de/artikel/466469.die-braedelsfiihrerl-sind-im-visier-des-staatsapparats.html?action=print 2/2 298 27.2.2018 Warnstreiks gegen politische Wegelagerei/ Kundgebung vor Amtssitz des Innensenators: DAG-Protest: „Das Maß ist voll“ (neues-deutschl…

neues-deutschland.de / 01.03.1994 / Seite 17 DAG-Protest: „Das Maß ist voll“

(dpa/ADN/ND). Mehrere Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes haben sich am Montag in Berlin und Brandenburg an den bundesweiten Warnstreiks beteiligt. Rund 350 Menschen kamen zu einer Protestkundgebung der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) vor dem Amtssitz des Berliner Innensenators am Fehrbelliner Platz. Mit der Aktion wandten sich Beschäftigte insbesondere der umliegenden Senats- und Bezirksverwaltungen gegen die starre Haltung der Arbeitgeber in den Tarifverhandlungen für den öffentlichen

Dienst. Auf Spruchbändern und Fahnen hieß es: „Wir streiken“

Nach bisher drei Verhandlungsrunden ohne Annäherung der Positionen sei „das Maß voll“, sagte der D AG- Landesverbandsleiter Berlin-Brandenburg, Hartmut Friedrich. Im öffentlichen Dienst werde es „keine politische Wegelagerei geben“, mit Zurückhaltung sei nichts mehr zu bewegen.

Von Mitternacht bis 11 Uhr unterstützten auch etwa 500 Beschäftigte der Bundespost in Berlin die Warnstreiks. Nach Angaben des DPG-Sekretärs Jürgen Richter wurde

bei der Fernsprechauskunft sowie bei den Auftrags- und Weckdiensten so gut wie nicht gearbeitet. Lediglich die verbeamteten Kollegen seien zur Arbeit verpflichtet gewesen. Am frühen Morgen und am Vormittag habe die Arbeitsleistung etwa zehn Prozent der üblichen betragen. Für heute sind alle Fernmeldeämter in Berlin von 13 Uhr bis Dienstschluß zu Warnstreiks aufgerufen.

Weitere Aktionen der OTV zielen vor allem auf den öffentlichen Nahverkehr, die Flughäfen und Krankenhäuser. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft wie-

derum teilte mit, daß von 6 bis 9 Uhr die städtischen Kitas sowie die Freizeitbereiche der 17 Ganztags-Grundschulen bestreikt werden.

Die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) hat unterdessen die Kampfmaßnahmen verteidigt. Der Berliner ÖTV-Vorsitzende Kurt Lange erklärte am Montag, die Forderung nach vierprozentigen Einkommensverbesserungen bewege sich innerhalb der Preissteigerungsrate. Der tatsächliche Zuwachs des Bruttosozialproduktes werde da noch nicht einmal berücksichtigt.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/472365.dag-protest-bdas-mass-ist-volll.html

299 https://www.neues-deutschland.de/artikel/472365.dag-protest-bdas-mass-ist-volll.html?action=print 1/1 300 301 27.2.2018 „Rien ne va plus“ - ÖTV-Streik sorgte gestern früh überall im Land für Chaos: Das war eine Kostprobe für Arbeitgeber (neues-deutschland.…

neues-deutschland.de / 02.03.1994 / Seite 20 Das war eine Kostprobe für Arbeitgeber

Heidi Dieh

„Rien ne va plus“ hieß es gestern in den Morgenstunden überall in Brandenburg. Nur, daß es sich dabei nicht um den Ausruf eines Croupiers im Spielcasino handelte, sondern um nüchterne Feststellungen gestreßter, Fußgänger, nicht bedienter Bürger auf den verschiedensten Ämtern, um wartende Bus- und Stra-ßenbahnfahrgäste. Tausende Brandenburger kamen zum Teil mit Stunden Verspätung zur Arbeit. Mancherorts ruhte die Arbeit ganz. Das Chaos - so schien es - war perfekt.

Und dennoch: „Die Aktion ist war Kostprobe für die Arbeitgeber, die uns zumuten wollen, demnächst weniger Geld zu bekommen“, sagte Günter Geuking, ÖTV-Chef der Kreisverwaltung Frankfurt (Oder). Sollten die Arbeitgeber zur nächsten Tarifrunde am 9. März kein akzeptables Angebot vorlegen, würden die Streik-Aktionen ausgeweitet werden. Längst sei die „Mauer aus Mutlosigkeit, Verzweiflung und Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes“ nicht mehr so fest, wie sich das manche Arbeitgeber wünschten, sagte Geuking.

Manche Arbeitgeber versuchten gestern, auf die Beschäftigten massiven Druck auszuüben. Der Phantasie schienen auch dabei keine Grenzen gesetzt zu sein. So hatte die Geschäftsführung bei Cottbus-Verkehr eine Streikbeteiligung kurzerhand für illegal erklärt. Im Arbeits-

amt der Stadt versuchte man die Belegschaft mit Zählaktionen zu verunsichern.

In Brandenburg an der Havel legte die Geschäftsführung des Verkehrsbetriebes fest, daß sich die Hälfte der Belegschaft im Notdienst befinden würde, und der dürfe - aus Sicherheitsgründen - nicht streiken.

Trotzdem: Die wenigsten ließen sich verunsichern, überall im Lande gingen die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes auf die Straße, legten teilweise für Stunden die Arbeit nieder und damit das öffentliche Leben lahm.

In Potsdam und Brandenburg waren die Innenstadtgebiete im morgendlichen Berufsverkehr total verstopft. In der Landeshauptstadt waren es 500 Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe, die streikten. Für das Chaos auf den Straßen Potsdams sorgten nicht nur

die vielen privaten PKW, auf die zahlreiche Werktätige wegen Bus- und Bahnausfall umgestiegen waren, sondern auch 80 Miül- und Räumfahrzeuge, die die 180 streikenden Mitarbeiter der Stadtentsorgung zielgerichtet auf den Hauptverkehrsstraßen abgestellt hatten. In Falkensee fuhren mehr als 30 Entsorgungsfahrzeuge im Konvoi durch den Ort.

In den Großkreisen Märkisch-Oderland und Oder-Spree sowie in der Stadt Frankfurt (Oder) fuhren im morgendlichen Berufsverkehr zwei Stunden lang weder Busse noch Straßenbahnen.

Besonders betroffen von dem Streik waren auch die Berufspendler von Berlin ins Umland und umgedreht. Weil viele auf private Fahrzeuge umstiegen, waren auch die Zubringerstraßen rings um Berlin verstopft, die Fahrt zur Arbeit wurde zur 302 https://www.neues-deutschland.de/artikel/472608.das-war-eine-kostprobe-fuer-arbeitgeber.html?action=print 1/2 27.2.2018 „Rien ne va plus“ - ÖTV-Streik sorgte gestern früh überall im Land für Chaos: Das war eine Kostprobe für Arbeitgeber (neues-deutschland.… Nervenprobe.

Arbeitsniederlegungen gab es auch in Kitas, Arbeitsämtern Und Krankenhäusern. Im Werner-Forßmann-Krankenhaus Eberswalde traten 70 Mitarbeiter in den Ausstand, ohne daß die medizinische

Versorgung der Patienten gefährdet war.

Wie ÖTV-Landesvorsitzender Werner Ruhnke sagte, seien mit der Beteiligung von über 13 000 Kolleginnen und Kollegen an den zweitägigen Warnstreiks alle Erwartungen übertroffen worden. Die meisten Bürger hätten auch Verständnis für die Maßnahmen gezeigt, selbst wenn es für sie teilweise mit Einschränkungen verbunden gewesen sei. Es habe Anfragen von Werktätigen aus vielen Betrieben gegeben, sie wissen wollten, warum sie nicht zu den Streikteilnehmern gehörten.

Ruhnke appellierte noch einmal an die Arbeitgeber, zu der kommenden Tarifrunde nicht mit leeren Händen zu erscheinen. Die Forderungen der Gewerkschaft machten 0,5 Prozent der öffentlichen Finanzen aus, sagte der ÖTV-Chef. „Das kann sich diese Republik leisten.“ Anderenfalls wolle sie es nicht, und dann müßten die Arbeitgeber auch die Folgen verantworten. Die Ostdeutschen Arbeitnehmer jedenfalls ließen sich nicht mehr mit leeren Versprechen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertrösten.

HEIDI DIEHL

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/472608.das-war-eine-kostprobe-fuer-arbeitgeber.html

303 https://www.neues-deutschland.de/artikel/472608.das-war-eine-kostprobe-fuer-arbeitgeber.html?action=print 2/2 27.2.2018 Lehrerstreik im Kreis Barnim - Schulamt erfaßte die Teilnehmer: Löhne endlich angleichen (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 10.03.1994 / Seite 24 Löhne endlich angleichen

(ADN). Mehrere hundert Erzieher im Kreis Barnim haben am Mittwoch morgen zwei Stunden die Arbeit niedergelegt. Der Warnstreik richtete sich gegen die starre Haltung der Arbeitgeber in den laufenden Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes. Nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) waren vom Streik zwölf Schulen der Stadt

Eberswalde und Bildungseinrichtungen anderer Gemeinden des Kreises betroffen. Das Kreisschulamt hat der GEW zufolge alle am Streik beteiligten Lehrer in Listen erfaßt.

Der Eberswalder GEW-Chef Uwe Joachim sagte, die Forderungen der Lehrer und Erzieher seien „vollauf berechtigt“. Es sei nicht länger zu akzeptieren, daß Branden-

burgs Lehrer 80 Prozent Lohn bekommen, da dies „unter dem Strich 64 Prozent der Westgehälter“ bedeute. Die ostdeutschen Lehrer leisteten das gleiche wie ihre Kollegen, sagte Joachim. Die GEW fordere deshalb eine Angleichung der Bezüge auf 85 Prozent des Westniveaus und einen Kündigungsschutz entsprechend dem Bundes-Angestellten-Tarif (West).

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/474213.loehne-endlich-angleichen.html

304 https://www.neues-deutschland.de/artikel/474213.loehne-endlich-angleichen.html?action=print 1/1 305 7.3.2018 Staatsdiener sind verbittert und ungeduldig | Berliner Zeitung

Berliner Zeitung

Staatsdiener sind verbittert und ungeduldig

Von Marlies Emmerich 15.03.94, 00:00 Uhr

Die meisten Staatsdiener aus dem Ostteil Berlins lehnen da. Tarifergebnis für den Öffentlichen Dienst ab. Viele reagierten gestern verbit"Wir haben Mühe, uns vor Gewerkschaftsaustritten zu retten" schimpft Personalrat Michael Diepold. Auf seinem BVG-Betriebshof Lichtenberg verstehen die Straßenbahn- und Busfahrer den Tarifabschluß nicht. "Wir bekommen ja noch nicht einmal 80 Prozent des Westgehaltes", rechnet Diepold vor, Durch längere Arbeitszeiten und geringeres Weihnachtsgeld würden je. dem jetzt schon mindestens 500 Mark fehlen. Dlepold: "Fünf Prozent mehr -- das wäre nicht unbedingt unverschämt gewesen."Wolfgang Schatter vom Bezirks. amt Mitte hat sich sogar 90 Prozent des Westgehaltes erhofft. Das tatsächliche Ergebnis -- vom 1. Oktober an 82 Prozent -- sieht er als einen "Schlag unter die Gürtellinie". Der Regierende Bürgermeister habe auf Wahlplakaten gleichen Lohn für gleiche Arbeit versprochen. Auch beim Amt für offene Vermögensfragen will sich kaum einer mit dem Abschluß zufriedengeben. "Wir sind ziemlich platt und durchgeklatscht , kommentiert ein Ost-Mitarbeiter.Erhard Laube, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) versteht den Unmut. Allerdings bezweifelt er auch, daß die rund 30 000 Lehrer und Erzieher aus dem Ostteil die Kraft zum Streik gehabt hätten. Er setzt auf die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL).Weder innensenator Dieter Hekkelmann (CDU) noch sein Staatssekretär, Elke Laneelle' nahmen an den Verhandlungen teil, wirft Berlins Vorsitzender der Gewerkschaft Offentliche Dienste, Transport und Verkehr (0W), Kurt Lange, dem Innensenator vor. "Berlins Arbeitgeber unterstützten uns nicht", so Lange. Er erwartet nun, daß das Land Berlin einen Sonderweg geht in dieser Legislaturperiode und damit im kommenden Jahr müßten -- wie versprochen -- alle Ost-Beschäftigten das Westgehalt bekommen, sagt der Berliner BW-Chef. Mariles Emmerich

306 https://www.berliner-zeitung.de/staatsdiener-sind-verbittert-und-ungeduldig-17394056 1/1 8.3.2018 Fahrzeugwerk besetzt | Berliner Zeitung

Berliner Zeitung

Fahrzeugwerk besetzt

21.04.94, 00:00 Uhr

Treuenbrietzen. sIDie Belegschaft des Fahrzeugwerks Treuenbrietzen hat gestern ihren Betrieb besetzt. Laut IG Metall wollen dle 93 Beschäftigten damit gegen den Eigentümer protestieren, der den im Konkursverfahren befindlichen Betrieb "systematisch ausgesaugt" habe. Nun solle verhindert werden, daß das Betrlebsvermögen durch den aus Nordrhein-Westfalen stammenden Unternehmer weiter ausgezehrt wird. Die Landesregierung soll sich um den Fall kümmern.

307 https://www.berliner-zeitung.de/fahrzeugwerk-besetzt-17148266 1/1 8.3.2018 Proteste nach Zoff um Aufsichtrat und Stellenabbau: EKO: Bänder standen stundenlang still | Berliner Zeitung

Berliner Zeitung

Proteste nach Zoff um Aufsichtrat und Stellenabbau: EKO: Bänder standen stundenlang still

Von PETER KIMICH 30.04.94, 00:00 Uhr

BerlinTausende EKO-Stahlarbeiter forderten am Freitag die Einhaltung der Privatisierungsverträge durch den Italienischen Käufer Emilio Rive. Die Treuhand appellierte an Riva und die IG Metall, kompromißbereit zu sein.Der nun schon dreieinhalb Jahre andauernde Privatisierungskrimi EKO nimmt kein Ende. Aus Protest gegen das Übernahmegebaren des Rivakonzerns hat die Belegschaft des Stahlwerkes am Freitag für mehrere Stunden die Walzanlagen gestoppt. Tausende EKO-Arbeiter forderten auf einer Betriebsversammlung die Einhaltung der Privatisierungsverträge. Vertreter von Betriebsrat und Gewerkschaften sagten, man erwarte vom Investor Riva ein Produktionskonzept, das nicht den Gesamtbestand von EKO gefährde.Besetzung angedrohtArbeitsdirektor Peter Neumann sagte, In den letzten Wochen seien durch das Verhalten von Treuhand und Riva große Unsicherheiten bei den Kunden des Unternehmens entstanden. Unklar sei auch, ob der Investor fachlich In der Lage sei, dieses Stahlwerk zu führen.Der Chef des IG-Metallbezirks Berlin/Brandenburg, Horst Wagner, schloß eine Betriebsbesetzung zur Durchsetzung der Verträge mit dem Italienischen Unternehmen nicht aus.Wie die Berliner Zeitung bereits berichtete, hat der handfeste Krach Im EKO-Werk vor allem zwei Gründe: So konnten sich IG Metall und die Riva-Gruppe bisher nicht über das neutrale Mitglied im künftigen Aufsichtsrat einigen, der von 21 auf elf Mitglieder reduziert werden soll. Die IG Metall hatte den ehemaligen SPD-Bundesfinanzminister Hans Apel vorgeschlagen. Riva lehnte das ab.Fehlende MitspracheDer Investor fordert einen Franzosen oder Belgier, weil er befürchtet, "daß Jeder deutsche Kandidat Im Interesse der Arbeitnehmer abstimmen" werde. Die IG Metall hat dagegen Klage eingereicht. Aufgrund dessen hat sich die Umwandlung der EKO AG in eine GmbH bisher verzögert.Zweiter Streitpunkt: Die Zahl der Mitarbeiter soll noch In diesem Jahr von derzeit noch 3 000 auf 2 300 reduziert werden. Nach Angaben des Betriebsrates wolle Riva die Stellen Im Alleingang unmittelbar nach seinem Einstieg abbauen. "Das widerspricht den Verträgen, in denen festgelegt wurde, daß wir beim Stellenabbau ein Mitspracherecht haben", so der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Bernd Pagel gegenüber der Berliner Zeitung.Keine NachbesserungenZudem wird befürchtet, daß noch mehr Stellen als geplant abgebaut werden könnten, da Riva plane, mehrere bereits ausgegliederte Firmen wieder unter das EKO-Dach zu nehmen.Treuhandvorstand Hans Krämer versicherte am Freitag auf einer Pressekonferenz In Berlin, daß es "keinerlei vertragliche Nachbesserungen gegenüber Riva" geben werde. Die Pläne, bestimmte ausgegliederte Firmen wieder unter das Firmendach zu nehmen, würden sich "im rechtlichen Rahmen" bewegen.Krämer appellierte an die IG Metall und den Italienischen Investor, "in konstruktiver Weise aufeinander zuzugehen". Sollte die Privatisierung am Ende doch scheitern, so Hans Krämer, sei die Modernisierung des Unternehmens in ein integriertes Werk mit einer Warmbreitbandstufe gefährdet. Das schließlich würde den Stahlstandort und damit Tausende Arbeitsplätze auf s Spiel setzen.Konsens in SichtTreuhandsprecher Wolf Schöde zeigte sich optimistisch, daß es schon bald zu einer Einigung kommt: "Es gibt Signale für einen Konsens." Zwar sei der 1. Mai als eigentlicher Übernahmetag durch Riva geplatzt, doch nachdem sich die Privatisierung bisher über Jahre hingezogen habe, "können wir nun auch noch einige Tage länger warten".Vorwürfe, daß Riva die GeschäftStätigkeit des EKO-Vorstands durch massive Eingriffe behindere, konnte Hans Krämer nicht bestätigen. Vorstand und Aufsichtsrat des Stahlwerkes, so Krämer, tragen nach wie vor die volle Verantwortung.

308 https://www.berliner-zeitung.de/proteste-nach-zoff-um-aufsichtrat-und-stellenabbau-eko--baender-standen-stundenlang-still-17282438 1/1 27.2.2018 An Marxens Geburtstag war nicht über allen Wipfeln Ruh' (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 06.05.1994 / Seite 17 An Marxens Geburtstag war nicht über allen Wipfeln Ruh' Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen rief gestern zum Warnstreik / Kundgebung vor dem Roten Rathaus

Klaus Kimme

Af Einladung des Antieiszeitkomitees waren gestern 200 Unentwegte zum Marx-Engels-Forum gekommen - um Marx zu Ehren und die Bundestagsabgeordneten Petra Bläss, Gregor Gysi und Hans Modrow zu befragen ND-Fotos: Burkhard Lange

Mindestens 4 000 Gewerkschafter und Mitarbeiter des Handels waren gestern vormittag durch die Innenstadt gezogen. Auf dieser Kundgebung vor dem Roten Rathaus unterstrichen sie ihre Forderung nach Angleichung ihrer Löhne an das West-Niveau

Mit Warnstreiks haben Mitglieder der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) im Ostteil der Stadt am Donnerstag vor dem Hintergrund unterbrochener Tarifverhandlungen ihrer Forderungen nach schrittweiser Angleichung an die West-Löhne Nachdruck verliehen. Am Vormittag zogen nach Angaben HBV-Tarifsekretärs Ottwald Demele mindestens 4 000 Gewerkschafter durch die Innenstadt zu einer Kundgebung vor das Rote Rathaus. Als am Alex die Beschäftigten der Kaufhof-Filiale durch Sprechchöre aufgefordert wurden, sich der Demonstration anzuschließen, habe dies offensichtlich nur der Druck der massiv anwe-

senden Mitglieder der Geschäftsleitung verhindert.

Neben Lohnangleichung verlangten die Kundgebungsteilnehmer Beschäftigungssicherung durch Arbeitszeitverkürzung und Schutz vor weiteren betriebsbedingten Kündigungen. In einer Abstimmung entschieden sie, Vorbereitungen für eine Fortsetzung ganztägiger Streiks in der kommenden Woche zu treffen.

Am Morgen hatten rund 30 Filialen von Handelsketten in Osten Berlins wegen der Streikaktionen erst verspätet geöffnet. Zu einer spontanen Kundgebung kam es vor dem Supermarkt am Platz der Vereinten Nationen. Bei „Plus“ beteiligten sich alle Beschäftigten

des Fuhrparks und des Zentrallagers am Warnstreik. Im „Kaufhof“ am Hauptbahnhof, wo 260 der 300 Mitarbeiter nicht zur Frühschicht erschienen waren, sicherten Aushilfen aus der Verwaltungsetage bzw. kurzfristig engagierte Studentinnen den Betrieb ab. Hinweise auf den Protest der Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter fanden sich allerdings weder im Haus noch davor. 309 https://www.neues-deutschland.de/artikel/484259.an-marxens-geburtstag-war-nicht-ueber-allen-wipfeln-ruh.html?action=print 1/2 27.2.2018 An Marxens Geburtstag war nicht über allen Wipfeln Ruh' (neues-deutschland.de) Die am Donnerstag zu Ende gegangene Urabstimmung bei der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG) ergab ebenfalls eine überwältigende Zustimmung der Mitglieder zu Kampfmaßnahmen. Sollten von der Unternehmerseite kei-

ne akzeptablen Angebote kommen, stellte Roland Tremper, Leiter der Abteilung Handel der DAG, für die nächste Woche Streikaktionen in Aussicht, wie sie der Einzelhandel noch nicht erlebt habe.

Für den heutigen Freitag haben auch die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst neue Proteste angekündigt. So sind ÖTV- Informationen zufolge zwischen 6 und 7 Uhr in zahlreichen Kitas Warnstreiks und ab 13.30 Uhr Aktionen des Krankenhauses Friedrichshain vor dem Ärztehaus in der Landsberger Allee sowie von Mitarbeitern in Ostberliner Bezirksämtern geplant.

KLAUS KIMMEL

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/484259.an-marxens-geburtstag-war-nicht-ueber-allen-wipfeln- ruh.html

310 https://www.neues-deutschland.de/artikel/484259.an-marxens-geburtstag-war-nicht-ueber-allen-wipfeln-ruh.html?action=print 2/2 9.3.2018 8 000 Beschäftigte des Einzelhandels streikten: Buh-Rufe und Pfiffe | Berliner Zeitung

Berliner Zeitung

8 000 Beschäftigte des Einzelhandels streikten: Buh-Rufe und Pfiffe

Von Marlies Emmerich 13.05.94, 00:00 Uhr

Um schneller Westlohn zu erhalten, haben am Mittwoch rund 8 000 B.schäftigte großer ilandelsunternehmen im Ostteil Berlins die Arbeit niedergelegt. Zwei Dutzend Lebensmlttelfllialen blieben dicht, andere öffneten erst am Nachmittag."Streikbrecher raus", "Zumachen, Zumachen" -- so schallt es vor den Warenhäusern am Hauptbahnhof und Alexanderplatz den gatizen Tag lang. "Es sind kaum Kunden da , stöhnt Kaufhof- Geschäftsführer Detlef Steffens. Von mehreren hundert Verkäufern erscheinen rund 50 zur Arbeit, unterstützt von Aushlifskräften. Die Kunden müssen durch eine Menschenkette Spießruten laufen -- begleitet von heißen Rhythmen einer Samba-Band und nicht enden wollenden Buh-Rufen und Pflffen.Um 9 Uhr ist sich Geschäftsführer Claus Ernst vom Kaufhof Alexanderplatz noch nicht sicher, was passiert. Erst nach fast einer Stunde stehen leitende Mitarbeiter an den Türen -- umringt von Tausenden Handelsbeschäftigten. "So etwas habe ich in Westdeutschland noch nie erlebt", staunt Franziska Wiethold von der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV). Doch auch Groll kommt auf. Roland Tramper (DAG) berichtet über ,erniedrigende Szenen". Abteilungsleiter hätten unter Druck gesetzte Arbeitswiillge an die Hand genommen. In einem Unternehmen sollen für zehn Stunden Arbeit 15 Stunden Bezahlung geboten, in Marzahn Schüler eingesetzt werden sein.Vor allem in Hellersdorf und Marzahn sind Läden von Kaisers, Rolle, "plus", aber auch Hertle, die Kaufcenter Marzahn und Frankfurter Tor geschlossen. "Nicht so dramatisch wie angenommen", zeigt sich dennoch Kaisers-Geschäftsführer Hans-Hugo Lavall~e erleichert. Vorerst. Wenn die Arbeitgeber kein neues Angebot vorlegen, soll Freitag und Sonnabend vor Pfingsten gestreikt werden. Mariles Emmerich

311 https://www.berliner-zeitung.de/8-000-beschaeftigte-des-einzelhandels-streikten-buh-rufe-und-pfiffe-17282736 1/1 27.2.2018 Streik-Druck im Osten steigt weiter (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 17.05.1994 / Seite 17 Streik-Druck im Osten steigt weiter Gestern: Müllmänner, morgen: BVG, übermorgen: GASAG, ab Freitag: Handel

Michael M?ller

Die Gewerkschaften erhöhen in Berlin den Druck auf lOOprozentige Einkommensangleichung West für ihre Ost-Kollegen. Gestern mittag folgten rund 3 200 Ost-Beschäftigte von Müllabfuhr und Straßenreinigung dem ÖTV-Aufruf zum Warnstreik. Am Mittwoch früh werden die BVGer von Betriebsbeginn bis 7 Uhr im Osten die Arbeit niederlegen. Donnerstag früh wiederum soll bei den städtischen Unternehmen GASAG und BEHALA zwei Stunden alles ruhen. Sollte es heute, Dienstag, zu keinem Ergebnis zwischen HBV und DAG mit der Unternehmerseite kommen, würden Freitag und Sonnabend erneut große Warenhäuser und Supermarktfilialen ganztägig bestreikt werden.

So wie im Betriebshof Malmöer Straße in Prenzlauer Berg waren gestern bei der Müllabfuhr und der Straßenreinigung überall im Osten die Tore für zwei Stunden zu, die Arbeiten eingestellt. Klaus Köpf, Personalrat in der Malmöer, zu ND- „Noch ist das ja alles von uns nur ein Warnschuß. Die Senats-Innenverwaltung kann aber sicher sein, daß die Kollegen auch weiter stehen, wenn das Ultimatum

am 25. Mai verstrichen sein sollte. Dann geht es richtig los:“

Nur ein Warnschuß, das bedeutete auch, daß die Bürger direkt nicht betroffen waren; der Müll war wie immer abgeholt worden. „Wir wollen schließlich was von den Politikern, nicht von der Nachbarin nebenan“, meinte Köpf.

Mittlerweile hatten sich die Fronten zwischen ÖTV einerseits und der Politik andererseits aber weiter verhärtet. Ein

Sprecher der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) hatte in Bonn die Berliner ÖTV-Warnstreiks als „rechtswidrig“ bezeichnet. ÖTV-Chef Lange dazu gestern gegenüber ND-„So was bringt die Kollegen eben auf die Palme. Auch bei der BVG wurde daraufhin postwendend Warnstreik beschlossen.“

Damit droht sich der Arbeitskampf, was die ÖTV-Spitze vorerst verhindern wollte, auch ^uf den -Berafsverkehr auszudehnen. Die Sympathie dürfte da nicht immer ganz auf Seiten der Streikenden sein. Doch sie haben einen politischen Bonus: Sie fordern bei der Gehaltsangleichung nicht mehr als ein Wahlversprechen der CDU/SPD-Koalition ein. Und so was ist in Ostberlin wiederum recht gut zu vermitteln. Hat doch mit ähnlichen Ver-

sprechen so mancher eigene böse Erfahrungen gemacht.

Das dürfte auch beim bisherigen Verständnis der Ostberliner Kunden für die Streiks im Einzelhandel eine Rolle spielen. HBV-Chef Müller hielt diese äußere Stimmung gestern gegenüber ND auch deshalb für so wichtig, weil im Innern der Druck zunimmt. „Wenn der Umsatz wegen der Streiks weiter sinkt, müssen Leute entlassen werden, wird den Kollegen massiv gedroht.“ Doch es bliebe dabei: „Gibt es am Dienstag kein verhandlungsfähiges Angebot der Arbeitgeber, ist am

312 https://www.neues-deutschland.de/artikel/485899.streik-druck-im-osten-steigt-weiter.html?action=print 1/2 27.2.2018 Streik-Druck im Osten steigt weiter (neues-deutschland.de) Freitag wieder dicht. Und wir marschieren durch die City.“ Bei den von Unternehmerseite gestern vage' angekündigten „gewichtigen Vorschlägen“ verspürte Müller eher „heiße Luft, die uns von den Aktionen abhalten soll.“

MICHAEL MULLER

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/485899.streik-druck-im-osten-steigt-weiter.html

313 https://www.neues-deutschland.de/artikel/485899.streik-druck-im-osten-steigt-weiter.html?action=print 2/2 314 6.6.2018 ■ Einzelhandel: Friede, Freude, Eier... - taz.de

■ EINZELHANDEL Friede, Freude, Eier...

Berlin (AP) – Der Streik im ostdeutschen Einzelhandel ist abgewendet: Die Löhne und Gehälter der Beschäftigten in den neuen Bundesländern sollen rückwirkend zum 1. Mai stufenweise auf 90 Prozent der Westberliner Tarife angehoben werden. Die Arbeitszeit wird auf 39 Stunden verkürzt.

taz. die tageszeitung vom 19. 5. 1994

Inland S. 4

THEMEN Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Handel 134 Bundesländer / Ostdeutschland 420O

319 Zeichen ~ ca. 10 Zeilen

Ausgabe 4317

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315 https://www.taz.de/Archiv-Suche/!1562010&s=Streik&SuchRahmen=Print/ 1/1 6.6.2018 Berliner Alleingang für Ostbeschäftigte - taz.de Berliner Alleingang für Ostbeschäftigte ■ Ostlöhne im öffentlichen Dienst bis Ende 1996 auf Westniveau / Konflikt mit Tarifgemeinschaft vorprogrammiert

Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) bemühte gestern das nationale Pathos, um den Vorstoß des Senats zur Angleichung der Ost- an die Westtarife im öffentlichen Dienst zu verteidigen. Er wisse, daß aus den übrigen Bundesländern nun eine „Fülle von Anwürfen“ kommen werde, doch habe Berlin „als Werkstatt der Einheit“ keine andere Alternative. Nach wochenlangen fruchtlosen Verhandlungen und zahlreichen Warnstreiks in Schulen, Kindertagesstätten und öffentlichen Betrieben beauftragte das Finanzkabinett nun gestern Innensenator Dieter Heckelmann (CDU), in der kommenden Woche mit den Gewerkschaften Gespräche über eine Angleichung der Ost- an die Westlöhne sowie Tarifverhandlungen über eine Arbeitszeitverkürzung bei Teillohnausgleich zu führen. Die stufenweise Anhebung der derzeitigen 80-Prozent-Einkommen für die rund 110.000 Beschäftigten im Ostteil der Stadt an das Westniveau soll mit übertariflichen Zulagen bis Ende 1996 erreicht werden. Noch vor der Sommerpause will der Senat eine Vorlage in das Abgeordnetenhaus einbringen. Mit diesem gesetzgeberischen Verfahren, so Diepgen gestern, werde der bundesweite Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, der im Oktober diesen Jahres eine Erhöhung auf 82 Prozent vorsieht, „nicht tangiert“. Auch werde die „vertragliche Basis“ der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) „nicht verletzt“. Eine Einschätzung, die beim TdL-Geschäftsführer Jürgen Peter gestern Empörung auslöste. Auch „übertarifliche Maßnahmen“ bedürften der Zustimmung der Länder. Den Vorstoß Berlins kommentierte er mit den Worten: „Wir kämpfen um jeden Pfennig, und Berlin genehmigt sich einfach einen Sonderbeitrag. Dann kann man ja gleich der TdL fernbleiben.“ Aufgrund der neuen Ausgangssituation wollte Peter eine baldige Sondersitzung der TdL nicht ausschließen. Die zusätzlichen Mittel für die Personalausgaben will der Senat in den Doppelhaushalt 95/96 einarbeiten. Um die bereits jetzt abzusehenden Deckungslücken aufzufangen, müsse „in allen Bereichen“ hart gespart werden, steckte Diepgen die Marschroute ab. Nach Senatsangaben schlägt allein ein Prozent mehr Lohn für die Ostbeschäftigten mit jährlich rund 47 Millionen Mark im Haushalt zu Buche. Ein strahlendes Gesicht machte gestern Kurt Lange, Vorsitzender der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV). Seine Gewerkschaft hatte dem Senat bis heute ein Ultimatum für ein „einigungsfähiges Angebot“ gestellt und im Falle des Scheiterns mit einem Streik gedroht. Voll des Lobes war der ÖTV-Chef für Diepgen, der Innensenator Heckelmanns zögerlicher Verhandlungsführung nun „Dampf gemacht“ habe. Die für heute und morgen angekündigten Warnstreiks in verschiedenen öffentlichen Ämtern und Institutionen Ostberlins sollen ungeachtet der gestrigen Entscheidung stattfinden. Alle weiteren geplanten

316 https://www.taz.de/Archiv-Suche/!1561306&s=Streik&SuchRahmen=Print/ 1/2 6.6.2018 Berliner Alleingang für Ostbeschäftigte - taz.de Kampfmaßnahmen vom 30. Mai bis 3. Juni sollen hingegen abgeblasen werden, sobald eine offizielle Einladung von Heckelmann die Gewerkschaft erreicht hat. SEVERIN WEILAND

taz. die tageszeitung vom 25. 5. 1994

Berlin Aktuell S. 17

SEVERIN WEILAND

THEMEN Landesregierung / Senat-von-Berlin / Senatsverwaltung / Bundes-und-Europaangelegenheiten 422B Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Bundesländer / Bundesländer-Nord-Süd / Bundesländer-Ost-West 420 Arbeit / Angestellte / Beamte 123 Gewerkschaft-Transporte-Verkehr / ÖTV 152O Berlin / Senatsverwaltung / Inneres 4220B

3131 Zeichen ~ ca. 96 Zeilen

Ausgabe 4321

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317 https://www.taz.de/Archiv-Suche/!1561306&s=Streik&SuchRahmen=Print/ 2/2 6.6.2018 Warnstreiks in Ost-Berlin - taz.de Warnstreiks in Ost-Berlin

Im öffentlichen Dienst Ostberlins hat es gestern auch nach der Ankündigung des Senats über eine Einkommensangleichung erneut Warnstreiks gegeben. Diese konnten nach Gewerkschaftsangaben trotz des Gesprächsangebots des Innensenators nicht mehr abgesagt werden. Der Senat verurteilte die Streiks. Der Regierende Bürgermeister forderte den Innensenator auf, gegen die Streikaktionen strikt vorzugehen. Von den zweistündigen Arbeitsniederlegungen waren Kindertagesstätten in Lichtenberg, Weißensee und Marzahn betroffen. Nach Angaben von ÖTV und GEW beteiligten sich 5.000 Erzieherinnen und Erzieher an den Warnstreiks, in mehreren Bezirksämtern weitere 3.000 Beschäftigte. Nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei streikten auch 250 Beschäftigte in Polizeidirektionen sowie Melde- und Zulassungsstellen. Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder will sich auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung mit dem Vorhaben befassen. Bei anderen Bundesländern herrsche großer Unmut über den Alleingang Berlins. Eine Sprecherin der GEW sagte, ein Hinausschieben der 100 Prozent bis Ende 1996 sei für die Beschäftigten „inakzeptabel“.

taz. die tageszeitung vom 26. 5. 1994

Berlin Aktuell S. 17

THEMEN Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Bundesländer / Bundesländer-Nord-Süd / Bundesländer-Ost-West 420 Arbeit / Angestellte / Beamte 123 Gewerkschaft-Erziehung-Wissenschaft / GEW 152W

1151 Zeichen ~ ca. 37 Zeilen

Ausgabe 4322

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318 https://www.taz.de/Archiv-Suche/!1561136&s=Streik&SuchRahmen=Print/ 1/1 13.3.2018 15000 Postler demonstrieren | Berliner Zeitung

Berliner Zeitung

15000 Postler demonstrieren

30.05.94, 00:00 Uhr

Dortmund. ReuterMehr als 15 000 Postbedienstete aus dem gesamten Bundesgebiet haben gestern In der Dortmunder Westfalenhalle gegen die Privatlsierungspläne der Bundesregierung bei Postdienst, Telekom und Postbank demonstriert. Der Vorsitzende der Deutschen Postgewerkschaft, Kurt van Haaren, forderte eine Reform, die aus der Behörde Bundespost öffentliche Unternehmen mache. "Wir lehnen die totale Privatisierung der Bundespostunternehmen, Postdienst, Telekom und Postbank aW , sagte er. Wenn es zu einer Privatislerung komme, fordere seine Gewerkschaft die verfassungsrechtlich gesicherte dauerhafte Kapitalmehrheit des Bundes an den Postunternehmen.

319 https://www.berliner-zeitung.de/15000-postler-demonstrieren-17272812 1/1 13.3.2018 Müllwerker fordern sofortige Gehaltsangleichung: Erneut Warnstreiks | Berliner Zeitung

Berliner Zeitung

Müllwerker fordern sofortige Gehaltsangleichung: Erneut Warnstreiks

03.06.94, 00:00 Uhr

Potsdam. dpaMüliwerker aus zehn Betrieben der privaten Entsorgungswlrtschaft In Brandenburg sind gestern vormittag für mehrere Stunden In den Warnstreik getreten.Betroffen von dem Ausstand waren unter anderem Betriebe und Deponlen in Herzberg, Bad Liebenwerda, Frankfurt (Oder), Seelow, Neuruppin und Rathenow. Nach Angaben der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (071 V) betelligten sich rund 600 Beschäftigte an dem bis Mittag befristeten Warnstreik, mit dem die Forderung nach sofortiger Gehaltsangleichung an West-Niveau bekräftigt werden sollte.01V und Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE) hatten 1991 eine loOprozentige Angleichung zum Mal 1994 verelnbart. Der BDE kündigte dann diesen Tarifvertrag auf außerordentlichem Wege und bot nur noch eine Anhebung auf 90 Prozent bis 1996 an.

320 https://www.berliner-zeitung.de/muellwerker-fordern-sofortige-gehaltsangleichung-erneut-warnstreiks-17590096 1/1 321 322 323 6.6.2018 ■ Postler sind weiter im Streik: Minister Bötsch will vermitteln - taz.de

■ POSTLER SIND WEITER IM STREIK Minister Bötsch will vermitteln

Bonn/Frankfurt (AP) – Gestern streikten etwa 18.000 Postler. Schwerpunkte waren Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen, wo es in mehreren großen Städten keine Zustellung gab. Allein in Sachsen-Anhalt erhielten am Freitag rund eine halbe Million Haushalte keine Briefe. In Nordrhein-Westfalen wurde vor allem die Telekom mit der Fernsprechauskunft und den Kabelverlegern bestreikt. Bundespostminister Wolfgang Bötsch hat vermittelnd in den Tarifstreit eingegriffen. Einen Tag nach dem Abbruch der Verhandlungen schien gestern eine Wiederaufnahme der Gespräche nicht ausgeschlossen. Dies habe der Vorsitzende der Postgewerkschaft, Kurt van Haaren, angedeutet, erklärte ein Ministeriumssprecher. Van Haaren sagte, da noch kein verbessertes Angebot der Arbeitgeber vorliege, sei große Skepsis angebracht. Die Warnstreiks würden fortgesetzt. In dem Streit geht es um die Wahrung sozialer Besitzstände für die Zeit nach der geplanten Privatisierung der Postunternehmen. Der Vorsitzende des Bundestags-Postauschusses, Peter Paterna (SPD), begrüßte die Vermittlungsversuche des Ministers. Er habe den Eindruck, daß ein konstruktiver Abschluß der Gespräche nicht zustande komme, wenn die Tarifparteien alleine miteinander verhandelten.

taz.am Wochenende vom 11. 6. 1994

Inland S. 4

THEMEN Bundesministerium / Post / Telekommunikation 42191 Bundespost / Telekom 421910 Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Gewerkschaft-Post / DPG 152G

1303 Zeichen ~ ca. 41 Zeilen

Ausgabe 4336

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324 https://www.taz.de/Archiv-Suche/!1558342&s=Streik&SuchRahmen=Print/ 1/2 13.3.2018 Entscheidung bleibt vorerst aber ohne spürbare Folgen: Die Tarifgemeinschaft schließt Berlin aus | Berliner Zeitung

Berliner Zeitung

Entscheidung bleibt vorerst aber ohne spürbare Folgen: Die Tarifgemeinschaft schließt Berlin aus

14.06.94, 00:00 Uhr

Berlin. vbDie Tarifgemeinschaft deutscher Länder hat Berlin mit sofortiger Wirkung ausgeschlossen. Die vorgezogene Erhöhung der Ost-Einkommen im Öffentlichen Dienst sei "grob verbandswidrig und -schädigend.So begründete der Vorsitzende der Gemeinschaft und nordrhein-westfälische Finanzminister Heinz Schleußer (SPD) den Beschluß.,, Es kann nicht sein, daß nur die Breite einer Straße über die Gehaltshöhe entscheidet und die, die auf der falschen Seite stehen, zu Deppen der Nation gemacht werden", verteidigte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen den Berliner Sonderweg. Der Ausschluß werde weniger die Berliner treffen, sondern bedeute "vielmehr eine mißliche Entwicklung in der Tarifpolitik insgesamt".Direkte Auswirkungen hat der Rausschmiß vorerst nicht. Abgeschlossene Tarifverträge gelten auch in Berlin weiter. Bei künftigen Verhandlungen muß sich das Land jedoch allein mit den Gewerkschaften auseinandersetzen. Speite 17

325 https://www.berliner-zeitung.de/entscheidung-bleibt-vorerst-aber-ohne-spuerbare-folgen-die-tarifgemeinschaft-schliesst-berlin-aus-17554304 1/1 326 6.6.2018 Post stoppt Streiks - taz.de Post stoppt Streiks

Die Postboten werden am Montag wieder regulär Briefe zustellen. Die angekündigten Warnstreiks werden nach den erreichten Teilergebnissen bei den Tarifverhandlungen für die Postbediensteten zunächst ausgesetzt, teilte gestern die Deutsche Postgewerkschaft mit. Grund ist die Einigung auf ein spezielles „Ostpaket“ für die Beschäftigten der Bundespost in den neuen Ländern. Es sieht vor, daß die in den alten Bundesländern geltenden Regeln der Unkündbarkeit auch auf die neuen übertragen werden. Sie sollen am 31. Dezember 1994 in Kraft treten. Wenn die Postarbeitgeber die Verhandlungen wieder verschleppen, sei man aber jederzeit in der Lage, den Streik auszuweiten.

taz. die tageszeitung vom 20. 6. 1994

Berlin Aktuell S. 21

THEMEN Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Gewerkschaft-Post / DPG 152G Bundespost / Telekom 421910

685 Zeichen ~ ca. 21 Zeilen

Ausgabe 4343

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327 https://www.taz.de/Archiv-Suche/!1557195&s=Streik&SuchRahmen=Print/ 1/1 328 16.3.2018 Bestandsgarantie für Sozialleistungen vereinbart: Die Post geht wieder ab | Berliner Zeitung

Berliner Zeitung

Bestandsgarantie für Sozialleistungen vereinbart: Die Post geht wieder ab

02.07.94, 00:00 Uhr

Köln. ReuterDer Tarifstreit bei der Post ist beendet. Die Post-Arbeitgeber und die Deutsche Postgewerkschaft (DPG) einigten sich am Sonnabend in Köln auf einen Sorlalvertrag für die rund 670 000 Beschaftlgten bei der Privatisierung von Telekom, Postbank und Postdienst.Die Warnstreiks wurden sofort eingestellt. Die Verhandlungsführer beider Seiten sprachen von einem guten Kompromiß. Mit der Tarifeinigung gilt auch die Zustimmung des Bundesrates zur Postreform als sicher.Letzte offene Punkte bei den Tarifverhandlungen waren eine Bestandsgarantie für die Sozialleistungen und -einrichtungen sowie eine Klausel, nach der Beteiligte an den Streiks nicht bestraft werden dürfen. In den Wochen zuvor hatten sich die Tarifparteien bereits auf Einkommensregelungen für die nichtbeamteten Arbeitnehmer, auf den Kündigungsschutz für die ostdeutschen Post-Beschäftigten und über die Mitbestimmung in den Aktiengesellschaften geeinigt.Der Briefberg in Berlin -- zwei Millionen liegengebliebene Sendungen -- soll nach Post-Angaben im Laufe des Montag aufgearbeitet werden.

329 https://www.berliner-zeitung.de/bestandsgarantie-fuer-sozialleistungen-vereinbart-die-post-geht-wieder-ab-17576424 1/1 27.2.2018 Die „Brücke“ zur Arbeit muß länger werden (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 02.07.1994 / Seite 5 Die „Brücke“ zur Arbeit muß länger werden ABS-Beschäftigte in Sachsen setzten sich mit einer Protest-Woche gegen Kürzungen zur Wehr Von MARCEL BRAUMANN, Dresden

Das Auslaufen Tausender ABM-Stellen nach dem 1. November und die der IG Metall Sachsen zufolge damit drohende „beschäftigungspolitische Katastrophe“ haben die Gewerkschaft bewogen, kurz vor den Sommerferien mit einer Aktionswoche in Sachsen für Unruhe zu sorgen. Auf öffentlichen Betriebsversammlungen der Mitarbeiter von Beschäftigungsgesellschaften in Leipzig, Riesa, Gröditz, Dresden und Bautzen wurde an Bund und Freistaat die Forderung nach 20 000 öffentlich finanzierten Arbeitsplätzen in der Metallbranche gerichtet, die tariflich entlohnt werden und strukturpolitisch bedeutsame Aufgaben erfüllen. Dazu zählen Gestaltung des Wohnumfelds, verbesserte Abwasserbeseitigung und Sanierung brachliegender Industriegelände.

Daß ausgerechnet die auf Initiative der Gewerkschaften entstandenen Gesellschaften für Arbeitsförderung, Beschäftigung und Strukturentwicklung (ABS) künftig ihren Leuten eine 20 Prozent unter dem jeweils branchenüblichen Tarif liegende Entlohung zumuten sollen, wie es die Bundesregierung plant und mit der Neufassung des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) in Paragraphen fassen will, löst nicht gerade Begeisterung aus. Hinter diesem staatlichen Lohnsenkungsvorhaben steckt die Meinung liberaler wie konservativer Wirtschaftsstrategen, es gebe zwar genügend Arbeit im Lande, aber diese sei nur zu teuer an den Mann oder die Frau zu bringen.

Die Zukunft der ABS-Gesellschaften hängt an der politischen Entscheidung darüber, auf wessen Schultern die Kosten anschlußbedingter Zusammenbrüche abgewälzt werden. In der Region Bautzen beträgt die offizielle Arbeitslosigkeit 18 Prozent, sechs Prozent mehr als in Dresden, das die geringste Erwerbslosigkeit in Ostdeutschland registriert. Doch mit der Dresdner Arbeitslosenquote „würde man im Westen schon nervös werden“, stellte Dr. Bernd Müller, Geschäftsführer des ABS-Gesellschaften „Schienenfahrzeug- und Landmaschinenbau“ und „Elektrotechnik“, in seiner Rede fest vor rund 500

Kolleginnen und Kollegen bei der Betriebsversammlung in Bautzen. Besonders alleinerziehende Frauen und ältere Bürger trügen hier wie anderswo in Ostdeutschland die Hauptlast der Umstrukturierung.

Eine Delegation will die IG Metall ins sächsische Ministerium für Wirtschaft und Arbeit schicken. Mit dem Blick auf die Zukunft der ABS-Gesellschaften glaubt nicht nur Bodo Irrek, örtlicher Bezirkssekretär der IG Metall: „Die Brücke muß länger werden als geplant.“ Der Grund liegt auf der Hand, denn „die geplante Strukturanpassung wird länger dauern als geplant“, so Bernd Müller

330 https://www.neues-deutschland.de/artikel/493892.die-bbrueckel-zur-arbeit-muss-laenger-werden.html?action=print 1/2 5.6.2018 Städtische Kitas stehen im Regen - taz.de Städtische Kitas stehen im Regen ■ In 1.000 Kitas fand gestern morgen ein dreistündiger Warnstreik statt / Senat plant drastische Einsparungen

Wo sonst 131 kleine Kinder herumkrabbeln und -brabbeln, herrscht Stille. Niemand spielt mit den Legoklötzen, den Puppen oder den Teddys. Es ist sechs Uhr morgens, und in der Kita in der Monumentenstraße wird gestreikt. Draußen regnet es Bindfäden, und das miese Wetter paßt zur miesen Stimmung. „Die Sparpläne des Senats sind unmöglich. Es ist nicht zu glauben, was alles auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden soll“, sagt Erzieherin Marion Günter, die mit ihren KollegInnen im Regen steht und Streikplakate aufhängt: „Keine Massenkinderhaltung in Kitas!“ Rund 1.000 der 1.300 Berliner Kitas haben sich gestern dem Aufruf der GEW zum Warnstreik angeschlossen. Anlaß sind die Sparpläne des Senats für die städtischen Kindertagesstätten. Statt wie bisher 15 sollen ab 1995 22 Kinder in einer Gruppe sein. Und statt eineinhalb ErzieherInnen pro Gruppe gibt es dann nur noch eineinviertel. In den Augen von Marion Günter „unmöglich, denn schon 15 sind eigentlich zuviel.“ Der dreistündige Warnstreik soll ein „Warnschuß“ sein. „Ein Zeichen, daß der Senat nicht alles mit den Kitas machen kann“, erklärt sie. Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) bezeichnet den Warnstreik als rechtswidrig und droht mit Konsequenzen. Und auch Jugendsenator Thomas Krüger (SPD) zeigt kein Verständnis für den Streik. Aber das ist denen, die im Regen stehen, egal: „Streik ist unser einziges Mittel.“ Dumm ist das an diesem Morgen allerdings für die Eltern. Denn die müssen ihre kleinen Quälgeister wegen des Streiks drei Stunden länger zu Hause behalten. „Wir haben alle Eltern informiert“, sagt Marion Günter, „und die meisten sind ganz solidarisch.“ Zumindest läßt sich niemand blicken, der draußen im Regen stehen müßte. Nur ein paar sind extra früh aufgestanden, um mitzustreiken. Ilse Schmidt, Kitaleiterin in der Holzmarktstraße in Mitte, sieht für den Osten durch die Sparvorschläge noch „viel härtere Konsequenzen“. Während es im Westen genügend Kinder gebe, seien schon jetzt im Osten durch den Geburtenrückgang die Ostkitas nur vollbesetzt, weil Westkinder mit dabei sind. Wenn jetzt die Kinderanzahl pro Gruppe erhöht werde, werde es weniger Gruppen geben, und „es werden noch zusätzlich Erzieherinnen entlassen“, sagt Ilse Schmidt. Die Forderungen aber sind in Ost und West dieselben: ein Tarifvertrag, der die Gruppengröße und ErzieherInnenanzahl festlegt. Um Punkt neun ist aber vorerst Schluß. Die ersten Eltern stehen mit ihren Kindern vor der Tür im Regen und warten. Und wo vorher drei Stunden ungewöhnliche Ruhe war, wird wieder gekrabbelt und gebrabbelt. PATRICIA PANTEL

331 https://www.taz.de/Archiv-Suche/!1554013&s=Streik&SuchRahmen=Print/ 1/2 5.6.2018 Städtische Kitas stehen im Regen - taz.de taz.am Wochenende vom 9. 7. 1994

Berlin Aktuell S. 29

PATRICIA PANTEL

THEMEN Kindergärten / Berlin 211B Tarifverhandungen / Arbeitskonflikte 141 Landesregierung / Senat-von-Berlin / Senatsverwaltung / Bundes-und-Europaangelegenheiten 422B

2710 Zeichen ~ ca. 82 Zeilen

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332 https://www.taz.de/Archiv-Suche/!1554013&s=Streik&SuchRahmen=Print/ 2/2 27.2.2018 Premnitz: Marsch zum Sozialamt (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 24.08.1994 / Seite 1 Premnitz: Marsch zum Sozialamt Seit Monaten keinen vollen Lohn - bereits 25 Familien beantragten Sozialhilfe

P r e m n i t z (ND-Fiehler/Rehfeldt). Mit einer öffentlichen Belegschaftsversammlung vor dem Betriebstor und einem Protestmarsch zum Sozialamt haben die Beschäftigten der Märkischen Faser AG am Dienstag auf ihre Nöte aufmerksam gemacht. Seit Monaten müssen sich die 1 200 Mitarbeiter des brandenburgischen Betriebes mit einem Abschlag von 800 Mark begnügen; bereits 25 Familien mußten den Weg zum Sozialamt gehen. Vom Betriebsrat wurde die Demonstration als symbolischer Gang aller zum Sozialamt bezeichnet, weil die gesamte Belegschaft sozial bedroht sei.

Offensichtlich blieb der Schweizer Alcor-Chef sich treu, der nach dem Erwerb der Faser AG gesagt haben soll, er wolle in Premnitz nie einen Pfennig investieren. Vom Alleinaktionär Alcor Chemie sind die in Aussicht gestellten vorfinanzierten Aufträge bislang nicht realisiert worden. Durch die Ausstiegsinteressen von Alcor und die sich hinziehenden Vertragsverhandlungen mit der russischen Rostextil über die Übernahme kann der bran-

denburgische Betrieb nicht einmal Kreditanträge stellen.

Vor der Belegschaft forderte Betriebsratsvorsitzender Hans-Joachim Maaß Alcor auf, das dringend benötigte Kapital bereitzustellen. Die Geduld der Belegschaft sei am Ende, bei weiter ausbleibenden Lohnzahlungen sei mit Streik zu rechnen. Geschäftsführer Dr. Hinrich Timman sprach unter lautstarken Protesten von der bitteren Entscheidung, die die Geschäftsführung zugunsten

der Betriebsführung und zuungunsten der Lohnzahlung treffen müsse. Martin Landwehr von der IG Chemie konterte die immer wieder von der Geschäftsführung ins Feld geführten Sanierungserfolge mit der Bemerkung, es sei ein Unding, von betriebswirtschaftlichem Fortschritt zu sprechen, wenn man keine Löhne zahlt. Brandenburgs Arbeits- und

nitz ein Verfahren vorbereitet, um in besonders schlimmen Fällen für eine schnelle Sozialhilfe zu sorgen.

CDU-Spitzenkandidat Peter Wagner, der den Unmut der Premnitzer zu wahltaktischen Manövern zu nutzen suchte, warf der Landesregierung vor, sie inszeniere ein Begräbnis für Premnitz. Dafür erntete er bei den Hunderten Kundgebungsteilnehmer Pfiffe und Buh-Rufe. PDS-Landtagsabgeordneter Heinz Vietze machte für das Desaster um Premnitz, das schon über zwei Jahre andauert, die Treuhand verantwortlich, die den Betrieb leichtfertig an einen unseriösen Unternehmer verkauft habe. Vietze verlangte eine erneute Sondersitzung des Brandenburgischen Landtages.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/503089.premnitz-marsch-zum-sozialamt.html

333 https://www.neues-deutschland.de/artikel/503089.premnitz-marsch-zum-sozialamt.html?action=print 1/1 27.2.2018 Löblein-Ausstand wird wohl der längste NGG-Streik (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 14.10.1994 / Seite 8 Löblein-Ausstand wird wohl der längste NGG-Streik Die Belegschaft der Fleischwarenfirma im sächsischen Schildau steht bereits seit vier Wochen im Streik

Von WOLFGANG DÜRR

Seit nunmehr vier Wochen steht die Belegschaft von Löblein-Fleischwaren in Schildau bei Leipzig vor dem Tor-Streik!. 70 Prozent der Streikenden sind Frauen. 1992 hatte der Bamberger Unternehmer Löblein 19 Fleischwarenbetriebe in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen aufgekauft. Das Arbeitsklima wurde seit der Übernahme durch Löblein immer schlimmer. Überstunden waren an der Tagesordnung, zwanzig im Monat und mehr. Die Fahrer kommen* teilweise sogar auf 120 Über-

stunden im Monat. 12 bis 15 Tonnen Fleisch verarbeiten 53 Mitarbeiter in Schildau täglich, in Stoßzeiten bis zu 25 Tonnen. Stück für Stück wurde Personal abgebaut. Mit den Angestellten zusammen sind es noch 116 Beschäftigte.

„Jetzt muß Schluß sein“, sagten sie sich schließlich und schalteten die Gewerkschaft NGG (Nahrung-Genuß-Gaststätten) ein. Eine Arbeitsplatzgarantie für die noch 116 Beschäftigten wurde verlangt. Der CDU-Ministerpräsident Biedenkopf versprach kurz vor der Landtagswahl in Sachsen

den Kollegen, Löblein hätte ihm die Zusage zum Erhalt der Arbeitsplätze gegeben. Doch kurz darauf kündigte Löblein erneut sieben Kollegen, denen noch 37 weitere folgen sollten. Er erließ am 17. September eine Angriffsaussperrung. Für den Tag darauf setzte die Geschäftsleitung eine Betriebsversammlung an. Peter Domjahn, Geschäftsführer der NGG Leipzig, sollte der Zugang verwehrt werden. Die Belegschaft bestand aber darauf, daß ihr Gewerkschaftssprecher auf die Versammlung darf. Dort wurde der Spieß umgedreht, eine Urabstimmung durchgeführt.

100 Prozent stimmten für Streik.

Die wichtigste Forderungen sind die Rücknahme der Kündigungen und der Erhalt der 116 Arbeitsplätze. Als zweites wird die Angleichung der Löhne an den Tariflohn gefordert. Bisher erhalten die Schildauer Fleischwarenarbeiter gerade 2100 DM brutto und nicht 2450 DM, die es nach Tarif geben müßte. Um ein Übergreifen des Streiks zu verhindern, setzt Löblein die anderen Filialen unter Druck. Die Schildauer Belegschaft ist fest entschlossen, weiter zu machen. Die Gewerkschaft unterstützt

den Streik bisher finanziell. Peter Domjahn geht davon aus, daß der Streik noch einige Wochen dauern wird. Ein nächster Verhandlungstermin steht noch nicht fest. „Es wird wohl der längste Streik in der Geschichte der NGG werden“, ist er 334 https://www.neues-deutschland.de/artikel/512140.loeblein-ausstand-wird-wohl-der-laengste-ngg-streik.html?action=print 1/2 27.2.2018 Löblein-Ausstand wird wohl der längste NGG-Streik (neues-deutschland.de) überzeugt. Sie werden jetzt die Bevölkerung darüber informieren, daß die Waren in den Läden mit der Aufschrift „Schildauer Wurstwaren“ gar nicht aus Schildau stammen.

Spendenkonto: „Schildauer Streik“, Bank für Gemeinwirtschaft Leipzig, Konto-Nr.: 1435443700; BLZ. 86010111

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/512140.loeblein-ausstand-wird-wohl-der-laengste-ngg-streik.html

335 https://www.neues-deutschland.de/artikel/512140.loeblein-ausstand-wird-wohl-der-laengste-ngg-streik.html?action=print 2/2 27.2.2018 Aktionstag in Schildau Zweihundert kamen (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 07.11.1994 / Seite 9 Aktionstag in Schildau Zweihundert kamen Weiterhin Streik in Löblein-Fleischfabrik

Früher Nachmittag am Freitag in Schildau, Kreis Torgau. Der Autokorso der Gewerkschafter mit dem roten IG Metall-Bus an der Spitze ist eine Attraktion. Der DGB hat gerufen und über Zweihundert kamen zum Aktionstag. „Das ist heute so“, meint eine Arbeiterin, „wer kämpft, kriegt eben auch Unterstützung.“ Seitdem 19 September streiken die Beschäftigten der „sogut“ Fleischwaren GmbH der Löblein-Gruppe unbefristet für einen Haustarifvertrag. „Ihr seid nicht allein, die anderen Gewerkschaften stehen zu Euch“, spricht Edda Möller, DGB-Kreisvorsitzende in Leipzig, ins Mikrofon.

Der Kapitalist Löblein, unlängst in einem Fleischmagazin mit dem Titel „Auferstanden aus Ruinen“ geehrt, war noch vor einigen Jahren Mitarbeiter im kaufmännischen Bereich bei Südfleisch. Manfred Werske, Vorsitzender der NGG für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, fragt sich, „wie ein einziger Mann plötzlich zu soviel Betrieben kommt“ Nach seinem undurchsichtigen Abgang bei Südfleisch hat Löblein sein Imperium billig von der Treuhand und vom Konsum zusammengekauft. Den Betrieb in Schildau hat der Konsum tatsächlich verschleudert. Der Kaufpreis lag bei 530 000 DM, die Geschäftsanteile hatten dagegen einen Nominalwert von 10 Millionen. Bei solchen Konditionen geht es einem Löblein wohl eher um Immobilienspekulation als um die Wurst.

Nun herrscht Löblein über 1 700 Beschäftigte in 19 Betrieben, wo er Manchesterkapitalismus praktiziert. Überall vernichtet er Arbeitsplätze und hält sich nicht an bestehende Tarifverträge. Betriebsräte werden massiv unter Druck ge-

setzt, und neu eingestellte Kollegen werden für 8 DM die Stunde ausgebeutet.

In Schildau zahlt Herr Löblein gerade mal 2 100 Mark brutto für eine Knochenarbeit, wornit er die Arbeiter monatlich um 350 DM Bruttolohn betrügt. Im bisher längsten NGG-Streik in den neuen Bundesländern hat der Herr der Würste bisher jegliche Verhandlungen mit Betriebsrat und Gewerkschaft abgelehnt. Er antwortete mit 35 Entlassungen und einer Kampfaussperrung.

Karl-Heinz Kunckel von der SPD sieht Parallelen in Löbleins Gebaren zum Unternehmerverhalten in den neuen Ländern überhaupt. „Billig Betriebe kaufen- und dann die Löhne drücken. Die Treuhand übernimmt alle Altschulden und Verbindlichkeiten der Kunden.“ Dadurch sieht er den sozialen Frieden bedroht. Er überbringt den Streikenden 350 DM Soli-Beitrag von der Sozialdemokratie und fordert ein Eingreifen der Landesregierung. Grüße überbringen IG Metaller aus Riesa. In dem Tarifkampf im letzten Jahr haben sie ein Aktionsbündnis gegründet, um sich gegenseitig zu unterstützen, das seitdem kontinuierlich weiterarbeitet. 500 DM gehen von dieser Seite an die Schildauer.

100 Prozent für den Streik hieß das Ergebnis bei der Urabstimmung. Trotz Streikgeld fehlen jetzt in jeder Lohntüte einige hundert Mark. Die Kolleginnen berichteten, daß sie in Schichtarbeit ständig schwerste Lasten schleppen müssen. „Dabei mußten wir Überstunden bis in die Nacht rein kloppen.“ Sie haben nichts zu verlieren, die Schildauer Und darum steht die Belegschaft weiter zusammen, so oder so, „bis zum Ende“ 336 https://www.neues-deutschland.de/artikel/516141.aktionstag-in-schildau-zweihundert-kamen.html?action=print 1/2 27.2.2018 Schildauer Fleischer beendeten ihren Streik (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 11.11.1994 / Seite 8 Schildauer Fleischer beendeten ihren Streik Löblein-Gruppe mußte sich Druck beugen

Torgau (ADN). Der längste Streik in Ostdeutschland ist nach über siebenwöchiger Dauer abgeschlossen worden. Wie Manfred Werske, Landesbezirksvorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten (NGG) von Sachsen, Sachsen- Anhalt und Thüringen einschätzte, endete der Arbeitskampf in der Schildauer Fleischwaren GmbH (Landkreis Torgau- Oschatz) mit einem tragfähigen Kompromiß. Die Löblein GmbH, Bamberg, zog in dem Ausstand alle Register des ihr zur Verfügung stehenden Instrumentariums. Zum ersten Male sei in der Nachkriegsgeschichte der NGG eine sogenante Angriffsaussperrung vorgenommen wor-

den, sagte der erfahrene Gewerkschafter.

Nun haben die Arbeitgeber zugesichert, 110 Arbeitsplätze bis Mitte 1996 zu erhalten. Für 35 Kollegen gebe es eine zielgerichtete Arbeitsbeschaffungsmaßnahme innerhalb des Betriebes. Außerdem sei ein Haustarifvertrag mit einer Laufzeit bis zum 30. September i995 vereinbart worden. Er sieht laut Werske vor, das Brutto-Entgelt eines Facharbeiters ab 1 Januar 1995 von derzeit 2 100 Mark auf 2 300 Mark zu erhöhen. Bis spätestens Ende 1995 soll für alle 19 Betriebe der Löblein-Gruppe in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ein Haustarifvertrag abgeschlossen werden.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/516968.schildauer-fleischer-beendeten-ihren-streik.html

337 https://www.neues-deutschland.de/artikel/516968.schildauer-fleischer-beendeten-ihren-streik.html?action=print 1/1 27.2.2018 Protest in Niesky (neues-deutschland.de)

neues-deutschland.de / 20.12.1994 / Seite 4 Protest in Niesky Waggonbauer kämpfen um Werkserhalt

Niesky (dpa/ND). Rund 300 Waggonbauer des DWA-Standortes Niesky haben am Montag abend gegen die drohende Schließung ihres Betriebes demonstriert. Mit brennenden Kerzen waren sie vor das Nieskyer Rathaus gezogen. Sie forderten den Vorstandsvorsitzenden der Deutsche Waggonbau AG (DWA/Berlin) auf, sich zum Standort Niesky zu bekennen. „Wir sind der kostengünstigste Standort“, sagte Betriebsratschefin Christine Lorenz, die auf bereits volle Auf-

tragsbücher für 1995 und gute Aussichten für 1996 verwies. Eine zweite Forderung ging an den sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU). Er habe vor der Wahl versprochen, daß der Nieskyer Standort erhalten werde. „Jetzt soll er auch dafür sorgen, daß die Güterwagen in Niesky bleiben“, forderte Lorenz. In Niesky sind noch 500 Menschen beschäftigt. Bei der DAW-Privatisierung sollen nur fünf der acht Standorte erhalten bleiben.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/523400.protest-in-niesky.html

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neues-deutschland.de / 18.11.1993 / Seite 4 DGB-Chef Meyer: Generalstreik wäre untauglich

Berlin (ddp/ND). Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Meyer, ist Gerüchten entgegengetreten, die Gewerkschaf ten wollten aus Protest gegen die steigende Arbeitslosigkeit zu einem Generalstreik aufrufen. In einem ntv-Interview sagte Meyer am Mittwoch, er wisse nicht, was damit erreicht werden sollte. „Wir können die wirtschaftlichen Probleme der Bundesre-, publik Deutschland, die in der Industrie liegen, mit solch einer Art von Streik überhaupt nicht angehen und bewältigen“, so Meyer.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/453611.dgb-chef-meyer-generalstreik-waere-untauglich.html

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