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Mechanismen der Manipulation im Briefwechsel von Sophie Mereau und

by

Claudia Schumann, B.A.

A Thesis

In

Languages and Cultures

Submitted to the Graduate Faculty of Texas Tech University in Partial Fulfillment of the Requirements for the Degree of

MASTER OF ARTS

Approved

Dr. Charles Grair Chair of Committee

Dr. Anita McChesney

Dr. Belinda Kleinhans

Mark Sheridan Dean of the Graduate School

August, 2020

Copyright 2020, Claudia Schumann

Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

INHALTSVERZEICHNIS

ABSTRACT ...... iii I. EINLEITUNG ...... 1

II. METHODEN UND THEORETISCHE GRUNDLAGEN ...... 7

III. BRIEFKULTUR IM 18. JAHRHUNDERT UND UM DIE JAHRHUNDERTWENDE EINLEITUNG ...... 22

IV. ANALYSE DES BRIEFWECHSELS ZWISCHEN SOPHIE MEREAU UND CLEMENS BRENTANO ...... 30

Zeitraum I – Wiederaufnahme des Briefkontaktes im Januar 1803 bis zum Wiedersehen im Mai 1803 ...... 30 Zeitraum II – Brentanos Zeit in Weimar und Jena von Mai bis August 1803 ....45 Zeitraum III – Brentanos Aufenthalt in Marburg und Frankfurt von September 1803 bis Mereaus Umzug im November 1803 ...... 67 Allgemeine Forderungen und Zustand von Brentano ...... 67 Die Wohnung in Marburg ...... 81 Brentanos Heiratsbegehren ...... 92

V. BEWÄLTIGUNGSSTRATEGIEN VON SOPHIE MEREAU ...... 113

VI. ZUSAMMENFASSUNG ...... 123

BIBLIOGRAFIE ...... 130

ii Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

ABSTRACT

On September 6th, 1803 German author Sophie Mereau wrote to her significant other, the German author Clemens Brentano: “Believe me dear, it is madness and I beg you to consult a doctor […],” in response to letters from him full of jealousy and allegations directed towards her. Between the years 1798 and 1806, the two Romantic authors engaged in an intensive correspondence, which on the one hand is evidence of an extraordinary love story, but on the other hand reveals Brentano’s inner conflict and turmoil about his partner’s literary reputation. When considering Brentano’s poetic style, his letters show signs of manipulation through different strategies such as threats, coercion, debasement and a feeling of superiority. While Mereau was one of very few successful women in the German-speaking regions at that time, her marriage to Brentano in 1803 coincides with the end of her productive writing period. Based on David Buss’ psychological theories of manipulation in intimate relationships, this work aims to reveal Brentano’s manipulative tactics and Mereau’s coping strategies. In my thesis, I argue that the correspondence between Mereau and Brentano is not merely a result of the eighteenth century’s oppressive patriarchal society, but that his letters to Mereau can be considered overtly manipulative, indeed abusive according to David Buss’ definitions. In a broader sense, my research sheds light on the structural discrimination of women in the long eighteenth century and the consequences of this misogyny for women writers at the time.

iii Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

KAPITEL I

EINLEITUNG

„Fest drücke ich beide Augen zu, halte die Hände vor beide Ohren und so springe ich in den Abgrund – in Deine Arme!“1 schreibt die Schriftstellerin Sophie

Mereau an den Dichter Clemens Brentano am 21. September 1803. Ein kleiner Satz, der viel über die gesamte Beziehung der beiden Liebenden aussagt. Er zeigt Mereaus

Willen, sich auf ihren Geliebten einzulassen, und offenbart gleichzeitig ihre Zweifel – eine der vielen Widersprüchlichkeiten in dieser ungewöhnlichen Liebesgeschichte.

Von 1798 bis 1806 führten die beiden mit Unterbrechung eine Beziehung, die – mit gesellschaftlichen Normen brechend – romantisch und selbsterfüllend sein sollte, aber vor allem eines war: wechselhaft.

Bereits 1798 lernt die 28-jährige Sophie Friederike Mereau den 8 Jahre jüngeren Clemens Maria Wenzeslaus Brentano kennen. Sie ist zu diesem Zeitpunkt mit dem Jenaer Professor Friedrich Mereau verheiratet. Die beiden Eheleute haben zwei Kinder, doch die Ehe ist unglücklich. Während Mereau sich in ihrer Beziehung eingeengt fühlt, schafft sie es sich als Schriftstellerin auszuleben. 1798 hat sie – ungewöhnlich für eine Frau in der damaligen Zeit – bereits einige literarische Werke veröffentlicht und wird als Literaturschaffende akzeptiert. Ihr erster Roman Das

Blüthenalter der Empfindung, der bereits 1794 veröffentlicht wird, erhält überwiegend

1 Mereau an Brentano, 21. September 1803. In: Clemens Brentano und Sophie Mereau. Lebe der Liebe und liebe das Leben: Der Briefwechsel von Clemens Brentano und Sophie Mereau. Hrsg. von Dagmar von Gersdorff, Insel-Verlag, 1981. S. 210.

1 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 positive Rezensionen. Auch ihre Lyrik wird anerkannt und in Zeitschriften wie Die

Horen veröffentlicht. Mereau ist zudem gut in der Gesellschaft in Sachsen-Weimar integriert. Sie pflegt Korrespondenz mit literarischen Größen wie Schiller, wird bewundert, und viele Zeitgenossen beschreiben sie als eine bemerkenswerte Frau.2

Brentano dagegen ist ein junger, unbekannter Student aus Frankfurt. Gerade 20

Jahre alt und der Romantik zugetan, verliebt er sich sofort in Sophie Mereau. Die beiden beginnen eine intensive außereheliche Affäre miteinander, in der Mereau ihr freiheitliches Verständnis einer romantischen Liebe außerhalb der gesellschaftlichen

Konventionen voll ausleben kann. Doch 1800 beendet Mereau die Beziehung zu

Brentano. Das intensive Verhältnis war ihr, genauso wie ihre unglückliche Ehe nach dem unerwarteten Tod ihres Sohnes, unerträglich geworden. Sie lässt sich kurz darauf von Friedrich Mereau scheiden und etabliert sich als eine der ersten deutschen

Berufsschriftstellerinnen. Es ist ihr möglich von der Veröffentlichung ihres zweiten

Romanes Amanda und Eduard (1803), ihren Gedichten und Kurzgeschichten Marie

(1798), Elise (1800), vor allem aber durch ihre Übersetzungen, ein selbständiges

Auskommen zu bestreiten.

Erst im Dezember 1802 nimmt Mereau den regelmäßigen Kontakt zu ihrem früheren Geliebten wieder auf und im Jahr 1803 entsteht ein bedeutender

Briefwechsel, der Ausdruck einer großen Liebe ist. Es sind emotionale Briefe, die jede

Bandbreite von Gefühlen abbilden. Oft dichtend, offenbaren sie – abgesehen von ihrer

Liebe – vor allem die innere Zerrissenheit Clemens Brentanos und dessen drängenden

2 Vgl. Brentano & Mereau, Einleitung, Briefwechsel. S. 18.

2 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Wunsch nach Kontrolle und Ordnung in seinem Leben. Als der Briefwechsel mit

Mereau 1908, mehr als ein Jahrhundert nach Entstehen, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, kommentiert der Rezensent J. B. E. Jonas wie folgt:

Now the world is at liberty to read these missives of love, so ardent, so fiercely passionate, and again so hopelessly, helplessly despairing, that, in comparison with them, the most sentimental effusions of the Werther period pale into insignificance.3

Der Vergleich mit Werther ist passend und erschreckend zugleich, denn auch wenn

Brentano seine Briefe als Teil seiner Dichtkunst sah, sind seine

Stimmungsschwankungen Zeugnis einer zwischenmenschlichen Kommunikation. Er schreibt Mereau glücklich leidenschaftliche Liebeserklärungen, und dann wieder verzweifelte Begehren voller Traurigkeit. Der Stil seiner Briefe ist stets unvorhersehbar.

Der Dichter war kein einfacher Mann – seine Stimmungen waren wechselhaft und unberechenbar. Oft temperamentvoll, nachtragend und niedergeschlagen empfanden viele den Umgang mit ihm als schwierig. In seiner Geschichte der

Poetischen Literatur Deutschlands beschreibt Joseph von Eichendorff ihn als ein

Genie, das „das Dämonische in ihm nicht etwa, wie so viele andere, beschönigend als geniale Tugend nahm oder künstlerisch zu vergeistigen suchte, sondern beständig wie ein heidnisches Fatum gehaßt hat.“4 Diese Charaktereigenschaften spiegeln sich in

3J. B. E. Jonas, Rez. von “Briefwechsel zwischen Clemens Brentano und Sophie Mereau“ by Heinz Amelung. The Journal of English and Germanic Philology, Bd. 8, Nr. 3, 1909, S. 423. 4Joseph von Eichendorff und Wilhelm Kosch, Geschichte Der Poetischen Literatur Deutschland. Kose, 1906. S. 27.

3 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 seinen literarischen Werken genauso wider, wie in seinen Briefen. An Mereau schreibt er Seiten voller zärtlicher Poesie und drängender, deprimierender Forderungen.

Selbst unter Berücksichtigung von Brentanos poetischem Stil weist der

Briefwechsel mit Mereau nach zeitgenössischen psychologischen Theorien Merkmale von manipulativen Beziehungen auf. Verschiedene Strategien wie Bedrohung, emotionale Erpressung, Erniedrigung und Überlegenheitsgefühl sind erkennbar. Aus diesen Beobachtungen ergeben sich viele verschiedene Fragestellungen, die für eine wissenschaftliche Betrachtungen von Interesse sind:

Kann der Briefwechsel ein Mittel sein, gesellschaftliche Normen und

Unterdrückungsmechanismen in partnerschaftlicher Kommunikation aufzuzeigen?

Genauer gesagt: Können Briefe als schriftliches Zeugnis einer zwischenmenschlichen

Kommunikation des 18. Jahrhunderts moderne Manipulationsstrategien aufweisen?

Und kann die schriftliche Beziehung zwischen den beiden Schreibenden im Rahmen der damaligen patriarchalisch geprägten Gesellschaft als missbräuchlich bezeichnet werden? Welche Auswirkungen könnte dies auf die Rezeption der Werke von

Schriftstellerinnen des Langen 18. Jahrhunderts haben? Da die kategorische

Benachteiligung von Autorinnen in der Literaturwissenschaft auch ein aktuelles

Problem ist, könnte das Sichtbarmachen von manipulativen Verhaltensmustern die

Chance bieten, ein Bewusstsein für mehr Gleichberechtigung im literarischen Kanon zu schaffen.

Eine textbasierte Analyse des Briefwechsels zwischen Sophie Mereau und

Clemens Brentano von Januar bis November 1803 soll diesen Fragen Abhilfe

4 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 schaffen. Da Sekundärliteratur über die Korrespondenz extrem limitiert ist, soll diese

Arbeit zudem dazu beitragen die Sichtbarkeit des Briefwechsels zu erhöhen.5 Auch die

Forschungslage zum Lebenswerk von Sophie Mereau ist aufgrund der maskulin- zentrierten Tradition der Literaturwissenschaft im Vergleich zu anderen Schreibenden der Epoche sehr gering. Die Analyse des Briefwechsels soll daher auch einen Beitrag zu der Würdigung und adäquaten Einschätzung der Schriftstellerin Mereau leisten.

Kapitel 2 wird zunächst die Frage nach der generellen Klassifikation von

Briefen klären, bevor die Editionslage des Briefwechsels von Mereau und Brentano näher betrachtet wird. Zudem ist es wichtig zu erläutern, warum eine ausgewogene

Briefanalyse stets eine Balance zwischen den historischen Begebenheiten und modernen Deutungsansätzen sein sollte. Im weiteren Verlauf des Kapitels steht die

Definition von Manipulation im modernen Kontext im Vordergrund. Die Theorien des

Psychologen David M. Buss über Manipulationstaktiken in Intimbeziehungen, die

Analysegrundlage dieser Arbeit sind, werden vorgestellt. Abschließend wird die Frage geklärt werden, inwiefern Briefe als Mittel von Gewalt betrachtet werden können.

Kapitel 3 wird die Briefkultur im 18. Jahrhundert und um die

Jahrhundertwende im deutschsprachigen Raum, vor allem im Großherzogtum

Sachsen-Weimar, behandeln. Das 18. Jahrhundert war ein Jahrhundert voller

Veränderungen, und dies betraf auch das Postwesen und Briefkonventionen. Die

Kenntnis über die Bedingungen, unter welchen der Briefwechsel entstanden ist, ist

5 Von größerer Bedeutung ist lediglich Julia Augarts Buch von 2006 Eine romantische Liebe in Briefen, welches die Liebeskonzeption im Briefwechsel von Mereau und Brentano näher beleuchtet.

5 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 essenziell für ihre Interpretation der Briefe und erleichtert die Einschätzung ihrer

Bedeutung.

Die Analyse der Briefe im Kapitel 4 ist in drei Zeiträume unterteilt. Dies ergibt sich aus den unterschiedlichen Aufenthaltsorten und Lebenssituationen der beiden

Schreibenden und dem daraus folgenden unterschiedlichen Charakter der Briefe.

Zeitraum I behandelt Briefe seit der Wiederaufnahme des Kontaktes im Januar 1803 bis kurz vor dem Wiedersehen in Weimar im Mai 1803. Zeitraum II konzentriert sich mit Briefen aus Brentanos Zeit in Weimar und Jena von Mai bis August 1803. Auch

Mereau residiert zu dem Zeitpunkt in Weimar. Der letzte Zeitabschnitt, Zeitraum III, beinhaltet die Korrespondenz die Mereau und Brentano miteinander führen, während

Brentano sich in Marburg und Frankfurt aufhält von September 1803 bis zu Mereaus

Umzug nach Marburg im November. Die Anzahl der Briefe aus diesem Zeitraum

übersteigt die der vorherigen zwei deutlich, weshalb die Interpretation dieses

Abschnittes mehr Platz in Anspruch nimmt.

Weiterhin werden in einem kurzen Kapitel 5 Mereaus Bewältigungsstrategien von Brentanos Manipulationstechniken noch einmal fokussierter beleuchtet.

6 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

KAPITEL II

METHODEN UND THEORETISCHE GRUNDLAGEN

Im Sommer 1803 schreibt der Dichter Clemens Brentano einen Brief an Sophie

Mereau. Fast außer sich rügt er in ihm seine Geliebte, dass sie es wagte seine

Korrespondenz zu zerstören: „Sophie ich habe eine schreckliche Nacht gehabt, o hättest Du die Briefe nicht verbrannt, Sie waren alle an Gott, sie waren nicht Dein, Du hast die Gebete vernichtet, und hast mir die Zunge ausgerissen […].“6 Dieses

Verständnis vom Briefeschreiben geht über das von zwischenmenschlicher

Kommunikation weit hinaus. Für den romantischen Dichter waren seine Briefe nicht einfach nur ein Austausch von Neuigkeiten, sondern sie waren ein Teil seiner Kunst.

Gattungstechnisch schwer zu kategorisieren bezeichnet Julia Augart den Brief als eine

hybride Mischung […]: Er nimmt eine Mittelstelle zwischen Monolog, Alltagskommunikation, Gespräch, philosophischer Reflexion sowie Literatur ein und changiert zwischen Subjektivität und Objektivität, Künstlichkeit und Natürlichkeit, Regelhaftigkeit und Regellosigkeit.7

Briefe sind, auch wenn nicht per se fiktional, eine vielschichtige Textform, die eine

Bearbeitung mit literaturwissenschaftlichen Methoden zulässt und interdisziplinäre

Betrachtungsmöglichkeiten ermöglicht.

Auf den ersten Blick haben die Briefe zwischen Mereau und Brentano eine nicht-fiktionale Intention: Sie dienten der Überbrückung der geografischen Entfernung und sind für Mereau und Brentano eine Möglichkeit sich schriftlich nahe zu sein. Für

6 Brentano an Mereau, 8. Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 136. 7 Julia Augart, Eine romantische Liebe in Briefen: Zur Liebeskonzeption im Briefwechsel von Sophie Mereau und Clemens Brentano. Königshausen & Neumann, 2006, S. 27.

7 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Brentano sind alle seine Schriften, und somit auch Briefe, ein Teil eines öffentlichen kreativen Schaffensprozesses. Sie enthalten eine Ebene des poetischen Ausdrucks, in dem er nach seinem Wunsch ein Bild von sich darstellt, was nicht der Realität entsprechen muss: „In ihrer Mittelstelle zwischen monomanem Selbstgespräch und ersehntem Dialog haben die Briefe Brentanos sozusagen eine Brückenfunktion: sie retten ihn vor der Wirklichkeit und verbinden doch mit ihr.“8 Sie lassen keinen

Rückschluss auf den Charakter des Mannes Brentano zu, sondern zeigen einen an einem Diskurs teilnehmenden Dichter, der durch Briefe seine Ideen von Maskulinität und romantischer Dichtung ausdrückt. Damit sind Briefe für Brentano auch immer eine Art performance – eine Inszenierung seiner Wirklichkeit. In dieser stilisierten

Autobiografie verschwimmen die Grenzen des Realen mit dem Fiktionalen.

Die Bedeutung der Briefe aber, insbesondere im 18. Jahrhundert, ist unbestritten: Sie waren eines der wichtigsten Werkzeuge von Kommunikation und ein

Teil eines flächendeckenden Briefnetzwerkes. Briefe hatten bedeutenden Einfluss, sowohl auf das Literaturgeschehen als auch auf die Gesellschaft.9 Dies lag auch daran, dass sie privat und öffentlich zugleich waren und sind. Vor allem Briefe von bekannten Persönlichkeiten wurden oft schnell nach deren Tod veröffentlicht, manchmal ohne Rücksicht auf die Hinterbliebenen. Oft wurde von den Schreibenden die mögliche Öffentlichkeit der Briefe schon von vorneherein als gegeben betrachtet:

„Just as fictional letters in novels mimic authentic familiar letters, so too do actual

8 Brentano & Mereau, Einleitung, Briefwechsel. S. 47. 9 Vgl. Claudine van Hensbergen, „Towards an Epistolary Discourse: Receiving the Eighteenth-Century Letter.“ Literature Compass, Bd. 7, Nr. 7, 2010, S. 511-512.

8 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 familiar letters strive towards the public space of the printed letter.“10 Die Auffassung, dass Korrespondenzen wie andere Werke von Schreibenden auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen, stimmt mit Brentanos Auffassung der

Kunsthaftigkeit seiner Briefe überein: „Er selbst sah weder seine eigenen noch die

Briefe seiner Freunde als reine Privatsache an, sondern verlangte, daß sie weitergereicht und ausgetauscht würden als Teil menschlicher Geselligkeit.“11 Dies widerspricht jedoch entschieden Mereaus Sicht, denn sie empfand ihre

Korrespondenzen als etwas sehr Privates, was weder geteilt noch vervielfältigt werden sollte.12

Die Schriftstellerin wäre sicherlich erleichtert gewesen, dass ihr Briefwechsel mit Brentano, den gängigen Literaturkonventionen zufolge, erst relativ spät, 100 Jahre nach ihrem Tod, zum ersten Mal veröffentlicht wurde. 1908 erschien Heinz Amelungs

Ausgabe, die einem traditionell-patriarchischen Lektorat folgt, und damit den Dichter

Brentano in den Fokus stellt. Die Briefe werden hier als ein Teil des Lebenswerks des

Autors betrachtet. 1981 erschien ein von Dagmar von Gersdorff editierter

Briefwechsel, der als Gesamtausgabe der Briefe gilt. In dieser Ausgabe sind viele

Briefe erhalten, die in Amelungs Ausgabe fehlen, doch auch hier muss beachtet werden, dass

von den tatsächlich geschriebenen oder empfangenen Briefen uns stets nur ein Teil [vorliegt], und als allgemeine Annahme, die freilich bei jedem Autor spezifiziert werden muß, kann davon ausgegangen werden,

10 Hensbergen, „Epistolary Discourse.” S. 510. 11 Brentano & Mereau, Einleitung, Briefwechsel. S. 47. 12 Kapitel III wird ausführlicher auf die Briefkonventionen des 18. Jahrhunderts eingehen.

9 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

daß von der Gesamtzahl der geschriebenen und empfangenen Briefe etwa ein Drittel überliefert ist.13

Wie bereits erwähnt, ist bekannt, dass Sophie Mereau 1801 nach dem Abbruch des

Kontaktes mit Clemens Brentano die meisten Briefe ihres ehemaligen Liebhabers vernichtete. Zudem kommt, dass Brentano nach Mereaus frühem Tod mit der

Verwaltung ihres Nachlasses beschäftigt war – es gibt Vermutungen auf eine gezielte

Selektion von Brentano und daher keine Sicherheit der Vollständigkeit ihrer Briefe.

Von Gersdorffs Ausgabe enthält jedoch alle erhaltenen Briefe, die sich zum Großteil in der Originalhandschrift in der Biblioteka Jagiellońska in Krakau befinden.14 Die

Ausgabe ist zudem die erste Herausgabe der Briefe in Antiqua, wodurch diese zum ersten Mal einem erweiterten Publikum zugänglich wurden. Von Gersdorff bemüht sich in Ablehnung an eine maskulin-zentrierte Literaturwissenschaft um eine ausgewogene Darstellung beider Schreibenden. Analysegrundlage meiner

Untersuchung soll daher die letzte aktuelle Ausgabe des Briefwechsels von Dagmar von Gersdorff aus dem Jahre 1981 sein.

Die vorhergehende Einschätzung der Briefe, als ein nicht klar definierbarer, aber dennoch interpretationswürdiger Text, harmonisiert mit dem Denkansatz des New

Historicism, in dem jeder Text, egal ob Trivialliteratur oder die Texte großer Autoren, als Dokumente des historischen Diskurses gesehen werden können.15 Der New

13 Siegfried Scheibe, „Probleme ‚erschlossener Briefe‘.“ Der Brief in Klassik und Romantik: Aktuelle Probleme der Briefedition, hrsg. von Lothar Bluhm und Andreas Meier, Königshausen & Neumann, 1993, S. 14. 14 Vgl. Brentano & Mereau, Anmerkungen, Briefwechsel. S. 384. 15 Vgl. Catherine Gallagher und Stephen Greenblatt, Practicing New Historicism. The University of Chicago Press, 2000, S. 9.

10 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Historicism, den Stephen Greenblatt nicht als eine Doktrin sondern als eine Methode bezeichnet, geht mit einem Trend in der Literaturwissenschaft einher, Texte mit einem

Fokus auf ihren historischen Kontext zu analysieren:

We wanted to recover in our literary criticism a confident conviction of reality, without giving up the power of literature to sidestep or evade the quotidian and without giving up a minimally sophisticated understanding that any text depends upon the absence of the bodies and voices it represents. We wanted the touch of the real […].16

Dabei muss bezweifelt werden, ob dieser Wunsch nach Realität überhaupt umsetzbar ist. Würde Literatur ausschließlich nach ihrer Wirklichkeit also historisch interpretiert werden, würde das bedeuten, dass die Literatur außerhalb ihres Entstehungszeitraumes keine weitere Bedeutung hätte. Evelyn Gajowski, die sich intensiv mit presentist

Shakespeare auseinandersetzt, behauptet, dass Literatur ohne unser Verständnis der

Gegenwart nicht betrachtet werden kann.17 Die Erfahrungen und Werte unserer Zeit prägen uns, ohne dass dies uns unbedingt bewusst ist. Dies betonen auch Hugh Grady und Terrance Hawkes:

For we can never, finally, evade the present. And if it’s always and only the present that makes the past speak, it speaks always and only to – and about – ourselves. It follows that the first duty of a credible presentist criticism must be to acknowledge that the questions we ask of any literary text will inevitably be shaped by our own concerns, even when those include what we call ‘the past’.18

Das bedeutet nicht, dass der Entstehungsrahmen eines Textes als wertlos betrachtet werden kann, sondern viel mehr, dass eine ausgewogene Analyse im besten Falle eine

16 Gallagher & Greenblatt, Practicing New Historicism. S. 31. 17 Vgl. Evelyn Gajowski, „Beyond Historicism: Presentism, Subjectivity, Politics.“ Literature Compass, Bd. 7, Nr. 8, 2010, S. 675. 18 Hugh Grady und Terence Hawkes, Presentist Shakespeare. Routledge, 2007, S. 5.

11 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Balance zwischen Vergangenheit und Gegenwart sein sollte. Oder anders formuliert:

[…] it seems no longer viable to be simply presentist or to be simply historicist; we are forced to define an adequate dialectic between the two […]”19 Jeder Text ist in einem bestimmten sozialen Rahmen, beeinflusst von der Gesellschaft und den historischen Begebenheiten, entstanden, und dies muss bei der Diskursanalyse dieser

Korrespondenz berücksichtigt werden.

In Bezug auf den Briefwechsel zwischen Mereau und Brentano bedeutet dies, dass die historischen Umstände der Entstehung und unser zeitgenössisches, weitgefächertes Verständnis von gender roles Teil der Interpretation sein müssen. Die

Kenntnis der gesellschaftlichen Regeln und Normen des 18. Jahrhunderts helfen,

Missinterpretation zu vermeiden. Letztendlich sind Mereaus Lebenssituation als alleinstehende, selbständige Schriftstellerin und Brentanos Selbstverständnis als romantisches Universalgenie einer patriarchalischen Gesellschaft der Kontext für die

Entstehung der Briefe und der dort vorhandenen Konflikte. Zusätzliche historische

Quellen wie Tagebucheinträge und weitere Briefe an Bekannte und Verwandte können daher die Interpretation des Brieftextes vertiefen. Jedoch muss Acht gegeben werden, auf Grundlage der historischen und auch modernen Interpretation Rückschlüsse auf die Biografien und Charakter der beiden historischen Persönlichkeiten zu ziehen:

Im Stil – der auch die konventionalisierten Formelemente des Briefes einbezieht und (moderat) modifiziert – ist die Individualität des Brieftextes angelegt, dieser repräsentiert zugleich die Schreiber- Persönlichkeit. Ein direkter Rückschluß vom Brieftext auf die Autoren hingegen ist unzulässig: die gängige Annahme von der ungefiltert

19 Hugh Grady, Shakespeare's Universal Wolf: Studies in Early Modern Reification. Clarendon Press, 1996, S. 7.

12 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

ausgegossenen Subjektivität im Brief, die als solche als unvermittelter Ausdruck der Schreiberpsyche gedeutet werden müßte, ist zu undifferenziert.20

Dies ist zudem eine Praktik, die vor allem bei der Werksanalyse der Autorin Mereau insbesondere bei ihren Romanen Das Blüthenalter der Empfindung und Amanda und

Eduard ein häufiges Problem ist und daher vermieden werden soll.

In der Gesellschaft von Sachsen-Weimar Ende des 18. Jahrhunderts galt

Sophie Mereau als eine selbstbewusste und selbstständige Frau. Zeugnis davon sind die Kommentare vieler ihrer Zeitgenossen,21 aber auch im besonderen Maße ihre

Briefe an Familie, Freund:innen und Geschäftspartner. Der Briefwechsel mit Clemens

Brentano rückt dabei besonders ins Augenmerk, denn dieser kann ein Versuch sein, die ständig wechselnde Beziehung der beiden Dichtenden aus einer individuellen, subjektiven Sichtweise zu beschreiben. Durch literarische Mittel offenbaren sich

Techniken und Methoden, die nach zeitgenössischen psychologischen Theorien

Merkmale von manipulativen Intimbeziehungen definiert vom Psychologen David

Buss aufweisen. Während sich bei Brentano in erster Linie Manipulationen häufen, zeigt Mereaus Verhalten Zeichen von psychologischen Bewältigungsstrategien auf.

Auch wenn diese Begriffe modernen Theorien und Erkenntnissen folgen, sind

Manipulationstechniken so alt wie die Menschheit selbst – sie sind nur noch nicht definiert gewesen und waren daher selten Teil einer Diskussion. Durch die

Erweiterung des Deutungsrahmens können nun Fragen aufgeworfen werden, die über

20 Rainer Baasner, „Briefkultur im 19. Jahrhundert: Kommunikation, Konvention, Postpraxis.“ Briefkultur im 19. Jahrhundert, Niemeyer, 1999, S. 26. 21 Vgl. Augart, Liebeskonzeption im Briefwechsel. S. 47-49.

13 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Mereaus und Brentanos historische Bedeutung hinaus gehen. Unterdrückung und

Manipulierung in Intimbeziehungen, insbesondere im Rahmen männlicher Gewalt, sind noch immer ein Problem des 21. Jahrhunderts. Und Sprache, auch geschriebene, ist damals wie heute ein wichtiges Werkzeug dieser Gewalt. Laut Mildorf (2005) liegt in der Hand der Sender:in von Informationen, inwiefern Kommunikation negativ sein kann:

It is not surprising then that language functions as a powerful manipulative tool, which enables those in control of language to shape the world according to their needs and desires and to overrule the needs and desires of others. […] men have established a number of everyday linguistic conventions to increase their power over women.22

Die Analyse des Briefwechsels auf der Grundlage David Buss‘ zeitgenössischen psychologischen Theorien bietet die Chance des Sichtbarmachens, dass trotz der gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 200 Jahre, bestimmte (männliche)

Verhaltensmuster nach wie vor vorhanden sind, und damals wie heute ein Thema sind, welches unsere Aufmerksamkeit bedarf.23

Zunächst einmal muss die generelle Frage geklärt werden, ob die Briefe von

Brentano und Mereau Merkmale moderner Manipulationstheorien enthalten. Zudem ist die Betrachtung von eventuellen Bewältigungsstrategien von Interesse.

Dazu soll zunächst geklärt werden, was Manipulation im modernen Kontext

überhaupt bedeutet. Der Psychologe David M. Buss, der zwischen 1987 und 1992

22 Jarmila Mildorf, „Words that Strike and Words that Comfort: Discursive Dynamics of Verbal Abuse in Roddy Doyle's ‘The Woman who Walked into Doors’.“ Journal of gender studies, Bd. 14, Nr. 2, 2005, S. 114. 23 Vgl. Mildorf, „Verbal Abuse.” S. 120.

14 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 verschiedene Studien zum Thema zwischenmenschliche Manipulationen durchgeführt hat, definiert sie wie folgt:

Manipulation, the ways in which individuals intentionally or purposefully (although not necessarily consciously) alter, change, influence, or exploit others, is a third important class of person- environment processes. No evil, malicious, or pernicious intent need be implied by the mechanism of manipulation, although such intent is not excluded either.24

Diese Definition bezieht sich in erster Linie auf zwischenmenschliche Manipulation und zwei Faktoren sind hier besonders hervorzuheben. Zum einen wird Manipulation, auch wenn sie zweckgebunden ist, nicht immer vom Manipulator bewusst angewendet, und zum anderen muss Manipulation nicht notwendigerweise mit bösen

Absichten einhergehen. Diese Aussagen sind von besonderer Wichtigkeit in Hinsicht auf eine ausgewogene Textanalyse. Für Buss ist Manipulation ein natürlicher

Überlebensinstinkt, der evolutionär darüber entscheidet, wer sich gegenüber anderen

Personen bei Ressourcen und Wahl einer Beziehung durchsetzt.25 Es ist daher wichtig zwischen Manipulation als zwischenmenschliche Kommunikationsstrategie und

Missbrauch zu unterscheiden:

It helps to remember that the person who is acting in a controlling way often wants something from the other person that is legitimate to want. They may want to feel loved, safe, valuable, appreciated, supported [or] needed.26

24 David M. Buss, „Selection, Evocation, and Manipulation.“ Journal of Personality and Social Psychology, Bd. 53, Nr. 6, 1987, S. 1218. 25 Vgl. Buss, „Selection, Evocation, and Manipulation.“ S. 1219. 26 Susan Forward und Donna Frazier, Emotional Blackmail: When the People in your Life Use Fear, Obligation and Guilt to Manipulate You. Quill, 2001.

15 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Diese rein menschlichen Bedürfnisse und Wünsche sind an sich nicht problematisch.

Ein Problem entsteht erst dadurch wie diese Wünsche erreicht werden sollen und wenn der zu Kontrollverhalten neigende Partner die Bedürfnisse seiner

Bezugspersonen unter seine eigenen stellt oder nicht anerkennt.

Manipulation ist neben Selektion und Evokation eines der drei

Hauptbestandteile, um Persönlichkeit in interaktionellen Prozessen zu beschreiben.

Um diese besser zu verstehen, wurde eine Klassifikation der verschiedenen Taktiken vorgenommen mit denen Individuen Einfluss ausüben und die psychologischen

Mechanismen und Verhaltensweisen von anderen ausnutzen. In einer qualitativen

Studie mit dem Fokus auf Paarbeziehungen konnte Buss 1987 sechs verschiedene

Manipulationstaktiken definieren:

(a) charm (e.g., He tried to be loving and romantic when he asked her to do it); (b) silent treatment (e.g., She ignored him until he did it); (c) coercion (e.g., He yelled at her until she did it); (d) reason (e.g., She gave him reasons why he should do it); (e) regression (e.g., He pouted until she did it); and (f) debasement (e.g., She "lowered" herself so that he would do it).27

1992 konnten diese sechs Taktiken in einer weiterführenden Studie bestätigt werden und um sechs weitere Taktiken ergänzt werden: “responsibility invocation, reciprocity, monetary reward, pleasure induction, social comparison, and hardball (an amalgam of threats, lies, and violence).”28

27 Buss, „Selection, Evocation, and Manipulation.“ S. 1218. 28 David M. Buss, „Manipulation in Close Relationships: Five Personality Factors in Interactional Context.“ Journal of Personality, Bd. 60, Nr. 2, 1992, S. 478.

16 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Um mit Manipulationstechniken umzugehen, verzeichnet die Psychologin

Harriet Braiker in ihrem Buch Who is Pulling your Strings? verschiedene Taktikten, die sie unter zwei Möglichkeiten zusammenfasst: „(1) resistance and/or (2) extraction

(leaving the relationship altogether).“29 Mereau, die sich für eine Beziehung mit

Brentano entscheidet, wendet unterschiedliche Bewältigungsstrategien an, die vor allem auf ihren Widerstand hinauslaufen, unter anderem: Ignorieren, Widersprechen, poetische Distanzierung, Nachgeben und auch counter control. Dies wird in Kapitel 5 ausführlicher behandelt werden.

Buss‘ Taktiken sollen die Grundlage meiner Analyse der

Manipulationsmechanismen in den Briefen zwischen Mereau und Brentano bilden.

Mit diesen Techniken können bei der Analyse zusätzlich folgende Fragen geklärt werden: Welche Strategien werden von welchen Briefschreibenden durch welche literarische Mittel angewendet? Folgen sie logischen oder emotionalen Mustern oder können sie als ein Beiprodukt der romantischen Korrespondenz eingeschätzt werden?

Die Differenzierung zwischen romantischem Stil und manipulativem Verhalten ist oft schwierig und nicht immer eindeutig möglich, doch es finden sich insbesondere bei

Brentano viele Beispiele, an denen sich Buss‘ Theorien erklären lassen. Im Sommer

1803 schreibt Brentano aus Marburg:

[…] Du warst ein artiges Weib, aber kein vortreffliches Weib, und mußtest es doch eigentlich sein. Daß ich Recht habe, kann Dir leicht daraus begrifflich werden, daß Dir auf Erden noch Nichts gelungen ist,

29 Harriet Braiker, Who's Pulling your Strings?. Kindle ed., McGraw-Hill, 2004. S. 171.

17 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

keine Liebe, keine Freundschaft, keine Mütterlichkeit, keine Kunst, keine Andacht.30

Die Beleidigungen und Herabsetzung von einem geliebten Menschen fallen auf, sind jedoch aus psychologischer Sicht gut zu erklären. Damit ein Manipulator Kontrolle

über jemanden ausüben kann, muss er sich in eine erhöhte Position bringen. Durch hardball – „degrade her into doing it“31 – versucht Brentano Mereau von der Ehe zu

überzeugen, nachdem andere Techniken wie charm und reason sich als fruchtlos herausgestellt haben.

Es unterstreicht auch eindrucksvoll wie wichtig eine kontextnahe Analyse ist, denn Brentanos Strategien sind mit der Interpretation eines einzelnen Zitates nicht erkennbar. Um die Bedeutung richtig einzuschätzen, ist es erforderlich die Briefe von

Mereau und Brentano in ihrem Kontext zu lesen und nicht als einzelne eigenständige

Äußerungen.

Of course, it is important to know what the linguistic expressions used encode, but what is meant and what is communicated seldom end there. For one thing, there are many expressions that need to be interpreted with respect to a particular utterance.32

Brentanos romantisierter Schreibstil vereinfacht dies nicht immer, jedoch kann die

Diskursanalyse versuchen, Interpretationen, die über das kulturelle Verständnis hinausgehen, entgegenzuwirken und die gegenwärtige Bedeutung klarer zu definieren.

30 Brentano an Mereau, 9. September 1903. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 191. 31 Vgl. Buss, „Selection, Evocation, and Manipulation.“ S. 1218. 32 Penelope Eckert und Sally McConnell-Ginet, Language and Gender. Cambridge Univ. Press, 2003, S. 192.

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Auf Brentanos Zitat über die Unfähigkeiten seiner Partnerin zurückzukommen, muss zudem die Frage geklärt werden, inwiefern Sprache und insbesondere Schrift, ein Ausdruck von Gewalt oder Aggression sein kann:

Aggression can account for all gradations of violent or hostile behaviour, whether it is physical, sexual, verbal or literary. It incorporates both public and private forms of expression and includes ideas of dominance and mastery that are not simply related to the use of the fist.33

Bei der Beurteilung von aggressivem Verhalten muss daher unbedingt über die

Grenzen der körperlichen Gewalt hinausgeschaut werden und das Verbale mit einbezogen werden. Oft tritt diese Art der Gewalt – im Englischen verbal abuse genannt – in intimen Beziehungen in den Hintergrund, da sie oft nicht direkt sichtbar ist.34 Doch Worte können bei einem Menschen genau wie körperliche Misshandlung

Schmerzen verursachen. Die Philosophin Stephanie Ross beschäftigt sich in ihrer

Forschung damit ‚wie‘ und ‚unter welchen Prämissen‘ dies geschieht: “Words can hurt, and one way they do is by conveying denigrating or demeaning attitudes.”35

Diese auf den ersten Blick recht simple Aussage kann weitreichende Folgen nicht nur auf gesellschaftlicher Ebene, sondern auch in Paarbeziehungen haben. Auch Mereau empfand Brentanos Worte durchaus einmal als aggressiv. Er hat sie mehrfach sowohl im direkten als auch im brieflichen Umgang gekränkt und beleidigt, sodass Mereau im

Juli 1800 den Briefverkehr und auch den persönlichen Umgang mit Brentano komplett abbrach. Aus ihren Briefen lässt sich schließen, dass sie durch sein unberechenbares

33 Jenny Skipp, „Violence, Aggression and Masculinity During the Eighteenth Century.” Cultural and Social History, Bd. 4, Nr. 4, 2007, S. 567. 34 Vgl. Mildorf, „Verbal Abuse.” S. 114. 35 Stephanie Ross, „How Words Hurt: Attitude, Methaphor, and Opression.“ Sexist language: A modern philosophical analysis, hrsg. von Mary Vetterling-Braggin, Littlefield Adams, 1981, S. 195.

19 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 und unausgeglichenes Verhalten, verletzt gewesen war.36 Doch Brentano schreibt ihr weiterhin, woraufhin Mereau im Dezember 1801 antwortet:

Noch einmal, Clemens, ich kann es nicht gut heißen, daß Sie mich in unsrer jetzigen Stimmung sehen wollen. […] Sie sind zu gereizt; Sie könnten mir leicht Dinge sagen, die ich zum zweitenmal nicht vergeben könnte. […] Auch bitte ich Sie, minder in der Gewalt ihrer Äußerungen zu sein, und mehr Ihre Äußerungen in Ihrer Gewalt zu haben.37

Der Kontaktabbruch war für Clemens Brentano schwer zu ertragen, auch da er den gesellschaftlichen Normen entschieden widersprach und Mereaus selbstbestimmtes Verhalten sich den gängigen, weiblichen Verhaltensmustern widersetzte. Die Geschlechterrollen des 18. Jahrhunderts waren im Wandel. Die

Position des Mannes und die Definition von Männlichkeit änderten sich während des Langen 18. Jahrhunderts ständig. Ökonomische und gesellschaftliche Veränderungen führten zu einer Neujustierung ihrer gesellschaftlichen Positionen und zu einer veränderten sozialen und kulturellen

Wahrnehmung des Mannes.38 Die sich veränderten Männerrollen und der zunehmende Wunsch der Frauen nach Gleichbehandlung hatten weitreichende

Folgen, nicht nur auf gesellschaftlicher Ebene, sondern auch für

Intimbeziehungen. Es kam vermehrt zu Meinungsverschiedenheiten, Konflikten und Gewalt in Ehen, in denen es um eine Neujustierung von Dominanz und

Unterwerfung und der Verfestigung der Geschlechtergrenzen ging.39 Gewalt

36 Vgl. Brentano & Mereau, Einleitung, Briefwechsel. S. 27-28. 37 Mereau an Brentano, Dezember 1801. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 96-97. 38 Vgl. Skipp, „Violence, Aggression and Masculinity.“ S. 567. 39 Auch Clemens Brentano, der in seinen literarischen Werken stets eine freie romantische Liebe propagierte, bestand in seiner Ehe zu Mereau auf der traditionell männlichen Dominanz und lehnte

20 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 war oft ein Mittel, um diese Konflikte zu lösen, und Ehemänner waren sowohl rechtlich abgesichert als auch gesellschaftlich akzeptiert, diese anzuwenden.

Erstarkende Frauenrechte und die Veränderung der Männerrolle hin zum

Gentleman führten lediglich zu einer Veränderung der männlichen Gewalt Ende des 18. Jahrhunderts von körperlicher hin zu mehr verbaler Gewalt im

Haushalt.40 Doch wie die vorausgegangenen Erklärungen gezeigt haben, bedeutet dies nicht, dass verbale Gewalt, wie unscheinbar sie sich auch immer ausdrückt, weniger Schmerzen verursacht als körperliche Gewalt. Schriftliche

Sprache ist ein Mittel von Gewalt und Aggression in zwischenmenschlichen

Beziehungen. Im Folgenden soll anhand einer textnahen Interpretation gezeigt werden, wie die Briefe von Brentano diese Merkmale in Form von David Buss‘ psychologischen Manipulationstaktiken aufweisen.

Mereaus Vorstellungen einer gleichberechtigten Partnerschaft ab. Insbesondere sein Verlangen von Mereaus völliger Selbstaufgabe in ihrer Liebe zu Brentano sorgte vielmals für Konflikte. Vgl. Augart, Liebeskonzeption im Briefwechsel. S. 193. 40 Vgl. Skipp, “Violence, Aggression and Masculinity.” S. 568.

21 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

KAPITEL III

BRIEFKULTUR IM 18. JAHRHUNDERT UND UM DIE JAHRHUNDERTWENDE Printed letters are bound up with all sorts of lives – the nobility, professional men and women, established literary figures, tenants and farmers. Letters must, therefore, serve all purposes. […] Letters offer a world of possibilities […]41

Eine Welt voller Möglichkeiten – das beschreibt das 18. Jahrhundert in den deutschsprachigen Gebieten, welches gemeinhin als Jahrhundert des Briefes gilt, sehr gut. In Abkehr zu den starren Konventionen und Formalitäten des 17. Jahrhunderts erforschten die Briefeschreiber und vor allem auch Briefeschreiberinnen dieses

Jahrhunderts neue Freiheiten. Ein moderner Stil, vielfältige Zwecke und Empfänger eröffneten tatsächlich ein Feld von Möglichkeiten, welches auf Gesellschaft und

Literatur einen großen Einfluss hatte. „Und nirgendwo ist die Signatur dieser Zeit besser zu erfassen, ist sie menschlich so unmittelbar gegenwärtig wie eben in ihren

Briefen.“42 Doch gerade in Hinblick auf die Abbildbarkeit der Gesellschaft muss

Claudine von Hensbergens Zitat mit Vorsicht genossen werden, denn die

Möglichkeiten des Briefes waren längst nicht allen Teilen der Gesellschaft zugänglich.

Um die Jahrhundertwende von 1799/1800 war ein Großteil der Bevölkerung nicht des Lesens und Schreibens mächtig. Auch wenn der Alphabetisierungsgrad in der Residenzstadt Weimar sicherlich höher als in anderen deutschen Gebieten war43,

41 Hensbergen, „Epistolary Discourse.“ S. 513. 42 Reinhard Wittmann, Die Post will fort, ich muß schließen… Briefe aus dem 18. Jahrhundert. C.H. Beck, 1985. S. 8. 43 Dies lässt sich vor allem aus der regen Benutzung der Bibliothek in Weimar ableiten, in der nicht nur Adel und höherer Stand Literatur ausliehen, sondern auch der Mittelstand und Handwerker Zugang zu dieser hatten.

22 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 wird davon ausgegangen, dass um 1830 immer noch lediglich 40% der Menschen in

Mitteleuropa lesekundig waren.44 Zur Lebzeiten von Sophie Mereau kann daher von einer deutlich höheren Zahl von Analphabet:innen ausgegangen werden, insbesondere bei Frauen, denen oft auch trotz höherem Stand der Zugang zu Bildung aufgrund des

Geschlechts verwehrt blieb. Daher war einem Großteil der Bevölkerung der Zugang zu brieflichem Austausch verwehrt. Ein zweiter wichtiger Punkt hinsichtlich der

Verfügbarkeit von Briefen war der finanzielle Aspekt.

Abgesehen von den Kosten des Briefversands musste das Geld für Tinte,

Briefpapier und Feder vorhanden sein. Briefe waren im 18. Jahrhundert ein kostspieliges Vergnügen, dem sich lediglich die gutverdienende Oberschicht ohne weitere Bedenken widmen konnte. Das Postgeld kostet oft mehr als Personen in guten beruflichen Positionen, wie zum Beispiel der Schriftsteller und Arzt Johann-Heinrich

Jung-Stilling als Einkommen verdiente.45 Selbst etablierte Schriftsteller wie J. M. R.

Lenz wussten um den Preis eines Papierbogens, benutzten oft Vorder- und Rückseite und verfassten ihre Worte platzsparend bis zum Rand des Blattes. Das Blatt hatte meist das Format Folio (33-34cm hoch und 20-21cm breit) oder Quart (23-24cm hoch und 18-19cm breit). Standardmäßig wurden keine Briefumschläge verwendet, sondern bis Mitte des 19. Jahrhunderts war es üblich das Blatt zu falten und mit einem Siegel als Verschluss und Erkennungsmerkmal zu versehen.

44 Hans-Ulrich Grunder, „Alphabetisierung“, Historisches Lexikon der Schweiz. 21 Januar 2015, hls- dhs-dss.ch/de/articles/010394/2015-01-21/. 45 Vgl. Wittmann, Post. S. 10.

23 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Trotz der finanziellen Belastung nahmen Personen, die Teil der gebildeten

Gesellschaft waren oder dessen Nähe suchten, am Austausch von Briefen teil. Die

Beschäftigung mit der Korrespondenz nahm manchmal sogar mehr Zeit in Anspruch als die beruflichen Verpflichtungen:

Ich schreibe heute an die halbe Welt, um gelesen und beantwortet zu werden. Ich habe heute an Cramern zween Bogen voll freundschaftliches Nichts geschrieben; nach Copenhagen, nach Hamburg, nach Braunschweig, nach Dresden, nach Bernstadt in Schlesien habe ich nichts wichtiges geschrieben, und nun fange ich auch an, mit Ihnen zu plaudern.46

Diese oft zitierten Worte des Schriftstellers Gottlieb Wilhelm Rabener fassen es gut zusammen: Briefe kosten viel Zeit und sind ein Aufwand, jedoch ein Aufwand, der gemeinhin akzeptiert wird, da er Teil eines wichtigen Kommunikationsvorganges ist und von den empfangenden Personen in der Regel wertgeschätzt wird. Doch abgesehen von der „objektiven Notwendigkeit des Informationsaustausches“47 war der gesellschaftliche Druck hinter den Briefkonventionen enorm. War ein Briefaustausch erstmal initiiert, konnte dieser nicht einfach abgebrochen werden, ohne den Gegenüber zu verletzten. Männliche Schreibende, die nicht gerne Briefe verfassten, galten als

Außenseiter.48 Auch die Fristen, in denen eine Antwort zu erfolgen hatte, unterlagen gesellschaftlichen Gepflogenheiten. Innerhalb weniger Tage sollte die Antwort abgeschlossen und abgeschickt sein.

46 Gottlieb Wilhelm Rabener, Sämmtliche Schriften Sechster Theil. Verlag der Dykischen Buchhandlung, 1777. S. 177. 47 Baasner, „Briefkultur.“ S. 14. 48 Siehe zum Beispiel Franz Grillparzer und Joseph von Eichendorff.

24 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Diese gesellschaftlichen Konventionen sind von besonderem Interesse, da sich

Sophie Mereau, wie im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch genauer beleuchtet wird, diesen Erwartungen weitestgehend entzog. Die Beleidigung Clemens Brentanos, die durch den Abbruch ihres Briefkontakts hervorgerufen wurde, nahm sie in Kauf, und auch nach der Wiederaufnahme entsprachen ihre Antwortzeiten – manchmal gab es wochenlangen Verzögerungen – nicht den gesellschaftlichen Gepflogenheiten. Dieser

Zustand führte mehrfach zu Konflikten mit Brentano.

Oft war eine verspätete Antwort jedoch nicht das Verschulden eines säumigen

Schreibenden, sondern lag an den praktischen Abläufen und Hindernissen des

Postversands Ende des 18. Jahrhunderts. Als Mittel der Distanzüberwindung und mit zunehmendem Bildungsgrad kam es zu einer Zunahme des Briefverkehrs. Dennoch hatte sich das Postwesen im Verlauf des 18. Jahrhundert nicht merklich verbessert – die Laufzeiten der Korrespondenz blieben zunächst konstant. Dies änderte sich erst im frühen 19. Jahrhundert mit der Einführung der Postkutsche. Briefe konnten nun mit relativer Zuverlässigkeit, pünktlich und mit einer deutlich verkürzten Laufzeit zugestellt werden.49

Zweimal die Woche, an festgelegten Zeiten, wurde Korrespondenz abgeholt und geliefert, nur in bestimmten wichtigen Städten kam die Post öfter. Störungen im verbesserten Postversand waren dennoch nicht ungewöhnlich, doch durch genaue

Datierungen auf den Briefen konnten diese Verspätungen meist gut nachvollzogen

49 Vgl. Baasner, „Briefkultur.“ S. 10.

25 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 werden. Bemerkenswert ist es auch zu erwähnen, dass die Postzustellung um die

Jahrhundertwende immer noch mit einigen Gefahren verbunden war:

Postmeister Hauptmann [aus Weimar] sah sich im Juni 1795 genötigt, bei der Regierung Begleitschutz für die Ordinairpost von Jena nach Erfurt anzufordern, da wegen der gegenwärtigen Zeiten die Straßen immer unsicherer würden. […] Es wurde ein Scharfschütze als Eskorte beigegeben.50

Es kam also auch vor, dass Briefe einfach verschwanden. Manchmal wurde dies auch als Vorwand benutzt, um Peinlichkeiten zu vermeiden. Der Verweis auf die unzuverlässige Post gehörte zum guten Ton des 18. Jahrhunderts hinzu. Hinsichtlich des Briefverkehrs zwischen Mereau und Brentano entstanden durch Brentanos

Gewohnheit ohne vorhandene Antwort bereits den nächsten Brief zu verfassen und durch die unzuverlässigen Lauf- und Antwortzeiten von Mereau viele

Missverständnisse und Unstimmigkeiten.

Ein weiterer Streitpunkt zwischen Brentano und Mereau war die unterschiedliche Auffassung hinsichtlich der Privatheit von Briefen. Für Sophie

Mereau war der Brief ein sehr intimes Medium, in dem sie sich ihrem Gegenüber anvertraute und der nur für den Adressaten bestimmt war.51 Dies kollidierte mit

Brentanos Verständnis, welches den gängigen gesellschaftlichen Konventionen folgte.

Das Verhältnis zu einem privat adressierten Brief war im 18. Jahrhundert ein anderes als heute – er galt als ein semi-öffentliches Medium. Briefe wurden meist im gesamten

Haushalt herumgereicht, den Gästen vorgelesen und Kopien angefertigt.

50 Werner Bühling, Die Post in Weimar: Das Postwesen und seine Entwicklung in und um Weimar in vier Jahrhunderten. Hrsg. vom Stadtmuseum Weimar, 1995. S. 51. 51Vgl. Mereau an Brentano, 20./21. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 206.

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Der Brief repräsentiert auf eine ideale Weise das für die bürgerliche Bewußtwerdung [sic] und Emanzipation so zentrale Widerspiel von Öffentlichkeit und Privatheit, er wird zur Probebühne der Selbstvergewisserung, zum eigentlichen ‚Magazin für Selbsterfahrungsseelenkunde‘ […].52

Dabei ist es nebensächlich ob die adressierte Person Familienmitglied, enge oder entfernte Bekanntschaft war. Auf den Stil des individuellen Briefes sollte die

Publizität der Briefe keinen Einfluss haben. Auch wenn Familienbriefe nicht derselben

Formvorlage entsprechen mussten wie offizielle Schreiben, orientierten sich diese ebenfalls an den gängigen Konventionen der Briefkultur. Diese wurde seit der Mitte des 18. Jahrhunderts umfassend von der Brieflehre von Christan Fürchtegott Gellert bestimmt.

Bereits 1720 beschäftigte sich Johann Gottsched mit einer Neuausrichtung des

Briefausdruckes, doch erst als Gellert 1751 seine Lehrschrift Briefe, nebst einer praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen veröffentlichte, kam es zu einer Abkehr von der starren Formelhaftigkeit des 17. Jahrhunderts.53 Bis dahin war es auch eher üblich Briefe in Französisch oder Latein zu verfassen. Gellert forderte einen neuen persönlichen Briefstil, der sich von dem reinen

Kommunikationszweck abwendet, und eine Art schriftliche Gesprächskultur in das

Zentrum stellt. Wichtig war nun die Beziehung der Schreibenden zueinander und ein

Briefstil, der die Natürlichkeit einer mündlichen Aussage widerspiegelt. Dies sollte bei den Schreibenden eine Art Selbsterfahrung hervorrufen, führte jedoch oft wie bei

52 Wittmann, Post. S. 8. 53 Vgl. Johannes Anderegg, Schreibe mir oft! Zum Medium Brief zwischen 1750 bis 1830. Vandenhoeck & Ruprecht, 2001. S. 19.

27 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Clemens Brentano zu einer Art Selbstdarstellung und Selbstversicherung. „Kriterium für den guten Brief ist nicht mehr der Erfolg der Persuasion, sondern – es gilt, das

Herz sprechen zu lassen – die innere Wahrhaftigkeit des oder der Schreibenden.“54

Diese neu gefundene Wahrheitsliebe zusammen mit der erforderten Öffentlichkeit brachte naturgemäß oft das Gegenteil hervor – manche Korrespondenzen waren voll von Lügen und Halbwahrheiten.55

Dieses Bewusstsein ist insbesondere für die moderne Interpretation von

Briefen und die angestrebten Rückschlüsse auf die Biografien der Schreibenden von großer Bedeutung. Ein Brief enthält selten nur Fakten, sondern eröffnet, wie am

Eingang des Kapitels erwähnt, eine Welt der Möglichkeiten – und damit auch viele verschiedene Möglichkeiten der Verstellung. Die Briefanalyse erfordert daher einen viel komplexeren Ansatz als gerne angenommen wird. Der Zweck eines Briefes war selten nur die Überbringung von Nachrichten, sondern er erfüllte das

Mitteilungsbedürfnis über weite Entfernungen hinweg. Das Medium Brief war daher am Ende des 18. Jahrhunderts vor allem auch ein weibliches Medium. Für viele

Schriftstellerinnen, denen ansonsten die Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs verweigert wurde, war der Brief eine Möglichkeit, ihrer Stimme Ausdruck zu verleihen. Anstelle von Tagebüchern versprachen Briefe eine, wenn auch begrenzte,

Reichweite, die es vorher so nicht gegeben hat. Auch für Sophie Mereau spielte der

Brief in ihrer Entwicklung als Schriftstellerin eine wichtige Rolle. Sie führte mit den

54 Anderegg, Medium Brief. S. 15. 55 Vgl. Wittmann, Post. S. 9.

28 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 meisten wichtigen Persönlichkeiten der damaligen Zeit Korrespondenz, und insbesondere in ihrem Briefwechsel mit Schiller ist erkennbar, welch Unterstützer und

Mentor der bekannte Schriftsteller war. Dennoch hatte der Brief, und hier insbesondere auch der Liebesbrief, für sie eine andere Bedeutung als in der

Gesellschaft verbreitet. Dies soll im Verlauf der nächsten Kapitel durch die Analyse der Briefe zu Clemens Brentano deutlich werden.

29 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

KAPITEL IV

ANALYSE DES BRIEFWECHSELS ZWISCHEN SOPHIE MEREAU UND CLEMENS BRENTANO

Zeitraum I – Wiederaufnahme des Briefkontaktes im Januar 1803 bis zum Wiedersehen im Mai 1803

Im Zeitraum vom Januar (der Wiederaufnahme des Briefkontaktes) bis zum

Mai 1803 (dem Entschluss zu einem persönlichen Treffen) sind zehn Briefe von

Mereau und Brentano erhalten. Mereau schrieb sechs kürzere Nachrichten, während von Brentano vier Briefe erhalten sind, die der Länge nach Mereaus weit

überschreiten. Der erste Brief des Dichters an seine ehemalige Geliebte vom 10.

Januar 1803 hat die Länge von 19 Quartseiten, und er unterscheidet sich deutlich im

Stil von den anderen Briefen.56 Dieser erste Brief ist herausfordernd, teils sogar beleidigend, und voll von männlichem Überlegenheitsgefühl. Im Gegensatz dazu ist

Brentanos zweiter Brief, nachdem er eine Antwort von Mereau erhalten hat, voller

Emotionen. Er drückt überschwängliche Freude aus, dass sie ihm geantwortet hat.

Brentano möchte nun beschwichtigend seiner Freundin seine Liebe versichern und versuchen, sie zu einem Wiedersehen zu überreden. Alle vier Briefe enthalten viele

Beispiele von David Buss‘ Manipulationstechniken.

Übergreifend ist allen Briefen gemein, dass Brentano sich einen Neuanfang mit

Mereau wünscht, doch es fällt ihm schwer, die gemeinsame Vergangenheit hinter sich

56 Vgl. Herta Schwarz, „Poesie und Poesiekritik im Briefwechsel zwischen Clemens Brentano und Sophie Mereau.“ Die Frau im Dialog: Studien zu Theorie und Geschichte des Briefes, hrsg. von Anita Runge und Lieselotte Steinbrügge, J.B. Metzler, 1991, S. 37.

30 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 zu lassen: „Auch finde ich dadurch, daß Sie diese Lieder nicht aufgenommen haben, in

Ihnen eine bewußtlose Fortsetzung der Form unsers ehemaligen Verhältnisses.“57 Es ist sein zentrales Anliegen den persönlichen Austausch miteinander wiederzubeleben, doch er hadert damit, Mereaus früheres Verhalten nicht zu kritisieren. Die

Entscheidung von Sophie Mereau sich von ihm – ihrem damals jungen, impulsiven

Liebhaber – zu trennen, nennt er „eine der schmutzigsten [Stunden] Ihres Lebens.“58

Dabei war Sophie Mereau zu dem Zeitpunkt noch mit Friedrich Mereau verheiratet und das uneheliches Verhältnis an sich war das eigentliche anrüchige Verhalten.

Doch meist überwiegen seine charmanten Worte, und zwei Themen, die er durch verschiedene angewandte Manipulationstechniken versucht zu erreichen, stehen im Mittelpunkt: Zum einen ist es Brentano wichtig, Mereau seine Liebe zu versichern, und herauszufinden, ob seine Gefühle erwidert werden. Zum anderen möchte er erreichen, dass Mereau einem persönlichen Wiedersehen zustimmt. Über diesen beiden Wünschen steht das Bedürfnis Brentanos nach der gelungenen

Kontaktaufnahme auch ihre romantische Beziehung wiederzubeleben. Doch bevor darauf im weiteren Verlauf des Kapitels genauer eingegangen werden soll, soll zunächst Brentanos Standpunkt über die Tätigkeit von Frauen als Schriftstellerinnen erläutert werden.

Der Briefwechsel zwischen Mereau und Brentano ist in vielerlei Hinsicht bedeutend, da er einen wichtigen Einblick in Brentanos Auffassung der Frauenrolle

57 Brentano an Mereau, 10. Januar 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 102-103. 58 Brentano an Mereau, 10. Januar 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 108.

31 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 der damaligen Zeit und die rhetorischen Fähigkeiten der beiden Schreibenden offenbart. Zudem ist die unterschiedliche Sichtweise der Autorinnentätigkeit eines der zentralen, immer wieder aufkommenden Konfliktpunkte der Beziehung. Trotz jahrelanger Tätigkeit als Schriftsteller steht Brentano seiner zeitgenössischen Zunft generell skeptisch gegenüber. Er fühlt sich den meisten männlichen Autoren nicht zugehörig und distanziert sich gerne von ihnen. Die stattfindenden Veränderungen bewertet er zurückhaltend: “Sie können sich nicht vorstellen, wie mutwillig ich geworden bin, und wie komisch mir die letzte feierliche Schriftstellerepoche in

Deutschland erscheint.“59 Im weiteren Verlauf des Briefes ergänzt sich dieser Unmut vor allem auf die zunehmende Zahl der weiblichen Schreibenden, und er überträgt diesen Unmut auch auf Mereau, die eine der ersten Berufsschriftstellerinnen des deutschsprachigen Raumes geworden war.60 Brentanos Verständnis von schreibenden

Frauen entsprach der allgemeinen Meinung der damaligen Zeit und ist daher erstmal nichts Besonderes. Seit Sophie von Laroche 1771 den Roman Die Geschichte des

Fräuleins von Sternheim veröffentlichte, ging eine Veränderung durch den deutschsprachigen Raum, die sich durch eine verstärkte Tätigkeit von

Schriftstellerinnen bemerkbar machte.61 Doch die meisten männlichen Autoren betrachteten die Werke der Frauen als dilettantisch und folgten Johann Georg Fichtes

59 Brentano an Mereau, 10. Januar 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 105. 60 Vgl. Brentano an Mereau, 10. Januar 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 107. 61 Der Roman erschien zunächst anonym und Wieland wurde als Verfasser des Vorwortes zunächst auch als Autor gehandelt, so unwahrscheinlich erschien es den zeitgenössischen Rezipienten, dass eine Frau den Roman verfasst haben könnte.

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Auffassung, dass Frauen dieser Tätigkeit nicht nachgehen sollten und wenn doch, nur

„als Autorin von nützlichen, moralischen, populären Schriften für oder über Frauen.“62

Das heißt nicht, dass Brentano den Austausch mit Mereau über Literatur und

Poesie nicht schätzte – das Gegenteil ist der Fall. Dass Brentano in seiner Freundin eine fähige Gesprächspartnerin sah, offenbart die Ambivalenz der männlichen

Schreibenden: Ihre Fähigkeiten sollten die Dichterin im Rahmen ihrer Rolle als Muse und Unterstützerin ausleben. Es galt die gängige Meinung, dass die Frau „den Mann erleuchten, ihn inspirieren und sich mit ihm zu einer vollkommenden Einheit verbinden [soll].“63 Mereaus ernstzunehmende schriftstellerische Tätigkeit und ihr

Erfolg irritiert Brentano jedoch, und dieses bringt er deutlich zum Ausdruck:

Doch über jenen Almanach fortzufahren, ich hatte gehofft, unter Ihren Auspizien würde etwas Besseres zustande kommen. Es ist für ein Weib sehr gefährlich zu dichten, noch gefährlicher einen Musenalmanach herauszugeben […].64

Er betrachtet Mereaus Arbeit als minderwertig und macht einen Verweis darauf, dass die Gefahr für weibliche Schreibende vor allem darin besteht, keine anspruchsvolle

Literatur produzieren zu können. Im Weiteren elaboriert er wie seiner Ansicht nach, der Almanach einer Frau aussehen sollte. Dieser müsse unbedingt die gängige ablehnende Meinung über Schriftstellerinnen von und Ludwig

Tieck enthalten, und vor allem Themen behandeln, die als typisch weiblich galten wie

Gynäkologie und Kinderkriegen, Kochkunst, Malerei gepaart mit Ratschlägen für die

62 Lucia Sabova, Problematik der weiblichen Identität in den Erzählungen von Sophie Mereau. Logos Berlin, 2011. S. 21. 63 Augart, Liebeskonzeption im Briefwechsel. S. 23. 64 Brentano an Mereau, 10. Januar 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 105.

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Liebe. Zudem stellt Brentano die Ehre von Frauen, die bestimmte für Männer vorbehaltende Berufe ausüben, in Frage und geht sogar so weit, sich über seine eigene

Großmutter, die Schriftstellerin Sophie von Laroche, lustig zu machen.65

Dazu muss erwähnt werden, dass Mereaus schriftstellerische Tätigkeit sich während der Kontaktlosigkeit zwischen Brentano und Mereau von einer

Nebentätigkeit zu einem vollwertigen Beruf entwickelten. Nach der Scheidung von

Friedrich Mereau war es Sophie Mereau möglich ein eigenes Einkommen durch ihre

Arbeit zu erhalten, sodass sie 1803 in Sachsen-Weimar als eine eigenständige Autorin und Übersetzerin anerkannt war. Da das für die damalige Zeit sehr ungewöhnlich war, könnte dies möglicherweise zu Brentanos Irritation beigetragen haben. Aber die editorische Tätigkeit von Mereau geht über die Tätigkeit einer Autorin hinaus. Auch wenn einige Schreibende den Frauen dichterische Arbeiten zubilligten: Für derartige

Tätigkeiten wurden Frauen als nicht qualifiziert betrachtet. Dies bringt auch Friedrich

Schiller deutlich zum Ausdruck, der zwar ein großer Unterstützer von Mereaus schriftstellerischer Tätigkeit war, doch die Herausgabe eines Almanaches durch eine

Frau ablehnte.66

Brentano ist sich bewusst, dass er Mereau mit seinen Aussagen über die

Schriftstellerinnen direkt provoziert: „Verzeihen Sie meinen Mutwill, ich werde alle

65 Vgl. Brentano an Mereau, 10. Januar 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 105. 66 Vgl. „Ich gestehe, daß ich für Sie fürchtete, sobald ich von dem vorhabenden [sic] Journale erfuhr. Eine solche Unternehmung schien mir nachtheilig für sie, und ich konnte auch keine äußern Vortheile davon für Sie erwarten, den Ihnen eine andere Art schriftstellerische Beschäftigung, […] nicht in einem viel höheren und für Sie selbst unendlich befriedigenderem Grade gewährte.“ In: an Mereau, 23. Dezember 1795. In: Friedrich Schiller, „Briefe an Sophie Mereau.“ Friedrich Schiller Archiv. https://www.friedrich-schiller-archiv.de/briefe-schillers/an- sophie-mereau/schiller-an-sophie-mereau-23-dezember-1795.

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Tage kindischer, und wenn Sie über alles das nicht lächeln, so haben Sie mich nie recht gekannt.“67 Diese Aussage ist eine Art Absicherung falls er seine Provokation zu weit getrieben hat. Eine eventuelle Wut von Mereau, läge damit in ihrer

Verantwortung, da diese auf ihre Unkenntnis seines Charakters zurückzuführen wäre.

In einem Brief an Achim von Arnim vom 6. Februar in dem er von einer „Mausefalle“ eines Briefes spricht, wird sein rhetorisches Spiel ersichtlich.68 Denn auch wenn er kein großer Advokat für Mereaus Talent gewesen war, sind seine Aussagen über

Mereaus Arbeit in dem Brief vom 10. Januar derart überzogen, dass sie als Teil seiner

Inszenierung gewertet werden können:

Als Sie mich noch liebten, da erschrak ich immer, wenn ich etwas Gedrucktes von Ihnen sah, und nichts war mir quälender, als etwas von Ihnen zu lesen, nicht, als wenn es mir zu schlecht sei oder gut genug, nein, es kam mir so unnatürlich vor, daß etwas, was Sie sagten, schlecht genug und gut genug sein könne, so mit dem bleiernen Buchstaben festgenagelt zu werden, jedes Format schien mir ein Gedicht von Ihnen komisch oder pitoiabel [sic] zu machen, ja das Gedicht selbst mache sich komisch oder bedauernswert, und so auch Sie, noch immer geht es mir so, da Sie mich nicht mehr lieben. […] ich fand immer alles, was man von Ihnen sprach, so albern, und was Sie von sich wissen, so abgeschmackt […].69

Vor allem die Wörter ‚erschrecken‘ und ‚quälend‘ sind gute Indikatoren für Brentanos

Ironie. Sie sind für den Ausdruck von Brentanos Meinung gegenüber Mereaus schriftstellerischen Tätigkeit zu extrem. Die Anwendung von Ironie bedarf keiner

Tonlage, sondern ist auch in der schriftlichen Sprache fest verankert, da sie wie das

Digitale Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache es definiert, auf einer

67 Brentano an Mereau, 10. Januar 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 105. 68 Dieser Brief wird im Verlauf des Kapitels noch genauer in den Kontext gesetzt. 69 Brentano an Mereau, 10. Januar 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 106-107.

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„spöttisch-kritische Geisteshaltung [beruht], die sich in der fingierten Annahme eines der wirklichen Meinung des Autors entgegengesetzten, oder wesentlich von dieser abweichenden Standpunktes äußert.“70 Dies wird bei Brentanos Ratschlägen für den weiblichen Musenalmanach weiterhin ersichtlich, betrachtet man den Kontext dieses

Briefes. Der Dichter hatte Mereau im Vorfeld Gedichte geschickt, mit der Bitte, diese doch in ihren Musenalmanach aufzunehmen. Doch Mereau erfüllt Brentano diesen

Wunsch nicht und es ist anzunehmen, dass Brentanos rhetorischer Angriff auf das weibliche Schreiben auch auf seinen gekränkten Stolz zurückzuführen ist. Daher betont er zum einen Mereaus Unfähigkeit im Umgang mit seinen Kunstwerken und zum anderen, dass die letztendlich im Almanach veröffentlichten Gedichte von minderwertiger Qualität, einige sogar Plagiate seien. Er bedankt sich ironischerweise bei Mereau für die Nichtaufnahme.71 Dieser Auszug der Briefe offenbart wieder einmal, wie wichtig es ist Brentanos Briefe im richtigen Kontext zu betrachten. In diesem besagten Brief vom 10. Januar ist Brentanos Stichelei als Teil seiner poetischen Ausdrucksweise zu lesen, doch seine negative Haltung gegenüber Mereaus

Arbeit ist dennoch ohne Zweifel belegt, wie auch Sabova bemerkt:

Ihre eigenen schriftstellerischen Bemühungen schätzt er dagegen nur wenig, ja verachtet sie sogar und spricht ihr keinerlei dichterische Leistung zu. Brentano äußert sich öfters abwertend über ihre Dichtungen oder Herausgebertätigkeiten, was ihn häufig zu negativen Beurteilungen über ihre Persönlichkeit veranlasste.72

70 „Ironie“, in: Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (1964–1977), kuratiert und bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, https://www.dwds.de/wb/wdg/Ironie. 71 Vgl. Brentano an Mereau, 10. Januar 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 102 72 Sabova, „Problematik der weiblichen Identität.“ S. 31.

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Um dem Wunsch nach der Erwiderung seiner Liebe näherzukommen, wendet

Brentano in erster Linie charm an: Er macht ihr Komplimente und verhält sich liebreizend, um sie zu einer Entscheidung zu bringen.73 Das Thema ‚Liebe‘ ist so zentral, dass es in fast allen Absätzen des Briefs auftaucht. Und um eine Antwort von

Mereau anzustoßen, sind zwei verschiedene Techniken erkennbar. Zum einen drücken seine Briefe aus, wie unfassbar groß, freimütig und rein seine Liebe zu Mereau war und ist – er stellt seine Ergebenheit ihr gegenüber dar. Zum anderen betont er immer wieder, dass im Gegensatz zu ihm, Mereau ihn nicht mehr liebt. Dieser Ansatz arbeitet mit den Merkmalen der paradoxen Intervention (reverse psychology):

Sie können ja nicht strafen, Sophie! Wenn es möglich wäre, wenn es möglich wäre! Sie hätten mich nur lieben gelehrt – und wenn Sie es mir auch verzeihen, so will ich selbst büßen, ich will nicht länger mehr vor Ihnen verschweigen, daß ich Sie noch liebe, daß ich Sie ewig lieben werde, ich will es Ihnen von neuem versichern.74

Seine Schmeicheleien enthalten auch Aussagen über seine Abstinenz von Frauen als

Ausdruck seiner Liebe zu Mereau. Aufgrund dieser Liebe war es ihm unmöglich geworden mit anderen Frauen intim zu werden. Zudem hatte er dies auch nur in

Betracht gezogen bei einer Schauspielerin, die Mereau ähnlich sah.75 Die Aussage war, nach Brentano, Teil seiner poetischen Wirklichkeit, die mitnichten der Realität entspricht, da nach der Trennung von Mereau Beziehungen zu mehreren Frauen belegt werden können. Meist konzentriert sich Brentano jedoch darauf, romantische

Szenarien zu entwerfen:

73 Vgl. Buss, „Manipulation in Close Relationships.“ S. 485. 74 Brentano an Mereau, Februar 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 118. 75 Vgl. Brentano an Mereau, 10. Januar 1803 Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 113.

37 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Ich fühle es, liebe Sophie, ich fühle es mit Tränen, wir haben uns beiden Unrecht getan, ich fühle es, daß ich Dich liebe, und daß Du nicht ewig mit mir zürnen wirst, o könnte ich Dich rauben und an dem Drachenfels am Rheine Dir eine Hütte bauen und Dein Feld bauen, o könnte ich Dich zwischen den beiden freudigen Ufern hinauf und hinab fahren.76

Diese sollen den Effekt haben an die vergangenen liebevollen Momente zu erinnern und Sentimentalitäten auszulösen. Doch es finden sich auch weniger charmante Züge in Brentanos Worten, zum Beispiel wenn er durch Zwang – coersion sein Anliegen erreichen möchte.77 Es geht dabei nicht um die Nötigung im klassischen, gewaltsamen

Sinn, sondern darum, dass er Druck ausübt, indem er eine Situation beschreibt, in der ihr Verhalten ihn verletzt, da sie sich in einer Machtposition ihm gegenüber befindet.

Er stilisiert seine Opferrolle und seine Worte sind darauf ausgelegt Schuldgefühle und

Reue zu erzeugen. Ihr angeblich autoritäres Verhalten führt dazu, dass er der Ewig-

Leidende ist, der nur durch ihre Ablehnung zu Gewaltfantasien verleitet wird:

[Ich] suchte mir den Sehwinkel aus, der Ihnen am meisten schmeichelte und Ihre einzelnen Häßlichkeiten verbarg, denn Sie sollten ja das Schönste werden, das mir werden konnte, ich sollte Sie ewig lieben, weil Sie es nur von mir verdienten […] oft lächelte ich stillschweigend Ihrer Ohnmacht, wenn Ihr Wille sich regte und Sie durch irgendeine Bewegung Ihres Leibes oder Ihrer Seele reizend werden wollten, und ergötzte mich stumm an dem Siege des unerkannten Gottes in Ihnen, aber sehr traurig ward ich, wenn Ihr Bestreben, liebreizend zu sein, heftiger ward, denn dann erkannte ich die verschiedenen schlechten Schulen, durch die Sie von Ihrer Geschichte geführt worden waren, und in solchen Momenten wünschte ich, Sie wären tot, damit der schlechte Stil zugrund gehe und das Göttliche gerettet sei.78

Die Geschichte, die er hier erfindet, unterscheidet sich grundlegend von den anderen

Teilen des Briefes. Es scheint zunächst, als ob er eine liebevolle Anekdote berichten

76 Brentano an Mereau, Februar 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 119. 77 Vgl. Buss, „Manipulation in Close Relationships.“ S. 484. 78 Brentano an Mereau, 10. Januar 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 107.

38 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 möchte. Seine Wortwahl von ‚ergötzen‘, ‚liebreizend‘ und mehreren Vergleichen zu

Gott verstärken dieses Bild. Doch darin versteckt finden sich direkte Angriffe auf

Mereaus Aussehen und Charakter. Er betont, wie ihr unabhängiger Charakter sie unattraktiv macht, was ihn zum Leidtragenden werden lässt, obwohl er doch ihr Retter sein sollte. Selbst unter Vorbehalt seiner poetischen Ausdrucksweise gibt dieser

Abschnitt einen wichtigen Einblick in Brentanos Frauenbild.

Expliziter lassen sich seine Manipulationsstrategien bei seiner Forderung nach einem Wiedersehen erkennen. Er versucht sie mit charm von einem Treffen zu

überzeugen:

Liebe Sophie, die alte Zeit ist vorüber und aller Schmerz, es gibt nur eine Zukunft, ich liebe Sie, ich liebe Dich, o sei eins mit dieser Zukunft, störe den neuen Frühling nicht in mir und Dir, gönne einmal mir noch mich Dir zu nähern, Dich einmal noch zu lieben.79

Er reagiert ungeduldig, als sie ihm ein mögliches Treffen in Aussicht stellt, aber kein genaues Datum nennen will. Da er ihre Unsicherheit spürt, versucht er sie mit schmeichelnden Worten zu überzeugen. Immer wieder drückt er seine Untergebenheit aus und seine Bereitschaft ihr zu dienen. Sie ist seine Gottheit, die er anbetet, einem

Treffen zuzustimmen.80 Doch Brentano arbeitet auch rational. Er nennt Mereau

Gründe, die für ein Wiedersehen sprechen, und er benennt die guten Sachen, die daraus entstehen können. Nach David Buss (1992) benutzt er reason.81 An erster

Stelle steht hier das Argument seiner persönlichen Veränderung. Mereau hatte, wie

79 Brentano an Mereau, Februar 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 120. 80 Vgl. Brentano an Mereau, 18. März 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 124. 81 Vgl. Buss, „Manipulation in Close Relationships.“ S. 484.

39 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 bereits erwähnt, 1800 den Kontakt zu dem jungen, ungestümen Brentano abgebrochen, nachdem er sie beleidigt hatte. Zudem befand sich Mereau nach dem Tod ihres Sohnes

Gustavs in einer Umbruchsphase, in der sie sich nicht nur von ihrem Mann Friedrich

Mereau, sondern auch von ihrem Liebhaber Clemens Brentano lösen wollte. Umso wichtiger ist es für den Dichter nun nach gelungener Kontaktaufnahme zu betonen, dass seine Gefühle unverändert sind:

Sage, liebe Sophie, glaubst Du wohl, daß ich ein Wort reden könnte, wenn ich Dich wiedersähe? Du lieber Himmel, wenn ich Dich wiedersähe! Doch ich glaube, ich wollte Ihnen etwas versichern, also, so wahr, als ich hier vor lauter Freude bei dem Gedanken des Wiedersehns vergessen habe, wie wahr es ist, so wahr liebe ich Dich noch immer gar herzlich, und so gewiß werde ich Ihnen gefallen, so gewiß werden Sie mich recht artig und liebenswürdig finden, wenn Sie mich wiedersehen. Wenn Sie nur eine Wette mit mir eingehen wollten, liebe Sophie, ich will allen meinen Bewerbungen um Sie auf immer und ewig entsagen, wenn ich Ihnen nicht lieb, recht lieb werde, wenn Sie mich wiedersehen wollen.82

Das Bemerkenswerte an diesem Zitat ist zunächst der Wechsel zwischen formaler und informeller Anrede. Spricht Brentano von seinen Gefühlen für Mereau, verwendet er

Du und Dich. Spricht er umgekehrt von Mereaus Empfindungen für ihn, bleibt er bei

Sie und Ihnen. Es scheint, als ob er bei gleichzeitiger Wahrung der Etikette eine

Intimität zu ihr schaffen möchte. Er respektiert sie und ihre Gefühle und versichert, dass er sich zurückziehen würde, sollte sie seine Liebe nicht erwidern. In diesem Brief zeigt er eine ruhige und rationale Seite, die insbesondere beim Vergleich mit seinem vorherigen Brief überrascht. Die Worte sind nicht mehr impulsiv und herausfordernd, sondern ehrerbietig. Sie beinhalten Argumente, die Mereau überzeugen sollen. Er fügt

82 Brentano an Mereau, 18. März 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 123.

40 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 seinen Erläuterungen ein weiteres wichtiges Argument hinzu. Die Bestätigung seiner

Liebe geht einher mit einer Versicherung, dass er reifer geworden ist:

Ich muß mich wohl sehr verbessert haben, denn alle meine Geschwister achten und lieben mich, und ich bin zum Richter aller ihrer Herzensangelegenheiten geworden, ich habe eine so moralische Korrespondenz mit meinen Schwestern wie ein kleiner Beichtvater.83

Die Darstellung als Moralinstanz, wenn auch selbstinszeniert und fadenscheinig, ist der wichtigste Punkt seiner Argumentation. Es kommt hier zum Ausdruck, dass

Brentano davon ausgeht, dass nur eine charakterliche Stabilisierung Mereau dazu bewegen würde, ihn wiedersehen zu wollen. Daher ist es ihm wichtig hervorzuheben wie er für andere Leute Ratgeber und Stütze ist.

Sowohl der erste als auch dieser nachfolgende Brief sind im gesamten

Briefwechsel sehr bemerkenswert und sie offenbaren mehr als alle anderen Briefe

Brentanos großes schriftstellerisches Talent, denn es gelingt ihm, wie bereits erwähnt, zwei komplett verschiedene Stile zu entwickeln. Es ist offensichtlich, dass Brentano mit seinem ersten Brief reizen möchte, denn er möchte seine Grenzen testen und hofft so auf eine leidenschaftliche Reaktion seiner Freundin. Abgesehen von Ausführungen

über die Unfähigkeit von Mereau und Frauen generell den Beruf der Schriftstellerin auszuüben, bezeichnet er ihren Brief als inhaltslos und hält es für „unnötig,“ auf ihre

Fragen einzugehen.84 Im zweiten Brief dagegen scheint er geläutert, respektvoll und vernünftig.

83 Brentano an Mereau, 18. März 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 123. 84 Vgl. Brentano an Mereau, 10. Januar 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 100.

41 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Aufschluss bietet ein Brief von Brentano an Achim von Arnim, in dem er von der Wiederaufnahme des Kontaktes berichtet:

Merkwürdigkeiten meines Lebens sind: Ein kleiner, etwas fader Brief der Mereau […] Meine Antwort hierauf aus vollem Herzen eine Schonung für mich und sie […] Erklärung meines großen Lüsten, sie zu beschlafen, Trauer über ihr Alter und ihre unendlich schlechten Verse, überhaupt der freieste, kühnste und glücklichste Brief, den ich je geschrieben, und der längste.85

Dieses Zitat unterstreicht Brentanos Verständnis seiner Briefe: alles ist eine

Inszenierung – ein Teil seines Kunstwerkes. Realität und Fiktion verschwimmen und es deutet darauf hin, dass diese je nach empfangender Person angepasst werden. Es ist dem Rezipienten, ob Adressat:in oder Forschende, nicht möglich zu urteilen, was wirklich stattfindet, und genau dies ist sein Anliegen:

Alles gerinnt Brentano zum Kunstwerk, alles wird unter seiner Feder poetisiert, jeder Brief, jede darin geäußerte er- oder empfundene Stimmung wird zum Wunderwerk seiner Phantasie, zu scheinbar für die Ewigkeit festgehaltenen Momente. Brentanos Arbeit ist jedenfalls der nicht endenwollende Versuch, sich eine und in eine 'poetische Existenz' zu dichten.86

Im Brief an seinen Freund berichtet Brentano selbstbewusst und distanziert über

Mereau. Sein Brief an sie betrachtet er als ein Meisterwerk, und Mereaus Antwort wird nach seinen Vorstellungen verändert widergegeben. Während er Mereau gegenüber von der Dringlichkeit eines Wiedersehens schreibt, von dem sein

Wohlbefinden anhänge, beschreibt er hier emotionslos sein Vorhaben:

[…] ich will sehen wer den anderen überlistet. Mit Füssen soll sie mich nicht mehr treten, denn sie ist seit ich dich kenne, keine Bedingung meines Glükes [sic] mehr und konnte mir vielleicht nur noch eine

85 Brentano an Achim von Arnim, Februar 1803. Brentano, Briefe: Erster Band 1793-1809. S. 173. 86 Schwarz, „Poesie und Poesiekritik.“ S. 36.

42 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Amusement werden. Mein nächster Brief wird eine Mausefalle sein, in dem sie selbst der Speck ist und die Egoistinn [sic] gefangen wird.87

Die Kontaktaufnahme mit Mereau wird als ein Spiel, als eine willkommene

Ablenkung seines Alltags, dargestellt. Doch diese Behauptung scheint fragwürdig, da

Brentano im Vorfeld viele Bemühungen in Annäherungsversuch gesteckt hatte.88

Vielmehr unterstreicht es den inszenierten Charakter seiner Briefe. Er erfindet für

Achim von Arnim eine eigene poetische Realität und in dieser wird Mereau zur

Nebensache. Zentrales Anliegen dieses Briefes ist es, seinem Freund zu schmeicheln und vom Alltag zu berichten.

Für die Inszenierung seiner Briefe spricht auch, dass er sich durchaus bewusst ist, wie herausfordernd und unkonventionell sein Brief vom 10. Januar 1803 ist. Doch dieses Verhalten lässt sich für den Autor leicht erklären:

Verzeihen Sie meinen Mutwill, ich werde alle Tage kindischer, und wenn Sie über alles das nicht lächeln, so haben Sie mich nie recht gekannt, und es ist dann hohe Zeit, wieder Bekanntschaft mit mir zu machen.89

Seine Rechtfertigung in Hinblick auf seinen Charakter ist ein wichtiges

Merkmal von abusive relationships. Kann das Verhalten des Partners oder der

Partnerin nicht nachvollzogen werden, ist stets der- oder diejenige Schuld, die es nicht versteht. Die unverstandene Person viktimisiert sich damit und erreicht

87 Brentano an Achim von Arnim, um den 6. Februar 1803. Brentano, Briefe: Erster Band 1793-1809. S. 41. 88 Nachdem er von Mereaus Scheidung gehört hatte, bat er mehrfach eindringlich seine Geschwister in seiner Fürsprache an Mereau zu schreiben, da dadurch auf eine Wiederaufnahme des Kontaktes hoffte. 89 Brentano an Mereau, 10. Januar 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 105.

43 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 eine Umdrehung der Opferrolle.90 Brentano bietet Mereau zudem eine fadenscheinige Option an, um dieses Unverständnis aus dem Weg zu gehen:

Ein Wiedersehen könnte dieses Fauxpas einfach geraderichten. Brentano selbst bezeichnet sein Verhalten im ersten Brief vom 10. Januar als „ästhetische

Gewalttätigkeit.“91 Ein Begriff, den er durchaus als positiv auffasst, trotz der negativen Konnotation von Gewalt. Er betrachtet es als seine Pflicht, nicht nur

Mereau sondern generell seiner Familie und seinen Bekanntschaften als

Ratgeber zu dienen. Bei Mereau stehen seine poetologische Kritik und die

Verurteilung von Mereaus moralischer Freizügigkeit im Vordergrund.92 Wie unwillkommen und überzogen dies für die Adressat:innen seiner Briefe sein kann, zeigt die vorangegangene Analyse deutlich.

90 Vgl. Forward & Frazier, Emotional Blackmail. S. 33. 91 Brentano an Mereau, 10. Januar 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 101. 92 Schwarz, „Poesie und Poesiekritik.“ S. 37.

44 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Zeitraum II – Brentanos Zeit in Weimar und Jena von Mai bis August 1803 Nachdem Sophie Mereau sich Anfang Mai zu einem Treffen mit ihrem ehemaligen Geliebten bereit erklärt, reist Clemens Brentano umgehend nach Jena.

Schon am 8. Mai erreicht er das Haus seines Freundes Dr. Jakob Fries, der den Autor zunächst bei sich aufnimmt. Trotz der unmittelbaren geografischen Nähe schreibt

Brentano in der Zeit vom 10. Mai bis 22. August 1803 23 Briefe an Mereau und was zeigt, dass die Briefe im 19. Jahrhundert nicht nur zur Distanzüberwindung benutzt wurden. Von Mereau ist in diesem Zeitrahmen nur eine einzige kurze Mitteilung an

Brentano von Anfang Juni erhalten, was die Analyse des Briefwechsels in dieser

Periode unverhältnismäßig stark auf Brentano verschiebt. Es ist mit großer Sicherheit davon auszugehen, dass sie weitere Briefe verfasst hat, die nicht überliefert worden sind. Doch nur zweimal bezieht sich Brentano explizit auf eine schriftliche Äußerung von Mereau.93 Fest steht jedoch auch, dass Brentanos Briefe aus dem Frühsommer

1803 keine Antwortbriefe sind, sondern eher einem Monolog des Dichters gleicht.

Dem Prinzip der Selbsterfahrung durchs Schreiben folgend verarbeitet und bewertet er in seinen Worten Erlebtes und Mereaus Verhalten unmittelbar nach ihren Treffen.

Zusätzlich erschwerend für die Analyse kommt hinzu, dass es keine gesicherte

Reihenfolge der Briefe von Mai bis August 1803 gibt, da genaue Datumsangaben auf den Briefen fehlen. Die vorhandenen Ausgaben von Heinz Amelungs94 und Dagmar

93 siehe Brief vom Juni 1803 (Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 139) & Brief vom Juli 1803 (Brentano & Mereau, Briefwechsel, S. 148). 94 Clemens Brentano und Sophie Mereau, Briefwechsel zwischen Clemens Brentano und Sophie Mereau. Hrsg. von Heinz Amelung, Insel-Verlag, 1908.

45 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 von Gersdorffs95 Briefwechsel und Sämtliche Werke und Schriften von Brentano vom

Kohlhammer Verlag96 weisen eine andere Reihung auf. Letztere, die angesehene historisch-kritische Frankfurter Brentano Ausgabe von 1991, hat eine genauere

Datierung der Briefe, doch sind insbesondere hinsichtlich des Inhalts auch hier

Zweifel am korrekten Ablauf angebracht. Die Analyse der Briefe und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen zur Charakterisierung der Manipulationsstrategien von

Brentano beziehen sich daher wie auch im vorherigen Zeitraum auf von Gersdorffs

Briefwechsel von 1981.

Während in den Briefen des ersten Zeitraums das Drängen nach einem

Wiedersehen Grundlage für die Anwendung von Manipulationsstrategien war, konzentriert sich Brentano im zweiten Zeitraum ab ungefähr dem vierten Brief darauf,

Mereau dazu zu bringen, ihm seine Liebe und völlige Zuneigung zu gestehen.

Dementsprechend verschieden sind die Stile von Brentanos Korrespondenz. In den drei Monaten in Weimar ist weniger vom romantischen Drängen und charm der Briefe vom Winter und Frühjahr 1803 erkennbar.

Nachdem Brentano die größte Hürde des Wiedersehens überkommen konnte, scheint er nun überlegter seine nächsten Schritte zu planen. Insgesamt ist Brentanos

Korrespondenz in diesem Frühsommer deutlich kürzer als zu anderen Zeiten – circa vier Briefe bleiben unter 100 Wörter. Nur ein Brief nimmt vier Buchseiten in der

Druckausgabe von Dagmar von Gersdorff in Anspruch. Dies ist für Brentano recht

95 Clemens Brentano und Sophie Mereau. Lebe der Liebe und liebe das Leben: Der Briefwechsel von Clemens Brentano und Sophie Mereau. Hrsg. von Dagmar von Gersdorff, Insel-Verlag, 1981. 96 Brentano, Clemens. „Briefe III: 1803-1807.“ Frankfurter Brentano-Ausgabe: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 31, 1991.

46 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 ungewöhnlich, lässt sich aber mit dem Fokus dieser Briefe als Momentaufnahmen und direkte Reaktion auf Erfahrenes und Gefühltes erklären. Drei der erwähnten 23

Schriften sind Gedichtbriefe.

Gleich zu Beginn von Brentanos Zeit in Weimar und Jena findet sich seine erste Strategie: Die Stilisierung seines Märtyrer-Komplexes. Brentano macht deutlich, dass er die Reise nur für Mereau so schnell organisiert hat und für sie darauf verzichtet, seinen Freund Achim von Arnim zu besuchen. Er schildert die Entsagung, seinen Freund zu besuchen, was ihn in eine moralisch überlegende Situation bringen soll:

Da ich Ihren letzten gütigen Brief erhielt, in dem Sie mir versprachen, daß ich Sie sehen soll, war ich im Begriff, zu Arnim nach zu gehen, ich habe sogleich auf diese Reise Verzicht getan und bitte Sie nun recht herzlich, mich armen Jungen nicht zu vergessen, ich habe bis jetzt umsonst auf Ihre nähere Antwort geharrt.97

Die moralisch erhöhte Stellung ergibt sich aus der Selbstdarstellung von

Brentano als Kind, in deren Konsequenz Mereau eine Mutterrolle zukommt.

Dies offenbart nicht nur ein bizarres Beziehungsverständnis, sondern auch die

Verantwortung, die Mereau damit übertragen wird. Es ist klar, dass sich

Mereau durch seinen treuherzigen Verzicht geschmeichelt und gegenüber

Brentano verpflichtet fühlen soll. Doch schrieb Brentano bereits am 7. Mai an

Carl von Savigny, dass er eine Reise nach Jena plant, um seinen Freund Ludwig von Wrangel vor seiner Abreise nach Russland, noch einmal zu sehen.98 Auch

97 Brentano an Mereau, 10. Mai 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 129. 98 Vgl. Brentano an Friedrich Savigny, um den 7. Mai 1803. Brentano, „Briefe III: 1803-1807.“ S. 85.

47 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 findet sich im Brief von Achim von Arnim selbst am 11. Mai keine Erwähnung einer Absage: „und so eben bin ich im Begrif [sic] nach Jena abzureißen [sic], sei zufrieden, nicht die Mereau ist schuld, daß ich nicht hinschreiben kann nach

Paris […], ich gehe nur hin um meinen treuen Wrangl […] nochmahls zu sehen.“99 Wieder wird deutlich, dass Brentano seiner Korrespondenz stets die ihm passende Realität mitteilt – Fakten sind nebensächlich. Woesler nennt dies

Verfälschungen:

Selbstverständlich gründet der Widerspruch zwischen referentiellen und fiktionalen Anteilen in einem Brief und der Wirklichkeit nicht allein in der Motivation der Selbstdarstellung, der Konvention oder der literarischen Überformung, sondern auch darin, daß bewusst gelogen und gefälscht wurde.100

Doch von den kleinen Unwahrheiten abgesehen, wirkt Brentano in den ersten Briefen aus Jena ruhiger und respektvoller als noch kurz vorher in den Marburger Briefen.

Immer noch romantisch verführend, aber weniger fordernd, stehen Argumente und reason im Vordergrund:

Wenn es Ihnen möglich ist, liebe Sophie, die Erfüllung Ihres Versprechens mit meinem Hiersein zu verbinden, so wäre mir das, ach! wie lieb, wollen Sie aber nicht, so bescheide ich mich gern Ihrem Willen, nur trösten Sie mich mit einigen Worten, denn, liebe Sophie, so fremd bin ich Ihrem Herzen doch wohl nicht geworden, daß Sie nicht fühlen sollten, es müsse mir recht wehe tun, Sie so nahe zu wissen und zu hören, Sie wollten mich nicht sehen.101

99 Brentano an Achim von Arnim, 11. Mai 1803. Brentano, „Briefe III: 1803-1807.“ S. 87. 100 Winfried Woesler, „Der Widerspruch zwischen historischer ‚Wirklichkeit‘ und subjektiver Darstellung als Problem des Briefkommentars.“ Der Brief in Klassik und Romantik: Aktuelle Probleme der Briefedition, hrsg. von Lothar Bluhm und Andreas Meier, Königshausen & Neumann, 1993, S. 53. 101 Brentano an Mereau, 10. Mai 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 129.

48 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Er erinnert sie daran, dass sie dem Wiedersehen zugestimmt hat und dass sie sich entscheiden soll, ob sie ihn sehen will oder nicht. Er suggeriert ihr sogar

Entscheidungsfreiheit und den Willen, ihre Entscheidung zu akzeptieren. Es ist ihm wichtig, zu betonen, dass er nicht mehr derselbe jugendliche, ungestüme Mann ist, den

Mereau beim letzten Mal traf. Für diesen geläuterten Brentano ist ein Treffen ohne

Mereaus Zustimmung inakzeptabel:

Ich bin weder keck noch demütig, sonst würde ich Sie überraschen oder Sie anflehen, ich bin bescheiden genug, es Ihnen nicht zu verargen, wenn Sie mich nicht sehen wollen, und stolz genug, zu fühlen, daß Sie uns beiden vielleicht dadurch unrecht tun.102

In diesem Brief vom 10. Mai möchte er darstellen, dass Geduld und Treue wichtige

Argumente sind ihn wiederzusehen. Doch diese Rationalität ist in der gesamten

Weimarer-Zeit die Ausnahme. Nur einmal in einem Brief im Juli 1803 erklärt er, dass er vielleicht zu viel von ihr erwartet und sie bedrängt:

Verzeihe mir meine Reden, ich meinte es ja so ehrlich und will nie wieder Dir ein Lied schreiben wie heut, ich will alle die Vertraulichkeiten, die Du mir gibst, annehmen, ohne zu denken, […]. Tue Du umgekehrt, oder wie Du willst, ich schäme mich oft, daß mich manchmal solche Fesslen [sic] drücken, da ich doch im Herzen die ewge Freiheit trage, liebe Sophie, gehe um mit mir, wie Du willst.103

Er sichert ihr wiederrum die Entscheidungsfreiheit zu.

Generell überwiegt jedoch Brentanos zentrierte Weltsicht – die Briefe sind gekennzeichnet von einem erhöhten Ego. Er betrachtet sich als den einzig richtigen

Umgang für Mereau und bezeichnet ihre sozialen Kontakte als teilnahmslos und

102 Brentano an Mereau, 10. Mai 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 129. 103 Brentano an Mereau, Juli 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 145.

49 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 uninteressiert: „Sie werden täglich von so vielen gleichgültigen Menschen besucht,

Ihre Magd geht bei Ihnen aus und ein, sein Sie einfach, lassen Sie mich ebenso ruhig Ihre Treppe hinaufsteigen […].“104 Der Vergleich mit einer Hausangestellten ist ungelenk, auch da Brentano emotional und gesellschaftlich nicht in derselben

Beziehung zu Mereau steht. Indirekt verweist er darauf, dass es für Mereau einfach ist sich über gesellschaftliche Konventionen hinwegzusetzen. Daher wäre es für sie kein Problem einen Mann zu sich einzuladen.

Er benutzt social comparision – verweist also darauf, was eine andere

Person in ihrer Position tun würde.105 Während er sich als einen unwichtigen und unbekannten Mann darzustellen versucht, verweist er konträr zur damaligen

Situation der Frauen nicht auf deren Unterwürfigkeit, sondern auf Mereaus autonome Entscheidungsfreiheit:

Wie kann es Sie stören? mich in Weimar zu sehen, wo ich nirgends keinen Schritt hin tun werde als zu Ihnen und von Ihnen zurück hierher, mich kennen wenige Menschen in Weimar, wer wird mich unbedeutenden Menschen bemerken, und noch eins – frei wie Sie sind, Ihre eigne Richterin, warum wollen Sie mich nicht sehen, – schämen Sie sich meiner?106

Dies ist vor allem ein interessanter Verweis, da Brentano in späteren Briefen des

Jahres 1803 Mereau diese agency abspricht und auf die gesellschaftlichen

Verantwortungen einer Frau verweist.107 Er fordert klar von ihr, dass sie auch in aller

Öffentlichkeit zu ihm steht:

104 Brentano an Mereau, 10. Mai 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 130. 105 Vgl. Buss, „Manipulation in Close Relationships.“ S. 485. 106 Brentano an Mereau, 10. Mai 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 130. 107 Vgl. Kapitel IV – Zeitraum III: Die Wohnung in Marburg und Brentanos Heiratsbegehren.

50 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Ich schwöre Dir, Liebe, solange Du nicht öffentlich vor allen Menschen mit mir einsam zu sein verstehst, und solange Dir dies nicht eine rechte Wollust ist, solange liebst Du mich nicht, ich erschrecke oft darüber, daß die Liebe Dir noch immer Etwas Verbotnes scheint […].“108

Dass dieses öffentliche Zueinanderstehen ohne offiziellen Status wie Verlobung oder

Ehe in der Realität des 18./19. Jahrhunderts jedoch problematisch war und wohl bedacht werden wollte, wird von Brentano nicht erwähnt. Auch wenn Sophie Mereau insbesondere während der Ehe mit Friedrich Mereau oft außerhalb der damaligen

Moralvorstellung agierte, war sie sich dennoch ihrer gesellschaftlichen Rolle bewusst.

Es gab viele soziale Konventionen, denen sie folgte, damit sie ihren gesellschaftlichen

Status behalten konnte:

Generell wurde das Einhalten der sozialen Normen als notwendig erkannt. In der Regel fügten sich die Frauen den Vorgaben, denn schließlich galt die Akzeptanz dieser Verhaltensregeln als Voraussetzung für eine dauerhafte Zugehörigkeit zur Weimarer oder Jenaer Geselligkeit.109

Zudem war Brentano wohl bewusst, dass Klatsch und Tratsch im Herzogtum Sachsen-

Weimar schnell die Runde machten: „wie man den(n) hier so viel erfährt, ohne

Erfahrungen zu machen.“110

Ein Punkt, der in den ersten Briefen aus Weimar/ Jena besonders ins Auge fällt, ist der inkonsistente Gebrauch der Anredefloskeln. Es ist nicht klar zu erkennen, ob Brentano diese Wechsel absichtlich oder aus Unachtsamkeit in seine Briefe einbaut. Im ersten Brief vom 10. Mai kann davon ausgegangen werden, dass das Du

108 Brentano an Mereau, Juli 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 147. 109 Julia Di Bartolo, Selbstbestimmtes Leben um 1800: Sophie Mereau, Johanna Schopenhauer und Henriette von Egloffstein in Weimar-Jena, Winter, 2008. S. 75. 110 Brentano an Martin Wieland, Ende Mai 1803. Brentano, „Briefe III: 1803-1807.“ S. 97.

51 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 gezielt eingesetzt wird, um am Ende des Briefes die vorhandene Distanz abzubauen:

„und wollen Sie mich sehen, so bestimmen Sie fest den Tag und Ihre Wohnung, ich bitte Sie recht herzlich, ich will Sie gewiß recht erfreuen, ob mich Hulda wohl noch kennen wird, ob Du mich noch kennen wirst?“111 Nach diesem Brief und dem ersten persönlichen Treffen am 14. Mai wechselt Brentano dann auch nachvollziehbar in die persönliche Anrede. Weniger verständlich ist jedoch die Rückkehr zum formalen Sie im Brief danach von Anfang Juni 1803. Das Bemerkenswerte an diesem Brief ist aber nicht die plötzliche Förmlichkeit, sondern der dreifache Wechsel der Anrede im selben

Brief. Während er den Brief mit Sie beginnt, wechselt er, nachdem er das Schreiben für die Nacht unterbrochen hat und am nächsten Tag weiterschreibt, zum Du. Danach springt Brentano jedoch mitten im Text ohne erkennbaren Absatz für einen langen

Satz zum Sie, nur um danach wieder zum Du zurückzukehren:

ich bin nun müde und schwach und würde Dir den Brief nicht schicken, wenn ich nicht fürchtete, dadurch unwahr zu sein. Ich verlange von Ihnen, daß Sie mich heute sprechen, daß dieses Gespräch entscheidend sei, denn Sie selbst mögen wohl fühlen, daß die Art, in der Sie mit mir umgehen, für mich nicht irgendeine Gattung der Vergnüglichkeiten mit sich führt, die den Jüngling an einen unbedingten, zeitlosen Verkehr mit den Weibern zu binden pflegen. [eigene Markierung] Ich hoffe, liebes Weib, so stark wird Dein Gedächtnis sein, daß Du Dich wenigstens einiger Artigkeiten erinnerst, […]112

Er schließt den Brief in diesem Stil. Grund dieser möglichen Verwirrung könnte die noch vorhandene Distanz von Mereau gegenüber dem Dichter sein. Es ist erkennbar, dass Brentanos Gefühle für Mereau nach dem ersten Wiedersehen stark aufgeflammt

111 Brentano an Mereau, 10. Mai 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 130. 112 Brentano an Mereau, Anfang Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 133.

52 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 sind und er sich ausdrücklich die Nähe der Dichterin wünscht. Dies kommuniziert er auch Anfang Juni an Savigny:

Gerührt war ich an ihrer Seite noch nicht wieder, als schmerzlich, durch ihr Verkehrtheit, Kälte und veraltete Manier in der Liebe, aber daß Sie alles das ablege, um meinethalben ist ja die einzige Bedingung unserer Vereinigung geworden, ich bin stolz, edelzärtlich, schonend, und galant […] und ich leide viel um sie […].113

Mereau scheint jedoch zunächst einmal einen professionellen Abstand zu wahren.

Während sie einem erneuten Treffen aufgeschlossen gegenübersteht, es sogar vorschlägt, ist ihr die gesellschaftlich erforderte oder persönlich gewünschte Distanz dennoch wichtig. In ihrer einzigen erhaltenen Mitteilung in diesem Zeitraum – einem etwas längerem Satz von 33 Worten – bleibt sie beim Sie.114 Dementsprechend beginnt auch Brentano seinen nächsten Brief wieder mit Sie, aber beendet ihn mit einer persönlichen Note: „Sie haben alles verloren, aber mich nicht, und das soll Sie für alles trösten, und setzest Du nicht das Leben ein, wie kann dann das Leben gewonnen sein. Dein Clemens.“115 Hier findet der Wechsel mitten im Satz statt, und es kann davon ausgegangen werden, dass der geübte Briefeschreiber Brentano diesen ‚Fehler‘ bewusst anwendet. Es ist eine Möglichkeit, gesellschaftliche Normen zu wahren, aber dennoch Nähe zu seiner Freundin durch Worte zu schaffen. In jedem Fall bleibt der

Anredewechsel ein Merkmal der nächsten Briefe. Erst nach einem sehr intimen Brief vom Ende Juni bleibt Brentano konsequent beim Du, mit Ausnahme einer kurzen

Nachricht im Juli 1803, die in Französisch verfasst ist und in der er Mereau mit der

113 Brentano an Friedrich Savigny, 3. oder 4. Juni 1803. Brentano, „Briefe III: 1803-1807.“ S. 100. 114 Vgl. Mereau an Brentano, Anfang Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 134. 115 Brentano an Mereau, Anfang Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 134.

53 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Höflichkeitsform Vous anspricht.116 Die endgültige Entscheidung für die persönliche

Anrede geht mit der Entwicklung der Beziehung der beiden Schreibenden einher.

Nachdem eine intime Beziehung etabliert ist, gibt es bei der Anrede auch keine

Zweifel mehr. Bis dahin jedoch herrscht bei Brentano viel Unsicherheit, und dies drückt sich nicht nur in der inkonsequenten Anrede, sondern auch einem wechselhaften Stil aus, der durch viele kleine Manipulationsstrategien gekennzeichnet ist.

Zum einen appelliert er an ihre Vernunft, denn er unterstreicht gerne, dass sie sich ihm gegenüber verantwortungslos verhält. Diese responsibilty invocation funktioniert nur, indem er sich ihr gegenüber in einer angeblich schwachen Position darstellt, die seine Männlichkeit verletzt:

ich habe Ihnen oft erklärt, wie fürchterlich die leere, ewig ungelöste Spannung, in die Sie mich setzen, meine Gesundheit untergräbt, ich fühle die Folgen meines Umgangs mit Ihnen zerrüttender für meine männliche Seele und meinen männlichen Leib, als hätte ich mit sechs unersättlichen Weibern im engsten Sinne des Worts in der Tat gelebt. Ich kann nicht besser, nicht lieber, nicht klüger, nicht angenehmer sein, als ich es bei Ihnen bin, denn ich fühle leider zu oft, daß ich nackt neben Ihnen stehe, wenn mich Ihre Hand mit kalten Schlägen trifft oder ich den Harnisch umwerfen muß, ohne Sie verletzen zu dürfen, denn Sie sind ein Weib, die die Rechte Ihres Geschlechts noch geltend machen mag.117

Die Einschränkungen für seine Männlichkeit und die starke Position, in der sich

Mereau als Frau angeblich befindet, sind an diesem Auszug besonders hervorzuheben.

Es ist paradox, dass Brentano Mereau vorwirft, verantwortungslos mit seinem Status

116 Vgl. Brentano an Mereau, Juli 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 143. 117 Brentano an Mereau, Anfang Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 132.

54 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 als Mann umzugehen, wenn gesellschaftlich betrachtet Mereau als Frau sich stets in einer benachteiligten Position befand. Die suggerierte Opferrolle ist eine Taktik des

Autors, die nicht mit den gesellschaftlichen Zuständen der Zeit d’accord geht. Doch

Brentano versteht es, sich durch debasement – “lower myself so she’ll do it / look sickly so she’ll do it”118 – in eine untergebene Position zu bringen. Er setzt ganz auf ihr Mitleid:

O warum sehe ich so ernst, so leidend aus, und kann sie nicht erfreuen, kannst Du dich denn gar nicht an meinen Anblick gewöhnen, liebe Sophie, nur Du hast mich gelehrt, mit allem an mir unzufrieden zu sein, ich werde nie erschwingen können, was Dir genügt.119

Es ist schwer festzustellen, ob sich Brentano wirklich als Opfer gefühlt hat, da er sich in den Briefen gegenüber seinen Freunden stets als selbstbewusst darstellt.

Charakterrückschlüsse sind daher unzulässig; vielmehr zeigt sich hier wieder einmal

Brentanos komplexes Verständnis gegenüber dem Schreiben. Seine Erlebnisse und

Empfindungen werden an die Rezipienten angepasst, sodass diese zum einen verschiedene Realitäten durch die Worte neu erleben und zum anderen die

Selbstfindung, die dadurch stattfinden soll, im Vordergrund steht. Die Wahrheit und

Fakten sind dabei absolut nebensächliche Konstrukte.

Die Forderung nach Achtung und Respekt ist ein Thema, welches sich vermehrt in seinen Briefen findet. Ob verletzter Mannesstolz oder nicht, Brentano betrachtet Mereaus Verhalten oft als respektlos:

Aber ich fühle deutlich, daß ich Sie nicht lieben kann, wenn Sie mich nicht achten können, ich verlange daher, daß Sie sich deutlich gegen

118 Buss, „Manipulation in Close Relationships.“ S. 485. 119 Brentano an Mereau, Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 141.

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mich erklären, daß Sie aufhören zu träumen, daß Sie nicht länger lieber an die Erde sehen als in meine Augen, wenn Sie mich lieben können.120

Da keine Antworten oder Tagebuchaufzeichnungen von Mereau aus diesem Zeitraum vorhanden sind, kann nur vermutet werden, dass Brentanos Vorwürfe auf Mereaus normalerweise rationales Verhalten zurückzuführen sind. Ihr distanzierter Umgang und realitätsbezogenes Handeln ist ein Merkmal ihrer Bewältigungsstrategien. Für

Brentano stattdessen, der seine überschwänglichen, romantischen Empfindungen nicht nur auf dem Papier durchlebt, ist die berechnende Art von Mereau ein Zeichen ihrer

Respektlosigkeit: „Das bedeutungslose Spiel von redender Kälte und stummer

Zärtlichkeit betrübte mich, machte mich verzweifeln.“121 Das Zitat drückt aus, dass

Brentano die Verantwortung für seinen Gefühlszustand allein in den Händen Mereaus verortet. Sie entscheidet auch, wie er sich körperlich fühlt:

Das habe ich gestern Abend geschrieben, ich war kalt und ernst, jetzt bin ich müd und krank, denn Du hast mich die ganze Nacht nicht schlafen lassen und hieltst mich in unerfreulicher Störung, ich bin nun müde und schwach.122

Hier ist klar festzustellen, dass Brentano zum Ausdruck von Emotionen und

Vorwürfen vermehrt die Du-Anrede verwendet. Er appelliert an ihre Gefühle, daher muss er auch in den Worten eine Nähe schaffen; zudem scheint er hier zu erschöpft für

Förmlichkeiten zu sein. Wenige Sätze später jedoch wechselt er für eine direkte

Forderung in die Sie-Anrede:

Ich verlange von Ihnen, daß Sie mich heute sprechen, daß dieses Gespräch entscheidend sei, denn Sie selbst mögen wohl fühlen, daß die

120 Brentano an Mereau, Anfang Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 132. 121 Brentano an Mereau, Anfang Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 132. 122 Brentano an Mereau, Anfang Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 133.

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Art, in der Sie mit mir umgehen, für mich nicht irgendeine Gattung der Vergnüglichkeiten mit sich führt […]123

Diese gewählte Formalität erzeugt beim Lesenden einen anderen Effekt. Suggeriert das Du etwa eine persönliche Beziehung und Nähe zu Emotionen, baut das Sie im

Gegensatz dazu Distanz auf und schafft Autorität. Ansprüchen wird mehr Nachdruck verliehen. Dennoch überrascht hier Brentanos Wortwahl der direkten Forderung. In den vorhergegangenen Briefen des Maies war der Dichter weitaus gemäßigter mit seinen Wünschen vorgegangen. Selbst am Anfang desselben Briefes finden sich, wie bereits erwähnt, eher rationale Argumente und Worte, die entweder auf Mereaus

Mitleid oder Verantwortungsgefühl ansprechen sollen. Ob Schlafmangel oder nicht,

Brentano bleibt ein Meister der Inkonsequenz.

Dies lässt sich auch hinsichtlich der Charakterbeschreibung Mereaus sagen.

Gegenüber anderen äußert sich der Dichter oft positiv über Mereau. An Wieland schreibt er über „die kluge, gütige Sophie“124 und seiner Schwester Kunigunde berichtet er stolz von Sophies Arbeit: „Stelle dir vor, ich werde ein Weib haben, daß

[sic] sich bis jetzt durch ihr eignes Talent sogar in einem eleganten Wohlstande erhalten hat.“125 Doch in direkter Korrespondenz zu Mereau sind Komplimente hinsichtlich ihres Intellekts und ihrer Fähigkeiten, nicht nur in diesem Zeitraum, sondern im gesamten Briefwechsel, rar. Vielmehr betont er mehrmals, dass ihr

Fehlverhalten auf ihre Einfachheit zurückzuführen ist: „O liebe, liebe Sophie, wie

123 Brentano an Mereau, Anfang Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 133. 124 Brentano an Martin Wieland, Ende Mai/ Anfang Juni 1803. Brentano, „Briefe III: 1803-1807.“ S. 98. 125 Brentano an Kunigunde Brentano, ca. 24. Juni 1803. Brentano, „Briefe III: 1803-1807.“ S. 121.

57 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 gehst Du in aller Unschuld schlecht mit mir um, denn wahrlich, Du kannst nichts dazu

[…].“126 Anstatt sich seiner Liebe zu erfreuen, ist sie zu dumm, seine Zuneigung zu erkennen: „und daß Du diese Äußerung meiner Liebe nicht begreifst und vielleicht deswegen nicht würdigst.“127 Dies gipfelt in gutgemeinten Erziehungstipps für

Mereaus Tochter Hulda:

Hier ist die Puppe für Hulden, welche dies ungezogne Mädchen mir gestern Abend erst so schnöd anzunehmen versagt hat, ich wünsche, daß Sie ihr die selbe nur unter der Bedingung geben, artiger gegen mich und Sie zu [sein], und daß Sie sie ihr zur Strafe eine Zeitlang entziehen, wenn Sie nicht artig ist.128

Gerade das Fehlverhalten der Tochter ihm gegenüber scheint für ihn absolut inakzeptabel zu sein. Dies ist für die damalige Zeit nicht unüblich, da von Kindern gerade gegenüber Erwachsenen, aber vor allem bezüglich der männlichen

Autoritätsfiguren, absoluter Gehorsam erwartet wurde. Doch das fehlende Verständnis für Mereaus Tochter, die zum einen zu dem Zeitpunkt erst 6 Jahre alt ist und sich zum zweiten durch die Scheidung ihrer Mutter in einer extrem ungewöhnlichen, persönlichen Situation befand, zeugt von Brentanos weiteren Egozentrik.

In seiner Realität sind die Befindlichkeiten anderer Personen oft nebensächlich.

Zentraler Punkt allein ist, dass sein Glück gerechtfertigt ist. So schreibt er Anfang Juni an Mereau:

Ich verdiene es gewiß, Liebe, ich verdiene noch mehr, ich verdiene alles, ich verdiene, [daß Sie] aus Liebe zu mir wieder glücklich werden und daß Sie nicht wieder traurig werden, wenn ich in Betinens Brief

126 Brentano an Mereau, Anfang Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 133. 127 Brentano an Mereau, Anfang Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 135. 128 Brentano an Mereau, etwa 8. Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 138.

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schreibe, was Sie alles verloren haben, Sie haben alles verloren, aber mich nicht, und das soll Sie für alles trösten […].129

Nur er allein kann der Retter sein, auf den Mereau gewartet hat. Alle Verluste, die

Mereau in ihrem Leben erlitten hat, soll seine Liebe heilen. Das Erlöserschema ist ein

Teil von Brentanos romantischem Liebeskonzeptes und daher häufiges Motiv in

Brentanos Briefen.130 Im Juni 1803 versteht er es vor allem eine Erwartungshaltung gegenüber Mereau aufzubauen. Sie soll sich geehrt fühlen, dass Brentano ihr seine

Zuneigung schenkt: „Ich liebe Dich, sei stolz darauf, ach daß ich dich liebe, es ist mir

Hoffnung, daß alles verlorne in Dir wieder gefunden wird.“131 Und falls die Beziehung doch nicht zustattenkommen würde, wäre das verhängnisvoll für die Schriftstellerin:

„Sophie, ich schwöre Dir, wenn du mich verlierst, so bist Du zugrunde gegangen.“132

Brentanos Briefe an Mereau schwanken stets zwischen überhöhtem

Selbstwertgefühl und tiefen Selbstzweifeln. Manchmal bringt er innerhalb eines einzigen Absatzes diesen Kontrast zum Ausdruck. Nur Mereau kann seine Erlösung sein, aber nur nach seinen Vorstellungen:

ich fühle, daß ich nicht wahr gegen Dich bin, wenn ich Dir verschweige, was mich allein durch Dich beglücken kann, ach und ohne Dich ist mir kein Glück. Lieben mußt Du mich, lieben, unendlich lieben, wie Du nie geliebt, stumm mußt Du werden, fühlen mußt du, was deine Zunge, nicht sprechen kann, alles mußt du um mich aufopfern können, ringen und streben mußt Du nach mir, wie ich nach Dir, Betinens Herz mußt du gewinnen, […].133

129 Brentano an Mereau, Anfang Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 134. 130 Vgl. Augart, Liebeskonzeption im Briefwechsel. S. 63. 131 Brentano an Mereau, etwa 8. Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 137. 132 Brentano an Mereau, etwa 8. Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 138. 133 Brentano an Mereau, etwa 8. Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 137.

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Von ruhiger Überlegtheit und der Akzeptanz ihrer Wünsche ist in diesem Brief vom 8.

Juni nicht mehr viel zu sehen. Brentano und Mereau hatten sich zu diesem Zeitpunkt mehrmals getroffen, doch Mereaus Verhalten entspricht nicht Brentanos Erwartungen.

Seine Liebe zu der Dichterin ist stark und er empfindet ihre abwartende Haltung als einen Affront. Wie sehr er leidet, bringt der Brief von Anfang Juni zum Ausdruck:

Ich bitte Dich um alles in der Welt, Sophie, wisse, was Du willst, und bedenke, daß alle Liebe ein Ende haben kann, denn man kann sich das Leben nehmen, wozu ich zwar keinen Lüsten habe, und eben deswegen, weil ich nicht sterben will, drum will ich auch nicht so jämmerlich leben.134

Dies ist das erste Mal, dass er die Möglichkeit von selbstverletzendem Verhalten ins

Gespräch einbringt, und auch wenn er klar macht, dass er keinen Suizid wünscht, spielt er doch mit dem Effekt, und mit dem erhöhten Leidensdruck, den er durch sie empfindet. Die Erwähnung von körperlicher Gewalt fällt in die Kategorie von hardball als Manipulationsstrategie – allein die Andeutung der Möglichkeit ist manipulativ.135

Dies kommt an anderer Stelle weitaus deutlicher zum Ausdruck. Es vermittelt hier auch das Bild eines mental labilen Menschen.

Dein Herz verstehe ich ganz, und ich will das meinige bald mit einem Messer strafen, wenn es Dir nicht bald deutlicher wird, o Du mein Herz, poche nicht so, ach Sophie ich bin krank, ich muß weinen, wie ein kleines Kind nach Dir, und da habe ich so ein verdammtes Zucken in den Nerven dabei, so brennend und taub, ich kann es nicht beschreiben.136

134 Brentano an Mereau, Anfang Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 133. 135 Vgl. Buss, „Manipulation in Close Relationships.“ S. 485. 136 Brentano an Mereau, Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 140.

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Das sich hier vermittelnde Bild soll Mitleid erzeugen – es zeigt einen Dichter, gebeutelt von Depression und Nervenleiden, dessen einziger Ausweg aus der Misere

Selbstverletzung sein kann. Welch Taktiker er eigentlich ist, wird nur im Vergleich zu anderen Briefen des Zeitraumes deutlich, in denen er gefasst von seiner Zeit in

Weimar berichtet. Keine Anzeichen von Dramatik, sondern in ruhigem Ton beschreibt er die Situation: „und mit der M(ereau) das Bett – noch nicht, aber täglich Herz und

Sopha [sic] theile […]137 Zudem schreibt er bereits am 24. Juni an seinen Freund

Savigny über die Liebe von Mereau und am selben Tag berichtet er seiner Schwester

Kunigunde:

Ich sage dir allso [sic] unter dem Siegel der Verschwiegenheit, die eine delikate Sache vor ihrer völligen Reife so sehr erfordert, Sophie liebt mich, und wird in einige Monaten meine Gattin sein.138

Während er also voll Zuversicht und Ruhe anderen von der gemeinsamen Zukunft mit

Mereau berichtet, erhöht er in der Kommunikation mit der Schriftstellerin den Druck.

Er ist immer noch unzufrieden mit ihrem Verhalten und verwendet auch direkte

Drohungen von körperlicher Gewalt gegenüber ihr und sich selbst: „ich schwöre Dir, wenn Du mir wieder sagst, ich liebe Dich nicht, so erwürge ich Dich und mich, denn ich sterbe ja dran, es vergiftet mich ja, ist das dann nicht die Liebe, die Du gibst

[…].“139 Die Explizität der Worte ist für Brentano ungewöhnlich und zeigt sein gesteigertes Bedürfnis, seine Forderungen erfüllt zu sehen.

137 Brentano an Friedrich Savigny, 3. oder 4. Juni 1803. Brentano, „Briefe III: 1803-1807.“ S. 100. 138 Brentano an Kunigunde Brentano um den 24. Juni 1803. Brentano, „Briefe III: 1803-1807.“ S. 121. 139 Brentano an Mereau, Juli 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel., S. 145.

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Tatsächlich geht es im Juli 1803 nicht nur um ein romantisches

Liebesgeständnis von Mereau, sondern auch um die Erfüllung einer körperlichen

Beziehung. Der Wunsch nach körperlicher Nähe drückt sich zunächst noch harmlos und etwas unschuldig im Wunsche nach einem Kuss aus:

Ich bin heute so reich an Friede und Liebe zu Ihnen gekommen, und so bettelarm haben Sie mich gehen lassen, nicht einmal Ihre Lippen haben Sie mir gegeben, Sie hätten mich nicht so sollen gehen lassen, denn gestehen Sie aufrichtig, woran soll ich glauben lernen, daß Sie noch lieben können, als daran, daß Sie küssen können.140

Dieser Vorwurf entsteht bereits am Anfang der Weimarer Korrespondenz und damit wird offensichtlich, was Brentano sich von dem Wiedersehen erhofft hatte. Im Verlauf der Wochen werden diese Forderungen ausgeweitet: „Sieh ich verlange ja nichts von

Dir, dessen Du Dich schämen müßtest, ich verlange, daß Du mein Weib seist, auf jedem Wege, den du willst.“141 Während diese Aussage ihre Wichtigkeit auch durch die spätere Forderung Brentanos, nur durch Eheschließung seine Frau werden zu können, ist es auch paradox, dass er in diesem Brief vom Juni 1803 eben doch eine gesellschaftlich verpönte Handlung von ihr einfordert. Ganz der romantische Dichter, versteht er, seinen Wunsch nach körperlicher Einigung mit Poesie zu umschreiben:

Ach Sophie! wenn Du wüßtest, wie ich nach Dir dürste. Sieh, ich wünschte, Du wärest ein Quell, ich würde mich Dir in den Weg legen, und würdest über mich hinschwellen, da würde ich in der Kühlung ertrinken, und Du würdest nicht vermindert durch mich, und kenntest mich nicht, und flössest Deiner Wege, mir, mir, dem armen glühenden Herzen, wäre dann holfen. Liebe Seele, lieber Leib, liebe Sophie, […] glaube nicht, daß ich frech sei, ich habe, was Du vielleicht vergessen

140 Brentano an Mereau, Anfang Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 132. 141 Brentano an Mereau, Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 140.

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hast, nur viermal von solchen Dingen mit Dir geredet, und nie war es mein Wille, die Natur hat es immer gewollt […]142

Während Mereau, wie bereits besprochen, sich den Moralvorstellungen durch ihre gesellschaftliche Stellung und ein selbstbewusstes Auftreten oftmals entzog, war eine uneheliche Beziehung für eine Frau dennoch etwas, was wohlüberlegt sein musste.

Eine Affäre erregte in den Kleinstädten Jena und Weimar, vor allem in den sozialen

Kreisen von Sophie Mereau immer Aufregung. Auch wenn Brentano und Mereau versuchten ihren Kontakt diskret zu halten: „ich warte bis es dämmert, dann komme ich, und sehe ob Du Licht hast.“143 Zudem mussten die Frauen generell Konsequenzen wie Krankheiten und Schwangerschaft bedenken. Auf den ersten Blick zeigt sich

Brentano dann im weiteren Verlaufe der Briefe verständnisvoll, dass sie seinem

Wunsch nach Intimität nicht völlig nachkommen kann.

Mache den Bund mit mir, etwas sparsamer in unsren jetzigen Liebkosungen zu sein, sie haben kein End, sie haben keine Sättigung und doch alle das Zerstörende des Heißhungers, den Mann vernichtet so etwas mehr als der völlige Genuß, denn er ist die gehemmte Tätigkeit, doch, liebes Kind, muß dies Entsagen einen Ersatz haben, sonst werde ich gar betrübt, lasse mich Dich liebevoller, ruhiger, aufmerksamer, anhänglicher an mich sehen, und schminke Dich nicht mehr, doch wir wollen das Gott überlassen. Vertrau mir, vertrau Gott, sei ein Kind, aber ohne falsche Wangen, ich will Dich mit meinen Augen schminken, in meinem Herzen sollst Du jung sein, so fliehe dann die andern, sie sehn Dich verblüht und verwelkt.144

Dieser Absatz ist jedoch aus psychologischer Sicht an mehreren Stellen problematisch.

Zum einen wird hier die Verantwortung für seine Begierde völlig auf die Frau

übertragen. Ihr Verhalten und letztendlich ihre Entsagung, die ihm keine Erfüllung

142 Brentano an Mereau, Juni 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 139. 143 Brentano an Mereau, Juli 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 144. 144 Brentano an Mereau, Juli 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 146-147.

63 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 versprechen, lösen sein Leiden aus. Die Strategie reciprocity (-reward) wird eigentlich angewendet, indem der Manipulator dem oder der Betroffenen verspricht, einen

Gefallen zu tun, wenn die Handlung vollzogen wird.145 Brentano schafft es hier durch reverse psychology, seine Entsagung als Gefallen darzustellen und sie dazu zu bringen, ihm ihre völlige Aufmerksamkeit und Hingabe zu schenken und sich nicht mehr zu schminken. Der Verweis auf den Verzicht von jeglichem Schmuck wird noch durch eine Beleidigung verstärkt, anstatt sie durch charm von ihrer natürlichen

Schönheit zu überzeugen.

Doch schließlich Mitte Juli erhält Brentano sein langersehntes

Liebesgeständnis von Mereau. Leider ist auch dieser Brief von ihr nicht erhalten geblieben, und wir können nur Brentanos Reaktion darauf lesen:

Ja, es ist wahr, es ist möglich, Du liebst mich (in diesem Augenblick erhalte ich Dein eignes Geständnis). Gott! welche Begegnung! Du antwortest mir, ehe ich Dich anredete, es ist das erstemal, es ist Gott gelungen, Du bist in die Ordnung eingegangen, Du liebst mich, wie ich und Betine lieben.146

Nach Erhalt von Mereaus Brief ändert sich Brentanos Stil augenscheinlich. Von den sieben Briefen, die der Dichter danach noch in Weimar verfasst, sind zwei reine

Gedichtbriefe, in denen er ihre Liebe beschreibt. Die anderen fünf sind deutlich kürzer und beschäftigen sich nun auch mit der Organisation ihrer Treffen und seines

Tagesablaufs: „Liebes, gütiges Weib, ich will heute zu Oberweimar essen, ich habe es dem Pfarrer schon so lange versprochen, und er hat mich heute nun zum dritten Male

145 Buss, „Manipulation in Close Relationships.“ S. 485. 146 Brentano an Mereau, Juli 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 148.

64 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 gebeten […].“147 Auch seine Anrede ist liebevoll. Der Ton ist sanft und freundlich und von seiner drängenden, leidenden Art ist nichts mehr zu spüren. Selbst zentrale

Themen, die in den weiteren Monaten zu großen Konfliktpunkten werden, werden ruhig und sachlich von ihm behandelt: „Ich werde ihr heute schreiben, daß Du mein

Weib nicht wirst, daß wir Freunde sein wollen, wie glücklich wird sie dadurch wieder werden.“148 Die Frau, an die Brentano diese Mitteilung senden will, ist seine

Schwester Bettine, die der Beziehung ihres Bruders zu Mereau stets kritisch gegenüber gestanden hat: „Betine hasst die Dichterinn.“149 Auch dies zeugt von

Brentanos verschobener Realität. Zudem war ihm bewusst, dass ein uneheliches intimes Verhältnis gesellschaftlich zumindest fraglich war.150

Doch die Ruhe, die in seinen Worten nun zu lesen ist, zeugt von einem stets wiederkehrenden Muster in Brentanos Korrespondenz. Finden sich seine manisch- depressiven Züge oft in ein und denselben Briefen oder auch in einem Absatz, folgen die Briefe an sich in einem spezifischen Zeitraum oft demselben Zyklus – von

Rationalität über Liebesschmerz und Trostlosigkeit zu Freude und Gelassenheit. In

Weimar versucht Brentano zunächst mit subversiveren Methoden, wie charm, responsibility invocation, und reason, Mereau von sich zu überzeugen, doch wird er

147 Brentano an Mereau, Juli 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 149. 148 Brentano an Mereau, 5. August 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 150. 149 Brentano an Friedrich Savigny, Anfang bis Mitte April 1803. Brentano, „Briefe III: 1803-1807.“ S. 65. 150 Brentano schreibt an Savigny von einem „keuschen Umgang“ mit Mereau, wohlwissentlich, dass die konservative Frankfurter Familie mit dem eigentlichen Verhältnis nicht einverstanden wäre. Trotz dieser diplomatischen Wortwahl löst die Nachricht von der erneuten Verbindung mit Mereau einen Aufschrei aus, wie im nächsten Abschnitt noch ausführlicher behandelt wird. Brentano an Friedrich Savigny, Anfang August 1803. Brentano, „Briefe III: 1803-1807.“ S. 128.

65 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 schon nach kurzer Zeit ungeduldiger und emotionaler und drückt dies dann in offensichtlich schädigenden Manipulationsstrategien wie coercion und hardball aus.

Da Mereau Brentanos Verlangen nach Liebe und einer körperlichen Nähe zunächst nicht nachgibt, erhöht er den verbalen Druck auf sie, um seinen Wunsch erfüllt zu sehen. Erst nachdem ihm die Liebe Mereaus sicher ist, folgt eine kurze Phase der

Euphorie, in der er positiver und ruhiger ist. Dies hält jedoch nur an, bis ein neuer

Wunsch in ihm entsteht: Mereau soll seine Frau werden. Noch offensichtlicher wird dieses Verhaltensmuster im Briefwechsel der Ehejahre von 1804-1806 sichtbar, welcher im Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt werden kann. Die unrealistisch hohen Forderungen, die Brentano an seine Partnerin stellt, treten dort deutlich zu

Tage, denn die lang ersehnte glückselige Zweisamkeit tritt nicht ein. Das Muster seiner Manipulationsstrategien setzt sich fort, um Mereaus Verhaltensweisen seinen

Wünschen anzupassen. Brentano hatte an alle seine Mitmenschen eine sehr überhöhte

Erwartungshaltung, welche auch in den Korrespondenzen mit Achim von Arnim,

Savigny und seinen Schwestern deutlich wird.151 Es ist jedoch offensichtlich, dass sein

Streben nach Glück zu Lasten seiner Mitmenschen stets unerfüllt bleiben muss. Das

Thema der Ehe wird im nächsten Zeitraum in aller Ausführlichkeit behandelt werden.

151 Vgl. Gisela Lermann, Clemens Brentanos Selbstverständnis als Briefschreiber, Lang, 1988. S. 32.

66 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Zeitraum III – Brentanos Aufenthalt in Marburg und Frankfurt von September 1803 bis Mereaus Umzug im November 1803

Allgemeine Forderungen und Zustand von Brentano

Im August verlassen Mereau und Brentano Weimar mit unterschiedlichem

Ziel. Mereau reist mit ihrer Freundin Charlotte von Ahlefeld am 22.08.1803 nach

Dresden, während Brentano wenige Tage später wieder nach Marburg zurückkehrt.

Bei ihrem Abschied voneinander waren sie sich einig: Mereau wird nach Marburg ziehen, und sie werden ihre intime Beziehung ohne die damals übliche Eheschließung fortsetzen. Alles scheint zwischen den beiden Geliebten geregelt, und schon am Tag ihrer Trennung schreibt die verliebte Mereau zärtliche, poetische Briefe an ihr

„Liebchen“152. Doch die gute Stimmung hält nicht an. Brentano erhält Mereaus Briefe erst Mitte September und der Dichter fühlt sich in Marburg alleingelassen. Er schreibt leidenschaftliche und fordernde Briefe, in denen es ihm vor allem um zwei Themen geht: Mereaus Umzug in eine gemeinsame Wohnung in Marburg und damit einhergehend die Heirat. Doch zunächst einmal will Brentano Mereau davon

überzeugen, ihre Abreise aus Weimar nicht zu verzögern. Er drängt auf ihr Kommen und verwendet dafür verschiedene Strategien nach Buss wie responsibilty invocation, coercion und hardball an. Vor allem aber offenbaren die Briefe von August bis

November 1803 auch seine seelische Instabilität und das Ungleichgewicht, welches in der Beziehung vorherrscht. Er nutzt beides sehr geschickt für seine Manipulationen.

152 Mereau an Brentano, 30. August 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 163.

67 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Auch viele Missverständnisse prägen die Korrespondenz in dieser Zeit.

Probleme in der Postzustellung führen dazu, dass Briefe erst sehr verspätet – einige wenige vermutlich gar nicht – ankommen. Hinzu kommt Brentanos Praktik, ohne eine

Antwort von Mereau täglich seitenlange Briefe zu verfassen. Es erfordert eine sehr genaue Analyse der Quellen, um festzustellen auf welchen Brief die oder der

Schreibende gerade antwortet. Oft schreiben sie aneinander vorbei.153 Dabei ist das in das Postwesen des frühen 19. Jahrhunderts gesetzte Vertrauen zu bemerken, welches wie in Kapitel 3 erläutert zwar zuverlässig, aber dennoch nicht fehlerfrei war. Doch die Briefeschreibenden sind aufrichtig empört, dass ihre Schriftstücke nicht ankommen: “Von Sinnen aber möchte ich kommen, daß Du meine Briefe nicht erhalten hast. Schreibst du mir Montag nicht, daß sie angekommen sind, so ergreife ich andre Maßregeln.“154 Unregelmäßigkeiten in der Zustellung werden oft nicht einmal in Betracht gezogen. Erhält Brentano keine Antwort von Mereau, kann es nur daran liegen, dass die Partnerin nicht die Zeit für einen Brief hatte: „Du hast mir nicht geschrieben, das erbittert mich nicht, aber es kränkt mich tief, doch Du verdienst nicht, daß ich Dir sage, wie es mich schmerzt, von mir erhältst Du keine Zeile, ehe Du schreibst.“155 Natürlich schreibt Brentano dennoch, aber die Androhung des silent

153 Ein Beispiel ist Mereaus Bitte, ihr Vorschläge für „einen wohllautenden, spanischen, dreisilbigen, weiblichen Namen“ [14. September 2803] zu schicken, dem Brentano am 22. September nachkommt. Da Mereau diesen Brief am 24. September noch nicht erhalten hat, wiederholt sie ihre Bitte, woraufhin Brentano am 2. Oktober irritiert antwortet: „Wegen der spanischen Namen sage ich dir Dir [… ] habe ich Dir ich glaube in meinem letzten Brief schon verschiedene derselben geschrieben […]“. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 231. 154 Mereau an Brentano, 24. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 220. 155 Brentano an Mereau, 20. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 213.

68 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 treatment156 – das Stillschweigen herrscht solange bis die Partnerin ihm schreibt – ist eine von vielen Manipulationsstrategien nach Buss, die in diesem Zeitraum angewendet werden.

Hinsichtlich der Menge der Briefe ist erkennbar, dass Brentano wie gewohnt viel und oft schreibt. Mereau verfasst im Zeitraum von August bis November 1803 15

Briefe, von denen die meisten drei Seiten Länge nicht überschreiten. Dem entgegengesetzt kommen 23 Briefe von Brentano, von denen einige die Länge einer

Kurzgeschichte aufweisen: 12 ½ Seiten umfasst der längste Brief im Nachdruck. Dass

Brentano oft lange und eindringliche Briefe schreibt, war bereits Kennzeichen der vorherigen Zeiträume, doch die Briefe, die in dieser Zeit zwischen Weimar und

Marburg hin- und hergehen, unterscheiden sich von der vorherigen Korrespondenz.157

Sie sind offener, liebevoller, poetischer und in Teilen auch dramatischer, wobei sie gleichzeitig auch viele Formalitäten wie die Organisation des Umzuges enthalten. Der

Briefwechsel in diesem Zeitraum bietet einen Einblick in die Emotionen und das

Liebesverständnis der beiden Schreibenden, und ihr romantischer Stil kommt oft zum

Vorschein.

Der Ausdruck und die Versicherung ihrer gegenseitigen Liebe sind zentral. Er schreibt, dass er nicht mehr dichten kann, und war doch selten so poetisch:

O Du Kanarienvogel, Du Zuckerblume, Du Honigkuchen, Du Bienenkorb, in dem alle Bienen Bübchen, Du Garten, in dem alle Blumen Mädchen, Du Blumen, in denen alle Süßigkeit, Süßigkeit, das heißt Küsse sind, das wird mir ein Wachs des Lebens, eine Kerze der

156 Vgl. Buss, „Manipulation in Close Relationships.“ S. 484. 157 Viele Forschende bezeichnen sie als die schönsten Briefe von Brentano. Vgl. Augart, Liebeskonzeption im Briefwechsel. S. 177.

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Andacht, eine Andacht des Feuers, ein Feuer des Himmels, ein Himmel der Liebe, eine Liebe des Clemens und der Sophie werden.158

Doch von den Liebesgeständnissen abgesehen, waren Brentanos Briefe auch selten so direkt fordernd, und um seine zwei zentralen Anliegen – Umzug und Hochzeit – erfüllt zu sehen, wendet er bis auf den ersten Brief am 1. September kaum Charm an.

In diesem ersten Brief aus Marburg, der als einziger in dem Zeitraum nicht von

Heirat spricht, findet sich die Aufforderung, Mereau möge schnell zu ihm kommen, in unterschiedlicher Wortwahl fünf Mal. Gerade dieser erste Brief vom 1. September unterscheidet sich sehr vom Briefwechsel dieses Zeitraumes. Zwar wünscht sich

Brentano Mereaus schnelle Ankunft, doch er scheint beflügelt von der gemeinsamen

Zeit in Weimar. „Nichts betrübt, nichts stört“159 ihn, er schreibt ruhig und charmant an sein „liebes vertrautes Herz“160; und er dichtet und gelobt Besserung seines

Verhaltens: „O Sophie, wie werden wir glücklich sein in unserer Liebe, da ich Dich nun auch achte, und ehre […].“161 Der Brief und dieses Geständnis sind für Brentano ein Ausdruck seiner ergreifenden Liebe, doch gerade dieses Zitat am Anfang des

Briefes steht exemplarisch für seine zur Kontrolle neigende Persönlichkeit.

Wieder einmal verspricht er eine Verhaltensänderung, was, wie bereits im vorherigen Kapitel erläutert, ein wichtiges Kennzeichen von Manipulanten ist.

Brentano erzeugt hier den Eindruck, dass es ihm vorher nicht bewusst war, wie verletzend sein Verhalten war. Er gelobt Besserung:

158 Brentano an Mereau, 1./2. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 226. 159 Brentano an Mereau, 1. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 163-164. 160 Brentano an Mereau, 1. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 163. 161 Brentano an Mereau, 1. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 163.

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[…] nehmlich [sic] wisse, daß ich in Weimar gar nicht liebenswürdig war, daß ich, wenn ich zurück denke, mich sehr schlecht fühle, jetzt hier in diesem Moment bin ich so lieb, so gut, und ich schwöre Dir, dieser Moment ist ewig hier […].162

Die Manipulationsversuche der vorherigen Briefe Brentanos rechtfertigen diese

Entschuldigung, und seine empfundene Reue ist ungewöhnlich gefasst für Brentanos sonst eher emotionalen Stil. Doch der „ewige Moment“ ist bereits im nächsten Brief am Tag danach wieder vorbei. Brentanos Stimmung und damit sein Ausdruck haben sich radikal geändert.

Während der Brief vom 1. September durch seine Liebenswürdigkeiten hervorsticht, so hebt sich der vierte Brief vom 4. September durch seine extreme

Niedergeschlagenheit und aufkeimenden Forderungen hervor. Dieser Wechsel von

überschwänglichem Lob zu niedermachendem Tadel und wieder reumütigem

Verhalten schafft eine unvorhersehbare und unbeständige Atmosphäre, die die perfekte Grundlage für eine Manipulation bildet. Dr. Harriet Braiker erklärt das folgendermaßen:

[...] the borderline may think of [his] lover or partner as the most wonderful person [he] has ever met. But this attitude can shift drastically to one of devaluation and even contempt triggered by a disappointment that somehow proves to the borderline that the partner does not care enough about [him] or understand what [he] needs. This sudden precipitous shift catches the mark off balance and makes [her] vulnerable to manipulation.163

Braiker spricht hier von einer Person, die an Borderline leidet, einer

Persönlichkeitsstörung, die gut Brentanos unausgeglichenes und unberechenbares

162 Brentano an Mereau, 1. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 166. 163 Braiker, Strings. S. 89.

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Verhalten erklären könnte. Brentanos Briefe wechseln von gelebter Glücklichkeit – in der er Mereau mit Komplimenten überschüttet – zu impulsiver Betrübnis, in der er beleidigt und fordert. Dazwischen liegen meist nur Tage, manchmal auch nur

Abschnitte im gleichen Brief. Dies ist auch für Mereau schwer nachzuvollziehen:

Da ich törichterweise Deine letzte Stimmung für gediegner [sic] hielt, als sie war, so war mir Deine jetzige Unzufriedenheit befremdlich, ja, ich empfand auf Augenblick jenes grauenvolle Zurückbeben vor Dir, was ich sonst zuweilen gefürchtet habe.164

Doch sie sieht sich auch, als die Einzige, die „die Gespenster“165 vertreiben kann und manchmal, wenn Brentanos Worte ruhiger werden, kommt sein psychischer Zustand zum Vorschein:

Du kannst nicht glauben, wie melancholisch mir zu Mute ist, Nichts betrübt mich, Nichts erfreut mich, ich finde mich in der drückendsten Einsamkeit, wenn ich gleich mancherlei gute und auch einige vortreffliche Leute sehe, aber ich sehne mich die Welt zu verlassen […]166

Brentanos Worte sind Ausdruck einer Depression, doch die Lösung für diese Gefühle sucht er nicht in sich, sondern allein in seiner Liebe zu Mereau. Sie soll ihm dabei helfen, die Melancholie, die Unausgeglichenheit hinter sich zu lassen.167 Mereau nimmt die Verantwortung, die Brentano auf sie überträgt, nicht nur an, sie definiert sich auch dadurch: „Doch was Du auch der Welt gelten magst, ich allein kenne Dich anders, ich allein verstehe Deinen Wert!“168 Es kann als Teil ihrer

164 Mereau an Brentano, 6. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 183. 165 Mereau an Brentano, 6. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 183. 166 Brentano an Mereau, 9. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 188. 167 Dies wird vor allem bei der folgenden Analyse von Brentanos Argumentation für den Umzug und die Ehe sichtbar werden. 168 Mereau an Brentano, 21. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 210.

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Bewältigungsstrategie aufgefasst werden, dass sie sich mit den überzogenen

Forderungen Brentanos arrangiert. Ohne ihre Nachsicht kann selbst die briefliche

Beziehung kaum funktionieren. Nachdem sie seine impulsiven Briefe von Anfang

September erhalten hat, versucht sie ihn zu beschwichtigen:

Ja, Clemens, es ist nicht möglich, […] daß dieser Mißmut wirklich in dir sein kann […]. Glaube mir, Lieber, es ist Krankheit, ich beschwöre Dich, frage einen Arzt, lerne pflügen und holzsägen wenn es sein muß, Du bist wirklich krank, ein gesunder kann in Deiner Lage nicht so fühlen.169

Ihre Beruhigung basiert auf der pragmatischen Argumentation, dass er in seiner Position nicht derart unglücklich sein kann. Um diese selbstzerstörerischen Gefühle zu überkommen, empfiehlt sie ihm ärztlichen

Rat und körperliche Ertüchtigung. Ratschläge, die zunächst auf wenig

Resonanz in Brentano stoßen. Erst als er nach Frankfurt zu seiner Familie fährt und nicht mehr allein in Marburg weilt, wirken seine Briefe ruhiger.

Doch bis er Mitte September die Reise antritt, schreibt Brentano fast täglich seitenlange Briefe an seine Geliebte, in denen er eindringlich fordert, dass sie bald kommen möge. Brentano ist nicht gut in der Marburger Gesellschaft integriert und lediglich sein Mitbewohner Friedrich Savigny bietet ihm Ablenkung – doch auch dieses Verhältnis scheint gestört zu sein:

Morgen sind es nun acht Tage, daß ich hier bin, und ich bin schon wieder betrübt; es ist die unendliche Einsamkeit, die es tut, und eben diese Einsamkeit wird durch Savigny hervorgebracht, der sich sogar nicht mitteilt, alles hört er mit großer Liebe an, eine unendlich treuen,

169 Mereau an Brentano, 6. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 184.

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reinen Teilnahme, aber von ihm enthält man nichts, keinem Menschen gehört er an.170

Da dies eine abrupte Veränderung von Brentanos Gefühlen gegenüber seinem Freund ist, äußert sich Mereau irritiert über diesen Meinungswechsel, und scheint damit

Brentanos Charakter gut einzuschätzen:171 „Was Du mir von Deinen jetzigen Gefühlen für Savigny schreibst, betrübt mich. Ach! haben nur die Abwesenden das Recht, Dir zu gefallen, von Dir vergöttert zu werden?“172 Doch die empfundene Unzufriedenheit gegenüber seinem Mitbewohner passt auch verdächtig gut in Brentanos längerfristig angelegtes Projekt, mit Mereau zusammen in eine Wohnung zu ziehen, worauf ich im

Verlauf dieses Kapitels noch genauer eingehen werde.

Brentanos Einsamkeit und die empfundene Schreibblockade durch

Liebeskummer eröffnen ihm mehr Zeit zum Briefeschreiben. Mereau hingegen befindet sich Anfang September noch auf der Rückreise von Dresden und ist nach ihrer Rückkehr durch berufliche und familiäre Pflichten sehr eingebunden. Außerdem ist sie ein wichtiger Teil des Weimarer Kreises – sie ist beliebt und wird oft zu

Gesellschaften eingeladen. Zudem pflegt sie ihren Austausch mit intellektuellen

Größen wie Friedrich Schiller. Insbesondere diese vielfältigen sozialen Kontakte offenbaren Brentanos eifersüchtigen Charakter:

Ich bin sehr betrübt, daß ich keine Briefe mehr von Dir erhalten habe, wenn Du wüßtest, wie ich unendlich einsam hier sitze, so gar keine Ruhe, keinen Trost ohne Dich habe, Du wendetest manche Stunde, die Du mit gleichgültigen Menschen, mit Menschen, die, liebten sie Dich

170 Brentano an Mereau, Anfang September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 167. 171 Brentano wird in der Ehe mit Mereau eine ähnliche Unzufriedenheit mit ihr gegenüber Achim von Arnim ausdrücken. Mereaus Wahrnehmung scheint daher sehr genau beobachtet zu sein. 172 Mereau an Brentano, 13. September. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 201.

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auch, Dich doch nie so lieben könnten, wie ich, verplauderst, dazu an, mich mit freundlichen Worten zu erquicken […].173

Zum wiederholten Male bezeichnet er ihre sozialen Kontakte als gleichgültig. Von seinem Standpunkt aus ist alles unwillkommen, was Mereaus volle Aufmerksamkeit von ihm ablenkt – seien es berühmte Persönlichkeiten, Bekanntschaften oder ihre eigenen schriftstellerischen Erfolge. Nur er soll der Mittelpunkt ihres Lebens sein:

„[…] aber schreibe mir mein Engel, sieh ich lebe nur durch Dich, ich habe keinen

Schiller, der mich besucht, keine Darstellung meiner Schauspiele, nichts habe ich, als

Dich und meine Liebe.“174 Doch seine Bitten bleiben ohne Konsequenz. Mereau schreibt stets weniger häufig und auch kürzer und nach Brentanos Einschätzung auch oft nicht liebevoll genug.

Auf solche Vernachlässigung reagiert er gereizt und er drückt dieses

Unverständnis ungewöhnlich hart durch eine Herabsetzung ihres Charakters aus:

[…] Du warst ein artiges Weib, aber kein vortreffliches Weib, und mußtest es doch eigentlich sein. Daß ich Recht habe, kann Dir leicht daraus begrifflich werden, daß Dir auf Erden noch Nichts gelungen ist, keine Liebe, keine Freundschaft, keine Mütterlichkeit, keine Kunst, keine Andacht.175

Dieses allumfassende, vernichtende Urteil über Mereau ist eine der wenigen sehr expliziten Verletzungen, die Brentano direkt an seine Freundin schreibt.176 Mereau scheint auf diese Ansage in ihren Antworten nicht weiter einzugehen. Es ist anzunehmen, dass sie Brentanos Äußerung als gezielte Stichelei erkennt, die er von

173 Brentano an Mereau, 9.September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 191-192. 174 Brentano an Mereau, 22. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 219. 175 Brentano an Mereau, 9. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 191. 176 In Kapitel IV wurde bereits erörtert, dass sich Brentano gegenüber seinem Freund Achim von Arnim oftmals harsch und lieblos über Mereau äußert.

75 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 sich gibt, um eine Antwort von ihr zu provozieren. Es ist eine ihrer zentralen

Bewältigungsstrategien, dass sie bestimmte Aussagen ihres Partners einfach ignoriert.

Doch abgesehen wie Mereau mit diesem Manipulationsversuch umgeht, zeigt die

Beleidigung gut, wie Manipulation in einer Beziehung entstehen kann. Damit ein

Partner Kontrolle über seine Partnerin ausüben kann, muss ein Ungleichgewicht in der

Beziehung entstehen:

[...] manipulators believe that there are only two roles in relationships – you are either manipulated (the victim), or you are the manipulator (in their view, the one in power and control). [...] They cannot envision participating in a relationship between equals.177

Eine gleichberechtigte Beziehung macht Manipulation unmöglich. Dabei geht es entweder darum, dass sich der Partner in eine erhöhte Position bringt, von der er

Druck ausüben kann, wie zum Beispiel bei coercion, reason und hardball der Fall, oder dass er sich absichtlich in eine Abhängigkeitssituation begibt, von der er unter anderem durch Schuldgefühle Kontrolle aufbauen kann (zum Beispiel bei regression und debasement.)

Im Briefwechsel zwischen Mereau und Brentano tendiert der Dichter oftmals dazu sich als Lehrer und Retter von Mereau zu stilisieren:

Bedenke Dein Leben, wer hat Dich zu verderben versucht, wessen Freundschaft hat Dir und Deiner Kunst so manichfach [sic] geschadet? die Welt und ihr Umgang mit Dir; liebes Weib, wenn Du die eigentliche innere Einfachheit meines Herzens begreifen wolltest, Du würdest sehr glücklich mit mir sein […].178

177 Braiker, Strings. S. 62. 178 Brentano an Mereau, 18. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 259.

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Er betont auch gegenüber seinen Freunden Savigny und Achim von Arnim oft wie sehr Mereau durch die Beziehung mit ihm profitieren würde und welch ein

Heilbringer er wäre: „[…] noch vieles drükt [sic] mein armes, armes Herz! ach dies

Weib wird durch mich noch zur Heiligen, oder ich durch Sie zum Martyrer [sic].“179

Ihr Verhalten empfindet Brentano oft als tadelwürdig, doch durch die innige Liebe zu ihm – und durch seine Erziehung und Belehrung – wird Mereau ihr Glück finden können. Ihr eigenes, rationales Denken ist dabei nebensächlich, und öfter betont er ihre intellektuellen Mängel: „wenn Du dies Alles unverständig nennen kannst, so bist

Du unverständig und verstehst weder mich noch irgend Etwas [sic] auf der Welt.“180

Von seinem reumütigen Geständnis von Anfang September ist in diesem Brief vom

18. Oktober nichts mehr zu merken. Zu oft hat Mereau ihn zu dem Zeitpunkt enttäuscht. Sie hat zu wenig geschrieben und ist nicht auf seine Wünsche eingegangen.

Brentano kann Mereaus unabhängige Lebensweise und ihre eigenständigen

Entscheidungen nicht akzeptieren, was ein klassisches Verhalten eines Manipulators ist:

They simply cannot imagine their role in a mutually independent relationship in which there is balanced decision making and shared control and in which the rights of both parties to make critical decisions about their own lives are acknowledged and respected by both participants.181

Insbesondere ihre Städtereise nach Dresden, die seinen Wünschen entgegenstand, empfindet er als einen persönlichen Angriff gegen ihn:

179 Brentano an Savigny, 7. oder 8. Juni 1803. Brentano, „Briefe III: 1803-1807.“ S. 105. 180 Brentano an Mereau, 12. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 259. 181 Braiker, Strings. S. 62-63.

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Dies Alles habe ich nun von Deiner unseligen Reise nach Dresden. Gott weiß, was noch mehr aus ihr für mich entstehen mag, indes Du Dich amüsirst, verzweifle ich, mein Widerwill gegen sie war gerecht, […] o Sophie, warum glaubst Du nicht an mich, warum hast Du einen eignen Willen?182

In Brentanos Augen benötigt seine Partnerin keine eigene Willenskraft mehr, da es ihre einzige „hohe Bestimmung auf Erden [sei, ihn] ruhig und glücklich zu machen“183. Daher scheint es für ihn auch völlig legitim, dass er darüber entscheiden darf, wie Mereau sich kleidet oder wie sie sich verhält: „Gelt liebes Kind Du reitest nicht mehr, Du schminkst Dich nie wieder, mich lieben, mich beglücken, das soll

Deine einzige Lust sein.“184

Diese Einflussnahme auf das Verhalten der Partnerin entspricht in erster Linie den damaligen patriarchischen Gesellschaftsmustern, in denen der gesetzliche

Vormund wie Vater oder Ehemann alle Entscheidungsgewalt über die Handlungen ihrer weiblichen ‚Schützlinge‘ hat. Daher lässt sich auch argumentieren, dass Mereau und Brentano aufgrund der Geschlechterungleichheit der damaligen Zeit nie ebenbürtige Partner:innen sein konnten. Doch Brentanos Erwartungen übersteigen die damals üblichen Geschlechterrollen. Denn abgesehen von Brentanos Retter-Fantasien stilisiert er vor allem seine Abhängigkeit zu Mereau:

Wie ein Kind verspricht er ihr buchstäblich das Paradies auf Erden – doch wie ein tyrannisches Kind verlangt er auch alles von ihr. Alles, was ihm für sein Leben je fehlte, soll sie ihm geben: Geborgenheit, ein geordnetes häusliches Dasein, Ansporn zur Tätigkeit, innere Ruhe, Inspiration zur Dichtung, Neubeginn.185

182 Brentano an Mereau, 10. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 197. 183 Brentano an Mereau, Anfang September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 169. 184 Brentano an Mereau, Anfang September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 171. 185 Brentano & Mereau, Einleitung, Briefwechsel. S. 48.

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Brentano positioniert Mereau ist in eine angebliche Machtposition. In dieser ist es ihm möglich Buss‘ Manipulationsstrategie responsibilty invocation anzuwenden.186 Er

überträgt die Verantwortung für sein Wohlergehen vollständig auf Mereau und dementsprechend wäre sie auch für sein Scheitern verantwortlich: „[…] ich fühle, ich gehe zu Grund ohne die ewige Nähe eines treuen mich allein innig liebenden

Wesens.“187 Er macht sich selbst zu einer Verpflichtung, der sie nachkommen muss und appelliert immer wieder an ihre Vernunft und die zu erwartende Enttäuschung, falls sie nicht nach seinem Willen handeln würde.

Dass Brentanos Leiden nur durch Mereaus Liebe und Anwesenheit geheilt werden kann, geht einher mit einer sehr übersteigerten Erwartungshaltung was ihre zukünftige Beziehung angeht. Brentano stellt sich eine Welt vor, in der alles ideal und harmonisch ist, sobald das Paar nur zusammen ist: „Du wirst das reichste, glücklichste, mächtigste Weib auf Erden sein, denn Du wirst Alles vergessen über meiner Liebe, die das erfreulichste auf Erden wird, Du wirst mich glücklich machen

[…]“188 Es sind viele Versprechungen, die er hier macht, die alle darauf fußen, dass

Mereau ihre Selbstständigkeit aufgibt und sich ihm vollständig widmet. Verhält sich

Mereau so wie gewünscht, so ist sie für Brentano eine Gottheit: „Ich bin Christ geworden, und ich will nur einem Gott dienen, Dich nur will ich lieben, beten, dichten,

Dich nur will ich verlangen, umfangen, erlangen.“189

186 Vgl. Buss, „Manipulation in Close Relationships,“ S. 484. 187 Brentano an Mereau, 3. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 172. 188 Brentano an Mereau, 22. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 215. 189 Brentano an Mereau, 9. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 191.

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Mereau steht dieser Idealisierung verständlicherweise kritisch gegenüber. Es ist ihr bewusst, dass Brentanos überhöhte Erwartungen unerfüllbar sind. Sie versteht, dass er idealisiert und antwortet mit Witz:

[…] daß Manche, die Du oft ganz überirrdisch [sic] schildertest, in der Nähe betrachtet, außer ein wenig Augenglanz und weißer Haut, auch nicht den mindesten Anspruch von Göttlichkeit machen konnte.190

Doch Brentano hat keine Zweifel, dass Mereau dem Bild, was er von ihr geschaffen hat, entsprechen wird. Er erhöht den Druck durch coercion: „[…] wäre es möglich, daß Du nicht ein solcher Engel wärst, wie ich Dich fühle, so wäre und bleibt es doch unmöglich, daß Du es nicht werden würdest durch meine Liebe Werk.“191 Die

Überzeugung, dass ihre Liebe alles überkommen kann, ist eine Auffassung, die

Mereau mit Brentano teilt. Doch Brentanos Verständnis der romantischen Liebe geht

über das von Mereau hinaus:

Ich fühle täglich deutlicher, daß ich nur im fantastischsten, Romantischsten Leben Ruhe finden kann, Du mußt mir dazu helfen, Du mußt mir dieses Leben erfinden helfen, sonst muss ich sterben.192

Diese Drohung – wenn auch einbettet in romantischem Ausdruck – ist hardball: eine

Androhung von körperlicher Gewalt, falls dem Wunsch nicht stattgegeben wird.193

Doch die Bestrafung bezieht er nicht nur auf sich selbst, sondern sie beinhaltet auch

Mereau:

o Sophie komme bald, ich bin sehr unglücklich ohne Dich, ich will kein Bestreben auf Erden mehr haben, als durch Dich glücklich sein. Schreibe mir doch gleich, o wo magst Du nun sein, wo magst du mich vergessen haben, Sophie wenn du mich vergißt, so gibst Du

190 Mereau an Brentano, 24. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 220. 191 Brentano an Mereau, 1. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 164. 192 Brentano an Mereau, 3. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 173. 193 Vgl. Buss, „Manipulation in Close Relationships,“ S. 484.

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Veranlassung zu einer schrecklichen Geschichte, die Du nicht überleben wirst […]194

Die Wohnung in Marburg

Auch wenn Brentanos Briefe im Verlauf der Herbstmonate an Impulsivität verlieren, sind zwei Themen nach wie vor so zentral, dass Brentano auch trotz der familiären Ablenkung in Frankfurt alles daransetzt, Mereau davon zu überzeugen: Das

Zusammenziehen und ihre Hochzeit. Bei beiden wendet er verschiede

Manipulationsstrategien und gezielte Argumentationen an, um sie umzustimmen.

Hinsichtlich der Wohnsituation ist es zunächst ersichtlich, dass die beiden

Liebenden während ihrer Zeit in Weimar sich darauf verständigt hatten, dass Mereau ihren Lebensmittelpunkt nach Marburg verlegt. Mereaus Zusage zum Umzug, um die größere geografische Entfernung zwischen Weimar und Marburg zu überwinden, empfindet Brentano als einen wichtigen Liebesbeweis. So schreibt er seinem Freund von Arnim: „in einigen Tagen gehe ich nach Marburg zurück, und Sophie wird auch bald ganz dahin ziehen, dort leben, und lieben, und arbeiten.“195

Der Plan war, dass Mereau mit ihrer Tochter Hulda und später auch ihrem

Sohn Karl in eine eigene Wohnung zieht, während Brentano in seiner

Wohngemeinschaft mit Savigny verbleibt. Doch wieder in Marburg ändert er seine

Meinung und die Diskussion um die Wohnung offenbart durch die Anwendung von

Strategien wie unter anderen responsibilty invocation, coercion und reason seine

194 Brentano an Mereau, 3. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 173. 195 Brentano an Achim von Arnim, 23. August 1803. Brentano, „Briefe III: 1803-1807.“ S. 140.

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Versuche Mereau und ihr zukünftiges gemeinsames Leben von Anfang an zu kontrollieren.

Daher begibt sich Brentano unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Marburg auf Wohnungssuche für Mereau. Bereits in seinem ersten Brief vom 1. September kündigt er an, dass er plant in seinem „nächsten Brief […] das Logis bestimmt abzuzeichnen, und [sie] zu fragen, was [er] an Meublen [sic] bestellen soll.“196 Er hat also in weniger als einer Woche eine Unterkunft für sie gefunden, die jedoch sehr großzügig für sie alleine und ihre Kinder geschnitten ist und auch etwas teuer ist, aber:

„Du hast dafür drei sehr schöne Stuben ensuite mit der Reichen [sic] Aussicht ins Tal, eine große und schöne Stube mit Kammer nach der Straße in die Stadt, Küche und dergleichen.“197

Zur gleichen Zeit beginnt Brentano auch zum ersten Mal seine Unzufriedenheit mit Savigny zum Ausdruck zu bringen. Ein Sinneswandel, der für Mereau sehr unerwartet kommt, da Brentano stets von seinem Freund geschwärmt hat. Da der

Dichter die Verantwortung seiner Gefühlslage stets auf seine Mitmenschen überträgt, nutzt er nun den Unmut über seinen Mitbewohner für die Manipulationsstrategie von responsibilty invocation:

Allein kann ich unmöglich leben, und schon die Einsamkeit mit Savigny zerdrückt mich oft, o dieser Savigny! er ist ein göttlicher Mensch, aber so einsam, so einsam, ich bin versichert, er wird Dir die merkwürdigste Erscheinung Deines Lebens sein.198

196 Brentano an Mereau, 1. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 165. 197 Brentano an Mereau, Anfang September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 170. 198 Brentano an Mereau, Anfang September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 170.

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Da Savigny Brentanos Einsamkeit nicht lindern kann, muss Mereau ihm Gesellschaft bieten. Es ist ihre Verantwortung sich um Brentano zu kümmern, da er angibt selbständig nicht existieren zu können. Kommt sie seinem Wunsch nicht nach, macht er sie verantwortlich für seine Enttäuschung, vor allem aber sein Leiden. Doch abgesehen vom Wunsch Mereau zu ehelichen – was natürlich einem Zusammenziehen gleichkommen würde – erwähnt er in diesem Brief noch nicht explizit, dass er in

Mereaus Wohnung auch wohnen möchte. Stattdessen erwähnt er die Möglichkeit, ein

Zimmer über ihrer Wohnung zu beziehen.

Zunächst einmal beschreibt er die Wohnstätte für Mereau, was relativ einseitig wirkt und Brentano nimmt als gegeben an: „ja, der Wohnung selbst wegen, hättest Du sie gesehen, würdest Du schon hierher ziehen.“199 Daher nimmt er es sich auch heraus ohne auf Mereaus Antwort zu warten, den Mietvertrag für ein halbes Jahr zu unterschreiben, während er gleichzeitig betont: „Eine große unsägliche Mühe macht es mir Dir ein schönes Logis zu finden.“200 Das bringt Mereau in eine Lage mit eingeschränkter Entscheidungsfreiheit: Die Wohnung zu mieten, die ihr Brentano unter zeitlichen und finanziellen Anstrengungen besorgt hat, wird so zu einer

Vernunftentscheidung. Ihre eigene Meinung ist nicht Teil der Argumentation und wird auch von Brentano komplett übergangen. Mereau hat kein Mitspracherecht in dieser

Entscheidung und auch keine Wahl, da eine Ablehnung mit Schuldgefühlen einhergehen würde. In der Tat unterschreibt Brentano am nächsten Tag bereits den

199 Brentano an Mereau, Anfang September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 171. 200 Brentano an Mereau, Anfang September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 170.

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Mietvertrag des Domizils und betont, dass das alternativlos war, da er „sonst kein andres für Dich würde gefunden haben.“201

Als Mereau schließlich die Briefe von Anfang September und dem 3.

September drei Tage später erhält, ist sie generell betrübt über den Stil der Briefe, reagiert jedoch gelassen auf Brentanos Initiative angesichts der Wohnung. Sie ignoriert den Druck, den er durch die frühe Miete auf sie ausübt und bemerkt: „Die

Wohnung muß recht schön sein.“202 Ihr Brief ist sehr direkt und ehrlich, aber auch humorvoll. Sie ignoriert die Beschwerden über Savigny, aber berichtet von ihrer Idee einer Parallelwelt „wo Du die Menschen liebtest, auch wenn sie Dir nicht gefielen.“203

Trotz ihrer Beunruhigung über Brentanos seelischem Zustand scheint sie in diesem

Brief Brentanos Ambitionen nicht zu misstrauen.

Doch im Verlauf des Septembers wird deutlich, dass der Dichter die Wohnung auch aus eigenem Interesse ausgewählt hat. Während Mereau die Größe der Wohnung für angemessen hält, da sie erwartet, dass ihr Sohn Karl zu ihr ziehen wird, um ein

Studium in Marburg aufzunehmen, hat Brentano andere Pläne:

Ich fühle es deutlich ich kann nicht ruhig in derselben Stadt unter einem andern Dache als Du selbst wohnen, denn schon jetzt treibt es mich täglich ein paar Stunden nach der Wohnung, die ich dir gemietet habe […]. Es wäre mir schrecklich, wenn Du, die den Mut und die Liebe hat, mir zu folgen, mir nun versagen wollte, mich zu ihrem Hausgenossen zu nehmen […].204

201 Brentano an Mereau, 3. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 173. 202 Mereau an Brentano, 6. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 184. 203 Mereau an Brentano, 6. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 184. 204 Brentano an Mereau, 4. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 177.

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Während er hier mit charm argumentiert, um sie so umzustimmen, betont er gleichzeitig immer wieder wie unerträglich die Situation mit Savigny geworden ist und dass er jemanden braucht mit dem er zusammenleben kann:

Liebe Sophie! und Du wolltest Dich meiner nicht erbarmen, wolltest, nicht einwilligen, mit mir in engem häusligen [sic] Verein zu leben. Zu fürchten hast Du nichts vor mir, Deine unendliche göttliche Sanftmut hat alles Heftige Rauhe in mir bis auf die Wurzel vertilgt […].205

Er wechselt in diesem Brief vom 4. September zwischen charm, responsibilty invocation und reason, um Mereau vom Zusammenziehen zu überzeugen. Ihm ist bewusst, dass Mereau auch aufgrund seines unberechenbaren Charakters zögert, ein gemeinsames Leben zu beginnen und versucht sie noch einmal davon zu überzeugen, dass seine Impulsivität sich gelegt hat. Er unterstreicht dabei jedoch immer wieder, dass sie der Grund für seine Besserung ist. Doch diese Manipulationsversuche bleiben erfolglos, und Mereau reagiert auf seinen Brief streng: „Ich bin heute ernster als gewöhnlich und deswegen schreibe ich Dir. Lieber Clemens, laß mich mein Leben in

Marburg so still und einfach anfangen als möglich.“206

Am 22. September schreibt Brentano wieder, und auch wenn er poetisch geschickt seinen Wunsch formuliert, so ist der Druck, den er gegenüber Mereau aufbaut, enorm:

Ich kann die Idee nicht ertragen, in derselben Stadt, in derselben Stadt, und nicht in demselben Haus, in demselben Haus und nicht in derselben Stube, in derselben Stube, und nicht in demselben Bett, in demselben Bett und nicht in demselben Leib. Liebe Sophie willst Du mich dann nie der Sehnsucht entziehen, soll ich dann niemals Dich

205 Brentano an Mereau, 4. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 178. 206 Mereau an Brentano, 13. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 200.

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immer haben, […] soll ich nie ruhig werden, willst Du mir denn meine Kunst, meine Freude ewig durch Deine Abwesenheit verderben. Ach wenn Du wüßtest, wie ich ohne Dich leide und mich ängste [sic].207

Sein Wohlergehen, sein Glück und auch sein Erfolg als Schriftsteller werden komplett auf Mereau übertragen, und er erweitert die responsibilty invocation um noch eine weitere Strategie. Er erläutert wie Mereau finanziell von einem Zusammenwohnen profitieren würde: „[…] übrigens können wir, wenn wir zusammenleben, recht bequem von meinen Interessen leben, und was wir gewinnen, das wenden wir zur

Lust.“208 Nach Buss wendet er die Manipulationsstrategie monetary reward an.209 Er stellt eine Belohnung durch Geld in Aussicht, damit sie endlich dem Umzug zustimmt.

Stärker als jemals zuvor wird ersichtlich, dass Mereaus Selbstständigkeit für Brentano eine Bedrohung ist. Er wünscht sich, dass sie auf ihn angewiesen ist und sich nur ihm widmet. Es ist anzunehmen, dass Mereau aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung, und auch trotz ihrer begrenzten finanziellen Mittel, stets eine Haushälterin angestellt hatte. Doch Brentano wünscht sich eine häusliche Frau, die ihn auch kulinarisch umsorgt:

Doch muß ich Dich bitten, da ich in meiner Liebe sogern in der unbedeutendsten Sache eine freudige Sorge finde, Dich soviel es möglich in kurzer Zeit noch um alle Küchenkünste zu bemühen, die Deine Gelehrigkeit erwischen kann, denn ich esse manchmal gern etwas Gutes […]210

207 Brentano an Mereau, 22. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 217. 208 Brentano an Mereau, 22. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 217. 209 Vgl. Buss, „Manipulation in Close Relationships,“ S. 484. 210 Brentano an Mereau, 20. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 267.

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Trotz der vielen Arbeit und gesellschaftlichen Terminen in Weimar soll Mereau auch noch nebenbei kochen lernen. Doch Brentano fragt sie nicht nach ihrer Meinung und

übernimmt Entscheidungen für sie, die er im eigenen Interesse trifft. So plant er auch die Gestaltung ihrer Wohnung nach seinen Vorstellungen:

Freilich wird es in den ersten acht Tagen leer bei dir aussehen, aber ich werde ja zugegen sein, ach und ich fühle es, bald wird es Dir nur wohl sein, wo ich bin. Ich hatte noch vor einigen Tagen die Idee, Dir eine Deiner Stuben nach meiner Fantasie recht schön meubliren [sic] zu lassen […]211

Das Problematische ist die Absolutheit dieser Gefallen. Er erwartet ihre Dankbarkeit für jegliche seiner Handlungen und lässt kaum Raum für eigene Entscheidungen oder

Widerspruch. Selbst die Ankündigung seiner Gegenwart in der Wohnung – etwas was

Mereau bis dato noch ablehnt – versteht er als Liebesdienst ihr gegenüber auszudrücken.

Da Mereau auf die Angelegenheit Wohnung in kommenden Briefen nicht weiter eingeht und Brentano sich abgelenkt bei seiner Familie in Frankfurt befindet, thematisiert der Schriftsteller die Wohnsituation erst wieder am 18. Oktober, circa eine

Woche bevor er wieder nach Marburg zurückreist. Die Andeutungen in seinen vergangenen Briefen waren von Mereau unbeantwortet gelassen worden, daher formuliert er hier zum ersten Mal direkt seinen Wunsch in die Wohnung einzuziehen:

ich wollte Dich auch herzlich bitten, mir zu erlauben, daß ich in Deiner Wohnung den Saal und die Kammer den Winter schon beziehen darf, Du fändest dann gleich bei Deiner Ankunft einen vertrauteren Wirt, denn mein Weg ist ohnedies aus meiner jetzigen Wohnung sehr weit und im Winter des glatten, bergigten [sic] Bodens wegen oft halsbrechend. Auch wünscht Savigny, der sehr eng mit mir

211 Brentano an Mereau, 22. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 218.

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wohnet, mehr Platz, und das Ganze wird bequemer und wohlfeiler für unser Leben. Es wird mich schmerzen, wenn Du mir es versagen wolltest, ja, es schiene mir dann, als würdest Du vielleicht gar ganz wegbleiben, wenn Du Dir kein Dementi geben wolltest. Dann brauche ich Dir auch kein apartes Holz zu kaufen, und Du hast meinen schönen Büchervorrat zur Hand, und wir leben ruhig und schön abgeschlossen von der Welt.212

Viele rationale Argumente wie Bequemlichkeit und Geldersparnis führt Brentano an, doch er mischt wieder die emotionale Erpressung in seine Worte. Auch ist es wichtig eines seiner Argumente des reason genauer zu betrachten. Brentano befindet sich zur

Zeit seines Briefes in Frankfurt in Entfernung zu seinem Mitbewohner Savigny. Aus dem vorhandenen Briefwechsel zwischen Brentano und Savigny lässt sich nicht schließen, dass letzterer sich je über die engen Wohnverhältnisse beschwert hat. Es ist möglich, dass die beiden Männer in mündlicher Absprache diese Regelung getroffen haben. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Brentano Savignys Wunsch erst einen

Monat später an Mereau weiter kommuniziert, dazu ist dieses Argument zu ausschlagkräftig.

Auch die direkte Frage von Brentano bringt nicht die erhoffte Antwort von

Mereau, denn das Ignorieren ist ihre bevorzugteste Bewältigungsstrategie. Nachdem seine Geliebte nicht auf sein feinfühliges Bitten eingeht, formuliert er seine Frage eindringlicher. Am 27. Oktober als Brentano wieder allein in Marburg weilt, schreibt er einen Brief, der in seiner Gesamtheit vom Thema Wohnung dominiert wird. Wieder führt er mannigfaltige Argumente an, die seinen Wunsch legitimieren sollen und wieder nennt er Savignys Wunsch nach räumlicher Trennung:

212 Brentano an Mereau, 18. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 260.

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Savigny wünscht wegen Mangel an Platz sehr, daß ich von ihm wegziehen möge, mich selbst drückt der zu nahe Zusammenhang mit ihm, auch sind die Ausgaben seinem und nicht meinem Vermögen angemessen, und was das Unangenehmste ist, sein Bedienter, der mich auf alle Weise betrügt, wohnt mit dem ganzen Geräusche seiner Wirtschaft dicht mit mir zusammen, so daß ich gar nicht arbeiten kann, und meine ganze Lage ist sehr peinlich, willst Du mir nicht vergönnen, mit Dir in einem Hause zu wohnen?213

Doch Savigny befindet sich zu dem Zeitpunkt des Briefes nicht in Marburg, da er genauso wie Brentano verreist war, wie sich aus dem weiteren Verlauf des Briefes herauslesen lässt.214 Es ist daher aufgrund des vorhandenen

Briefwechsels zwischen den beiden Mitbewohnern sehr unwahrscheinlich, dass dies ein reeller Wunsch Savignys war. Auch die Angelegenheit mit

Savignys Diener erwähnt Brentano zum ersten Mal, und es scheint, dass diese

Argumente ein Teil von Brentanos poetischem Umgang mit der Realität in seinen Briefen sind, um stärkere Argumente zu haben.

Doch rationelle Argumente werden im Verlauf des Briefes unnötig, denn sein Ton verändert sich und er revidiert seinen Wunsch zu einer

Selbstverständlichkeit:

überhaupt finde ich es schon verkehrt von mir, es zu wünschen, da es sich gewissermaßen von selbst versteht, haben wir nicht gleiche Rechte aneinander, folgst Du mir nicht im Leben, lebst Du nicht für mich, ich für Dich? Ich hoffe also, daß es Dir nichts Drückendes hat, wenn Du mich bei unsrer Ankunft in demselben Hause mit Dir antriffst, wenn wir da, wo wir absteigen, uns nicht wieder trennen.215

213 Brentano an Mereau, 27. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 278. 214 „Savigny ist heute Früh mit vielen Büchern angekommen, er läßt dich freundlich grüßen.“ In: Brentano an Mereau, 27. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 284. 215 Brentano an Mereau, 27. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 279.

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Er macht das Zusammenwohnen zu einem Grundverständnis seiner Liebe, obwohl

Brentano und Mereau stets andere Maßstäbe als Grundlage ihres Liebesverständnisses genommen haben. Auch die Sorge, dass seine Anwesenheit als nicht negativ empfunden wird, scheint angesichts der vorangegangenen Briefe als künstlich.

Dass er beim Thema Wohnung stets in seinem eigenen Interesse handelt, unter dem Deckmantel ihres Wohles, offenbart sich auch in diesem Brief. Er legt fest, welchen Raum, „der mehr als überflüssig ist,“216 er in Mereaus Wohnung beziehen wird. Der zusätzliche Platz ist in der Wohnung nur vorhanden, da Brentano die Größe selbst wählte. Nun verdreht er es als Dekadenz: „O liebe Sophie, versage mir das

Obdach nicht bei Dir, Du hast ja so viel Raum, daß Du nicht weißt, wohin mit Deiner kleinen Person.“217 Mereau hat dem großen Domizil jedoch nur zugestimmt, da sie geplant hat ihren Sohn Karl zum Studium in Marburg bei sich aufzunehmen. Doch dagegen hat Brentano nun Einwände:

Ich erwarte also von Dir, daß Du mir die Wohnung bei Dir zugestehst, ich will Dir nur den Teil Deiner Wohnung einnehmen, den Karl eingenommen hätte, und den Du gar nicht gebrauchen kannst, die Stube und Kammer nach der Gasse. Die Idee, Karl hierher zu bereden, scheint mir überhaupt nicht gut, […] Die hiesige Universität ist seit dem Tod und Abgang der besten Mediziner nun auch gar nichts mehr für Karl, und Savigny geht vermutlich auch in Zeit eines Jahres weg218

Der Wunsch des gemeinsamen Zusammenzuleben ist nun zu einer direkten Forderung von ihm geworden, und da Brentano bewusst ist, dass der Raum für Mereaus Sohn

216 Brentano an Mereau, 27. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 279. 217 Brentano an Mereau, 27. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 281. 218 Brentano an Mereau, 27. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 281.

90 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 gedacht war, erfindet er Argumente gegen eine der besten Universitäten der damaligen

Zeit. Er stellt seine Bedürfnisse nicht nur über die von Mereau, sondern auch über die von Mereaus Kindern. Dies betrifft nicht nur Karl, sondern auch Mereaus Tochter

Hulda, die Brentano auch gerne wegschicken würde und zwar „in ein Nonnenkloster, in dem meine Geschwister waren 10 Stunden von hier zu Fritzlar, und welches auch

Protestanten aufnimmt, […] sehr wohlfeil, einfach und Natürlich [sic] […].“219 Es sind

Beispiele seines grenzenlosen Narzissmus, dass er sich ohne größeres Nachdenken zwischen eine Mutter und ihre Kinder stellt, nur damit er Mereaus volle

Aufmerksamkeit hat.220 So scheinen seine weiteren Argumente auch unendlich schmeichelhaft:

wenn ich mit Dir zusammenkomme, nehme ich einen armen jungen Menschen von hier in Diensten, der wunderschön zeichnet, hübsch schreibt und sehr unschuldig, fleißig und brav ist, er versteht auch etwas vom Buchbinderhandwerk und wird uns viel nützen. […] In meiner Bibliothek, die an seltnen wunderlichen Büchern täglich reicher wird und in der ich nächstens mehrere altdeutsche poetische Manuskripte erwarte, wirst Du für alle Deine Arbeiten reichhaltigen Stoff finden.221

Das Versprechen der Anstellung eines Künstlers als Diener, der Bücher binden kann, und die Ankündigung, dass er ihr Quellen zur Unterstützung ihrer Arbeit liefern kann, erscheinen als offensichtlich manipulative Argumente. Brentano ist sich bewusst, welchen Stellenwert Mereaus schriftstellerische Tätigkeit für sie hat und nutzt dies hier aus. Dabei hat er kaum Interesse daran ihre Arbeit zu fördern.

219 Brentano an Mereau, 1. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 164. 220 „People with narcissistic personality disorder have the mixed blessing of holding an extremely inflated self-image and a strong sense of entitlement that makes them insensitive to the needs and feelings of other people.” In: Braiker, Strings. S. 86. 221 Brentano an Mereau, 27. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 284.

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Es wird nie festzustellen sein, wie Mereau unter anderen Umständen auf den

Erhalt dieses Briefes voller Ansprüche und Manipulationsversuche reagiert hätte. Am selben Tag als Brentano seine Forderungen niederschreibt, sitzt Mereau an einem

Brief, in dem sie Brentano mitteilt, dass sie aufgrund ihrer Schwangerschaft in eine

Ehe mit ihm einwilligt. Im darauffolgenden kurzen Briefwechsel – Mereau zieht bereits Ende November nach Marburg – geht Mereau nicht mehr auf den Brief vom

27. Oktober ein.

Brentanos Heiratsbegehren

Der Wunsch nach einer Eheschließung mit Mereau ist eines der bedeutendsten

Themen im gesamten Briefwechsel anhand welcher Brentanos

Manipulationstechniken erkennbar sind. Viele Strategien von Buss wie reason, responsibilty invocation und social comparision kommen zum Vorschein. Vor allem aber ist die Diskussion ein Sinnbild seines zur Kontrolle neigenden Charakters:

Die Hartnäckigkeit und Überzeugung, mit der Brentano sein Heiratsbegehren verfolgt, verdeutlichen seine Dominanz und können als Versuch interpretiert werden, Mereau seinem Willen und seinem Bild gemäß zu formen. Obwohl sie seine Anträge immer wieder ablehnt, gibt er nicht nach.222

Brentano baut seine Argumentation in der Zeit von September bis Oktober 1803 recht nachvollziehbar auf und strategisch erhöht er den Druck auf Mereau. Um zu verstehen mit wieviel Planung und Täuschung Brentano Mereau von einer Hochzeit überzeugen will, muss zunächst die familiäre Situation erläutert werden. Denn schon im Juni –

222 Augart, Liebeskonzeption im Briefwechsel. S. 179.

92 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 einen Monat nachdem Brentano in Weimar ankommt – äußert der Dichter den

Wunsch Mereau zu heiraten. So schreibt er am 24. Juni an seinen Freund Savigny und seine Schwester Kunigunde (auch Gunda oder Gundel genannt) über sein Vorhaben:

Ich sage dir allso [sic] unter dem Siegel der Verschwiegenheit, die eine delikate Sache vor ihrer völligen Reife so sehr erfordert, Sophie liebt mich, und wird in einigen Monaten meine Gattin sein […]. Nie hat sich reife Ueberlegung, Liebe, und Leichtes Leben so innig bei einer Verbindung vereinigt.223

Die Angelegenheit erfordert in der Tat Diskretion, da zu diesem Zeitpunkt die

Beziehung zwischen Mereau und Brentano noch nicht einmal etabliert ist. Die voreilige Mitteilung an die Schwester offenbart, dass Mereaus freier Wille in

Brentanos Augen nicht von Bedeutung ist. Er hat die Lebensplanung für beide bereits beschlossen.

Doch die Bitte nach Verschwiegenheit basiert nicht nur auf voreiligen

Schlüssen, ihm ist auch bewusst, welch ein Skandal diese Beziehung bei der Familie

Brentano in Frankfurt auslösen wird. Man kann auch annehmen, dass er in diesem

Brief bereits mit dem Verrat spekuliert, da ihm – durch die angeschlagene Beziehung zur Kunigunde – sicherlich bewusst ist, dass die Schwester alle in Kenntnis setzten wird. Es zeigt, dass Brentanos psychologischen Spiele in Briefen nicht exklusiv bei

Mereau angewendet werden.

Wichtig ist zudem festzuhalten, dass Brentano mit der Entscheidung nach einer unehelichen Beziehung zunächst einverstanden war. Doch mit Wissen um den Skandal betont er gegenüber seinem moralisch-gewissenhaften Freund Savigny:

223 Brentano an Kunigunde Brentano, 24. Juni 1803. Brentano, „Briefe III: 1803-1807.“ S. 121.

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Wir haben gestern Abend im Beisein des Mondes und eines Apfelbaumes entschloßen uns nicht zu heurathen, aber wir haben uns recht lieb, und wollen unsre Lieben auf einen vertraulichen Umgang – das heist keuschen – beschränken.224

Ihm ist bewusst, dass Savigny und seine Familie einer unehelichen Verbindung niemals zustimmen würden, daher behilft er sich wie sooft seiner poetischen Realität und passt seine Aussage an die Erwartung seiner Leser:innen an. Vor allem die

Verwendung der romantischen Metaphern vom ‚Mond‘ und ‚Apfelbaum‘ unterstreichen die Herangehensweise bei diesem Zitat. Während der Mond in der romantischen Interpretation oftmals Symbol der Nacht ist, drückt er auch die göttliche

Ordnung der Liebe aus.225 Damit erhöht Brentano den Wert seiner Beziehung zu

Mereau zu einer rechtmäßigen Ordnung. Der Baum, der „als Symbol eines utopischen

Zustandes der Harmonie und des Glücks“226 gilt, verstärkt diese Wirkung noch.

Widerspruch gegen solch eine gottgegebene, geordnete Beziehung scheint unzulässig.

Doch seit seinem Brief an Gunda ist Brentanos Familie in Unruhe. Wilhelm

Schellberg und Friedrich Fuchs, die 1939 unbekannte Briefe von Brentano herausgegeben haben, kommentieren die Situation wie folgt:

Am 5. Juli antwortet sie [Gunda]; tief erschrocken über des Bruders Entschluß, gibt die Ungleichheit des Alters, die wenige gute Aufnahme, die Sophie in der Familie zu erwarten habe, zu bedenken. […] Auch von Christian kommt ein Brief, […] er beschwört den Bruder, wenn er eine neue Perle, Sophie, an die Schnur reihe, möge er Acht haben, daß die andern, die Geschwister, darunter das Kleinod

224 Brentano an Savigny, Anfang August 1803. Brentano, „Briefe III: 1803-1807.“ S. 127-128. 225 Vgl. Butzer, Günter, und Joachim Jacob, Metzler Lexikon Literarischer Symbole. J.B. Metzler, 2008. S. 232. 226 Butzer, Lexikon Literarischer Symbole. S. 37.

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Bettine, nicht herausfallen. Sein nächster Weg müsse an Sophiens Seite nach Frankfurt sein.227

Selbst Brentanos Großmutter Sophie von La Roche beteiligt sich an der Diskussion und schreibt ihrem Enkel von ihren Bedenken. Gleichzeitig ist sie jedoch auch zum

Großteil für den entstandenen Klatsch und Tratsch verantwortlich, da sie sich in weitreichenden sozialen Kreisen bewegte. Brentano ist sich der schwierigen Situation bewusst, dennoch zeigt er sich Anfang September im Brief an Gunda noch kampfeslustig:

Daß du mir dein Vertrauen grade in dem Moment, in welchem ich unschuldig entschloßen war, von neuem Glauben um Glauben an dir zu wagen, ganz versagtest, hat uns beiden sehr geschadet. Doch mir weniger als dir, denn ich habe, waß [sic] ich liebe, und mich ewig liebt, mir errungen.228

Doch der Einfluss von Savigny und die Einsamkeit in Marburg bringen schon innerhalb weniger Tage nach seiner Rückkehr einen Sinneswandel hervor. Bereits im zweiten Brief nach der Trennung schreibt, er mit social comparision und reason argumentierend:

Seltsam scheint es mir, daß meine Idee, dich zu heurathen, mir seit ich dich verlassen, wieder unendlich lieb, und teuer ist, und ich bitte dich herzlich, lasse deinen Entschluß nicht unauflösbar sein, so, wie wir es jetzt Vorhaben, wird unser Verhältnis doch manches drückende durch das Gerede der Menschen mit sich führen, und wir müssen alle unsre Liebe mit Flüstern, Scheu und Mühseligkeiten genießen. […] Ich wünsche sehr, daß Du Deine Liebe zu mir hier zu keinem Geheimnis machen möchtest, sondern dass ich Dich ganz, wie meine Braut vor den Leuten behandeln durfte, unser Umgang würde den Menschen dann weniger anstößiges haben […]229

227 Clemens Brentano, Das unsterbliche Leben: Unbekannte Briefe von Clemens Brentano. Hrsg. von Wilhelm Schellberg und Friedrich Fuchs, Verlag Herbert Lang, 1970. S. 316. 228 Brentano an Kunigunde Brentano, 2. September. Brentano, „Briefe III: 1803-1807.“ S. 263. 229 Brentano an Mereau, Anfang September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 169-170.

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Brentanos erneute Überzeugung von der Ehe ist nachvollziehbar. Es kann angenommen werden, dass der Druck von der Familie enorm gewesen sein wird. Auch ist Marburg im Vergleich zu Weimar eine weitaus konservativere Gegend, wo bereits

Mereaus Vorhaben als geschiedene Frau allein mit ihrer Tochter in eine Wohnung zu ziehen für Aufsehen sorgen würde:

In einer Kleinstadt wie Marburg ist es aber auch unmöglich, daß er zu Sophie zieht, wenn sie nicht verheiratet sind. So wirft die Angstvorstellung, allein in einem möblierten Zimmer hausen zu müssen, alle modernen Ideen über freie Liebe in ihm über den Haufen.230

Es sind wieder seine Bedürfnisse, die Brentano über Mereaus Wünsche stellt. Seine

Angst vor dem Alleinsein und sein Drang nach gesellschaftlicher Anerkennung lassen alle getroffenen Absprachen hinfällig werden.

Brentanos Argumente nicht außerhalb der gesellschaftlichen Erwartungen zu leben sind durchaus legitim, doch Mereau kann den Verweis darauf nicht akzeptieren.

Sie hat es als eine der wenigen geschiedenen Frauen in der Zeit geschafft, sich ihre finanzielle Unabhängigkeit und soziale Stellung zu erhalten.231 Sie ist überzeugt davon, dass sie alles regeln und ihren Ruf bewahren kann:

Vom Heurathen sprich mir nicht. Du weißt, ich tue alles, alles, was Du begehrst und wovon Du glaubst, es könne Dich glücklicher machen, aber wolle nichts, was Dich nicht zufriedner macht, – und mich auch nicht. Sag jetzt den Leuten, was Du willst, und überlaß mir

230 Werner Hoffmann, Clemens Brentano: Leben und Werk. Francke Verlag, 1966. S. 149. 231 Eine Scheidung ging im 18. Jahrhundert gemeinhin mit einer gesellschaftlichen Ächtung einher. Julia Di Bartolo bemerkt in ihrer Dissertation Handlungsspielräume von Frauen in Weimar-Jena um 1800 ganz klar welche Ausnahme Sophie Mereau darstellte. Vgl. Bartolo, Selbstbestimmtes Leben um 1800. S. 76.

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das übrige ganz; ich werde alles schon einzurichten wissen. Vertraue mir ganz, ich verdiene es […].232

Mereau lebt unter der Prämisse ihre Entscheidungen weitestgehend unabhängig von der Meinung ihrer Mitmenschen zu treffen – für sie soll allein Brentanos Glück ausschlaggebend sein. Da Beide in Weimar zufrieden mit ihrer Wahl waren, ist sich

Mereau im Klaren, dass Brentanos Umdenken nur durch äußerlichen Druck zustande gekommen sein kann. Dass rationale Argumente in Mereaus romantischem

Liebesverständnis nicht die größte Schlagkraft haben, ist sich Brentano selbst bewusst, und daher schreibt er schon ohne Mereaus Antwort gelesen zu haben in seinem nächsten Brief von seinem Herzenswunsch:

Ich habe, seit ich von Dir bin, vieles ernstlich überlegt, nicht mit dem Verstande allein, nein, mit dem ganzen Herzen, mit allem dem, was nur Dein Eigentum ist, ich habe die ernstliche, herzliche Bitte an Dich, Dich ganz mit mir zu vereinigen und jeden Moment des Lebens mit mir zu teilen. Deine großmütige liebevolle Idee, unehlich mit mir zu leben, laß sie vorübergehen, sie hat das ihrige redlich vollbracht, sie ist es, die Dich mir ganz in Deiner reichen, gütigen Wesenheit gezeigt, seit jenem Entschluß liebe ich Dich unaussprechlich, und nun,[…] fühle ich, daß ich sie nicht ertragen kann. Wenn Du in Deiner Lage selbst, in den Verträgen Deiner Scheidung keine Hindernisse findest, so weiß ich nicht, warum Du mein Weib nicht sein willst,233

Er benutzt charm und argumentiert hier emotional. Er verspricht ihr nicht nur seine

Liebe, sondern seine ganze Person, damit sie für immer Zusammensein können.

Adjektive wie ‚herzlich‘, ‚großmütig‘, ‚liebevoll‘ und ‚redlich‘ unterstreichen seine schmeichelnde Wortwahl. Anstatt wie vorher ihren Widerstand gegen die Ehe zu

232 Mereau an Brentano, 6. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 185. 233 Brentano an Mereau, 4. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 175-176.

97 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 kritisieren, bezeichnet er es hier als eine wertvolle, großzügige Charaktereigenschaft, die seine Liebe zu ihr nur erhöht hat. Doch wie so oft, endet er den Absatz mit einem

Vorwurf und Unverständnis für ihre Situation. Gerade die Erwähnung von Sophie

Mereaus Scheidung von Friedrich Mereau müsste ihm klarmachen, dass dies auch ein

Grund sein könnte, warum seine Freundin scheut sich wieder in die Abhängigkeit der

Ehe zu begeben. Wie es immer wieder in seinen Briefen zum Ausdruck kommt, scheint Brentano unfähig zu sein einen Anteil an Mereaus Gefühlen zu nehmen. In diesem Brief vom 4. September – der, wie bereits an anderer Stelle behandelt, zu

Extremen neigt – gibt es kaum ein anderes Thema für Brentano. Wieder überträgt er ihr die Verantwortung für sein Wohlbefinden, „die wichtigste, unhebbarste [sic]

Ursache [s]eines Begehrens,“234 auf Mereau, doch ein Kernpunkt seiner Manipulation ist die soziale Verantwortung:

Bedenke, wie ich die Zucht meiner Geschwister, die Unschuld Betinens beleidige, wenn ich so mit Dir lebe, wird sie nicht dann erst Ursache haben, Dich nicht zu lieben, wenn sie wähnen kann, Du habest mich in ein moralisches Verderben gezogen, und Dein Ruf, der bis jetzt Dein ungeschickter, größter Feind war, wirst Du ihm nicht eine gerechte Waffe in die Hände geben […]. Ich will durch diesen meinen Vorschlag nichts hervorbringen, als unsre Ehre retten und den Ruf meiner Schwester schonen […]235

Offen droht er, dass ohne eine Ehe Bettine Brentano Sophie Mereau nicht akzeptieren würde. Für Brentano, der eine ungewöhnlich intensive – teilweise über geschwisterliche Bande hinausgehende – Beziehung zu seiner Schwester pflegte, ist die Akzeptanz seiner Beziehung in der Tat ein wichtiger Punkt. Er macht deutlich,

234 Brentano an Mereau, 4. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 176. 235 Brentano an Mereau, 4. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 176.

98 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 dass Mereaus Reputation schon fragwürdig ist, was als beleidigend gewertet werden kann. Die Erweiterung, dass Mereau nicht nur ihren und Brentanos Ruf ruinieren würde, sondern auch den seiner unschuldigen Schwester, kann als Versuch von responsibilty invocation gewertet werden. Doch benutzt er auch Mereaus Position als

Mutter und bezieht in diese Manipulationsstrategie auch Mereaus Tochter Hulda mit ein:

Du hast ein Kind, Du hast Dir vorgenommen, aus diesem Kinde eine züchtige tugendhafte Jungfrau zu erziehen, wie wirst Du dies vollbringen können, wenn Du es aufwachsen läßt im Angesicht einer unordentlichen Liebe, wie wird Dein nur zu aufmerksames, spitzfindiges Kind unschuldig einfach und tugendhaft werden können, wenn wir ihm seine Tugend nicht mit Unschuld und Recht umgeben? Ich rede weiter nicht von dieser Sache, es ist mein Wille, mein Wunsch, meine Liebe, die es von Dir begehren, Du sollst mir nicht antworten als mit ja oder nein, damit ich glücklich und ruhig werde oder verstumme.236

Er stellt damit nicht nur Mereau als eigenständige Frau in Frage, sondern er zweifelt auch an ihrer Mutterrolle und ist sich bewusst, dass er damit einen Punkt anspricht, mit dem Mereau seit ihrer Scheidung schon immer haderte.

Es fällt auf, dass Brentano immer, wenn er rationale Manipulationsstrategien wie responsibilty invocation, reason und social comparision verwendet, sich selbst als gewissenhaft und vernünftig darstellt. Daher betont er am Ende des Absatzes auch, dass er erwachsen genug wäre ihre Entscheidung zu akzeptieren. Doch sein Brief ist in seiner Gesamtheit zu unstrukturiert, um Rationalität zu vermitteln. Es wirkt verzweifelt wie er sich an verschiedenen Argumenten festhält, bis er zur ultimativen

236 Brentano an Mereau, 4. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 179.

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Drohung – der Selbstverletzung – zurückkommt: „Ich kann nichts Finsteres mehr denken, als daß ich sterben muß ohne Dich, daß ich nicht ruhig sein werde, wenn Du nicht mein Weib bist […].237 Mereaus Verantwortung für Brentanos seelisches

Wohlergehen ist derart groß, dass ihre Missachtung in seinem Tod enden würde.

Dieses wiederholt er wenige Absätze später noch einmal:

Solltest Du meiner flehentlichen Bitte, Dich ganz mit mir zu vereinigen, kein Gehör geben können, solltest Du die Wahrheit aller meiner ruhig überlegten Gründe nicht glauben können, so wäre das die letzte traurige Erfahrung, die ich auf Erden machen könnte […] Du wirst mich dann früher verlieren, nicht meine Liebe, nein, mein Leben, denn ich fühle, wie mich dieses vage, unzuverlässige Schwanken ohne Grund und Boden innerlich aufreibt […]238

Auch wenn diese Aussage weniger direkt ist als andere hardball-Beispiele in

Brentanos Briefen, zielt es doch darauf ab, durch die Ankündigung eines potenziellen frühen Tods, Mereau zu manipulieren. Die Absätze verdeutlichen zudem auch, dass

Brentano entgegengesetzt vorheriger Aussagen nicht von seinem Vorsatz der Ehe abrücken wird. Dies unterstreicht er auch nochmal ausdrücklich am Briefende: „Ich werde von dieser Idee nicht mehr abgehen, ich kann nicht glücklich durch Dich sein, bis Du mein Weib bist.“239

Als Mereau seinem Brief am 13. September antwortet, ist sie immer noch wütend, dass Brentano sich in seinen Entscheidungen von seiner Umgebung beeinflussen lässt:

Bei allem, was Du von mir begehrst, nimm Deine Gründe stets nur von Dir selbst her, mischest Du andre mit hinein, so empörst Du mein

237 Brentano an Mereau, 4. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 178. 238 Brentano an Mereau, 4. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 179. 239 Brentano an Mereau, 4. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 180.

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Gefühl unausbleiblich. – Es gibt Augenblicke, wo ich für Dich, für Dein Glück mit Freuden sterben könnte; ich opferte Dir mein Leben, ein reines Opfer, denn es geschah aus Liebe – willst Du aber meine Gabe für den Dienst fremder Götter gebrauchen, so entweihst Du das Opfer, die Flamme der Andacht verlischt, und ich bin um meine Seligkeit betrogen. 240

Mereaus Briefe enthalten genauso wie Brentanos viel Poesie und es ist typisch für sie, dass sie das Thema zwar direkt anspricht, dann aber doch ihre Gefühle mit einer

Metapher umschreibt. Dieser Stil findet sich nicht nur in ihren Briefen, sondern auch in Mereaus literarischen Werken wie Das Blüthenalter der Empfindung und Amanda und Eduard. Simon Richter beschreibt die Verwendung von Metapher und Allegorie als eine reflexive Verbindung zwischen Realität und ihren Texten:

The use of allegory implies a philosophical, as opposed to a strictly aesthetic, orientation with regard to literature; her understanding of humanity is specified in terms of gender; and a reflexive dimension between text and life [..].241

In ihren Briefen vermeidet sie es oft, direkt Kritik zu üben und verwendet immer wieder Gedichte und Wortspiele, um ihre Aussagen spielerisch auszudrücken. Doch geradeheraus widerlegt sie Brentanos Argument des gesellschaftlichen Ansehens:

Die Zucht Deiner Geschwister, der Ruf Deiner Schwester! – erst erfodert [sic] ihre Ruhe, daß ich Dich nicht heurate – jetzt will ihr Ruf das Gegenteil! – Clemens, erinnere Dich, daß ich für Dich lebe, für niemand anders als für Dich! – Deine Familie würde nichts dagegen haben! – mein Blut kocht, wenn ich mir das sage. Diese Menschen, die mir nichts sind, die mir ewig fremd sind – o Clemens, bist Du wirklich mündig? – ich schweige, dies ist die Klippe, wo meine Sanftmut scheitert.242

240 Mereau an Brentano, 13. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 200. 241 Elke Frederiksen und Elizabeth Ametsbichler. Women Writers in German-Speaking Countries : A Bio-Bibliographical Critical Sourcebook. Greenwood Press, 1998. S. 334. 242 Mereau an Brentano, 13. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 201.

101 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

Wie dieses Zitat zeigt, ist sie ist sich der Ablehnung von Brentanos Familie hinsichtlich ihrer Beziehung bewusst und nutzt genau dies als Begründung ihrer

Entscheidung gegen eine eheliche Verbindung. Sie legt Brentanos wechselhafte

Argumentationsstrategie offen und widersetzt sich dem Druck, diese Wahl aufgrund gesellschaftlichen oder familiären Einflusses zu treffen. Sehr selbstbewusst unterstreicht sie, dass sie auf die familiäre Zustimmung nicht angewiesen ist und, dass wenn Brentanos Familie sein Wohlergehen im Fokus hätte, ihrer Verbindung nicht entgegenstehen würde. Dies und der Bezug auf seine Mündigkeit könnte einen großen

Eindruck bei Brentano hinterlassen haben, da dieser eine sehr wechselhafte Beziehung zu seinen Geschwistern pflegte. Immer wieder berichtet er Mereau und seinen

Gefährten von der Kälte und Gleichgültigkeit, die im „Schlangenbad“243 in Frankfurt herrscht – der romantische Dichter fühlt sich im Kreis der kaufmännischen Familie stets unverstanden. Umso wichtiger ist es Mereau, dass Brentano sich in seiner

Entscheidungsfindung nicht von den Seinigen, mit denen er angeblich wenig

Gemeinsamkeiten teilt, beeinflussen lässt.

Da sie sich ihrer finanziellen Unabhängigkeit und der sozialen Stellung sicher fühlt, muss auch die Frage aufgeworfen werden, welche Vorteile sie in der ehelichen

Verbindung mit Brentano gesehen haben soll. Anja Dechant bemerkt, dass

die finanzielle Sicherheit […] auf Mereaus Entscheidung, in die Ehe mit Brentano einzuwilligen, keinen Einfluß [hatte]. Und offensichtlich

243 Brentano an Mereau, 20. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 212.

102 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020

verband sich mit der Heirat Brentanos keine wesentliche Verbesserung ihrer ökonomischen Situation.244

Zwar kann sich Mereau durch ihre Arbeit keine großen Reichtümer erwirtschaften, doch hat sie sich 1803 eine stabile Lage erarbeitet, die es ihr erlaubt, sogar ihre jüngere Schwester Henriette Schubart zu unterstützen.245 Doch Brentano beharrt auf seinem Argument der finanziellen Sicherheit und unterstellt Mereau eine unsichere monetäre Lage:

und eben deswegen bitte ich Dich nochmals recht herzlich, Dein ganzes Leben soviel als möglich mit mir zu verbinden, damit wir unsre Ausgaben übersehen und ordnen können, es wird Dir dadurch der Vorteil entstehen, daß Du nicht mehr so ängstlich ums Brot arbeiten darfst.246

Diesem Zitat stehen Brentanos Aussagen gegenüber seiner Familie entgegen, in denen er stolz betont, dass sie auf sein Geld nicht angewiesen ist: „Stelle dir vor, ich werde ein Weib haben, daß sich bis jezt [sic] durch ihr eignes Talent sogar in einem eleganten Wohlstande erhalten hat, und mir so keine Nahrungssorgen macht.“247 Sein

Argument, Mereau würde durch eine Ehe ihrer finanziellen Unsicherheit entfliehen, scheint daher widersprüchlich.

Auch wenn Brentanos rationale Manipulationstechniken wie reason, responsibilty invocation und social comparision bei Mereau erfolglos bleiben,

244Anja Dechant, Harmonie stiftete unsere Liebe, Phantasie erhob sie zur Begeisterung und Vernunft heiligte sie mit dem Siegel der Wahrheit: Der Briefwechsel zwischen Sophie Mereau und Johann Heinrich Kipp. Peter Lang, 1996. S. 99. 245 Vgl. Gersdorff, Dagmar von. Dich zu lieben kann ich nicht verlernen: Das Leben der Sophie Brentano-Mereau. Insel-Verlag, 1984. S. 273. 246 Brentano an Mereau, 8. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 245. 247 Brentano an Kunigunde Brentano, 24. Juni 1803. Brentano, „Briefe III: 1803-1807.“ S. 121.

103 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 wiederholt er diese hartnäckig. Noch einmal weißt er daraufhin, dass Klatsch und

Tratsch in der Kleinstadt ein Problem sind:

Ach, liebe Sophie, hast Du meinen letzten Brief dann recht verstanden, wirst Du dann mein Weib sein, das heißt vor der Welt? Es ist ja nur der Nachrede wegen, es ist die ganze Welt voll Pöbel, und man mag sich drüber hinaussetzen, wie man will, man ist doch beschimpft, wenn man geschimpft ist; ich versichere Dich, ich will nur deswegen Dich heiraten, um recht unehlich mit Dir leben zu können, um recht ordentlich unordentlich zu sein […] und glaube nicht, daß ich nach der Ehe verlange, um die Ehe zu brechen, nein, ich verlange nach Ruhe, nach Sicherheit und öffentlicher Achtung. 248

Er proklamiert einerseits, dass er ohne eine rechtliche Grundlage als Paar nicht ruhig sein kann, andererseits will er sich aber den gesellschaftlichen Normen widersetzen und die Beziehung frei und modern leben. Er betrachtet die Ehe auch als etwas, was

Bestand hat und ihm Stabilität geben soll. Diese Widersprüchlichkeit erwähnt auch

Dagmar von Gersdorff:

Es ist ein bemerkenswertes Phänomen, daß gerade diejenigen unter den jungen Romantikern, die , Friedrich Schlegel, Brentano hießen und in ihren Schriften, in der ‚Lucinde‘, im ‚Godwi‘ eine freie, unbürgerliche, poetische Existenz forderten, im realen Leben am ehesten nach bürgerlicher Verankerung verlangten.249

Mereau dagegen – als Frau in einer weitaus schwächeren Position – empfindet die Ehe als einen Einschnitt in ihre Freiheit, welcher eine Liebe, anstatt sie zu beflügeln, nur beschneidet. Sie scheint sich eine Welt zu wünschen, wie sie sie in ihrem Roman

Amanda und Eduard beschreibt; mit einer Liebe, die sich individuell und frei – ohne institutionelle Einschränkungen – entfalten konnte. Brentano ist nicht bereit Mereaus

248 Brentano an Mereau, 9. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 192. 249 Gersdorff, Das Leben der Sophie Brentano-Mereau, S. 304.

104 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 emanzipierten Grundhaltung zu folgen. Der gesellschaftliche Druck und seine eigene

Unsicherheit führen dazu, die (scheinbare) Sicherheit der Ehe anzustreben. Eine Heirat scheint ihm als einzige Möglichkeit endlich Stabilität in seinem Leben zu finden – ein

Argument, das in fast jedem seiner Briefe wiederauftaucht.

Mereau reagiert insbesondere auf Brentanos Äußerung hinsichtlich ihres

Unverständnisses mit einer passiv-aggressiven Ankündigung: „mein Verstand, der, wie Du weißt, nicht weit her ist, könnte leicht ganz stille stehen, und was sollte dann aus meiner Reise und aus allem werden, wenn dies Rad meiner Tätigkeit stockte?250

Mereau weist hier Brentano scherzhaft zurecht. Sie ist sich der Verantwortung, die

Brentano auf sie überträgt, bewusst, doch sie ist nicht bereit sich von ihm durch seine

Manipulationen umstimmen zu lassen.

Brentano erhält Mereaus Antwort erst als er Mitte September in Frankfurt bei seiner Familie ankommt, wo er durch die Ablenkung vermehrt liebevolle und poetische Briefe schreibt. Als erstes versucht er Mereaus Bedenken hinsichtlich seiner

Familie zu beruhigen:

Keines meiner Geschwister hat bis jetzt Deinen Namen nur gegen mich genannt, sie ignorieren Dich und mich, und sie werden und wollen mich in nichts stören. Unsre Freiheit ist nicht größer zu wünschen […].251

Wie dieses Zitat zeigt, ist es ihm sehr wichtig die Unabhängigkeit gegenüber seiner

Familie darzustellen. Mehrfach erwähnt er in dieser Zeit, dass weder deren

Zustimmung noch Ablehnung seine Entscheidung beeinflussen, und dass die Familie

250 Brentano an Mereau, 14. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 203. 251 Brentano an Mereau, 22. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 217.

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Brentano allem mit einer angeblichen Gleichgültigkeit begegnet. Brentano reagiert damit auf Mereaus Vorwurf unmündig in seinem Leben zu sein. Er unterstreicht daher, dass es keine familiären Einwände gibt – was Mereau weitere Gegenargumente liefern könnte – und dass er sich nicht durch deren Zustimmung für die Ehe entschieden hat.

Diese Ausführungen dienen in erste Linie seiner Selbstdarstellung, in der er nun auch religiöse Gründe miteinbezieht. Zwar wird sich Brentano nach Mereaus Tod

1806 mehr und mehr der katholischen Kirche zuwenden, doch ist er zu diesem

Zeitpunkt kein übermäßig gläubiger Mensch und verschiedene intime Beziehungen sind Beweis, dass er in seiner romantischen Weltsicht ein uneheliches Verhältnis nicht als eine Sünde betrachtet hat. Doch bei seiner Argumentation über eine Heirat zu

Mereau sieht er sich stets in einer moralisch höheren Position:

Es könnte alles so einfach sein, ich heurate Dich vor Gott und der Welt, so ist alles Geziere, alles Gerede aus, und wir sind glücklich – bei Gott, ich bewundere mich selbst, daß ich nicht ungeduldig werde und von Dir begehre, Du sollst Dich entweder zu mir wenden oder zu der Welt […].252

Er betrachtet sich selbst als der Besonnene und seine Geduld als ein Zeichen seines guten Charakters. Er macht die Androhung sich von ihr abzuwenden – etwas was zu diesem Zeitpunkt extrem unglaubwürdig erscheint. Die Bemerkung dient lediglich der

Ausschöpfung sämtlicher Argumentationsmittel und sie drückt aus, dass Mereaus

Wünsche und Bedenken von ihm nicht als Widerspruch akzeptiert werden. Diese

252 Brentano an Mereau, 1./2. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 232.

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Missachtung ihrer Meinung kritisiert Mereau in ihrer Antwort zusammen mit

Brentanos Hang zur Selbstdarstellung:

Bei alledem, Brentano, betragen Sie sich doch sehr unzart gegen mich. Bei der geringsten Veranlassung werfen Sie gleich die Maske der Liebe und Bescheidenheit weg und machen sich mit Ihrer Vortrefflichkeit so breit wie Maiers Rücken, den ich doch immer noch lieber sah als sein Gesicht. Da heißt es gleich »Doch das verdienst Du nicht! Das kannst Du nicht verstehen! Das wirst Du nie erreichen!« Hören Sie, mein Herr, eine solche Geringschätzung verzeiht kein Weib, daß Sie es nur wissen!253

Mereau wechselt in diesem Zitat zwischen der formalen und informalen Anrede hin- und her. Das humorvolle Ermahnen gegenüber Brentano ist ein Teil ihrer

Bewältigungsstrategien, in denen sie häufig indirekt seine Argumentation und

Selbstbeschreibung reflektiert und kritisiert. Doch Brentano ist für eine kritische

Selbstbetrachtung viel zu sehr von sich selbst eingenommen. Er sieht in ihrer

Resistenz viel mehr einen Grund, sie immer wieder aufzufordern bis sie nachgibt – und dass sie dies letztendlich tun wird, daran hat er keine Zweifel: „Ich fordre Dich nochmals zu mehr auf, ich fordre Dich auf, mein Weib zu werden, ich versichre Dich,

Du wirst es doch über kurz oder lang.“254

In den kommenden Briefen im Oktober wiederholt Brentano immer wieder seine Kernargumente – dass eine Ehe sein Herzenswunsch ist, für innere Ruhe sorgen wird und den gesellschaftlichen Ruf bewahren würde – ohne dass sie darauf

253 Mereau an Brentano, 11. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 251. 254 Brentano an Mereau, 7. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 239.

107 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 antwortet.255 Kurz vor seiner Abreise aus Frankfurt betont er noch einmal, dass er ein uneheliches Verhältnis für ihn nicht mehr in Frage kommt:

Mein fester Wille, ja das einzige, worauf ich mich einzulassen gedenke, ist die Ehe, ist die Ordnung, denn ich empfinde, daß alle Trägheit, meine Fehler, meine Unruhe, Unzufriedenheit ihren Ursprung aus der Unordnung herzuleiten haben, ich habe bis jetzt mit meinen Gedanken, Worten, Werken, meinem Besitz, meinen Freunden, ja mit meiner Liebe selbst in einer gewissen Unordnung gelebt, die ganz darauf hinauslief, mich in allen meinen Verhältnissen, selbst in denen zur Kunst, zum Verderben zu bringen. […] Ich bitte Dich, Sophie, widerstrebe diesem frommen und festen Vorsatze nicht, besser zu werden, als ich bisher war […].256

Das Thema der Ordnung beschäftigt ihn im Oktober sehr. Die Wochen in der gutbürgerlichen und konservativen Gesellschaft seiner Familie in Frankfurt scheinen einen großen Einfluss auf ihn gehabt zu haben, und er ist mehr denn je davon

überzeugt, dass ungeregelte Verhältnisse die Ursache seiner Unausgeglichenheit sind.

Julia Augart, die den Briefwechsel hinsichtlich der Liebeskonzeption untersucht hat, ist der Auffassung, dass Brentanos Heiratsbegehren auf grundlegend konservativen

Vorstellungen fußt:

In seinem bisherigen Leben kennt er weder eine privat-familiäre noch eine berufliche Regelmäßigkeit. Mit diesem Wunsch zur Ordnung scheint er der romantischen Subjektauflösung entgegenwirken zu wollen. Denn Brentano sieht Ordnung nicht nur als Garant für innere Ruhe, sondern versteht darunter auch gesellschaftliche Normen und Moralvorstellungen, denen er durch eine bürgerliche Ehe mit Mereau entsprechen will.257

Brentanos Streben nach Stabilität scheint umso nachvollziehbarer, bedenkt man seine offensichtlichen Stimmungsschwankungen. Nur oberflächlich fantasiert er in den

255 Vgl. u.a. Brentano an Mereau, 8. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 245. 256 Brentano an Mereau, 12. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 256. 257 Augart, Liebeskonzeption im Briefwechsel. S. 177.

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Briefen an Mereau von einer romantischen Liebe, stattdessen sehnt er sich nach geordneten Verhältnissen. Doch je mehr er es wünscht, desto manipulativer und irrationaler wird er. Er sieht in Mereau seinen einzigen Ausweg, macht ihr große

Versprechungen zur Besserung und appelliert wieder durch responsibilty invocation an ihr Verantwortungsgefühl: „Ich bitte Dich, liebe mich, störe mich nicht, sei mein

Weib.“258

Doch Brentanos Worte lösen bei Mereau keine Schuldgefühle aus, sondern

Widerstand. Sie ist sich seiner Verklärung bewusst:

Nein, Clemens, ich will die Ordnung Deines Lebens nicht stören, ich will sie sichern; leichtgesinnt werde ich sein, aber nicht leichtsinnig, Deine Freiheit will ich zu erhalten streben, indem ich Dich der Unordnung entreiße, und alle Reife, welche die mir aufgenötigte Sorge für die Erhaltung meiner eignen Existenz, meinen Verstand gegeben hat, will ich gebrauchen, um Dir auf jede Weise nützlich zu werden.259

Sie gesteht ihm Unterstützung zu, doch macht klar, dass eine Heirat nicht das

Ende seiner Unzufriedenheit bedeuten würde. Sie stellt sich entschieden gegen die Illusion der sicheren Ehe, da ihr bewusst ist, was für ein Risiko die

Verbindung birgt. Letztendlich ist es Brentano selbst bewusst, dass er zu viel fordert: „Wir erwarten beide vieles von der Zukunft, Wiedersehn, Küsse,

Vertraulichkeit, ich erwarte mehr als Du.“260

Doch wie bereits angekündigt, kann Brentano nicht von dem Thema ablassen.

Sobald er am 27. Oktober wieder allein in Marburg ist, schreibt er erneut an sie,

258 Brentano an Mereau, 12.Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 259. 259 Mereau an Brentano, 19.Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 261. 260 Brentano an Mereau, 20.Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 263.

109 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 nachdem sie sich wochenlang kaum gemeldet und das Thema Ehe weitestgehend ignoriert hatte:

Über einen Punkt schweigst Du seit einiger Zeit ganz, es ist der unsrer Verehligung [sic], das, was mich am nächsten, am innigsten berührt, dies Schweigen schmerzt mich, […] willst Du denn mein Weib nicht sein, willst Du die Erleichterung Deines Lebens durch meine zufällige Wohlhabenheit nicht annehmen? […], Du weißt vielleicht nicht, daß der Ruf einer Frau, der Ruf einer Mutter mehr als 200 Taler wert ist, meine Familie, die ich zu lieben, zu ehren mannichfache Ursache habe, ist mit der Idee dieser Verbindung vertraut […]. Überhaupt begreife ich nicht, wie Du Dir Dein Verhältnis zu mir denkst, Du liebst mich, Du willst mich ruhig, glücklich und ordentlich machen, und wie kannst Du das anders, als indem Du meine Gattin, die Mutter meiner Kinder wirst […].261

Eindrücklich fasst er in einem einzigen Absatz noch einmal alle seine Gründe zusammen. Immer noch eindringlich bittend aber weitaus ruhiger appelliert er an sie.

Seine Darlegung scheint durchdacht, und auch wenn seine Argumente teilweise immer noch auf emotionaler Erpressung basieren, scheint es ihm vor allem darum zu gehen, eine endgültige Antwort von Mereau zu bekommen. Und dafür ist er sogar bereit – nach all den Wochen des Forderns und der Behauptung, ohne Ehe würde er nicht mit ihr zusammenleben – einzulenken:

und darum sei mein Weib oder meine unzertrennliche Genossin, das erste gibt uns Ruhe, Würde, Sicherheit und die Wohltat bürgerlichen Schutzes, das andre hängt von Deinem Willen, Deinem Mute ab, es nimmt uns manchen Vorteil und ist mir in Hinsicht Deiner Tochter, die nicht schicklich unter so freien Verhältnissen aufwachsen kann, nicht ganz lieb, doch ich stehe in Deiner Hand, mache, was Du willst, es ist mir das liebste, Du bist es allein, die Aufopferungen bringt in diesem Verhältnis, ich habe nichts zu verlieren auf Erden als Dich […]262

261 Brentano an Mereau, 27.Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 280. 262 Brentano an Mereau, 27.Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 281.

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Er warnt vor den Risiken und den Nachteilen, doch er gibt sich geschlagen: Ohne auszuweichen gesteht er, dass er mit ihr zusammen sein möchte – in welcher Art und

Weise auch immer.

Es hat etwas tragikomisches, dass seine Worte zu diesem Zeitpunkt vollkommen überflüssig sind. Mereau schreibt einen Tag später an Brentano und teilt ihm geradeheraus mit: „Clemens, ich werde Dein Weib – und zwar so bald als möglich. Die Natur gebietet es, und so unwahrscheinlich es mir bis jetzt noch immer war, darf ich doch nun nicht mehr daran zweifeln.“ 263 Nach all den Monaten des

Widerstandes willigt sie aufgrund ihrer Schwangerschaft in die Ehe an. Sie versucht, positiv in die Zukunft zu blicken, doch sie ist beunruhigt und hat die Entscheidung nicht leichtfertig getroffen. Sie betont noch einmal, dass seine verträumt-poetischen

Briefe aus Frankfurt sie letztendlich überzeugt haben:

Wärst Du in Deine vorigen Grausamkeiten zurückgefallen, so war ich fest entschlossen, eine Diebin zu werden und mit Deinem Eigentum an einen Ort zu flüchten, den ich mir schon ersehen hatte, wo Du mich nie, nie wiedergefunden hättest; so aber, da Deine Briefe in schönen Zusammenhang, sich wie eine Kette von goldnen Blumen um mich geschlungen und mich ununterbrochen immer näher zu Dir geführt haben, will ich Dir Dein Eigentum zurückbringen und sorgsam bewahren.264

Es ist anzunehmen – aufgrund Mereaus vielfältiger Bedenken und monatelanger

Selbstbehauptung – dass sie ohne ihre Schwangerschaft in die Ehe mit Brentano niemals eingewilligt hätte. Es zeigt, dass auch eine Frau wie Sophie Mereau, die sich für die damalige Zeit ungewöhnlich emanzipieren konnte, sich dem patriarchischen

263 Mereau an Brentano, 28. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 285. 264 Mereau an Brentano, 28. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 285.

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Gesellschaftssystem nicht entziehen konnte. Nur eine Ehe bedeutete Sicherheit für ihr ungeborenes Kind im Falle ihres Todes. Auch wenn sie Brentano aufrichtig geliebt hat, war letztendlich lediglich das Verantwortungsgefühl gegenüber ihrem Kind ausschlaggebend.

Für ihre Beziehung bedeutet ihre Zustimmung weitere Probleme, da Brentano sich in seine angewandten Verhaltensweisen bestätigt gesehen haben wird. Die

Gründe der Entscheidungsfindung sind für eine manipulative Person unbedeutend, wenn der Forderung nachgekommen wurde. Sein manipulatives Verhalten wurde belohnt, und dies scheint ausschlaggebend für den weiteren Verlauf der Beziehung der beiden Schreibenden gewesen zu sein. Mereau scheint eine Vorausahnung zu haben und schreibt ihm im selben Brief: „Ich werde mit Dir glücklich sein, das weiß ich; ob ich es bleiben werde, das weiß ich nicht, aber was geht mich die Zukunft an? – Kann ich nicht sterben, eh‘ ich unglücklich werde?“265

265 Mereau an Brentano, 28. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 283-284.

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KAPITEL V

BEWÄLTIGUNGSSTRATEGIEN VON SOPHIE MEREAU

Bei der Analyse des Briefwechsels im Zeitraum von Januar bis November

1803 wurde immer wieder auf die verschiedenen Strategien von Mereau hingewiesen mit denen sie auf die Manipulationsversuche von Brentano antwortet. Da die

Bewältigung stets als Reaktion auf Brentanos Angriffe analysiert wurde, sollen an dieser Stelle ihre Strategien und rhetorischen Mittel noch einmal gezielt untersucht werden, um deren Bedeutung klarer hervorzuheben.

Wie bereits in Kapitel 2 erwähnt, definiert die Psychologin Harriet Braiker zwei verschiedene Möglichkeiten mit manipulativen Beziehungen umzugehen:

Entweder die betroffene Person entzieht sich der Beziehung oder sie baut Widerstand auf.266 Während Mereau in der Vergangenheit bereits einmal den Kontakt zu Brentano aufgrund von „Beleidigungen […] und unwürdige[r] Sprache“267 abgebrochen hatte, entscheidet sie sich nun für den Widerstand. Sie nimmt voller Zuversicht den

Briefkontakt wieder auf und erhält leidenschaftliche Liebeserklärungen, aber auch fordernde und manipulierende Briefe.

Eine ihrer wichtigsten Reaktionen darauf ist das Unterlassen dieser. Es ist anzunehmen, dass es ihr allein durch die Fülle von Brentanos Schriftverkehr von vorneherein gar nicht möglich ist, auf alle Briefe und Anliegen von Brentano einzugehen. Doch wird deutlich, dass sie bestimmte Beleidigungen und Kritik von

266 Vgl. Braiker, Strings. S. 171. 267 Mereau an Brentano, Dezember 1801. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 96.

113 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 ihrem Freund einfach unbeantwortet lässt. Hinsichtlich der immer wieder von

Brentano hervorgebrachten Forderung nach einer Ehe ist erkennbar, dass sie dem zwar zunächst widerspricht, dann aber jeglichen Verweis darauf unkommentiert lässt.

Darüber beschwert sich auch Brentano im Herbst 1803: „Auf einen meiner Briefe, der meine dringende Bitte um unsre wirkliche Verehlichung [sic] erneuerte, hast Du mir noch nicht geantwortet.“268 Das kontroverse Thema, welches Brentano mit solch einer

Hartnäckigkeit und verschiedenen rationalen und emotionalen Manipulationsstrategien verfolgt, einfach zu ignorieren, ist ein Mittel Distanz aufzubauen und zur Deeskalation beizutragen.

Widerspruch auf der anderen Seite erfordert Zeit und Überlegung und löst bei

Brentano oft weitere Diskussionen aus. Doch es gibt bestimmte Themen, die Mereau nicht unkommentiert lässt, sondern geradeheraus anspricht. Nachdem Brentano im

Januar einen seitenlangen, etwas konfusen und parabelartigen Brief verfasst, in dem er unter anderem mit debasement versucht, Mereau von einem Wiedersehen zu

überzeugen, stellt sie Bedingungen auf. Entweder er ändert seinen Ton, oder der

Kontakt wird wieder abgebrochen: „aber da meine Persönlichkeit, die Sie gar nie geliebt haben, und gar nicht genug herab zu setzen wissen, doch Ihre Briefe lesen muß, so ist es billig daß Sie ihr entweder gar keine oder angenehme Briefe schreiben.“269 Auch als Brentano im September droht, dass er zu ihr kommen würde, wenn sie nicht mehr schriebe, stellt sie sich dem entschieden entgegen:

268 Brentano an Mereau, 24. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 272-273. 269 Mereau an Brentano, 20. Januar 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 117.

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Du schreibst vom Herkommen – lieber Clemens, das tue jetzt auf keinen Fall! ich bitte Dich, laß Dich jetzt von mir leiten, mach diese Reise, dieses Aufsehen nicht unnötigerweise, da es so vielleicht nötig ist, daß Du mich abholst. Also jetzt auf keinen, keinen Fall! wenn Du mich nur im mindesten achtest!270

Wie dieses Zitat zeigt, reagiert sie auf Brentanos überzogene Forderungen mit einer rationalen Argumentation. Sie führt ihm praktische Gründe auf, warum eine Reise nach Weimar keine gute Idee ist. Aber sie arbeitet auch mit ihrer Wortwahl und

Betonungen. ‚Das‘ (die Weimarreise) und ‚mir‘ sind hervorgehoben. Verstärkt will sie zeigen, dass sein Plan unangemessen ist und dass er nur ihr allein vertrauen muss. Die mehrfache Wiederholung von ‚auf keinen Fall‘ unterstreicht die Dringlichkeit ihrer

Aussage. Zuletzt kombiniert sie die Äußerung mit Art emotionaler Erpressung, die sehr Brentanos Forderung nach Achtung ähnelt.

Auch wenn Mereau oft Kritik ausweicht und indirekt ihren Unmut äußert, spricht sie viele Manipulationsversuche von Brentano mit unvermittelter Klarheit und

Offenheit an. Wie im Zeitraum III bei Brentanos Heiratsbegehren näher besprochen, stellt sie sich entschieden gegen die Illusion einer glücklichen Ehe, die er ihr immer wieder durch reason und responsibilty invocation anpreist. Einen klaren Widerspruch erhalten auch Brentanos impulsive Briefe von Anfang September. Die Androhung von

Gewalt und Selbstverletzung und die depressive Stimmung können von ihr nicht einfach übergangen werden. Offen äußert sie ihren Unmut: „Ich habe nun Deinen zweiten Brief, und muß es freilich billig und natürlich finden, daß in meine helle

270 Mereau an Brentano, 21. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 210.

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Stimmung nun ein Schatten fällt.“271 Es ist schwer für Mereau, Brentanos Betrübtheit nachzuvollziehen, und sie sieht sich an frühere Begebenheiten erinnert. Der wechselhaften Stimmung und dem Druck, den er durch die angewandten

Manipulationen aufbaut, begegnet sie mit vernünftigen Ratschlägen nach körperlicher

Ertüchtigung.272 Wenn es ihre eigene Entscheidungsfindung beeinträchtigt, entschuldigt sie sein Verhalten nicht:

Ach, lieber Clemens, schreib‘ mir doch keine so barbarisch ernsthaften, so unverständig verständigen Briefe mehr! es tut mir so unendlich leid, daß ich nicht gleich zu Allem Ja sagen kann, und doch kann ich mich nicht, wie ein Wetterfähnlein, nach jedem andern Wind hindrehen. Ich bitte Dich, laß das Alles gut sein, es wird mir sonst zu bunt.273

Sie macht hier ihren Standpunkt klar deutlich und besteht darauf, unabhängig ihre

Entscheidungen zu treffen. Der Vergleich mit einer Fahne, die sich stets der

Wetterlage beugt, beschreibt durch die Negation treffend das standhafte Selbstbild von

Mereau. Ihre Entschuldigung wirkt für den Vorwurf unangemessen und ist durch die

Wortwahl des ‚unendlich‘ derart überzogen, dass es als ironisch gewertet werden kann. Es verdeutlicht klar, dass Mereau in ihrem Widerstand oftmals auf Ironie und

Poesie setzt. Die Bezeichnung von Brentanos Briefen sowohl als ‚barbarisch‘

(grausam, roh) als auch ‚ernsthaft‘ bringt zum Ausdruck wie widersprüchlich diese auf sie gewirkt haben müssen. Doch anstatt dies geradeheraus zu kritisieren, behilft sie

271 Mereau an Brentano, 6. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 183. 272 Siehe Analyse in Zeitraum III, Allgemeine Forderungen und Zustand von Brentano. 273 Mereau an Brentano, 14. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 203.

116 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 sich oft kleinerer Wortspiele wie hier der Kombination von ‚unverständig‘ und

‚verständig‘.

Offen kritisch ist sie nur in Ausnahmefällen – sie spricht die Themen an, aber tendiert dann dazu ihre Gefühle zu umschreiben und Nachrichten in Gedichten zu verstecken:

Herz, o Herz, was soll das heißen? bist so frei, so übermütig, willst die Zweifel von Dir weisen? und er ist Dir doch nicht gütig!274

In diesem Auszug aus einem Gedicht von Oktober kommen klar ihre Zweifel an der

Verbindung zu Brentano zum Vorschein. Ihr eigenes Verhalten bezeichnet sie als

Übermut, da sein Benehmen nicht entgegenkommend genug ist. Anstatt diese

Unzufriedenheit direkt auszudrücken, verpackt sie es in einem Gedicht. Es ist eine

Strategie, um Distanz zwischen dem Thema und der Reaktion zu schaffen, und es erlaubt ihr angemessen auf Brentanos Manipulationen zu reagieren. Am besten kommt dies zum Vorschein als Brentano sich über ihre Arbeit als Schriftstellerin lustig macht.

Geschickt nimmt sie alle seine Angriffe auf und schreibt eine ironische Abhandlung

über ihre Zunft:

Was Sie mir über die weiblichen Schriftsteller und insbesondere über meine geringen Versuche sagen, hat mich recht ergriffen, ja erbaut. Gewiß ziemt es sich eigentlich gar nicht für unser Geschlecht, und nur die außerordentliche Großmut der Männer hat diesen Unfug so lange gelassen zusehen können. Ich würde recht zittern wegen einiger Arbeiten, die leider! schon unter der Presse sind, wenn ich nicht in dem Gedanken an ihre Unbedeutsamkeit und Unschädlichkeit einigen Trost fände. Aber für die Zukunft werde ich wenigstens mit Versemachen meine Zeit nicht mehr verschwenden, und wenn ich

274 Mereau an Brentano, 11. Oktober 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 253.

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mich ja genötigt sehen sollte, zu schreiben, nur gute moralische oder Kochbücher zu verfertigen suchen. Und wer weiß, ob Ihr gelehrtes Werk, auf dessen Erscheinung Sie mich gütigst aufmerksam gemacht haben, mich nicht ganz und gar bestimmt, die Feder auf immer mit der Nadel zu vertauschen.275

Der Absatz steht in solch einem krassen Gegensatz zu Mereaus Meinung über weibliches Schreiben, dass dessen Ironie sofort sichtbar ist. Sie begegnet Brentanos poetischem, ironischen Brief vom 10. Januar damit auf derselben Ebene – mit Poesie und dichterischem Talent. Zuerst drückt sie ihre Dankbarkeit für seine Beurteilung

über ihre Talentlosigkeit und die Großzügigkeit der Männer aus. Sie stimmt ihm zu, dass Frauen für die Schriftstellerei eigentlich nicht geeignet sind und daher nur triviale

Werke verfassen können. Auch ihre eigenen Werke bezeichnet sie als derart bedeutungslos, dass dessen unglückliche Veröffentlichung gar kein Aufsehen erzeugt.

Sie gelobt Besserung ab sofort nur noch, die für das weibliche Geschlecht zugedachten, Gattungen zu bedienen, falls sie überhaupt noch Zeit mit Dichten vergeuden wird – Nadelarbeit wäre sowieso angemessener für eine Frau. Dies ist ein direkter Verweis auf die damalige weitverbreitete gesellschaftliche Meinung gegenüber weiblichem Schreiben. Mithilfe ihres Spottes entwaffnet sie diesen Angriff von Brentano und auch die anderen seiner verletzenden Aussagen. Anstatt ihn offen auf seine Meinung anzusprechen, wählt sie Ironie als Reaktion. Selbstbewusst eignet sie sich die Aussagen von Brentano an, trivialisiert sie und gibt sie damit der

Lächerlichkeit preis.

275 Mereau an Brentano, 20. Januar 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 116.

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Doch es ist auch wichtig zu betonen, dass Mereau nicht immer nur rational und kontrolliert auf Brentanos Briefe reagiert. Auch wenn Mereau den

Manipulationsversuchen fast immer souverän entgegentritt, gibt es auch emotionale

Antworten. Dies kommt besonders bei einem Punkt zum Vorschein, der erst im

Nachhinein vom Dichter als Manipulation benutzt wird: Brentanos abschätzige

Äußerungen über Mereau gegenüber seiner Familie.276 Brentanos Tendenz in seinen

Briefen die wahren Zustände stets an seine Bedürfnisse anzupassen – er muss stark und in Kontrolle wirken – hat Konsequenzen. Durch den Klatsch und Tratsch in

Weimar hat Mereau von Brentanos Äußerungen gehört und ist außer sich:

Clemens! Gott verzeihe Dir die Stunden, die ich soeben erlebt habe, die brennenden Tränen, die ich geweint, die qualvollen Schmerzen, die mein Innres zerrüttet haben! – Ich bin zu sehr vernichtet, als daß ich mich verstellen könnte. […] ‚Das ist nun auch vorbei, schriebst Du Deiner Schwester, ich habe die M. geliebt, ich liebe sie nicht mehr; an Heurat [sic] ist gar nicht zu denken, aber sie will meine Freundin – dies Wort zweideutig unterstrichen – sein, und sie wird mir durch die ganze Welt nachlaufen.‘ Daß alles wahr ist, daran ist leider kein Zweifel.277

Dieses Zitat offenbart wie entsetzt Mereau in vielfacher Hinsicht ist. Es geht dabei für

Mereau nicht nur um das Gerede, sondern auch, dass er ihr Selbstverständnis der

Privatheit ihrer Briefe verletzt hat. Brentano hat Mereaus Zusage zur Beziehung an andere Personen verraten, und sich auch über ihre Wortwahl ‚Freundin‘ mit dem

Hervorheben lustig gemacht. Mereau ist auch verletzt, dass Brentano hinter ihrem

Rücken so abschätzig über sie redet. Während er in den Briefen an sie stets, von seiner

276 Im Verlauf der brieflichen Diskussion dieser Aussage weist Brentano jede Schuld von sich und antwortet so oft ironisch auf Mereaus Sorgen, dass diese am Ende das Gefühl hat, überreagiert zu haben. Auch dies ist eine Art von Manipulation. Vgl. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 252. 277 Mereau an Brentano, 20./21. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 205.

119 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 unendlichen Hingabe für sie berichtet, betont er im Brief an die Schwester seine

Unabhängigkeit. Nichts ist von ihrer sonstigen Gelassenheit, ihrem Witz und ihrer

Kontrolle mehr zu spüren. Sie ist derart verletzt, dass sie, genau wie sonst Brentano, ihren Empfindungen in diesem Brief freien Lauf lässt. Sie verwendet Ausrufezeichen, die ihre Entrüstung verstärken, und emotionale Sprache. Vor allem Verben wie

‚erleben‘, ‚weinen‘ und ‚zerrütten‘ und Adjektive wie ‚brennend‘, ‚qualvoll‘ und

‚vernichtet‘ drücken anschaulich ihre Gefühle aus. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass sie sich von Brentano betrogen fühlt, zum anderen ist ein solches

Gerede aber auch eine Gefahr für ihr gesellschaftliches Ansehen und damit ihre

Arbeit.278 Doch auf den ersten emotional aufgewühlten Brief folgt bereits am nächsten

Tag ein Zweiter, der rationaler die Situation analysiert. Mereau dichtet wieder und schreibt ruhig und überlegt. Dennoch ist es wichtig zu betonen, dass auch Mereau

Briefe schreibt, in denen sie Brentanos Handlungen nicht ausschließlich rational bewältigt. Tendiert sie normalerweise dazu in Situationen, wo sie sich herausgefordert fühlt, nicht oder erst verspätet zu antworten, ist auch sie durchaus in der Lage ihre

Gefühle brieflich zum Ausdruck zu bringen, um mit der Situation umzugehen.

Vor allem ist jedoch bemerkenswert, wie sie letztendlich mit dem Verrat durch

Brentano umgeht, indem sie sich in einer moralisch erhöhten Position sieht:

Nichts mehr davon. Ich erkenne mich nun als eine Heldin in der Liebe und Standhaftigkeit, da ich diesen Giftbecher leeren mußte und dennoch unverändert bleiben konnte, und was Du auch sagen magst,

278 Vgl. Dechant, Briefwechsel zwischen Sophie Mereau und Johann Heinrich Kipp. S. 97.

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so ist an der seltnen Vortrefflichkeit meines Wesens nun kein Zweifel mehr.279

Die Wortwahl des Giftbechers ist sehr bezeichnend. Während ein voller Becher Leben und Lebenszeit symbolisiert, kann ein geleerter Becher vor allem wenn er Gift enthält, das Lebensende und den Tod darstellen.280 Der indirekte Vergleich eines Erlebnisses in der Beziehung zu Brentano mit solch einem Symbol kann Mereaus empfundene

Selbstaufgabe ausdrücken. Dadurch, dass sie ihre Opferbereitschaft selbst stilisiert,

übernimmt sie ein Stück weit Brentanos Argumentation von ihrer Verpflichtung ihm gegenüber an. Wie bereits mehrfach erwähnt besteht Brentano in seinen Briefen darauf, dass seine physische und psychische Rettung nur durch Mereau erfolgen kann.

Zwar begegnet Mereau Brentanos Idealisierung stets skeptisch und sie steht auch seiner Erwartungshaltung kritisch gegenüber, dennoch ist es letztendlich ihre

Akzeptanz von moralischer Überlegenheit, die diese Beziehung möglich macht. Sie versteht sich als die einzige Person, die mit ihm umgehen kann: „Doch was Du auch der Welt gelten magst, ich allein kenne Dich anders, ich allein verstehe Deinen

Wert!“281 Dieses Selbstverständnis, welches ihr das Umgehen mit den wechselhaften

Stimmungen und manipulativen Neigungen von Brentano ermöglicht, steht ihrem sonstigen Widerstand entgegen. Doch sie akzeptiert ihre Rolle als die Retterin des

Brentano und äußert keine Kritik daran, dass er sein Glück stets nur in ihr sucht. Dies zeigt deutlich, dass Bewältigungsstrategien nicht nur Widersetzen gegen die

279 Mereau an Brentano, 21. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 209-210. 280 Vgl. Butzer, Lexikon Literarischer Symbole. S. 38. 281 Mereau an Brentano, 21. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 210.

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Manipulation beinhalten, sondern auch compliance enthalten können. Doch angeblich ist sie ganz ohne Gegenleistung nicht bereit, die Retterin zu spielen. Auch Brentano soll seinen Beitrag zu ihrem Seelenfrieden leisten:

Ach! ich habe so viel gelitten, daß mir nun wohl wieder etwas freudiges begegnen muß! nicht wahr, Clemens? und das wird Dein Brief sein. Du wirst mir so vernünftig und so zärtlich, so einfältig und so zufrieden schreiben, daß ich auf der Stelle wieder gesund, mutig und leichtsinnig werden kann.282

Ihr Leiden soll ihn dazu bewegen, sie aufzumuntern und für ihre Besserung zu sorgen. Direkt spricht sie ihren Partner an und fordert ihn auf, sie angemessen und liebevoll zu behandeln. Sie kann diese Forderung stellen, da er sie verletzt hat, und sie sich demnach in einer angeblich moralisch

überlegenden Position befindet, in der sie so etwas fordern kann. Damit wird ersichtlich, dass auch Mereau manchmal zu den üblicherweise von Brentano angewendeten Manipulationsstrategien – hier am ehesten mit coercion zu beschreiben – neigt. Dies unterstreicht noch einmal, dass

Manipulationsstrategien oftmals ein Teil einer normalen zwischenmenschlichen Kommunikation sind, und dass diese genauso wie die

Bewältigungsstrategien stets im Kontext analysiert werden müssen.

282 Mereau an Brentano, 21. September 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 211.

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KAPITEL VI

ZUSAMMENFASSUNG

Am 29. November 1803 heiraten Sophie Mereau und Clemens Brentano in der lutherischen Pfarrkirche in Marburg.283 Noch ein paar Wochen vorher nennt Mereau es „den kecksten, lustigsten Streich ihres Lebens, aus dem Clemens einen Ehemann zu machen!“284 Und Recht sollte sie behalten. Die kurze Ehe mit Brentano – Sophie

Mereau verstirbt 1806 bei einer Fehlgeburt – enthält „Himmel und Hölle, aber die

Hölle ist vorherrschend,“285 schreibt Mereau an ihre Freundin Charlotte von Ahlefeld.

Auch wenn eine Beurteilung der ehelichen Verbindung unbedingt vermieden werden soll, offenbaren die Briefe zwischen Mereau und Brentano im untersuchten Zeitraum vom Januar bis November 1803, dass zwischen den beiden Liebenden keine gleichberechtigte Beziehung herrschte.

Wie in der vorausgegangenen Analyse gezeigt wurde, enthält der Briefwechsel viele Merkmale der von David Buss definierten Manipulationstechniken. Charm, silent treatment, coercion, reason, debasement, responsibility invocation, monetary reward, hardball, reciprocity (-reward) und social comparison sind vorhanden. Damit verwendet Brentano 10 von 12 Manipulationstechniken nach Buss, womit eindeutig nachgewiesen ist, dass die Briefe als schriftliches Zeugnis einer zwischenmenschlichen Kommunikation des 18. Jahrhunderts moderne

Manipulationsstrategien aufweisen. Abgesehen von kleineren Forderungen wendet er

283 Vgl. Brentano & Mereau, Vorwort, Briefwechsel. S. 52. 284 Mereau an Brentano, 4. November 1803. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 290. 285 Gersdorff, Das Leben der Sophie Brentano-Mereau. S. 310.

123 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 diese Techniken vor allem an, um ein Wiedersehen mit Mereau zu erreichen, ein

Liebesgeständnis zu erzwingen, und sie von einem Zusammenziehen und der Ehe zu

überzeugen. Auch Bewältigungsstrategien von Mereau als Reaktion zu Brentanos

Manipulationsversuchen wie Ignorieren, Zurechtweisen und die Anwendung von poetischen Mitteln lassen sich abzeichnen.

Die Diskursanalyse ermöglichte eine Beurteilung der in den Briefen und anderen historischen Quellen dargestellten, literarischen Figuren Brentano und

Mereau, die keine automatischen Rückschlüsse auf die Biografien und Charakter der beiden historischen Persönlichkeiten zulässt. Die Briefe offenbaren vielmehr einen am

Diskurs teilnehmenden Dichter, der durch Briefe seine Ideen von Maskulinität und romantischer Dichtung ausdrückt: Die Briefe sind ein Teil von Brentanos

Kunstverständnis. Er inszeniert sich in ihnen, während Realität und Fiktion verschwimmen. Dies ist Grundlage seiner Manipulationsansätze, in denen es darum geht, Mereau eine angepasste Wahrheit darzustellen, die ihm eine stärkere

Argumentation garantiert. Dies zeigt sich vor allem bei der Begründung für die

Weimarreise, Savignys angeblichem Wunsch nach Brentanos Auszug, und dem

Standpunkt der Brentanoschen Familie gegenüber Mereau. Es ist auch ersichtlich in der Position, die Brentano gegenüber Mereaus schriftstellerischer Arbeit einnimmt. Er befürwortet sie nur, wenn es dazu dient, Mereau zu manipulieren. In Brentanos tradierter maskulinen Grundauffassung soll Mereau ihre Fähigkeiten lediglich im

Rahmen ihrer Rolle als Muse und Unterstützerin von Brentano ausleben. Es offenbart

124 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 seinen Narzissmus, dass alles unwillkommen ist, was Mereaus volle Aufmerksamkeit von ihm ablenkt – dies schließt auch Bekanntschaften und Mereaus Kinder ein.

Damit ist klar bewiesen, dass der Briefwechsel ein geeignetes Mittel ist, gesellschaftliche Normen und Unterdrückungsmechanismen in partnerschaftlicher

Kommunikation aufzuzeigen. Es wird in den Briefen ersichtlich, dass Brentano seiner

Partnerin keine Entscheidungsfreiheit zugesteht. Vor allem die Wahl der Wohnung aber auch die Impertinenz in der Verfolgung seiner Ziele stehen als Exempel. Jedes seiner Manipulationsziele – zu nennen sind der Wunsch des Wiedersehens, eines

Liebesgeständnis, des Zusammenziehens und letztendlich die Forderung nach der Ehe

– wird von ihm unermüdlich verfolgt. Mereaus Widerstand animiert ihn, sie immer wieder aufzufordern bis sie nachgibt. Damit stellt Brentano stets seine Bedürfnisse

über die von Mereau. Besonders ersichtlich ist dies bei seinem Wunsch nach

Zweisamkeit und seinem Drang nach gesellschaftlicher und familiärer Anerkennung, die er über alles stellt.

Vor allem in den Briefen aus dem Frühjahr 1803 wird deutlich, dass er

Achtung und Respekt von Mereau fordert. Trotz dem propagierten Ideal einer freien romantischen Liebe in seinen Werken vertritt Brentano die üblichen patriarchischen

Rollenmuster der damaligen Zeit in seinen Briefen. Dominanzgefühle gegenüber

Mereau und der Drang nach Ordnung sind zentrale Themen, die vor allem bei seinem

Heiratsbegehren von Bedeutung sind. Es zeigt sich aber auch in seiner versuchten

Einflussnahme auf ihr Aussehen und ihre Verhaltensweise. Brentano kreiert damit ein

Ungleichgewicht in der Beziehung, welches essenziell für die Anwendung von

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Manipulation ist. Das Missverhältnis drückt sich in zwei verschiedenen Formen aus.

Zum einen stilisiert er sich als eine Moralinstanz, die Mereau aus ihren Fehlverhalten leiten soll, zum anderen stellt er sich vermehrt in einer untergebenen, schwachen

Position dar. Diese propagierte Abhängigkeit ist Basis von Manipulationen, die er bei allen zu erreichenden Zielen (u.a. Wiedersehen, Liebesgeständnis und Zusammenzug) anwendet. Es zielt darauf ab, jegliche Verantwortung von Brentanos Wohlergehen auf

Mereau zu übertragen und durch Mitleid und Schuldgefühle Druck zu erzeugen.

Brentanos Korrespondenz wechselt ständig – auch innerhalb eines Briefes – zwischen überhöhtem Selbstwertgefühl und tiefen Selbstzweifeln. Diese wechselhafte, unberechenbare Stimmung, die er ungefiltert in seinen Worten ausdrückt, kann als Teil seiner Manipulationstechniken gewertet werden. Der Wechsel von

überschwänglichem Lob zu niedermachendem Tadel und wieder reumütigem

Verhalten schafft eine unvorhersehbare und unbeständige Atmosphäre, die die perfekte Grundlage für eine Manipulation bildet. Auch das ständige Versprechen sich zu bessern, ist ein wichtiger Teil seiner zu Kontrolle neigenden Persönlichkeit.

Ein weiteres Beispiel seines dominanten Verhaltens ist Brentanos Reaktion auf

Mereaus Verhalten, wenn es in einem Widerspruch zu seiner Erwartungshaltung steht.

Während er in den Briefen vor dem persönlichen Wiedersehen im Mai vor allem mit

Ironie agiert, ist danach vor allem eine Erhöhung des Drucks sichtbar. Auch

Beleidigungen wie eine Herabsetzung ihrer Intelligenz, die er meist mit Poesie umschreibt, sind vorhanden. Eingebettet im poetischen Ausdruck findet sich auch die radikalste Manipulationstechnik von Brentano: Die Androhung von körperlicher

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Gewalt gegenüber sich selbst und Mereau. Dies ist manchmal gepaart mit der

Viktimisierung Brentanos, deren Abhilfe – abgesehen von der Rettung durch Mereau

– nur Selbstverletzung sein kann.

Die Analyse des Briefwechsels auf Grundlage von David Buss‘

Manipulationstechniken zeigt, dass Brentanos Manipulation sowohl rationalen als auch emotionalen Mustern folgt, die über den romantischen Stil hinausgehen. Denn auch die Verwendung von rationalen Strategien wie reason, responsibilty invocation und social comparision, die auf legitimen Wünschen nach gesellschaftlichem Ansehen und Sicherheit basieren, sind stets gepaart mit emotionaler Erpressung und

Schuldgefühlen. Es ist zudem sichtbar, dass Brentanos Manipulation auf lange im

Voraus erdachten Plänen basiert, wie der angekündigte Heiratswillen im Juni 1803 ohne die Etablierung der Beziehung zeigt.

Es ist nochmals zu betonen, dass Manipulation eine normale zwischenmenschliche Kommunikationsstrategie sein kann, die die meisten Menschen unbewusst anwenden. Doch kommt es zu einem Ungleichgewicht in einer

Intimbeziehung und zu einer konstanten Anwendung von Manipulation, in deren

Konsequenz die Bedürfnisse der Partnerin kategorisch übergangen werden, kann die

Anwendung als missbräuchlich bewertet werden. Auch unter Berücksichtigung der damaligen patriarchalischen Gesellschaftsnormen – über die, die briefliche

Kommunikation von Mereau und Brentano hinaus geht – kann die Korrespondenz als missbräuchlich bezeichnet werden. Dass Brentano Mereau insbesondere das Recht abspricht, Entscheidungen frei zu treffen und sich zu entfalten, hat weitreichende

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Folgen für ihre Arbeit als Schriftstellerin.286 Es ist ersichtlich, dass Mereau durchaus in der Lage ist die Manipulationsstrategien zu bewältigen, doch bedeutet dies, dass sie sich zusätzlich zu den gesellschaftlichen Hindernissen nun auch in ihrer brieflichen

Korrespondenz mit ihrem Partner rechtfertigen und widersetzten muss.

Die Analyse des Briefwechsels auf der Grundlage von zeitgenössischen psychologischen Theorien hat gezeigt, dass bestimmte manipulative Verhaltensmuster schon vor über 200 Jahren vorhanden waren. Diese Erkenntnis muss dazu beitragen, die kategorische Benachteiligung von Schriftstellerinnen des Langen 18. Jahrhunderts im heutigen Kanon weiter zu hinterfragen. Die gesellschaftliche Benachteiligung der damaligen Zeit begrenzte sich nicht allein auf die gesellschaftlichen. strukturellen

Rahmenbedingungen, sondern hatte auch gezielt Auswirkungen auf die

Intimbeziehungen der Literaturschaffenden. Während viele Autorinnen der damaligen

Zeit auf die Unterstützung ihrer Familie und Partner zur Ausübung ihrer Tätigkeit angewiesenen waren, wurde für Mereau die Beziehung zu Brentano zu einem weiteren

Hindernis ihre Berufung auszuleben. Sophie Mereau war sich den Widerständen stets bewusst. Welche Ausdauer ihr Kampf um eine freie Ausübung ihrer Leidenschaft bedarf, beschreibt Sophie Mereau bereits 1799 in einem Brief an Clemens Brentano.

286 Mereaus Selbstaufgabe als Schriftstellerin in der Ehe mit Brentano ist in der Forschung kontrovers diskutiert worden. Während Wissenschaftlerinnen wie Dagmar von Gersdorff und Katharina von Hammerstein der Auffassung sind, die Ehe habe sich negativ auf Mereaus Schaffen ausgewirkt, widerspricht Anja Dechant dieser These entschieden, indem sie Mereaus zahlreiche Publikationen der Jahre 1803-1806 anführt. Julia Augart unterstützt diese Auffassung, bemerkt jedoch auch, dass Brentanos Drang nach Aufmerksamkeit Mereaus Arbeit erschwerte und sie nur in seiner Abwesenheit wirklich produktiv sein konnte. Vgl. Dechant, Der Briefwechsel zwischen Sophie Mereau und Johann Heinrich Kipp. S. 104. & Augart, Liebeskonzeption im Briefwechsel. S. 202.

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Um ihre „unwiderstehliche Neigung“287 ausleben zu können, gab es für sie nur eine

Möglichkeit: „Der Nachen des Schicksals schwimmt auf keiner spiegelhellen Fläche, wo ich, unbekümmert, mit Mondenschein und Sternen spielend, das Ruder hinlegen könnte […] ich muss das Ruder ergreifen oder untergehn.“288

287 Mereau an Brentano, Ende November 1799. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 84. 288 Mereau an Brentano, Ende November 1799. Brentano & Mereau, Briefwechsel. S. 84-85.

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