Mechanismen Der Manipulation Im Briefwechsel Von Sophie Mereau Und Clemens Brentano

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Mechanismen Der Manipulation Im Briefwechsel Von Sophie Mereau Und Clemens Brentano Mechanismen der Manipulation im Briefwechsel von Sophie Mereau und Clemens Brentano by Claudia Schumann, B.A. A Thesis In Languages and Cultures Submitted to the Graduate Faculty of Texas Tech University in Partial Fulfillment of the Requirements for the Degree of MASTER OF ARTS Approved Dr. Charles Grair Chair of Committee Dr. Anita McChesney Dr. Belinda Kleinhans Mark Sheridan Dean of the Graduate School August, 2020 Copyright 2020, Claudia Schumann Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 INHALTSVERZEICHNIS ABSTRACT ................................................................................................................. iii I. EINLEITUNG ............................................................................................................1 II. METHODEN UND THEORETISCHE GRUNDLAGEN ....................................7 III. BRIEFKULTUR IM 18. JAHRHUNDERT UND UM DIE JAHRHUNDERTWENDE EINLEITUNG .......................................................22 IV. ANALYSE DES BRIEFWECHSELS ZWISCHEN SOPHIE MEREAU UND CLEMENS BRENTANO ..........................................................................30 Zeitraum I – Wiederaufnahme des Briefkontaktes im Januar 1803 bis zum Wiedersehen im Mai 1803 ...................................................................................30 Zeitraum II – Brentanos Zeit in Weimar und Jena von Mai bis August 1803 ....45 Zeitraum III – Brentanos Aufenthalt in Marburg und Frankfurt von September 1803 bis Mereaus Umzug im November 1803 ..................................67 Allgemeine Forderungen und Zustand von Brentano ....................................67 Die Wohnung in Marburg ..............................................................................81 Brentanos Heiratsbegehren ............................................................................92 V. BEWÄLTIGUNGSSTRATEGIEN VON SOPHIE MEREAU ........................113 VI. ZUSAMMENFASSUNG ...................................................................................123 BIBLIOGRAFIE .......................................................................................................130 ii Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 ABSTRACT On September 6th, 1803 German author Sophie Mereau wrote to her significant other, the German author Clemens Brentano: “Believe me dear, it is madness and I beg you to consult a doctor […],” in response to letters from him full of jealousy and allegations directed towards her. Between the years 1798 and 1806, the two Romantic authors engaged in an intensive correspondence, which on the one hand is evidence of an extraordinary love story, but on the other hand reveals Brentano’s inner conflict and turmoil about his partner’s literary reputation. When considering Brentano’s poetic style, his letters show signs of manipulation through different strategies such as threats, coercion, debasement and a feeling of superiority. While Mereau was one of very few successful women writers in the German-speaking regions at that time, her marriage to Brentano in 1803 coincides with the end of her productive writing period. Based on David Buss’ psychological theories of manipulation in intimate relationships, this work aims to reveal Brentano’s manipulative tactics and Mereau’s coping strategies. In my thesis, I argue that the correspondence between Mereau and Brentano is not merely a result of the eighteenth century’s oppressive patriarchal society, but that his letters to Mereau can be considered overtly manipulative, indeed abusive according to David Buss’ definitions. In a broader sense, my research sheds light on the structural discrimination of women in the long eighteenth century and the consequences of this misogyny for women writers at the time. iii Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 KAPITEL I EINLEITUNG „Fest drücke ich beide Augen zu, halte die Hände vor beide Ohren und so springe ich in den Abgrund – in Deine Arme!“1 schreibt die Schriftstellerin Sophie Mereau an den Dichter Clemens Brentano am 21. September 1803. Ein kleiner Satz, der viel über die gesamte Beziehung der beiden Liebenden aussagt. Er zeigt Mereaus Willen, sich auf ihren Geliebten einzulassen, und offenbart gleichzeitig ihre Zweifel – eine der vielen Widersprüchlichkeiten in dieser ungewöhnlichen Liebesgeschichte. Von 1798 bis 1806 führten die beiden mit Unterbrechung eine Beziehung, die – mit gesellschaftlichen Normen brechend – romantisch und selbsterfüllend sein sollte, aber vor allem eines war: wechselhaft. Bereits 1798 lernt die 28-jährige Sophie Friederike Mereau den 8 Jahre jüngeren Clemens Maria Wenzeslaus Brentano kennen. Sie ist zu diesem Zeitpunkt mit dem Jenaer Professor Friedrich Mereau verheiratet. Die beiden Eheleute haben zwei Kinder, doch die Ehe ist unglücklich. Während Mereau sich in ihrer Beziehung eingeengt fühlt, schafft sie es sich als Schriftstellerin auszuleben. 1798 hat sie – ungewöhnlich für eine Frau in der damaligen Zeit – bereits einige literarische Werke veröffentlicht und wird als Literaturschaffende akzeptiert. Ihr erster Roman Das Blüthenalter der Empfindung, der bereits 1794 veröffentlicht wird, erhält überwiegend 1 Mereau an Brentano, 21. September 1803. In: Clemens Brentano und Sophie Mereau. Lebe der Liebe und liebe das Leben: Der Briefwechsel von Clemens Brentano und Sophie Mereau. Hrsg. von Dagmar von Gersdorff, Insel-Verlag, 1981. S. 210. 1 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 positive Rezensionen. Auch ihre Lyrik wird anerkannt und in Zeitschriften wie Die Horen veröffentlicht. Mereau ist zudem gut in der Gesellschaft in Sachsen-Weimar integriert. Sie pflegt Korrespondenz mit literarischen Größen wie Schiller, wird bewundert, und viele Zeitgenossen beschreiben sie als eine bemerkenswerte Frau.2 Brentano dagegen ist ein junger, unbekannter Student aus Frankfurt. Gerade 20 Jahre alt und der Romantik zugetan, verliebt er sich sofort in Sophie Mereau. Die beiden beginnen eine intensive außereheliche Affäre miteinander, in der Mereau ihr freiheitliches Verständnis einer romantischen Liebe außerhalb der gesellschaftlichen Konventionen voll ausleben kann. Doch 1800 beendet Mereau die Beziehung zu Brentano. Das intensive Verhältnis war ihr, genauso wie ihre unglückliche Ehe nach dem unerwarteten Tod ihres Sohnes, unerträglich geworden. Sie lässt sich kurz darauf von Friedrich Mereau scheiden und etabliert sich als eine der ersten deutschen Berufsschriftstellerinnen. Es ist ihr möglich von der Veröffentlichung ihres zweiten Romanes Amanda und Eduard (1803), ihren Gedichten und Kurzgeschichten Marie (1798), Elise (1800), vor allem aber durch ihre Übersetzungen, ein selbständiges Auskommen zu bestreiten. Erst im Dezember 1802 nimmt Mereau den regelmäßigen Kontakt zu ihrem früheren Geliebten wieder auf und im Jahr 1803 entsteht ein bedeutender Briefwechsel, der Ausdruck einer großen Liebe ist. Es sind emotionale Briefe, die jede Bandbreite von Gefühlen abbilden. Oft dichtend, offenbaren sie – abgesehen von ihrer Liebe – vor allem die innere Zerrissenheit Clemens Brentanos und dessen drängenden 2 Vgl. Brentano & Mereau, Einleitung, Briefwechsel. S. 18. 2 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 Wunsch nach Kontrolle und Ordnung in seinem Leben. Als der Briefwechsel mit Mereau 1908, mehr als ein Jahrhundert nach Entstehen, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, kommentiert der Rezensent J. B. E. Jonas wie folgt: Now the world is at liberty to read these missives of love, so ardent, so fiercely passionate, and again so hopelessly, helplessly despairing, that, in comparison with them, the most sentimental effusions of the Werther period pale into insignificance.3 Der Vergleich mit Werther ist passend und erschreckend zugleich, denn auch wenn Brentano seine Briefe als Teil seiner Dichtkunst sah, sind seine Stimmungsschwankungen Zeugnis einer zwischenmenschlichen Kommunikation. Er schreibt Mereau glücklich leidenschaftliche Liebeserklärungen, und dann wieder verzweifelte Begehren voller Traurigkeit. Der Stil seiner Briefe ist stets unvorhersehbar. Der Dichter war kein einfacher Mann – seine Stimmungen waren wechselhaft und unberechenbar. Oft temperamentvoll, nachtragend und niedergeschlagen empfanden viele den Umgang mit ihm als schwierig. In seiner Geschichte der Poetischen Literatur Deutschlands beschreibt Joseph von Eichendorff ihn als ein Genie, das „das Dämonische in ihm nicht etwa, wie so viele andere, beschönigend als geniale Tugend nahm oder künstlerisch zu vergeistigen suchte, sondern beständig wie ein heidnisches Fatum gehaßt hat.“4 Diese Charaktereigenschaften spiegeln sich in 3J. B. E. Jonas, Rez. von “Briefwechsel zwischen Clemens Brentano und Sophie Mereau“ by Heinz Amelung. The Journal of English and Germanic Philology, Bd. 8, Nr. 3, 1909, S. 423. 4Joseph von Eichendorff und Wilhelm Kosch, Geschichte Der Poetischen Literatur Deutschland. Kose, 1906. S. 27. 3 Texas Tech University, Claudia Schumann, August 2020 seinen literarischen Werken genauso wider, wie in seinen Briefen. An Mereau schreibt er Seiten voller zärtlicher Poesie und drängender, deprimierender Forderungen. Selbst unter Berücksichtigung von Brentanos poetischem Stil weist der Briefwechsel mit Mereau nach zeitgenössischen psychologischen Theorien Merkmale von manipulativen Beziehungen auf. Verschiedene Strategien wie Bedrohung, emotionale Erpressung, Erniedrigung und Überlegenheitsgefühl sind erkennbar. Aus diesen Beobachtungen ergeben sich viele verschiedene Fragestellungen, die für eine wissenschaftliche Betrachtungen von Interesse sind:
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