Evaluation Gemeindefusionsgesetz

Schlussbericht

im Auftrag des Amtes für Gemeinden und Raumordnung (AGR) des Kantons

18. Februar 2009

Zu dieser Evaluation ist ein Kurzbericht in Französisch und Deutsch verfügbar

Forschung und Beratung CH - 3005 Bern, Thunstrasse 22 www.ecoplan.ch ECOPLAN in Wirtschaft und Politik CH - 6460 Altdorf, Postfach [email protected]

Impressum

Empfohlene Zitierweise Autor: Ecoplan Titel: Evaluation Gemeindefusionsgesetz Untertitel: Schlussbericht Auftraggeber: Amt für Gemeinden und Raumordnung des Kantons Bern AGR Ort: Bern Jahr: 2009

Auftraggeber Christoph Miesch, Amtsvorsteher AGR Ernst Zürcher, Vorsteher Abteilung Gemeinden AGR Katalin Hunyady, Stab AGR Matthias Fischer, GEREF-Koordinator AGR

Begleitgruppe Daniel Arn, Verband Bernischer Gemeinden VBG Beat Baumgartner, Finanzverwaltung des Kantons Bern Rolf Bernhard, Gemeindepräsident Ballmoos Hanspeter Blaser, Experte KPMG Fritz Brönnimann, Gemeindepräsident Wald Rolf Habegger, Gemeindeschreiber Herzogenbuchsee Peter Lüthi, Gemeindepräsident Wichtrach Regula Reinhardt, Gemeindepräsidentin Albligen Peter Santschi, Gemeindepräsident Münchenwiler Franziska Sarott, Regierungsstatthalterin Schwarzenburg Reto Steiner, Wissenschaftlicher Experte, Universität Bern Hans Rudolf Zaugg, Präsident Projektausschuss „Zukunft Zulgtal“

Projektteam Ecoplan Felix Walter (Projektleitung) Eliane Kraft Philipp Walker Christof Rissi

Der Bericht gibt die Auffassung der Autoren wieder, die nicht notwendigerweise mit derjenigen des Auftraggebers oder der Begleitgruppe übereinstimmen muss.

Ecoplan Forschung und Beratung in Wirtschaft und Politik www.ecoplan.ch Thunstrasse 22 CH - 3005 Bern Tel +41 31 356 61 61 Fax +41 31 356 61 60 [email protected] Postfach CH - 6460 Altdorf Tel +41 41 870 90 60 Fax +41 41 872 10 63 [email protected] Inhaltsverzeichnis ECOPLAN

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis ...... 2

Abkürzungsverzeichnis und Glossar...... 4

Kurzfassung...... 5

1 Einleitung...... 11 1.1 Auftrag...... 11 1.2 Gegenstand der Evaluation und Fragestellungen...... 11 1.3 Methodisches Vorgehen und Aufbau des Berichts...... 18

2 Gemeindefusionen: Erkenntnisse aus der Forschung ...... 19 2.1 Aktuelle Herausforderungen der Gemeinden ...... 19 2.2 Auswirkungen von Gemeindefusionen ...... 20 2.3 Erfolgsfaktoren und Stolpersteine von Gemeindefusionen...... 27 2.4 Exkurs: Der Finanz- und Lastenausgleich als Fusionshemmnis? ...... 28

3 Gemeindefusionen im Kanton Bern...... 30 3.1 Struktur und Herausforderungen der Gemeinden im Kanton Bern...... 30 3.2 Stand der Fusionsprojekte und bisher geleistete Fördermassnahmen ...... 40 3.3 Zwischenfazit...... 49

4 Die Sicht der Gemeinden: Auswertung ausgewählter Fusionsprojekte ...... 50 4.1 Überblick über die ausgewählten Fusionsprojekte ...... 50 4.2 Kurzportraits der ausgewählten Fusionsprojekte...... 50 4.3 Beurteilung der Fördermassnahmen (Vollzug, Output, Outcome)...... 57 4.4 Beurteilung der Auswirkungen von Fusionen (Impact) ...... 60

5 Die Sicht der kantonalen Verwaltung und von Verbänden: Interviewergebnisse...... 65 5.1 Überblick über die Interviews...... 65 5.2 Beurteilung der Konzeption...... 66 5.3 Beurteilung der Fördermassnahmen (Vollzug, Output, Outcome)...... 67 5.4 Beurteilung der Auswirkungen von Fusionen (Impact) ...... 69

6 Statistischer Einfluss der Gemeindegrösse auf die Ausgaben ...... 72 6.1 Ausgangslage und Vorgehen...... 72 6.2 Ergebnisse ...... 73

2 Inhaltsverzeichnis ECOPLAN

6.3 Fazit aus den ökonometrischen Schätzungen...... 80

7 Zusammenfassende Antworten auf die Evaluationsfragen...... 81 7.1 Beurteilung der Konzeption...... 81 7.2 Beurteilung des Vollzugs...... 81 7.3 Beurteilung der Fördermassnahmen (Output) ...... 82 7.4 Beurteilung der Ergebnisse der Fördermassnahmen (Outcome) ...... 83 7.5 Beurteilung der Auswirkungen von Fusionen (Impact) ...... 84

8 Analyse neuer Massnahmen...... 86 8.1 Fördermassnahmen in den Schweizer Kantonen im Überblick ...... 86 8.2 Zwangsfusionen: Die Regelung in anderen Kantonen im Überblick...... 89 8.3 Katalog denkbarer Reformen im Kanton Bern – noch ohne Bewertung...... 92 8.4 Bewertung und Empfehlungen...... 94

Anhang 1: Leistungsbereiche und Leistungsgrenzen der Gemeinden...... 108

Anhang 2: Statistische Analyse...... 110

Anhang 3: Verfahrensablauf Genehmigung Gemeindefusionen ...... 113

Anhang 4: Einfluss von Finanzausgleichsleistungen auf Fusionsentscheid...... 114

Anhang 5: Bewertung von neuen Massnahmen durch die Begleitgruppe ...... 115

Literaturverzeichnis ...... 117

3 Abkürzungsverzeichnis und Glossar ECOPLAN

Abkürzungsverzeichnis und Glossar

Abs. Absatz AGR Amt für Gemeinden und Raumordnung des Kantons Bern Art. Artikel BEGG Bernische Gemeindeschreiberinnen und Gemeindeschreiber BFS Bundesamt für Statistik ERZ Erziehungsdirektion des Kantons Bern FAQ Frequently Asked Questions (häufig gestellte Fragen) FILAG Gesetz über den Finanz- und Lastenausgleich des Kantons Bern Fusion Unter dem Begriff „Fusion“ wird im vorliegenden Bericht sowohl der Zusammenschluss von zwei oder mehr Gemeinden zu einer neuen Gemeinde verstanden als auch der An- schluss einer Gemeinde an eine andere im Sinne einer Eingemeindung. FV Finanzverwaltung des Kantons Bern GEREF Gemeindereformen im Kanton Bern GFG Gemeindefusionsgesetz des Kantons Bern GR Grosser Rat GRB Grossratsbeschluss GS Generalsekretariat i. V. m. in Verbindung mit IKZ Interkommunale Zusammenarbeit JGK Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des Kantons Bern JuKo Justizkommission KPM Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern ÖV Öffentlicher Verkehr RR Regierungsrat RRB Regierungsratsbeschluss VBB Vereinigung Bernischer Bauverwalter / Bauinspektoren VBF Verband Bernischer Finanzverwalter VBG Verband Bernischer Gemeinden

4 Kurzfassung ECOPLAN

Kurzfassung

a) Das Thema: Sind die Fusionsförderungsmassnahmen wirksam?

Der Kanton Bern fördert mit verschiedenen Massnahmen die Fusion von Gemeinden. Ein Teil dieser Massnahmen ist im Gemeindefusionsgesetz (GFG) enthalten, das seit dem 1. Juni 2005 in Kraft ist. Das GFG verlangt eine Evaluation der Massnahmen, und diese wird hiermit vorgelegt. Sie dient als Grundlage für einen Bericht an den Grossen Rat und allenfalls für Gesetzesänderungen.

Der Kanton hat sich im GFG drei Hauptziele gesetzt: • Steigerung der Leistungsfähigkeit der Gemeinden • Stärkung der Gemeindeautonomie • wirksame und kostengünstige Leistungserstellung der Gemeinden.

Die wichtigsten Massnahmen, um diese Ziele zu erreichen, sind: • Informations- und Beratungstätigkeit durch das Amt für Gemeinden und Raumordnung (AGR): Hierfür werden ungefähr 100 Stellenprozente aufgewendet. Ergänzend leisten vier Sachbearbeitende1 Hilfe bei punktuellen Fachfragen. Das AGR war bisher in insgesamt 9 Fusionsprojekten direkt in der Projektorganisation vertreten.2 In 26 weiteren Projekten wurde punktuelle Beratung geleistet. • Projektbezogene Zuschüsse für Abklärungen zur Vorbereitung von Fusionen: Seit Inkraft- treten des GFG bis Ende 2008 wurden für 23 Projekte total 1'197'895 CHF aufgewendet. • Finanzhilfen beim Zustandekommen von Fusionen: Der Gesamtbetrag für die bislang neun erfolgreichen Fusionen beläuft sich auf 4'478’466 CHF. • Ausgleich für allfällige finanzielle Einbussen im Finanzausgleich aufgrund von Fusionen: Diese Massnahme kam bisher nur im Fall der Gemeinde Wald zur Anwendungen. Verteilt über fünf Jahre wendet der Kanton insgesamt 172’635 CHF zur Abfederung auf. 2009 werden voraussichtlich auch für Riggisberg FILAG-Ausgleichszahlungen gesprochen.

Die Schlüsselfragen für die Evaluation sind: • rückblickend (ex post): – Welche Fördermassnahmen wurden bis jetzt beansprucht und wie werden sie beur- teilt? – Fördern die Massnahmen Fusionen wirksam? – Welche Auswirkungen zeigen sich in den fusionierten Gemeinden und beim Kanton?

1 Nach Möglichkeit, aber nicht durchgehend werden im vorliegenden Bericht geschlechterneutrale Formulierungen verwendet. Ansonsten gilt, dass sich alle personenbezogenen Formulierungen auf weibliche und männliche Per- sonen beziehen, auch wenn im Text nicht explizit ausgeschrieben.

2 In 5 erfolgreichen Fusionen, in 3 Laufenden Projekten und in 1 der abgebrochenen Fusionen.

5 Kurzfassung ECOPLAN

• vorausblickend (ex ante): – Welche Anpassungen bei den Fördermassnahmen sind zu empfehlen? – Welche neuen Massnahmen sind zu prüfen?

b) Das Vorgehen: Kombination verschiedener Methoden

Die Evaluation stützt sich schwergewichtig auf die Befragung von erfolgreichen, geplanten und abgebrochenen Fusionsprojekten, auf Gespräche mit Fachleuten von Verbänden und des Kantons und auf eine statistische Analyse der Zusammenhänge zwischen Gemeinde- grösse und Gemeindeausgaben. Zudem wurde die Literatur ausgewertet.

c) Der aktuelle Stand der Fusionen: 9 erfolgreich, 6 abgebrochen, 24 in Abklärung

Seit Anfang 2004 bis Januar 2009 sind 9 Gemeindezusammenschlüsse zustande gekom- men. 7 sind bereits umgesetzt, in 2 weiteren Fällen folgt die Umsetzung per 1.1.2010. Die Anzahl der Gemeinden konnte um 10 – von 400 (2003) auf 390 (2010) Gemeinden – redu- ziert werden. Die quantitative Zielgrösse gemäss Vortrag zum GFG – eine Gemeindezahl von 300 im Kanton Bern – liegt aber noch in weiter Ferne.

Weiter sind zurzeit 24 Fusionsprojekte mit total 108 beteiligten Gemeinden am Laufen. Sechs Vorhaben sind in Volksabstimmungen gescheitert.

Die Problemlage in den Gemeinden lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Gemeinde- schreiberbefragungen 1998 und 2005 zeigen, dass Rekrutierungsprobleme für Milizämter und ein gestiegener Leistungsdruck auch in Berner Gemeinden ein Problem darstellt. Die Leistungsgrenzen sind allerdings nur in wenigen Gemeinden und in einzelnen Bereichen überschritten worden, und dies am häufigsten in Gemeinden mit 2'000 bis 10'000 Einwoh- nern. Durch die Auslagerung von Teilaufgaben und durch eine interkommunale Zusammen- arbeit können viele kleine Gemeinden ihre Aufgaben durchaus noch erfüllen. Die Komplexität der interkommunalen Zusammenarbeit, die steigenden Anforderungen an die Gemeinden und die Probleme bei der Besetzung von Ämtern dürften den Druck auf Reformen in nächster Zeit erhöhen, der Problemdruck ist aber vielerorts derzeit noch recht klein.

d) Die Auswirkungen der Fusionen: Positive Effekte für die Gemeinden, Effekte für den Kanton nicht bezifferbar

Die Effekte der Fusionen wurden anhand von drei erfolgreichen Fusionsprojekten (Wald, Wichtrach, Herzogenbuchsee/Oberönz) untersucht. Dabei lassen sich Effekte im Sinne der Ziele des GFG feststellen: • Steigerung der Leistungsfähigkeit der Gemeinden, insbesondere durch folgende Effekte: – Effektivere Führungsstrukturen im logischen Perimeter, Abbau von Doppelspurigkeiten – Professionalisierung der Verwaltung dank grösserer Spezialisierung sowie Stellvertre- tungsmöglichkeiten der Mitarbeitenden

6 Kurzfassung ECOPLAN

– Gemeinsame Nutzungsplanung schafft neue Entwicklungsmöglichkeiten (solche bieten sich aber erst ab einer gewissen Grösse) • Stärkung der Gemeindeautonomie, insbesondere durch höheres Gewicht in der Region und gegenüber dem Kanton • Wirksame und kostengünstige Leistungserstellung – Vorteilhaft sind die geringere Anzahl zu besetzender Exekutivämter und teils ein tiefe- rer Steuersatz – Kosten konnten nur beschränkt gespart werden, weil kurzfristig kaum Stellen abgebaut und teilweise weiterhin dezentrale Verwaltungsstandorte aufrecht erhalten wurden – Es zeigt sich, dass Einsparungen nicht automatisch realisiert werden, sondern ent- sprechende politische Entscheide erfordern und manchmal erst in der langen Frist rea- lisiert werden können.

Negative Auswirkungen werden kaum festgestellt. Genannt wurden vereinzelt die grössere Anonymität und die geringere soziale Kontrolle.

Beim Kanton sind aufgrund der Fusionen kaum finanzielle Auswirkungen spürbar. Eventuelle Einsparungen insbesondere bei der Aufsicht durch das AGR und bei der Finanzstatistik der Finanzverwaltung wären erst erzielbar, wenn sich die Zahl der Gemeinden deutlich reduzie- ren würde.

Diese Ergebnisse decken sich weitgehend mit den bisherigen Forschungsergebnissen und der Literatur zum Thema.

e) Wirkung der Fördermassnahmen: Katalysator ja, Erfolgsgarantie nein

Die Qualität und der Vollzug der Fördermassnahmen werden durchwegs gelobt.

Die Beratung durch den Kanton ist wichtig, das AGR stösst aber an Kapazitätsgrenzen und kann daher nicht in allen Fällen die gewünschte Beratungsleistung anbieten.

Die finanziellen Beiträge an Abklärungen erleichtern den Einstieg in einen Fusionsprozess. Auch die Beiträge bei erfolgreichen Fusionen werden geschätzt, sie sind aber weder allein Auslöser von Fusionsbestrebungen, noch sichern sie den Erfolg.

Die Kompensation von FILAG-Einbussen ist nicht in allen Fällen überhaupt ein Thema, aber wenn sie relevant ist, dann wird das Problem in den Augen der Gemeinden durch die Befris- tung (bisher 5 Jahre, gemäss Vorschlag FILAG-2012 10 Jahre) nicht ausreichend gelöst.

Zusammenfassend werden die kantonalen Fördermassnahmen insgesamt als wesentlicher Beitrag für den Anstoss von Fusionen erachtet, und es wird eingeräumt, dass sie einige Stolpersteine (wie Initialkosten) beseitigen helfen. Sie sind ein Katalysator, aber nicht der entscheidende Erfolgsfaktor.

7 Kurzfassung ECOPLAN

f) Kostenvorteile? Grössere Gemeinden haben pro Kopf tiefere Verwaltungskosten

Eine statistisch-ökonometrische Analyse zeigt, dass zahlreiche Faktoren einen Einfluss auf die Höhe der Pro-Kopf-Kosten für die Verwaltung der bernischen Gemeinden haben. Die Gemeindegrösse ist einer dieser Faktoren, und es zeigt sich, dass unter sonst gleichen Um- ständen die grösseren Gemeinden pro Kopf leicht tiefere Verwaltungskosten aufweisen: Eine Gemeinde mit 10'000 Einwohnern weist im statistischen Modell im Vergleich zu einer Ge- meinde mit 800 Einwohnern gut 100 CHF/Kopf (ca. einen Viertel) tiefere Verwaltungsausga- ben pro Kopf aus.

Hingegen lässt sich die Hypothese nicht bestätigen, dass grössere Gemeinden auch bei den Gesamtausgaben Grössenvorteile nutzen können. Statistisch gesehen sind die Gesamtkos- ten pro Kopf in kleineren Gemeinden sogar tiefer, vermutlich einerseits wegen ihrer anderen Struktur, aber auch wegen geringeren Anspruchsniveaus.

Tendenziell sind somit die Verwaltungskosten ein Argument für Fusionen, bei den Gesamt- kosten darf man sich aber nicht allzu viel von Fusionen erhoffen. Vielmehr liegt der Nutzen von Fusionen für die Gemeinden primär darin, dass sie leistungsfähiger werden oder über- haupt ihre Aufgaben noch erfüllen können.

g) Sollen Fusionen weiter gefördert werden?

Grundsätzlich muss der Nutzen von Fusionen im Einzelfall beurteilt werden. In den meisten Fällen kann, wie die Auswertungen zeigen, die Leistungsfähigkeit der Gemeinden und ihre Autonomie gestärkt werden, die Effekte liessen sich aber zumindest teilweise auch ohne Fusion erreichen. Oft wird auch verkannt, dass sich die Ertragslage resp. die Steuerkraft von Gemeinden kurzfristig nicht verbessert, wenn sie fusionieren – Fusionen können weder an der Ertrags- noch an der Strukturschwäche Grundlegendes ändern. Ein wesentlicher Vorteil von Fusionen, der künftig an Bedeutung gewinnen könnte, sind neue Entwicklungsperspekti- ven, z.B. durch eine gemeinsame Raumentwicklungsstrategie. Solche bieten sich aber erst ab einer gewissen Grösse.

Mit Blick auf die voraussichtlich weiter zunehmenden Schwierigkeiten bei der Besetzung von Milizämtern und auf die steigenden Anforderungen an die Gemeinden dürfte der Druck zu Fusionen in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Die schon weit verbreiteten Formen der interkommunalen Zusammenarbeit ("IKZ") bieten nebst viel Flexibilität auch viele Probleme (mangelnde demokratische Abstützung, undurchsichtige Verflechtungen, z. T. fehlende resp. unklare Verantwortung). Wenn Gemeinden immer mehr Aufgaben auslagern, nimmt die stra- tegische Einflussnahme der politischen Behörde vor Ort ab und somit auch die Attraktivität der politischen Ämter.

Mit Blick auf zukunfts- und leistungsfähige Gemeinden – welche letztlich die Struktur des Kantons wesentlich prägen – ist die Förderung von Fusionen durch den Kanton weiterhin sinnvoll und gerechtfertigt.

8 Kurzfassung ECOPLAN

h) Empfehlung zur Optimierung der Fördermassnahmen

Ecoplan empfiehlt eine Anpassung in der strategischen Schwerpunktsetzung: Der Kanton soll sich vermehrt für Fusionen in einem grösseren Perimeter und von einer grösseren Zahl von Gemeinden sowie auch von Umland- und Zentrumsgemeinden engagieren, die ein langfristiges strategisches Nutzen- und Entwicklungspotenzial bieten, statt wie im Vortrag zum GFG vorgesehen insbesondere Fusionen von Kleinstgemeinden zu fördern, wobei letz- tere natürlich weiterhin möglich sind. Entsprechend sollte die Regelung, wonach nur Fusio- nen mit über 1000 Einwohner/innen unterstützt werden, ohne Ausnahme durchgesetzt wer- den (Streichung von Art. 3 Abs. 2 GFG).

Das bestehende Förderinstrumentarium sollte weitergeführt und gemäss der unten ste- henden Tabelle optimiert werden. Die wichtigsten Vorschläge sind: • Massvoller Ausbau des bereits guten Informations- und Beratungsangebots des AGR (u.a. Kapazitätsausbau in der Beratung, Website verbessern, Arbeitshilfen, Informations- tagungen, als flankierende Massnahmen auch ein Monitoring der Fusionseffekte) • Verstärkung der Abfederungsmassnahmen für Einbussen im Finanzausgleich, beispiels- weise gemäss dem Vorschlag im Bericht FILAG 2012 auf zehn Jahre (hingegen halten wir eine Erhöhung der Beiträge für Abklärungen oder für erfolgte Fusionen nicht für sinnvoll; jedoch schlagen die Autoren vor, dass die Beiträge für Vorabklärungen nicht mehr bei den Finanzhilfen für erfolgreiche Fusionen in Abzug gebracht werden). • Festlegung und konsequente Durchsetzung von Mindeststandards (z.B. in der Rech- nungslegung). • Die administrative Abwicklung der kantonalen Genehmigung von Fusionen sollte be- schleunigt werden, indem Kompetenzen vom Grossen Rat resp. der Justizkommission an den Regierungsrat oder an die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion delegiert werden (vgl. Anhang 3). Eine derartige Anpassung würde jedoch eine Verfassungsänderung (Art. 108) erfordern und ist insofern am besten gleichzeitig mit der Lockerung der Bestandes- garantie zu prüfen. • Vereinfachung des gesetzestechnischen Nachvollzugs durch eine entsprechende Kompe- tenzdelegation an die JGK. • Für interkantonale Fusionen sollte versucht werden, zusammen mit anderen Kantonen auf Bundesebene einen „nationalen Fusionskonsens“ zu finden und einfache Lösungswege aufzuzeigen. • Das AGR sollte bei Fusionsabklärungen vermehrt auch die Schnittstellen der Gemeinden mit anderen Kantonsstellen vereinfachen und als Ansprechpartner ("One-Stop-Shop") auf- treten. • Es wäre sinnvoll, die Bestandesgarantie der Gemeinden zu lockern und unter bestimmten Bedingungen Zwangsfusionen zu ermöglichen.

Vermutlich kann mit diesen Massnahmen das ehrgeizige ursprüngliche Ziel einer Verminde- rung der Zahl der Gemeinden auf 300 bis 2017 nicht erreicht werden. Dieses Ziel ist ein poli- tisch kommuniziertes Ziel, und aus der Evaluation ergibt sich kein zwingender Grund, dass

9 Kurzfassung ECOPLAN

dieses Ziel erreicht resp. aufrecht erhalten werden müsste. Wichtiger ist, dass dort die Re- formprozesse in Gang kommen, wo sie auch aus Sicht der Gemeinden einen entsprechen- den Nutzen bieten.

Falls politisch trotzdem eine massive Förderung von Gemeindefusionen erwünscht sein soll- te, wären – wie die Bespiele aus anderen Kantonen zeigen – eine massive Erhöhung der Beiträge sowie zusätzliche Massnahmen (wie bspw. subventionierte Steuersatz- Reduktionen) erforderlich. Nur mit beträchtlich grösseren Beiträgen könnte eine Beschleuni- gung des Prozesses erzielt werden, wie das Beispiel des Kantons St. Gallen zeigt, wo jähr- lich rund 30 Mio. CHF zur Verfügung stehen.

Tabelle: Empfohlene Massnahmen

a) Finanzielle Massnahmen – Kein Abzug des Vorbereitungszuschusses bei der Finanzhilfe im Erfolgsfall – Längere Kompensation für FILAG-Einbussen – Mindestgrösse von 1'000 Einwohnern für Finanzhilfe durchsetzen: Art. 3 Abs. 2 streichen; neue generelle Ausnahmeklausel für Unterstützungsmassnahmen bei ausserordentlichen Gründen b) Informations- und Beratungsleistungen – Zusätzliche Arbeitshilfen für Gemeinden in Fusionsprozessen – Überarbeitung AGR-Website "Fusion" inkl. ihren Inhalten – Informationsveranstaltungen für Gemeindepolitiker/-innen – Zusätzliche Kapazitäten für die Beratung beim AGR – Initiatorenrolle des AGR: Vorschlagen von möglichen sinnvollen Fusionen – Monitoring der Fusionsgemeinden resp. der Fusionseffekte c) Negative Anreize – Mindestanforderungen in verschiedenen Sektoralpolitiken festlegen und konsequent durchsetzen d) Zwangsmassnahmen – Modifikation der Bestandesgarantie zur Diskussion stellen – Zwangsfusionen unter bestimmten Bedingungen ermöglichen e) Übergeordnete Massnahmen – One-Stop-Shop: AGR als zentrale Ansprechstelle der Gemeinden beim Kanton – Genehmigungsverfahren für Fusionen und gesetzestechnischer Nachvollzug vereinfachen – Interkantonalen Fusionskonsens anstreben

Abschliessend empfehlen wir, die Wirkungen der Fusionsförderung ungefähr 2014 erneut zu evaluieren, damit Grundlagen für einen Entscheid über eine allfällige Fortführung bestimmter Massnahmen gelegt werden können.

10 1. Einleitung ECOPLAN

1 Einleitung

1.1 Auftrag

Der Kanton Bern verfolgt die Strategie, Gemeindefusionen auf freiwilliger Basis zu unterstüt- zen.3 Mit dem Gemeindefusionsgesetz (GFG), das seit dem 1.6.2005 in Kraft ist, hat der Kanton die Rechtsgrundlage für eine aktive Förderung von Gemeindezusammenschlüssen in Form von finanziellen Anreizen geschaffen.4 Im GFG ist in Art. 2 vorgesehen, dass nach spätestens sechs Jahren eine Evaluation durchgeführt und dem Grossen Rat anschliessend ein Bericht oder eine Vorlage zur Gesetzesänderung vorgelegt werden soll.5 Mit der vorlie- genden Evaluation soll dieser Gesetzesauftrag erfüllt werden.

Der Auftrag für die Evaluation wurde jedoch weiter gefasst: Es soll nicht nur eine Bewertung der Fördermassnahme, wie sie das GFG vorsieht, vorgenommen werden, sondern die ge- samten Angebote und Dienstleistungen des Kantons im Hinblick auf Gemeindezusammen- schlüsse sind zu evaluieren. Dazu gehören: • Finanzhilfe gemäss GFG • Beratungstätigkeit in Form von Prozessbegleitung und Bereitstellung von Hilfsmitteln • Ausgleich für finanzielle Einbussen im Finanzausgleich bei Fusionen gemäss FILAG Art. 34 Abs. 1 • Projektbezogene Zuschüsse zur Vorbereitung von Fusionen gemäss FILAG Art. 34 Abs. 2 und 3

Im Zentrum der Evaluation steht eine rückblickende Wirkungsanalyse der Fördermassnah- men. Die Evaluation soll aber auch prospektiv die Stossrichtungen für mögliche Anpassun- gen der Gemeindefusions-Strategie und des kantonalen Massnahmenpakets umfassen.

1.2 Gegenstand der Evaluation und Fragestellungen

Die Darstellung in Grafik 1-1 erlaubt es, die einzelnen Evaluationsgegenstände zu identifizie- ren. Dabei gliedern wir sie im Sinne der klassischen Terminologie, die für Evaluationen ver- wendet wird, in Konzeption, Vollzug, Output, Outcome und Impact.

3 Bericht des Regierungsrates an den Grossen Rat vom 5. Juli 2000 betreffend Gemeindereformen im Kanton Bern (GEREF)

4 Gesetz zur Förderung von Gemeindezusammenschlüssen (Gemeindefusionsgesetz, GFG), BSG 170.12. Ge- mäss dem GFG werden bei zustande gekommenen Fusionen auf Gesuch hin und unter Erfüllung festgelegter Bedingungen einwohnerbezogene Beiträge (CHF 400.- pro Kopf) ausgerichtet.

5 Art. 2 Wirkungs- und Erfolgskontrolle

1 Der Regierungsrat wertet spätestens nach sechs Jahren die Auswirkungen dieses Gesetzes aus.

2 Er legt dem Grossen Rat anschliessend einen Bericht oder eine Vorlage zur Änderung dieses Gesetzes vor

11 1. Einleitung ECOPLAN

Grafik 1-1: Wirkungsmodell: Förderung von Gemeindefusionen im Kanton Bern

Konzeption Strategie Gemeinden GEREF Verfassung des Kantons Bern: Gesetz zur Förderung von Gesetz über den Finanz- und Art. 108 Abs 1 Gemeindezusammenschlüssen Lastenausgleich FILAG (Art. 34) und Art. 113 GFG (Gemeindefusionsgesetz )*

Vollzug Gemeinden AGR Gesuch AGR

FV

Rahmenkredit GFG Spezialfinanzierung Ordentliches 2006-2009* Fonds für Sonderfälle* Budget AGR

Output – Förder- Ausgleich für Projektbezogene Zuschüsse Gewährung von Infomaterial / massnahmen finanzielle Einbussen zur Vorbereitung von Weitere Finanzhilfe Beratungs- bei Fusion Fusionen Einflüsse (GFG)* tätigkeit (FILAG Art. 34) (FILAG Art. 34)

Outcome – Laufende Ergebnisse Fusionsprojekte der Förder- massnahmen Vollzogene Gescheiterte Fusionen* Fusionen Quantitatives Ziel Reduktion der Anzahl Gemeinden bis 2017 auf 300**

Impact – Qualitative Ziele Auswirkungen von Fusionen Steigerung der Wirksame und Stärkung der Leistungsfähigkeit der kostengünstige Gemeindeautonomie* Gemeinden* Leistungserstellung*

Legende: * Die Elemente mit Sternchen sind im GFG (*) bzw. im Vortrag (**) geregelt.

Wir unterscheiden fünf Evaluationsgegenstände, denen die relevanten Fragestellungen zu- geordnet werden können.

1.2.1 Konzeption

Die Förderung von Gemeindefusionen im Kanton Bern erfolgt vor dem Hintergrund der in Art. 108 der Kantonsverfassung6 verankerten Bestandesgarantie der Gemeinden und basiert daher auf Freiwilligkeit. Die Aufhebung einer Gemeinde bedarf ihrer Zustimmung (Art. 108 Abs. 3 KV). Art. 4 des Gemeindegesetzes (GG)7 wiederholt den verfassungsrechtlichen Grundsatz, wonach Bestand, Gebiet und Vermögen der Gemeinden gewährleistet sind (Abs. 1) und die Aufhebung oder Gebietsveränderung einer Gemeinde ihrer Zustimmung bedarf

6 Verfassung des Kantons Bern vom 6. Juni 1993, BSG 101.1

7 Gemeindegesetz vom 16. März 1998 (GG), BSG 170.11

12 1. Einleitung ECOPLAN

(Abs. 3). Abs. 4 desselben Artikels ermöglicht es dem Kanton, Fusionen von Gemeinden zu fördern, wobei dazu insbesondere finanzielle Mittel eingesetzt werden können. Im Bericht des Regierungsrates „Gemeindereformen im Kanton Bern (GEREF)“ und der darin formu- lierten Strategie Gemeinden vom 5. Juli 2000 wurden die Erwartungen und Absichten des Kantons im Hinblick auf Gemeindereformen im Allgemeinen und Fusionen im Besonderen wie folgt konkretisiert:8 • Der Kanton sieht keinen Anlass für eine umfassende Gebietsreform und sieht davon ab, Fusionen „von oben“ anzuordnen. • Abklärungen von Gemeinden im Vorfeld von Gemeindefusionen werden durch den Kan- ton im Einzelfall finanziell mit Beiträgen von max. CHF 50'000.- unterstützt, um verallge- meinerungsfähige Erkenntnisse über die Auswirkungen von Fusionen zu erhalten. • Vorbereitungs-, Abklärungs- und Vollzugsarbeiten im Zusammenhang mit Fusionen wer- den fachlich und personell unterstützt. • Vorschriften, die Gemeinden von Zusammenschlüssen abhalten, sind möglichst anzupas- sen. • Die Gemeinden sollten aufgrund einer Fusion nicht zusätzlichen finanziellen Belastungen ausgesetzt werden, die durch den Verlust von Finanzausgleichszahlungen entstehen kön- nen (genauer: durch Einbussen bei der Mindestausstattung und bei den Massnahmen für Gemeinden mit hoher Gesamtsteueranlage).

Der Grosse Rat hat in seiner Planungserklärung vom 21.11.2000 zum Bericht GEREF bzw. zur Strategie Gemeinden u.a. folgendes festgehalten: Der Grosse Rat erwartet vom Regie- rungsrat, dass er den notwendigen Reformprozess aktiv initiiert und unterstützt. Mit Art. 34 Abs. 1 des Gesetzes über den Finanz- und Lastenausgleich FILAG vom 27. November 2000 wurde die Grundlage geschaffen, um Gemeinden, die durch eine Fusion Einbussen bei der Mindestausstattung oder beim Zuschuss für Gemeinden mit hoher Gesamtsteueranlage erleiden, die Differenz währen eine Übergangszeit von höchstens fünf Jahren auszugleichen. Damit wurde die diesbezügliche, im Bericht GEREF formulierte Absicht umgesetzt.

Der Grosse Rat hatte schon früher, am 5.9.2000 die Motion Frey (M039/00) in Form eines Postulates überwiesen, welche verlangte, dass die nötigen Rechtsgrundlagen für finanzielle Anreize für Zusammenschlüsse von Gemeinden geschaffen werden.9 Diesem Anliegen wur- de mit Art. 34 Abs. 2 FILAG Rechnung getragen, wonach der Regierungsrat zusammmenle- gungswilligen Gemeinden für die Vorbereitung und Umsetzung projektbezogene Zuschüsse ausrichten kann. Die Bestimmung wurde 2004 im Rahmen des Fusionsförderungsgesetzes (GFG) ergänzt, indem in Abs. 2 der maximale Frankenbetrag (CHF 50'000.-) verankert und im Hinblick auf Fusionsabklärungen von mehr als zwei Gemeinden ein neuer Abs. 3 einge-

8 Bericht des Regierungsrates an den Grossen Rat vom 5. Juli 2000 betreffend Gemeindereformen im Kanton Bern (GEREF), S. 82-85.

9 Tagblatt des Grossen Rates 2000, S. 805 ff.

13 1. Einleitung ECOPLAN

fügt wurden. Damit wurde auch der zweite Punkt der im GEREF-Bericht aufgeführten Absich- ten umgesetzt.

Die im Bericht GEREF formulierte regierungsrätliche „Strategie Gemeinden“ wurde Ende 2004 einer umfassenden Schlussevaluation unterzogen.10 Bezüglich Gemeindefusionen hielt die Schlussevaluation fest, dass die „Strategie Gemeinden“ kein eindeutig auf Gemeindefusi- onen ausgerichtetes Reformprogramm sei. In seiner Stellungnahme zur Schlussevaluation11 führte der Regierungsrat aus, dass er sich dessen bewusst sei, und: „Dies ist durchaus ge- wollt. Für die gezielte Förderung von Gemeindezusammenschlüssen wurde das Gesetz zur Förderung von Gemeindezusammenschlüssen (Gemeindefusionsgesetz [GFG]) geschaffen. Erst die Anwendung und Umsetzung dieses spezifischen Gesetzes wird zeigen, ob und in welchem Mass im Bereich Fusionen weitere Reformbemühungen nötig sind. Zu diesem Zweck wird das GFG spätestens 2011 einer ersten Wirkungs- und Erfolgskontrolle unterzo- gen.“

Das Gesetz vom 25. November 2004 zur Förderung von Gemeindezusammenschlüssen (GFG) trat am 1.6.2005 in Kraft trat. Gemäss Vortrag des Regierungsrates zum GFG12 be- zweckt das Gesetz, Fusionen von Einwohnergemeinden und gemischten auf freiwilliger Basis durch finanzielle Anreize zu fördern. Im Vordergrund stehen dabei kleine und kleinste Ge- meinden, die zunehmend an ihre Leistungsgrenzen stossen. In quantitativer Hinsicht liegt dem Gesetz die Zielsetzung zugrunde, die Anzahl Gemeinden (von damals 398) innert 12 Jahren um rund einen Viertel auf ca. 300 zu senken.

Die zentralen Fragestellungen auf der Ebene der Konzeption lauten: • Ist die Konzeption basierend auf finanziellen Anreizmassnahmen, Freiwilligkeit und der Fokussierung auf kleine und kleinste Gemeinden im Prinzip überhaupt geeignet, die An- zahl der Gemeinden auf 300 zu reduzieren? • Können mit Fusionen die gesetzten Wirkungsziele13 prinzipiell erreicht werden? • Was sind die konkreten Anliegen des Kantons bei der Förderung von Gemeindefusionen? Widerspiegeln sich diese Anliegen in den formulierten Zielen?

10 Ladner/Fivaz/Schwarz (2005); Schlussevaluation „Strategie Gemeinden“

11 Bericht des Regierungsrates an den Grossen Rat vom 11. Mai 2005 betreffend Gemeindereformen im Kanton Bern (GEREF), Schlussevaluation.

12 Vortrag des Regierungsrates an den Grossen Rat vom 11. August 2004 betreffend Gesetz zur Förderung von Gemeindezusammenschlüssen, Tagblatt des Grossen Rates 2004, Beilage 45.

13 Art. 1 GFG enthält folgende Wirkungsziele: a Steigerung der Leistungsfähigkeit der Gemeinden b Stärkung der Gemeindeautonomie c wirksame und kostengünstige Leistungserstellung der Gemeinden.

14 1. Einleitung ECOPLAN

1.2.2 Vollzug

Die Fördermassnahmen werden durch das Amt für Gemeinden und Raumordnung (AGR) umgesetzt. Für die finanziellen Beiträge haben die Gemeinden beim AGR ein Gesuch einzu- reichen. Die Finanzierung der ausgerichteten Beiträge erfolgt aus verschiedenen Quellen: • Der Regierungsrat legt alle vier Jahre den Betrag fest, der aus der Spezialfinanzierung "Fonds für Sonderfälle" zur Verfügung gestellt wird (dieser Fonds und der entsprechende Regierungsratsbeschluss wird von der Finanzverwaltung betreut). • In Ergänzung zu diesen Mitteln bewilligt der Grosse Rat für die Finanzhilfe an fusionierte Gemeinden einen Rahmenkredit GFG aus der Laufenden Rechnung.

Für die Jahre 2006 - 2009 wurden insgesamt CHF 13 Mio. gesprochen: CHF 5 Mio. aus der Spezialfinanzierung und CHF 8 Mio. über den Rahmenkredit. Über die 12-jährige Geltungs- dauer des GFG sollen jährlich rund CHF 4 Mio. zur Verfügung stehen.

Die Beratungstätigkeit des AGR wird aus dem ordentlichen Budget finanziert.

Die Fragestellungen auf der Ebene Vollzug lauten: • Wissen die Gemeinden über die finanziellen Leistungen des Kantons Bescheid? • Gibt es Hürden im Vollzug? Kann der Vollzug vereinfacht werden? Die Vollzugsebene bildet gemäss Absprache mit dem Auftraggeber (AGR) keinen Schwer- punkt der Evaluation.

1.2.3 Output

Auf der Output-Ebene sind die Leistungen des Kantons zur Förderung von Gemeindefusio- nen angesiedelt. Es sind dies neben der Zurverfügungstellung von Informationsmaterial und der Beratungstätigkeit des AGR ausschliesslich finanzielle Anreize. Dabei kann unter- schieden werden zwischen erfolgsunabhängigen und erfolgsabhängigen Beiträgen. • Die projektbezogenen Zuschüsse (FILAG Art. 34 Abs. 2 und 3) zur Vorbereitung und Umsetzung von Fusionen sind erfolgsunabhängige A-Fonds-perdu-Beiträge. Im Grund- satz betragen die Zuschüsse die Hälfte der Projektkosten bis 50'000 CHF; bei mehr als zwei Gemeinden kann der Zuschuss um max. CHF 10'000 pro zusätzliche Gemeinde, auf insgesamt höchstens CHF 100'000 erhöht werden. Im Rahmen des Projektes FILAG 2012, welches die Optimierung und Anpassung des Finanz- und Lastenausgleichs im Kanton Bern zum Ziel hat, wird vorgeschlagen, die Maximalgrenze für projektbezogene Zuschüsse auf neu CHF 100'000 bzw. CHF 200'000 zu erhöhen.14 • Die Finanzhilfe wird hingegen erst bei Zustandekommen der Fusion gewährt und nur, wenn die neue Gemeinde mindestens 1'000 Einwohner zählt.15 Sie berechnet sich in Ab-

14 Bericht des Regierungsrates an den Grossen Rat vom 29. Oktober 2008, Optimierung der Aufgabenteilung und des Finanz- und Lastenausgleichs im Kanton Bern (FILAG 2012).

15 Auf begründetes Gesuch hin sind Ausnahmen möglich, die Mindestgrösse liegt jedoch bei 500 Personen.

15 1. Einleitung ECOPLAN

hängigkeit der Einwohner der beteiligten Gemeinden und beträgt 400 CHF pro Kopf. Pro Gemeinde werden jedoch höchstens 1'000 Einwohner angerechnet. Um Fusionen von mehr als zwei Gemeinden zu fördern, wird in die Berechnung ein Multiplikator integriert. Dieser beträgt 1 bei zwei Gemeinden und vergrössert sich um 0.1 bei jeder zusätzlichen Gemeinde. Beim so errechneten Betrag für die Finanzhilfe werden schliesslich noch die in der Vorbereitungsphase ausgerichteten projektbezogenen Zuschüsse in Abzug gebracht. Berechnungsbeispiel: Bei einer Fusion von drei Gemeinden mit 500, 1500 und 3000 Ein- wohnern beträgt die anrechenbare Einwohnerzahl 2500. Die Finanzhilfe berechnet sich folgendermassen: 2'500 x 400 CHF x 1.1 = 1'100'000 CHF. Falls die Gemeinden in der Vorbereitungsphase einen Zuschuss von 50'000 CHF erhalten haben, wird ihnen 1'050'000 CHF ausbezahlt. • Beim Ausgleich für finanzielle Einbussen handelt es sich nicht um einen direkten An- reizmechanismus, sondern vielmehr um die Milderung eines Fusionshindernisses. Es kann vorkommen, dass fusionierte Gemeinden aufgrund ihrer verbesserten finanziellen Lage bei der Mindestausstattung und bei den Massnahmen für Gemeinden mit hoher Ge- samtsteueranlage weniger Unterstützung aus dem kantonalen Finanz- und Lastenaus- gleich erhalten.16 Diesem negativen Anreiz wird entgegen gewirkt, indem die Einbussen während einer Übergangsfrist ganz oder teilweise ausgeglichen werden (FILAG Art. 34 Abs. 1). Die Länge dieser Übergangsfrist beträgt aktuell 5 Jahre, wird aber evtl. im Rah- men des Projektes FILAG 2012 auf 10 Jahre verlängert.17

Auf der Output-Ebene stellen sich folgende Fragen: • Welche Leistungen wurden bis jetzt beansprucht (finanziell und Beratung)? • Wie wird die Qualität des Informationsmaterials und der Beratungstätigkeit bewertet? • Wie wird das Förderangebot des Kantons insgesamt beurteilt?

1.2.4 Outcome

Als Outcome werden die Fusionsprojekte bezeichnet.

Im Vortrag des Regierungsrates zum GFG ist das quantitative Ziel festgehalten, die Zahl der Gemeinden bis 2017 von 398 (Stand: 1. August 2004) auf 300 zu senken.

Die Fragestellungen auf der Ebene Outcome lauten: • Wie viele Fusionen sind zustande gekommen? Wie viele Fusionsprojekte sind am Lau- fen?

16 Vgl. dazu Ecoplan (2007), Ex-post-Evaluation des FILAG 2002.

17 Bericht des Regierungsrates an den Grossen Rat vom 29. Oktober 2008, Optimierung der Aufgabenteilung und des Finanz- und Lastenausgleichs im Kanton Bern (FILAG 2012).

16 1. Einleitung ECOPLAN

• Welche Fusionsprojekte sind gescheitert? Aus welchen Gründen? • Welche Bedeutung hatten die Fördermassnahmen des Kantons bei den erfolgreichen Fusionen? • Wie wird die Anreizwirkung der projektbezogenen Zuschüsse und der Finanzhilfe von Gemeinden mit laufenden oder gescheiterten Fusionsprozessen beurteilt?18 • Welches sind die bedeutenden Erfolgsfaktoren für das Zustandekommen einer Fusion? Wo liegen Stolpersteine?

1.2.5 Impact

Gemäss dem GEREF-Bericht wünscht sich der Kanton starke, demokratisch legitimierte, verantwortungsbewusste, leistungsfähige, wettbewerbsstarke und gesunde Gemeinden, die ihre Aufgaben optimal wahrnehmen können.19 An denselben Zielen orientiert sich auch das GFG. Die Förderung von Fusionen ist gemäss Art. 1 GFG auf folgende Wirkungsziele ausge- richtet: • Steigerung der Leistungsfähigkeit der Gemeinden, • Stärkung der Gemeindeautonomie, • wirksame und kostengünstige Leistungserstellung der Gemeinden.

Fragen zu den langfristigen Wirkungen (Impacts): • Welche Wirkungen zeigen sich in den fusionierten Gemeinden? • Können mit Fusionen positive Entwicklungen in Richtung der angestrebten Wirkungsziele erreicht werden? • Welche Auswirkungen resultieren beim Kanton?

18 Die Auswirkungen von Finanzausgleichseinbussen infolge einer Fusion wurden bereits in der Evaluation des FILAG 2002 untersucht. Sie sind deshalb nicht Teil dieser Evaluation.

19 Bericht des Regierungsrates an den Grossen Rat vom 5. Juli 2000 betreffend Gemeindereformen im Kanton Bern (GEREF), S. 60.

17 1. Einleitung ECOPLAN

1.3 Methodisches Vorgehen und Aufbau des Berichts

In der folgenden Tabelle sind die zum Einsatz kommenden Methoden aufgeführt. Aus den Spalten zu den fünf Evaluationsgegenständen ist ersichtlich, welche Methoden bei ihrer Be- arbeitung angewendet werden.

Tabelle 1-1: Methoden im Überblick

Methoden n tio

p g ut act Konze Vollzu Outp Outcome Imp

Literaturauswertung (Studien, Erfahrungsberichte) X Dokumentenanalyse (Gesetzliche Grundlagen, Strategie) X Auswertung der Datenbank des AGR X X Persönliche und telefonische leitfadengestützte Interviews X X X X X mit Kantonsvertreter(n)/innen (AGR, FV, ERZ) sowie ver- schiedenen Verbandsvertreter/innen (VBG, BEGG, VBF, VBB) Telefonische Befragung von Schlüsselpersonen aus acht X X X X ausgewählten Fusionsprojekten Statistische Analyse X Policyanalyse neue Massnahmen X

Der Bericht ist wie folgt strukturiert:

• Kapitel 2 gibt einen Überblick über bisherige Erkenntnisse aus der Forschung.

• Kapitel 3 zeigt den Stand der Fusionsprojekte im Kanton Bern. • Die Wirkung der Fördermassnahmen und die Auswirkungen von Fusionen werden aus verschiedenen Blickwinkeln beurteilt und entsprechend präsentiert: – aufgrund der Erfahrungen in laufenden, erfolgreichen und abgebrochenen Fusionspro- jekten im Kanton Bern (Kapitel 4) – aufgrund der Interviews mit Fachleuten aus der Verwaltung und von Verbänden (Kapi- tel 5) – durch eine statistisch-ökonometrische Analyse zu möglichen Grössenvorteilen (Kapitel 6)

– und zusammenfassend im Kapitel 7, in dem auch die Antworten auf die Evaluations- fragen dargestellt sind.

Nach diesem rückblickenden Teil werden in einem zweiten, vorausschauenden Teil mögliche Anpassungen am Förderinstrumentarium diskutiert (Kapitel 8).

18 2. Gemeindefusionen: Erkenntnisse aus der Forschung ECOPLAN

2 Gemeindefusionen: Erkenntnisse aus der Forschung

Dieses Kapitel fasst zusammen, was bisher zum Thema Gemeindefusionen publiziert und geforscht wurde. Es wurden dabei sowohl theoretische Argumente als auch empirische Er- gebnisse berücksichtigt. Der Abschnitt 2.1 zeigt auf, was die aktuellen Herausforderungen der Gemeinden in der Schweiz mit Bezug auf das Thema Fusionen sind. In Abschnitt 2.2 werden den Hypothesen zu Auswirkungen von Fusionen die vorhandenen Forschungsergeb- nisse gegenübergestellt. Abschnitt 2.3 listet schliesslich die wichtigsten Erfolgsfaktoren und Stolpersteine von Gemeindefusionen auf.

2.1 Aktuelle Herausforderungen der Gemeinden

Die Gemeinden in der Schweiz stehen vor verschiedenen Herausforderungen, die als Hinter- grund für die Fusionsdiskussion relevant sind bzw. die Auslöser von Gemeindefusionen sein können. Die teilweise bereits in den 1990er-Jahren beschriebenen Problembereiche treffen auch heute noch grösstenteils die Situation der Gemeinden, wie auch unsere Gespräche bestätigen.20

a) Der Leistungsdruck auf die Gemeinden hat sowohl von Seiten der Kantone wie auch von Seiten der Bevölkerung stark zugenommen.

Neben anderen Funktionen sind die Gemeinden zunehmend wichtige Vollzugsorganisationen für Kantons- und Bundesrecht. In dieser Rolle werden sie vom Kanton beaufsichtigt. Der Kanton Bern hat die Wahrnehmung dieser Aufsichtsfunktion im Rahmen der „Strategie Ge- meinden“ neu gestaltet. Demnach will er die Gemeinden künftig tendenziell stärker über Min- destanforderungen steuern. Diese sollen den Gemeinden möglichst klare ziel- und wirkungs- orientierte Vorgaben (minimale Leistungsstandards) machen, ohne ihnen jedoch das „Wie“ der Aufgabenerfüllung vorzuschreiben. Die Schlussevaluation „Strategie Gemeinden“ des Kantons Bern hat gezeigt, dass die Faktoren „Bedürfnis nach Optimierung der Leistungs- erbringung“ sowie „Vorgaben des Kantons in einzelnen Politikbereichen“ von der Mehrheit der befragten Gemeinderatspräsidenten und Gemeindeschreiber als Gründe für die erfolgten Gemeindereformen genannt wurden.21 Die Leistungsfähigkeit wird aber nicht nur durch die Zunahme von komplexen Vollzugsaufgaben strapaziert, sondern auch durch die anspruchs- vollen Problemstellungen im Bereich der eigenen Aufgaben (etwa im Sozialbereich) und den

20 Vgl. dazu Geser et al. (1996), Die Schweizer Gemeinden im Kräftefeld des gesellschaftlich und politisch- administrativen Wandels. gfs.bern (2006), Schlussbericht zur Umfrage „Experten“ im Auftrag des Kantons Aar- gau.

21 Ladner/Fivaz/Schwarz (2005); Schlussevaluation „Strategie Gemeinden“, S. 27-28.

19 2. Gemeindefusionen: Erkenntnisse aus der Forschung ECOPLAN

– insbesondere bei kleinen Gemeinden – knappen finanziellen Ressourcen, die nicht überall mit dem Aufgabenwachstum mithalten konnten.22

Die Bürgerinnen und Bürger sind ebenfalls anspruchsvoller geworden. Sie erwarten von den Verwaltungen zunehmend ein ebenso professionelles Angebot wie von einem Dienstleis- tungsunternehmen.

b) Die Gemeinden haben vermehrt Mühe, ihre Ämter zu besetzen.

Insbesondere in mittelgrossen Gemeinden kann die Rekrutierung von qualifizierten Kandida- tinnen und Kandidaten für die Exekutive zum Problem werden.23 Während in kleineren Ge- meinden die stärkere lokale Verbundenheit die Ämterbesetzung erleichtern kann, ist in gros- sen Gemeinden die Attraktivität eines politischen Amtes aufgrund der Möglichkeit einer politi- schen Karriere und aus Prestigegründen grösser. Zu Rekrutierungsproblemen kann es kom- men, wenn Bürgerinnen und Bürger nicht mehr bereit sind, sich für ein politisches Amt zur Verfügung zu stellen oder wenn das berufliche Umfeld ein solches Engagement immer weni- ger erlaubt. Ersteres kann auch damit zusammenhängen, dass die lokale Gemeinde bedingt durch die gesteigerte Mobilität im Lebenskontext vieler Leute an Bedeutung verloren hat.

Die Ämterbesetzung kann sich aber nicht nur unter dem Aspekt der Personalfindung, son- dern auch hinsichtlich der Qualifizierung der Kandidatinnen und Kandidaten als schwierig erweisen. Die oben erwähnten gestiegenen Anforderungen betreffen natürlich nicht nur die Verwaltung, sondern auch die Exekutivmitglieder. Diese sind stark auf die Abklärungen und Vorbereitungen der Verwaltung angewiesen. Wenn sie dabei nicht in der Lage sind, die Ar- beiten und Positionen der Verwaltung kritisch zu hinterfragen, kann es zu einer Machtver- schiebung hin zur Verwaltung kommen, worunter die Demokratie leidet.

2.2 Auswirkungen von Gemeindefusionen

Die Auswirkungen von Gemeindefusionen werden in der bestehenden Schweizer Gemeinde- forschung wie auch von Seiten von Beratern und Politikern breit diskutiert.24 Systematische empirische Untersuchungen gibt es jedoch nur wenige, und die vorhandenen Studien haben ein stark eingeschränktes Sample.

In den folgenden Abschnitten werden jeweils zuerst die Hypothesen aus Theorie und Praxis dargestellt und anschliessend die diesbezüglichen Forschungsergebnisse präsentiert.

22 Vgl. dazu Steiner (2002), Interkommunale Zusammenarbeit und Gemeindezusammenschlüsse in der Schweiz, S. 75ff.

23 Aus Sicht des Amtes für Gemeinden und Raumordnung ist auch die Besetzung von Verwaltungsstellen in kleinen Gemeinden problematisch. Dieser Aspekt findet in der Literatur aber keine grosse Beachtung.

24 Vgl. Steiner (2002), Interkommunale Zusammenarbeit und Gemeindezusammenschlüsse in der Schweiz, S. 119- 125. Ladner et al. (2000), Gemeindereformen zwischen Handlungsfähigkeit und Legitimation, S. 101-105. de Spindler (1998), FOJC – Ein Konzept zur Neuordnung der Zusammenarbeit öffentlichrechtlicher Gebietskörper- schaften, S. 186-187. Kettiger (2004), Gemeindefusion – ein Thema mit vielen Facetten.

20 2. Gemeindefusionen: Erkenntnisse aus der Forschung ECOPLAN

2.2.1 Qualitätssteigerung und Professionalisierung

a) Hypothesen

Experten gehen klar davon aus, dass eine Fusion eine Qualitätsverbesserung bei den Dienstleistungen bringt: • Die Qualität wird höher, weil grössere Gemeinden Leistungen anbieten können, welche die Leistungsgrenzen kleiner Gemeinden überschreiten. • Fusionierte Gemeinden passen ihren Leistungsstandard gewöhnlich an das Niveau der Gemeinde mit dem höheren Standard an. • Die Qualifikation der Verwaltungsangestellten nimmt mit der aufgrund der Grösse mögli- chen Spezialisierung tendenziell zu. • Die Behördenarbeit wird professioneller, weil der Pool für die Rekrutierung grösser ist.

b) Forschungsergebnisse

Die theoretischen Argumente werden auch durch die Forschungsergebnisse gestützt: • Die Ergebnisse von Thom und Steiner (2005) bestätigen die obigen Hypothesen: die Ge- meindezusammenschlüsse führten in der Regel zu einer höheren Dienstleistungsqualität wie auch -quantität.25 Es fand eine Nivellierung nach oben, also eine Anpassung an das Niveau der zuvor leistungsstärksten Gemeinde statt. • Die Untersuchung von Kuster und Liniger (2007) bei sieben Fusionsgemeinden hat zu- sammenschlussbedingte Verbesserungen der Dienstleistungsqualität in den Bereichen Schalteröffnungszeiten, Website und Verkürzung von Baubewilligungsverfahren festge- stellt. Auch die Qualifikation der Mitarbeitenden hat tendenziell zugenommen, z. B. weil Schlüsselfunktionen mit vollamtlichen Spezialisten besetzt oder dem Personal Weiterbil- dungen ermöglicht wurden.26 • Eine Bevölkerungsumfrage aus dem Kanton Aargau zeigt lediglich, dass in den sieben untersuchten Fusionsgemeinden grundsätzlich Zufriedenheit mit der Dienstleistungsquali- tät herrscht.27 Ein Vergleich mit der Zufriedenheit vor der Zusammenlegung ist jedoch nicht möglich.

25 Vgl. Thom/Steiner (2005), Interkommunale Zusammenarbeit und Gemeindezusammenschlüsse in der Schweiz.

26 Vgl. Kuster/Liniger (2007), Effekte von Gemeindezusammenschlüssen, S. 7-10.

27 GfS (2007), Gemeindezusammenlegung auch nach Umsetzung breit akzeptiert.

21 2. Gemeindefusionen: Erkenntnisse aus der Forschung ECOPLAN

2.2.2 Gemeindeautonomie

a) Hypothesen

Obwohl Fusionen dadurch zustande kommen, dass die ursprünglichen Gemeinden ihre Au- tonomie zugunsten der neuen Gemeinde aufgeben, sind Experten durchwegs der Meinung, dass die Gemeindeautonomie durch Fusionen gestärkt wird: • Insbesondere kleinere Gemeinden gewinnen an Autonomie, weil sie vor der Fusion meis- tens alles andere als autonom, sondern von anderen Gemeinden, mit denen sie zusam- menarbeiten mussten, oder vom Kanton abhängig waren.28 • Die neue Gemeinde hat mehr Gewicht in der Region, im Kanton und auch gegenüber dem Bund.

Auch Gemeindevertreter sehen diesen Vorteil. So meint etwa der Präsident des Schweizeri- schen Gemeindeverbandes, dass „.grössere und leistungsfähigere Gemeinden (…) tatsäch- lich wichtig, [sind], um einer weiteren Zentralisierung durch Bund und Kantone entgegenzu- wirken und die Gemeindeautonomie wieder zu stärken.“29

b) Forschungsergebnisse • Thom und Steiner (2005) stellen fest, dass die fusionierten Gemeinden über ein starkes Selbstvertrauen verfügen und durch die gestiegene Professionalität tendenziell einen hö- heren Handlungsspielraum geniessen.30 Die Kantone schätzen, dass sie weniger und gleichzeitig professioneller agierende Ansprechpartner haben.31 • Die von Kuster und Liniger (2007) befragten Gemeindevertreter gehen klar davon aus, dass die zusammengeschlossene Gemeinde aufgrund ihrer Grösse (mehr Einwohner, mehr Stimmberechtigte, mehr Schüler, mehr ÖV-Passagiere) in Verhandlungen mit den kantonalen Behörden oder anderen Akteuren mehr Gewicht einbringen kann. 32

28 Vgl. Interview mit Reto Steiner, Gemeindeexperte der Universität Bern, in der Zürichsee-Zeitung March Höfe vom 12. Januar 2008.

29 Vgl. Interview mit Hannes Germann, Präsident des Schweizerischen Gemeindeverbandes, in Schweizer Ge- meinde Nr. 7/8/08, S. 6-7.

30 Vgl. Thom/Steiner (2005), Interkommunale Zusammenarbeit und Gemeindezusammenschlüsse in der Schweiz.

31 Steiner (2003), Interkommunale Zusammenarbeit und Gemeinde Zusammenschlüsse, S. 51.

32 Kuster/Liniger (2007), Effekte von Gemeindezusammenschlüssen, S. 12.

22 2. Gemeindefusionen: Erkenntnisse aus der Forschung ECOPLAN

2.2.3 Qualität der Demokratie

a) Hypothesen

In der Demokratiefrage gibt es Pro- und Contra-Argumente hinsichtlich Gemeindezusam- menschlüssen.33 Aus Demokratiegründen sprechen folgende Argumente für Fusionen: • Durch den Zusammenschluss steigt wie bereits erwähnt der Rekrutierungspool für die Ämterbesetzung, was die Auswahlmöglichkeiten für die Bevölkerung verbessert. • Grössere Gemeinden sind aufgrund des professionelleren Personals und mehr Ressour- cen besser in der Lage, auf Anliegen und Bedürfnisse der Einwohnerinnen und Einwohner einzugehen („erhöhte Responsivität“). • Heute besteht oft ein Demokratiedefizit, weil die Gemeinden zahlreiche Leistungen gar nicht mehr selber erbringen können. Infolge der zunehmenden Regionalisierung und Aus- lagerung von Gemeindeaufgaben wird den Stimmberechtigten – und angesichts langfristi- ger Verträge meist auch den Gemeindeexekutiven – die Beeinflussung der öffentlichen Dienstleistungen und damit auch eines grossen Teils der Gemeindefinanzen entzogen. Als Folge von Gemeindefusionen können die Gemeinden ihre Aufgaben oft wieder selbst erfüllen und somit erhöht sich die Einflussnahme der Stimmberechtigten auf die Leis- tungserstellung (Redemokratisierung).34

Aus Sicht der Demokratie sprechen folgende Argumente gegen Gemeindefusionen: Mit zu- nehmender Grösse • nimmt die politische Beteiligung und das Zugehörigkeitsgefühl ab • nimmt die Homogenität der Bevölkerung ab, welche für eine grosse Übereinstimmung von Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger und den tatsächlichen öffentlichen Leistungen sorgt • wird die Distanz zwischen Behörden und Bevölkerung grösser, und die Entscheidungs- prozesse bürokratischer werden.

b) Forschungsergebnisse

Die vorliegenden Forschungsergebnisse zum Thema der Demokratie betreffen den Zusam- menhang zwischen Gemeindegrösse und Demokratiequalität. Nicht direkt untersucht wurde, inwiefern sich nach einer Fusion die Demokratie verschlechtert. Der Fusionsprozess steigert in der Regel das Interesse der Bevölkerung an lokalpolitischen Fragen und führt zu einer gewissen Dynamik.35

33 Vgl. Steiner (2002), Interkommunale Zusammenarbeit und Gemeindezusammenschlüsse in der Schweiz, S. 123- 124.

34 Kettiger (2004), Gemeindefusion – ein Thema mit vielen Facetten, S. 5-6.

35 Vgl. Kuster/Liniger (2007), Effekte von Gemeindezusammenschlüssen, S. 13.

23 2. Gemeindefusionen: Erkenntnisse aus der Forschung ECOPLAN

• Aus den Gemeindeschreiberbefragungen (1988, 1998, 2004) geht hervor, dass sowohl die Beteiligung an Gemeindeversammlungen, wie auch die Beteiligung an kommunalen Wahlen mit zunehmender Gemeindegrösse stark zurückgeht.36 • Ladner und Bühlmann (2007) haben in einer grossangelegten Bevölkerungsumfrage (Stichprobe: 1'500) sechs Indikatoren für lokale Demokratiequalität untersucht.37 Dabei zeigt sich, dass die soziale Integration, die politische Kompetenz und das Vertrauen in die Politik in grossen Gemeinden geringer sind, während beim politischen Interesse, der poli- tischen Zufriedenheit sowie der politischen Partizipation kein Zusammenhang mit der Gemeindegrösse besteht. Ladner und Bühlmann folgern in Bezug auf Fusionen, dass im Zuge von Fusionen aufgrund der zunehmenden Gemeindegrösse längerfristig demokra- tietheoretische Herausforderungen entstehen können, denen man Rechnung tragen soll- te. Interessant ist, dass mehr als drei Viertel der Befragten (unabhängig von der Gemein- degrösse) die Qualität der Dienstleistungen als wichtiger erachtet als das gute Funktionie- ren der lokalen Demokratie.38

2.2.4 Wirtschaftliche Entwicklung

a) Hypothesen

Aus Sicht der wirtschaftlichen Entwicklung sprechen folgende Argumente für Gemeindezu- sammenschlüsse: • Die fusionierte Gemeinde gewinnt an Attraktivität und verbessert ihre Wettbewerbspositi- on, weil der Zusammenschluss mit neuer Dynamik und tendenziell einer professionelleren Verwaltung verbunden ist. Im Einzelfall können sich auch Wettbewerbsvorteile hinsichtlich Steuerfuss sowie Bildungs- und Freizeitangebot ergeben. • Grosse Chancen verspricht die gemeinsame potenzialorientierte Raumplanung und Sied- lungsentwicklung: statt dass jede der ursprünglichen Gemeinden eine neue Einfamilien- hauszone und eine zusätzliche Industriezone ausscheidet, kann in der fusionierten Ge- meinde dort eingezont werden, wo die Voraussetzungen insgesamt am besten sind. • Aus übergeordneter Sicht ist es für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz eine Verbesse- rung, wenn Vorschriften für Investoren harmonisiert werden und sich die Anzahl der An- sprechpartner reduziert.39 • Grössere Gemeinden verfügen insgesamt über mehr Mittel und können sich deshalb eher eine eigene Wirtschaftsförderung leisten.

36 Vgl. Ladner/Bühlmann (2007), Demokratie in den Gemeinden, S. 39-40.

37 Vgl. Ladner/Bühlmann (2007), Demokratie in den Gemeinden.

38 Vgl. Ladner/Bühlmann (2007), Demokratie in den Gemeinden, S. 64.

39 Vgl. Gerber (2008), Wettbewerbsfähige Standorte dank neuen Formen der Zusammenarbeit.

24 2. Gemeindefusionen: Erkenntnisse aus der Forschung ECOPLAN

Entwicklungsargumente gegen Fusionen: • Eigenständige, kleinere Gemeinden können gezielter die lokale Wirtschaft fördern und auf lokale Entwicklungsbedürfnisse eingehen. • Eine Fusion verändert zahlreiche Faktoren nicht, insbesondere die geografische Lage und die finanziellen Ressourcen der Gemeinde (Steuersubstrat).

b) Forschungsergebnisse • Die Untersuchung von Kuster und Liniger (2007) zeigt, dass sich bei 6 von 7 Fusionsge- meinden zusammenschlussbedingte Chancen aus der gemeinsamen Nutzungsplanung ergeben: sei es weil in der ursprünglichen Gemeinde keine Baulandreserven mehr vor- handen waren, sei es weil die Zonenplanung besser auf die räumlichen Voraussetzungen angepasst werden kann.40

2.2.5 Degressive oder progressive Kostenentwicklung?

a) Hypothesen

Aus ökonomischer Sicht werden die Konsequenzen von Gemeindefusionen in erster Linie vor dem Hintergrund der Kosteneffizienz diskutiert. Wenn die Kosten bei zunehmender Gemein- degrösse nur unterproportional zunehmen, spricht man im Fachjargon von degressivem Kos- tenanstieg oder zunehmenden (auch steigenden oder positiven) Skalenerträgen. In diesem Fall ist es aus Kostensicht optimal, eine bestimmte Leistung für eine grössere Anzahl Ein- wohnerinnen und Einwohner zu erbringen.41 Folgende Argumente sprechen für zunehmende Skalenerträge bei zunehmender Gemeindegrösse: • Bestehende Verwaltungsbehörden und Infrastrukturanlagen können besser ausgelastet werden. • Eine grössere Verwaltung bietet Möglichkeiten zur Synergienutzung und zur Spezialisie- rung, was Effizienzvorteile bringen kann. • Eine rationellere Aufgabenwahrnehmung wird möglich durch den Einsatz von neuen Technologien, welche erst ab einer gewissen Grösse finanziert werden können.

Ebenso gibt es aber Argumente, welche für abnehmende Skalenerträge sprechen, also für einen progressiven Kostenanstieg bei zunehmender Gemeindegrösse:

40 Vgl. Kuster/Liniger (2007), Effekte von Gemeindezusammenschlüssen, S. 12.

41 Zu unterscheiden ist zwischen den Verwaltungskosten (Fixkosten) und den Gesamtkosten: Bei den Verwal- tungskosten sind zunehmende Skalenerträge zu erwarten, während bei den Gesamtkosten auch "Mehrkosten der Grösse", z.B. aufgrund des verminderten sozialen Zusammenhalts, auftreten könnten.

Weiter wird der Faktor Gemeindegrösse oft auch mit dem Raumtyp (ländlich/urban) überlagert: Meist haben grössere (und in der Tendenz urbanere) Gemeinden aufgrund von sozio-demografischen Faktoren höhere Kos- ten, kleinere (und in der Tendenz ländliche) Gemeinden haben aus geografisch-topografischen Gründen höhere Kosten.

25 2. Gemeindefusionen: Erkenntnisse aus der Forschung ECOPLAN

• Die Personalkosten der Verwaltung steigen, weil das Personal mit der zusätzlichen Ver- antwortung und als Folge der Spezialisierung mehr verdient. • Die Miliztätigkeit, welche im Rahmen von Freiwilligenarbeit erfolgte, wird vermehrt durch bezahlte Anstellungen ersetzt. • Neben den einmaligen Kosten für die Systemzusammenführung ist im EDV-Bereich auch längerfristig mit höheren Kosten zu rechnen, weil im Allgemeinen das am weitesten entwi- ckelte System der ursprünglichen Gemeinden übernommen wird. • Mit zunehmender Grösse steigt der interne Organisations-, Koordinations- und Kontroll- aufwand. • Nicht nur die Problemstellungen, sondern auch die Lösungen sind in grösseren Gemein- den komplexer. Rasche und unbürokratische Lösungen werden vermehrt ersetzt durch formale Prozesse, weil für alle Transparenz gegeben sein muss. • Die Erwartung an das Dienstleistungsniveau ist in grösseren Gemeinden höher.

Aufgrund dieser beider gegenläufigen Argumentationslinien wird bisweilen versucht, die op- timale Gemeindegrösse zu bestimmen, also diejenige Gemeindegrösse, bei der die ge- wünschten Leistungen zu den kostengünstigsten Konditionen erstellt werden können. Da aber für jede Dienstleistung die optimale Zahl der Leistungsbezüger eine andere ist, gibt es ökonomisch gesehen nicht die einzige optimale Gemeindegrösse. Hingegen ist klar, dass sich das Potenzial für Skalenerträge unterscheidet, wenn sich zwei ähnlich grosse Gemein- den bzw. zwei Gemeinden von deutlich unterschiedlicher Grösse zusammenschliessen. Wenn sich eine ganz kleine Gemeinde mit einer wesentlichen grösseren zusammenschliesst, ist das Potenzial vergleichsweise gering.42 b) Forschungsergebnisse

Die Empirie ist auch nicht in der Lage, Klarheit zu schaffen, ob überhaupt und in welche Rich- tung ein Zusammenhang zwischen Gemeindegrösse bzw. Gemeindefusionen und Kosten- einsparungen besteht: • Die quantitativen Forschungsergebnisse von Lüchinger und Stutzer (2002), welche die Veränderung der Gesamtausgaben der Kernverwaltung bei vier Gemeindezusammen- schlüssen mit einer Kontrollgruppe ähnlicher Gemeinden vergleichen, lehnen die These der zunehmenden Skalenerträge – also eines degressiven Kostenanstiegs bei Fusionen – ab. Sie stützen eher die These abnehmender Skalenerträge, da die durchschnittlichen laufenden Ausgaben für die öffentliche Kernverwaltung im Vergleich zum Niveau vor der Fusion stärker gestiegen sind als in der Kontrollgruppe.43

42 Vgl. Kuster (2008), Fit durch Zusammenarbeit oder Zusammenschluss.

43 Vgl. Lüchinger/Stutzer (2002), Skalenerträge in der öffentlichen Kernverwaltung: Eine empirische Analyse an- hand von Gemeindefusionen.

26 2. Gemeindefusionen: Erkenntnisse aus der Forschung ECOPLAN

• Thom und Steiner (2005) haben die Auswirkungen von Gemeindefusionen anhand von Fallstudien bei 5 Gemeinden untersucht, die sich aus 22 Gemeinden zusammenge- schlossenen haben.44 Die Untersuchungsergebnisse lassen keine generellen Aussagen über die finanziellen Auswirkungen zu, da sie von Fall zu Fall unterschiedlich waren: ein Drittel der Gemeinden konnte die Steuern senken, ein Drittel hat sie erhöht; die eine Hälf- te hat neue Schulden produziert, die andere Hälfte hat Schulden getilgt. • Die auf Interviews beruhende Untersuchung von Kuster und Liniger (2007), an der sieben Fusionsgemeinden beteiligt waren, zeigt hingegen bedeutende Effizienzsteigerungen auf.45 Die finanziellen Konsequenzen konnten aber noch nicht abschliessend beurteilt werden. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Chancen und Potenziale eines Gemein- dezusammenschlusses nicht automatisch in Einsparungen bzw. Verbesserungen resultie- ren, sondern aktiv genutzt werden müssen. Ansonsten bleibt es dabei, dass “[d]ie bisheri- gen Verwaltungen (…) nicht optimiert, sondern addiert” werden.46

Auf eigene Untersuchungen zu den kostentreibenden Faktoren und der Rolle der Gemeinde- grösse gehen wir in Kapitel 6 näher ein.

2.3 Erfolgsfaktoren und Stolpersteine von Gemeindefusionen

Verschiedene Berater haben sich aufgrund ihrer Erfahrungen zu Erfolgsfaktoren und Stolper- steinen von Fusionen geäussert.47 Bühler und Fetz (2006) haben im Rahmen eines For- schungsprojekts Erfolgsfaktoren aus 11 Fusionsprojekten in Erfahrung gebracht.48 Die fol- gende Zusammenstellung ist ein Aggregat aus diesen verschiedenen Quellen.

Als Erfolgsfaktoren für das Zustandekommen von Fusionen werden genannt: • Starke Führung • Einbezug der Bevölkerung (bspw. über Bevölkerungsumfragen oder Grossgruppenveran- staltungen) • Einbezug der Verwaltung (die am stärksten betroffen ist von einer Fusion) • Bestehende Gemeinsamkeiten und Formen der Zusammenarbeit (insbesondere über- kommunale Begegnungsorte wie Vereine, Kirchen, Schulen etc.)49 • klare Projektziele und eine klare politische Botschaft • Transparente Kommunikation und Information

44 Vgl. Thom/Steiner (2005), Interkommunale Zusammenarbeit und Gemeindezusammenschlüsse in der Schweiz.

45 Vgl. Kuster/Liniger (2007), Effekte von Gemeindezusammenschlüssen, S. 7-10.

46 Frenkel Max (1999), Die Fahrt in die schöne, nicht mehr so neue Welt der Gebietsreform.

47 Vgl. Sonderegger (2007), Gemeindefusion: Mit klarer Struktur zum Erfolg. Kettiger (2004), Gemeindefusion – ein Thema mit vielen Facetten.

48 Vgl. Bühler/Fetz (2006), Erfolgsfaktoren von Gemeindefusions-Prozessen in der Schweiz.

49 Steiner (2002), Interkommunale Zusammenarbeit und Gemeindezusammenschlüsse in der Schweiz, S. 476.

27 2. Gemeindefusionen: Erkenntnisse aus der Forschung ECOPLAN

• Gezielter Einbezug von möglichen Stolpersteinen (vgl. unten)

Zu den bekannten Stolpersteinen gehören: • grosse Unterschiede in der finanziellen Situation (Steuerfuss und –ertrag, Verschuldung und Vermögen) • drohende Einbussen im innerkantonalen Finanzausgleich • Ängste in der Bevölkerung (Identitätsverlust, schwindendes Zusammengehörigkeitsgefühl, Benachteiligung bspw. hinsichtlich Gemeindenamen, Wappen, Standort der Verwaltung) • Individuelle Befindlichkeiten von führenden Persönlichkeiten (die allenfalls Ihren Einfluss begrenzt sehen)

2.4 Exkurs: Der Finanz- und Lastenausgleich als Fusionshemmnis?

Die Frage, ob das FILAG strukturerhaltend wirkt, und inwiefern sich dies auch als Fusions- hemmnis erweist, wurde bereits in der FILAG-Evaluation ausführlich untersucht.50 Der Voll- ständigkeit halber seien die zentralen Erkenntnisse kurz zusammengefasst:

Zunächst ist zu klären, dass unter "strukturerhaltend" drei verschiedene Dinge verstanden werden können:

a) Hindernis für Effizienzsteigerungsmassnahmen in der Gemeinde

b) Hindernis für eine dezentrale Konzentration, d.h. konkret für die (freiwillige) Abwanderung aus peripheren Siedlungsräumen in (regionale) Zentren

c) Hindernis für Gemeindefusionen

Die beiden Punkte a) und b) sind unabhängig von Gemeindefusionen, werden aber dennoch oft fälschlicherweise damit in Verbindung gebracht.

Zu a): Das FILAG ist grundsätzlich keine Bremse für Effizienzsteigerungsmassnahmen in den Gemeinden, vielmehr konnten kostentreibende Anreize reduziert, wenn auch nicht voll- ständig beseitigt werden.

Zu b): Das FILAG hat das Ziel, strukturschwache Gemeinden zu unterstützen. Daher ist es automatisch strukturerhaltend in dem Sinn, dass es einer stärkeren Konzentration entge- gen wirkt und die Besiedlung von strukturell ungünstigen Räumen trotz schlechten Voraus- setzungen ermöglicht. Diese Strukturerhaltung ist kostspielig, aber vom Gesetzgeber gewollt. Bei einer spürbaren Verminderung des direkten Finanzausgleichs, aber auch der Solidari- tätsmechanismen in den Lastenverteilern, würde sich die Abwanderung aus strukturschwa- chen Gebieten voraussichtlich beschleunigen. Es kann davon ausgegangen werden, dass

50 Ecoplan (2007), Ex-post-Evaluation des FILAG 2002, Abschnitt 5.2.; siehe hierzu auch die Ergebnisse der GE- REF-Evaluation in: Kompetenzzentrum für Public Management (2005), Schlussevaluation „Strategie Gemeinden, insb. S. 47 und 52.

28 2. Gemeindefusionen: Erkenntnisse aus der Forschung ECOPLAN

zumindest alle Gemeinden, die eine Mindestausstattung erhalten, ernsthafte Finanzprobleme hätten, die sie nicht über Steuererhöhungen auffangen könnten. Es ist eine politische Frage, wie viele Mittel für die Strukturerhaltung im Sinn einer Besiedlung von strukturell ungünstigen Räumen aufgewendet werden sollen.

Zu c): Das FILAG kann theoretisch auf zwei verschiedene Arten einen negativen Einfluss auf das Fusionsverhalten der Gemeinden ausüben. • Einerseits haben die finanzschwachen Gemeinden dank der Umverteilung der Steuergel- der mehr Ressourcen zur Verfügung. Dies mindert u.U. den Fusionsdruck auf diese Ge- meinden. Nun ändern sich allerdings die Erträge einer Gemeinde durch eine Fusion nicht oder höchstens langfristig. Gemäss der vorliegenden Evaluation können allenfalls die Kosten mittel- bis langfristig durch eine Fusion gesenkt werden. Per Saldo ist hier der Ef- fekt des FILAG gering, weil eine Fusion die Ertrags- und Strukturschwäche von Gemein- den nur sehr begrenzt zu verändern mag. • Andererseits besteht für fusionswillige Gemeinden die Gefahr, durch die Fusion Einnah- men aus dem Finanz- und Lastenausgleich zu verlieren. Dieses Hemmnis tritt nicht in al- len, aber in einigen Fällen auf (vgl. dazu Anhang 4). Bereits heute ist eine (allerdings auf 5 Jahre befristete) Abfederung vorgesehen. Im Rahmen des Projekts FILAG 2012 steht ei- ne Verlängerung dieser Abfederungsmassnahmen auf 10 Jahre zur Diskussion.

29 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

3 Gemeindefusionen im Kanton Bern

In diesem Kapitel wird basierend auf vorhandenen Statistiken51 die Situation der bernischen Gemeinden sowie der bisherigen Fusionsbestrebungen im Kanton deskriptiv dargestellt. In einem ersten Abschnitt 3.1 werden die bernische Gemeindelandschaft anhand von Struktur- daten charakterisiert sowie die Herausforderungen der Gemeinden anhand von Aussagen der Gemeindeschreiber aufgezeigt. Im Abschnitt 3.2 wird schliesslich ein Überblick über ab- geschlossene, laufende und abgebrochene Fusionsprojekte sowie über die in diesen Projek- ten eingesetzten Fördermittel gegeben. In Abschnitt 3.3 folgt ein kurzes Zwischenfazit.

3.1 Struktur und Herausforderungen der Gemeinden im Kanton Bern

3.1.1 Strukturdaten

Der Kanton Bern ist jener Kanton mit der grössten Anzahl Gemeinden. Die Struktur der Ge- meindelandschaft unterscheidet sich aber nicht sehr stark vom Schweizerischen Durch- schnitt: Gemäss BFS liegt der Kanton Bern per 1.1.2009 nur leicht unter dem Durchschnitt, was die durchschnittliche Anzahl Einwohner pro Gemeinde angeht, und der Anteil kleiner Gemeinden mit weniger als 1'000 Einwohnern liegt mit 52.8% geringfügig über dem Schwei- zerischen Mittel von 49.6%.52 Der Anteil Gemeinden mit weniger als 500 Einwohnern unter- scheidet sich mit 31.1% kaum vom Schweizer Durchschnitt mit 31.4%.53

Die strukturellen Unterschiede zwischen den einzelnen Gemeinden im Kanton Bern sind jedoch gross (vgl. Grafik 3-1).

51 Gemeindeschreiberbefragungen des Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern, Daten- bank des AGR, BFS-Gemeindetypen nach dem Zentren-Peripherie-Modell von 1990. 52 BFS (2009), Medienmitteilung: 2008 hat die Zahl der Gemeinden deutlich abgenommen. 53 Die Einwohnerzahlen für den Kanton Bern entsprechen dem Stand per 1.1.2008, die Gemeindezahl jedoch derjenigen per 1.1.2009. Die Zahlen zur Gesamtschweiz beruhen auf den Daten der Volkszählung 2000, aufge- rechnet auf den Gemeindebestand 2006 (Quelle: Bundesamt für Statistik).

30 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

Grafik 3-1: Anzahl Gemeinden nach Grössenklassen und Gemeindetypen im Kanton Bern

90 Agrarische Gemeinden 80 Agrar-gemischte 70 Gemeinden

n Ländliche

de 60 Pendlergemeinden in e 50

m Industrielle und tertiäre Gemeinden Ge 40 hl

a Touristische z 30 n Gemeinden A 20 Periurbane Gemeinden 10 Einkommensstarke 0 Gemeinden 1-249 250- 500- 1’000- 2’000- 5’000- 10’000- > Suburbane 499 999 1’999 4’999 9’999 19’999 20’000 Gemeinden Einwohner Zentren

Quelle: Bevölkerungszahlen AGR, Gemeindetypen BFS

Die Einwohnerzahl der Berner Gemeinden lag im Jahr 2007 im Durchschnitt bei 2’421 Ein- wohnern. Dieser Durchschnitt wird allerdings wesentlich von den drei grossen Zentren Bern, Biel und Thun geprägt: zusammen machen die drei Städte rund 22% der gesamten kantona- len Bevölkerung aus. Im Median liegt die Bevölkerungszahl bei 913, d.h. weniger als die Hälf- te der Berner Gemeinden haben über 1’000 Einwohner. Die einwohnermässig kleinste Ge- meinde im Kanton Bern ist die Gemeinde Monible im Berner Jura mit 42 Einwohnern, dem- gegenüber steht die Stadt Bern mit über 122'000 Einwohnern. Weitere 48 Gemeinden haben weniger als 250 Einwohner, während nur gerade 14 Gemeinden mehr als 10'000 Einwohner aufweisen (vgl. Tabelle 3-1).

Der häufigste Gemeindetyp sind die ländlichen Pendlergemeinden (91 Gemeinden) und die agrar-gemischten Gemeinden (81 Gemeinden). Sie verfügen mehrheitlich über eine Bevölke- rungszahl zwischen 250 und 1’000 Einwohner und machen zusammen mit den reinen Agrar- gemeinden rund 83% aller Gemeinden mit weniger als 1'000 Einwohnern aus.

Die 48 kleinsten Gemeinden sind vorwiegend agrarische (27) bzw. agrar-gemischte (9) Ge- meinden. Die grossen Gemeinden sind hauptsächlich Zentren und suburbane Gemeinden. Die vier einkommensstarken Gemeinden54 Muri bei Bern (12'587 Einwohner), Evilard (2'325 Einwohner), Mörigen (848) und Tüscherz-Alfermée (302 Einwohner) sind von unterschiedli- cher Grösse und geben kein Indiz für eine optimale Bevölkerungszahl ab.

54 Definition gemäss BFS (2005), Die Raumgliederungen der Schweiz: Voraussetzung für die Zuordnung einer Gemeinde zu diesem Typ ist ihre Zugehörigkeit zu einer Agglomeration. Massgebliches Kriterium ist dabei das durchschnittliche reale Steuereinkommen der natürlichen Personen. Die Schwellen werden davon abhängig ge- macht, ob die Gemeinde in einer Agglomeration eines Metropolraums liegt oder nicht.

31 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

Tabelle 3-1: Die Grösse der Gemeinden im Kanton Bern (2007) n n re e iä d inde rt n e n inden inden i e e e e m m m inde Ge e sstarke und t schte Ge Ge n i m n n n he

e Gem e c lle ne ne s m i ie t n r sch inde inde inde m t e e e o re k al rari ndlerge riurba ndliche nt n Einwohnerzahl i Ze Suburba E Gem Pe Touris Indus Gem Lä Pe Agrar-gem Gem Ag Tot 1-249 Anzahl Gmd 000102992748 Zeilen-% 000204191956100 Spalten-% 00030410114112 250-499 Anzahl Gmd 00181632151477 Zeilen-% 0 0 1 10 1 8 42 19 18 100 Spalten-% 0000000000 500-999 Anzahl Gmd 001411028261585 Zeilen-% 0015112333118100 Spalten-% 0 0 25 10 6 18 31 32 23 22 1’000-1’999 Anzahl Gmd 0 1 0 10 4 14 16 18 8 71 Zeilen-% 001619332427100 Spalten-% 0 3 0 25 24 25 18 22 12 18 2’000-4’999 Anzahl Gmd 0 16 1 15 9 20 6 12 2 81 Zeilen-% 0 1 0 14 6 20 23 25 11 100 Spalten-% 0 48 25 38 53 36 7 15 3 21 5’000-9’999 Anzahl Gmd 29022301019 Zeilen-% 0 20 1 19 11 25 7 15 2 100 Spalten-% 2527051250105 10’000-19’999 Anzahl Gmd 36100000010 Zeilen-% 11 47 0 11 11 16 0 5 0 100 Spalten-% 3818250000003 > 20’000 Anzahl Gmd 3100000004 Zeilen-% 306010000000100 Spalten-% 38300000001 Total Anzahl Gmd 833 4401755918166395 Zeilen-% 75250000000100 Spalten-% 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100

Quelle: Bevölkerungszahlen AGR, Gemeindetypen BFS

3.1.2 Herausforderungen für die bernischen Gemeinden

Der gesteigerte Leistungsdruck von Seite des Kantons und der Bevölkerung sowie die immer häufiger auftretenden Rekrutierungsprobleme stellen gemäss mehreren Studien die grössten Herausforderungen für die Gemeinden dar (vgl. Abschnitt 2.1). Aus dem umfassenden Da- tensatz der 1998 und 2005 durchgeführten schweizweiten Gemeindeschreiberbefragungen geht hervor, dass die beiden Punkte auch für bernische Gemeinden eine Herausforderung darstellen, wenn auch mit unterschiedlicher Bedeutung. Sowohl im Jahr 1998 als auch im

32 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

Jahr 2005 hat ein grosser Anteil der bernischen Gemeinden bei der Gemeindeschreiberbe- fragung mitgewirkt, so dass von einer repräsentativen Umfrage gesprochen werden kann.55 a) Rekrutierungsprobleme

In der Schweiz bekunden immer mehr Gemeinden Probleme, vakante Ämter zu besetzten. Bereits in der Gemeindeschreiberbefragung 1998 gaben 64% der Befragten an, dass es in den vergangenen 10 Jahren schwieriger wurde, Personen für ein vakantes Amt zu gewinnen (vgl. Grafik 3-2). In der Befragung von 2005 war dieser Prozentsatz mit 67% sogar noch leicht angestiegen, d.h. die Situation hat sich weiterhin verschlechtert. Überraschend ist al- lerdings, dass die Probleme unabhängig von der Gemeindegrösse zu sein scheinen. Einzig bei Gemeinden mit über 10'000 Einwohnern kann nicht von einer Zunahme des Rekrutie- rungsproblems gesprochen werden. Eine höhere Bereitschaft, sich für vakante Ämter zur Verfügung zu stellen, ist nur gerade in 1.2% aller Schweizer Gemeinden beobachtbar.

Im Gegensatz zur gesamten Schweiz scheint sich die Situation im Kanton Bern vor allem in den Jahren vor 1998 massiv verschlechtert zu haben (vgl. Grafik 3-3). In der Umfrage von 1998 lag der Anteil der Gemeinden, für die es zunehmend schwieriger wurde, vakante Ämter zu besetzen, deutlich über dem nationalen Durchschnitt. In einer Mehrheit (61%) der Berner Gemeinden hat sich das Problem nach 1998 weiter zugespitzt. Auch in der Umfrage von 2005 geben beinahe alle Gemeinde an, dass sich die Situation bezüglich der Ämterbeset- zung nicht verändert oder verschlechtert hat. Von einer Verbesserung reden lediglich 1.8% der Gemeinden, allerdings vor allem kleinere Gemeinden mit weniger als 1'000 Einwohnern.

Am häufigsten bekunden Gemeinden mit einer Einwohnerzahl zwischen 1'000 und 5'000 Personen Probleme bei der Besetzung politischer Ämter. Ein eindeutiger Zusammenhang mit der Grösse einer Gemeinde kann allerdings nicht beobachtet werden, insbesondere da aus der Umfrage nur eine subjektive Beurteilung der Gemeindeschreiber über die relative Verän- derung des Rekrutierungsproblems zu entnehmen ist und somit keine Aussagen über die absoluten Rekrutierungsschwierigkeiten gemacht werden können.

55 Von den 1998 existierenden 400 Gemeinden haben 91% (365) der Gemeindeschreiber Auskunft über die Situa- tion in ihrer Gemeinde gegeben. Mit 86% war die Rücklaufquote im Jahr 2005 zwar kleiner, aber mit 342 Ge- meinden von insgesamt 398 immer noch sehr hoch.

33 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

Grafik 3-2: Sind die Schweizer Gemeinden der Ansicht, dass es in den letz- Grafik 3-3: Sind die Berner Gemeinden der Ansicht, dass es in den letz- ten 10 Jahren schwieriger geworden ist, vakante Ämter zu be- ten 10 Jahren schwieriger geworden ist, vakante Ämter zu setzen? besetzen?

0% 20% 40% 60% 80% 100% 0% 20% 40% 60% 80% 100% t t

m 2005 67% 32% 62% 37% m 2005 a a s es 1998 64% 33% e

G 1998 73% 26% G 0

0 2005 23% 73% 2005 100% 0 000 20'

1998 29% 71% 20'

> 1998 25% 75% >

2005 54% 46% - 2005 22% 78% 00- 000 000 0 000

20' 58% 37% 20' 10' 1998 80% 10 %

10' 1998

0 2005 68% 32% 2005 61% 39% 0 00- 0 000 ' 0 000- 5'

10 1998 68% 30% 5' 69% 31% 10' 1998 71% 9 2005 28% 76% 24%

0- 2005 9 00- 9 999 00 0 ' 4' 4' 2 68% 31% 1998 2' 1998 82% 18 %

73% 9 2005 25% 2005 79% 21% 0- 9 00- 9 999 00 0 ' 1' 1' 1 68% 30% 1998 1' 1998 83% 17 %

2005 66% 33% 2005 50% 44% -999 1998 67% 30% 1998 68% 31% 500 500-999 0

0 2005 66% 32% 2005 58% 42%

50-5 1998 62% 35% 1998 58% 39% 2 250-500 2005 63% 36% 2005 49% 46% 249 249 1998 59% 36% 1998 75% 23% bis bis

schwieriger geworden gleich geblieben schwieriger geworden gleich geblieben leichter geworden keine Antwort leichter geworden keine Antwort

Quelle: Gemeindeschreiberbefragungen 1998/2005 Quelle: Gemeindeschreiberbefragungen 1998/2005

34 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

b) Zeitliche Belastung der Exekutiven

Aus der Gemeindeschreiberbefragung geht hervor, dass die zeitliche Belastung in den Exe- kutiven in Berner Gemeinden mehrheitlich zugenommen hat. In 11% der Gemeinden hat die zeitliche Belastung sogar sehr stark zugenommen. Wie aus Grafik 3-4 ersichtlich wird, ist die Veränderung der zeitlichen Belastung unabhängig von der Einwohnerzahl der Gemeinde.

Verglichen mit der gesamten Schweiz hat die zeitliche Belastung in den Berner Gemeinde- exekutiven weniger stark zugenommen oder wird zumindest seltener als starke Zunahme empfunden. In der gesamten Schweiz erkennen rund 86% der Gemeindeschreiber (im Kt. Bern 82%) einen höheren zeitlichen Aufwand, im Vergleich zu Bern wird mit 22.7% (gegen- über 11%) aber doppelt so oft angegeben, dass die zeitliche Belastung stark zugenommen hat.

Grafik 3-4: Wie hat sich die zeitliche Belastung der Exekutivmitglieder verändert?

0% 20% 40% 60% 80% 100%

Kanton Bern Gesamt 11% 71% 16% mehr als 20'000 33% 67% 10'000-20'000 11% 67% 11% 5'000-10'000 83% 17% 2'000-4'999 12% 75% 8% 1'000-1'999 12% 70% 14% 500-999 12% 70% 16% 250-500 11% 71% 17% bis 249 13% 63% 25% Schweiz Gesamt 23% 63% 13% mehr als 20'000 12% 65% 23% 10'000-20'000 23% 59% 13% 5'000-10'000 24% 57% 17% 2'000-4'999 24% 65% 10% 1'000-1'999 24% 61% 14% 500-999 26% 63% 10% 250-500 19% 67% 13% bis 249 20% 63% 15%

stark zugenommen zugenommen gleich geblieben abgenommen stark abgenommen

Quelle: Gemeindeschreiberbefragung 2005

35 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

c) Gemeinden an der Leistungsgrenze?

Mehr als jede zweite Berner Gemeinde (52%), die an der Gemeindeschreiberbefragung 2005 teilgenommen hat, hat gemäss dem subjektivem Empfinden des Gemeindeschreibers zudem mindestens in einem Aufgabenbereich ihre Leistungsgrenze erreicht, in 66 Gemeinden (19%) davon wurde die Leistungsgrenze gar überschritten und in weiteren 107 Gemeinden (31%) ist die Leistungsgrenze immerhin bereits in Sichtweite.

Auffallend häufig stossen Gemeinden mit 2’000-10’000 Einwohner an ihre Grenze (vgl. Grafik 3-5): Drei von vier Gemeinden in dieser Grössenkategorie haben gemäss dem subjektiven Empfinden ihres Gemeindeschreibers ihre Leistungsgrenze in mindestens in einem Bereich erreicht oder gar überschritten. Dies dürfte mehrere Gründe haben: • Die Erwartung der Bevölkerung bezüglich Professionalität und Leistungsangebot sind in diesen Gemeinden deutlich höher als in den kleineren Gemeinden. • Die Gemeinden orientieren sich nach oben, d.h. sie sehen sich mehr in der Konkurrenz zu den grösseren Gemeinden als zu den kleineren. • Dienstleitungen, die in kleineren Gemeinden aus Effizienzgründen oder aufgrund man- gelnder Nachfrage ausgelagert werden, werden selber erbracht.56 • Teilweise sind in dieser Grössenklasse stark wachsende "Boomgemeinden" vertreten: Im Gegensatz zu den grösseren Gemeinden sind die Gemeindeverwaltungen vielfach noch nicht ausreichend ausgebaut, was die Überschreitungen der Leistungsgrenzen zumindest teilweise erklären kann.

56 Beispielsweise wird das Amt des Bauverwalters in der Regel nur von Gemeinden mit mehr als 2'000 Einwohnern in der Gemeinde intern besetzt.

36 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

Grafik 3-5: Wie viele Berner Gemeinden haben in mindestens einem Bereich die Leistungs- grenze (LG) erreicht?

0% 20% 40% 60% 80% 100%

Gesamt 19% 33% 31% 14%

mehr als 20'000 67% 33%

10'000-20'000 22% 44% 22% 11%

5'000-10'000 26% 47% 21% 5%

2'000-4'999 37% 38% 21% 4%

1'000-1'999 10% 41% 38% 9%

500-999 15% 30% 33% 15% 7%

250-499 15% 27% 31% 27%

bis 249 7% 22% 46% 22%

LG mind. in einem Bereich überschritten LG mind. in einem Bereich erreicht LG mind. in einem Bereich in Sichtweite LG nirgends in Sicht Keine Antwort

Quelle: Gemeindeschreiberbefragung 2005

Bei einer genaueren Analyse der Daten (vgl. Grafik 3-6) wird allerdings ersichtlich, dass sich das "Erreichen" oder "Überschreiten der Leistungsgrenze" in den meisten Fällen auf nur ei- nen oder zwei von 34 abgefragten Aufgabenbereichen beschränkt.57 Nur von sehr wenigen Gemeinden wird die Leistungsgrenze in mehr als 5 der 34 definierten Aufgabenbereiche er- reicht (vgl. Grafik 3-6).58

Das Fazit lautet somit: Gemäss ihrer eigenen Einschätzung kommen die meisten Gemeinden nur in wenigen Aufgabenbereichen an ihre Leistungsgrenze. Dabei sind nicht die kleinsten Gemeinden, sondern jene mit 2’000-10’000 Einwohnern am häufigsten am Limit. Es bleibt anzumerken, dass sich die eigene Einschätzung nicht unbedingt mit der Fremdwahrnehmung

57 Die Aufgabenbereiche wurden im Rahmen der Gemeindeschreiberbefragung definiert. Es gilt zu beachten, dass nicht in allen Gemeinden alle Aufgabenbereiche abgedeckt sind, sondern diese vereinzelt durch andere Ge- meinden oder Gemeindeverbände wahrgenommen werden.

58 Die Ergebnisse sind mit Zurückhaltung zu interpretieren. Es handelt sich um die subjektive Einschätzung der Gemeindeschreiber. Weiter ist unklar, wie die Befragten das Wort "Leistungsgrenze" verstanden haben. "Leis- tungsgrenze erreicht" könnte z.B. heissen, dass die Verwaltung stark ausgelastet ist, aber bereits einen sehr ho- hen Standard erreicht. Es kann somit nicht mit Überforderung gleichgesetzt werden. Es bleibt zudem offen, wel- chen Leistungsstandard die Gemeinden haben und welchen Grund das Erreichen der Leistungsgrenze hat (z.B. personelle Kapazitäten, Qualifikationen des Personals usw.). Denkbar ist z.B., dass eine Gemeindeverwaltung mit etwas mehr Mittel durchaus die geforderten Leistungen erbringen könnte, aber die Mittel aus politischen Gründen nicht bewilligt wurden, obwohl die Finanzkraft es vielleicht zulassen würde.

37 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

decken muss. Die Auswertung einer Kantonsbefragung zeigt, dass die Kantone in der Ten- denz die Leistungsfähigkeit der Gemeinden kritischer beurteilen als dies die Gemeinde- schreiber/innen tun (vgl. dazu Anhang 1). Auch aus Sicht der Kantone haben aber die Ge- meinden nur zu einem geringen Teil ihre Leistungsgrenzen erreicht oder überschritten.

Grafik 3-6: In wie vielen Aufgabenbereichen wurde die Leistungsgrenze erreicht bzw. über- schritten?

300 276 Leistungsgrenze überschritten 250 Leistungsgrenze erreicht n

e 200 d n

i 166 me

e 150 G l h

za 100 An

50 40 26 23 24 18 18 17 15 9 12 9 7 6 4 3 1 6 2 00 0 0123456789>10 Anzahl Aufgaben

Quelle: Gemeindeschreiberbefragung 2005

Werden die Leistungsbereiche einzeln betrachtet, scheinen sich die oben erwähnten Vermu- tungen zu bestätigen: Im Kanton Bern sowie in der ganzen Schweiz stossen die Gemeinden vor allem bei den sozialen sowie den gemeindepolizeilichen Aufgaben an ihre Grenzen. Die Bereiche Neue Armut, Fürsorge- und Vormundschaftsfälle, Betreuung von Asylsuchenden, Drogenabhängigen und Arbeitslosen sowie Jugendfragen sind Aufgabenbereiche, die vor allem in grösseren bzw. wachsenden Gemeinden anfallen und in kleinen Gemeinden mehr- heitlich ausgelagert sind. Innerhalb der Gemeindeverwaltung sind vereinzelt die Leistungs- grenzen in der Finanzverwaltung und der gemeindeinternen Informatik erreicht bzw. über- schritten. Kaum Kapazitätsprobleme werden bei der Ver- und Entsorgung, der Kultur und den Einwohnerdiensten festgestellt.

38 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

Grafik 3-7 Leistungsbereiche und Leistungsgrenze, Kanton Bern

Neue Armut etc. Gde.-pol. Aufgaben Betr. Asysluchenden Betr. Drogenabhängigen Betr. Arbeitslosen Jugendfragen Zivilschutz Raum- und Zonenplanung Bew . Baugesuchen Feuerw ehr privater Verkehr öffentlicher Verkehr Sport/Sportanlagen Schulfragen Landschaft- & Ortsbildschutz Energieversorgung Gemeindeexekutive Inegration von Ausländern GV: Informatik GV: Finanzverw altung medizinische Versorgung Betr. älterer Personen Umw eltschutz Wirtschaftsförderung öffentliche Bauten GV: Personalmanagement Abfall/Entsorgung Wasserversorgung Abw asser/Kanalisation Kulturfragen GV: Einw ohnerdienste

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

LG überschritten LG erreicht LG in Sicht keine LG sichtbar weiss nicht keine Antwort

Quelle: Gemeindeschreiberbefragung 2005 d) Welche Herausforderungen bestehen in den bernischen Gemeinden?

Die Auswertung der Gemeindeschreiberbefragungen 1998 und 2005 zeigen zusammenfas- send, dass Rekrutierungsprobleme und ein gestiegener Leistungsdruck auch in Berner Ge- meinden ein Problem darstellt. Insbesondere mit der Besetzung von vakanten Stellen bekun- den die Gemeinden vermehrt Probleme. Die Leistungsgrenzen sind gemäss der Selbstbeur- teilung allerdings nur in wenigen Gemeinden und in einzelnen Bereichen überschritten wor- den. Eine grundsätzliche Überforderungssituation ist in den Gemeinden im Kanton Bern also nicht vorhanden.

39 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

3.2 Stand der Fusionsprojekte und bisher geleistete Fördermassnahmen

In diesem Kapitel werden der aktuelle Stand (Januar 2009) der Fusionsprojekte im Kanton Bern und die bisher geleisteten (finanziellen) Fördermassnahmen präsentiert. Dabei wird unterschieden zwischen • erfolgreiche Fusionen • laufenden Fusionsprojekten und • abgebrochenen Fusionen.

Die folgende Karte zeigt auf einen Blick den Stand der Fusionsprojekte im Kanton.

Grafik 3-8: Stand der Fusionsprojekte im Kanton Bern: Überblick (Januar 2009)

3.2.1 Erfolgreiche Fusionen

Bisher sind neun Gemeindezusammenschlüsse mit insgesamt 19 Gemeinden zustande ge- kommen, die von den Finanzbeiträgen gemäss GFG profitieren (vgl. Tabelle 3-2, Stand Ja- nuar 2009). Die Fusionen von Wald und Wichtrach, die per 1.1.2004 in Kraft traten, waren die ersten Gemeindezusammenschlüsse im Kanton Bern seit 1973.59 Anfang 2009 sind sieben der neun Fusionen in Kraft, Oberdiessbach und Jegenstorf folgen im Jahr 2010. Von den neun erfolgreichen Fusionen handelt es sich bei acht um Zusammenschlüsse von zwei Ge- meinden, in einem Fall handelt es sich um eine Fusion von drei Gemeinden. Die Anzahl der

59 1973 fusionierten Isenfluh und Lauterbrunnen zu Lauterbrunnen.

40 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

Gemeinden konnte somit um 10 – von 400 (2003) auf 390 (2010) Gemeinden – reduziert werden. Die quantitative Zielgrösse des GFG – eine Gemeindezahl von 300 im Kanton Bern – liegt aber noch in weiter Ferne.

Sechs der neun Fusionsgemeinden haben projektbezogene Zuschüsse für die Abklärung beantragt und erhalten. Insgesamt wurden für diese sechs Fusionen knapp CHF 237’000 eingesetzt. Alle diese neun erfolgreichen Fusionen kommen in den Genuss von Finanzhilfe- beiträgen gemäss GFG. Wald ist die einzige der vollzogenen Fusionen, die vom Kanton Aus- gleichszahlungen für die FILAG-Einbusse infolge der Zusammenlegung erhalten hat. Der ausbezahlte Gesamtbetrag für die Übergangszeit von 2004 bis 2008 betrug CHF 172’635. In den ersten beiden Jahren nach dem Zusammenschluss (2004 und 2005) wurden 100% der Einbusse, d.h. je CHF 49’324 kompensiert. Anschliessend wurde die Kompensation stufen- weise reduziert auf 75% (2006), 50% (2007) und schliesslich 25% (2008). Auch Riggisberg (Fusion per 1.1.2009) wird voraussichtlich von FILAG-Ausgleichszahlungen profitieren.

Bei den neun Fusionen handelt es sich um unterschiedliche Arten von Zusammenschlüssen: • Bei Forst-Längenbühl und Heimenhausen schliessen sich Kleinstgemeinden ähnlicher Grösse zu Kleingemeinden zusammen, die zwar mehr als 500, aber weniger als 1’000 Einwohner zählen. • In fünf von neun Fällen schliesst sich eine Kleinst- bis Kleingemeinde einer deutlich grös- seren Partnerin an, so geschehen im Fall von , Herzogenbuchsee, Riggisberg, Oberdiessbach und Jegenstorf. Die Fusion bedeutet in diesen Fällen für die grössere Gemeinde keine wesentliche Veränderung. • Bei Wald und Wichtrach war das Grössenverhältnis der ehemaligen Gemeinden ungefähr 1:2. • Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Fusionen nicht zu deutlich grösseren Ge- meinden geführt haben.

41 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

Tabelle 3-2: Überblick über erfolgreiche Fusionen (Stand: Januar 2009)

Erfolgreiche Einwohnerzahl Inkraftsetzung Ehemalige Gemeinden Ungefähre Grössen- Ausbezahlte Ausbezahlte Fusionen (Anzahl Gmd) Fusions- Beginn Fusions- nach Grösse Einwohnerzahl verhältnis Zuschüsse zur Finanzhilfe: gemeinde prozess bei der Fusion Vorbereitung Fusionsbeitrag per 1.1.2007 1. Wald (2) 1’119 1.1.2004 Zimmerwald 885 2 : 1 CHF 20’450 CHF 394’666 Englisberg 380 CHF 15’284 2. Wichtrach (2) 3’994 1.1.2004 Oberwichtrach 2’570 2 : 1 CHF 50’000 CHF 750’000 1999 Niederwichtrach 1’350 3. Madiswil (2) 2’123 1.1.2007 Madiswil 2’000 17 : 1 - CHF 448’400 2004 Gutenburg 120 4. Forst-Längenbühl (2) 725 1.1.2007 Längenbühl 360 1 : 1 CHF 15’000 CHF 264’200 Forst 360 5. Herzogenbuchsee (2) 6’487 1.1.2008 Herzogenbuchsee 5’570 6 : 1 CHF 50’000 CHF 717’200 2004 Oberönz 915 6. Riggisberg (2) 2’359 1.1.2009 Riggisberg 1’945 5 : 1 CHF 19’000 ca. CHF 566’000 Rüti b. Riggisberg 415 CHF 31’000 (Auszahlung 2009) 7. Heimenhausen (3) 985 1.1.2009 Heimenhausen 420 2 : 1.7 : 1 - ca. CHF 430’000 2004 Röthenbach b. Herzogen- 355 (Auszahlung 2009) buchsee Wanzwil 210 8. Oberdiessbach (2) 3’140 1.1.2010 Oberdiessbach 2’830 9 : 1 CHF 36’230 ca. 488’000 (Aus- 2004 Aeschlen b. Oberdiessbach 310 zahlung 2010) 9. Jegenstorf (2) 4'279 1.1.2010 Jegenstorf 4’225 78 : 1 - ca. 420'000 (Aus- Ballmoos 54 zahlung 2010) CHF 236’964 CHF 4'478’466

42 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

3.2.2 Laufende Fusionsprojekte

Im Kanton Bern sind zurzeit 24 Fusionsprojekte mit Total 109 beteiligten Gemeinden am Laufen (vgl. Tabelle 3-3, Stand Januar 2009). Von den schweizweit momentan rund 509 Gemeinden in 15 Kantonen, die über Fusionen nachdenken, liegen also rund ein Fünftel im Kanton Bern.60 Insofern ist im Kanton Bern einiges in Bewegung gekommen (wobei der Kan- ton Bern schweizweit auch am meisten Gemeinden kennt). Dies kommt auch in den Befra- gungsergebnissen der FILAG-Evaluation zum Ausdruck. Wie aus Grafik 3-9 hervorgeht, be- stehen insgesamt in fast einem Drittel der Berner Gemeinden Pläne oder erste Überlegungen zu Fusionen. In den kleinen Gemeinden trifft dies sogar für knapp die Hälfte zu.

Grafik 3-9: Bestehen in Ihrer Gemeinde Pläne oder erste Überlegungen zu einer Fusion mit anderen Gemeinden?

Ja Nein

Gesamt 26% 74%

> 10'000 8% 92% r

ne 2'501 - 10'000 17% 83%

nwoh 1'001 - 2'500 15% 85% i E 501 - 1'000 25% 75%

1 - 500 49% 51%

0% 20% 40% 60% 80% 100%

Quelle: Ecoplan (2007), Ergebnisse der Umfrage zum FILAG 2002 bei den Gemeinden

Der Stand in den 24 laufenden Projekten ist sehr unterschiedlich: • In 3 Projekten liegt ein positiver Grundsatzentscheid vor, und es sind Vertragsverhand- lungen im Gang, die per 1.1.2010 bzw. 2012 zur Fusion führen könnten. • In 13 Projekten sind konkrete Abklärungen in Gang, die teils in Kürze zu Grundsatzent- scheidungen führen könnten, teils aber auch noch ganz in den Anfängen stehen. • In 8 Projekten kann erst von ersten Überlegungen gesprochen werden, die in den meisten Fällen nicht explizit auf eine Fusion ausgerichtet sind, sondern sich allgemein mit den Möglichkeiten einer verstärkten Zusammenarbeit auseinandersetzen.

60 Aussage von Prof. Dr. Reto Steiner an der Fachtagung „Gemeindefusionen von kleineren und mittleren Schwei- zer Gemeinden“ vom 29. Oktober 2008.

43 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

Während die 3 fortgeschrittenen Projekte mit hoher Wahrscheinlichkeit zustande kommen, ist in den übrigen 21 Projekten jederzeit ein Abbruch oder der Ausstieg einzelner Partner mög- lich.

Bislang wurden für diese 24 Fusionsprojekte projektbezogene Zuschüsse zur Vorbereitung in der Höhe von gut CHF 804’200 ausbezahlt.

Bei den laufenden Projekten fällt auf, dass • nur ein Projekt eine Fusion mit weniger als 1'000 Einwohnern betrifft (Schwarzhäusern kann nicht dazu gezählt werden, da es noch keine Partnergemeinde gefunden hat) • sich in 3 Projekten mit über 8'000 Einwohnern eine Kleinstgemeinde einer grossen Ge- meinde anschliesst. • es sich in weiteren 4 Projekten mit über 8'000 Einwohnern um Zusammenschlüsse von mehreren Gemeinden handelt. • in knapp der Hälfte der Projekte nur 2 Gemeinden beteiligt sind, in 5 Projekten aber mehr als 5 Gemeinden und in 3 Projekten gar mehr als 10 Gemeinden.

In zwei Fällen waren resp. sind interkantonale Fusionen ein Thema (Albligen; Ruppoldsried), welche besondere Fragen aufwerfen (vgl. dazu die Empfehlung zu interkantonalen Fusionen im Kapitel 8).

44 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

Tabelle 3-3: Überblick über laufende Fusionsprojekte (Stand: Januar 2009)

Gemeinden Anzahl Anzahl Stand Ausbezahlte Gmd Einwohner Zuschüsse zur per 1.1.2007 Vorbereitung 1. / 2 14'611 Fusionsverhandlungen Fusion geplant per 1.1.2010 CHF 36’000 2. Twann / Tüscherz-Alférmée 2 1'151 Fusionsverhandlungen Fusion geplant per 1.1.2010 CHF 60’000 CHF 5’000 3. / Busswil 2 12'034 Fusionsverhandlungen Fusion geplant per 1.1.2012 CHF 50’000 4. Albligen / Wahlern 2 6'720 Laufende Abklärungen Fusionsverhandlungen mit CHF 30’000 Ueberstorf FR wurden abge- lehnt 5. Rüderswil / Lauperswil 2 4'993 Laufende Abklärungen Fusion geplant per 1.1.2010 CHF 50’000 6. Aegerten / Brügg / Schwadernau 3 6'261 Laufende Abklärungen Fusion geplant per 1.1.2012 CHF 34’500 CHF 6’900 7. Huttwil / Wyssachen 2 5'898 Laufende Abklärungen frühestens 1.1.2012 CHF 46’806 8. Mötschwil / Hindelbank 2 2'066 Laufende Abklärungen CHF 35’000 9. Niederried b. Kallnach/ Kallnach 2 1'806 Laufende Abklärungen - 10. Belp / Belpberg 2 9'964 Laufende Abklärungen 11. Perrefitte / Eschert / Belprahon / Grandval / Crémines / 9 6'123 Laufende Abklärungen CHF 100’000 Corcelles / Schelten / Seehof / Roches 12. / / Madiswil 3 3'063 Laufende Abklärungen Fortsetzung der Fusion Madiswil/Gutenburg 13. La Neuveville / Prêles / Lamboing / Diesse / Nods 5 6'104 Laufende Abklärungen CHF 80’000 14. Projekt «Gemeinden Thun-West»: 12 15'587 Laufende Abklärungen CHF 100’000 Amsoldingen / Blumenstein / Forst-Längenbühl / Höfen / Niederstocken / Oberstocken / Pohlern / Thierachern / Uebeschi / Uetendorf / Wattenwil / Zwieselberg

45 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

Gemeinden Anzahl Anzahl Stand Ausbezahlte Gmd Einwohner Zuschüsse zur per 1.1.2007 Vorbereitung 15. Projekt «Zukunft Zulgtal»: 10 5'111 Laufende Abklärungen CHF 40’100 Buchholterberg / Eriz / Fahrni / Homberg / Horrenbach- CHF 59'900 Buchen / Oberlangenegg / Schwendibach / Teuffenthal / Unterlangenegg / Wachseldorn 16. Hermrigen / Jens / Kappelen / Merzligen / Walperswil 5 3'341 Laufende Abklärungen CHF 40’000 17. Tramelan / Tavannes / Reconvilier / Loveresse / Ponte- 15 15’123 Laufende Abklärungen Anfangs 2009 wurde mit net / Bévilard / Sorvilier / Court / Monible / Champoz / einer Studie begonnen. Châtelat / Saicourt / Sornetan / Souboz / Saules 18. Interlaken / Matten / Unterseen 3 12'582 Erste Überlegungen 19. Rumisberg / Farnern / Wolfisberg 3 898 Erste Überlegungen z. Z. „sistiert“ 20. Schwarzhäusern 1 459 Erste Überlegungen Auf Partnersuche 21. Ruppoldsried 1 262 Erste Überlegungen Zusammenschluss mit Mes- sen SO oder Rapperswil BE 22. Projekt «Gemeinden Amt Büren gestalten die Zukunft»: 11 16'244 Erste Überlegungen CHF 30’000 Arch, Büetigen, Büren a.A., Diessbach b. B., Dotzigen, Leuzigen, Meinisberg, Oberwil b.B., Pieterlen, Rüti b. Büren, 23. Ringgenberg / Niederried 2 3’024 Erste Überlegungen 24. Ferenbalm, Wileroltigen, Golaten, Kriechenwil, Gurbrü 5 2’607 Erste Überlegungen 109 CHF 804’206

46 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

3.2.3 Abgebrochene Fusionsprojekte

Den neun erfolgreichen Fusionen im Kanton Bern stehen sechs in Volksabstimmungen ge- scheiterte Vorhaben gegenüber (vgl. Tabelle 3-4, Stand Januar 2009). Unter diesen sechs Projekten stechen zwei besonders hervor: • Bei Clavaleyres-Münchenwiler hätte es sich um eine Fusion von zwei Exklaven des Kan- tons Bern ohne gemeinsame Grenze gehandelt. • Mit der Fusion Rondchâtel mit sechs beteiligten Gemeinden wäre im Berner Jura die erste Grossfusion im Kanton zustande gekommen.

Auf diese beiden Beispiele wird im folgenden Kapitel noch näher eingegangen.

Da sich die abgebrochenen Projekte äusserst heterogen präsentieren, lassen sich keine all- gemeinen Schlussfolgerungen ziehen. Es haben weder durchwegs die kleineren Gemeinden, noch durchwegs die grösseren Gemeinden die Fusion abgelehnt.

Es kann aber festgestellt werden, dass sich vier der sechs gescheiterten Fusionsprojekte heute – z. T. in anderen Konstellationen – erneut in laufenden Abklärungen befinden (vgl. Spalte „Stand“ in der untenstehenden Tabelle).

Insgesamt wurden für diese gescheiterten Fusionsprojekte projektbezogene Zuschüsse zur Vorbereitung in der Höhe von gut CHF 155'000 ausbezahlt.

47 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

Tabelle 3-4: Überblick über abgebrochene Fusionsprojekte (Stand: Januar 2009)

Abgelehnte Anzahl Anzahl Gemeinden Anzahl Abstimmung Stand Ausbezahlte Fusionen Gmd Einwohner nach Grösse Einwohner Beginn Fusi- Zuschüsse Total Ablehnende nach Gmd onsprozess zur per 1.1.2007 Gemeinde per 1.1.2007 Vorbereitung 1. Bödeli 3 12'582 Unterseen 5'400 2000 Seit 2004 verfolgt der Verein „IG Bödeli“ den Interlaken 5’279 Zusammenschluss Matten 3’559 2. Malleray-Bévilard 2 3’635 Bévilard 1’903 2000 Bévilard ist am Abklärungsprojekt der Ge- Malleray 1’732 meinden des Vallée de Tavannes, des Petit- Val und der Umgebung Tramelan beteiligt 3. Konolfingen 2 5’110 Konolfingen 4’745 30.11.2006 CHF 50’000 Freimettigen 365 2004 4. Twann-Ligerz- 3 1’667 Twann 849 13.12.2007 Laufende Fusionsverhandlungen ohne Ligerz Tüscherz Ligerz 516 2006 Tüscherz- 302 Alfermée 5. Rondchâtel 6 4’043 Péry 1’314 1.6.2008 Wiederaufnahme der Verhandlungen ohne CHF 50’000 (Bas Vallon) Orvin 1’227 1999 Orvin; Comité de pilotage eingesetzt CHF 40’000 La Heutte 506 Vauffelin 423 Plagne 378 Romont 195 6. Münchenwiler 2 462 Münchenwiler 410 23.5.2008 CHF 16’725 Clavaleyres 52 2005 CHF 156’725

48 3. Gemeindefusionen im Kanton Bern ECOPLAN

3.3 Zwischenfazit

Die deskriptive Analyse der Situation der bernischen Gemeinden sowie der bisherigen Fusi- onsbestrebungen im Kanton führt zu folgenden Schlussfolgerungen: • Im Kanton Bern gibt es per 1.1.2009 392 Gemeinden. Davon haben 207 weniger als 1’000 Einwohner, weitere 152 weniger als 5’000. • Die strukturellen Unterschiede zwischen den bernischen Gemeinden sind gross: In den drei Städten Bern, Biel und Thun leben 22% der gesamten kantonalen Bevölkerung, wäh- rend die Hälfte der bernischen Gemeinden weniger als 913 Einwohner hat (Median). Die Spannweite reicht von 42 bis 122'000 Einwohnern. • Bis heute sind neun Fusionen zustande gekommen, die von der Finanzhilfe gemäss GFG im Umfang von Total CHF 4'058’466 profitieren konnten. • Sechs Fusionsprojekte sind bei Abstimmungen gescheitert. • Rund 93 Gemeinden sind in 23 laufenden Fusionsprozessen engagiert. In drei Projekten laufen fortgeschrittene Verhandlungen und die Fusion ist per 1.1.2010 geplant. • Bis Ende 2008 wurden insgesamt CHF 1'197'895 für projektbezogene Zuschüsse zur Vorbereitung von Fusionen gemäss FILAG Art. 34 Abs. 2 und 3 ausbezahlt. Ausgleichs- zahlungen gemäss FILAG Art. 34 Abs. 1 für FILAG-Einbussen infolge einer Fusion wur- den bislang erst einmal – an die Fusionsgemeinde Wald – entrichtet. Der Gesamtbetrag belief sich auf CHF 172'635.

Die Problemlage in den Gemeinden lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Die bernischen Gemeinden sehen sich mit Herausforderungen konfrontiert: Rekrutierungs- probleme für politische Ämter und der gestiegene Leistungsdruck belasten auch die Gemein- den im Kanton Bern. Gemäss den Gemeindeschreiberbefragungen 1998 und 2005 sind die Leistungsgrenzen allerdings nur in wenigen Gemeinden und in einzelnen Bereichen über- schritten worden, wobei die meisten Gemeinden im Bereich 2'000 bis 10’000 Einwohner lie- gen. Die Situation in den Gemeinden ist also nach Meinung der Gemeindeschreiber nicht als prekär einzustufen, während die Einschätzung anderer Stellen kritischer ausfällt (AGR, Ex- perten).

Durch die Auslagerung von Teilaufgaben und durch eine interkommunale Zusammenarbeit können viele kleine Gemeinden ihre Aufgaben durchaus noch erfüllen. Die Nachteile der interkommunalen Zusammenarbeit, die steigenden Anforderungen an die Gemeinden und die Probleme bei der Besetzung von Ämtern dürften den Druck auf Reformen in nächster Zeit erhöhen, der Problemdruck ist aber vielerorts derzeit noch recht klein.

49 4. Die Sicht der Gemeinden: Auswertung ausgewählter Fusionsprojekte ECOPLAN

4 Die Sicht der Gemeinden: Auswertung ausgewählter Fusi- onsprojekte

4.1 Überblick über die ausgewählten Fusionsprojekte

Mit dem Auftraggeber wurde eine Auswahl von erfolgreichen, laufenden und abgebrochenen Fusionsprojekten getroffen, die der Tabelle 4-1 zu entnehmen ist. In 18 Telefoninterviews wurden wichtige an den Prozessen beteiligte Personen befragt zu • ihrer Beurteilung der kantonalen Fördermassnahmen • den (erwarteten) Auswirkungen ihrer Fusion

Tabelle 4-1: Überblick ausgewählte Fusionsprojekte (Anzahl geführte Interviews in Klammern)

Erfolgreiche Fusionen Laufende Fusionsprojekte Abgebrochene Fusionen Herzogenbuchsee (2) Lyss/Busswil (2) Bas-Vallon (4) Wald (1) Langenthal/Untersteckholz (2) Clavaleyres/Münchenwiler (2) Wichtrach (2) Thun-West (3)

4.2 Kurzportraits der ausgewählten Fusionsprojekte

Die folgenden Kurzportraits enthalten die wichtigsten Hintergrundinformationen zu den ein- zelnen Fusionsprozessen: • Stand heute • Auslöser für Fusionsgespräche • Einschätzungen zum Perimeter der Fusion • Wichtige Akteure • Spezifische Schwierigkeiten und Gründe für die Ablehnung bei den abgebrochenen Fusi- onen

4.2.1 Herzogenbuchsee

Die Fusion von Herzogenbuchsee (5606 Einwohner) mit Oberönz (918) wurde am 1.1. 2008 mit einem Konzert in der Kirche gefeiert. Während Oberönz und Herzogenbuchsee einen Kredit für Vorabklärungen sprachen, schied Niederönz durch die Ablehnung der Bevölkerung schon zu Beginn aus dem Fusionsprozess aus. Nach der Ausarbeitung einer Machbarkeits- studie wurde die Ausarbeitung eines Fusionsvertrags in einer Abstimmung angenommen. Nach dessen Ausarbeitung wurde die Bevölkerung zur Mitwirkung eingeladen, es gab öffent- liche Informationsveranstaltungen und auch eine (ungenutzte) Sprechstunde wurde angebo- ten.

50 4. Die Sicht der Gemeinden: Auswertung ausgewählter Fusionsprojekte ECOPLAN

Auslöser für die Aufnahme von Fusionsgesprächen war eine Anfrage der Gemeinde Oberönz an Herzogenbuchsee und Niederönz. Oberönz hatte bereits zuvor in vielen Bereichen mit diesen Gemeinden zusammengearbeitet und kam im Rahmen von Abklärungen über weitere Auslagerungen von Aufgaben zum Schluss, dass eine Fusion sinnvoll sein könnte. Ausser- dem bildete die nahende Pensionierung des Oberönzer Gemeindeschreibers eine gute Gele- genheit zu fusionieren.

Bezüglich des Umfangs der neuen Gemeinde zeigen sich beide altrechtliche Gemeinden enttäuscht darüber, dass sich Niederönz nicht an der Fusion beteiligen wollte. Herzogen- buchsee ist laut der Gemeindestrategie offen für weitere Fusionsabklärungen, wollen diese aber nicht aktiv initiieren. Herzogenbuchsee sieht Fusionen als Möglichkeit zur automati- schen Abgeltung ("Internalisierung") der durch die regionale Zentrumsfunktion entstehenden Lasten.

Die beiden Gemeinderäte sowie die Verwaltung standen klar hinter der Fusion. Kurz vor der Abstimmung über die Fusion tauchte das Wappen als Diskussionspunkt auf, und neue Geg- nergruppen machten sich bemerkbar. Die IG Önz und das überparteiliche Komitee Oberönz wollten weitere Alternativen zur Fusion in den Prozess einbringen. Problembereiche waren die Wasser- und Elektrizitätsversorgung, da die Fusionsgemeinden Verträge mit unterschied- lichen Versorgern haben. Weiter war die Schule ein Thema, denn Oberönz bildet mit Niede- rönz den Schulverband Önz.

Die Burgergemeinden Herzogenbuchsee und Oberönz sind vom Zusammenschluss nicht betroffen. Oberönz war bereits vorher Teil der reformierten Kirchgemeinde Herzogenbuchsee bzw. der römisch-katholischen Pfarrei Herzogenbuchsee.

4.2.2 Wald

Die seit dem 1. Januar 2004 bestehende Gemeinde Wald, welche aus den Gemeinden Englisberg (204 Einwohner) und Zimmerwald (872) hervorgegangen ist, ist ein Beispiel eines erfolgreich verlaufenen Fusionsprozesses. Obwohl bereits ein Fusionsversuch gescheitert war, stimmten beide Gemeindeversammlungen im Jahr 2000 einstimmig für die Aufnahme von Fusionsabklärungen. Um diffuse Ängste zu vermeiden, wählte die eingesetzte Kommis- sion eine sehr offene Kommunikation mit der Bevölkerung. 2002 wurde die Entscheidung zur Ausarbeitung eines Fusionsvertrags gefällt, und im März 2003 sprachen sich die Stimmbe- rechtigten in gleichzeitig stattfindenden Versammlungen für die Fusion der Gemeinden aus.

Ausgelöst wurde der Prozess durch das kantonale Gemeindegesetz von 2001, welches fort- an Schulgemeinden mit eigener Steuerhoheit verbot. Dadurch mussten Englisberger und Zimmerwaldner eine neue Lösung für die bereits gemeinsam geführte Schulgemeinde Wald finden. Da die beiden Gemeinden und die Schulgemeinde bereits zuvor über eine gemein- same Verwaltung verfügten, war die Integration der Schulgemeinde bei gleichzeitiger Fusion der Einwohnergemeinden ein logischer Schritt.

Obschon die Fusionsgemeinde sich mit dem heutigen Perimeter zufrieden zeigt, wurde zu- nächst abgeklärt, ob eine Fusion mit weiteren umliegenden Gemeinden möglich wäre. Diese

51 4. Die Sicht der Gemeinden: Auswertung ausgewählter Fusionsprojekte ECOPLAN

zeigten sich jedoch wenig interessiert. In Zukunft könnte dies aber wieder zum Thema wer- den. Nicht zuletzt deshalb, weil das Problem der Schulgemeinde nun gelöst ist.

Die Bevölkerung und die Gemeinden waren schon vor der Fusion durch ein gemeinsames Vereinsleben, sowie gemeinsame Kirchgemeinde, Feuerwehr, Zivilschutz und Schule eng miteinander verbunden. Dennoch mussten die Ängste der Englisberger, in Zukunft einfach überstimmt zu werden, durch eine paritätische Vertretung im Gemeinderat während der ers- ten Legislatur gedämpft werden. Ausserdem führte die neue Gemeinde das fakultative Refe- rendum für Gemeinderatsbeschlüsse ein.

4.2.3 Wichtrach

Die Fusion zwischen Niederwichtrach (1412 Einwohner) und Oberwichtrach (2478) wurde nach der Abstimmung im Jahr 2003 auf den 1. Januar 2004 vollzogen und gilt gemeinhin als Erfolg. Die Auswirkungen der Fusion auf die Gemeinden hinsichtlich Aufgabenerfüllung, Fi- nanzen, Einfluss und Spielräume der neuen Gemeinde wurden in einem Schlussbericht zur Fusion aufgezeigt. Neben der Umsetzung der Fusion verlief auch der Prozess bis zur Fusion ohne grössere Probleme. Die Gemeinden arbeiteten bereits in vielen Bereichen zusammen, die evangelisch-reformierte Kirchgemeinde umfasste beide Dörfer und auch die meisten Ver- eine waren bereits vor der Fusion "Wichtracher Vereine".

Die Fusionsabklärungen wurden aufgenommen, nach dem sich in einer durch einen schei- denden Gemeinderat 1998 initiierten Umfrage in Niederwichtrach eine klare Mehrheit der Bevölkerung für die Aufnahme von Fusionsabklärungen aussprach. Eine weitere Umfrage in Oberwichtrach kam zu einem noch deutlicheren Ergebnis. Die Ausarbeitung der Fusion er- folgte danach in mehreren Schritten mit jeweiliger Abstimmung über die Weiterführung des Projekts.

Die Fusionsgemeinde sieht ihre Grösse als nahezu ideal an. Die beiden Wichtrach wurden vereint. Mit einer Bevölkerung von mittlerweile etwas über 4'000 bleibt noch Raum für eine weitere Entwicklung, bevor sprungfixe Kosten in der Verwaltung anfallen würden.

Die beiden Gemeinderäte waren klar für die Fusion. Hinzu kamen die seit den 60er Jahren zugezogenen Einwohner, welche mittlerweile eine Mehrheit bilden und kein Verständnis da- für hatten, dass diese zwei sehr eng verbundenen Gemeinden auf dem Papier getrennt wa- ren. Die Gegnerschaft war nicht sehr zahlreich, konnte früh lokalisiert werden und kam aus den Reihen der Alteingesessenen. Um diffusen Ängsten vorzubeugen wurde eine sehr offene Informationspolitik gewählt und die Beteiligung der Bevölkerung in Untergruppen mit insge- samt 55 Mitgliedern forciert. Die Beteiligung der Bevölkerung und der Parteien wurde weiter durch ein Vernehmlassungsverfahren sichergestellt. Ausserdem wurde eigens eine viertel- jährliche Zeitschrift ‚Zämerütsche’ herausgegeben.

52 4. Die Sicht der Gemeinden: Auswertung ausgewählter Fusionsprojekte ECOPLAN

4.2.4 Lyss/Busswil

Es hat sich eine Arbeitsgruppe bestehend aus den Gemeindpräsidenten und je einem weite- ren Gemeinderat, der Gemeindeverwalterin von Busswil (1970 Einwohner), dem Gemeinde- schreiber von Lyss (11'280) sowie einem externen Berater gebildet, um Vorabklärungen bzgl. einer möglichen Fusion dieser beiden Gemeinden zu treffen. Ende November 2008 stimmen die zuständigen Organe, die Gemeindeversammlung in Busswil und das Parlament in Lyss, in einem Grundsatzentscheid über die Ausarbeitung eines Fusionsvertrages ab. Dieser käme gemäss Plan 2010 zur Abstimmung und die Fusion könnte 2011 vollzogen werden. Die Fusi- on würde dem kantonalen Richtplan entsprechen, der zwischen Biel und Bern ein starkes regionales Zentrum vorsieht.

Busswil hat die Initiative ergriffen, weil Ansprüche an Qualität und Professionalität der Ge- meindedienstleistungen seitens der Gesellschaft, Wirtschaft und Kanton gestiegen sind. Gleichzeitig nehme die Bereitschaft zur Übernahme von öffentlichen Ämtern ab. Dennoch ist gerade von Busswil der grössere Widerstand zu erwarten, da die kleinere Gemeinde wohl in der grösseren aufgehen wird und Busswil im Gegensatz zu Lyss einen ländlich geprägten Dorfcharakter aufweist.

Die beiden Gemeindepräsidenten sind der Ansicht, dass im Seeland in langfristiger Sicht maximal fünf Gemeinden werden bestehen können. Aus dieser Sicht ist der Anschluss von Busswil an das kommende Regionalzentrum richtig, jedoch lediglich eine erste von weiteren Fusionen in der Region.

Aktive Befürworter des Projekts sind die Gemeinderäte sowie die Verwaltung, obwohl keine Arbeitsplatzgarantie für Verwaltungsmitarbeiter vorgesehen ist. Mögliche Gegnerschaft wur- de bisher nur in ehemalig bedeutenden Persönlichkeiten gefunden. Dieser will die Arbeits- gruppe mit einer aktiven Informationspolitik begegnen. So findet vor der Gemeindeversamm- lung in Busswil eine Informationsveranstaltung zu diesem Projekt statt. Ausserdem wurde die Website www.lyss-busswil.ch ins Leben gerufen, auf der der aktuelle Stand der Abklärungen jederzeit ersichtlich ist und die zudem einen nach Themen gegliederten Fragen Antworten Katalog führt. Zusätzliche Fragen können von der Bevölkerung per Feedback-Formular ge- stellt werden. Die Website führt eine laufende Umfrage durch, welcher einen Anhaltspunkt zur Stimmung in der Bevölkerung geben soll.

4.2.5 Langenthal/Untersteckholz

Der Fusionsprozess zwischen Langenthal (14'676 Einwohner) und Untersteckholz (165) hat bereits einige wichtige Hürden genommen. Nach der Ausarbeitung einer Machbarkeitsstudie, welche keine entscheidenden Fusionshindernisse zu Tage förderte, haben im Juni 2008 die Gemeindeversammlung von Untersteckholz deutlich sowie das Langenthaler Stadtparlament einstimmig der Ausarbeitung eines Fusionsvertrags zugestimmt. Der Zeitplan sieht eine Ab- stimmung über den Fusionsvertrag 2009 und den Vollzug der Fusion frühestens 2010 vor.

Die Initiative für die Fusion ging vom kleinen Untersteckholz aus, dessen Gemeindepräsident die Gemeinde den steigenden Ansprüchen nicht mehr gewachsen sieht und dementspre-

53 4. Die Sicht der Gemeinden: Auswertung ausgewählter Fusionsprojekte ECOPLAN

chend den Anschluss an einen starken Partner sucht. Ausserdem plagen das kleine Un- tersteckholz Rekrutierungsprobleme bei der Bestellung der Behörden.

Die Motivation auf Langenthaler Seite ist durch den Pilot- und Symbolcharakter dieses Pro- jekts gegeben. Langenthal ist auch weiteren Fusionsprojekten nicht abgeneigt, denn es wird davon ausgegangen, dass es längerfristig nur noch vier Oberaargauer Gemeinden geben wird. Jedenfalls wird bedauert, dass sich nicht zumindest auch an der Fusion beteiligen wollte, was dieses Projekt in vielerlei Hinsicht vereinfacht hätte.

Die beiden Exekutiven sind die stärksten Befürworter des Projekts. Obwohl in der Machbar- keitsstudie für die Untersteckholzer Kinder der Besuch der Schule in Langenthal vorgesehen war, konnten Eltern aus Untersteckholz erwirken, dass ihre Kinder auch in Zukunft die Pri- marschule in Obersteckholz besuchen können. Weitere Hindernisse sind zumindest mittelfris- tig unterschiedliche Gebührensätze für Langenthaler und Untersteckholzer, da die Gemein- den unterschiedlichen Anbietern und Versorgern angeschlossen sind und sich diese Situation nicht in Kürze ändern liesse. Hinsichtlich der künftigen Repräsentation von Untersteckholz drängte sich bislang keine Lösung auf.

4.2.6 Thun-West

Dieses durch verschiedene Gemeinden im Thuner Westamt initiierte Fusionsprojekt steckt noch in einem frühen Stadium. Das Projekt ‚Zukunft Gemeinden Thun-West’ konnte Mitte 2007 einen ersten Erfolg verbuchen, als in allen 12 beteiligten Gemeinden die Bevölkerung dem Kredit für die Vorabklärungen zur Fusion zugestimmt hat. Beteiligt sind: Amsoldingen (803 Einwohner), Blumenstein (1'171), Forst-Längenbühl (691), Höfen (397), Niederstocken (285), Oberstocken (267), Pohlern (239), Thierachern (2'131), Uebeschi (701), Uetendorf (5'878), Wattenwil (2'681), Zwieselberg (261).

Obwohl die beteiligten Gemeinden recht verschieden sind und deshalb unterschiedliche Be- dürfnisse haben, liegt ein ehrgeiziger Arbeitsplan vor: Ende 2009 soll eine Vorstudie fertig gestellt sein, welche als Basis für das weitere Vorgehen dient. Bis Ende 2010 soll dann eine Machbarkeitsstudie für die eruierte Option erarbeitet werden. Zu diesem Zweck hat sich eine interkommunale Arbeitsgruppe gebildet, in welche jede Gemeinde einen Vertreter des Ge- meinderats sowie der Verwaltung entsenden kann. An einem einleitenden Workshop haben sich thematische Untergruppen gebildet (zu IKZ, Identifikation, etc.). Der Prozess wird von einer externen Beratungsfirma begleitet.

Ausgelöst wurde dieses Projekt durch die Gemeinde Höfen, welche ihre Nachbargemeinden bzgl. Fusionsabklärungen angefragt hat. Durch die bestehenden Abhängigkeiten aufgrund verschiedener interkommunaler Verbände haben sich die Abklärungen auf zwölf Gemeinden ausgedehnt. Bei den kleineren Gemeinden haben Rekrutierungsprobleme einen gewissen Einfluss. Bisher ist dies ein stark auf die Behörden und Verwaltung fokussiertes Projekt. Es ist aufgrund der grossen Diversität der Gemeinden mit vielseitigen Problemen zu rechnen, wie Fragen der Identität, politische Vertretung, die Frage nach der Erhaltung von Schulen etc.

54 4. Die Sicht der Gemeinden: Auswertung ausgewählter Fusionsprojekte ECOPLAN

4.2.7 Bas-Vallon (Rondchâtel)

Die Gemeinde Rondchâtel, welche nach erfolgreicher Abstimmung in den Gemeinden Péry (1331 Einwohner), Orvin (1227), La Heutte (509), Vauffelin (427), Plagne (381), Romont (206), 2010 entstanden wäre, hätte die flächenmässig grösste Gemeinde des Berner Jura gebildet. Der Abstimmung am 1. Juni 2008 über das Fusionsprojekt der sechs Gemeinden waren viele Jahre der politischen Annäherung und Planung der Fusion vorausgegangen.

Die Fusion wurde schliesslich in den vier kleineren Gemeinden sehr deutlich angenommen. In Péry wurde die Fusion mit nur sieben Stimmen, in Orvin hingegen relativ deutlich abge- lehnt. Insgesamt gab es bei einer ausserordentlich hohen Stimmbeteiligung von fast 75% eine Mehrheit von 1188 Ja- zu 808 Neinstimmen. Die Fusion scheiterte aber, weil alle Ge- meinden hätten zustimmen müssen. Im Nachgang an die Abstimmung hat sich das Steue- rungskomitee aufgelöst. Eine Petition in Péry weist den Gemeinderat jedoch an, die Fusions- pläne weiterzuverfolgen. Nach den in mehreren Gemeinden anstehenden Erneuerungswah- len wird sich weisen, ob das Projekt, ohne Orvin, einen zweiten Anlauf nehmen wird.

Auslöser des Fusionsprozess waren die immer weiter fortgeschrittene interkommunale Zu- sammenarbeit zwischen den betroffenen Gemeinden sowie die Initiative von La Heutte, das sich eine Entwicklungsstrategie gegeben hat, die eine Fusion anstrebt. Weitere Faktoren waren die verbreiteten Rekrutierungsprobleme für die Behörden sowie vereinzelt auch auf- kommende finanzielle Probleme.

Die neue Gemeinde wäre sehr weitläufig gewesen (nach den Gemeinden des Oberlands flächenmässig grösste Gemeinde im Kanton). Die Verwaltung sollte in Péry und Orvin zentra- lisiert werden. Um Ängsten vor einem Angebotsabbau vorzubeugen, war ein ‚Administrati- onsbus’ vorgesehen, der in den übrigen Gemeinden Schalterfunktionen wahrnehmen sollte.

Die stärksten Befürworter der Fusion kamen aus den Reihen der Gemeinderäte und des Projektausschusses. Befürworter der Fusion betrieben eine Website, welche Materialien bzgl. der Fusion bereitstellte.61 Die stärkste Gegnerschaft kam aus den Reihen der Burger, welche sich aber meist bedeckt hielten. Es gab allerdings auch ein Nein-Komitee.

Lange strittig blieben die genaue Zusammensetzung der Exekutive und Legislative, die Re- organisation der Verwaltung, sowie der Name und das Wappen der künftigen Gemeinde. Das Steuerungskomitee konnte sich aber im Frühjahr 2008 darauf einigen, dass der Gemeinderat aus je einem Mitglied der bisherigen Gemeinden und einem Bürgermeister bestehen soll. Das Parlament sollte aus 31 Mitgliedern bestehen, welche jeweils in den alten Gemeinden gewählt werden. Damit war auch eine gewisse Angst über einen Demokratieverlust und Fremdbestimmung verbunden.

61 Website mit Materialien zur Fusion: www.bas-vallon.ch.

55 4. Die Sicht der Gemeinden: Auswertung ausgewählter Fusionsprojekte ECOPLAN

4.2.8 Clavaleyres/Münchenwiler

Die bernischen Exklaven Münchenwiler (406 Einwohner) und Clavaleyres (48) konstituieren mit ihrer Lage in freiburgischem Kantonsgebiet einen historischen Sonderfall, gehören erst seit 1807 definitiv zum Kanton Bern und grenzen nicht aneinander. Die Bevölkerung wurde an Informationsveranstaltungen informiert und konnte in einem Mitwirkungsverfahren Stel- lung beziehen. Diese Möglichkeiten wurden aber nur spärlich genutzt und brachten keine eindeutigen Ergebnisse. Ende Mai 2008 wurde über einen Kredit zur Ausarbeitung eines Fusionsvertrags abgestimmt. Während in Clavaleyres die elf anwesenden Stimmberechtigten einstimmig für den Kredit stimmten, wurde er in Münchenwiler mit 44 zu 26 Stimmen abge- lehnt.

Das Gemeindefusionsgesetz veranlasste den Gemeinderat von Clavaleyres über die Zukunft der Gemeinde zu beraten. Im Mai 2006 gelangte Clavaleyres an Münchenwiler mit dem An- liegen, Gespräche über eine mögliche Fusion aufzunehmen. Es wurde daraufhin ein Kredit für eine Machbarkeitsstudie genehmigt, an welcher sich der Kanton zu 50% beteiligte. Die Studie machte keine unüberwindbaren Hindernisse für eine Fusion aus.62 Beide Gemeinden stehen finanziell gesund da und führen bereits gemeinsam eine Primarschule. Clavaleyres besitzt jedoch keine eigene Abwasserreinigungsanlage (ARA) und muss nach geänderten kantonalen Vorschriften Anschluss an eine solche finden. Über Münchenwiler hätte man An- schluss an die ARA Murten gefunden. Clavaleyres hätte im Gegenzug viel Land in die Fusion eingebracht, welches von den ansässigen Bauern gepachtet wird.

Die Gemeinde wäre auch nach dem Zusammenschluss eher zu klein gewesen und hätte sich wohl später an eine Gemeinde aus dem nicht angrenzenden Amt Laupen anschliessen müs- sen. Diese Umstände haben denn wohl auch massgeblich zum Scheitern der Fusion beige- tragen. Ein ehemaliger Gemeindepräsident bemerkte an der Versammlung, dass die Ge- meinde auch nach der Fusion zu klein sei und bald wieder fusionieren müsse und eine Fusi- on mit dem ausserkantonalen Murten anzustreben sei (zur Thematik von Fusionen über die Kantonsgrenzen hinweg vgl. Empfehlung in Kap. 8). Ausserdem sei noch nicht klar, dass der Kanton einen Fusionsbeitrag sprechen würde, da die Gemeinde auch nach einem Zusam- menschluss nicht die vom Kanton gesetzte Mindestgrösse von 1'000 Einwohnern, bzw. im Ausnahmefall 500, erlangen würde, welche zur Ausrichtung eines Fusionsbeitrags von 400.- pro Einwohner berechtigen. Eine mögliche Ausnahmeregelung wurde jedoch in Aussicht gestellt.

62 Studie zitieren und ins Literaturverzeichnis aufnehmen.

56 4. Die Sicht der Gemeinden: Auswertung ausgewählter Fusionsprojekte ECOPLAN

4.3 Beurteilung der Fördermassnahmen (Vollzug, Output, Outcome)

4.3.1 Rolle des Kantons allgemein

Die Einschätzungen der an Fusionsprozessen beteiligten Gemeindevertreter zur Rolle des Kantons63 in ihrem jeweiligen Prozess zeigen, dass • Gemeinden, die vom AGR eng begleitet wurden bzw. werden, mit dieser Unterstützung im Allgemeinen zufrieden oder sehr zufrieden sind • Gemeinden, in deren Prozess das AGR (bisher noch) wenig involviert war bzw. ist, diese Betreuung eigentlich erwarten würden und das Fehlen einer Unterstützung bemängeln • knapp ein Drittel (5 von 18) der befragten Gemeindevertreter kritisieren, dass sich der Kanton politisch nicht klar positioniere und teils widersprüchliche Signale aussende.

4.3.2 Beurteilung des kantonalen Angebots: Inhalt, Qualität, Vollzug

Das Angebot an Fördermassnahmen mit Informationsmaterial, Beratung und den finanziel- len Anreizen wird insgesamt als gut bis sehr gut beurteilt. Insbesondere die finanziellen Anreize sind auch gut bekannt. Die Beurteilung der einzelnen Fördermassnahmen fällt fol- gendermassen aus: • Das vorhandene Informationsmaterial – insbesondere der Ratgeber für Gemeindefusio- nen – wird in einem Grossteil der neueren Fusionsprozesse genutzt. Einige der befragten Gemeinden konnten noch nicht davon profitieren, weil sie ihren Fusionsprozess begonnen haben, noch bevor das Angebot bereit stand. Zusätzlich erwünscht wäre eine Übersicht über zwingende übergeordnete Bestimmungen von Bund und Kanton, die nicht mehr im Einzelfall abgeklärt werden müssen (Bsp. Ortsbezeichnungen). Aus mehreren Interviews geht hervor, dass juristische Kenntnisse im Fusionsprozess relevant sind. Wenn der Kan- ton hierzu eine Liste mit den häufigsten Fragestellungen („FAQ-Liste“) erstellen könnte, wäre dies ein willkommenes Angebot. Auch im Bereich Kommunikation wäre eine weitere Unterstützung erwünscht (Checkliste/„Best practices“). • Bei der Beratung kommt klar zum Ausdruck, dass eine AGR-Vertretung in der Projektor- ganisation erwünscht und geschätzt wird. Insbesondere in juristischen (Verfahrens-) Fra- gen kann eine Kantonsvertretung wertvolle und wichtige Hilfestellungen bieten. Vereinzelt wurde auch die Erfahrung gemacht, dass dank der AGR-Vertretung Unterstützungsleis- tungen von anderen Stellen der kantonalen Verwaltung (auch andere Abteilungen inner- halb des AGRs) erbracht wurden, die vorerst zurückgehalten wurden. Jene Gemeinden, die keine AGR-Vertretung in ihrer Projektorganisation haben, bekommen zwar auf Anfra- ge ebenfalls Antworten auf ihre Fragen. Es ist für sie aber nicht nachvollziehbar, wieso der Kanton sich nicht überall gleich engagiert. Hier wird mehr Transparenz gefordert.

63 Neben dem AGR spielen auch die Regierungsstatthalter/-innen in einzelnen Fällen eine bedeutende Rolle in Fusionsprozessen (bspw. im Fall von Wald). Die Beurteilung ihrer Beratungstätigkeit wurde jedoch nicht separat befragt.

57 4. Die Sicht der Gemeinden: Auswertung ausgewählter Fusionsprojekte ECOPLAN

• Was die Abwicklung der finanziellen Beiträge (sowohl Zuschüsse in der Vorberei- tungsphase wie auch die Finanzhilfe beim Zustandekommen) vom Gesuch bis zur Aus- zahlung betrifft, sind die Rückmeldungen durchwegs positiv. Die Gemeinden sind positiv überrascht vom unkomplizierten und einfachen Prozess.

Die Beurteilung der Kompensationszahlungen für FILAG-Einbussen fällt generell weit weniger positiv aus. Die Kompensation scheint jene Gemeinden, die mit Einbussen zu rech- nen haben, nicht zufriedenzustellen – auch nicht im Falle einer Verlängerung der Übergangs- frist. Wesentliche Einbussen aus dem FILAG – wenn auch erst in der langen Frist – würden ein „Killerkriterium“ darstellen. Es wird auch kritisiert, dass der Kanton widersprüchliche Sig- nale aussende, wenn er kleinere finanzschwache Gemeinden, die sich nicht um Fusionen bemühen, im FILAG weiterhin unterstützt, währenddem Fusionsgemeinden längerfristig Ein- bussen erleiden.

4.3.3 Erfolgswirksamkeit des kantonalen Angebots

Die Einschätzungen zur Wirksamkeit der finanziellen Fördermassnahmen sind relativ homo- gen und unterscheiden sich nicht nach dem Stand der Fusion (Erfolg/Abbruch/laufendes Projekt). • Bei den erfolgreichen Fusionsgemeinden kann nur Herzogenbuchsee eine Einschätzung abgeben, weil die anderen beiden befragten erfolgreichen Fusionsgemeinden in ihrem Prozess bereits weit fortgeschritten waren, als das GFG in Kraft trat. Bei diesen Fusions- gemeinden waren die kantonalen Finanzbeiträge selbstverständlich willkommen, haben jedoch den Prozess weder ausgelöst, noch waren sie erfolgsentscheidend. Bei der Fusion von Herzogenbuchsee und Oberönz hingegen waren die kantonalen Fördergelder insbe- sondere für Herzogenbuchsee relevant. Da der Prozess von der kleineren Gemeinde O- berönz initiiert wurde, war es wichtig, dass man der Bevölkerung in Herzogenbuchsee aufzeigen konnte, dass den beträchtlichen Kosten des Fusionsprozesses auch Einnah- men gegenüberstehen. Insofern war das GFG für Herzogenbuchsee ein Auslöser, um auf Verhandlungen einzutreten. • Die befragten Vertreter aus laufenden und gescheiterten Fusionsprojekten erachten die kantonalen Finanzbeiträge mehrheitlich als Katalysator, aber nicht als Motor ihrer Fusi- onsbestrebungen. Dank den Zuschüssen in der Vorbereitungsphase ist es einfacher, den Kredit für die Vorabklärungen bei der Bevölkerung durchzubringen. Da die Motivation zur Fusion aber andere Gründe als die Finanzbeiträge hat, sind diese nicht der eigentliche Antrieb. Es wird mit wenigen Ausnahmen durchgehend angenommen, dass der Prozess auch ohne die finanziellen Anreize zustande gekommen wäre. • Für den letztendlichen Erfolg einer Fusion sei nicht die Höhe der kantonalen Beiträge entscheidend, so lautet der fast einstimmige Tenor der Befragten. Auch bei den abgebro- chenen Fusionen wird nicht davon ausgegangen, dass eine höhere Finanzhilfe den Ent- scheid hätte anders ausfallen lassen. Im Fall von Münchenwiler und Clavaleyres habe sich die Unsicherheit bezüglich der Finanzhilfe (diese Fusion hätte mit weniger als 1'000 Einwohnern nur aufgrund einer Ausnahmeregelung des Grossen Rates von Finanzhilfe

58 4. Die Sicht der Gemeinden: Auswertung ausgewählter Fusionsprojekte ECOPLAN

profitiert, diese Entscheidung war zum Zeitpunkt der Abstimmung noch ausstehend) zwar negativ ausgewirkt, auch dort wird jedoch nicht angenommen, dass dieser Punkt alleine ausschlaggebend gewesen ist. Von den laufenden Fusionsprojekten könnte sich einzig Langenthal vorstellen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs mit mehr kantonalen Fi- nanzmitteln steigen würde, weil die finanziellen Altlasten von Untersteckholz im Abstim- mungskampf ein wichtiger Diskussionspunkt sein könnten. Die befragten Vertreter des Projekts Thun-West weisen darauf hin, dass keine Schlechterstellung im FILAG viel we- sentlicher sei als eine Erhöhung der einmaligen Finanzhilfe. • Werden die unterschiedlichen Fusionstypen betrachtet, kann festgestellt werden, dass im Falle von eigentlichen Eingemeindungen (wie in Langenthal und Herzogenbuchsee) für die grössere Gemeinde die finanziellen Argumente umso wichtiger sind, desto weniger sie auf spezifische Mehrwerte der kleinen Gemeinde angewiesen ist (bspw. in Form von Bau- landreserven).

4.3.4 Andere Erfolgsfaktoren bzw. Stolpersteine

Die Interviewten haben die Bedeutung verschiedener Erfolgsfaktoren beurteilt (vgl. Grafik 4-1). Dabei zeigt sich, dass eine transparente Kommunikation, starke Führungspersönlichkei- ten und der Einbezug der Bevölkerung als besonders wichtig betrachtet werden, während eine ähnliche (sozio-ökonomische) Bevölkerungsstruktur oder parteipolitische Ähnlichkeit eher unbedeutend sind.

Grafik 4-1: Bewertung von Erfolgsfaktoren, Mittelwerte

Transparente Kommunikation N=14

Starke Führungspersönlichkeiten N=15

Einbezug der Bevölkerung N=15

Einbezug der Verw altung N=14

Externe Beratung N=14

Gemeins ames V er eins leben N=13

Ähnliche Bevölkerungsstruktur N=15

Parteipolitische Ähnlichkeit N=11

012345 völlig unbedeutend zentral Bewertungsskala

Legende: N = Anzahl der abgegebenen Antworten

59 4. Die Sicht der Gemeinden: Auswertung ausgewählter Fusionsprojekte ECOPLAN

Bei den möglichen Stolpersteinen und Herausforderungen, die den Fusionsentscheid bzw. auch bereits den Prozess beeinflussen können, variieren die Beurteilungen stärker als bei den Erfolgsfaktoren (vgl. Grafik 4-2, aufgrund der grösseren Unterschiede in der Bewertung wird die Standardabweichung ausgewiesen). Die folgenden Aspekte waren bzw. sind in meh- reren der befragten Fusionsprojekte von zentraler Bedeutung: • unterschiedliche Finanzsituation (Steuerbelastung, Verschuldung, etc.) • neue Standorte gemeinsamer Infrastrukturen (wie Gemeindeverwaltung, Schule) • ein möglicher Identitätsverlust bzw. fehlendes Zusammengehörigkeitsgefühl • unterschiedliche Mentalitäten • Organisation der Schule • längerfristige Einbussen im FILAG.

Während das neue Gemeindewappen, der neue Gemeindenamen und die Burgergemeinde vereinzelt Herausforderungen darstellen, sind der neue Heimatort und die Organisation der Kirchgemeinden wenig bedeutsam.

Grafik 4-2: Bewertung von Stolpersteinen, Mittelwerte und Standardabweichung

Unterschiedliche Finanzsituation N=14 Neue Standorte gemeinsamer Infrastrukturen N=14 Identitätsverlust N=15 Unterschiedliche Mentalität N=15 Schule N=14 FILAG-Einbussen N=14 Feuerwehr N=15 Neues Gemeindewappen N=15 Neuer Gemeindename N=15 Burgergemeinden N=12 Neuer Heimatort N=14 Kirchgemeinden N=15

012345 völlig zentral unbedeutend

Bewertungsskala

4.4 Beurteilung der Auswirkungen von Fusionen (Impact)

Bei der Auswertung der Einschätzungen zu den Auswirkungen muss natürlich unterschieden werden zwischen den erwarteten Auswirkungen laufender und abgebrochener Fusionspro- jekte und den effektiv eingetroffenen Auswirkungen in den erfolgreichen Fusionsgemeinden.

60 4. Die Sicht der Gemeinden: Auswertung ausgewählter Fusionsprojekte ECOPLAN

4.4.1 Laufende Fusionsprojekte

Bei den laufenden Fusionen stehen zwei Argumente im Vordergrund, wenn es um die erwar- teten positiven Auswirkungen von Fusionen geht: • höherer Servicelevel der Gemeindeverwaltung (Professionalisierung, längere Öffnungs- zeiten) • gestärkte Stellung in der Region bzw. im Kanton

Bei den Anschlussfusionen von Langenthal und Lyss gilt das erste Argument nur für die klei- neren Gemeinden, da sich für die grosse Gemeinde beim Angebot nichts ändert. Die grösse- re Gemeinde sieht ihren Vorteil ganz klar darin, sich als regionales Zentrum zu profilieren. Im Grossprojekt Thun-West bestehen Erwartungen bezüglich beider Dimensionen. Infolge der Grösse wird in Thun-West auch behördenseitig eine Professionalisierung erwartet (Beispiel: vollamtlicher Gemeindepräsident).

Bei den einzelnen Aufgaben zeigt sich, dass bereits in vielen Bereichen Formen der IKZ be- stehen. Dies bedeutet, dass sich häufig entweder kaum etwas ändert oder grössere Schwie- rigkeiten auftauchen, wenn die Fusionspartner in unterschiedliche Formen der IKZ eingebun- den sind (z. B. im Bereich von Ver- und Entsorgung). Was die Schule betrifft, so wird die Fusion klar als Risiko und nicht als Chance wahrgenommen, weil befürchtet wird, dass die Schulstrukturen zentralisiert und Standorte geschlossen werden. Ein Vorteil kann für die klei- neren Gemeinden die Erlangung der Baubewilligungskompetenz sein.

Interessant ist, dass kaum bzw. nur mit minimalen Einsparungen gerechnet wird. In allen laufenden Fusionsprojekten würde aber der Steuersatz der Fusionsgemeinde auf das Niveau der Gemeinde mit dem tiefsten Steuersatz gesenkt.

Als negative Auswirkungen werden neben dem eventuellen Verlust der Schule auch der Ver- lust an Bürgernähe sowie die Zusatzaufwendungen für gemeinsame Infrastrukturen genannt.

4.4.2 Abgebrochene Fusionen

Bei den abgebrochenen Fusionen werden zusätzlich zu den bereits oben erwähnten Nutzen noch erwähnt: • Lösung für Rekrutierungsprobleme seitens der Behörden • Verbesserung der Finanz- und Entwicklungsperspektiven

Bei Bas Vallon hätte die Grösse Möglichkeiten für strategische Visionen geboten und es wäre allenfalls eine regionale Wirtschaftsförderung eingerichtet worden. Welche Änderungen in den Aufgabenbereichen Feuerwehr, Bauen, Gemeindewerke und Schule vorgenommen wor- den wären, war noch nicht ausdiskutiert. Im Fall von Münchenwiler/Clavaleyres hätte der Zusammenschluss für Clavaleyres den dringend notwendigen ARA-Anschluss gebracht, den sie jetzt bei Murten einkaufen müssen.

Die Einschätzungen zu den Einsparungen sind ebenfalls sehr zurückhaltend, wobei auch hier die Steuern auf den tiefsten Satz gesenkt worden wären.

61 4. Die Sicht der Gemeinden: Auswertung ausgewählter Fusionsprojekte ECOPLAN

Als negative Konsequenzen werden auch hier der Verlust an Bürgernähe und ein teilweiser Autonomieverlust erwähnt.

4.4.3 Erfolgreiche Fusionen

Die erfolgreichen Fusionen wurden detailliert zu den Auswirkungen befragt. Die Ziele gemäss GFG wurden dazu anhand verschiedener Fragen konkretisiert. Untenstehend findet sich eine zusammenfassende Auswertung. Insgesamt hat sich gezeigt, dass die Kleinfusion Wald deutlich weniger Nutzen geschaffen hat als die anderen beiden (wobei hier erwähnt sei, dass dieser Nutzen auch deshalb geringer ausfiel, weil die Gemeindeverwaltung bereits vor der Fusion gemeinsam geführt wurde). Negative Auswirkungen werden in allen drei Beispielen kaum festgestellt. Einzig die grössere Anonymität und die geringere soziale Kontrolle werden genannt. Auch aus der Bevölkerung werde kaum Negatives vernommen, die Akzeptanz der Fusion wird als gross eingeschätzt.

a) Steigerung der Leistungsfähigkeit der Gemeinden • Als wichtigste positive Auswirkung der Fusionen wird in allen drei Beispielen genannt, dass eine Vereinfachung und Straffung der Abläufe und Führungsstrukturen erreicht und Doppelspurigkeiten abgebaut werden konnten. Es ist sozusagen ein logischerer Perimeter entstanden, in dem auch grössere Projekte besser angegangen werden kön- nen. • Bei den Schalteröffnungszeiten hat keine der Fusionen zu einer Verlängerung geführt. • Wichtrach hat nach der Fusion neu eine Website erstellt und weitere Massnahmen im Bereich der Informationspolitik realisiert (Bsp. „Drachepost“). Oberönz kann von der aus- gebauteren Website von Herzogenbuchsee profitieren. Wald hat unabhängig von der Fu- sion erst dieses Jahr eine Website aufgeschaltet. • Aus der Sicht von Oberönz konnten Personalunionen aufgehoben und neu Stellvertreter- regelungen eingeführt werden, während für Herzogenbuchsee alles beim Alten blieb. Auch Wichtrach profitiert neu von Stellvertreterregelungen. • Sowohl in Herzogenbuchsee wie auch in Wichtrach ist eine teilweise Spezialisierung der Mitarbeitenden erfolgt und die Attraktivität als Arbeitgeber hat zugenommen, weil bspw. das Kader sich stärker mit strategischen Fragen und weniger mit allgemeinen Bü- roarbeiten herumschlagen muss. Beide Gemeinden haben anlässlich der Fusion Stellen- bewertungen durchgeführt. • In Wichtrach hat sich durch die Fusion auch die Behördenarbeit professionalisiert. Die Gemeinderäte führen Kommissionen, deren Sekretariate durch die Verwaltung geführt werden. Für die Gemeinderäte sei es interessanter geworden und die Behörde könne ei- ne stärkere Führungsrolle einnehmen. Für Oberönz haben sich mit der Fusion die Rekru- tierungsprobleme gelöst, es bleibt jedoch abzuwarten, ob nach den nächsten Gesamter- neuerungswahlen noch Oberönzer im Gemeinderat sein werden. • Bei Herzogenbuchsee und Wichtrach wird eine teilweise Verbesserung der Standort- attraktivität festgestellt: Für Firmen mit Gebäuden in beiden Ursprungsgemeinden gibt es

62 4. Die Sicht der Gemeinden: Auswertung ausgewählter Fusionsprojekte ECOPLAN

Vereinfachungen aufgrund des einheitlichen Baureglements. Wichtrach hat sich im Rating des Handels- und Industrievereins verbessert. • Die gemeinsame Nutzungsplanung schafft Vorteile: Herzogenbuchsee kann wieder Wohnbauland anbieten. In Wichtrach konnten die „Zonen für öffentliche Nutzung“ (ZöN) zusammengelegt und reduziert werden. Durch Umzonung der nicht mehr benötigten ZöN zu Wohnzone werden Mittel frei, mit denen neue Projekte wie bspw. der Hochwasser- schutz finanziert werden können. • Im Fall von Wichtrach hat die Fusion einen Motivationsschub zur Weiterentwicklung der Gemeinde ausgelöst. Die Fusion bot sozusagen ein „historisches Fenster“ („window of opportunity“) für Veränderung. b) Stärkung der Gemeindeautonomie • Sowohl Wichtrach wie auch Herzogenbuchsee sehen ihre Stellung innerhalb der Regi- on gestärkt. Herzogenbuchsee konnte durch die Fusion Zentrumslasten teilweise interna- lisieren. Wichtrach gibt an, dass seine Bedeutung innerhalb von Gemeindeverbänden zu- genommen habe (Bsp. Sekundarschulverband) und dass es für Münsingen zu einem wichtigeren Partner geworden sei. Schliesslich würde auch der Kanton sie anders wahr- nehmen. Wald als Kleinfusion konnte diesbezüglich keine Vorteile realisieren. • In Wichtrach konnten bei den Aufgaben einige zusätzliche Kompetenzen erreicht wer- den, bspw. im Sekundarschulverband und beim Gemeindeverband für das Bestattungs- wesen. c) Wirksame und kostengünstige Leistungserstellung • Es wurden nur beschränkt Stellen in der Verwaltung abgebaut. In Oberönz musste der Gemeindeschreiber, der in Pension ging, nicht ersetzt werden und in Wald wurden an- lässlich eines Stellenwechsels die Stellenprozente um 20 Prozente reduziert. In Wichtrach sind die Personalkosten nach der Fusion angestiegen, weil für grössere Gemeinden in Anlehnung an die kantonalen Empfehlungen andere Gehaltsstrukturen gelten. • Behördenseitig konnten dank der Fusion in Wald wie auch für Oberönz die Rekrutie- rungsprobleme entschärft bzw. gelöst werden, indem an beiden Orten die Anzahl der E- xekutivämter um 5 reduziert wird. Während in Wald vor der Fusion 12 Ämter zu besetzen waren, sind es nach der Fusion nur noch 7. Die Schulkommission (ehemals Schulge- meinde) wurde zudem von 7 auf 5 Mitglieder verkleinert. Vor der Fusion von Oberönz mit Herzogenbuchsee bestand je ein eigener Gemeinderat aus 5 bzw. 7 Mitgliedern. Nach der Fusion bis zu den nächsten Gesamterneuerungswahlen wurde der Buchser Gemein- derat vorübergehend um 2 Rät/innen aus Oberönz auf 9 Mitglieder aufgestockt, nach den Wahlen werden es insgesamt wiederum 7 Exekutivmitglieder sein. • Bei der Infrastruktur wurde in Wald und Wichtrach nichts eingespart (Wichtrach hat nach wie vor drei Verwaltungsstandorte). In Oberönz konnte hingegen das Verwaltungsgebäu- de als Kindergarten umgenutzt werden, und dank der Fusion kann auf anstehende Infra- strukturmassnahmen verzichtet werden.

63 4. Die Sicht der Gemeinden: Auswertung ausgewählter Fusionsprojekte ECOPLAN

• Sowohl in Herzogenbuchsee wie in Wichtrach konnten die Gemeindesteuern infolge der Fusion um einen Zehntel gesenkt werden. In Wichtrach erfolgte per 1.1.2008 eine weitere Reduktion um einen halben Zehntel. Trotz der Steuersenkung konnten in Wichtrach im Zeitraum 2004-2007 jährlich rund 425'000 CHF zusätzliche Abschreibungen getätigt wer- den. Ebenfalls konnten die Gebühren für Wasser und Abwasser, Feuerwehr und Kehricht gesenkt werden. • Aufgrund der Fusionskosten und der häufig abgegebenen vorübergehenden Besitzstand- garantien werden Einsparungen eher in der langen Frist erwartet. In Wichtrach und Wald ist die Fusionsgemeinde heute in der Lage, verschiedene Probleme anzupacken, die von den altrechtlichen Gemeinden aus Kostengründen zurückgestellt worden sind.

4.4.4 Fazit zu den Auswirkungen

Grundsätzlich muss der Nutzen von Fusionen im Einzelfall beurteilt werden. In den meisten Fällen kann, wie die Auswertungen zeigen, die Leistungsfähigkeit der Gemeinden und ihre Autonomie gestärkt werden, die Effekte liessen sich aber zumindest teilweise auch ohne Fusion erreichen. Eine kostengünstigere Leistungserstellung bzw. Einsparungen lassen sich realisieren, wie das Beispiel von Wichtrach zeigt. Sie entstehen jedoch nicht automatisch, sondern erfordern entsprechende politische Entscheide und können manchmal erst in der langen Frist umgesetzt werden.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die erwarteten sowie die tatsächlichen Aus- wirkungen den Wirkungszielen des GFG entsprechen. Ein wesentlicher Vorteil von Fusionen, der künftig an Bedeutung gewinnen könnte, sind neue Entwicklungsperspektiven, z.B. durch eine gemeinsame Raumentwicklungsstrategie. Solche bieten sich aber erst ab einer gewis- sen Grösse.

Oft wird auch vergessen, dass sich die Ertragslage resp. die Steuerkraft von Gemeinden kurzfristig nicht verbessert, wenn sie fusionieren – Fusionen können weder an der Ertrags- noch an der Strukturschwäche Grundlegendes ändern.

64 5. Die Sicht der kantonalen Verwaltung und von Verbänden: Interviewergebnisse ECOPLAN

5 Die Sicht der kantonalen Verwaltung und von Verbänden: Interviewergebnisse

Neben den Schlüsselpersonen ausgewählter Fusionsprojekte wurden in einem zweiten empi- rischen Teil Vertreter/innen der kantonalen Verwaltung sowie von Gemeinde- und Fachver- bänden befragt.

5.1 Überblick über die Interviews

Tabelle 5-1 zeigt, mit welchen Personen Interviews geführt wurden. Nicht alle Personen wur- den zu sämtlichen Evaluationsgegenständen befragt.64

Tabelle 5-1: Übersicht über die geführten Interviews

Organisation Personen Persönliche Interviews Amt für Gemeinden und Raum- Ernst Zürcher, Vorsteher Abteilung Gemeinden ordnung des Kantons Bern (AGR) Katalin Hunyady, Stab, jur. Beraterin bei verschiedenen Fusi- onsprojekten Matthias Fischer, GEREF-Koordinator Finanzverwaltung des Kantons Beat Baumgartner, Vorsteher Abteilung Finanzausgleich Bern (FV) Beat Dänzer, Stv. Vorsteher Abteilung Finanzausgleich Erziehungsdirektion des Kantons Heinz Röthlisberger, Generalsekretariat ERZ Bern (ERZ) Peter Hänni, Amt für Kindergarten, Volksschule und Beratung; Projektleiter „Neue Schulaufsicht und Beratung“ Verband Bernischer Gemeinden Dr. Daniel Arn, Geschäftsführer (Aussagen ad personam) VBG Telefonische Interviews Vereinigung Bernischer Bauver- Markus Rindlisbacher, Präsident walter / Bauinspektoren VBB Verband Bernischer Finanzverwal- Daniel Bichsel, Präsident ter VBF Verein Bernische Gemeinde- Monika Gerber, Präsidentin schreiberinnen und Gemeinde- schreiber BEGG

64 Die Interview-Leitfäden können auf Anfrage beim Amt für Gemeinden und Raum bezogen werden.

65 5. Die Sicht der kantonalen Verwaltung und von Verbänden: Interviewergebnisse ECOPLAN

5.2 Beurteilung der Konzeption

Im Grundsatz wird die Konzeption als gut befunden. Ob sie ausreicht, um die Anzahl der Gemeinden auf 300 zu reduzieren, wird jedoch eher bezweifelt: • Die Anreize scheinen insofern zu wirken, dass viele Abklärungsprozesse in Gang ge- kommen sind. Ein erfolgreicher Abschluss von Fusionen ist damit jedoch noch nicht ga- rantiert. • Bei der Freiwilligkeit gehen die Einschätzungen auseinander. Eine klare Mehrheit der befragten Akteure hält einen punktuellen Zwang unter bestimmten Bedingungen aber für prüfenswert (mehr dazu im Kapitel 8).

• Die Fokussierung auf kleine und kleinste Gemeinden hingegen wird vom AGR wie auch von Herr Arn in Frage gestellt. Fusionen von kleinen und kleinsten Gemeinden er- fordern sehr viele Ressourcen, haben aber tendenziell nur eine geringe Wirkung, da sie wenig Spielraum für (organisatorische) Optimierungen und kaum zusätzliche Entwick- lungsperspektiven bieten. Da aber insbesondere solche qualitativen Nutzen von Fusionen als bedeutsam eingestuft werden, lohnen sich diese Kleinfusionen aus Sicht des Kantons kaum.

Allgemein wird angenommen, dass Fusionen einen Beitrag in Richtung der im GFG enthalte- nen Wirkungsziele leisten:65 • Es wird eine Steigerung der Leistungsfähigkeit der Gemeinden erwartet, weil fusionierte Gemeinden dank ihrer Grösse tendenziell professioneller seien und deshalb ein qualitativ besseres Dienstleistungsangebot bieten können (vgl. dazu auch Abschnitt 5.4). Gleichzei- tig wird darauf hingewiesen, dass die Leistungsfähigkeit stark von der personellen Kons- tellation in der Gemeindeverwaltung abhänge und deshalb nicht ausschliesslich an die Gemeindegrösse gekoppelt sei. • Die erwartete Stärkung der Gemeindeautonomie beruht auf der Tatsache, dass viele klei- ne Gemeinden heute einen Grossteil ihrer Aufgaben (zusammen mit den Lastenverteilern teils bis 90% des Budgets) im Rahmen interkommunaler Zusammenarbeitsformen wahr- nehmen. Es wird angenommen, dass mit einer Fusion die strategische Entscheidkompe- tenz der lokalen politischen Behörde gestärkt und das Verflechtungs-Wirrwarr gelöst wer- den könnte. • Das dritte Ziel wird am kritischsten beurteilt: während durchaus erwartet wird, dass Fusio- nen eine wirksame Leistungserstellung sicherstellen, ist aus Sicht der Befragten weniger eindeutig, dass Fusionen einen Beitrag zur kostengünstig(eren) Leistungserstellung leis- ten (vgl. Abschnitt 5.4).

65 Art. 1 GFG enthält folgende Wirkungsziele: a Steigerung der Leistungsfähigkeit der Gemeinden b Stärkung der Gemeindeautonomie c wirksame und kostengünstige Leistungserstellung der Gemeinden.

66 5. Die Sicht der kantonalen Verwaltung und von Verbänden: Interviewergebnisse ECOPLAN

Die Wirkungsziele stimmen nach Ansicht der Befragten gut mit den effektiven Anliegen des Kantons überein und müssen nicht angepasst werden.66

5.3 Beurteilung der Fördermassnahmen (Vollzug, Output, Outcome)

5.3.1 Beurteilung des kantonalen Angebots: Inhalt, Qualität, Vollzug

Der Grossteil der Befragten (Fremdbeurteilung ohne AGR) ist mit der Rolle, wie sie der Kan- ton heute bei Fusionsprozessen wahrnimmt, zufrieden. Die Fördermassnahmen des Kantons mit Information, Beratung, Zuschüssen in der Vorbereitungsphase, Finanzhilfe beim Zustan- dekommen von Fusionen und Kompensation für FILAG-Einbussen werden durchwegs gelobt und die Qualität wird als gut bis sehr gut eingestuft. Die zum Ausdruck gekommene Zufrie- denheit mit dem heutigen Angebot des Kantons geht einher mit einer eher zurückhaltenden Einstellung gegenüber einem finanziellen Angebotsausbau. Grundsätzlich sind die meisten der befragten Personen der Meinung, dass ein Mehraufwand beim Kanton nicht einen ent- sprechenden Zusatznutzen schaffen würde. Einzig bei den Beratungsdienstleistungen wird eingeräumt, dass dem AGR die notwendigen Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden sollten, um in der Startphase eine Moderatorenrolle einzunehmen. Dies würde auch das AGR begrüssen. In zwei Interviews wird erwähnt, dass der Kanton statt zusätzlicher Fördermass- nahmen Fusionen effektiver fördern könnte, indem er seine Steuerung anpassen und konse- quent Mindeststandards verlangen und durchsetzen würde. Statt den Gemeinden wie in der heutigen Praxis bei Nicht-Erreichen kostenlos unter die Arme zu greifen, sollte er den Ge- meinden die Supportleistungen in Rechnung stellen und ihnen bei nochmaliger Nichterfüllung die Aufgabe entziehen.

Was den Vollzug der Fördermassnahmen betrifft, gibt es nach Aussage der befragten Per- sonen keine negativen Rückmeldungen von Gemeinden. Die Gesuchsstellung sowie die Verfahren verlaufen gemäss ihrer Beurteilung gut.

Auch die Zusammenarbeit zwischen dem AGR und der Finanzverwaltung wird von den beiden Ämtern und von Aussenstehenden als eingespielt und problemlos beurteilt. Das AGR hat bei den projektbezogenen Zuschüssen zur Vorbereitung von Fusionen die Federführung. Es arbeitet deshalb den RRB aus, die Finanzverwaltung erhält das Geschäft zum Mitbericht und löst bei positivem Entscheid die Auszahlung aus. Bei den Finanzhilfebeiträgen ist das AGR durchwegs selbstständig zuständig, die Auszahlung erfolgt über den entsprechenden

66 Grundsätzlich könnte das Ziel "Stärkung der Gemeindeautonomie" hinterfragt werden, geht es doch darum, dass die Gemeinden nach dem Subsidiaritätsprinzip dort autonom sind, wo sie (und nicht eine höhere Ebene) sinn- vollerweise tätig sind, und nicht generell "autonom" sein sollen. Falls diese Zielformulierung neu diskutiert werden soll, könnten anstelle von "Gemeindeautonomie" allenfalls die Ziele in Betracht gezogen werden, die die Triparti- te Agglomerationskonferenz (TAK) ins Spiel gebracht hat: Als inputorientierte Kriterien werden genannt: Transpa- renz (einfache Verfahren, klare Zuständigkeiten), demokratische Mitbestimmung und Kontrolle und Subsidiarität; als outputorientierte Kriterien: rasche Verfahren, verbindliche Entscheide und koordinierte Entscheide, vgl. TAK (2006), Verstärkung der Zusammenarbeit in kantonsübergreifenden Agglomerationen.

67 5. Die Sicht der kantonalen Verwaltung und von Verbänden: Interviewergebnisse ECOPLAN

Rahmenkredit. Bei der Kompensation der FILAG-Einbussen wiederum liegt die Federführung bei der Finanzverwaltung, die Gemeinden reichen jedoch das Gesuch beim AGR ein.

Während der Vollzug der Fördermassnahmen durchwegs positiv beurteilt wird, wird der Voll- zug der Fusionsgenehmigung beim Kanton kritisiert: nach Einreichung eines abgeschlos- senen Fusionsvertrages sowie des neuen Organisationsreglements der Fusionsgemeinde dauert es beim Kanton in der Regel ein halbes Jahr bis die Genehmigung abgewickelt ist (vgl. dazu Anhang 3) .

5.3.2 Erfolgswirksamkeit des kantonalen Angebots

Die Bedeutung bzw. die Wirkung der kantonalen Fördermassnahmen wird grossmehrheitlich als wichtig bzw. gross beurteilt, wenn auch gleichzeitig betont wird, dass sie letztlich nicht für den Fusionsentscheid massgebend sind: • Die neutrale Beratung durch den Kanton sei insbesondere in der Initialphase wichtig, da zu diesem Zeitpunkt auch noch keine externen Berater vorhanden seien. Bei der Bera- tung stösst das AGR aber sowohl gemäss eigener wie auch gemäss fremder Einschät- zung an Kapazitätsgrenzen. • Die Zuschüsse in der Vorbereitungsphase werden als sehr wichtig erachtet, damit der Prozess überhaupt angegangen werde. Da eine Fusionsabklärung für die Gemeinden mit einem beträchtlichen Aufwand verbunden sei, könne der finanzielle Zuschuss die Bereit- schaft entscheidend fördern. Kritisiert wird einzig, dass diese Beiträge bei erfolgreichen Fusionen bei der Finanzhilfe in Abzug gebracht werden, während es sich bei gescheiter- ten Fusionen um A-Fonds-perdu-Beiträge handelt. • Die in Aussicht gestellte Finanzhilfe beim Zustandekommen sei sicherlich ein Trumpf im Prozess. Auch wenn die Zahl Eindruck mache, wird von verschiedenen Seiten betont, dass das Geld letztlich doch nicht allein entscheidend sei. • Die Bedeutung der Kompensation für FILAG-Einbussen hänge stark davon ab, wie gravierend eine Einbusse sei. Wenn diese nicht allzu gross sei, könne die Kompensation helfen. Bei gravierenden Einbussen löse aber auch eine allfällige Verlängerung der Kom- pensationszahlungen das Problem nicht, da nach der Übergangszeit die gesamte Einbus- se dennoch anfällt.

Die kantonalen Fördermassnahmen werden insgesamt als wesentlichen Beitrag für den Anstoss von Fusionen erachtet und es wird eingeräumt, dass sie einige Stolpersteine (wie Initialkosten und FILAG-Einbussen) beseitigen helfen. Sie sind aber letztlich nicht erfolgsent- scheidend.

5.3.3 Andere Erfolgsfaktoren

Als zentrale Faktoren für einen erfolgreichen Fusionsprozess gelten vielmehr • eine starke politische Führung, • frühzeitiger Einbezug und transparente Kommunikation gegenüber der Bevölkerung

68 5. Die Sicht der kantonalen Verwaltung und von Verbänden: Interviewergebnisse ECOPLAN

• vergleichbare Finanzkraft • Einbezug der Verwaltung • Emotionale Faktoren wie ähnliche Mentalität, gemeinsame Vorgeschichte etc.

Eine Rolle spielen könnten auch Reformen und Strukturen aus anderen Politikbereichen wie z. B. der Bildung: Von der kantonalen Bildungsreform, welche konzentriertere Schulstruktu- ren erfordert und dafür die lokale Handlungsebene stärkt, könne nach Aussage der ERZ je- doch nur eine begrenzte und kaum je ausschlaggebende katalytische Wirkung für Gemeinde- reformen erwartet werden. Zwar werden vor Ort starke Ansprechpartner erforderlich sein, die Reform sei aber so konzipiert, dass sie in der bestehenden Gemeindestruktur durch inter- kommunale Zusammenarbeit umgesetzt werden kann. Unabhängig von der Anzahl politi- scher Gemeinden werden jährlich mehrere Schulen geschlossen. Insofern weiche die Bil- dungsreform im Kanton Bern von ihren skandinavischen Vorbildern ab, welche einhergingen mit einer grundlegenden Reform der Kommunen.

5.4 Beurteilung der Auswirkungen von Fusionen (Impact)

Die abgegebenen Einschätzungen zu den Auswirkungen von Fusionen entsprechen in erster Linie den Erwartungen der befragten Personen und sind nur beschränkt empirisch fundiert, da bisher keine breite Fusionserfahrung vorhanden ist. Ein Grossteil der befragten Akteure ist/war jedoch in unterschiedlicher Funktion bereits an (mehreren) Fusionsprozessen betei- ligt. Insofern widerspiegeln die Einschätzungen durchaus Praxiswissen.

5.4.1 Auswirkungen für Gemeinden

Die breiteste Unterstützung geniesst das Qualitäts-Argument: Fusionen würden Chancen zur Professionalisierung bieten: • Grössere Gemeinden könnten sich einen eigenen Finanzverwalter und einen eigenen Bauverwalter leisten. • In einer grösseren Verwaltung könnten Stellvertreterlösungen etabliert werden Dies sei ein Vorteil, den auch ein äusserst kompetenter Gemeindeschreiber, der sämtliche Funkti- onen in Personalunion wahrzunehmen habe, nicht wettmache. • Aufgrund der zunehmenden Anspruchshaltung der Bürger und der erhöhten Bereitschaft, notfalls den Rechtsweg zu beschreiten, seien die Ansprüche an verfahrensrechtliche Kenntnisse gestiegen. Grössere Gemeinden seien eher in der Lage, die notwendige juris- tische Sachkompetenz aufzubringen. • Eine Fusion könne unter Umständen mehr Handlungsspielraum bei der Einführung kon- zentrierterer Leitungsstrukturen in den Schulen bieten.

Wie bereits erwähnt, wird hingegen das Kostenargument eher kritisch bewertet. Aufgrund der tendenziellen Nivellierung gegen oben, d.h. einer Anpassung in allen Leistungsbereichen an das höchste Niveau der Ursprungsgemeinden, bleibe wenig Spielraum für Kosteneinspa- rungen. Dem gegenüber steht die Aussage, dass mit einer professionelleren Finanzplanung

69 5. Die Sicht der kantonalen Verwaltung und von Verbänden: Interviewergebnisse ECOPLAN

durchaus eine Optimierung machbar wäre. Die Abklärung und die Umsetzung einer Fusion bedeute für die Gemeinden einen beträchtlichen Kosten- und Zeitaufwand. Aus Sicht der befragten Personen würden aber teilweise auch viel zu viele Details abgeklärt.

5.4.2 Auswirkungen beim Kanton

Schwieriger als die Auswirkungen für die Gemeinden, sind die Auswirkungen von Fusionen für den Kanton als Verwaltungseinheit zu beurteilen. Die Befragung von Kantons- und Ver- bandsvertretern im Kanton Bern ergab Folgendes: • In jenen Fällen, wo eine Fusion zu Einbussen bei der Mindestausstattung und bei den Massnahmen für Gemeinden mit hoher Gesamtsteueranlage führt, kann der Kanton nach der Übergangsfrist, in welcher Ausgleichszahlungen geleistet werden, Mittel einsparen. • Gemäss Aussagen des AGR könnte in ihrem Amt bei weniger Gemeinden eventuell der Aufwand für die Aufsicht und die (v.a. juristische und organisatorische) Beratung von Ge- meinden reduziert werden. Dieser Effekt wäre aber aufgrund der Gesamtanzahl an Kör- perschaften, die das AGR zu beaufsichtigen hat, nur gering. Ebenfalls ist unklar, ob bei weniger und damit grösseren Gemeinden der Aufwand nicht aufgrund der zunehmenden Komplexität steigen würde. • Ein Regierungsstatthalter schätzt, dass sein Verwaltungsaufwand erst bei einer Halbie- rung der Anzahl Gemeinden spürbar reduziert würde. • Die Finanzverwaltung hätte weniger Meldeformulare und weniger Finanzstatistiken zu erfassen.67 • Für die Erziehungsdirektion spielt die Anzahl Gemeinden kaum eine Rolle. Zwar würden weniger Schulen weniger Aufwand für die Schulinspektoren bedeuten, da deren Rolle sich mit den Reformen in der Volksschule (Projekt REVOS) aber sowieso ändere, wären die Auswirkungen gering.

Im Rahmen eines Workshops mit Vertretern anderer Kantone (AG, FR, GR, LU, SG, SO, ZH) wie auch aus der bernischen Kantonsverwaltung wurde das Thema der Nutzen für von Ge- meindefusionen für den Kanton eingehend diskutiert. Für einige der Nutzen wurden konkrete Beispiele zusammengetragen. Zusammengefasst ergaben sich folgende Ergebnisse:

a) Direkte finanzielle Nutzen

Der monetäre Nutzen aus Gemeindefusionen ist für die Kantone schwierig bezifferbar. Direkte finanzielle Nutzen bieten insbesondere Reduktionen von Finanzausgleichszahlungen (im Kanton SG rund 1.6 Mio. CHF pro Jahr). Die bisher bei den Kantonen erzielten Einspa- rungen dank Fusionen sind jedoch verhältnismässig gering. Je länger und je stärker die Finanzausgleichs-Verluste der Gemeinden kompensiert und abgefedert werden, desto später resp. geringer werden die Nutzen für den Kanton ausfallen.

67 Die Finanzverwaltung schätzt, dass bei einer Halbierung der Anzahl Gemeinden ca. 60-70 Stellenprozente ein- gespart oder für zusätzliche Beratung eingesetzt werden könnten.

70 5. Die Sicht der kantonalen Verwaltung und von Verbänden: Interviewergebnisse ECOPLAN

b) Indirekte Nutzen (nach dem Motto „starker Kanton = starke Gemeinden“)

Relevant für die Kantone sind vielmehr die vielfältigen qualitativen Nutzen von Gemeinde- fusionen. Grössere Strukturen bieten Vorteile in den Bereichen Wirtschaftsförderung, Raum- planung und Schule. Da sich die kommunalen Verwaltungen bei Fusionen in der Regel am höchsten Leistungsstandard ausrichten, kommt es zu einer Qualitätssteigerung: der Kanton profitiert von kompetenteren Ansprechpartnern, der Vollzug des kantonalen Rechts wird ver- bessert und der Kanton kann den Gemeinden in seiner Politikgestaltung künftig mehr zumu- ten. Staatspolitisch stärken Fusionen die Demokratie (Reduktion der IKZ, in denen die Mit- wirkungsrechte der Stimmberechtigten stark eingeschränkt sind) und die Gemeindeautono- mie (eigenverantwortliche, leistungsfähige Gemeinden). c) Kantonaler Verwaltungsaufwand

Aufgrund der höheren Professionalisierung in den Gemeinden kann der Kanton seinen Auf- wand für Beratung, Steuerung und Aufsicht reduzieren und kann evtl. gar Aufgaben an die Gemeinden zurück delegieren. Die geringere Anzahl der Gemeinden bewirkt eine Aufwand- reduktion in den Bereichen Finanzausgleich und Finanzstatistik, Information des Kantons an die Gemeinden, Abstimmungen, Wahlen und Informatik.

Als Fazit bleibt die Feststellung, dass der Hauptnutzen von Fusionen bei den Gemeinden liegt, jedoch auch beim Kanton eine Reihe von Nutzenelementen anfallen, die sich allerdings überwiegend nur schwer beziffern lassen.

71 6. Statistischer Einfluss der Gemeindegrösse auf die Ausgaben ECOPLAN

6 Statistischer Einfluss der Gemeindegrösse auf die Ausgaben

6.1 Ausgangslage und Vorgehen

In Kapitel 6 wird mit Hilfe von statistischen Verfahren der Zusammenhang zwischen Gemein- deausgaben und der Grösse der Gemeinden - definiert durch die Einwohnerzahl – unter- sucht. Hintergrund dieser Untersuchungen sind die Argumente bezüglich optimaler Gemein- degrösse bei Gemeindefusionen. In der Literatur wird dieser Zusammenhang mehrfach er- wähnt, wobei eine gewisse Uneinigkeit über die Richtung des Effektes vorherrscht: • Ein negativer Zusammenhang, d.h. sinkende Kosten mit steigender Einwohnerzahl, wird erwartet, da kleine Gemeinden Skalenerträge (Grössenvorteile) nicht optimal ausnut- zen können. Viele Aufgaben fallen unabhängig von der Einwohnerzahl an und können somit in grösseren Gemeinden mit geringeren Pro-Kopf-Kosten erledigt werden. Innerhalb der Gemeindeverwaltung ist zudem oftmals spezifisches Fachwissen gefragt, die Stellen werden aber mangels Auslastung nicht besetzt oder die entsprechenden Personen sind nur unzureichend ausgelastet. • Demgegenüber steht die Ansicht, dass gerade in kleinen Gemeinden die Leistungen zu geringeren Pro-Kopf-Kosten bereitgestellt werden können. Dafür gibt es mehrere Argu- mente:68 – Je grösser die Einwohnerzahl, desto professioneller die Verwaltung. Professionelle Verwaltung kostet jedoch mehr Geld. – Die Bürokratie nimmt mit der Grösse tendenziell zu (Stabsstellen werden geschaffen usw.). In kleineren Gemeinden werden viele Probleme rasch und unbürokratisch erle- digt. – Die Anspruchshaltung ist in kleinen Gemeinden entsprechend kleiner. – Die Verhältnisse in kleineren Gemeinden sind überschaubarer und weniger komplex.

Erste empirische Erkenntnisse bezüglich des Einflusses der Bevölkerung auf die Gemeinde- finanzen im Kanton Bern konnten im Rahmen der Arbeiten zum Projekt FILAG 2012 gewon- nen werden. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Bevölkerungsgrösse einen signifikant positi- ven Einfluss auf die gesamten Gemeindeausgaben69 aufweist. Im Gegensatz dazu haben

68 Arn (1999), Liegt die Zukunft in der Fusion von Gemeinden?, S.244 69 Die Gemeindeausgaben entsprechen jeweils den Nettoausgaben der Gemeinde vor den Abgeltungen aus den Lastenverteilern und vor anderen Umverteilungszahlungen wie z.B. Finanzausgleich. Neben den gesamten Ge- meindeausgaben wurden auch einzelne Aufgabenbereiche (Sozialhilfe, Bildung, Totalausgaben ohne Sozialhilfe und Bildung) untersucht. In der Schätzung werden sowohl die quadrierte als auch die nicht quadrierte Bevölke- rung berücksichtigt. Die quadrierte Bevölkerung hat einen signifikant negativen Einfluss auf die Gemeindeausga- ben, gesamthaft überwiegt jedoch der positive Einfluss der nicht quadrierten Bevölkerung. Für weitere Informati- onen vgl. Ecoplan (2007), Kostentreibende Faktoren und neue Lastenausgleichsmodelle, Statistische Analyse von kostentreibenden Faktoren für die Gemeindefinanzen und Ausgleichsmodelleim Rahmen des Projektes „FI- LAG 2012“.

72 6. Statistischer Einfluss der Gemeindegrösse auf die Ausgaben ECOPLAN

Schätzungen für Luzern gezeigt, dass die gesamten Pro-Kopf Ausgaben mit steigender Be- völkerungszahl sinken.

In den nachfolgenden Abschnitten werden die Erkenntnisse bezüglich der Gesamtausgaben aus dem Projekt FILAG 2012 aufgegriffen und mit einem Augenmerk auf die Gemeindegrös- se weiter vertieft. Zusätzlich wird ebenfalls der Zusammenhang zwischen der Bevölkerungs- zahl und den Ausgaben für die allgemeine Verwaltung (Kontogruppe 0) empirisch untersucht.

Als Grundlage für die empirische Analyse dienen die durchschnittlichen Gemeindeausgaben aus den Jahren 2004 und 2005.70 Zudem steht ein umfangreicher Datensatz u.a. mit Anga- ben aus der Finanzstatistik des Kantons Bern, der Bevölkerungsstatistik des Bundes und der Gemeindeschreiberbefragung von 2005 zur Verfügung.71 Dabei wurden die Nettoausgaben der Laufenden Rechnung vor allfälligen kantonalen Subventionen berücksichtigt, so dass die Situation ohne Ausgleichsinstrumente zum Ausdruck kommt.

6.2 Ergebnisse

6.2.1 Univariate vs. multivariate Untersuchung

Wie aus Grafik 6-1 ersichtlich ist, kommt es darauf an, ob nur die Verwaltungskosten oder der Gesamtaufwand der Gemeinden berücksichtigt wird. Je nachdem ist der Einfluss der Gemeindegrösse (Bevölkerungszahl) unterschiedlich. Der gesamte Nettoaufwand einer Ge- meinde steigt mit zunehmender Einwohnerzahl, wie bereits im Rahmen der FILAG Untersu- chungen aufgezeigt werden konnte. Demgegenüber nehmen die Pro-Kopf-Ausgaben für die allgemeine Verwaltung mit steigender Einwohnerzahl ab.

Die Grafik zeigt aber auch, dass der Zusammenhang zwischen Einwohnern und Pro-Kopf- Ausgaben gerade in den kleinen Gemeinden nicht eindeutig ist: Die Zusammenhänge sind zwar auch feststellbar, wenn die vier Gemeinden mit mehr als 20'000 Einwohnern im Sample nicht berücksichtigt werden, die Streuung der Kosten ist aber in Gemeinden mit weniger als 1’000 Einwohnern enorm. Dies zeigt deutlich, dass die Kosten nicht alleine von der Gemein- degrösse abhängig sind, sondern durch andere Faktoren beeinflusst werden. In einer univa- riaten Korrelationsanalyse, wie in Grafik 6-1, werden diese übrigen Faktoren ausgeblendet, wodurch der Einfluss der Bevölkerungsgrösse auf die Kosten verzerrt wiedergegeben wird.

Im Gegensatz dazu werden im multivariaten Modell eine Vielzahl von Faktoren berücksich- tigt, die positiv oder negativ auf entsprechende Ausgaben einwirken können. Um den «wah-

70 Dadurch können Ausreisser aufgrund stark schwankender Budgets oder ausserordentlicher Zahlungen verringert werden. Die Analyse erfolgt mittels multiplen OLS-Schätzungen (OLS: ordinary least squares; für weitere Infor- mationen zu OLS vergleiche beispielsweise Wooldrigde (2005), Introductory Econometrics.

71 Eine exakte Auflistung der verwendeten Daten ist im Anhang enthalten.

73 6. Statistischer Einfluss der Gemeindegrösse auf die Ausgaben ECOPLAN

ren» Effekt der Einwohnerzahl auf den totalen Nettoaufwand bzw. auf die Kosten für die all- gemeine Verwaltung zu bestimmen, wird deshalb ein multivariates Modell angewendet.

Grafik 6-1: Univariater Zusammenhang zwischen Pro-Kopf Ausgaben in CHF (Total Netto- aufwand und Ausgaben Allgemeine Verwaltung) und Einwohnerzahl

Total Nettoaufwand (alle Gde.) Total Nettoaufwand (Bev. < 20'000) opf opf 6000 6000 o K o K 4000 4000 2000 2000 oausgaben pr oausgaben pr t t t t 0 0 e e N N 0 30000 60000 90000 120000 0 5000 10000 15000 20000 Bevölkerung Bevölkerung opf opf Allg. Verwaltungskosten (alle Gde.) Allg. Verwaltungskosten (Bev. < 20'000) o K o K 1500 1500 0 0 100 100 sausgaben pr sausgaben pr 500 500 ung ung t t al al 0 w w r r 0 e e V V . 0 30000 60000 90000 120000 . 0 5000 10000 15000 20000 g g l Bevölkerung l Bevölkerung al al

6.2.2 Mögliche Einflussfaktoren auf die Kosten der Gemeinden

Welche Faktoren können Unterschiede in den Pro-Kopf-Kosten der Gemeinden erklären? Als mögliche Erklärungsfaktoren wurden über 30 verschiedene Variabeln in Betracht gezogen (vgl. Anhang 1).

Grundsätzlich wird bei einem multivariaten Modell versucht, Unterschiede in den Pro-Kopf- Kosten durch verschiedene Einflussgrössen zu erklären. Im statistischen Verfahren der mul- tiplen Regression werden dabei schrittweise jene Einflussgrössen ausgeschieden, für die kein signifikanter Einfluss auf die Pro-Kopf-Grössen besteht. Am Schluss verbleibt ein Mo- dell, das die Pro-Kopf-Ausgaben anhand eines Modells (einer Regressionsgleichung) mehr oder weniger treffsicher erklärt.

Ausgangspunkt bildet somit eine Liste möglicher Einflussfaktoren, von denen sich im Laufe der Modellierung zeigen wird, ob sie signifikant sind oder ausgeschieden werden.

Die wichtigsten Variabeln und die entsprechenden Hypothesen werden im Folgenden für die Schätzung der Gesamtkosten kurz aufgeführt. Für die Schätzung der Verwaltungskosten

74 6. Statistischer Einfluss der Gemeindegrösse auf die Ausgaben ECOPLAN

wurden mehrheitlich dieselben Variabeln in Betracht gezogen (für Einzelheiten und Ausnah- men vgl. b)).

• Soziodemografische Variablen: Ausgaben für die soziale Sicherheit stellen einen we- sentlichen Bestandteil des Nettoaufwandes in einer Gemeinde dar.72 Deshalb werden mehrere Variablen untersucht, welche die soziodemografische Situation einer Gemeinde widerspiegeln. Es ist zu erwarten, dass diese Faktoren die Ausgaben für die soziale Si- cherheit und somit den Gesamtaufwand wesentlich beeinflussen dürften. Darunter fallen bspw. der Arbeitslosenanteil, der Anteil der Alleinerziehenden, der Anteil der Ergänzungs- leistungsbezüger, der ausländische Bevölkerungsanteil, der Anteil über 65- bzw. unter 19- jährige Personen sowie der Anteil der Schüler an der Bevölkerung. • Geografisch-topografische Variablen: Die geografische Lage sowie die topografischen Eigenschaften einer Gemeinde dürften einen wesentlichen Einfluss auf die Kosten einer Gemeinde haben. Beispielsweise müssen Gemeinden in höheren Lagen mit grösseren Kosten für den Winterdienst rechnen. Ebenfalls wird erwartet, dass die Siedlungsstruktur einen wesentlichen Einfluss auf die Kosten einer Gemeinde hat. Als geotopografische Va- riablen gelten u.a. die Strassenlänge pro Bevölkerung, die produktive Fläche pro Bevölke- rung, der Anteil der Fläche höher als 1000 m.ü.M. und der Anteil der Fläche mit einer Stei- gung von über 18 Promille. • Finanzpolitische Variablen: Geld ausgeben kann nur wer Geld zum Ausgeben hat. Die finanzielle Situation in einer Gemeinde fliesst über den HEI (Harmonisierter Ertragsindex, entspricht im Wesentlichen den Steuerkraft), die Steueranlage und den Selbstfinanzie- rungsanteil in die Schätzung mit ein. • Politische Ausrichtung der Gemeinde: Das Gemeindebudget sowie ausserordentliche Ausgaben werden durch die Stimmberechtigten genehmigt. Die politische Einstellung in einer Gemeinde kann somit die Ausgaben einer Gemeinde wesentlich beeinflussen. Die- ser Aspekt wird durch mehreren Variablen (Abstimmungsergebnisse) in der Schätzung berücksichtigt. • Qualität und Professionalität der Verwaltung: Höhere Qualität hat ihren Preis. Qualität und Professionalität sind nur sehr schwer messbar. Aus dem Datensatz der Gemeinde- schreiberbefragung können aber als Näherung Daten (sog. Proxy-Variablen) zur Qualität und Professionalität herangezogen werden: Die Existenz einer Bevölkerungsbefragung (Kundenbefragung), die erfolgreiche Einführung eines Globalbudgets und von New- Public-Management-Projekten sowie das Dienstleistungsangebot im Internet.

72 Wie erwähnt wurden die Sozialhilfeausgaben und auch alle übrigen Ausgaben vor der Subventionierung resp. Lastenumverteilung in die Analyse aufgenommen, so dass unterschiedliche soziale Belastungen voll zum Aus- druck kommen.

75 6. Statistischer Einfluss der Gemeindegrösse auf die Ausgaben ECOPLAN

6.2.3 Ergebnisse aus der multiplen Regressionsanalyse für den gesamten Nettoaufwand

Aus der Regressionsanalyse geht hervor, dass die Nettoausgaben der Gemeinden pro Kopf grösser sind, je grösser die Einwohnerzahl der Gemeinde ist. Es besteht also ein positiver Zusammenhang zwischen der Einwohnerzahl und den Pro-Kopf-Ausgaben einer Gemeinde. Da die quadrierten Einwohnerzahlen ebenfalls einen signifikanten Einfluss auf die Pro-Kopf- Ausgaben haben, ist der Zusammenhang zwischen Einwohnerzahl und Nettoaufwand pro Kopf jedoch nicht linear. Wie aus Grafik 6-2 ersichtlich wird, wird der Effekt ab ca. 80'000 Einwohner wieder kleiner und fällt ab ca. 150'000 gar ins negative. Dies dürfte vor allem dar- auf zurückzuführen sein, dass mit steigender Bevölkerungszahl die Kosten durch eine grös- sere Anzahl von Personen getragen werden und für den einzelnen somit weniger Kosten anfallen.

Grafik 6-2 zeigt auf, welcher Unterschied in den Pro-Kopf-Kosten zweier sonst identischer Gemeinden nur aufgrund der unterschiedlichen Bevölkerung erklärt werden kann. Eine Ge- meinde mit beispielsweise 10’000 Einwohner (in Grafik Punkt A) hätte demnach aufgrund der Bevölkerung rund 400 CHF weniger hohe Pro-Kopf-Ausgaben als eine sonst identische Ge- meinde mit 20'000 Einwohnern (Punkt B), aber rund 430 CHF mehr als eine Gemeinde mit 800 Einwohnern. Der totale Streubereich, der sich statistisch auf unterschiedliche Gemein- degrössen zurückführen lässt, liegt bei rund 1'800 CHF (Unterschied zwischen einer sehr kleinen Gemeinde und einer fiktiven Gemeinde mit rund 80'000 Einwohnern).

Bei den meisten Gemeinden liegen die Pro-Kopf-Ausgaben im Bereich von 1000 bis 3000 CHF/Kopf (vgl. Grafik 6-1), und die mittleren Pro-Kopf-Ausgaben liegen bei rund 1870 CHF/Kopf. Die unterschiedliche Grösse resp. Bevölkerung kann somit im Modell einen an- sehnlichen Teil der Kostenunterschiede erklären.

Nun bedeutet "statistisch signifikant" nicht, dass ein Zusammenhang auch ursächlich (kausal) ist: Zwar können die oben erwähnten Faktoren wie höhere Professionalität, höhere Service- niveaus und höhere Komplexität eine Rolle spielen. Die feststellbare deutliche Zunahme der Pro-Kopf-Kosten bei grösseren Gemeinden kann aber auch andere Ursachen haben: Es muss vermutet werden, dass in der Variable "Gemeindegrösse" weitere Einflussfaktoren zum Ausdruck kommen, die eher mit soziodemografischen Kostentreibern zu tun haben und nicht durch andere Variablen im Modell abgebildet werden:73 Grössere Gemeinden haben vermut- lich (auch) deshalb tendenziell höhere Gesamtkosten, weil in grösseren Gemeinden die sozi- ale Struktur und die Komplexität urbaner und suburbaner Situationen zu höheren Ausgaben führt, und dies durch die zahlreichen soziodemografischen Variablen nicht genügend abge- bildet wird. Die Grösse allein ist für diese Mehrausgaben also nicht unbedingt kausal.

73 Diese Vermutung wird durch den eher tiefen Erklärungsgehalt von rund 30.5% zusätzlich gestützt. Das Modell vermag demnach nur einen geringen Teil der Kostenunterschiede zu erklären. Die übrigen Ungleichheiten sind entweder auf unterschiedliche Effizienz oder auf weitere Erklärungsfaktoren zurückzuführen, die nicht im Modell enthalten sind. Es ist daher nicht auszuschliessen, dass der Einfluss einzelner Variablen hier überschätzt oder unterschätzt wird. Es könnte daher trotz der Vielzahl der berücksichtigten Variablen ein «omitted variable bias» vorliegen (siehe bspw. Wooldrigde (2005), Introductory Econometrics, S.89).

76 6. Statistischer Einfluss der Gemeindegrösse auf die Ausgaben ECOPLAN

Zumindest kann aber gesagt werden, dass das Zahlenmaterial die Hypothese von Kostenvor- teilen grosser Gemeinden nicht stützt.

Grafik 6-2 Isolierter der Bevölkerung auf die Pro-Kopf-Ausgaben (total Nettoaufwand) unter sonst gleichen Voraussetzungen; Beispiele mit fiktiven Gemeinden 00 20 0 0 n e t 15 os K 00 - f p 10 o K - 0 o

50 B (20'000 Einw.; +400 CHF) Pr r e d

0 A (10'000 Einw.; Ausgangspunkt) g un 0 er C (800 Einw.; -431 CHF) 0 nd -5 ä r 0 0 Ve 0 -1

0 50000 100000 150000 Bevölkerung

Zusätzlich zur Bevölkerung werden die Nettoausgaben der Gemeinde pro Kopf durch folgen- de Faktoren beeinflusst: • Die Pro-Kopf-Kosten einer Gemeinde sind – bei Konstanz aller übrigen Einflussfaktoren – höher, – je finanzkräftiger eine Gemeinde ist, – je höher ihre Steueranlage ist, – je mehr Arbeitsplätze sie im Vergleich zur Bevölkerung hat, – je höher die Schülerzahl im Vergleich zur Bevölkerung ist, – je grösser die produktive Fläche pro Kopf der Gemeinde ist und – je grösser der Anteil der Ergänzungsleistungsbezüger ist.74 • Als signifikant zeigen sich im Weiteren die Variablen zur Grössenklasse:

74 Die Ergänzungsleistungsbezüger sind ein Indikator für die generelle soziale Belastung einer Gemeinde.

77 6. Statistischer Einfluss der Gemeindegrösse auf die Ausgaben ECOPLAN

– Gemeinden mit einer Bevölkerungszahl kleiner als 250 oder grösser als 10'000 weisen signifikant tiefere Pro-Kopf-Kosten aus. • Ebenfalls einen signifikanten Einfluss haben die Variablen zu den Qualitätsmerkmalen: – Gemeinden, die bereits erfolgreich NPM-Projekte durchgeführt haben, weisen tiefere Pro-Kopf Kosten aus – Gemeinden, die über eine ausgebaute Internetplattform verfügen, weisen allerdings einen höheren Nettoaufwand auf. • Die übrigen Variablen zeigen keinen signifikanten Einfluss auf den gesamten Nettoauf- wand.

Gesamthaft entsprechen die Ergebnisse der Schätzung ungefähr dem, was aufgrund der bereits vorliegenden Erkenntnisse aus den Arbeiten zum FILAG zu erwarten war. Zudem scheinen die aufgezeigten Zusammenhänge insgesamt plausibel: Urbane, bevölkerungsrei- che Gemeinden haben in der Tendenz höhere Pro-Kopf-Kosten. Dies ist einerseits auf die dort vorhandene Infrastruktur (Arbeitsplätze, Zentrumsfunktion) und andererseits auf die A- Stadt-Problematik zurückzuführen. Auf der anderen Seite weisen auch ländliche Gemeinden mit topografisch ungünstiger Ausgangslage (Kosten der Weite, hohe Schülerzahlen relativ zur Bevölkerung) höhere Pro-Kopf-Kosten aus.

6.2.4 Ergebnisse aus der multiplen Regressionsanalyse für die Verwaltungskosten

Im Gegensatz zu den Gesamtkosten steigen die Pro-Kopf-Ausgaben für die allgemeine Ver- waltung nicht mit der Bevölkerung an, sondern verringern sich. Dies zeigen die Ergebnisse der Regressionsanalyse.75 Allerdings ist der Zusammenhang nicht linear (die Einwohnerzahl weist einen signifikant negativen Einfluss, die quadrierte Bevölkerung jedoch einen signifikant positiven Einfluss auf die Verwaltungskosten auf, vgl. Grafik 6-3), sondern wird ab einer Grösse von ca. 125'000 Einwohnern mit zunehmender Bevölkerung schwächer.76

In der Grafik 6-3 sind wiederum die durch eine unterschiedliche Bevölkerung erklärbaren höheren bzw. tieferen Ausgaben in der allgemeinen Verwaltung ersichtlich. Eine Gemeinde mit 10'000 Einwohner hat gemäss der Schätzung somit rund 105 CHF höhere Verwaltungs- ausgaben pro Kopf als eine ansonsten identische Gemeinde mit 20'000 Einwohner und rund 106 CHF weniger als eine identische Gemeinde mit 800 Einwohnern. Gemäss der Modell- schätzung (Grafik 6-1) können die Verwaltungskosten unter sonst gleichen Voraussetzungen je nach Gemeindegrösse um bis zu 700 CHF/Kopf schwanken. Da die Verwaltungsausgaben mehrheitlich im Bereich von 200 bis 700 CHF/Kopf (Durchschnitt rund 360 CHF/Kopf) liegen, kann die Gemeindegrösse einen beträchtlichen Teil der Unterschiede erklären.

75 Der vollständige Regressionsoutput ist im Anhang aufgeführt

76 Der positive Effekt der quadrierten Bevölkerung übersteigt ab ca. 250000 Einwohner den negativen Effekt der nicht-quadrierten Bevölkerung.

78 6. Statistischer Einfluss der Gemeindegrösse auf die Ausgaben ECOPLAN

Die beobachtete U-Kurve kann dadurch erklärt werden, dass anfänglich die Kosten aufgrund einer optimaleren Ausnutzung der Skaleneffekten pro Kopf sinken, ab einer gewissen Grösse die „diseconomies of scale“ (Nachteile der Grösse) jedoch überwiegen (vgl. Abschnitt 2.2.5).

Grafik 6-3: Isolierter Einfluss der Bevölkerung auf die Verwaltungsausgaben pro Kopf unter sonst gleichen Voraussetzungen; Beispiele mit fiktiven Gemeinden 0 50 0 n e t 25

os C (800 Einw.; +106 CHF) K - f A (10'000 Einw.; Ausgangspunkt) p 0 o B (20'000 Einw.; -105 CHF) K - o 0 Pr 5 r e -2 d g 0 un 0 er -5 nd ä 0 r 5 Ve -7 0 0 0 -1 0 50000 100000 150000 Bevölkerung

Ebenfalls einen signifikanten Einfluss auf die Pro-Kopf-Ausgaben für die allgemeine Verwal- tung haben folgende Variablen77: • Die Pro-Kopf-Ausgaben für die allgemeine Verwaltung einer Gemeinde sind – bei Kon- stanz aller übrigen Einflussfaktoren – höher, – je finanzkräftiger eine Gemeinde ist, – je grösser die produktive Fläche pro Kopf der Gemeinde ist und – je kleiner der Anteil der unter 19-jährigen in der Bevölkerung ist. • Als signifikant zeigen sich im Weiteren die Variablen zur Bevölkerungsgrösse: – Gemeinden mit einer Bevölkerungszahl kleiner als 250 oder grösser als 20'000 weisen signifikant höhere Pro-Kopf-Kosten aus. • Ebenfalls einen signifikanten Einfluss haben die Variablen zu den Qualitätsmerkmalen:

77 Die nicht aufgeführten Variablen zeigen keinen signifikanten Einfluss oder wurden aufgrund der im Anhang ge- nannten Gründen nicht in der Schätzung berücksichtigt.

79 6. Statistischer Einfluss der Gemeindegrösse auf die Ausgaben ECOPLAN

– Gemeinden, die bereits erfolgreich NPM-Projekte durchgeführt haben, weisen eher tie- fere Pro-Kopf Kosten aus – Gemeinde mit einem ausgebauten Internetangebot weisen ebenfalls die tieferen Pro- Kopf-Ausgaben aus.

Wiederum scheinen die Resultate zusammengefasst plausibel zu sein. Allerdings vermögen die berücksichtigten Variablen auch bei dieser Schätzung nur rund 30% der Kosten zu erklä- ren.

6.3 Fazit aus den ökonometrischen Schätzungen

Aufgrund des stark ungleichmässig verteilten Samples, welches nur sehr wenige grosse Ge- meinden beinhaltet, sowie aufgrund der grossen Varianzen der Pro-Kopf-Ausgaben in den kleinen Gemeinden, die u.a. auch auf unterschiedliche Ausgaben-Präferenzen zurückzufüh- ren sind, vermögen die berücksichtigten Variablen in beiden Schätzungen nur einen geringen Anteil der Kostenunterschiede zu erklären. Die Schätzungen erlauben deshalb nur eine Ten- denz-Aussage über die Zusammenhänge zwischen der Bevölkerung und den Gemeindeaus- gaben, und dies, obschon über 30 denkbare Einflussgrössen mitberücksichtigt wurden.

Die Schätzergebnisse zeigen, dass der Zusammenhang zwischen der Bevölkerungszahl und den Pro-Kopf-Ausgaben für die allgemeine Verwaltung einer Gemeinde negativ ist. Dem- nach sollten die Pro-Kopf-Ausgaben für die allgemeine Verwaltung in Gemeinden mit einer höheren Einwohnerzahl unter sonst gleichen Umständen tendenziell tiefer ausfallen als in Gemeinden mit nur wenigen Einwohnern. Bei Fusionen und der damit verbundenen Zunah- me der Bevölkerung kann aufgrund der statistischen Analyse folglich tendenziell mit einer Kostensenkung (oder einer höheren Qualität) in der allgemeinen Verwaltung gerechnet wer- den.

Für die Gesamtausgaben wären aufgrund der statistischen Analysen für grössere Gemein- den tendenziell höhere Kosten zu erwarten. Wir vermuten allerdings, dass in der Variable "Gemeindegrösse" weitere Einflussfaktoren zum Ausdruck kommen, die eher mit soziode- mografischen Kostentreibern zu tun haben. Wir formulieren deshalb das Ergebnis so: Die Hypothese, dass grössere Gemeinden in ihren Gesamtausgaben pro Kopf günstiger sind, lässt sich mit den vorliegenden Daten nicht bestätigen.

Somit gibt die statistische Analyse keinen Hinweis darauf, dass bei Fusionen mit einer Re- duktion der Gesamtkosten gerechnet werden kann. Bei den Verwaltungsausgaben deutet die ökonometrische Evidenz hingegen auf mögliche Einsparungen (resp. Leistungsverbesserun- gen) hin.

80 7. Zusammenfassende Antworten auf die Evaluationsfragen ECOPLAN

7 Zusammenfassende Antworten auf die Evaluationsfragen

Im Folgenden fassen wir die Ergebnisse in der Gliederung der Evaluationsfragen gemäss Abschnitt 1.2 zusammen. Die Zusammenfassung stützt sich auf die durchgeführte Dokumen- tenanalyse, die Interviews mit Schlüsselpersonen ausgewählter Fusionsprojekte, die Befra- gung von Vertreter/innen der kantonalen Verwaltung und von Gemeinde- und Fachverbän- den sowie die Einschätzung von Ecoplan.

7.1 Beurteilung der Konzeption • Ist die Konzeption basierend auf finanziellen Anreizmassnahmen, Freiwilligkeit und der Fokussierung auf kleine und kleinste Gemeinden im Prinzip überhaupt geeignet, die An- zahl der Gemeinden auf 300 zu reduzieren?

Im Grundsatz ist die Konzeption gut. Ob sie ausreicht, um die Anzahl der Gemeinden auf 300 zu reduzieren, ist jedoch zu bezweifeln. Dank der Anreize kommt es an vielen Orten zu Abklärungsprozessen, für den Abschluss von Fusionen reichen diese jedoch nicht. Es ist zu prüfen, ob Zwang unter bestimmten Bedingungen sinnvoll wäre und ob in der Kon- zeption die Fokussierung auf Fusionen von kleinen und kleinsten Gemeinde aufzugeben ist, weil diese kaum Nutzen entsprechend den Wirkungszielen des Kantons stiften.

• Können mit Fusionen die gesetzten Wirkungsziele78 prinzipiell erreicht werden? Die Auswertung der erfolgreichen Fusionsprojekte zeigt, dass Fusionen einen Beitrag in Richtung der im GFG enthaltenen Wirkungsziele leisten.

• Was sind die konkreten Anliegen des Kantons bei der Förderung von Gemeindefusionen? Widerspiegeln sich diese Anliegen in den formulierten Zielen? Die befragten Vertreter des Kantons sowie von Verbänden sehen die Anliegen des Kan- tons in den Wirkungszielen gemäss GFG abgebildet. Für die Gemeindevertreter hingegen ist teilweise unklar, wieso sich der Kanton derart für Fusionen engagiert. Teilweise wird vermutet, dass der Kanton mit Fusionen Einsparungen beim FILAG realisieren will.

7.2 Beurteilung des Vollzugs • Wissen die Gemeinden über die finanziellen Leistungen des Kantons Bescheid? Über die finanziellen Anreize waren die Gemeindevertreter bereits vor ihren eigenen Fu- sionsbestrebungen im Bild. Nicht durchwegs bekannt sind hingegen Informationsmateria- lien sowie Beratungsleistungen des AGR. Bei Letzteren fehlt den Gemeinden etwas die

78 Art. 1 GFG enthält folgende Wirkungsziele: a Steigerung der Leistungsfähigkeit der Gemeinden b Stärkung der Gemeindeautonomie c wirksame und kostengünstige Leistungserstellung der Gemeinden.

81 7. Zusammenfassende Antworten auf die Evaluationsfragen ECOPLAN

Transparenz: Wann werden Fusionen vom Kanton begleitet? Gibt es ein Anrecht auf Un- terstützung?

• Gibt es Hürden im Vollzug? Kann der Vollzug vereinfacht werden? Nein, aus Sicht der Gemeinden ist die Gesuchsstellung einfach und die Abwicklung erfolgt speditiv. Auch die Zusammenarbeit zwischen dem AGR und der Finanzverwaltung wird als eingespielt und problemlos beurteilt. Vereinfacht werden könnte das Genehmigungs- prozedere auf kantonaler Ebene, z.B. indem Kompetenzen vom Grossen Rat resp. der Justizkommission an den Regierungsrat delegiert werden. Auch der gesetzestechnische Nachvollzug von Fusionen sollte durch eine entsprechende Kompetenzdelegation an die JGK erleichtert werden.

7.3 Beurteilung der Fördermassnahmen (Output) • Welche Leistungen wurden bis jetzt beansprucht (finanziell und Beratung)? – Bis Ende 2008 wurden insgesamt 1'197'895 CHF für projektbezogene Zuschüsse zur Vorbereitung von Fusionen gemäss FILAG Art. 34 Abs. 2 und 3 ausbezahlt. – Ausgleichszahlungen gemäss FILAG Art. 34 Abs. 1 für FILAG-Einbussen infolge einer Fusion wurden bislang erst in einem Fall (Wald) entrichtet, der Gesamtbetrag betrug 172'635 CHF. 2009 werden voraussichtlich auch für Riggisberg FILAG- Ausgleichszahlungen ausgerichtet. – Von der Finanzhilfe gemäss GFG haben bisher neun zustande gekommene Fusionen im Umfang von total rund 4'058’466 CHF profitiert (letzte Auszahlung wird erst 2010 er- folgen). Für die 12-jährige Laufzeit des GFG (2005-2017) hat der Regierungsrat ca. 50 Mio. CHF vorgesehen. – Das AGR setzt für seine Informations- und Beratungstätigkeit der Gemeinden ungefähr 100 Stellenprozente ein. Ergänzend leisten vier Sachbearbeitende Hilfe bei punktuel- len Fachfragen. Bisher war das AGR in insgesamt 9 Fusionsprojekten direkt in der Projektorganisation vertreten.79 In 26 weiteren Projekten wurde punktuelle Beratung geleistet.

• Wie wird die Qualität des Informationsmaterials und der Beratungstätigkeit bewertet? Die Qualität wird von jenen, die vom Angebot profitieren konnten, wie auch von den be- fragten Vertretern von anderen kantonalen Stellen und Verbänden, als gut bis sehr gut eingestuft. Eine AGR-Vertretung in der Projektorganisation von Fusionsprojekten ist er- wünscht und wird geschätzt. Jene, die vom AGR weniger eng begleitet wurden bzw. wer- den, erwarten vom AGR insbesondere juristische Beratungsleistungen. Ihnen ist jedoch nicht klar, was genau das AGR anbietet und auf was sie zählen dürfen. Zusätzlich er- wünschte Angebote sind eine Übersicht über zwingende übergeordnete Bestimmungen

79 In 5 erfolgreichen Fusionen, in 3 Laufenden Projekten und in 1 der abgebrochenen Fusionen.

82 7. Zusammenfassende Antworten auf die Evaluationsfragen ECOPLAN

von Bund und Kanton, die nicht mehr im Einzelfall abgeklärt werden müssen (Bsp. Be- schilderung), eine Liste mit den häufigsten juristischen Fragestellungen („FAQ-Liste“) so- wie Unterstützung im Bereich Kommunikation (Checkliste/„Best practices“).

• Wie wird das Förderangebot des Kantons insgesamt beurteilt? Die Fördermassnahmen des Kantons mit Informationsmaterial, Beratung und den finan- ziellen Anreizen wird von den Gemeindevertretern insgesamt als gut bis sehr gut beurteilt. Auch die befragten Kantons- und Verbandsvertreter loben das Angebot. Sowohl in der Ei- gen- wie in der Fremdbeurteilung stösst das AGR aufgrund fehlender personeller Res- sourcen aber an Kapazitätsgrenzen bei der Beratung.

7.4 Beurteilung der Ergebnisse der Fördermassnahmen (Outcome) • Wie viele Fusionen sind zustande gekommen? Wie viele Fusionsprojekte sind am Lau- fen? Bis heute sind neun Fusionen zustande gekommen. Rund 109 Gemeinden sind in 24 lau- fenden Fusionsprozessen engagiert. In zwei dieser Projekte ist die kantonale Genehmi- gung bereits erfolgt und die Fusion wird per 1.1.2010 umgesetzt.

• Welche Fusionsprojekte sind gescheitert? Aus welchen Gründen? Sechs Fusionsprojekte sind bei Abstimmungen gescheitert. Die Gründe sind vielfältig und schwer zu verallgemeinern. Es fällt auf, dass die Behörden häufig vom Volksentscheid überrascht werden, weil sich die Bevölkerung lange bedeckt hält und die Opposition schwierig zu eruieren ist. In Clavaleyres/Münchenwiler wird davon ausgegangen, dass die Unsicherheit bezüglich der Auszahlung der kantonalen Finanzhilfe (aufgrund der geringen Grösse wäre eine Ausnahmeregelung erforderlich gewesen) sowie das Argument, die Gemeinde sei auch nach der Fusion zu klein und müsse bald wieder fusionieren, mit den Ausschlag gaben.

• Welche Bedeutung hatten die Fördermassnahmen des Kantons bei den erfolgreichen Fusionen? In Wichtrach und Wald waren die kantonalen Finanzbeiträge willkommen, sie waren je- doch weder für die Auslösung noch für den Erfolg der Fusion entscheidend, weil ihr Pro- zess bereits weit fortgeschritten war, als das GFG in Kraft trat. Bei der Fusion von Herzo- genbuchsee und Oberönz hingegen waren die kantonalen Fördergelder insbesondere für Herzogenbuchsee ein Auslöser, um auf die von Oberönz initiierten Verhandlungen einzu- treten.

• Wie wird die Anreizwirkung der projektbezogenen Zuschüsse und der Finanzhilfe von Gemeinden mit laufenden oder gescheiterten Fusionsprozessen beurteilt? Die kantonalen Finanzbeiträge sind ein Katalysator, aber nicht ein Motor der Fusionsbe- strebungen. Für den Erfolg einer Fusion sei letztendlich nicht die Höhe der kantonalen Beiträge entscheidend, so lautet der fast einstimmige Tenor der Befragten. Auch bei den

83 7. Zusammenfassende Antworten auf die Evaluationsfragen ECOPLAN

abgebrochenen Fusionen wird nicht davon ausgegangen, dass eine höhere Finanzhilfe den Entscheid hätte anders ausfallen lassen.

• Welches sind die bedeutenden Erfolgsfaktoren für das Zustandekommen einer Fusion? Wo liegen Stolpersteine?

Für den Erfolg besonders wichtig sind eine transparente Kommunikation, starke Füh- rungspersönlichkeiten und der Einbezug der Bevölkerung. Zu Stolpersteinen werden kön- nen insbesondere eine unterschiedliche Finanzsituation der Gemeinden, neue Standorte gemeinsamer Infrastrukturen (wie Gemeindeverwaltung, Schule), die Angst vor einem I- dentitätsverlust in der Bevölkerung, unterschiedliche Mentalitäten sowie längerfristige Einbussen im FILAG.

7.5 Beurteilung der Auswirkungen von Fusionen (Impact) • Welche Wirkungen zeigen sich in den fusionierten Gemeinden? Die Leistungsfähigkeit der Gemeinden wird in verschiedener Hinsicht gesteigert: – Handlungsfähigkeit im logischen bzw. funktionalen Perimeter (Vereinfachung und Straffung der Abläufe und Führungsstrukturen sowie Abbau von Doppelspurigkeiten) – Professionalisierung der Verwaltung (Spezialisierung der Mitarbeitenden, Einführung von Stellvertreterregelungen) – Höhere Attraktivität als Arbeitgeber (Kader kann vermehr strategisch arbeiten) – Professionellere Behördenarbeit (Führung der Kommissionssekretariate durch die Verwaltung) – Verbesserung der Standortattraktivität (Erleichterung durch einheitliches Bauregle- ment). – Verlagerung der gemeinsamen Nutzungsplanung in einen grösseren Raum (neue Nut- zungsmöglichkeiten) Die Gemeindeautonomie wird gestärkt, weil das Gewicht innerhalb der Region und in regionalen Verbänden zunimmt. Auch hinsichtlich einer wirksamen und kostengünstigen Leistungserstellung können Fusionen Vorteile bringen (weniger zu besetzende Exekutivämter, tieferer Steuersatz). Einsparungen entstehen jedoch nicht automatisch, sondern erfordern entsprechende poli- tische Entscheide und können manchmal erst längerfristig realisiert werden (kurzfristig kaum Stellenabbau, teilweise weiterhin dezentrale Verwaltungsstandorte). Die positiven Effekte dürfen aber nicht überschätzt werden. Insbesondere bei Kleinstfusi- onen sind die Effekte begrenzt. Diese Argumente stützen weitgehend die bisherigen Forschungsergebnisse. Eine statisti- sche Analyse kann für die Verwaltungsausgaben der Gemeinden im Kanton Bern zuneh- mende Skaleneffekte nachweisen, nicht jedoch für die Gesamtausgaben. Die durchge- führten Befragungen erlauben keine Aussage zur Qualität der Demokratie in grösseren bzw. fusionierten Gemeinden, jedoch ist die zunehmende Delegation von Aufgaben an in-

84 7. Zusammenfassende Antworten auf die Evaluationsfragen ECOPLAN

terkommunale Zusammenarbeit bezüglich demokratischer Legitimation und Zuordnung der Verantwortlichkeiten oft problematisch und entspricht nicht dem Idealbild einer auto- nomen Gemeinde.

• Können mit Fusionen positive Entwicklungen in Richtung der angestrebten Wirkungsziele erreicht werden? Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die erwarteten sowie die tatsächlichen Auswirkungen den Wirkungszielen des GFG entsprechen, wobei die kostengünstige Leis- tungserstellung in erster Linie verstanden wird als höheres Servicelevel bei gleich blei- benden Kosten.

• Welche Auswirkungen resultieren beim Kanton? Die befragten Kantons- sowie Verbandsvertreter im Kanton Bern rechnen mit folgenden Auswirkungen von Gemeindefusionen für den Kanton als Verwaltungseinheit: – In jenen Fällen, wo eine Fusion zu Einbussen bei der Mindestausstattung und bei den Massnahmen für Gemeinden mit hoher Gesamtsteueranlage führt, kann der Kanton nach der Übergangsfrist, in welcher Ausgleichszahlungen geleistet werden, Mittel ein- sparen. – Im Weiteren könnten bei einer massiven Reduktion der Anzahl Gemeinden beim AGR sowie bei der Finanzverwaltung eventuell Stellenprozente eingespart werden, weil der Aufwand für die Aufsicht und die Beratung von Gemeinden abnehmen und weniger Meldeformulare bzw. Finanzstatistiken zu erfassen wären. Als Fazit eines Workshops mit Vertretern anderer Kantone (GR, LU, AG, SO, SG, FR) wie auch aus der bernischen Kantonsverwaltung zum Thema der Nutzen von Gemeindefusio- nen für den Kanton bleibt die Feststellung, dass der Hauptnutzen von Fusionen bei den Gemeinden liegt, jedoch auch beim Kanton eine Reihe von Nutzenelementen anfallen, die sich allerdings überwiegend nur schwer beziffern lassen.

85 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

8 Analyse neuer Massnahmen

Der Kanton Bern fördert Gemeindezusammenschlüsse bisher ausschliesslich • auf freiwilliger Basis80 und • mit positiven Anreizen (in Form von finanzieller Unterstützung sowie von Information und Beratung).

In diesem Kapitel werden Anpassungen der bestehenden Fördermassnahmen sowie allfällige neue Massnahmen analysiert und bewertet. Dazu wird in einem ersten Abschnitt ein Über- blick über die Förderpraxis in den Schweizer Kantonen gegeben ( 8.1) und das bestehende Angebot des Kantons Bern im Vergleich positioniert. Da auch der bisher geltende Grundsatz der Freiwilligkeit überprüft werden soll, werden in einem zweiten Teil ( 8.2) die Regelungen jener Kantone vorgestellt, deren rechtliche Grundlagen eine Anordnung von Gemeindezu- sammenschlüssen vorsehen. Im dritten Teil ( 8.3 und 8.4) wird schliesslich eine Bewertung von neuen oder angepassten Massnahmen für den Kanton vorgenommen.

8.1 Fördermassnahmen in den Schweizer Kantonen im Überblick

a) Positive Anreize

Überblick

Tabelle 8-1 gibt eine Übersicht über die in den Schweizer Kantonen zur Anwendung kom- menden positiven Fördermassnahmen für Gemeindezusammenschlüsse. Die Datengrundla- ge bildet eine vom Kompetenzzentrum für Public Management (KPM) der Universität Bern durchgeführte Umfrage bei allen Schweizer Kantonen.

Folgende Massnahmekategorien werden unterschieden: • Finanzielle Unterstützung • Beratungsleistungen • Arbeitshilfen • Berechnung von Veränderungen im Finanzausgleich • Kurse für das Gemeindepersonal zum Thema Gemeindefusion

80 Bericht des Regierungsrates an den Grossen Rat vom 5. Juli 2000 betreffend Gemeindereformen im Kanton Bern (GEREF)

86 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

Tabelle 8-1: Fördermassnahmen in den Schweizer Kantonen im Überblick

FÖRDERMASSNAHMEN GEMEINDEFUSIONEN Anzahl AG AI AR BE BL BS FR GE GL GR JU LU NE NW OW SG SH SO SZ TG TI UR VD VS ZG ZH Kte Finanzielle Unterstützung N = 25 Nein 10 Ja, in der Form von 15 - Finanzhilfen für Fusionsabklärungen 10 - Finanzhilfen für das Fusionsprojekt 9 - allgemeine Finanzhilfen im Falle einer Fusion 11 - Entschuldungen 7 - Garantien beim Finanzausgleich 6 Beratungsleistungen N = 24 Nein 6 Ja, in der Form von 18 - projektbegleitender Beratung durch bezahlte externe Berater 3 - projektbegleitender Beratung durch Kantonsangestellte 12 - punktueller fachlicher Beratung durch Kantonsangestellte 14 Arbeitshilfen N = 25 Nein 10 Ja, in der Form von 15 - Leitfäden zum Thema Gemeindereform allgemein 5 - Leitfäden zum Thema Gemeindefusion allgemein 9 - spezifische Leitfäden für Fusionsabklärungen 4 - Musterdokumente 12 Berechnung von Veränderungen im Finanzausgleich N = 25 Nein 12 Ja, auf Anfrage kostenlos durch Kanton 13 Kurse Gemeindepersonal zum Thema Gemeindefusion N = 23 Nein 18 Ja 5 - Durchführung durch die Kantonsverwaltung 1 - Durchführung durch bestehende Bildungsträger 4

Zusammenstellung: Ecoplan; Datengrundlage: Steiner Reto, Reist Pascal, KPM Universität Bern (2008)

87 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

Die Auswertung zeigt, dass der Kanton Bern im Quervergleich der Kantone ein aktiver Förde- rer von Gemeindefusionen ist: • Insbesondere bei den zur Verfügung gestellten Arbeitshilfen sticht der Kanton Bern durch ein ausgesprochen umfassendes Angebot hervor. • Bei der finanziellen Unterstützung gibt es Kantone, die weiter gehen als der Kanton Bern und z.B. auch Entschuldungen finanzieren. • Das Beratungsangebot des Kantons Bern ist breit – wobei anzumerken ist, dass dies nichts über die zur Verfügung stehenden Kapazitäten aussagt. Drei Kantone setzen zu- sätzlich zu den Leistungen, die auch der Kanton Bern kennt, externe Berater für die pro- jektbegleitende Beratung ein.

Einige Beispiele und Details

Im Rahmen eines Workshops mit Kantonsvertretern wurde die konkrete Ausgestaltung der Fördermassnahmen in verschiedenen Kantonen (insbesondere AG, SG, LU, GR) etwas de- taillierter angeschaut. Dabei hat sich gezeigt, dass die Problemstellungen wie auch die Lö- sungsansätze in den Kantonen sehr ähnlich sind. Die für die Fusionsförderung zur Verfügung stehenden finanziellen wie auch personellen Ressourcen sind jedoch sehr unterschiedlich. Im Kanton Bern ist die Ressourcenausstattung für die Förderung von Gemeindefusionen klar unterdurchschnittlich:81 • Der Kanton Bern hat für die Jahre 2006-2009 13 Mio. CHF, über die 12-jährige Geltungs- dauer des Gemeindefusionsgesetzes jährlich rund 4 Mio. CHF eingeplant. Für die Bera- tung können rund 100 Stellenprozente eingesetzt werden. • Der Kanton Aargau rechnet in seiner Planung bis 2014 mit jährlich ca. 0.5 Mio. CHF für Projektkostenbeiträge und für die Periode 2010-2014 mit insgesamt rund 79 Mio. CHF für Zusammenschlussbeiträge. • Der Kanton St. Gallen setzt jährlich rund 30.6 Mio. CHF ein. Er konzentriert sich auf die Berechnung und Abwicklung von Förderbeiträgen und kennt keine Projektbegleitung. • Der Kanton Luzern hat bislang rund 50 Mio. CHF Förderbeiträge ausbezahlt. Für die Fu- sionen in Sursee und Luzern rechnet der Kanton insgesamt mit 127 Mio. CHF. Für mo- mentan ca. 5 laufende Projekte mit ca. 15 Gemeinden stehen beim Amt für Gemeinden im Team Gemeindereform total 300 Stellenprozente zur Verfügung. • Der Kanton Graubünden hat bisher in rund vier Jahren ca. 30 Mio. CHF ausbezahlt. Im laufenden Jahr stehen 10 Mio. CHF zur Verfügung.

81 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass ein Teil der Beiträge der anderen Kantone zur Kompensation von Finanz- ausgleichs-Ausfällen entrichtet werden, die im Kanton Bern in den meisten Fällen viel geringer oder gar nicht auf- treten.

88 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

b) Negative Anreize

Neben positiven Anreizen können auch negative Anreize – bspw. in Form von Beitragskür- zungen – eingesetzt werden, um Fusionen durch Ausübung von Druck auf die Gemeinden zu fördern. Zwei Kantone kennen Beitragskürzungen: • Im Kanton Wallis beispielsweise kann einer Gemeinde der Beitrag aus dem Finanzaus- gleich vorenthalten werden, falls sie sich einer Fusion widersetzt und ihren gesetzlichen Verpflichtungen offenkundig nicht mehr nachkommen kann.82 • Der Kanton St. Gallen hält im Gemeindegesetz fest, dass falls eine gebotene Zusammen- arbeit unterbleibt, die daraus resultierenden Mehraufwendungen im Finanzausgleich nicht berücksichtigt oder die Beiträge herabgesetzt werden.83

Derartige Beitragskürzungen oder andere negative Anreize wären auch im Kanton Bern denkbar und sind mit der Bestandesgarantie der Gemeinden gemäss Art. 108 Abs.3 der Kan- tonsverfassung vereinbar, solange die Existenz der Gemeinde nicht gefährdet oder zumin- dest ernsthaft bedroht wird.84

8.2 Zwangsfusionen: Die Regelung in anderen Kantonen im Überblick

Die Möglichkeit, Fusionen gegebenenfalls auch gegen den Willen der betroffenen Gemein- den anzuordnen, kennen die Kantone Aargau, Freiburg, Graubünden, Jura, Tessin, Wallis, Luzern, Glarus, St. Gallen und Thurgau. Tabelle 8-2 zeigt die spezifischen Regelungen der 10 Kantone, die diese Möglichkeit kennen. Die beiden am häufigsten genannten Gründe für die Anordnung einer Zwangsfusion sind: • Gefährdung der Aufgabenerfüllung (inkl. Besetzung der Ämter): AG, GR, SG, TI85, VS • Scheitern eines grösseren Fusionsprojektes am Nein einer einzigen oder weniger Ge- meinden: GR, GL, VS

Neben diesen beiden gibt es eine Reihe weiterer Gründe. Je offener formuliert sie sind, desto grösser ist der Spielraum des jeweiligen Kantons (vgl. bspw. TG):

82 Art. 134, Gemeindegesetz des Kantons Wallis vom 5. Februar 2004.

83 Art. 202bis, Gemeindegesetz des Kantons St. Gallen vom 23. August 1979, eingefügt durch das Gemeindeverei- nigungsgesetz vom 17. April 2007.

84 Jaag/Rüssli (2008), Rechtsgutachten zu Art. 108 der Verfassung des Kantons Bern.

85 Gründe, bei denen der Kantonsrat mit absoluter Mehrheit eine Fusion anordnen kann, sind (sinngemässe Über- setzung, vgl. Tabelle 8-2):

- wenn die finanzielle Situation die Weiterführung der Verwaltung nicht mehr erlaubt

- wenn das Mitmachen einer Gemeinde aus geografischen, planerischen, territorialen, wirtschaftlichen Gründen oder wegen der Funktionalität der Dienstleistungen und des Beitrags an personellen und finanziellen Ressourcen notwendig ist

- wenn die Bestellung der Organe oder die Erfüllung der Verwaltungsaufgaben dauerhaft unmöglich ist oder die Gemeindeorgane ihre Aufgaben nicht erfüllen.

89 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

• FR: wenn es die kommunalen, regionalen oder kantonalen Interessen erfordern • SG: wenn eine gebotene Vereinigung unterbleibt • TG: aus triftigen Gründen

In den meisten Fällen entscheidet über Zwangsfusionen das Kantonsparlament, ausser im Kanton Glarus, wo die Landsgemeinde auf Antrag einer der betroffenen Gemeinden oder des Landrates für diesen Beschluss zuständig ist. Im Kanton Tessin ist für einen derartigen Ent- scheid die absolute Mehrheit des Parlaments erforderlich. Im Kanton Freiburg besteht ein Umsetzungsprojekt, das den entsprechenden Verfassungsartikel konkretisieren soll.

Angewendet wurden Zwangsfusion bislang einzig in den Kanton Thurgau, Tessin und Wallis.

Im Kanton Bern sind derartige Regelungen mit der heutigen Kantonsverfassung nicht mög- lich. Die Bestandesgarantie gemäss Art. 108 Abs. 3 der Kantonsverfassung schützt die Ge- meinden vor Aufhebung und verbietet dem Kanton, Zwangsfusionen anzuordnen.86

86 Jaag/Rüssli (2008), Rechtsgutachten zu Art. 108 der Verfassung des Kantons Bern.

90 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

Tabelle 8-2: Gründe für die Anordnung einer Zwangsfusion

AG §104a Abs. 1, Gesetz über die Einwohnergemeinden vom 19. Dezember 1978: Der Grosse Rat kann mit einfachem Beschluss zwei Gemeinden zusammenschliessen, wenn der Entzug der Selbstverwaltung einer Gemeinde gemäss § 104 nicht geeignet ist, ihre gesetzmässige und geord- nete Verwaltung innert angemessener Frist wieder herzustellen. FR Art. 135 Abs. 4, Verfassung des Kantons Freiburg vom 16. Mai 2004 Wenn es die kommunalen, regionalen oder kantonalen Interessen erfordern, kann der Staat nach Anhörung der betroffenen Gemeinden die Fusion anordnen. GL Art. 118 Abs. 2, Verfassung des Kantons Glarus vom 1. Mai 1988: Kommt eine Einigung nicht zustande, kann die Landsgemeinde auf Antrag einer der betroffenen Ge- meinden oder des Landrates eine solche Änderung beschliessen. GR Art. 94 Abs. 1, Gemeindegesetz des Kantons Graubünden vom 7. Dezember 2005: Der Grosse Rat kann den Zusammenschluss einer Gemeinde mit einer oder mehreren Gemeinden verfü- gen, wenn – a) eine Gemeinde infolge ihrer geringen Einwohnerzahl und unzureichender personeller oder eigener finanzieller Kräfte (Ressourcen) dauernd ausserstande ist, den gesetzlichen Anforderungen zu ge- nügen und ihre Aufgaben zu erfüllen; – b) das Mitwirken ablehnender Gemeinden für die Abgrenzung und Aufgabenerfüllung einer neuen Gemeinde unentbehrlich ist, sofern eine Mehrheit der anderen betroffenen Gemeinden dem Zusammenschluss zugestimmt hat. JU Art. 136, Loi sur les communes vom 9. November 1978: Le Parlement édicte par voie de décret des dispositions complémentaires concernant : […] d) la fusion de communes et leur rattachement à d'autres communes. LU §10 Abs. 3, Verfassung des Kantons Luzern vom 17. Juni 2007: Auf Antrag einer betroffenen Gemeinde kann der Kantonsrat die Vereinigung oder die Aufteilung von Gemeinden beschliessen, sofern eine wirksame und wirtschaftliche Aufgabenerfüllung dies erfordert. Die betroffenen Gemeinden sind anzuhören. Der Beschluss unterliegt dem fakultativen Referendum. SG Art. 99 Abs. 2, Verfassung des Kantons St. Gallen vom 10. Juni 2001: Unterbleibt eine gebotene Vereinigung oder werden andere Gemeinden in der Aufgabenerfüllung erheblich behindert, kann es [das Gesetz] vorsehen, dass: – a) Mehraufwendungen im Finanzausgleich nicht berücksichtigt oder Beiträge herabgesetzt werden; – b) Gemeinden vereinigt werden. TG §58 Abs. 4, Verfassung des Kantons Thurgau vom 16. März 1987: Aus triftigen Gründen kann der Grosse Rat Änderungen in Bestand oder Gebiet politischer Gemeinden beschliessen, sofern mindestens die Hälfte der betroffenen Gemeinden zustimmt. TI Art. 9, Legge sulle aggregazioni e separazioni dei Comuni del 16 dicembre 2003: siehe Con il voto della maggioranza assoluta dei suoi membri, tenuto conto dell’esito della votazione consultiva Fuss- in tutto il comprensorio, il Gran Consiglio può decidere l’aggregazione anche quando i preavvisi assem- note bleari non sono favorevoli, in particolare: 85 – a) quando la pregiudicata struttura finanziaria e le limitate risorse economiche di un Comune non gli permettono più di conseguire il pareggio della gestione corrente; – b) se la partecipazione di un Comune alla costituzione di un nuovo Comune è necessaria per ragioni geografiche, pianificatorie, territoriali, di sviluppo economico, di funzionalità dei servizi e di apporto di risorse umane e finanziarie; – c) se perdura l’impossibilità di un Comune di costituire i suoi organi o di assicurare una normale amministrazione o quando gli organi comunali si sottraggono in modo deliberato ai loro doveri d’ufficio. VS Art. 135, Gemeindegesetz des Kantons Wallis vom 5. Februar 2004: Der Grosse Rat kann zwei oder mehrere Gemeinden zur Fusion zwingen, wenn eine der folgenden Vor- aussetzungen erfüllt ist: – a) wenn ein negativer Entscheid zu einem Fusionsprojekt ihren finanziellen Weiterbestand gefährdet; – b) wenn eine einzige Gemeinde das Hindernis zu einer Fusion darstellt, währenddem die angren- zenden Gemeinden bereits ihre Zustimmung zu einer bedeutenden Fusion gegeben haben; – c) wenn eine Gemeinde nicht mehr in der Lage ist, das Funktionieren der Institutionen zu gewähr- leisten, namentlich dann, wenn sie die freigewordenen Ämter aufgrund der beschränkten Einwohner- zahl nicht wiederbesetzen kann.

91 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

8.3 Katalog denkbarer Reformen im Kanton Bern – noch ohne Bewertung

In diesem Abschnitt wird vorerst ein Gesamtkatalog denkbarer Reformen präsentiert, wäh- rend eine Beurteilung erst im Abschnitt 8.4 erfolgt.

Die zu prüfenden Anpassungen sowie die neuen Massnahmen können zu 5 Themen grup- piert werden: a) Finanzielle Massnahmen b) Informations- und Beratungsleistungen c) Negative Anreize d) Zwangsmassnahmen e) Übergeordnete Massnahmen

a) Finanzielle Massnahmen • Anpassung bestehender Massnahmen: – Erhöhung der finanziellen Beiträge für Abklärungen und beim Zustandekommen von Fusionen – Kein Abzug der zur Vorbereitung ausbezahlten Zuschüsse bei der Finanzhilfe im Er- folgsfall – Längere oder höhere87 Kompensation für FILAG-Einbussen – Grösserer Multiplikator beim Zusammenschluss von mehreren Gemeinden – Mindestgrösse von 1'000 Einwohnern für Finanzhilfe durchsetzen – Strengere Bedingungen für finanzielle Beiträge (z.B. punkto Einwohnerzahl usw.) – Schrittweise Reduktion der Beiträge im Zeitverlauf, um Anreiz zu setzen, früher mit Abklärungen zu beginnen88 • Neue Massnahmen: – Befristeter Steuerfussausgleich – Entschuldung – Beiträge für fusionsbedingte Investitionen – Bezahlung externer Berater für die Prozessbegleitung – Spezielle Anreize für Fusionen von Zentrumsgemeinden

b) Informations- und Beratungsleistungen • Arbeitshilfen für Gemeinden in Fusionsprozessen:

87 In dem einen Fall der Gemeinde Wald, wo bereits Kompensationszahlungen geleistet wurden, wurden diese über die fünfjährige Geltungsdauer der Übergangszeit abgestuft: 2004 100%, 2005 100%, 2006 75%, 2007 50%, 2008 25%. Neben einer Verlängerung der Gesamtdauer sind auch höhere Prozentsätze als Massnahme denkbar.

88 Da das GFG gemäss Art. 12 nach zwölf Jahren ausser Kraft tritt, ist eine zeitliche Limitierung bereits gegeben.

92 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

– Katalog von häufig gestellten Fragen (mit Antworten) vor allem juristischer Art ("FAQ") – Hilfsmittel für finanzielle Abklärungen – Hilfsmittel zur Bereinigung komplexer Gemeindeverbands-Strukturen – Übersicht über zwingende übergeordnete Bestimmungen von Bund und Kanton – Unterstützung im Bereich Kommunikation: Checkliste, Liste mit guten Beispielen („Best practices“) • Überarbeitung der AGR-Website „Fusion“ – Benutzerfreundlichkeit durch thematische Gliederung erhöhen – Dokument „Checkliste für eine Fusion“ überarbeiten und vereinfachen – Separates Dokument „Nutzen von Fusionen“ erstellen – Kontaktpersonen nennen • Informationsveranstaltungen für Gemeindepolitiker/-innen • Beratungsleistungen AGR: – Zusätzliche Kapazitäten für die Beratung – Fach- und Prozessberatung resp. –begleitung anbieten • den Gemeinden mögliche sinnvolle Fusionen zur Prüfung vorschlagen • Grundlagen für die Meinungsbildung: – Benchmarking der Gemeinden bezüglich Leistungen, Qualität, Kosten usw. – Monitoring der Fusionsgemeinden resp. der Fusionseffekte und evtl. Vergleich mit nicht fusionierten Referenzgemeinden c) Negative Anreize • Mindestanforderungen in verschiedenen Sektoralpolitiken festlegen und konsequent durchsetzen • Kürzung der finanziellen Mittel für kleine Gemeinden d) Zwangsmassnahmen • Modifikation der Bestandesgarantie zur Diskussion stellen • Zwangsfusionen ermöglichen, – wenn mehr als zwei Gemeinden betroffen sind und die Mehrheit der anderen Gemein- den der Fusion zugestimmt hat – wenn eine Gemeinde keinen Partner findet – wenn die personellen und finanziellen Ressourcen längerfristig nicht ausreichen, um die Aufgaben zu erfüllen • Kantonale Fusionsplanung und Durchsetzung

93 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

e) Übergeordnete Massnahmen • AGR als zentrale Ansprechstelle der Gemeinden beim Kanton etablieren (auch betreffend Geschäften anderer Direktionen) • Genehmigungsverfahren für Fusionen beim Kanton vereinfachen • Gesetzestechnischer Nachvollzug von Fusionen vereinfachen • Geltungsdauer des GFG verkürzen oder verlängern • Interkantonalen Fusionskonsens anstreben mit dem Ziel, interkantonale Fusionen zu ver- einfachen

8.4 Bewertung und Empfehlungen

8.4.1 Bewertungsgrundlagen

Die Fülle an Vorschlägen gilt es nun einer Bewertung zu unterziehen. Als Input für diese Be- wertung dienen neben den Interviews mit Schlüsselpersonen ausgewählter Fusionsprojekte folgende zwei Workshops:89 • Die Begleitgruppe dieser Evaluation, die sich aus Vertretern der Gemeinden und der kan- tonalen Verwaltung sowie aus Experten aus Wissenschaft und Beratung zusammensetzt, hat sich am 1. Dezember 2008 sowohl zu von Ecoplan eingebrachten wie auch zu eige- nen Vorschlägen geäussert und diese einer Bewertung unterzogen. Die Ergebnisse des Workshops finden sich in Anhang 5. An einer weiteren Sitzung am 20. Januar 2009 hat die Begleitgruppe zur von Ecoplan vorgenommenen Auswertung Stellung genommen. • Anlässlich eines durch das AGR organisierten Workshops haben am 14. Januar 2009 Vertreter mehrerer Kantone ihre Erfahrungen mit Fördermassnahmen vorgestellt und in einer moderierten Diskussion ausgetauscht. Die Erkenntnisse sind ebenfalls in die Bewer- tung eingeflossen.

Bei der Beurteilung ist zu trennen zwischen der Wirksamkeit (bezüglich Fusionsförderung) und der Wünschbarkeit: • Einen statistisch nachweisbaren fördernden Einfluss auf Fusionen haben die gewährte kantonale finanzielle Unterstützung, die Bereitstellung von Arbeitshilfen und zur Verfü- gung gestellte Beratungsleistungen.90 Insofern ist von drei der fünf oben umrissenen Massnahmebereichen grundsätzlich eine positive Wirkung zu erwarten. In allen diesen drei Bereichen kennt der Kanton Bern aber bereits heute verschiedene Fördermassnah- men. Es stellt sich somit die Frage, inwiefern zusätzliche Angebote auch tatsächlich einen Zusatznutzen schaffen.

89 Die abschliessende Bewertung der Autoren ist jedoch unabhängig und kann insofern durchaus von den an den Workshops geäusserten Einschätzungen abweichen.

90 Steiner/Reist (2008), Gemeindefusionen liegen bei Kantonen im Trend.

94 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

• Ob die Massnahmen (unter Berücksichtigung der Kosten, allfälliger Nebenwirkungen und der ordnungspolitischen Präferenzen) wünschbar sind, ist eine andere Frage. Bei der Be- urteilung an den Workshops sind beide Gesichtspunkte eingeflossen.

8.4.2 Bewertungskriterien

Der Massnahmenkatalog in Abschnitt 8.3 wird untenstehend einer groben Bewertung hin- sichtlich der Kriterien Wirkung, Kosten, Vollzug, Eingriffsintensität und Gleichbehandlung unterzogen. Die folgende Tabelle enthält ausformulierte Erklärungen zu den Ausprägungen der Bewertungskriterien.

Positive (wünschenswerte) Effekte wurden durchwegs mit "+" bezeichnet, so dass z.B. tiefe Kosten ein "+" ergibt.

Tabelle 8-3: Ausprägungen der Bewertungskriterien

leer - + Wirkung Wirkung nicht Besonders geringe Besonders grosse wir erachten alle Massnahmen als wirksam besonders ausge- Wirkung Wirkung (= fusionsfördernd), daher wurden nur jene prägt mit "+" bezeichnet, die eine besonders grosse Wirkung erwarten lassen Kosten (für den Kanton) Hohe Kosten Tiefe Kosten / Einsparung Vollzug Schwieriger Voll- Einfacher Vollzug zug Eingriffsintensität (für die Ge- Grosser Eingriff Geringer Eingriff meinden) Gleichbehandlung Keine Auswirkung Stärkere Un- Stärkere Gleich- eine Ungleichbehandlung kann z.B. ent- gleichbehandlung behandlung stehen, wenn frisch fusionierte Gemeinden beim Finanzausgleich besser gestellt werden als jene, die schon immer inner- halb einer Gemeinde auch finanzschwache Teilgebiete mitgetragen haben

8.4.3 Empfehlungen Ecoplan

Strategische Ausrichtung

Eine Grundsatzempfehlung betrifft die strategische Schwerpunktsetzung in der Fusions- förderung: Im Fokus der kantonalen Förderungspolitik sollten nicht primär - wie im Vortrag zum GFG vorgesehen – Fusionen von Kleinstgemeinden stehen. Förderungswürdig sind vielmehr alle jene Fusionen, die langfristig strategische Nutzen- und Entwicklungspoten- ziale bieten. Die Evaluation hat gezeigt, dass Fusionen von Kleinstgemeinden zu Kleinge- meinden für die Gemeinden verhältnismässig wenig Nutzen (bei teilweise beträchtlichem

95 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

Aufwand) schaffen. Das heisst nicht, dass sich solche Fusionen nicht lohnen würden und nicht zu spürbaren Entlastungen (bspw. bei der Ämterbesetzung) führen können. Tendenziell weisen Fusionen in einem grösseren Perimeter und damit oft auch von einer grösseren Zahl von Gemeinden sowie auch von Umland- und Zentrumsgemeinden jedoch ein grösseres Nutzenpotenzial auf. Auch für den Kanton sind grössere Fusionen vorteilhafter: • Die kantonale Verwaltung erwartet von Gemeindefusionen vor allem eine Steigerung der Professionalität. Ein qualitativer Sprung ist hier jedoch erst ab einer gewissen Grösse be- merkbar. • Auch für eine aus übergeordneter Sicht sinnvolle Raumentwicklung bieten grössere Ge- bilde mehr Potenzial als kleine.

Der Kanton sollte deshalb insbesondere im Rahmen seiner Beratungs- und Aufsichtstätigkeit aktiver auf grössere Fusionen – sei es in Form von Anschlüssen oder Zusammenschlüssen – hinwirken. Dass gerade auch Fusionen von Zentrumsgemeinden ein besonders grosses Entwicklungspotenzial bieten, ist aufgrund der ausgeprägten Abhängigkeiten in ihren Prob- lemstellungen selbstredend. a) Finanzielle Massnahmen

Das bestehende System von finanziellen Anreizen ist im Kanton Bern relativ umfassend, jedoch eher bescheiden dotiert wie der interkantonale Vergleich zeigt. Die zahlreichen lau- fenden Abklärungsprojekte lassen darauf schliessen, dass die Anreizwirkung des Beitrags- systems funktioniert und dass es überdies bei den Gemeinden gut bekannt ist. Da die im Rahmen dieser Evaluation geführten Interviews nicht darauf hindeuten, dass ein erfolgreicher Abschluss von Fusionsprojekten entscheidend durch (höhere) finanzielle Beiträge abgesi- chert werden kann, drängen sich zusätzliche finanzielle Massnahmen nicht auf. Auch die Begleitgruppe hat sich nicht für einen Ausbau ausgesprochen. Aufgrund der Evaluation und des Workshops mit Kantonsvertretern dürfte sich nur mit beträchtlich grösseren Beiträgen eine Beschleunigung des Prozesses erzielen lassen, wie das Beispiel des Kantons St. Gallen zeigt, wo rund 30 Mio. CHF pro Jahr zur Verfügung stehen.

Wir empfehlen jedoch vielmehr, das bestehende System gezielt zu optimieren. Dabei sollte das Anreizsystem weiterhin – wie im Vortrag zum Gesetz festgehalten – einfach nachvoll- ziehbar bleiben. Es ist auch zu vermeiden, dass in den laufenden Projekten Verunsicherung entsteht und erneut Aufklärungsarbeit zum Gesetz geleistet werden muss. Deshalb werden nur wenige Anpassungen zur Umsetzung empfohlen: • Streichung von Art. 4 Abs. 2: Der Abzug der zur Vorbereitung ausbezahlten Zuschüsse bei der Finanzhilfe im Erfolgsfall ist nicht gerecht, weil es sich bei den gescheiterten Fusi- onen um A-Fonds-perdu-Beiträge handelt. • Streichung bzw. Ersatz von Art. 3 Abs. 2 (Ausnahmeregel für Fusionsgemeinden mit we- niger als 1'000 Einwohnern): Wie die Evaluation gezeigt hat, bringen Fusionen von Kleinstgemeinden zu Kleingemeinden tendenziell weniger Nutzen. Wenn es das Ziel des Kantons ist, mit Fusionen die Leistungsfähigkeit der Gemeinden zu stärken, sollte er Fu- sionen selektiver und strategischer fördern. Interessant sind dabei Grossfusionen von

96 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

mehreren Gemeinden und Fusionen, bei denen (regionale) Zentren durch Anschlüsse umliegender Gemeinden gestärkt werden. Von den bisher neun zustande gekommenen Fusionen haben zwei von der Ausnahmeregelung in Abs. 2 profitiert. Bisher wurde kein Beitragsgesuch abgelehnt, das sich auf die Ausnahmeregel bezog. Bei einer solchen Pra- xis stellt sich die Frage, ob die vom Gesetzgeber bewusst vorgesehene Restriktion von den Gemeinden überhaupt noch als solche wahrgenommen wird. Heimenhausen und Forst-Längenbühl sind Fusionsgemeinden, die von Abs. 2 profitiert haben. Letztere Ge- meinde ist bereits wieder in Fusionsabklärungen im Amt Thun-West involviert. Bei Hei- menhausen stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, Abklärungen mit Herzogenbuchsee aufzunehmen. Selbstverständlich können auch kleine Schritte zum Ziel führen und dies soll den Ge- meinden weiterhin freigestellt sein. Wir empfehlen dem Kanton jedoch, die Gemeinden vermehrt auf die Zukunftsfähigkeit und das längerfristige Potenzial von Fusionsprojekten hinzuweisen und plädieren für die Streichung von Art. 3 Abs. 2. Stattdessen soll eine ge- nerelle Ausnahmeklausel geschaffen werden, die dem Regierungsrat die Kompetenz für besondere Unterstützungs- und Ausgleichsmassnahmen bei ausserordentlichen Gründen zuspricht (darauf könnten besondere Massnahmen abgestützt werden wie z.B. für Exkla- ven, Abklärungen für kantonsübergreifende Fusionen und auch Ausgleichsleistungen für Gemeinden, die eine besonders finanzschwache Gemeinde "übernehmen"). • Längere Kompensation für FILAG-Einbussen: Wie auch aus der Tabelle in Anhang 4 her- vorgeht, sind die FILAG-Einbussen in einigen Fällen ein Hindernis. Insofern halten wir ei- ne moderate Verlängerung der Kompensationsfrist durchaus für wirksam, obwohl dadurch die Ungerechtigkeit gegenüber bereits grossen Gemeinden verstärkt wird.

Die Tabelle 8-4 enthält eine Bewertung aller Vorschläge zu den finanziellen Massnahmen hinsichtlich der Kriterien Wirksamkeit, Kostenintensität, Vollzug, Eingriffsintensität und Gleichbehandlung sowie in der letzten Spalte die Empfehlung von Ecoplan.

97 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

Tabelle 8-4: Ecoplan-Bewertung: Finanzielle Massnahmen

Finanzielle Massnahmen g Empfehlung un s- f - dl g n h u e rif ung z nsität g han n

Wirk Kost Voll Ei inte Gleic be ja nein Anpassung bestehender Massnahmen: Erhöhung der finanziellen Beiträge -++ Kein Abzug des Vorbereitungszuschusses bei der Finanzhilfe im Erfolgsfall -+++ Längere Kompensation für FILAG-Einbussen -++- Grösserer Multiplikator beim Zusammenschluss von mehreren Gemeinden -++- Mindestgrösse von 1'000 Einwohnern für Finanzhilfe durchsetzen +++ - Strengere Bedingungen für finanzielle Beiträge +++ Reduktion der Beiträge im Zeitverlauf +-+- Neue Massnahmen: Befristeter Steuerfussausgleich -- - Entschuldung ---- Beiträge für fusionsbedingte Investitionen -- - Bezahlung externer Berater für die Prozessbegleitung -+ Spezielle Anreize für Fusionen von Zentrumsgemeinden -+ - Legende: Vgl. Tabelle 8-3

b) Informations- und Beratungsleistungen

Aktuell ist das vorhandene Informationsmaterial des Kantons auf der Website des AGR unter „Gemeindereformen GEREF“ in der Rubrik „Fusion“ zu finden. Die Website ist über eine Suchmaschine gut auffindbar (bspw. mit den Stichworten „Fusion“ und „Kanton Bern“). Für die Kommunikation würde sich eine einschlägige Website-Adresse (z. B. gemeindefusion- be.ch), von welcher der Benutzer dann automatisch auf die AGR-interne Website weitergelei- tet wird, aber wohl besser eignen. Die AGR-Website „Fusion“ kann mit wenig Aufwand be- nutzerfreundlicher – z. B. mit einer thematischen Gliederung – und (zweitrangig) optisch ansprechender gestaltet werden.

Inhaltlich empfehlen sich folgende Anpassungen des Informationsportals: • Das bereits gute Angebot auf der Website des AGR kann sicherlich mit zusätzlichen Arbeitshilfen bestückt werden. Wir unterstützen die Vorschläge in Abschnitt 8.3b). Einzig den Support des AGR im Bereich der Kommunikation empfehlen wir nur bedingt. Die Mit- arbeitenden des AGR sollen selbstverständlich ihr Erfahrungswissen nutzbar machen. Es kann aus unserer Sicht jedoch nicht Aufgabe des AGR (anstelle von externen Beratern) Kommunikationskonzepte auszuarbeiten. • Als Hilfsmittel für finanzielle Abklärungen empfehlen wir die Einrichtung eines Web- Formulars, mit welchem direkt bei der Finanzverwaltung die Berechnung möglicher FI- LAG-Auswirkungen bestellt werden kann. • Darüber hinaus sollte die „Checkliste für eine Fusion“ überarbeitet und gezielt verein- facht werden. Die Gemeinden werden durch die Auflistung derart vieler zu prüfender Auswirkungen richtiggehend animiert, sich in Details zu verbeissen. Es wäre wohl dienli- cher, wenn der Kanton aufgrund der Erfahrungen bisheriger Fusionen eine Priorisierung

98 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

vornimmt und insbesondere auch aufzeigt, wo vertiefte Abklärungen nicht primär nötig sind. • Die möglichen Nutzen von Fusionen (jetzt unter dem Titel „Die möglichen Vor- und Nachteile?“ Teil der Checkliste) sollten in einem separaten Dokument – unterlegt mit Bei- spielen – aufbereitet werden. Darin sollte auch ein Abschnitt über die Nutzen für den Kanton – als Gesamtes sowie als Verwaltungsinstitution – nicht fehlen. • Die namentliche Nennung von Kontaktpersonen beim Kanton würde die Kundenfreund- lichkeit stärken.

Als Teil der Informationsleistungen halten wir es trotz der bereits heute guten Bekanntheit für sinnvoll, dass den Gemeindepolitiker/innen auf separaten Tagungen oder im Rahmen ande- rer Veranstaltungen, an denen sie zusammentreffen, das Angebot an Fördermassnahmen des Kantons vorgestellt wird und dabei auch auf die zeitliche Limitierung der Beitragszahlun- gen hingewiesen wird. Während der Laufzeit des GFG (bis 2017) werden Behörden ja noch mehrmals neu besetzt, deshalb ist die Informationsarbeit nicht zu vernachlässigen.

Im Bereich der Beratung halten wir es aufgrund der Befragungsergebnisse für sinnvoll, zu- sätzliche Kapazitäten zu schaffen. Diese Forderung wird auch von der Begleitgruppe geteilt. Sämtliche Fusionsprojekte im Kanton sollten – sofern sie der kantonalen Strategie entspre- chen – auf Anfrage durch eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter des AGR begleitet werden können. Die Moderatorenrolle, die der Kanton gerade im Anfangsstadium übernehmen kann, erscheint uns für alle Beteiligten vorteilhaft. Der Kanton hat dabei die Chance, seine Sicht eines sinnvollen Perimeters von Beginn an einzubringen. Wir empfehlen jedoch nicht, dass das AGR die bislang meist von externen Beratern wahrgenommene Prozessberatung und –begleitung vollständig ersetzt. Einerseits würde dies vermutlich zu Rollenkonflikten füh- ren, andererseits halten wir es nicht für zweckmässig, Leistungen, die der Markt anbietet, durch staatliche zu ersetzen.

Neben diesen Beratungsleistungen auf Anfrage ist aus unserer Sicht aber auch vorstellbar, dass der Kanton im Rahmen der Wahrnehmung seiner Aufsichtspflicht Gemeinden gezielt auf mögliche vorteilhafte Zusammenschlüsse hinweist. Diese Initiatorenrolle sollten die Angestellten der Kantonsverwaltung in ihrer alltäglichen Zusammenarbeit mit den Gemein- den wahrnehmen: statt in Form eines offiziellen Prüfungsauftrages sollten allfällige Ideen im direkten Gespräch mit Gemeindevertretern eingebracht und diskutiert werden. Dies erfordert jedoch eine Bewusstseinsoffensive bei den AGR-Mitarbeitenden.

Neben dem kurzfristig zu realisierenden Angebotsausbau, wie er oben skizziert ist, wäre es nützlich, ein Benchmarking für die Kosten und Leistungen der Gemeinden zur Verfügung zu haben. Wir sind uns bewusst, dass dies nicht einfach ist, insbesondere weil die Verbu- chungspraxis und der unterschiedliche Grad der Aufgabenauslagerung einen Vergleich von Finanzdaten schwierig machen. Es gibt aber auch vielversprechende Ansätze,91 bei denen

91 Vgl. Strukturberichterstattung des SECO von 2008 zum Thema Benchmarking, u.a. Ecoplan (2008), Benchmar- king: Beispiel öffentlicher Regionalverkehr.

99 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

verschiedene kostentreibende Faktoren wie z.B. Topografie einbezogen werden, so dass wir es für lohnend halten, die Möglichkeiten noch besser auszuloten. Das Benchmarking könnte sich – als grobe, ergänzende Orientierungshilfe insbesondere für die Gemeinden selbst – sowohl auf die Verwaltungskosten pro Kopf wie auch auf die Gesamtkosten pro Kopf bezie- hen: Gemeinden, die in diesen Kennzahlen hohe Kosten aufweisen, hätten einen Anstoss, die Gründe vertieft abzuklären und zur Effizienzsteigerung allenfalls auch über Fusionen nachzudenken. Ein solches Benchmarking wird aber aufgrund der bisherigen Erfahrungen (Gemeinde-Überprüfungen bezüglich Wirtschaftlichkeit durch AGR/Finanzverwaltung) sicher- lich nicht eine Grundlage sein können, um eine "Nichterfüllung der Aufgaben" festzustellen; dies muss auf völlig anderem Weg erfolgen. Ebenso kann es einen konkreten Vergleich zwi- schen Gemeinden, die über eine Fusion nachdenken, nicht ersetzen, sondern allenfalls er- gänzen.

Für unverzichtbar halten wir ein systematisches Monitoring der Fusionsgemeinden: mit einem einfachen Raster sollen sämtliche Fusionsgemeinden ab Inkrafttreten der Fusion jähr- lich befragt werden, um insbesondere auch die längerfristigen Effekte von Fusionen besser einordnen zu können.

Siehe auch FILAG-Materialienband A7: Ecoplan (2007), Kostentreibende Faktoren und neue Lastenausgleichs- modelle sowie FILAG-Materialienband B1: Ecoplan (2008), Grundlagen für Modelle mit Schullasten-Indizes im Lastenverteiler Lehrergehälter.

100 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

Tabelle 8-5: Ecoplan-Bewertung: Informations- und Beratungsleistungen

Informations- und Beratungsleistungen Empfehlung - lung ät g - it ffs i h nd ug s r un c n i k g sten llz e e t eha

Wir Ko Vo Ein in Gl b ja nein Zusätzliche Arbeitshilfen für Gemeinden in Fusionsprozessen: +++ "FAQ"-Katalog (vor allem juristischer Art) zur Bereinigung komplexer Gemeindeverbands-Strukturen zu zwingenden übergeordneten Bestimmungen von Bund und Kanton im Bereich Kommunikation bed. für finanzielle Abklärungen: Web-Formular Überarbeitung AGR-Website "Fusion": +++ Benutzerfreundlichkeit durch thematische Gliederung erhöhen Überarbeitung "Checkliste für eine Fusion" separates Dokument "Nutzen von Fusionen" erstellen Kontaktpersonen nennen Informationsveranstaltungen für Gemeindepolitiker/-innen +++ Beratungsleistungen AGR: Zusätzliche Kapazitäten für die Beratung +-+++ Fach- und Prozessberatung resp. –begleitung anbieten -++ bed. Vorschlagen von möglichen sinnvollen Fusionen (Initiatorenrolle) +++ Grundlagen für die Meinungsbildung: Monitoring der Fusionsgemeinden resp. der Fusionseffekte +++ Legende: Vgl. Tabelle 8-3; bed. = Bedingte Empfehlung c) Negative Anreize

Wir sind überzeugt, dass Mindestanforderungen in verschiedenen Sektoralpolitiken ein wirk- sames und wichtiges Instrument sind, um den Gemeinden deutlich zu machen, welcher Leis- tungsstandard von ihnen verlangt wird. Nur mit klaren und unmissverständlichen Mindest- standards kann den Gemeinden nötigenfalls aufgezeigt werden, inwiefern sie ihrer Aufgabe nicht nachkommen. Bis heute fehlt jedoch die Festlegung von Mindeststandards in vielen Spezialgesetzgebungen. Hier ist der Kanton gefordert, jedoch ist es nicht sinnvoll, solche Standards generell festzulegen, sondern sie müssen für die konkreten Politikbereiche (Sozi- alhilfe, Vormundschaft, Schule) in den jeweiligen Gesetzgebungen diskutiert und festgelegt werden, insbesondere bei den Verbundaufgaben. Ihre Wirkung als negative Anreize für Ge- meindefusionen entfalten Mindestanforderungen nur, wenn sie – wenn einmal definiert – konsequent durchgesetzt werden und wenn die Gemeinden im Falle der Nichterfüllung Kon- sequenzen zu tragen haben. Dieses Anliegen hat auch die Begleitgruppe deutlich befürwor- tet. Es darf nicht sein, dass der Kanton durch seine Unterstützungsbemühungen das Nicht- vermögen der Gemeinden längerfristig kompensiert. Vielmehr soll der Kanton in solchen Fällen die Möglichkeit haben, wiederum funktionsfähige Gemeindestrukturen zu schaffen, allenfalls mit der Anwendung von Zwangsmassnahmen.

Eine pauschale Kürzung der FILAG-Beiträge an kleine Gemeinden halten wir für eine schlechte Massnahme. Kleinheit ist nicht per se schlecht und soll nicht als Kriterium für eine Beitragskürzung dienen: Der Finanzausgleich ist dazu da, die Unterschiede zwischen finanz- schwachen und finanzstarken Gemeinden abzubauen. Die Steuerkraft einer Gemeinde hat

101 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

prinzipiell nichts mit ihrer Grösse zu tun. Grundsätzlich sollte mit dem gleichen Instrument nicht versucht werden, unterschiedliche Ziele zu erreichen. Denkbar wäre hingegen, Finanz- ausgleichszahlungen zu kürzen, wenn eine Fusion nicht geprüft oder abgelehnt wird, obwohl die finanzielle Leistungsfähigkeit einer Gemeinde dadurch hätte spürbar verbessert werden können. Im Rahmen der Reformen des FILAG (FILAG 2012) wäre dies ein zusätzlicher Tat- bestand, bei dessen Vorliegen der Regierungsrat die Kompetenz erhalten könnte, gestützt auf die finanziellen Verhältnisse92 einer Gemeinde kantonale Zuschüsse im Finanzausgleich (Mindestausstattung, Massnahmen für besonders belastete Gemeinden) ganz oder teilweise zu verweigern.93

Tabelle 8-6: Ecoplan-Bewertung: Negative Anreize

Negative Anreize g Empfehlung - ät s g t - f i n n f i h ndlun e u r t ns k g ha e t n

Wir Kos Vollzug Ein i Gleic be ja nein Mindestanforderungen in verschiedenen Sektoralpolitiken festlegen und konsequent durchsetzen +-- Kürzung der finanziellen Mittel für kleine Gemeinden + + - - - Legende: Vgl. Tabelle 8-3 d) Zwangsmassnahmen

Mit dem Votum für die weiter oben skizzierte dialogische Initiatorenrolle des Kantons distan- zieren wir uns von der Idee einer Top-down-Fusionsplanung. Wir halten sie zumindest im gegenwärtigen Umfeld für kontraproduktiv, weil sie unnötig Widerstände provoziert, deren Überwindung viele Ressourcen kosten würde. Dieser Aufwand würde sich kaum lohnen, weil Fusionen nicht per se flächendeckend Nutzen generieren.

Hingegen halten wir eine massvolle Lockerung der Bestandesgarantie für notwendig, wenn es dem Kanton mit seiner Förderungspolitik für Gemeindefusionen ernst ist. Es kann nicht sein, dass jahrlange Abklärungen zwischen mehreren Gemeinden am Ende am knappen Mehr in einer einzigen Gemeinde scheitern können. Auch wenn in einer Gemeinde die per- sonellen und finanziellen Ressourcen längerfristig nicht ausreichen, um die Aufgaben zu erfüllen, muss der Kanton die Möglichkeit haben, dieses Problem durch die Anordnung einer Fusion zu lösen. In der Regel suchen solche Gemeinden ja nach Lösungen bevor es soweit kommt. Wenn es dann aber so schlecht um sie steht, dass sich kein Partner mehr freiwillig ihnen annimmt, sollte der Kanton einen Zusammenschluss anordnen dürfen. Dabei sind selbstverständlich die betroffenen Gemeinden vorgängig anzuhören und es ist vorstellbar,

92 Kriterien können u.a. sein: Steueranlage, Eigenkapital, Ertragslage, spezielle Einnahmequellen ausserhalb der Steuererträge, Selbstfinanzierung, Spezialfinanzierungen usw.

93 Vgl. Regierungsrat (2008), Optimierung der Aufgabenteilung und des Finanz- und Lastenausgleichs im Kanton Bern (FILAG 2012), Leitsätze 2 und 4.

102 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

dass in einem solchen Ausnahmefall der Grosse Rat über einen finanziellen Sonderbeitrag befindet. Auch die Begleitgruppe ist der Ansicht, dass die Modifikation der Bestandesgarantie in Angriff zu nehmen sei.

Tabelle 8-7: Ecoplan-Bewertung: Zwangsmassnahmen

Zwangsmassnahmen g Empfehlung - ät g t g ffs i ndlun u en un r ch- t i k g ha e tensi n

Wir Kos Vollz Ein i Gl be ja nein Modifikation der Bestandesgarantie zur Diskussion stellen + + - Zwangsfusionen unter bestimmten Bedingungen ermöglichen + + - - Kantonale Fusionsplanung + - - Legende: Vgl. Tabelle 8-3

Haltung des Grossen Rates

In der FILAG-Debatte vom Januar 2009 hat sich der Grosse Rat auch zum Leitsatz 17 "Ge- meindestrukturen" geäussert. Der Regierungsrat hatte zwei Varianten vorgeschlagen, und der Grosse Rat hat sich deutlich für die Variante B ausgesprochen.

Der Leitsatz 17 im Bericht des Regierungsrates lautet:

Die strukturerhaltende Wirkung des FILAG ist Teil der Zielsetzung des Finanzausgleichs und soll nicht beseitigt werden. Hingegen werden die negativen Nebeneffekte vermindert, indem die Mindestausstattung sowie der geografisch-topografische Lastenausgleich nicht mehr an eine hohe Steueranlage gekoppelt wird.

Der Regierungsrat kann aber diese Zuschüsse unter genau zu definierenden Bedingungen ganz oder teilweise verweigern, wenn sich dies aufgrund der finanziellen Verhältnisse einer Gemeinde rechtfertigt. Demgegenüber soll auf die bisherige Sanktionsmöglichkeit des Regie- rungsrates verzichtet werden, wonach Zuschüsse ganz oder teilweise verweigert werden können, wenn eine Gemeinde ihre Aufgaben nicht wirtschaftlich und sparsam erfüllt.

Zur Verminderung der fusionshemmenden Wirkung werden die Übergangszahlungen von heute fünf auf zehn Jahre verlängert, welche fusionsbedingte Verluste bei Finanzausgleichs- leistungen abfedern.

Eine allfällige Erhöhung der Obergrenze für Beiträge an Fusionsprojekte wird ausserhalb des FILAG im Rahmen der Evaluation des Gemeindefusionsgesetzes geprüft.

Zur Bestandesgarantie legt der Regierungsrat zwei Varianten vor: • Bestandesgarantie - Variante A: Hinsichtlich Gemeindefusionen ist der eingeschlagene Weg weiter führen. Eine Modifikation der Bestandesgarantie der Gemeinden gemäss Art. 108 der Kantonsverfassung steht zurzeit nicht zur Diskussion. • Bestandesgarantie - Variante B: Hinsichtlich Gemeindefusionen wird im Rahmen der be- vorstehenden Wirkungs- und Erfolgskontrolle des Gemeindefusionsgesetzes eine Modifi-

103 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

kation von Art. 108 der Kantonsverfassung geprüft, welche es dem Kanton ermöglicht, ak- tiv Gemeindefusionen anzustossen und allenfalls durchzusetzen. Die entsprechenden Kri- terien und rechtlichen Voraussetzungen sind gegebenenfalls durch eine Ergänzung der Kantonsverfassung festzulegen. Ein solches Vorhaben wird aber ausserhalb des Projek- tes FILAG 2012 bearbeitet.

Die Planungserklärung des Grossen Rates, der mit 109 gegen 37 Stimmen bei 4 Enthaltun- gen zugestimmt wurde, lautet:

Die Variante B ist weiterzuverfolgen, wobei insbesondere sicherzustellen ist, dass

1. der Grosse Rat bei Fusionsprojekten mit mehr als zwei Gemeinden die Fusion auch ge- gen den Willen einzelner Gemeinden anordnen kann, wenn die Mehrheit der Gemeinden und der Stimmberechtigten zustimmt, 2. der Grosse Rat Fusionen anordnen kann, wenn eine Gemeinde allein nicht überlebens- fähig ist und 3. Finanzausgleichszahlungen gekürzt oder gestrichen werden können, wenn eine Fusion nicht geprüft oder abgelehnt wird, obwohl die finanzielle Leistungsfähigkeit einer Ge- meinde dadurch hätte spürbar verbessert werden können.

Kommentar Ecoplan • Zur Prüfung der Erhöhung der Obergrenze für Beiträge an Fusionsprojekte Ecoplan erachtet Erhöhungen der finanziellen Unterstützung aufgrund der geführten In- terviews mit Schlüsselpersonen aus Fusionsprojekten als nicht zweckmässig, weil die Hö- he der Beiträge für den Erfolg eines Fusionsprojektes nicht entscheidend ist und die be- fragten Gemeindevertreter/innen die Beiträge als genügend erachten. • Zur Bestandesgarantie Die Evaluation hat gezeigt, dass die Variante B und die vom Grossen Rat vorgenomme- nen Präzisierungen (Punkte 1 und 2) für die Fusionsförderung wirksam sein können, wo- bei die Opportunität von Zwangsfusionen letztlich eine politische Beurteilung bleibt. Mit dem Punkt 2 könnte auch der Fall abgedeckt werden, dass eine sehr finanzschwache und nicht allein lebensfähige Gemeinde keine Partnergemeinde findet. In diesem Fall müsste geprüft werden, ob die "übernehmende" Gemeinde für ihre Solidarität entschädigt werden sollte. Der Vorschlag gemäss Punkt 3 der Planungserklärung dürfte in der Umsetzung schwierig sein, weil bereits bei vollzogenen Fusionen die Einsparungen oft schwer zu beziffern sind und dies für Beurteilungen im Voraus naturgemäss noch mehr zutrifft. Zudem sind die Fi- nanzausgleichsleistungen nicht von den Kosten der Gemeinden abhängig und werden daher durch Einsparungen auch nicht vermindert; durch Fusionen ändern sich die struktu- rellen Voraussetzungen einer Gemeinde (Steuersubstrat, topografische Lage) in aller Re- gel nicht. Im Sinne einer präventiven Bestimmung und für sehr deutliche Fälle könnte aber damit ein Zeichen gesetzt werden.

104 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

e) Übergeordnete Massnahmen

Im Sinne einer dienstleistungsorientierten Verwaltung unterstützen wir die Idee, in der Abtei- lung Gemeinden des AGR einen sogenannten One-Stop-Shop für alle Anliegen der Ge- meinden im Zusammenhang mit Fusionen einzurichten. Im Kanton Solothurn ist dafür eine „Koordinationsstelle Gemeindefusionen“ geschaffen worden. Eine solche Koordinationsstelle sollte berechtigt sein, für die Gemeinden – auch bei anderen Direktionen – Abklärungen vor- zunehmen bzw. notwendige Schritte einzuleiten.

Wir sind der Meinung, dass es sinnvoll wäre, das Genehmigungsverfahren für Fusionen beim Kanton zu vereinfachen. Im Kanton St. Gallen genehmigt das zuständige Departement den Vereinigungsbeschluss.94 Im Kanton Graubünden beschliesst die Regierung die Geneh- migung.95 Es ist vorstellbar, dass auch im Kanton Bern Fusionen künftig abschliessend von der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion oder dem Regierungsrat genehmigt werden könnten, wobei für gewisse definierte Fälle ein Entscheid des Grossen Rates oder ein Refe- rendum vorgesehen werden könnte. Eine derartige Anpassung würde jedoch eine Verfas- sungsänderung (Art. 108) erfordern und wäre in der Ausgestaltung genauer zu prüfen, wohl am besten gleichzeitig mit der Konkretisierung der Lockerung der Bestandesgarantie.

Auch der gesetzestechnische Nachvollzug von Fusionen sollte durch eine entsprechende Kompetenzdelegation an die JGK erleichtert werden.

Eine Verkürzung der Laufzeit des GFG ist aus heutiger Sicht nicht empfehlenswert. Das Ge- setz hat eine gewisse Zeit gebraucht, um seine Wirkung zu entfalten. Die Terminierung 2017 ist genügend früh, um einen gewissen Zeitdruck im Reformprozess zu erzeugen. Eine Ver- längerung des Gesetzes zu beantragen, wäre jedoch aus heutiger Sicht kontraproduktiv, weil sich damit der Druck und der Anreiz für die Gemeinden vermindern würde, bald Lösungen zu suchen Im Sinne einer Informationsoffensive könnte aber in nächster Zeit vermehrt auf die Befristung hingewiesen werden, um die Bemühungen der Gemeinden etwas zu beschleuni- gen.

Wir schliessen uns der Einschätzung der Begleitgruppe an, dass der Kanton Bern sich auf Bundesebene aktiv für eine Regelung von interkantonalen Fusionen einsetzen soll.

94 Gemeindevereinigungsgesetz des Kantons St. Gallen, Art. 6

95 Gemeindegesetz des Kantons Graubünden, Art. 91 Abs. 2

105 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

Tabelle 8-8: Ecoplan-Bewertung: Übergeordnete Massnahmen

Übergeordnete Massnahmen Empfehlung s- - dlung ität n ff i h s r ung c i k g ste r han i

W Ko Vollzug Ein inten Gle be ja nein AGR als zentrale Ansprechstelle der Gemeinden beim Kanton - +/- + Genehmigungsverfahren und gesetzestechn. Nachvollzug vereinfachen + + + Geltungsdauer des GFG verlängern bzw. verkürzen - + + Interkantonalen Fusionskonsens anstreben + + Legende: Vgl. Tabelle 8-3 f) Fazit

Abschliessend empfiehlt Ecoplan • eine neue strategische Schwerpunktsetzung in der Fusionsförderung: der Kanton soll vermehrt aktiv auf Fusionen in einem grösseren Perimeter, mit einer grösseren Zahl von Gemeinden sowie auch von Umland- und Zentrumsgemeinden hinwirken, statt wie im Vortrag zum GFG vorgesehen insbesondere Fusionen von Kleinstgemeinden zu fördern • verschiedene zusätzliche und optimierte Fördermassnahmen gemäss der untenste- henden Tabelle 8-9.

Tabelle 8-9: Empfohlene Massnahmen a) Finanzielle Massnahmen – Kein Abzug des Vorbereitungszuschusses bei der Finanzhilfe im Erfolgsfall – Längere Kompensation für FILAG-Einbussen – Mindestgrösse von 1'000 Einwohnern für Finanzhilfe durchsetzen: Art. 3 Abs. 2 streichen; neue generelle Ausnahmeklausel für Unterstützungsmassnahmen bei ausserordentlichen Gründen b) Informations- und Beratungsleistungen – Zusätzliche Arbeitshilfen für Gemeinden in Fusionsprozessen – Überarbeitung AGR-Website "Fusion" inkl. ihren Inhalten – Informationsveranstaltungen für Gemeindepolitiker/-innen – Zusätzliche Kapazitäten für die Beratung beim AGR – Initiatorenrolle des AGR: Vorschlagen von möglichen sinnvollen Fusionen – Monitoring der Fusionsgemeinden resp. der Fusionseffekte c) Negative Anreize – Mindestanforderungen in verschiedenen Sektoralpolitiken festlegen und konsequent durchsetzen d) Zwangsmassnahmen – Modifikation der Bestandesgarantie zur Diskussion stellen – Zwangsfusionen unter bestimmten Bedingungen ermöglichen e) Übergeordnete Massnahmen – One-Stop-Shop: AGR als zentrale Ansprechstelle der Gemeinden beim Kanton – Genehmigungsverfahren für Fusionen und gesetzestechnischer Nachvollzug vereinfachen – Interkantonalen Fusionskonsens anstreben

106 8. Analyse neuer Massnahmen ECOPLAN

Vermutlich kann mit diesen Massnahmen das ehrgeizige ursprüngliche Ziel einer Verminde- rung der Zahl der Gemeinden auf 300 bis 2017 nicht erreicht werden. Dieses Ziel ist ein poli- tisch kommuniziertes Ziel, und aus der Evaluation ergibt sich kein zwingender Grund, dass dieses Ziel erreicht resp. aufrecht erhalten werden müsste. Wichtiger ist, dass dort die Re- formprozesse in Gang kommen, wo sie auch aus Sicht der Gemeinden einen entsprechen- den Nutzen bieten.

Falls politisch trotzdem eine massive Förderung von Gemeindefusionen erwünscht sein soll- te, wären – wie die Bespiele aus anderen Kantonen zeigen – eine massive Erhöhung der Beiträge sowie zusätzliche Massnahmen (wie bspw. subventionierte Steuersatz- Reduktionen) erforderlich. Nur mit beträchtlich grösseren Beiträgen könnte eine Beschleuni- gung des Prozesses erzielt werden, wie das Beispiel des Kantons St. Gallen zeigt, wo jähr- lich rund 30 Mio. CHF zur Verfügung stehen.

Ecoplan empfiehlt, die Wirkungen der Fusionsförderung ungefähr 2014 erneut zu evaluieren, damit Grundlagen für einen Entscheid über eine allfällige Fortführung bestimmter Massnah- men gelegt werden können.

107 Anhang 1: Leistungsbereiche und Leistungsgrenzen der Gemeinden ECOPLAN

Anhang 1: Leistungsbereiche und Leistungsgrenzen der Ge- meinden

In den beiden untenstehenden Grafiken sind die Beurteilungen der Gemeindeschreiber hin- sichtlich der Erreichung von Leistungsgrenzen nach Bereichen den Beurteilungen der Kanto- ne gegenübergestellt. Die Darstellung ist jedoch mit Vorsicht zu interpretieren. Der Kan- tonsauswertung liegen nur 21 Antworten zugrunde. Wenn also bspw. ein einziger Kanton für einen Bereich mit „Leistungsgrenze überschritten“ antwortet, zeigt dies in der Grafik bereits mit rund 5% an. Zudem konnten sich die Kantone nur generell für alle ihre Gemeinden äus- sern und keine Differenzierung vornehmen, wenn sie z.B. der Ansicht waren, bei einem Vier- tel der Gemeinden sei die Leistungsgrenze überschritten.

108 Anhang 1: Leistungsbereiche und Leistungsgrenzen der Gemeinden ECOPLAN

Grafik A-1: Leistungsbereiche und Leistungsgrenzen der Gemeinden, aus Grafik A-2: Leistungsbereiche und Leistungsgrenzen der Gemeinden, aus Sicht der Schweizer Gemeinden (N=2’109) Sicht der Kantone (N=21)

Neue Armut etc. Neue Armut etc. Gde.-pol. Aufgaben Gde.-pol. Aufgaben Betr. Asysluchenden Betr. Asysluchenden Betr. Drogenabhängigen Betr. Drogenabhängigen Betr. Arbeitslosen Betr. Arbeitslosen Jugendfragen Jugendfragen Zivilschutz Zivilschutz Raum- und Zonenplanung Raum- & Zonenplanung Bew . Baugesuchen Bew . Baugesuchen Feuerw ehr Feuerw ehr privater Verkehr privater Verkehr öffentlicher Verkehr öffentlicher Verkehr Sport/Sportanlagen Sport/Sportanlagen Landschaft- & Ortsbildschutz Landschaft- & Ortsbildschutz Schulfragen Schulfragen Energieversorgung Energieversorgung Gemeindeexekutive Gemeindeexekutive Inegration von Ausländern Inegration von Ausländern GV: Inf ormatik GV: Inf ormatik GV: Finanzverw altung GV: Finanzverw altung medizinische Versorgung medizinische Versorgung Betr. älterer Personen Betr. älterer Personen Umw eltschutz Umw eltschutz Wirtschaftsförderung Wirtschaftsförderung öffentliche Bauten öffentliche Bauten GV: Personalmanagement GV: Personalmanagement Abfall/Entsorgung Abfall/Entsorgung Wasserversorgung Wasserversorgung Abw asser/Kanalisation Abw asser/Kanalisation GV: Einw ohnerdienste GV: Einw ohnerdienste Kulturfragen Kulturfragen

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

LG überschritten LG erreicht LG in Sicht keine LG sichtbar weiss nicht LG überschritten LG erreicht LG in Sicht keine LG sichtbar keine Gde-Aufgabe Quelle: Steiner/Kettiger/Reist (2008), Kommunale Reformen aus Kantonaler Sicht Quelle: Gemeindeschreiberbefragung 2005

109 Anhang 2: Statistische Analyse ECOPLAN

Anhang 2: Statistische Analyse a) Variablenübersicht

Variable Einheit Periode Datengrundlage / Quelle

Anzahl Fälle mit EL-Leistungen relativ zur Bevölkerung % 01.11.2005 Ausgleichskasse Kanton Bern Anteil Alleinerziehender relativ zur Bevölkerung % 2000 Volkszählung (BFS) Anteil Einwohner der Altersgruppe 65+ % 2000 BFS Anteil Einwohner der Altersgruppe 0-19 % 2000 BFS Anteil Einwohner der Altersgruppen 0-19 und 65+ % 2000 BFS Anteil Schüler relativ zur Bevölkerung % 2005 Anteil Ausländer an ständiger Wohnbevölkerung % 2005 ESPOP (BFS) Durchschnittliche Arbeitslosenquote % 2005 BECO Anteil der Gemeindefläche über 800 m ü.M. % 1997 Arealstatistik / Topographie DHM25_10 Anteil der Gemeindefläche über 1'000 m ü.M. % 1997 Arealstatistik / Topographie DHM25_10 Anteil der Gemeindefläche über 1'200 m ü.M. % 1997 Arealstatistik / Topographie DHM25_10 Anteil der Gemeindebevölkerung über 800 m ü.M. % 2000 Volkszählung 2000 / Topographie Anteil der Gemeindebevölkerung über 1'000 m ü.M. % 2000 Volkszählung 2000 / Topographie Anteil der Gemeindebevölkerung über 1'200 m ü.M. % 2000 Volkszählung 2000 / Topographie Anteil Gemeindefläche mit Hangneigung über 18% % 1997 Arealstatistik / Topographie DHM25_10 Strassenlänge pro Wohnbevölkerung km/Anzahl 2005 FINSTA Mittlere Anzahl Einwohner Anzahl 2005 FINSTA Mittlere Anzahl Einwohner quadriert Anzahl 2005 FINSTA Produktive Fläche pro Bevölkerung ha 1994 Arealstatistik (BFS) / FINSTA Jobs pro Bevölkerung Anzahl 2000 Volkszählung 2000 / FINSTA Steueranlage Indexwert 2005 FINSTA Wähleranteil SP & Grüne Partei % 2003 Nationalratswahl 2003 Nein-Anteil zur Änderung des Asylgesetzes % 24.09.2006 Abstimmung Ja-Anteil bei Volksinitiative zur sozialen Einheitskrankenkasse % 11.03.2007 Abstimmung Ja-Anteil Steuerpaket % 16.05.2004 Abstimmung HEI-Indikator Indexwert 2005 Finanzdirektion Quadrierter HEI-Indikator Indexwert 2005 Finanzdirektion Dummy Gemeinden mit weniger als 250 Einwohner 0-1-Variable ------Dummy Gemeinden mit über 10'000 Einwohnern 0-1-Variable ------Dummy Gemeinden mit über 20'000 Einwohnern 0-1-Variable ------Gemeindetyp gemäss BFS Typ 1-9 2000 FINSTA Globalbudget eingeführt 0-1-Variable 2005 Gemeindeschreiberbefragung 2005 Bevölkerungs-/Kundenbefragung werden durchgeführt 0-1-Variable 2005 Gemeindeschreiberbefragung 2005 Dienstleistungen können über Website bestellt werden 0-1-Variable 2005 Gemeindeschreiberbefragung 2005 gab/gibt es "New Public Management"-Projekt 0-1-Variable 2005 Gemeindeschreiberbefragung 2005

b) Hypothesen und Variablen für die Verwaltungskosten

Für die Schätzung der Verwaltungskosten wurden im Prinzip dieselben Variablen verwendet wie für die Gesamtkosten. Im Folgenden wird präzisiert, wo von diesem Grundsatz abgewich- ten wurde.

Neben den Kosten für die allgemeine Verwaltung im engeren Sinne beinhaltet die Konto- gruppe ebenfalls Ausgaben für die Legislative, die Exekutive und die Verwaltungsliegen- schaften sowie die Leistungen für die Pensionäre.

Die Hypothesenbildung ist etwas schwieriger als für die Gesamtkosten, und wir haben in einigen Fällen Variabeln nicht berücksichtigt: • Grösse der Gemeinde: Es ist zu erwarten, dass die Bevölkerung und die Fläche einer Gemeinde die Verwaltungskosten wesentlich beeinflussen. Wie einleitend jedoch bereits

110 Anhang 2: Statistische Analyse ECOPLAN

aufgezeigt wurde, ist jedoch umstritten, in welche Richtung sich die Gemeindegrösse auf die Verwaltungskosten auswirken. Die Gemeindegrösse wird durch die Bevölkerung und die produktive Fläche pro Bevölkerung in der Schätzung berücksichtigt. • Übrige geotopografische Variablen: Abgesehen von der Grösse und einer Gemeinde ist nicht anzunehmen, dass sich die Kosten der allgemeinen Verwaltung aufgrund geogra- fischer Eigenschaften wie Fläche über 1’000m oder Steilheit unterscheiden. Die Variablen werden deshalb nicht weiter berücksichtigt.96. • Soziodemografische Variablen: Es ist zwar durchaus üblich, dass in kleineren Gemein- den einige sozialpolitische Aufgaben durch die Gemeindeschreiberei wahrgenommen werden, die Ausgaben für die Sozialhilfe werden jedoch in einem separaten Konto ge- führt97. Die meisten sozioökonomischen Variablen werden deshalb in der Regression nicht weiter berücksichtigt. Integriert werden hingegen die Variablen über die Altersstruk- tur der Bevölkerung: Ältere Menschen nutzen selten die modernen Dienstleistungen wie bspw. den Onlineschalter. Zudem verursachen Einwohner bis 18 Jahren direkt weniger allgemeine Verwaltungskosten (keine Abstimmungsunterlagen, keine Steuern usw.). • Finanzpolitische Variablen: Es werden die oben bereits erwähnten Variablen verwendet. • Qualität und Professionalität der Verwaltung: Wiederum werden aus dem Datensatz der Gemeindeschreiberbefragung die vier oben aufgeführten Variablen als Proxy für die Qualität verwendet. Allerdings ist hier anzufügen, dass Kundenbefragungen, ein Global- budget, eine erfolgreiche Durchführung von NPM-Projekten und ein ausgebautes Inter- netangebot nicht nur Anzeichen für eine professionell geführte Verwaltung sind, sondern auch kostenreduzierende Massnahmen darstellen. Insbesondere kann ein ausgebautes Internetangebot die Präsenzzeit der Gemeindeverwaltung in kleineren Gemeinden verrin- gern und das Personal in grösseren Gemeinden entlasten. Die Wirkung dieser Variablen kann somit nicht im Vorfeld der Schätzung klar vorhergesagt werden.

96 Die Variablen werden aus der Schätzung entfernt, da sie unter Umständen die Funktion einer Proxy-Variablen für andere Einflussfaktoren übernommen hätten.

97 Da nicht zu erwarten ist, dass der Gemeindeschreiber seine Arbeitszeit intern weiterverrechnet, fallen einzig die Lohnkosten für die geleistete Arbeit im Bereich Sozialhilfe in der Kontogruppe 0 an. Allerdings dürfte der Auf- wand in kleineren Gemeinden vernachlässigbar sein.

111 Anhang 2: Statistische Analyse ECOPLAN

c) Regressionsoutput gesamter Nettoaufwand

Tabelle A-1: Beta-Koeffizienten aus der Regressionsgleichung

Unabhängige Variablen Beta t-Wert HEI 7 .47184800 4.8 Bevölkerung 0 .05068780 3.57 quadrierte Bevölkerung - 0.00000036 -3.44 Jobdichte pro Kopf 519 .35150000 2.96 Schüleranteil an Bevölkerung 7'045.44000000 5.19 Steueranlage 478 .59900000 2.49 produktive Fläche pro Kopf 115 .60130000 3.33 Anteil EL-Bezüger an Bevölkerung 7'551.23200000 2.56 Dummy weniger als 250 Einwohner - 398.59180000 -3.44 Dummy über 20'000 Einwohner - 485.08860000 -2.85 Dummy Internetplatform 184 .98810000 3.15 Dummy NPM_projekte - 57.70518000 -1.39 Konstante - 976.98570000 -2.23 R-Square 0.3062

Basis: 397 Gemeinden (Rumendingen wurde als Ausreisser aus der Schätzung ausgeschlossen).

d) Regressionsoutput allgemeine Verwaltungsausgaben

Tabelle A-2: Beta-Koeffizienten aus der Regressionsgleichung

Unabhängige Variablen Beta t-Wert HEI 0 .82817190 3.09 Bevölkerung - 0.01211840 -4.53 quadrierte Bevölkerung 0 .00000005 3.05 produktive Fläche pro Kopf 14 .76070000 3.49 Anteil unter 19-jähriger - 695.13500000 -3.74 Dummy weniger als 250 Einwohner 5 8.31930000 3.13 Dummy über 20'000 Einwohner 458 .21480000 3.81 Dummy Internetplatform - 34.11476000 -3.31 Dummy NPM_projekte - 8.99953300 -1.75 Konstante 505 .85280000 8.75 R-Square 0.3008

Basis: 397 Gemeinden (Rumendingen wurde als Ausreisser aus der Schätzung ausgeschlossen)

112 Anhang 3: Verfahrensablauf Genehmigung Gemeindefusionen ECOPLAN

Anhang 3: Verfahrensablauf Genehmigung Gemeindefusionen

Was Wer (bis) Wann / Dauer

Einreichung Genehmigungsakten (Fusionsvertrag, Gemeinderäte Nach Beschluss Stimmbe- Organisationsreglement) rechtigte Entwurf GRB betr. Genehmigung Fusionsvertrag AGR 1 Monat (inkl. Anpassungen Gesetzes, Beschlüsse, Dekre- te) ggf. (falls Nichtgenehmigung beantragt wird) Vor- AGR 1 Monat trag erstellen + übersetzen lassen Genehmigung durch Direktor (=Freigabe für Mitbe- JGK Direktor 1 Woche richtsverfahren) Reserve: Überarbeitung (vor Mitberichtsverfahren) AGR 1 Woche Verwaltungsinternes Mitberichtsverfahren AGR i.V.m. Direktionen 3 Wochen + Staatskanzlei Übersetzung Beschluss GS JGK Parallel zu Mitberichts- verfahren Allenfalls Überarbeitung AGR 1 Woche (nach Mitberichtsverfahren) Traktandieren für RR GS JGK 2 Wochen (vor RR-Sitzung) Genehmigung RR RR 2 Wochen Traktandieren für Sitzung der Justizkommission Sekretariat JuKo 1 Monat und 2 Wochen (vor (JuKo) JuKo-Sitzung) Beschluss JuKo JuKo * JuKo tagt 5 x / Jahr ggf. Zugrecht Grosser Rat (jedes) GR-Mitglied spätestens bis 1. Tag folgende GR-Session Genehmigung Organisationsreglement fusionierte AGR nach Rechtskraft Fusions- Gemeinde genehmigung Anpassung RRB betreffend amtliche Schreibweise AGR 1 Monat der Gemeindenamen + Anpassung div. Verord- (parallel / nach Fusions- nungen genehmigung) Anpassung RRB + Verordnungen: Mitberichtver- AGR i.V.m. Direktionen 3 Wochen fahren und Staatskanzlei Anpassung RRB + Verordnungen: Bereinigung AGR 2 Wochen nach Mitbericht, Traktandieren für RR Anpassung RRB + Verordnungen: Beschluss RR Regierung Mitteilung Änderung von Gemeindenamen an AGR (Unmittelbar) nach Ände- Bund (swisstopo)98 rung RRB betreffend amtli- che Schreibweise ggf. Genehmigung Änderung Gemeindenamen swisstopo max. 2 Monate

Quelle: AGR

98 Gemäss Verordnung vom 21.5.2008 über die geografischen Namen (GeoNV), SR 510.625

113 Anhang 4: Einfluss von Finanzausgleichsleistungen auf Fusionsentscheid ECOPLAN

Anhang 4: Einfluss von Finanzausgleichsleistungen auf Fusionsentscheid

Tabelle A-3: Falls Pläne oder Überlegungen zu einer Fusion bestehen: Haben mögliche Änderungen von Finanzausgleichsleistungen durch die Fusion einen Einfluss auf den Entscheid, ob die Fusion durchgeführt wird?

Die Änderungen Die Änderungen Die Änderungen Es sind zwar Durch die Fusion Total Ant-Grundge- Rücklauf- sind der spielen beim haben nur einen Änderungen zu werden die worten samtheit quote Hauptgrund für Entscheid eine geringen Einfluss erwarten, diese Finanzausgleichs- einen wichtige Rolle. auf den Entscheid. spielen aber beim leistungen nicht Fusionsverzicht. Fusionsentscheid tangiert, deshalb keine Rolle. spielen sie keine Rolle. [Anz.] [%] [Anz.] [%] [Anz.] [%] [Anz.] [%] [Anz.] [%] [Anz.] [Anz.] [%] Einwohner bis 500 0 0.0 17 42.5 15 37.5 6 15.0 2 5.0 40 127 31.5 501 .... 1'000 0 0.0 7 43.8 4 25.0 4 25.0 1 6.3 16 82 19.5 1001 .... 2'500 1 6.7 7 46.7 2 13.3 4 26.7 1 6.7 15 96 15.6 2501 .... 10'000 1 7.7 6 46.2 5 38.5 1 7.7 0 0.0 13 77 16.9 mehr als 10'000 0 0.0 0 0.0 0 0.0 1 100.0 0 0.0 1 14 7.1 RKP 1: Biel - Seeland - Jura B. 0 0.0 12 54.5 5 22.7 4 18.2 1 4.5 22 115 19.1 RKP 2: 2 10.5 3 15.8 9 47.4 4 21.1 1 5.3 19 54 35.2 RKP 3: Emmental 0 0.0 1 14.3 2 28.6 3 42.9 1 14.3 7 42 16.7 Region RKP 4: Bern - Mittelland 0 0.0 10 52.6 6 31.6 2 10.5 1 5.3 19 101 18.8 RKP 5: Thun - Oberland West 0 0.0 9 64.3 3 21.4 2 14.3 0 0.0 14 55 25.5 RKP 6: Oberland Ost 0 0.0 2 50.0 1 25.0 1 25.0 0 0.0 4 29 13.8 Stadt, Zentrumsstädte 0 0.0 0 0.0 0 0.0 1 100.0 0 0.0 1 6 16.7 Agglomeration, Agglomeration (Umland) 0 0.0 5 55.6 2 22.2 2 22.2 0 0.0 9 81 11.1 Land ländlicher Raum 2 2.7 32 42.7 24 32.0 13 17.3 4 5.3 75 309 24.3 kleiner als 60 0 0.0 11 68.8 3 18.8 2 12.5 0 0.0 16 56 28.6 61 .... 70 0 0.0 5 35.7 3 21.4 5 35.7 1 7.1 14 72 19.4 Harm. 71 .... 80 0 0.0 8 32.0 13 52.0 3 12.0 1 4.0 25 91 27.5 Steuerertrags- 81 .... 90 2 20.0 3 30.0 2 20.0 2 20.0 1 10.0 10 65 15.4 index (HEI) 91 .... 100 0 0.0 3 42.9 1 14.3 3 42.9 0 0.0 7 41 17.1 grösser als 100 0 0.0 7 53.8 4 30.8 1 7.7 1 7.7 13 71 18.3 kleiner als 1.5 0 0.0 3 37.5 3 37.5 1 12.5 1 12.5 8 51 15.7 1.51 ..... 1.65 0 0.0 6 37.5 5 31.3 3 18.8 2 12.5 16 61 26.2 Steueranlage 1.66 ..... 1.80 1 3.7 12 44.4 8 29.6 5 18.5 1 3.7 27 112 24.1 1.81 ..... 1.95 1 5.0 9 45.0 5 25.0 5 25.0 0 0.0 20 109 18.3 grösser als 1.95 0 0.0 7 50.0 5 35.7 2 14.3 0 0.0 14 63 22.2 Gesamt 2 2.4 37 43.5 26 30.6 16 18.8 4 4.7 85 396 21.5

Quelle: Ecoplan (2007), Ergebnisse der Umfrage zum FILAG 2002 bei den Gemeinden

114 Anhang 5: Bewertung von neuen Massnahmen durch die Begleitgruppe ECOPLAN

Anhang 5: Bewertung von neuen Massnahmen durch die Be- gleitgruppe a) Finanzielle Massnahmen

Die vorgeschlagenen neuen Massnahmen (vgl. Abschnitt 8.3) lehnt die Begleitgruppe deut- lich ab. Auch mit Blick auf mögliche Anpassungen der bestehenden Massnahmen fallen die Einschätzungen grösstenteils ablehnend aus: das bisherige System soll beibehalten und weder viel strenger noch grosszügiger werden. Die Verlängerung der Frist für FILAG- Kompensationen wie auch höhere Beiträge werden abgelehnt. Unterstützt wird die konse- quente Durchsetzung der Mindestgrösse von 1'000 Einwohnern für den Empfang von Fi- nanzhilfen und eine kleine Korrektur, gemäss welcher darauf verzichtet werden soll, die zur Vorbereitung ausbezahlten Zuschüsse im Erfolgsfall bei der Finanzhilfe abzuziehen (weil es sich bei den gescheiterten Fusionen um A-Fonds-perdu-Beiträge handelt).

Fazit der Begleitgruppe: kein Ausbau, konsequente Umsetzung des bestehenden Systems b) Informations- und Beratungsleistungen

Zusätzliche Kapazitäten des AGR für Fachberatung wie auch Prozessbegleitung stossen ohne Ausnahme auf deutliche Zustimmung. Neue Arbeitshilfen werden nicht als prioritär er- achtet, aber auch nicht abgelehnt. Am meisten Unterstützung finden die juristische FAQ-Liste sowie ein Hilfsmittel zur Bereinigung komplexer Gemeindeverbands-Strukturen. Ein Bench- marking Gemeinden wird aufgrund der Umsetzungsschwierigkeiten abgelehnt und ein Moni- toring der fusionierten Gemeinden steht nicht zuvorderst auf Wunschliste. Eine Lancierung von Fusionsideen durch den Kanton dürfe nach Ansicht der Begleitgruppe nur zurückhaltend und punktuell erfolgen.

Fazit der Begleitgruppe: mehr Kapazitäten für Beratung und Moderation von Fusionsprozessen durch das AGR c) Negative Anreize

Die Festlegung und Durchsetzung von Mindestanforderungen wird deutlich befürwortet. Eine pauschale „Abstrafung“ der kleinen Gemeinden durch Kürzung ihrer finanziellen Mittel wird klar abgelehnt.

Fazit der Begleitgruppe:

Mindestanforderungen festlegen und durchsetzen

115 Anhang 5: Bewertung von neuen Massnahmen durch die Begleitgruppe ECOPLAN

d) Zwangsmassnahmen

Die Begleitgruppe begrüsst die Lancierung einer Diskussion über eine mögliche Modifikation der Bestandesgarantie einhellig. Alle der in Abschnitt 8.3 genannten Bedingungen für Zwangsfusionen sind denkbar und stossen nicht auf grundsätzliche Ablehnung. Der Grund- satz der Freiwilligkeit soll aber im Prinzip beibehalten werden, und eine kantonale Fusions- planung auf dem Reissbrett wird von der Mehrheit ausgeschlossen.

Fazit der Begleitgruppe:

Modifikation der Bestandesgarantie in Angriff nehmen und Voraussetzungen für die Anord- nung von Fusionen konkretisieren e) Übergeordnete Massnahmen

Ausnahmslos wird die Idee unterstützt, dass das AGR als zentrale Ansprechstelle für die Gemeinden walten und auch Abklärungen mit anderen Direktionen koordinieren soll. Eben- falls als wichtig erachtet wird, dass das Genehmigungsverfahren für Fusionen beim Kanton vereinfacht wird und dass der Kanton Bern sich auf Bundesebene aktiv für eine Regelung von interkantonalen Fusionen einsetzt.

Fazit der Begleitgruppe:

AGR soll in der kantonalen Verwaltung die zentrale Anlaufstelle für Gemeinden bilden

116 Literaturverzeichnis ECOPLAN

Literaturverzeichnis

Arn Daniel (1999) Liegt die Zukunft in der Fusion von Gemeinden? In: Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht, 100. Jg., Nr. 5, Mai 1999, S. 241-253

Bühler Daniel, Fetz Ursin (2006) Erfolgsfaktoren von Gemeindefusions-Prozessen in der Schweiz. In: Wirth Klaus, Hack Hans, Biwald Peter (Hrsg.): Interkommunale Kooperation – Zwischen Tradition und Aufbruch. Wien, Graz.

Bundesamt für Statistik (2005) Die Raumgliederungen der Schweiz. Neuchâtel.

Bundesamt für Statistik (2009) Medienmitteilung: 2008 hat die Zahl der Gemeinden deutlich abgenommen. Neuchâtel.

de Spindler Jürg (1998) FOJC – Ein Konzept zur Neuordnung der Zusammenarbeit öffentlichrechtlicher Gebietskörperschaften. Bern, Stuttgart, Wien.

Ecoplan (2007) Ex-post-Evaluation des FILAG 2002. Analyse der Wirkungen und der Zielerreichung ausgewählter Aspekte des Gesetzes über den Finanz- und Lastenausgleich (FILAG) im Kanton Bern. Evaluation im Auftrag der Finanzverwaltung des Kantons Bern. Bern.

Ecoplan (2007) Ergebnisse der Umfrage zum FILAG 2002 bei den Gemeinden, Teilprojekt Evaluation von FILAG 2012 im Auftrag der Finanzverwaltung des Kantons Bern. Materialienband A4. Bern.

Ecoplan (2007) Kostentreibende Faktoren und neue Lastenausgleichsmodelle, Statistische Analyse von kostentreibenden Faktoren für die Gemeindefinanzen und Ausgleichsmodelle im Rahmen des Projektes „FILAG 2012“. Studie im Auftrag der Finanzverwaltung des Kantons Bern. FILAG-Materialienband A7, Bern.

Ecoplan (2008) Grundlagen für Modelle mit Schullasten-Indizes im Lastenverteiler Lehrergehälter, FILAG-Materialienband B1, Bern.

Ecoplan (2008) Benchmarking: Beispiel öffentlicher Regionalverkehr, Strukturberichterstattung des SECO Nr. 38, Bern.

Frenkel Max (1999) Die Fahrt in die schöne, nicht mehr so neue Welt der Gebietsreform. Mögliche Ziele - mögliche Probleme. In: Neue Zürcher Zeitung Nr. 105, 8. Mai, S. 103.

Gemeinde Wichtrach (2007) Schlussbericht zur Fusion der Gemeinden Nieder- und Oberwichtrach.

117 Literaturverzeichnis ECOPLAN

Geser Hans (1997) Zwischen Aufgabenzuwachs und Autonomieverlust: Neue Selbstbehauptungsstrategien der Gemeinden im Zeitalter vertikaler Politikverflechtung. Online unter: http://socio.ch/gem/001f.htm (22.9.2007)

gfs.bern (2006) Schlussbericht zur Umfrage „Experten“ im Auftrag des Kantons Aargau.

gfs.bern (2007) Gemeindezusammenlegung auch nach Umsetzung breit akzeptiert. Schlussbericht zur Bevölkerungsbefragung «Nutzen Gemeindezusammenschluss im Auftrag des Kantons Aargau».

Jaag Tobias, Rüssli Markus (2008) Rechtsgutachten zu Art. 108 der Verfassung des Kantons Bern (Bestandesgarantie der Gemeinden).

Kettiger Daniel (2004) Gemeindefusion – ein Thema mit vielen Facetten. Bern.

Kuster Jürg (2008) Fit durch Zusammenarbeit oder Zusammenschluss. In: Schweizer Gemeinde Nr. 3/08, S.16-17.

Kuster Jürg, Liniger Alexander (2007) Effekte von Gemeindezusammenschlüssen. Schlussbericht.

Ladner Andreas (2005) : Reforming Small Autonomous Municipalities. In: Rose Lawrence E. und Bas Denters (Hrsg): Comparing Local Governance. Trends and Developments. New York.

Ladner Andreas, Arn Daniel, Friedrich Ueli, Steiner Reto, Wichtermann Jürg (2000) Gemeindereformen zwischen Handlungsfähigkeit und Legitimation. Forschungsprojekt des Schweizerischen Nationalfonds. Bern.

Ladner Andreas, Bühlmann Marc (2007) Demokratie in den Gemeinden. Der Einflus der Gemeindegrösse und anderer Faktoren auf die Qualität der lokalen Demokratie. Zürich, Chur.

Ladner Andreas, Fivaz Jan, Schwarz Daniel (2005) Schlussevaluation „Strategie Gemeinden“. Studie im Auftrag des AGR. Bern.

Lüchinger Simon, Stutzer Alois (2002) Skalenerträge in der öffentlichen Kernverwaltung: Eine empirische Analyse anhand von Gemeindefusionen. In: Swiss Political Science Reviews Nr. 8 (1), S. 27-50.

Lutz Sigisbert (2005) Liegt die Zukunft in der Fusion von Gemeinden? Im Internet unter: http://www.sgvw.ch/d/fokus/Seiten/050511_gemeindefusion_lutz.aspx (22.09.2008)

118 Literaturverzeichnis ECOPLAN

Regierungsrat des Kantons Bern (2008) Optimierung der Aufgabenteilung und des Finanz- und Lastenausgleichs im Kanton Bern (FILAG 2012), Bericht des Regierungsrates an den Grossen Rat vom 29. Oktober 2008, Bern.

Schneider Steff (2008) Schleichender Autonomieverlust als grösste Herausforderung. Interview mit dem neuen Präsidenten des Schweizerischen Gemeindeverbandes, Hannes Germann. In: Schweizer Gemeinde Nr. 7/8/08, S. 6-7.

Sonderegger Roger W. (2007) Gemeindefusion: Mit klarer Struktur zum Erfolg. In: Schweizer Gemeinde Nr. 1/07, S.10- 12.

Steiner Reto (2002) Interkommunale Zusammenarbeit und Gemeindezusammenschlüsse in der Schweiz. Bern.

Steiner Reto (2003) Interkommunale Zusammenarbeit und Gemeinde Zusammenschlüsse – Dargestellt am Beispiel der Schweiz. In: Viesasis administravimas Nr. 6, S. 43-54.Im Internet unter: http://www3.mruni.lt/lt/modules/mydownloads/cache/files/viesasis_administravimas_6__ _p43-54_.pdf (1.10.2008).

Steiner Reto, Reist Pascal (2008) Gemeindefusionen liegen bei Kantonen im Trend. In: Schweizer Gemeinde Nr. 11/08, S. 10-11.

Steiner Reto, Kettiger Daniel, Reist Pascal (2008) Kommunale Reformen aus Kantonaler Sicht – Ergebnisse. Online-Befragung der Kantonalen Verwaltungen (August-Oktober). Forschungsprojekt der Universität Bern unterstützt durch die Kommission für Technologie und Innovation (KTI). Bern.

Thom Norbert, Steiner Reto (2005) Interkommunale Zusammenarbeit und Gemeindezusammenschlüsse in der Schweiz. Im Internet unter: http://www.kpm.unibe.ch/dateien/9.pdfdatei.pdf (1.10.2008).

Tripartite Agglomerationskonferenz (TAK) (2006) Verstärkung der Zusammenarbeit in kantonsübergreifenden Agglomerationen. Bern.

Vuichard Florence, Wegelin Jürg und Kravarik Igor (2005) Wenn sich zwei Dörfer finden, freuts den Kanton, in: Cash vom 15.September 2005, S.8- 9.

Wooldridge Jeffrey M. (2005) Introductory Econometrics: A Modern Approach, 2e. Ohio.

119