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SWR2 MANUSKRIPT

SWR2 LESENSWERT KRITIK

Hrsg.: Hartmut Geerkens und Detlef Thiels: Salomo Friedlaender (Mynona)

Briefe Bd. 1

Verlag Waitawhile

68,50 Euro

Rezension von Roland Reuß

Donnerstag, 23.08.2018 (19:54 – 19:59 Uhr)

Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

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Salomo Friedlaender, 1871 in der Nähe von Posen geboren, publizierte unter diesem, seinem bürgerlichen Namen als strenger Kantianer philosophische Schriften. Das 1918 erstmals, 1926 erneut aufgelegte Hauptwerk „Schöpferische Indifferenz“ mag hierfür stellvertretend stehen. Seine literarischen Werke dagegen, Gedichte, Grotesken und Prosastücke, veröffentlichte er unter dem Pseudonym Mynona (einem Anagramm von Anonym).

Für die Expressionisten waren sie ein steter Quell der Anregung. Sein Einfluss erstreckte sich aber durchaus über die einschlägigen Zirkel hinaus. Walter Benjamin, Paul Scheerbart, Else Lasker-Schüler, , Georg Simmel bewunderten ihn und vielen von ihnen lag auch an seinem persönlichen Urteil. Heute dagegen ist Friedlaender fast vergessen – eine direkte Folge seines Exils. 1933 floh er nach , wo er 1946, von der Öffentlichkeit unbemerkt, starb.

Ohne Verlag und mittellos, schrieb er in seinem Pariser Unterschlupf nur noch für sich selbst und die paar Freunde, die geblieben waren. Die Armut, unter der er schon vor 1933 litt, nahm jetzt zu. Das begann bei so existenziellen Sachen wie der Beschaffung von Lebensmitteln, griff aber auch direkt in die Arbeit ein. Oft reichte es nicht einmal mehr zum

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Kauf eines Farbbandes für die Schreibmaschine, so dass viele Typoskripte aus dieser Zeit von Anfang an als Durchschläge mittels Kohlepapier konzipiert waren. Das farblose Relief der oben aufliegenden Seite wurde weggeschmissen, die zwei, manchmal drei Kopien standen fürs Original. Not macht erfinderisch.

Wenn Friedlaender nie völlig in Vergessenheit geriet, so verdanken wir das dem hartnäckigen, nicht am Kanon orientierten Verantwortungsgefühl solcher Pfadfinder wie dem Gründungsdirektor des Deutschen Literaturarchivs (Marbach), Bernhard Zeller, dem Jahrhundertbibliothekar Paul Raabe, dem Literaturwissenschaftler Jörg Drews, vor allem aber der Entschlusskraft und Findigkeit Hartmut Geerkens und Sigrid Hauffs. Durch Zufall – sie suchten eigentlich nach Papieren des Prager Dichters Victor Hadwiger – gelang es den beiden in den sechziger Jahren, den Nachlass Friedlaenders in Südfrankreich und Paris zu lokalisieren und in letzter Sekunde vor der Vernichtung zu retten.

Die Umstände dieser Rettung im VW-Käfer und das weitere Schicksal der Dokumente schildert Hartmut Geerken anschaulich in seiner Einleitung zum eben erschienenen ersten von insgesamt acht Bänden Briefwechsel. Geerken gibt ihn gemeinsam mit Detlef Thiel und Sigrid Hauff heraus.

Er ist Teil einer auf 38 Bände angelegten Werkausgabe, von der bereits 24 vorliegen. Es sagt einiges, über die Ernsthaftigkeit allgegenwärtiger ‚Aufarbeitungen‘, dass dieses wahrhaft gemeinnützige Unternehmen einer Wiedergutmachung ohne jede öffentliche Förderung im Privatverlag Geerkens seit 2005 erscheint – nicht einmal die Anerkennung einer sachgemäßen Rezeption wird ihm zuteil. Finanziert wird es durch den Erlös, der aus dem Ankauf des Friedlaender-Nachlasses durch die Berliner Akademie der Künste gezogen wurde. Die Produktivität der Herausgeber und ihr Engagement in der Sache ist staunenswert. Irgendwas mit digital und Karriere ist nicht ihr Ding. Dass der Verlag seinen Sitz in der langen Straße hat, die sich in Herrsching am östlichen Ufer des Ammersees mit dem sprechenden Namen „Wartaweil“ hinzieht, ist wie ein Versprechen, das es von dem, was man gerne deutsche literarische Öffentlichkeit nennen würde, endlich einzulösen gilt. Der erste Briefband, der sich über die Jahre 1878 bis 1919 erstreckt, umfasst Korrespondenz mit Paul Scheerbart, Samuel Lublinski, , Else Lasker- Schüler, Doris Hahn, Rebecca Hanf, Kurt Hiller, Georg Simmel, Ludwig Rubiner, Martin Buber, Georg Lukacs, Ludwig von Ficker, Arthur Segal, , Alfred Kubin, Hermann Bahr, Anselm Ruest (Friedlaenders Schwager), seiner Frau Marie Luise, geborene Schwinghoff, seinem philosophischen Lehrer, Ernst Marcus, und der engeren Familie, die in Essen lebte. Schickt Friedlaenders Autorexistenz im zu Lebzeiten publizierten Werk sich in die polaren Ausdrucksgestalten eines philosophischen und eines literarischen Auftretens, so erscheint er im Briefwechsel bei sich.

Auch hier aber werden, je nach Briefpartner, zwei sehr differente Sprachstile gepflegt. Da sind im einen Extrem die durchaus freien und sehr persönlichen Briefe an seine Braut und spätere Frau Marie Luise, die von Sprachwitz nur so sprudeln. Im andern Extrem finden sich die Briefe an Ernst Marcus und Alfred Kubin, die sich manchmal schon der Gattung des philosophischen Essays nähern. Sie zeigen Friedlaender als belesenen und klug

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SWR2 MANUSKRIPT argumentierenden Briefpartner. Nicht selten begegnen hier absatzlose Briefe von sechs und mehr Seiten, die sich geduldig die Zeit nehmen, komplexere Gedanken zu klären. Auch heute noch sind sie – über das historische Interesse hinaus – in der Weise, wie Kants Gedanken auf die moderne Welt bezogen werden, anregend zu lesen. Für die deutsche Geistesgeschichte zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ist das ganze Ensemble dieser Korrespondenz ein großer Schatz.

Der erste erhaltene Brief Salomo Friedlaenders, genannt Mynona, datiert wohl auf das Jahr 1878. Er ist gerichtet an den Osterhasen: „Lieber Osterhase. ich möchte 10 oder 20 bunte Ostereier haben. Jetzt gehe ich schon in die 5/02 Klasse Aber sie die Ostereier sollen gut versteckt sein.“

Mit der Ausgabe Hartmut Geerkens und Detlef Thiels hat Friedlaendernun prospektiv 38 Ostereier in Buchgestalt geschenkt bekommen. Jetzt kommt alles darauf an, dass sie auch gefunden werden.

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